VII.

Am nächsten Morgen brachen die sechs Huren mit dem Morgengrauen auf. Gerlind und ihre Gefährtinnen trugen diesmal leichter an ihrem Gepäck, da Hiltrud ihnen nach einer weiteren heftigen Diskussion erlaubt hatte, einen Teil ihrer Habe auf ihren Wagen zu laden. Die Ziegen mussten sich stärker ins Zeug legen, selbst die Zicklein, die nun ebenfalls ein Geschirr trugen, zogen eifrig mit. Wenn der Weg jedoch bergauf führte, schafften die Tiere die schwere Last nicht mehr, und Hiltrud musste sich mit vor den Wagen spannen, während Marie ihn von hinten schob. Bei der dritten Steigung machte Marie den Vorschlag, Berta oder Märthe einzuspannen.

Hiltrud lehnte mit einer verächtlichen Handbewegung ab. »Die würden höchstens die arme Fita zwingen, uns zu helfen, und die bricht uns nach drei Schritten zusammen wie ein klappriger Gaul.«

Marie stieß die Luft aus, so dass es wie ein Fauchen klang. »Vor vier Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ich den Tag herbeisehnen würde, an dem wir uns von Gerlind trennen können.«

Sie dachte daran, wie freundlich Gerlind sie damals aufgenommen und ihr beinahe liebevoll über die erste schwere Zeit geholfen hatte. Lange Zeit war sie ihr dafür dankbar gewesen, aber die böse alte Frau, die in einem schmierigen Kleid vor ihnen herhinkte, war nicht mehr die Gerlind, die Marie damals kennen und schätzen gelernt hatte. Trotzdem hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie der alten Hure gegenüber keine Dankbarkeit mehr empfinden konnte. Sie kämpfte gegen dieses Gefühl an und versuchte es schließlich mit einer heftigen Bewegung abzuschütteln.

»Was hast du?«, fragte Hiltrud besorgt.

»Ich habe nur über mich und Gerlind nachgedacht. Sag mal, wer hat sich mehr verändert, sie oder ich?«

Hiltrud lachte auf. »Das liegt doch auf der Hand. Ihr habt euch beide verändert, du zum Besseren und sie zum Schlechteren. Ich muss sagen, ich hoffe, sie bald zum letzten Mal gesehen zu haben. Allein ihr Anblick ist mir mittlerweile zuwider.«

Marie nickte stumm und stemmte sich wieder gegen den Wagen. Die nächsten Tage verliefen beinahe ereignislos, waren aber dennoch nicht dazu angetan, Maries und Hiltruds Zorn zu besänftigen. Der galt weniger Gerlind als Berta, die alles tat, um ihnen das Leben schwer zu machen. Am ersten Abend bestand sie darauf, dass Marie und Hiltrud nicht an ihrem Lagerfeuer sitzen durften, sondern ihre Zelte abseits von ihnen aufschlagen mussten. Dennoch verlangte sie von ihnen, die Hälfte der Nacht Wache zu halten, und bediente sich überdies noch an dem Holz, das die beiden für sich gesammelt hatten. Hiltrud erhob keinen Einspruch gegen die Wacheinteilung, denn sie traute den anderen nicht und hatte Angst, ihre Ziegen an einen Bären oder streunenden Wolf zu verlieren.

Marie betete nur, dass das Raubzeug sie verschonen möge, denn sie besaßen keine geeignete Waffe. Auch Gerlinds eisenbeschlagener Stock war nicht mehr das, was er einmal gewesen war. Die einst so scharfe Spitze war abgenutzt und hatte sich verbogen. Marie war daher froh, dass sie das Lager in der Nähe eines Gutshofs aufgeschlagen hatten, auch wenn das Gebell der Hunde so laut herüberschallte, dass es ihnen den Schlaf zu rauben drohte. Doch der Lärm würde Raubzeug von ihnen fern halten.

Am zweiten Tag fing Berta vier fette Hennen, die sich auf die Straße verirrt hatten, und drehte ihnen den Hals um. Marie lief bei dem Anblick das Wasser im Mund zusammen, denn sie hatte Hühnchen immer gerne gemocht, vor allem in der Art, in der die alte Wina sie zu Hause zubereitet hatte, mit einer leckeren Teigfüllung und knusprig braun gebraten. Die vier dachten jedoch nicht daran, ihre beiden Begleiterinnen zum Essen einzuladen.

Hiltrud drehte ihnen den Rücken zu und bereitete einen Teig aus Mehl, den sie auf einem Stein im Feuer buk und mit Zwiebeln und wildem Fenchel belegte. Marie beobachtete das Treiben am anderen Feuer und schüttelte sich, als sie sah, dass die anderen die Hühner erst halb im Feuer verbrennen ließen und dann das Innere halbroh verschlangen. Da zog sie Hiltruds knusprige Fladen vor.

Am dritten Tag konnten sie von einer Anhöhe aus den bewaldeten Gipfel des Fürstkopfs im Süden erkennen, und als sie den Hang herab ins nächste Tal stiegen, mündete ihr Pfad in einer breiteren Straße, auf der vor kurzer Zeit Leute mit schweren Wagen vorbeigekommen sein mussten, wie die Hufabdrücke großer Pferde, tief eingeschnittene Rillen von Rädern und das niedergetrampelte Gras am Wegesrand ihnen verrieten. Gerlind und Berta gerieten in eine fieberhafte Erregung. Die Spuren verhießen ihnen einen großen Kaufmannszug, und bei einem solchen gab es genug Männer, die ihre Prämien und ihren Lohn gerne für Frauen ausgaben. Daher ließ Gerlind nicht wie sonst am späten Nachmittag einen Lagerplatz suchen, damit die Gruppe noch bei Tageslicht die Zelte aufschlagen und Feuerholz sammeln konnte, sondern beschleunigte ihren Schritt und feuerte ihre Begleiterinnen an.

»Der Wagenzug ist uns höchstens eine Stunde voraus. Wenn wir uns beeilen, sitzen wir bald am warmen Feuer, einen Becher Wein in der Hand …«

»Und einen strammen Männerknüppel zwischen den Beinen«, fiel Berta ihr kichernd ins Wort.

Die von Gerlind geschätzte Stunde war längst vergangen, und die Dunkelheit breitete sich über das Land aus, als ihnen ein hoch aufloderndes Feuer den Weg wies. Gerlind zeigte triumphierend in die Senke hinab, die sie im schwindenden Licht mehr erahnen als sehen konnte. »Dort sind sie. Gleich werden ihre Silberfüchse in unseren Taschen klimpern.«

Zu Maries Überraschung rannte sie jedoch nicht schnurstracks hin, sondern blieb an dem Bach stehen, der neben der Straße floss, beugte sich nieder und wusch sich Gesicht und Hände. Dann tauchte sie einen Lappen ins Wasser, hob den Rock und rieb sich zwischen den Schenkeln ab. Mit einem Lachen, das wie das Meckern der Ziegen klang, wies sie Berta und Märthe an, es ihr gleichzutun. »Man muss sein Handwerkszeug in Ordnung halten, wenn man gut verdienen will.«

»Daran sollten sie sich öfter halten«, wisperte Hiltrud Marie ins Ohr, trat ebenfalls ans Wasser und zog das Kleid aus, um sich zu waschen. Marie tat es ihr gleich, denn sie wollte nicht staubig und nach Schweiß riechend am Feuer ankommen.

Als sie weiter unten von der Straße abbogen, hallten ihnen laute Geräusche und Stimmen entgegen, so als würde vor ihnen ein Gelage stattfinden. Marie blieb misstrauisch stehen und horchte. Sie war in den letzten Jahren vielen Wagenzügen begegnet und hatte in deren Nähe übernachtet. Diese Geräusche waren ungewohnt. Auch war es seltsam, dass die Leute nicht bei einer Herberge, sondern mitten im Wald lagerten. Händler und Fuhrleute zogen möglichst von Herberge zu Herberge, denn unter freiem Himmel wurden sie leicht zur Beute einer entschlossenen Räuberbande und liefen überdies noch Gefahr, von den Rittern der umliegenden Burgen überfallen und ausgeraubt zu werden. In der Nacht, wenn keine Zeugen den Überfall bekunden konnten, nützte der für teures Geld erstandene Geleitbrief den Kaufleuten nichts.

Marie versuchte noch, die anderen Frauen zurückzuhalten. Doch es war zu spät, die Begegnung zu vermeiden, denn Gerlind und Berta wurden bereits von einer rauen Männerstimme angerufen.

»He, was macht ihr Weiber nach Anbruch der Nacht noch auf der Straße?« Zwei Männer kamen mit Fackeln in den Händen auf die beiden Frauen zu und entdeckten jetzt auch den Rest der Gruppe.

»Das sind ja Huren!«, rief der zweite jubelnd aus, drehte sich um und winkte mit der Fackel zum Lager hinüber. »Männer, der Abend ist gerettet. Holt eure Schwänze heraus! Hier sind Huren im Anmarsch.«

Ein vielstimmiger Jubel antwortete ihm, und mehr als drei Dutzend Männer quollen den Frauen entgegen. Einige leuchteten mit Fackeln, während die anderen sie ungeniert packten, abtasteten und sie in Hintern und Brüste kniffen.

»Lass das!« Marie schlug einem der Kerle, der es zu toll trieb, wütend auf die Hand. Er fasste sie mit einem schmerzhaften Griff am Kinn und zwang sie, ins Licht zu blicken.

»Das ist ja ein verdammt hübsches Vögelchen. Ich glaube, das werde ich mir gleich zu Gemüte führen.« Er wollte Marie zu Boden werfen, doch da legte ihm ein vierschrötiger Kerl die Hand auf die Schulter.

»Bei dem Täubchen wird dir deine Pfeife trocken bleiben. So etwas Feines ist für die Herren. Oder glaubst du, die würden auf ihren Spaß verzichten wollen?«

Als der Mann sie mit einem enttäuschten Schnauben losließ, wanderte Maries Hand unter ihren Rock und legte sich um den Griff ihres Messers. Sie versuchte, unauffällig zurückzuweichen und im Gebüsch unterzutauchen, in der Hoffnung, sich im Schutz der Dunkelheit davonschleichen zu können. Gerlind hatte sie direkt in ein Söldnerlager geführt, und Marie wusste aus Erzählungen anderer Huren, was sie zu erwarten hatten.

Was sich hier herumtrieb, waren Kriegsknechte der übelsten Sorte, Schweizer Reisläufer, schwäbische Lanzenträger und Leute vom Strom, die lieber anderen die Kehle durchschnitten, als ehrlicher Arbeit nachzugehen. Selbst im flackernden Licht der Fackeln war zu erkennen, dass ihre Ausrüstung alles andere als einheitlich war. Auch trugen sie kein Wappen auf ihren Waffenröcken, gehörten also nicht zum Heereszug eines höheren Herrn. Bei einigen war ein Fleck auf der Brust weniger ausgebleicht als der Rest des Stoffes, so als hätten sie sich des Dienstes bei einem früheren Herrn ebenso entledigt wie dessen Abzeichen.

Marie konzentrierte alle Sinne auf ihre Flucht, aber in dem Moment, in dem sie dem Schein der Fackeln entkommen war und sich umdrehen wollte, um in dem tintig schwarzen Gebüsch unterzutauchen, griff ein Bär von einem Mann nach ihr und presste sie lachend an seine Brust. »Hier ist das Täubchen für unseren Ritter, Lothar! Jetzt bist du mir etwas schuldig«, rief er dem Vierschrötigen zu.

Gerlind, die ihren folgenschweren Irrtum erkannt hatte, versuchte noch, zu verhandeln. »Geht doch nicht so grob mit uns um, Männer. Wir haben ja nichts dagegen, für euch die Beine breit zu machen. Das Vergnügen kostet nur ein paar Pfennige, und wir werden dafür sorgen, dass jeder von euch zufrieden gestellt wird.« Obwohl sie sich bemühte, munter zu klingen, schwang eine gehörige Portion Angst in ihrer Stimme.

Einer der Männer begann schallend zu lachen. »Wenn du noch einen Heller in unseren Beuteln findest, Alte, hast du Glück. Unser Handgeld ist längst versoffen und verhurt. Aber wir werden es euch trotzdem so besorgen, dass ihr euch nicht zu beklagen braucht, meint ihr nicht auch, Leute?« Er blickte die Umstehenden grinsend an und erntete eifriges Nicken.

Die Männer schleiften die protestierenden Huren in ihr Lager, das von einem großen Feuer in der Mitte des Platzes nur unzureichend ausgeleuchtet wurde. Marie, die wie ein Gepäckstück mitgeschleppt wurde, konnte sehen, dass zwei mit Fässern und Kriegsgerät hoch beladene Wagen und ein weiterer, auf dem zwei zerlegte Geschütze lagen, zu einer Art Windschutz aufgestellt worden waren. Direkt vor dem Geschützwagen stand ein Zelt, das vermutlich für die Anführer gedacht war, denn die Söldner hatten sich ihre Betten unter freiem Himmel aus Decken und Mänteln hergerichtet.

Huren wurden unterwegs immer wieder vergewaltigt, das hatte Marie oft genug gehört. Sie selbst hatte bisher Glück gehabt, doch wie es aussah, war es damit vorbei. Jetzt galt es, sich an die Lehren zu erinnern, die Gerlind ihr in besseren Zeiten beigebracht hatte. Wenn es keinen Ausweg mehr gab, war Widerstand sinnlos. Die Männer wurden höchstens zornig und schnitten einem, wenn man Pech hatte, zuletzt noch die Kehle durch.

Als die Eingangsplane des Zeltes hochgeschlagen wurde und ein junger Mann in der Kleidung eines Edelmanns den Kopf herausstreckte, begann sie zu hoffen, dass es weniger schlimm würde als befürchtet.

»Was soll der Aufruhr?«, fragte er scharf.

»Wir haben Besuch bekommen«, antwortete ihm ein Söldner grinsend. »Uns sind ein paar Huren in die Hände gelaufen, bei denen kein Hahn danach kräht, ob wir sie für das, was wir heute Nacht mit ihnen anstellen, bezahlen werden oder nicht.«

»Wir wollen kein Geld, nur seid nicht so grob zu uns!«, rief Märthe und kreischte auf, weil ihr einer der Kerle mit der Hand zwischen die Beine gefahren war.

Der Söldner grinste noch breiter. »Wir haben ein Täubchen für Euch reserviert, Junker Siegward. Etwas ganz besonders Hübsches, das Euch gewiss munden wird.«

Marie erschrak, als sie den Namen hörte, denn sie wusste nun, wem sie in die Hände gefallen waren. Die Ritter der Riedburg waren dafür bekannt, dass sie alle einen Namen trugen, der mit der Silbe Sieg begann. Der alte Siegbald von Riedburg war der erklärte Feind von Frau Mechthilds Verwandten auf Burg Büchenbruch und als übler Strauchritter bekannt, und seine Söhne hatten einen mindestens ebenso schlechten Ruf. Wenn der Mann da erfuhr, dass sie den Winter über auf Burg Arnstein verbracht hatte, würde er seine Wut auf Frau Mechthild, die ihren Verwandten schon mehrmals Hilfe gegen die Riedburger geschickt hatte, an ihr auslassen. Dann konnte sie froh sein, wenn er sie schnell tötete und nicht etwa bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt im Wald zurückließ, den Wölfen und Bären zum Fraß.

Siegward von Riedburg leckte sich die Lippen und musterte sie wie ein Schlachtkalb. Er war groß und breitschultrig und besaß jene Reckengestalt, um die Ritter Dietmar ihn gewiss beneiden würde. Die stumpfen, blassblauen Augen verrieten jedoch, dass er über wenig Verstand verfügte, während der volle, feuchte Mund und sein ausgeprägtes Kinn auf einen sinnlichen und herrschsüchtigen Charakter schließen ließen.

Der Junker kniff Marie in die Brust und nickte seinen Leuten zu. »Gut gemacht, Männer. Ein hübsches Stück Weiberfleisch ist genau das, was mir heute Abend noch gefehlt hat. Vergnügt euch derweil mit den anderen Huren.«

»Das machen wir, Herr«, antwortete der Unteroffizier, der ihm Marie zugeschoben hatte, eifrig nickend. »Aber dafür sollten wir etwas mehr im Bauch haben als den Getreidebrei, den es zum Abendessen gab. He, Leute, was haltet ihr davon, wenn wir die Ziegen hier braten?« Er zeigte dabei auf Hiltruds kleine Herde, die am Rand des Weges Gras rupfte.

»Hände weg von meinen Ziegen!«, schrie Hiltrud gellend, die Kerle aber grölten vor Lachen. Einer von ihnen zog sein Schwert und hieb einer Ziege den Kopf ab. Als Hiltrud das sah, riss sie sich los und fuhr dem Übeltäter mit ihren Fingernägeln ins Gesicht. Sie wurde jedoch sofort von mehreren Söldnern gepackt und zu Boden geworfen.

Junker Siegward hatte Marie an sich gepresst, blieb aber stehen, um zuzusehen, wie einige der Kerle Hiltruds Kleid und Unterkleid auf dem Leib zerfetzten und sich der vierschrötige Mann unter ihren Anfeuerungsrufen über sie warf. Hiltrud strampelte wütend mit den Füßen und schlug um sich. Erst als sechs Leute sie festhielten, kam er zum Zug. Marie hörte sein brünstiges Röhren und hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten, doch der Ritter hielt ihre Arme auf dem Rücken fest und rieb seinen Unterleib an ihr. Zu Maries Erleichterung wurde Hiltruds Körper plötzlich schlaff. Trotz ihres Zorns auf den Mörder ihrer Ziege hatte sie nicht vergessen, wie sie sich bei einer Vergewaltigung verhalten musste.

Unterdessen lagen auch Gerlind und die anderen Huren unter keuchenden Männerleibern, während einige Söldner, die wussten, dass sie erst später an die Reihe kommen würden, die restlichen Ziegen erschlugen und ausweideten. Jetzt schien Siegward von Riedburg die Zeit gekommen zu sein, seiner Erregung Luft zu verschaffen, denn er hob Marie an den Oberarmen hoch und trug sie in sein Zelt, das von einer einfachen, aber lichtstarken Öllampe erhellt wurde. Dort saßen zwei Männer über einem Kartenspiel und blickten ihm erwartungsvoll entgegen.

Die Ähnlichkeit des Jüngeren mit Siegward von Riedburg ließ Marie vermuten, dass er einer seiner Brüder sein musste. Der andere Mann war untersetzt und breitschultrig. Er hatte lange Arme und krumme, kurze Beine und glich damit jenem Affen, den sie bei einer Gauklertruppe gesehen hatte. Sein schwarzer Bart und das strähnige Haar verstärkten diese Ähnlichkeit noch. Er trug eine eng anliegende Lederhose und ein Wams ohne Wappen und Abzeichen wie ein Knecht, schien aber bei den Riedburgern in hohem Ansehen zu stehen, denn Marie zählte drei Feldbetten, was darauf hinwies, dass dieser Mann hier schlief.

Die Betten waren so schmutzig, als hätten sich die Besitzer vor dem Schlafen im Mist gesuhlt, und auf ihnen und um sie herum lagen Kleidungsstücke und Waffen wild durcheinander. Auf dem Klapptisch in der Mitte standen drei Becher zwischen einem Haufen Spielkarten und aufgetürmten Münzen, und unter dem Tisch lag eine leere Weinkanne. Die Männer mussten ganz schön gezecht haben, denn als Siegward Marie einen Kuss aufzwang, schlug ihr säuerlicher Weindunst entgegen.

»Zieh dich aus«, befahl er ihr.

Als sie nicht rasch genug gehorchte, riss er ihr Kleid auf und holte ihre Brüste heraus. »So mag ich es«, rief er lachend seinem jüngeren Bruder zu, der nervös um ihn herumtanzte und ängstlich fragte, ob er auch zugreifen dürfe.

»Du weißt, Vater erlaubt es nicht, dass ich die Mägde anfasse. Er lässt es nur bei dir durchgehen.« Es klang wie eine Entschuldigung.

»Das darfst du ihm nicht übel nehmen, Siegerich. Schließlich sind bei uns zu Hause die Weiber erst einmal für unseren alten Bock da. Ich darf mir auch nicht jede nehmen. Aber hier brauchst du dir keinen Zwang anzutun. Die Hure ist für uns alle.«

Siegerich von Riedburg kicherte dümmlich und stieß Marie rücklings auf eines der Betten. Als sie aufsah, stand Siegward über ihr und präsentierte ihr sein entblößtes Glied.

»So ein Kaliber hast du wohl noch nie in dir gespürt, was, Hure?« Marie hätte ihm sagen können, dass er eher mäßig bestückt war, und musste sich zwingen, das Erstaunen zu heucheln, das er erwartete. »Oh Herr, Ihr werdet mich verletzen, wenn Ihr das tut, wonach Euch der Sinn steht.«

Siegward wirkte sichtlich geschmeichelt, winkte aber verächtlich ab. »Pah, ein Weibsstück hält viel aus – und eine Hure wie du noch mehr.«

Seine Miene versprach nichts Gutes. Er ließ sich auf Marie fallen und drang ungeschickt in sie ein. Marie schloss die Augen und ließ ihren Körper so schlaff werden wie einen nassen Sack. Sie spürte den Mann in und auf sich, und auch den Schmerz, den ihr seine Rücksichtslosigkeit bereitete, doch vor ihrem inneren Auge spielte sich eine andere Szene ab, die sie in den letzten Jahren so gut wie möglich verdrängt hatte. Mit einem Mal war es nicht mehr Siegward, der über ihr keuchte und stöhnte, sondern Utz, der Fuhrmann. Unwillkürlich versteifte sie sich und riss die Augen auf. Aber da waren nur der Junker, dessen Gesicht rot angelaufen war, während sich sein Körper über ihr aufbäumte, und sein jüngerer Bruder, der sein Glied über ihrem Kopf schlenkerte, als könne er es nicht erwarten, an die Reihe zu kommen.

»Nach dir bin ich aber dran«, bettelte Siegerich seinen Bruder an wie ein kleiner Junge, der einen Apfel haben wollte.

Siegward von Riedburg antwortete, ohne in seinen heftigen Bewegungen innezuhalten. »Aber nur, wenn der Büchsenmeister nichts dagegen hat, Kleiner. Du weißt, wir müssen Gilbert bei Laune halten. Schließlich soll er die Büchenbrucher Stammburg mit seinen Geschützen zusammenschießen.«

»Ich hole mir mein Vergnügen erst mal an anderer Stelle und lasse Euch gerne den Vortritt.« Der Büchsenmeister hob die Plane, die den Eingang verschloss, und trat ins Freie.

Endlich wurde Siegward mit einem röhrenden Gebrüll fertig und machte seinem Bruder Platz. Siegerich von Riedburg versuchte, seine mangelnde Erfahrung durch übertriebene Heftigkeit zu ersetzen, und fiel schon zwei Atemzüge später über ihr zusammen.

Da kehrte auch schon der Büchsenmeister mit zufriedener Miene zurück. »Die Kerle haben ein Fass Wein aufgeschlagen und saufen. Wenn du nichts dagegen unternimmst, kriegst du sie morgen nicht von der Stelle.«

Siegward winkte lachend ab. »Auf einen Tag mehr oder weniger kommt es wohl auch nicht an. Also lass ihnen den Spaß.«

Sein Blick fiel auf die leere Weinkanne, und er schob sie mit der Fußspitze seinem Bruder zu. »Hol uns auch etwas zu trinken. Ein leckeres Hühnchen sollte man nicht mit trockener Kehle genießen.«

Siegerich packte den Krug und rannte hinaus.

 

Marie wusste zuletzt nicht mehr, wie oft die Kerle sie benutzt hatten, bis endlich auch Gilbert vom Wein und der Erschöpfung überwältigt auf ihr niedersank und zu schnarchen begann. Sie hatte das Gefühl, keinen heilen Knochen mehr im Leib zu haben, so hatten die drei sie geschunden, und kämpfte mit dem Gewicht des Mannes auf ihr. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis sie unter ihm hervorkriechen konnte.

Als sie aufstand, gaben ihre Knie vor Erschöpfung nach. Dennoch wäre sie am liebsten ihrem ersten Impuls gefolgt und davongelaufen. Das Gelächter aber und das fast tierhafte Gebrüll, das von allen Seiten in das Zelt drang, machten ihr klar, dass die Söldner draußen immer noch am Werk waren. Da sie diesem Gesindel nicht auch noch zum Opfer fallen wollte, ließ sie sich auf einen Hocker sinken und überlegte, wie es weitergehen konnte. Sie fühlte sich ekelhaft schmutzig, aber sie fand keinen Wasserschlauch. So tränkte sie ein Stück von ihrem Unterkleid mit dem Wein, der in den Bechern und der Kanne übrig geblieben war, und wusch sich damit, auch wenn der Alkohol auf ihrem wunden Unterleib wie Feuer brannte. Das machte ihr weniger aus als die schrillen Schreie ihrer Gefährtinnen, die den anderen Lärm immer wieder übertönten. Manchmal glaubte sie, Hiltruds Stimme zu erkennen, aber meist war es Fita, die sich die Seele aus dem Leib zu schreien schien.

Während Marie die drei Betrunkenen zu ihren Füßen im Auge behielt, die sich bei besonders lauten Geräuschen herumwälzten und zu murmeln begannen, rechnete sie aus, wie viele Söldner auf jede ihrer Begleiterinnen kamen. Von dem Ergebnis wurde ihr erst recht übel. Viele von denen würden sich gewiss nicht mit einem Mal zufrieden geben, sondern die Frauen so lange benutzen, bis sie vom Wein überwältigt in einer Ecke lagen. Marie hoffte im Interesse Hiltruds und der anderen, dass das nicht mehr allzu lange dauern würde.

Während sie ihr Kleid mit Streifen zusammenband, die sie von dem Hemd des Ritters abriss, und es mit anderen Lappen so gut es ging säuberte, steigerte sie sich in einen kaum noch zu ertragenden Hass hinein. Sie war nahe daran, den drei Männern um sie herum die Kehle durchzuschneiden, und suchte das Messer, dessen Scheide Siegward von ihrem Bein abgerissen hatte. Sie wog es in der Hand und fuhr mit der Fingerspitze über die scharfe Schneide. Als sie sich Gilbert näherte, fiel ihr der prall gefüllte Geldbeutel auf, der auf seinem offenen Hosenschlitz lag.

Inzwischen hatte sich ihre Wut etwas abgekühlt, und sie scheute sich, Hand an die Kerle zu legen. So begnügte sie sich damit, dem Büchsenmeister die Geldbörse abzuschneiden. Auch Siegerichs um einiges schwächer gefüllter Beutel ging in ihren Besitz über. Etwas länger dauerte es, die Börse Siegward von Riedburgs von seinem Gürtel zu lösen, denn sie war mit breiten, harten Lederstreifen befestigt. Als Marie den Riemen aufnestelte, der die Ledertasche verschloss, vergaß sie beinahe ihr Elend. Hatten die beiden anderen Männer durchaus ansehnliche Summen in guten Silbermünzen und kleineren Goldstücken bei sich gehabt, so glänzten ihr hier goldene Dukaten und Gulden von beträchtlichem Wert entgegen. Es war genug Geld, um sogar einem Edelmann einen Meuchelmörder auf den Hals zu hetzen, geschweige denn einem Bastard wie Ruppert.

Marie ballte triumphierend die Fäuste. Wenn ihr dieses Geld zur Rache verhalf, so hatten sich die Schmach, die Angst und der Schmerz, den sie an diesem Abend hatte ertragen müssen, auf unerwartete Weise gelohnt. Sie hob ihr Kleid und machte sich einen Gürtel mit lang herabhängenden Bändern, an die sie Siegwards Geldkatze, ihr eigenes Säckchen mit den württembergischen Hirschgulden und Meister Jörgs Geldbeutel befestigte. Sie band alle drei Börsen zusätzlich mit Stoffstreifen an ihre Oberschenkel, so dass sie nicht schlenkerten und sich durch ihr Klirren verrieten. Später würde sie Taschen in ihren Rock nähen, so dass sie Kunden bedienen konnte, ohne die Börsen vorher abnehmen und verstecken zu müssen. Die Beutel Gilberts und Siegerichs hing sie zu ihrer eigenen, nur mit Pfennigen gefüllten Geldbörse an den Gürtel. Deren Inhalt würde sie mit den anderen teilen, denn diese hatten ihrer Ansicht nach ebenfalls eine Entschädigung für diese Nacht verdient.

Die Wanderhure
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