5
Ich fragte mich kurz, ob ich nur von Mick geträumt hatte. Vielleicht war ich in Nashs Büro ohnmächtig geworden und Lopez oder sonst jemand hatte mich nach Hause ins Bett gebracht. Allerdings konnte ich mir nicht vorstellen, dass Nash so freundlich zu mir war.
Als ich ins Badezimmer humpelte, fand ich in meinem Korb mit der schmutzigen Wäsche blutige Handtücher und Micks zerrissenes T-Shirt. Er war also kein Traum gewesen.
Ich hoffte auch, dass ich das Wasser nicht bloß geträumt hatte. Nein, es sprudelte wunderbar heiß aus den Hähnen. Schnell zog ich mir das Oberteil aus und stand im BH da, während ich mir Gesicht und Hände wusch. Ich drehte das kalte Wasser an, spülte mir den Mund aus und putzte mir die Zähne. Noch nie hatte Zahnpasta so gut geschmeckt. Ich trank ein paar Schlucke aus dem Wasserhahn und merkte plötzlich, dass ich nichts mehr gegessen und getrunken hatte, seit ich vorgestern nach Flagstaff aufgebrochen war.
Ich trocknete mir das Gesicht ab und ließ das Handtuch sinken. Durch das Badezimmerfenster starrte mich ein Mann an.
Ich schrie. Es war ein riesiger Indianer, muskulös wie Mick, aber er war nicht Mick. Er roch nicht nach Skinwalker – ich erhaschte den Duft von Salbei und Wildgras.
Der Mann duckte sich, und ich rannte zum Fenster. Draußen war niemand zu sehen außer einem Kojoten, der auf das leere Gleisbett hinter dem Hotel zutrottete. Von einem Menschen keine Spur – doch im Staub vor dem Fenster entdeckte ich die Abdrücke von großen, nackten Männerfüßen.
Mit schmalen Augen starrte ich auf den Punkt, wo der Kojote verschwand. Seit meinem Einzug hatte ich ihn um das Hotel herumstreifen sehen. Kojoten sind Allesfresser, die nichts verschmähen, was Menschen wegwerfen, auch nicht ihre Haustiere, Hunde oder Katzen, wenn sie zu weit entfernt von zu Hause herumstreunen.
Ich ging ins Schlafzimmer und öffnete das Fenster. Es war früh am Morgen, die Luft wunderbar kühl, und ich atmete sie dankbar ein. Von dem Kojoten sah ich keine Spur mehr, nur einen blauen Streifen am östlichen Horizont. Aber im interessanten Leben der Janet Begay waren die Dinge eben nie so einfach, wie sie schienen.
»Spanner!«, schrie ich in die Wüste hinaus. In der Ferne hörte ich ein Jaulen, das verdächtig nach Gelächter klang, und dann war wieder alles still.
Mangels Vorhang spannte ich ein Leinentuch vor das Fenster und duschte. Weil mein Hotel zweieinhalb Meilen außerhalb von Magellan lag und mein Schlaf- und Badezimmer nach hinten rausgingen, weg von der Straße und der Bar, hatte ich mir nicht die Mühe gemacht, Vorhänge oder Jalousien aufzuhängen. Ich schlief am liebsten so, dass ich beim Aufwachen Mond und Sterne sehen konnte, und die Abgeschiedenheit hier draußen gefiel mir sehr. Ich hatte vergessen, dass es in meinem Leben noch andere Probleme gab als neugierige Nachbarn.
Ich zog mir saubere Sachen an und ging zur Hintertür hinaus, um eine Handvoll Mais für die aufgehende Sonne auszustreuen. Heute hatte ich eine Menge zu erledigen – ich wollte mir den Fall Amy McGuire noch mal vornehmen und sehen, ob mir irgendetwas Neues daran ins Auge fiel. Mrs McGuire hatte mir eine Liste der Freundinnen ihrer Tochter gegeben. Keine der jungen Frauen war von der Polizei um eine Aussage gebeten worden, aber vielleicht konnten sie mir etwas Nützliches darüber erzählen, wohin Amy damals vielleicht gegangen war und mit wem sie sich getroffen hatte. Am wichtigsten war mir, Nash Jones über Amy zu befragen, doch er war dünnes Eis, auf dem ich mich vorsichtig bewegen musste.
Trotzdem ließ ich mir Zeit bei meinem täglichen Ritual, den Morgen zu begrüßen. Als Kind war das für mich eine tägliche Gewohnheit gewesen, die ich auch als Erwachsene beibehalten hatte. Bei meinem unsteten Leben auf der Straße hatte ich das Ritual nicht immer durchführen können, aber solange ich hier wohnte, würde ich sichergehen, dass ich den Göttern jeden Tag für den Sonnenaufgang dankte. Hier draußen bei den Wirbeln brauchte ich alles an Erdmagie, was ich kriegen konnte, und sich die Götter günstig zu stimmen, konnte nie schaden. Heute beobachtete mich dabei nur eine große Krähe, die auf der Spitze eines Wacholderbaums am Rand des Parkplatzes saß. Sie spähte mit einem strengen schwarzen Auge zu mir herüber, und ich hatte das Gefühl, dass sie meinen Begrüßungsritus billigte.
Ich hatte keine Ahnung, wo Mick steckte. Seine Maschine war weg, doch ich wusste, dass er mich nur verlassen würde, solange mir keine Gefahr drohte. Selbst wenn er damals verschwunden war, als wir zusammengelebt hatten, hatte er immer dafür gesorgt, dass ich mich bis zu seiner Rückkehr an einem sicheren Ort verkriechen konnte. Seine Fürsorglichkeit hatte etwas Erdrückendes gehabt.
Der Strom im Hotel war noch nicht angeschlossen, aber ich hatte einige unverderbliche Lebensmittel für ein behelfsmäßiges Frühstück gekauft. Die Küche war wie der Rest des Hotels noch leer, aus Löchern in den Wänden hingen die Kabel wie Spaghetti.
Ich aß meine abgepackten Pasteten zum Aufbacken kalt und las dabei Amys Akte, und dann tauchten nach und nach die Handwerker auf. Maya Medina, meine Elektrikerin, stieg aus ihrem schnittigen roten Pritschenwagen. Sie trug wie üblich einen weißen Overall und hatte ihre prächtige schwarze Mähne unter einer Mütze hochgesteckt. Sie war die einzige Elektrikerin der Stadt, und soweit ich bisher gesehen hatte, eine verdammt gute. Nicht, dass sie mein Lob zur Kenntnis genommen hätte. Maya war so unfreundlich zu mir, dass es fast schon an Feindseligkeit grenzte. Ich hatte keine Ahnung, was der Grund dafür war, aber wenigstens tauchte sie auf und machte ihren Job.
Hinter ihr kamen die Zimmerleute, Fliesenleger, Dachdecker und Glaser – die meisten stammten aus dem Ort und ein paar Hopi-Männer aus Second Mesa. Sie brauchten die Arbeit, und hier gab es jede Menge zu tun.
Ich stand am Vordereingang, einer riesigen Massivholztür aus der spanischen Kolonialzeit, die ich auf einer Auktion in Santa Fe ersteigert hatte, und sah den Handwerkern entgegen. Zu meiner Überraschung kam kurz nach den anderen Fremont Hansen angefahren. Er stieg aus, schaute mich kummervoll an, und dann stellte er seinen Werkzeugkasten ab und umarmte mich.
Normalerweise mag ich es nicht besonders, wenn andere Leute mich umarmen, und schon gar nicht, ohne mich vorher zu fragen, aber ich spürte, dass Fremont das gerade brauchte. Ich drückte ihn ebenfalls.
Fremont löste sich wieder von mir, die Hände immer noch auf meinen Schultern. Er war etwas größer als ich, schlank, Ende dreißig, mit schütter werdendem braunem Haar und freundlichen haselnussbraunen Augen. »Ich bin froh, dass Ihnen nichts passiert ist, Janet.«
»Bloß ein paar blaue Flecken.« Mein Bein schmerzte immer noch, und vom Schlafen in der Gefängniszelle und der bewegungslosen Nacht in meinem eigenen Bett tat mir der Rücken verdammt weh, aber ich würde es überleben. Etwas von Micks Heilmagie war auf mich übergegangen, und der Schlaf hatte Wunder gewirkt. »Fremont, es tut mir wirklich, wirklich leid.«
»Es war nicht Ihre Schuld.« Fremont gab mir einen Klaps auf die Schulter, dann ließ er mich los. »Ich hätte diesen Laster fahren sollen, nicht Charlie. Er war unterwegs, um etwas für mich zu besorgen.« Er schüttelte den Kopf. »Armer Junge. Er ist da in was Übles reingeraten und hat dafür bezahlt.«
»In was Übles? Sie meinen Drogen?«
»Schwarze Magie. Gefährlich, wenn man nicht damit umgehen kann.«
Fremont sprach mit Autorität, aber ich wusste verdammt gut, dass er trotz seiner Aufschneiderei kaum magische Fähigkeiten besaß. Mit Magie, die dunkler war als hellgrau, würde er schon nicht mehr klarkommen. Er nahm an, dass Charlie den Unfall irgendwie selbst verursacht hatte, und ich berichtigte ihn nicht. Wie es wirklich gewesen war, würde er mir vermutlich sowieso nicht glauben, und je weniger er wusste, desto besser für ihn.
Fremont hob seinen Werkzeugkasten auf und reckte die Schultern wie ein Mann, der bereit war, es mit Dämonen aufzunehmen. Sein Gesicht verriet aber, dass ihm gar nicht wohl bei dieser Aussicht war.
»Nehmen Sie sich den Tag frei«, sagte ich. »Die Installationsarbeiten laufen bis morgen nicht weg.«
»Nein, danke, ich würde nur zu Hause rumsitzen und grübeln, die Arbeit lenkt mich ab. Außerdem will ich das Wasser in Ihrem Badezimmer anschließen.«
»Haben Sie doch schon«, sagte ich überrascht. »Es funktioniert.«
Fremont sah mich verblüfft an und stapfte durch die Eingangshalle und den hinteren Flur zu meiner Privatwohnung. Ich folgte ihm ins Badezimmer, wo er beide Hähne am Waschbecken aufdrehte. Nichts kam heraus, nicht einmal Luft. Das Waschbecken sah staubig und unbenutzt aus.
»Es war wahrscheinlich nur altes Wasser, das sich in den Leitungen aufgestaut hat«, sagte er. »Ich hoffe, Sie haben das nicht getrunken.«
Doch, hatte ich, aber ich antwortete nicht. Ich hatte ekstatisch geduscht, die Toilette benutzt und mir die Zähne geputzt. Auch Mick hatte offensichtlich eine Dusche genommen, denn er hatte mir einen Haufen feuchter Handtücher hinterlassen.
Ich zwang mich dazu, die Schultern zu zucken. »Das muss es wohl gewesen sein.«
Fremont schaltete seine große Taschenlampe an und kauerte sich unter das Waschbecken. Ich ließ ihn allein, nicht sicher, was ich davon halten sollte. Das war das Problem mit Mick. Ich hatte eine Menge Zeit damit verbracht, ihn auf Distanz zu halten, aber wenn er in der Nähe war, klappte auf einmal irgendwie alles. Er brauchte mich bloß mit seinem verschmitzten Lächeln anzusehen, und schon fühlte ich mich warm und getröstet, und das Unmögliche wurde möglich.
Doch konnte ich seine Anwesenheit hier rechtfertigen, weil er mir heißes Wasser und eine durchgeschlafene Nacht beschert hatte? Ich wusste nicht, was Mick war, aber ich war mir ziemlich sicher, dass es ihm nicht bekommen würde, es mit einer Göttin der Unteren Welt aufzunehmen.
Und außerdem nervte es mich, dass Mick genauso aussah wie früher. Ich hatte ihn nie nach seinem Alter gefragt, weil ich ihn für etwa dreißig gehalten hatte, als wir uns kennengelernt hatten. Aber fünf Jahre mussten bei Leuten doch Spuren hinterlassen, oder nicht? Sie nahmen zu oder ab, änderten ihre Frisur, bekamen mehr Falten im Gesicht. Nur sehr wenige sahen genauso aus wie früher. Doch Mick hatte sich nicht verändert.
Die Handwerker begannen mit ihrem Hämmern und Klopfen, elektrische Werkzeuge surrten. Hier war ich bloß im Weg, also verließ ich das Hotel und ging zu dem leeren Gleisbett hinter dem Haus hinüber.
Die große schwarze Krähe flatterte an mir vorbei, als ich die etwa einen Meter zwanzig hohe Böschung hinaufkletterte, auf der früher die Züge von Winslow und der Hauptstrecke in die Bergdörfer Heber-Overgaard und Show Low gefahren waren. Die Strecke war im frühen zwanzigsten Jahrhundert aufgegeben worden, die Schwellen und Gleise waren nach und nach verschwunden, bis das verlassene Gleisbett nur noch ein rötlicher Streifen in der Wüste war. Mein Hotel war einst das Bahnhofshotel gewesen. Seine große Zeit war in den 1890er Jahren gewesen, dann war es geschlossen und vergessen worden. In den Dreißigern war es für ein paar Jahre neu eröffnet worden, dann noch mal in den Sechzigern, und schließlich wurde es endgültig aufgegeben. Ich hatte es praktisch als leere Hülle gekauft und setzte es jetzt Stück für Stück wieder zusammen.
Die Krähe landete auf einem knorrigen Wacholder, der sich an das Ufer eines Trockentals klammerte. Die Wüste östlich meines Hotels wirkte flach, aber das täuschte. Die Erde dort war rötlich, als sickerte Rost durch den Staub hinauf, und Wildgrasbüschel und dornige Pflanzen bedeckten den Wüstenboden wie ein Teppich. Gelegentliche Ansammlungen von Bäumen signalisierten, wo sich Trockentäler und schmale Canyons durch die scheinbar ebene Wüste zogen. Das waren die Abflusskanäle der Berge. In regenlosen Monaten waren sie staubtrocken; nach einem Sturm füllten sie sich mit Sturzfluten, die alles zerstörten, was ihnen in den Weg kam.
In und bei diesen Trockentälern lagen die Wirbel. Am meisten verbreitet waren sie im Süden und Osten, wo das Land sich zu einem verkümmerten Bergkamm erhob. Langes, flaches Geröll übersäte den Hügel – einige der Felsblöcke, die durch Erosion aus dem Untergrund hervorgekommen waren, sahen aus wie die Ambosse eines Riesen.
Ich schaute lange in diese Richtung und lauschte reglos. Ich hörte nichts als den Wind im Gras, das schnelle Rascheln einer Eidechse oder Schlange, das Tröpfeln eines Rinnsals im sandigen Tal, ein Überbleibsel des Gewitters der letzten Nacht. Die Krähe sträubte ihr Gefieder gegen den Wind, und weit unten auf dem Gleisbett trottete der Kojote mit den dürren Beinen gemächlich in den Schatten eines Baumes.
Der Himmel wölbte sich blau und wolkenlos. Keine Stürme, die mich quälten, aber auch keine Magie zu meiner Verteidigung. Und sie war irgendwo da draußen und wartete auf mich.
Als ich so dastand und mir die heiße Sonne auf den Kopf brannte, erinnerte ich mich an mein erstes und einziges Zusammentreffen mit meiner Mutter zurück. Ich hatte mir eben die Harley gekauft, die jetzt beschlagnahmt auf dem Parkplatz vor Nash Jones’ Gefängnis stand. Endlich war ich keine Studentin mehr, die in einem überfüllten Wohnheim in Flagstaff hauste und in den Semesterferien nach Hause floh, nur um sich von der Großmutter ausschimpfen zu lassen.
Ich hatte den grandiosen Traum gehabt, durch das ganze Land zu fahren und Fotos zu machen, zuerst vom Land der Diné, wie unser Stamm sich selbst nannte, und dann von den Stammesgebieten aller Stämme der USA. Ich hatte Visionen von mir gehabt, wie ich meine Sammlung in einer Galerie ausstellte, sie als Serie verkaufte und vielleicht als Buch veröffentlichte.
Mein Traum hatte exakt zwanzig Meilen gedauert. In Holbrook, einer Stadt zwanzig Meilen außerhalb unseres Stammesgebietes, hatte ich zum Mittagessen angehalten und die Kamera umgehängt, für den Fall, dass ich ein paar hübsche Motive für eine Studie über Diners am Highway fand. Gerade hatte ich bei der gelangweilten Kellnerin die Bestellung aufgegeben, als eine Frau, die selbst für eine Weiße blass aussah, in meine Nische glitt und sich mir gegenübersetzte.
Sie war schlank und blond, hatte hellgrüne Augen, trug eine Bluse und Jeans und eine Menge Silberschmuck. Ich hatte keine Ahnung, wer sie war.
»Hallo, Janet«, sagte sie leise. »Ich bin deine Mutter.«
Ich lachte. Ich war durch und durch Navajo, und sie so was von weiß. »Tut mir leid, Lady. Sie verwechseln mich.«
Zur Antwort lächelte sie mir breit zu und zeigte ihre perfekten Zähne. »Keine Verwechslung, mein Schatz. Ich bin wirklich deine Mutter.«
Wieder lachte ich. »Sie sind viel zu jung, um meine Mom zu sein, und außerdem ist sie bei meiner Geburt im Krankenhaus von Albuquerque gestorben.«
Sie versuchte weiter, mir direkt in die Augen zu sehen, was für mich als eine Diné extrem unhöflich war, und ließ sich auch nicht davon abbringen, als ich immer wieder ausweichend zur Seite schaute.
»Oh, du bist allerdings meine Tochter, Janet Begay. Was für eine schöne junge Frau du geworden bist!« Sie berührte mein Handgelenk; ihre Fingerspitzen waren so kalt, dass mir praktisch das Blut gefror. »Und so stark. Du wirst mir sehr nützlich sein.«
Ich riss meine Hand weg, ohne mein Frösteln zu verbergen. »Sie spinnen, Lady.«
Sie beugte sich ein wenig näher zu mir herüber, ihre perfekten Brüste kamen auf dem Tisch zu liegen. »Die Stürme machen dir sehr zu schaffen, nicht?«
Plötzlich beunruhigt, starrte ich sie an. Niemand wusste von dem Wahnsinn, den Stürme in mir entfachten. Als ich meine Kräfte mit elf Jahren zum ersten Mal manifestiert hatte, hatte ich sie überhaupt nicht kontrollieren können. Ich hätte fast das Haus meines Vaters zerstört, dann war ich in die Wüste gerannt und hatte die Blitze mitgenommen. Später hatte ich einen Fertigbau meiner Schule niedergebrannt, zum Glück hatte sich zu diesem Zeitpunkt niemand darin aufgehalten. Ich hatte gelernt, dass ich mich von anderen fernhalten musste, wenn Gewitter aufzogen, was bedeutete, dass ich dann immer die Schule schwänzen und wegrennen musste. Aber besser vom Unterricht suspendiert werden als Leute sterben lassen, weil ich meine magischen Kräfte nicht unter Kontrolle hatte. Das zu lernen, war ein langwieriger und schmerzhafter Prozess gewesen, und selbst damals, mit einundzwanzig, machte es mir immer noch zu schaffen.
»Wovon reden Sie?«, zwang ich mich zu fragen.
Wieder das kalte Lächeln. »Auch ich habe dir magische Kräfte vererbt, Janet. Wenn du dich nicht dagegen wehrst und sie einfach kommen lässt, werden sie dir nicht mehr wehtun.«
Ich hatte keine Ahnung, wovon sie redete. Ich saß da wie erstarrt, mein Herz raste.
Sie zeichnete mit dem Finger ein Muster auf die Tischplatte. »Deine biologische Mutter, das arme kleine Ding, war nicht stark genug, um sowohl dich als auch meine magischen Kräfte aufzunehmen. Ich kann nicht lange in Menschen bleiben, also musste ich sie wieder verlassen, sobald sie schwanger war. Sie starb bei deiner Geburt, aber du hast überlebt.«
»Sehen Sie?«, krächzte ich. »Sie haben gerade zugegeben, dass Sie nicht meine Mutter sind.«
Ihre Finger malten Symbole auf den Tisch, üble Dinger voller schwarzer Magie. Ich streckte den Arm aus und schlug ihre Hand auf den Tisch.
Die Frau lächelte. »Sieh mal an, du verstehst es tatsächlich. Deine Mutter war das Gefäß, das ich gewählt habe, um dich in diese Welt zu bringen. Leider war sie schwächer, als ich vorhersehen konnte. Dein Vater war das Mittel zum Zweck.« Ihre grünen Augen nahmen einen warmen Glanz an. »Er war ein gut aussehender junger Mann, und unheimlich viril. Ist er immer noch so … robust?«
Zu hören, wie diese Frau über meinen Vater sprach, einen stillen, schmalen Diné, als wäre er ihr persönlicher Deckhengst gewesen, machte mich ganz traurig. Der stille, schüchterne Pete Begay, der in seinem Haushalt voller eigensinniger Frauen gelernt hatte, seine Gedanken für sich zu behalten, war für mich schön, aber das würde ich diesem gruseligen Miststück nicht erzählen.
»Reden Sie nicht so über meinen Vater, und lassen Sie mich in Ruhe!«
Sie warf mir einen mitleidigen Blick zu. »Arme Kleine. Hat er dir nicht gesagt, dass deine Mutter eine Zauberin von der anderen Seite des Himmels war? Dafür hat er mich gehalten, und mehr oder weniger stimmt es auch. Was du hier vor dir siehst, ist bloß ein Gefäß, nicht meine wirkliche Gestalt. Ich kann nur herauskommen, wenn ich einen Körper finde, der mich aufnehmen kann, eine Frau, die jung und stark genug ist, um meine magischen Kräfte auszuhalten. Diese hier dürfte es nicht mehr lange machen, aber für ein Gespräch mit meiner Tochter reicht es noch.«
Ihre Worte gingen mir unter die Haut und weckten eine Angst, die so groß war, dass ich mich ihr nicht stellen wollte.
»Ich bin einundzwanzig«, bemerkte ich. »Wenn Sie wirklich meine Mutter sind, warum haben Sie so lange gewartet, um mich zu finden?«
»Weil meine Kräfte nur eine bestimmte Reichweite haben, und wenn sie verbraucht sind, muss ich in die Untere Welt zurück, um sie wieder aufzufüllen. Dein schreckliches Nest im Reservat ist mir zu weit entfernt, auch die Universität, die du dir ausgesucht hast. Außerdem sind die magischen Kräfte deiner Großmutter auf ihrem eigenen Gebiet sehr stark – wie meine, nur dass ihre erdgebunden sind. Solange du an deine sogenannte Familie gebunden warst, konnte ich dich nicht erreichen. Aber nun hast du ja das.« Sie sah aus dem Fenster zu meiner neuen, glänzenden Harley hinüber. »Und du kannst zu mir kommen, wann immer du willst.«
Mein Herz dröhnte, und meine Angst wich langsam Verwirrung und Wut. »Wovon reden Sie? Meine Großmutter hat keine magischen Kräfte. Sie hasst Magie.«
»Wenn sie dir das gesagt hat, hat sie gelogen. Sie ist eine Magierin, eine Schamanin, und gefährlich für dich. Du tust gut daran, vor ihr zu fliehen, weil sie dich sonst vernichten wird.«
»Meine Großmutter kann mich zwar nicht leiden, aber das würde sie nicht tun.« Ich redete ohne Überzeugung, und die Frau wusste es.
»Nein, meine Liebe, sie ist stark. Aus diesem Grund habe ich mir auch deinen Vater ausgesucht, weil ich wusste, dass er dir ihre Kräfte vererben würde, auch wenn er selbst keine besitzt.« Sie beugte sich wieder nah zu mir. »Du spürst sie, die beiden Naturen in dir. Du wirst zu mir kommen, und ich werde dich lehren. Du wirst so stark und mächtig werden, dass du deine Großmutter wie einen Käfer zerquetschen kannst.«
Eine eisige Angstwelle überflutete mich, weil ich wusste, dass sie recht hatte, was die beiden Naturen in mir anging. Ich spürte sie jedes Mal, wenn meine Sturmmagie sich manifestierte. Dann versuchte eine zweite Kraft, sich mit der ersten zu verbinden, und schaffte es nicht ganz. Das führte dazu, dass meine Sturmmagie ungleich schwerer zu kontrollieren war, und der erste Schamane, zu dem meine Großmutter mich damals mitgenommen hatte, hatte mich deswegen zur Hexe erklärt.
»Ich kann dir helfen, mein Liebes.« Die Frau berührte mein Gesicht mit Fingerspitzen wie aus Eis. »Komm mit mir.«
Etwas in mir prickelte, wachte auf, wollte sich mit Zähnen und Klauen aus mir herauskämpfen und auf ihre Berührung reagieren.
»Du spürst es, nicht wahr?«, schnurrte sie. »Meine Tochter. Mein Liebes. Lass mich dich lehren! Ich kann dich mächtiger machen als du dir in deinen wildesten Träumen vorstellen kannst.«
Ich versuchte, aufzustehen und wegzurennen, war aber wie gebannt, wie hypnotisiert. Ihre Augen waren grün, das grelle Grün von Algen, die stehende Gewässer ersticken.
»Du gehörst mir, Janet«, flüsterte sie.
Die magische Kraft in mir wollte, dass ich sie berührte. Sie wollte, dass ich ihre Hände nahm, ihr tief in die Augen sah und alles tat, was sie von mir verlangte.
Wie aus weiter Ferne hörte ich plötzlich die Stimme meiner Großmutter in meinem Kopf, die mich auf Navajo anschrie. Janet Begay, was glaubst du eigentlich, was du da machst?
Die Frau keuchte auf und blinzelte, und abrupt kam ich wieder zu mir. Ich zuckte zurück, die Augen weit aufgerissen, das Gesicht schweißnass.
Ich sprang auf die Füße. »Hören Sie auf, von meiner Mutter zu reden!«, sagte ich wild zu ihr. »Und bleiben Sie mir vom Hals!«
Sie lehnte sich zurück, und ich rannte aus dem Diner. Dabei ignorierte ich die Proteste der Kellnerin, die eben mit meinem Essen auf unseren Tisch zugeeilt war. Ich schaffte es zu meiner Maschine, zitternd vor Wut – und die Frau stand daneben.
Wieder überflutete mich eine eisige Angstwelle. Niemand konnte sich so schnell bewegen, außer vielleicht die Skinwalker. Diese Frau war das Böse, das reine, mächtige Böse. Und ich wusste, obwohl ich den Gedanken nicht laut aussprechen wollte, dass etwas von diesem Bösen auch in mir war.
»Aus dem Weg«, sagte ich mit zitternder Stimme.
»Wir werden uns wieder begegnen, Janet. Das verspreche ich dir. Irgendwann wirst du von selbst zu mir kommen. Du wirst gar nicht anders können.«
Sie griff nach mir, aber ich stieß sie zur Seite, schwang mich auf meine Maschine und machte, dass ich wegkam. Ich sah nicht zurück, sondern raste mit Vollgas durch die kleine Stadt, die Autobahnauffahrt hinauf und dann mit Höchstgeschwindigkeit davon. Wenn sie nur einen bestimmten Aktionsradius hatte, musste ich einfach weiterfahren und nie zurückkommen.
Ich fuhr so schnell, dass ich noch vor der Staatsgrenze wegen Geschwindigkeitsüberschreitung angehalten wurde, aber das war mir egal. Solange die Frau mit den seltsamen grünen Augen mir nur nicht folgte, war mir das jeden Strafzettel wert.
»Begay.«
Meine Erinnerungen zerstoben, und ich fuhr herum. Nash Jones kletterte das Gleisbett hinauf, seine Dienstmarke glänzte in der Sonne. Seine Uniform war so perfekt gebügelt wie eh und je, und eine flache schwarze Sonnenbrille verbarg seine Augen. Er hatte die Handschellen nicht herausgeholt, aber ganz bestimmt war er trotzdem gekommen, um mich wieder einzubuchten.
Ich holte heftig Atem und verbannte die schaurigen Gedanken an meine Mutter. »Ich will einen Anwalt«, sagte ich, bevor er oben angekommen war.
»Ich bin nicht hier, um Sie zu verhaften.« Nash blieb einen Meter von mir entfernt stehen und starrte mich durch seine Sonnenbrille an. »Ihre Story scheint zu stimmen.«
Ich blinzelte. »Wirklich?«
Er nickte knapp. »Keine Farbspuren auf Ihrer Maschine, keine entsprechende Delle im Laster. Offenbar ist ein Tier auf die Fahrbahn gelaufen, ein großes, und mit dem Laster zusammengeprallt. Kann ein Berglöwe gewesen sein. Oder sogar ein Bär.«
Beide Tiere kamen in den trockenen Monaten auf der Suche nach Wasser aus den Bergen herunter, doch Berglöwen waren scheu und gingen Menschen im Allgemeinen aus dem Weg. Bären waren sorgloser, was Menschen anging, aber nicht so dumm, einen Laster anzugreifen, der mit achtzig Sachen unterwegs war. Doch ich verkniff mir die Widerrede. Jones, der Ungläubige, würde mir den Skinwalker nicht abkaufen, und wenn er unbedingt glauben wollte, dass es ein Tier gewesen war, dann sollte er es von mir aus.
»Sind Sie gekommen, um sich zu entschuldigen?«, fragte ich. »Weil Sie mich irrtümlich eingesperrt haben?«
Es schien ihm alles andere als leidzutun. »Nein. Ich habe nur meinen Job gemacht.«
»Sorgen Sie sich gar nicht, dass ich mich bei meiner Stammesverwaltung beschwere, dass ein weißer Sheriff eine Navajo schikaniert hat?«
»Eigentlich nicht. Die kennen Sie schließlich.«
Der Punkt ging an ihn. »Also warum sind Sie dann hier?«
»Um Ihnen Ihre persönlichen Gegenstände wiederzubringen, und um Ihnen zu sagen, dass Ihre Maschine in die Werkstatt nach Flat Mesa gebracht wurde.«
Das bedeutete, dass ich heute nicht in Magellan herumfahren und mit Amys Freundinnen reden konnte. Mein Bike stand also kaputt und allein in irgendeiner Werkstatt herum. Der Gedanke tat mir weh. Ich musste irgendwie dahin kommen und mich davon überzeugen, dass der Mechaniker sein Handwerk auch verstand.
»Außerdem bin ich hergekommen, um zu sehen, ob Ihr Freund in Ordnung ist«, fuhr Nash fort. »Ich konnte ihn in keinem Krankenhaus der Gegend finden.«
Es überraschte mich, dass er sich überhaupt die Mühe gemacht hatte, ihn zu suchen. »Mick kommt schon in Ordnung«, antwortete ich. »Der passt immer gut auf sich auf.«
»Ich werde keine Anzeige gegen ihn erstatten, wenn es das ist, was Ihnen Sorgen bereitet. Aber wenn ich sage: ›stehen bleiben‹, dann ist das mein Ernst, richten Sie ihm das von mir aus!« Er hielt inne. »Wie geht es ihm?«
Ich zuckte die Schultern. »Weiß ich nicht. Er ist weg.« Als Jones mich nur ansah, suchte ich nach einer weiteren Erklärung, fand jedoch keine. Es nervte mich, dass ich mal wieder keinen blassen Schimmer hatte, wohin Mick ging oder was er so trieb, wenn er nicht bei mir war. Auch in dieser Hinsicht hatte er sich gar nicht verändert.
»Wie heißt er?«, fragte Nash.
»Mick.«
»Wie weiter?«
Ich wusste es nicht, wieder etwas, das mich nervte. Ich nannte ihm den Namen, den ich vor Jahren für Mick erfunden hatte. »Burns.« Das war mein kleiner Insiderwitz. Mick spielte nun mal gern mit dem Feuer.
»Woher kommt er?«
»Das weiß ich nicht. Ich habe ihn vor etwa fünfeinhalb Jahren in Nevada getroffen.«
»Und Sie wissen immer noch nicht, woher er stammt?«
»Ich war nie neugierig genug, ihn zu fragen. Navajo halten sich aus den Angelegenheiten anderer raus.« Streng genommen stimmte das nicht, speziell im Fall meiner Großmutter, aber das brauchte er nicht zu wissen.
»Ich weiß immer gern, wo die Leute in meinem Bezirk herkommen und was für Pläne sie hier haben.«
»Ich habe Mick ewig nicht gesehen. Warum fragen Sie ihn nicht einfach?«
Nash starrte mich eine Weile intensiv an. Schließlich erwiderte er: »Wenn er wiederkommt, sagen Sie ihm, dass er auf die Wache kommen soll! Ich will mit ihm reden.«
»Ist das ein Befehl?«
»Es ist eine Aufforderung.«
Ich wühlte den Kies mit der Stiefelspitze auf. »Wenn ich ihn noch mal sehe, gebe ich es weiter.«
»Gut.«
»Was werden Sie …«, setzte ich an, dann brach ich ab und hob die Hände, als Nash abrupt die Pistole zog. »He, nur mal langsam, ich sag’s ihm schon.«
Nash sah mich nicht an. Er hob die Waffe und richtete sie auf den Kojoten, der auf uns zugelaufen war, während wir geredet hatten, und sich jetzt auf seine Hinterläufe setzte und uns beobachtete.
»Nicht«, bat ich schnell. »Das ist doch bloß ein räudiger Kojote, lassen Sie ihn in Ruhe!«
Nash feuerte. Ich schlug mir die Hände über die Ohren, der Pistolenknall machte mich fast taub. Die Kugel schlug etwa anderthalb Meter vor dem Kojoten im Boden ein, Staub und Kies spritzten auf. Der Kojote wich ein paar Schritte zurück, einen verärgerten Ausdruck in den Augen. Nash feuerte noch zweimal, und schließlich drehte der Kojote sich mit einem angewiderten Knurren um und trottete das Trockental hinunter.
Mir dröhnten die Ohren. »Musste das sein?« Es war nie eine gute Idee, ohne Grund auf Tiere zu schießen. Wenn man Pech hatte, konnte man einen Gott in Verkleidung erwischen, und mit zornigen Göttern legte man sich besser nicht an.
»Kojoten sind Ungeziefer. Sie verbreiten Tollwut.«
»Sie konnten nicht einfach die Arme schwenken und ihn anschreien?«
»Ich habe mich deutlich genug ausgedrückt.« Nash stieß die Pistole ins Holster zurück. »Sagen Sie Ihrem Freund, wenn er mich nicht aufsucht, werde ich ihn finden.«
»Mit Mick sollten Sie sich besser nicht anlegen, Sheriff.«
»Und verraten Sie mir auch, warum nicht?«
Ich zögerte. »Er ist keiner, der sich gern an die Regeln anderer Leute hält.«
»In meinem Dienstbezirk hält er sich gefälligst an meine.« Nash warf mir einen ernsten Blick zu. »Und das erwarte ich auch von Ihnen.«
»War nett, mit Ihnen zu plaudern, Jones, aber es wird heiß, und wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich jetzt gern wieder reingehen.«
Er trat zurück und winkte mir vorzugehen. Ich kletterte das Gleisbett hinunter und hörte Nashs ruhige Schritte hinter mir.
Schweigend gingen wir die zwanzig Meter zum Hotel hinüber, wo hektischer Betrieb herrschte. Nash hatte seinen Dienstwagen etwas entfernt von den Kleinlastern der Handwerker abgestellt. So wie er in der Sonne glitzerte und glänzte, ließ Nash Jones ihn jeden Morgen waschen und wachsen.
Ich blieb stehen, und Nash wäre fast in mich hineingerannt. Er sah über meine Schulter, was ich sah, und fluchte los.
Der Kojote, den Nash vertrieben hatte, pinkelte gerade einen gelben Urinstrahl gegen den Vorderreifen von Jones Wagen. Ich legte mir die Hand auf den Mund, um ein Lachen zu unterdrücken, während Nash schimpfte wie ein Rohrspatz. Er rannte auf den Kojoten zu, und dieses Mal fuchtelte er wirklich mit den Armen und schrie.
Aus der Richtung des Hotels hörte ich schallendes Gelächter. Maya Medina war herausgekommen. Sie stand aufrecht da, die Hände in die Hüften gestützt, schaute dem Kojoten zu und lachte aus vollem Hals. Ihre dunklen Augen blitzten, und einige schwarze Locken hatten sich gelöst und lugten unter ihrer Mütze hervor. Sie war wirklich eine schöne junge Frau, und jetzt lachte sie, als hätte sie seit Langem nichts so Lustiges gesehen.
Der Kojote hatte fertig gepinkelt und schlenderte wieder in die Wüste hinaus. Maya machte mir ein Zeichen und wischte sich die Lachtränen ab. »Hey, ich muss Ihnen was zeigen. Im Keller.«
Sie sprach mich nie bei meinem Namen an, wenn sie es irgend vermeiden konnte. Auch schien es ihr diebischen Spaß zu bereiten, mir die zahlreichen Probleme mit meinen uralten Stromleitungen aufzuzählen, die bei dem Renovierungsversuch in den Sechzigern installiert worden waren. Ich hatte wirklich keine Ahnung, was Maya gegen mich hatte. Vielleicht war es bloß grundsätzliche Abneigung gegen eine Fremde in ihrer kleinen Stadt, vielleicht passte ihr auch nicht, dass ich das Hotel renovierte, oder sie mochte keine Diné-Frauen. Die Leute wurden aus den seltsamsten Gründen feindselig.
»Was gibt’s?«
»Ich hab was gefunden.« Maya warf Nash einen nachdenklichen Blick zu. »Dürfte Sie auch interessieren, Sheriff Jones.« Die letzten beiden Worte troffen geradezu vor Verachtung.
Ach, Götter, was war jetzt schon wieder los? Noch mehr Stromkabel, die komplett ersetzt werden mussten? War das Gebäude so hoffnungslos baufällig, dass Nash es zum Katastrophengebiet erklären und mich zum Auszug zwingen würde?
Er verzog keine Miene, als er auf uns zukam, aber die dünne Narbe über seiner Lippe zuckte. Maya würdigte ihn keines Blickes, sie drehte sich um und ging wieder ins Haus. Ich folgte ihr, Nash auf den Fersen.
Die morsche Kellertür war jetzt aus den Angeln gehoben, und die Öffnung zwischen den Ziegelwänden gähnte wie ein schwarzer Schlund. Mein Bein schmerzte wieder ein wenig, als ich vorsichtig die schlüpfrige Steintreppe hinab in den Keller mit der etwa zwei Meter hohen Decke stieg. Ein neuer Boiler glänzte in der Ecke und wartete darauf, an Strom und Wasser angeschlossen zu werden.
Als Maya mich durch den Kellerraum führte, der direkt unter der Lobby lag, begannen meine Schulterblätter zu jucken. Nash hinter mir atmete schwer, aber keiner von uns sagte ein Wort.
Maya hob ihre Taschenlampe und ließ den Strahl über die Wand gleiten, bis sie gefunden hatte, was sie suchte. Sie hatte Stücke der alten Holzverkleidung herausgerissen, um an die Stromkabel zu kommen, die von der Küche herunterführten. Nun hielt sie den Strahl der Taschenlampe auf ein Viereck, das sie herausgebrochen hatte, und ich keuchte auf. Nash fluchte wieder.
Aus dem Loch in der Wand grinste uns das Gesicht einer halb verwesten Leiche an.