I.

So früh am Morgen waren die Gassen zwischen den Buden noch leer und die Stände abgedeckt. Die Händler und das fahrende Volk schliefen zumeist noch in ihren Zelten oder unter ihren Wagen. Ein paar Frühaufsteher beiderlei Geschlechts wuschen sich ungeniert im Fluss, wobei einige Männer derbe Zoten zum Besten gaben, worauf die meisten Frauen schamrot abzogen, um an anderer Stelle zu baden.

Marie hatte sich mit Hiltrud zusammen lange vor den anderen gewaschen und saß jetzt auf einer Decke vor ihrem Zelt. Während sie die wärmenden Sonnenstrahlen genoss, nähte sie einen Riss in ihrem Kleid. Der Geruch eines aufglimmenden Holzkohlenfeuers lenkte sie jedoch bald ab. Hulda, die eine Garküche betrieb, legte die ersten Bratwürste auf den Rost, und kurz darauf zog ein verführerischer Duft über den Markt. Marie schnupperte genießerisch. Als sie aufstehen und zu ihr hinübergehen wollte, trat Hiltrud aus dem Zelt.

»Du kannst es wohl nicht erwarten, bis Hulda die ersten Würste fertig hat.«

»Was ist gegen eine Bratwurst am Morgen einzuwenden, zumal sie in dieser Gegend mit am besten schmecken?«

Hiltrud betrachtete ihre Freundin mit sanftem Spott. »Dir schmecken sie überall gleich gut. Aber ich will ja nicht so sein und bringe dir ein Paar mit.«

Marie sah ihr nach und dachte sich, dass Bratwürste eine der seltenen Freuden waren, die sie sich leisten konnte. Seit sie mit Hiltrud zusammen über die Straßen zog, hatte sie gelernt, mit sehr wenig zufrieden zu sein, und die Erinnerung an ihr früheres Leben erschien ihr mehr und mehr wie ein Kindertraum. Mehr als drei Jahre waren inzwischen vergangen, seit Hiltrud sie halb tot vom Straßenrand aufgelesen und mitgenommen hatte, drei Jahre, in denen sie die Verachtung der ehrbaren Welt und die Freundschaft der Verachteten kennen gelernt hatte. Doch weder die Zeit noch all das, was sie seither erlebt hatte, hatten die Bitterkeit aus ihrem Herzen tilgen können, die sich nach dem Schandurteil in ihr eingenistet hatte.

Manchmal musste Marie sich zwingen, nicht auf der Stelle nach Konstanz zu laufen und den ehrwürdigen Herrschaften dort ihre Ungerechtigkeit ins Gesicht zu schreien. Wenn sie unter einem besonders rücksichtslosen Freier lag und die Hände in ohnmächtiger Wut ballte, rechnete sie nach, wie viel Geld sie noch benötigte, um einen Meuchelmörder zu bezahlen, der ihren ehemaligen Bräutigam und die Schurken, die sie damals vergewaltigt hatten, für sie umbrachte. Wenn sie mit Hiltrud darüber sprach, verspottete diese sie wegen ihres Wunschtraums oder schimpfte sogar mit ihr. Marie hielt dieses Leben jedoch nur aus, weil sie sich an die Hoffnung klammerte, sich eines Tages rächen zu können. Irgendwann würde sie es den Männern heimzahlen, die ihr das angetan hatten, und dabei auch die verleumderische Witwe Euphemia Schusterin nicht vergessen.

»Drehst du im Geist diesem Ruppert mal wieder den Kragen um?« Hiltruds Stimme riss Marie aus ihren Gedanken. Die beiden Bratwürste, die die Freundin ihr hinhielt, entbanden sie einer Antwort. Sie nahm die Würste vom Brett und jonglierte sie in den Händen, weil sie noch so heiß waren.

»Gierhals.« Hiltrud sah sie kopfschüttelnd an und setzte sich zu ihren Ziegen ins Gras. Während die beiden Frauen aßen, hingen sie ihren Gedanken nach. Hiltrud machte sich Sorgen um Marie, die sich mit Hirngespinsten herumschlug, an denen sie eines Tages noch zugrunde gehen würde. Sie hatte schon zu viele Hübschlerinnen gesehen, die irgendwann verrückt geworden waren oder sich umgebracht hatten, weil sie mit der Erinnerung an ihr früheres Leben und das echte oder vermeintliche Unrecht, das ihnen zugefügt worden war, nicht fertig geworden waren. Um ihre Freundin nicht in Versuchung zu führen, sich auf eigene Faust zu rächen, und in der Hoffnung, Marie würde allmählich Vernunft annehmen, hatte sie die Gegend um Konstanz bislang weiträumig gemieden. Doch weder Schelten noch gute Worte hatten die Freundin bisher dazu gebracht, einzusehen, dass die Welt nun einmal ungerecht war, und einen Schlussstrich unter ihre Vergangenheit zu ziehen.

Marie sah Hiltrud an, dass sie sich Sorgen um sie machte. Es tat ihr Leid, denn sie wollte ihr keinen Kummer bereiten. Hiltrud war ihr von Anfang an eine gute und fürsorgliche Gefährtin gewesen und hatte sie nie als Magd behandelt oder zu etwas Unerträglichem gezwungen. Marie erinnerte sich noch an ihren ersten Kunden, den die erfahrene Hure mit großer Sorgfalt für sie ausgewählt hatte. Es war ein angenehmer und zärtlicher Mann gewesen, der sehr vorsichtig mit ihr umgegangen war.

Trotzdem hatte sie den Geschlechtsakt mit geballten Fäusten, zusammengebissenen Zähnen und geschlossenen Augen über sich ergehen lassen. Ohne Gerlinds Trank, der sie in eine Wolke der Gleichgültigkeit getaucht hatte, wäre sie schreiend aus seiner Nähe geflohen. In der folgenden Zeit hatte sie das betäubende Mittel tagtäglich benutzt, bis Hiltrud es ihr weggenommen hatte. Dabei war es beinahe zum ersten großen Streit zwischen ihnen gekommen. Hiltrud hatte auch da viel Geduld mit ihr bewiesen und ihr mehrfach erklärt, dass das Mittel süchtig mache und bei regelmäßiger Einnahme Geist und Körper zerstöre.

Marie war es damals schwer gefallen, auf das Mittel zu verzichten, und manchmal, wenn sie an einen unangenehmen Freier geriet, sehnte sie sich heute noch danach, es zu nehmen. Dabei war sie in der glücklichen Lage, sich ihre Kunden aussuchen zu können. Doch leider hielt nicht jeder Freier das, was sein Auftreten versprach. Manch höflicher und galanter Mann entpuppte sich im Zelt als wüster Kunde, für den die Frau unter ihm nur ein Gegenstand war, den zu benutzen er sich mit ein paar Münzen erkauft hatte.

Marie musste an Berta denken, die oft von blauen Flecken gezeichnet war und sie manchmal, wenn der Liebeslohn höher als gewöhnlich gewesen war, stolz präsentierte. Unwillkürlich sah sie zu dem Zelt hinüber, in dem ihre frühere Gefährtin hauste. Zwei Sommer lang waren sie und Hiltrud mit Berta, Fita und Gerlind durch das Land gezogen. Beim Herbstmarkt in Rheinau hatte Berta jedoch einen Streit vom Zaun gebrochen, aus Eifersucht, weil Hiltrud und Marie bessere Freier als sie anlocken konnten, und die Gruppe verlassen. Fita, die wie ein Hund an Berta hing, war mit ihr gezogen, während Gerlind mit Hiltrud und Marie gegangen war.

Im folgenden Winter hatte Gerlind sich entschlossen, ihr Wanderleben aufzugeben, und war in der Hütte geblieben, die sie im Herbst zu dritt für ein paar Pfennige angemietet und wohnlich eingerichtet hatten. Gerlind wollte dort als Kräuterfrau arbeiten und, wie sie beim Abschied kichernd gesagt hatte, sich ein junges Mädchen besorgen, das ihr als Magd und Verdienstquelle dienen konnte. Marie fragte sich, ob sie die alte Hure wohl noch einmal wiedersehen würde. Sie hatte auch nicht erwartet, wieder auf Berta und Fita zu treffen, denn die hatten die Donau abwärts bis ins Böhmische ziehen wollen. Irgendwann mussten sie es sich anders überlegt haben, denn sie arbeiteten jetzt hier auf dem Markt. Berta hatte ihren freundlichen Gruß jedoch nur mit einem Schnauben beantwortet, deswegen hatte Fita sich nicht getraut, ein freundliches Wort mit ihnen zu wechseln.

Marie fand, dass Bertas Zelt sehr schäbig war und die Frau noch schlampiger aussah als vor anderthalb Jahren. War sie früher mollig gewesen, wirkte sie nun ausgesprochen fett. Fita dagegen war hager geworden und vorzeitig gealtert. Trotzdem machten die beiden recht gute Geschäfte, wenn man nach der Zahl der Männer ging, die am Vortag ihre Zelte besucht hatten. Es waren jedoch nur Handwerksgesellen und Knechte gewesen, die sich ein paar Pfennige zusammengespart hatten, um wenigstens einmal im Jahr zu erfahren, wie sich der warme Leib einer Frau anfühlte.

Vielleicht würde sie in einigen Jahren um solche Kundschaft froh sein müssen, dachte Marie aufseufzend. Doch zurzeit hatten Hiltrud und sie es nicht nötig, jemanden zu nehmen, der ihnen drei Haller Pfennige bot. Hiltrud lockte mit ihrer stattlichen Größe viele wohlhabende Männer an, die sich beweisen wollten, und sie selbst konnte sich ihre Freier unter vielen aussuchen und Preise fordern, die für einfache Handwerker unerschwinglich waren.

Einer ihrer großzügigsten und anhänglichsten Kunden hatte ihr mehrfach angeboten, sie als Mätresse in einem schönen Haus unterzubringen. Der Mann war ein Wollkaufmann aus Flandern und hatte sie in seine Heimat mitnehmen wollen. Doch wäre sie ihm gefolgt, hätte sie Hiltrud verlassen müssen, und das würde sie nur tun, wenn sie die Chance sah, zu ihrer Rache zu kommen.

Marie hatte schon mehrmals versucht, Informationen aus ihrer Heimatstadt zu erhalten. Aber die Leute, die ihr Antwort hätten geben können, waren Fuhrleute und Händler, die Utz kannten und viel mit ihm zu tun hatten, und die traute sie sich nicht anzusprechen. Schließlich hatte sie einen wandernden Sänger, der nach Konstanz reisen wollte, Geld gegeben und ihn gebeten, sich dort nach dem Schicksal ihres Vaters zu erkundigen. Sie hatten sich zwei Monate später auf dem Baseler Jahrmarkt treffen wollen, doch zu ihrer großen Enttäuschung war er nicht erschienen. Sie war dem Mann auch sonst nirgends mehr begegnet oder hatte jemanden getroffen, der etwas über ihn wusste, und schon befürchtet, ihm sei bei seinen Erkundigungen etwas zugestoßen. Hiltrud war jedoch der Ansicht, der Sänger hätte ihr das Geld mit falschen Versprechungen abgeknöpft und sei längst nach Italien oder Hinterösterreich gezogen. Marie hatte sich von ihr überzeugen lassen und dem Kerl die Schwindsucht an den Hals gewünscht.

So blieb ihr nichts anderes übrig, als auf eine andere Gelegenheit zu warten, aber die hatte sich bisher noch nicht ergeben. Sie wäre längst nach Konstanz gereist, wenn sie es hätte wagen dürfen, sich der Stadt zu nähern. Auf die unerlaubte Rückkehr eines Verbannten standen die doppelte Anzahl von Hieben und die Brandmarkung. Selbst wenn sie es schaffte, mit ihren Hurenbändern am Rock in die Stadt hineinzukommen, würde sie keine zwei Fragen stellen können, ohne sofort im Turm zu landen. Was Hunold ihr dann antun würde, wagte sie sich nicht einmal auszumalen.

»So nachdenklich?« Hiltrud war mit ihren Bratwürsten fertig und wischte sich die fettigen Hände an einem Büschel Gras ab. »Beschäftigst du dich schon wieder mit den alten Geschichten? Bitte, Marie, vergiss doch endlich, was damals geschehen ist, besonders deinen ehemaligen Bräutigam. Der Mann ist viel zu mächtig und einflussreich, als dass du ihm etwas anhaben könntest.«

Marie starrte Hiltrud mit wutfunkelnden Augen an. »Wenn ich mir nicht vorstellen darf, wie meine Rache diesen Schuft und seine Handlanger trifft, dann lohnt sich dieses elende Dasein für mich nicht mehr.«

Hiltrud schüttelte nachsichtig den Kopf.

»So schlecht leben wir beide nicht. Ja, für wandernde Hübschlerinnen verdienen wir sogar ungewöhnlich gut. Ich gebe zu, dass ich mindestens die Hälfte meines Verdiensts deinem Engelsgesicht und der Tatsache verdanke, dass du wohlhabende Freier anziehst wie der Honig die Bienen und die Freunde deiner Kunden ja auch ihren Spaß haben wollen. Aber wenn du weiter so böse vor dich hin starrst, wirst du die Männer vertreiben und vor der Zeit alt und hässlich werden.«

Hiltruds zufriedenes Lächeln beeinträchtigte die Wirkung ihrer Ermahnungen. Aber sie konnte nicht anders, denn die Begegnung mit Marie hatte ihr Glück gebracht. Ohne ihre auffallend schöne Freundin hätte sie nicht so wählerisch sein dürfen wie jetzt.

Da Marie immer noch die Stacheln aufstellte, versuchte Hiltrud, ihre Gedanken auf etwas anderes zu lenken. »Ich habe Fita bei der Garküche getroffen. Sie sieht schlecht aus, und eine Kräuterfrau, die sie wegen ihrer Brustschmerzen aufgesucht hat, gibt ihr nicht mehr lange. Ich habe ihr geraten, nicht mit Berta weiterzuziehen, denn die behandelt sie wirklich wie eine Sklavin.«

Marie blickte sinnend über den Fluss hinweg auf die Weinberge, die sich über die Hänge zogen. Vor ihrem inneren Auge aber sah sie sich selbst mit zerschlagenem Rücken in Hiltruds Zelt liegen, während die Freundin und ihr Apotheker sie verarzteten. Hiltrud hatte sich ihrer angenommen, obwohl sie nicht damit rechnen konnte, dass sie sie durchbrachte. Auch wenn ihre Freundin nach außen hin kühl, spöttisch und berechnend wirkte, besaß sie doch ein mitfühlendes Herz.

»Ich hätte nichts dagegen, wenn Fita mit uns käme. Bestimmt könnten wir sie aufpäppeln. Aber sie hängt zu sehr an Berta, obwohl die Frau ihre Zuneigung schamlos ausnutzt.«

Hiltrud zuckte hilflos mit den Schultern. »Ich werde Fita trotzdem noch einmal vorschlagen, sich uns anzuschließen. Vielleicht …« Sie wollte noch etwas anderes sagen, doch in dem Moment stach ein gepflegt aussehender Mann mittleren Alters in schnellem Schritt auf die Zelte der Huren zu.

»Den scheint es ja arg in der Hose zu jucken. Meinst du, dass der etwas für uns wäre, Marie?«

Marie warf einen Blick auf die kriegerische Tracht des Mannes und schüttelte den Kopf. »Ich mag keine Soldaten. Sie sind mir zu rau. Soll er doch Berta nehmen. Die ist gut gepolstert und spürt die harten Hände nicht.«

Hiltrud lachte und deutete mit dem Kopf auf die Zelte der Pfennighuren. »Genau das tut er auch. Schau, jetzt redet er mit ihr. Na ja, Kriegsleute haben oft einen seltsamen Geschmack. Ich kannte mal einen Offizier, der sich die hübschesten Huren hätte leisten können. Er ging jedoch immer zu einer fetten alten Vettel und war danach so zufrieden, als hätte ihn die schönste Jungfrau erhört.«

Da sonst noch kein Freier zu sehen war, beobachteten Hiltrud und Marie, wie der Mann, den sie beide für den Dienstmann eines adligen Herrn hielten, mit Berta verhandelte. Statt mit ihr im Zelt zu verschwinden, winkte er schließlich auch Fita und mehrere andere Huren zu sich.

Hiltrud schüttelte verwundert den Kopf. »Vielleicht will er Trosshuren anwerben.«

»Dafür ist es jetzt schon zu spät, es sei denn, sein Herr hat einen Winterfeldzug im Sinn.«

»Gleich werden wir es wissen, denn ich glaube, er kommt jetzt auf uns zu.«

Hiltrud stand auf, wie sie es immer tat, wenn ein möglicher Freier auf ihr Zelt zukam. Marie blieb sitzen und drehte dem Mann nach einem Blick auf das bärbeißige Gesicht die Schulter zu. Man konnte es einem Kunden in der Regel ansehen, ob er sich auf einige angenehme Augenblicke in den Armen einer Hure freute. Der Mann war mit Sicherheit kein Freier. Er blieb mehrere Schritte vor ihnen stehen und betrachtete sie mit grimmiger Miene.

»Ihr seid Hübschlerinnen?« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.

»Sag schon Hure, wenn dir das Wort auf der Zunge liegt«, schnappte Marie.

Der Mann brummte wie ein missgelaunter Bär. »Ist doch mir egal, wie ihr Weiber euch nennt. Ich suche eine angenehme und vor allem saubere Bettgefährtin für meinen Herrn.«

»Wenn er eine von uns haben will, soll er gefälligst selbst kommen.« Marie hasste es, abgeschätzt zu werden wie eine trächtige Ziege.

»Das ist nicht möglich, denn Ritter Dietmar weilt auf Burg Arnstein bei Tettnang«, erklärte der Mann. »Ich bin Giso, sein Burgvogt, und habe den Auftrag, eine brauchbare Hure zu finden, die ihm in den nächsten Monaten das Bett wärmt, denn er muss das Lager seiner schwangeren Gemahlin für eine Zeit lang meiden.«

Marie lachte ungläubig auf. »Dann muss dein Herr aber eine großzügige Gattin sein Eigen nennen, oder hat die Dame daheim nichts zu melden?«

»Das geht dich gar nichts an«, blaffte der Vogt sie an. »Ich habe den Auftrag, eine brauchbare Hure zu finden. Dein Mundwerk scheint mir jedoch ein wenig zu scharf zu sein.«

»Normalerweise schätzt man bei einer Hure einen anderen Körperteil als den Mund. Es sei denn, dein Herr hält es mit den Geboten der heiligen Kirche nicht so genau.« Marie hatte wenig Lust, monatelang auf einer zugigen Burg eingeschlossen zu sein, um zuerst dem Burgherrn zu dienen und dann an dessen Gefolgsleute abgeschoben zu werden.

Hiltrud war neugierig geworden. »Was springt denn dabei heraus?«

»Die Hure, die wir auswählen, wird uns mit einem vollen Beutel verlassen«, antwortete der Mann großspurig.

Marie zuckte mit den Schultern. »Voller Haller Pfennige? Das würde uns nicht reichen.«

Giso verzog sein Gesicht, als hätte er in einen faulen Apfel gebissen. »Es wurde mir keine bestimmte Summe genannt. Die Hure, die unseren Ansprüchen genügt, wird es auf alle Fälle nicht bedauern.«

»Schön für sie. Dann wünsche ich dir viel Glück bei der Auswahl. Da drüben sind ja genug zu finden.« Marie deutete auf Berta und einige andere Frauen, die eifrig miteinander diskutierten und dabei immer wieder zu ihnen herüberblickten. Trotz der Entfernung war zu erkennen, dass Bertas Gesicht sich vor Neid und Missgunst verzerrte.

Giso kümmerte sich weder um die Blicke in seinem Rücken noch um Maries Sticheleien. »Ich wünsche euch alle in einer Stunde im Zelt meiner He…, in meinem Zelt zu sehen. Es steht etwas abseits von den anderen. Ihr könnt es nicht verfehlen, denn das Wappen meines Herrn, ein auffliegender Falke, weht darüber.«

»Ich verzichte schon im Voraus, da mein Mundwerk, wie du es nanntest, zu scharf für deinen Herrn ist.« Marie wollte sich abwenden, doch der Mann ließ nicht locker.

»Ich habe den Befehl, alle Huren auf dem Markt zur Musterung zusammenzurufen und untersuchen lassen.«

Marie bleckte die Zähne. »Wenn wir in dein Zelt kommen, verlieren wir Zeit, in der wir Geld verdienen könnten.«

Giso ballte eine Faust, stützte die Hand dann aber locker in die Hüfte, so als wolle er sich nicht provozieren lassen. »Alle Huren werden für ihren Aufwand entschädigt.« Damit wandte er sich grußlos ab und stiefelte davon.

Marie tippte sich an den Kopf. »Was für ein komischer Kerl! Der tut ja gerade so, als wären wir Hühner, unter denen er das fetteste zum Schlachten auswählen soll.«

Hiltrud lachte über den Vergleich, deutete dann aber auf die immer noch leeren Gassen zwischen den Marktständen. »Wenn wir Geld dafür bekommen, dass wir uns dort zur Schau stellen, sollten wir hingehen. Selbst in einer Stunde werden noch keine brauchbaren Freier auf den Anger kommen. Die Einzigen, die etwas versäumen, werden Berta und ihre Freundinnen sein. Du siehst ja, dass schon die ersten Knechte um ihre Zelte herumstreichen.«

»Du denkst wohl, einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul«, spottete Marie. »Mehr als ein paar Pfennige werden für uns nicht herausspringen, sage ich dir. Aber vielleicht reicht es ja für eine Extrabratwurst.«

Hiltrud legte den Kopf schief. »Wenn du weiterhin so viele Bratwürste vertilgst, wirst du bald so fett werden wie Berta.«

»Ich?« Dabei strich Marie mit beiden Händen ihr Kleid glatt, damit Hiltrud ihren flachen Bauch sehen konnte. »Wo siehst du da Fett?«

Hiltrud sah sie feixend an. »Ich sagte ja nicht, dass du jetzt schon Fett ansetzt, aber wenn du das Zeug weiterhin so in dich hineinschlingst, wird es nicht mehr lange dauern. Noch einmal zu diesem Giso: So schlecht wäre es wirklich nicht, den Winter über vorsorgt zu sein. Du weißt, welche Probleme wir im vorletzten Jahr hatten, als man uns nach dem ersten Schnee aus der Hütte gejagt hat. Hätten wir nicht Glück gehabt und die verlassene Kate gefunden, wäre es uns schlecht ergangen.«

»Es wird aber nur eine von uns auf dieser Burg, wie hieß sie gleich wieder … ?«

»Arnstein«, half Hiltrud aus.

»… auf Burg Arnstein überwintern können. Die andere müsste sich den Winter über den Gauklern anschließen, mit denen wir heuer gezogen sind, und der Preis wäre mir zu hoch. Wenn wir zu zweit sind, bieten die jungen Männer uns noch das eine oder andere Geldstück für unsere Dienste. Mich allein würden sie ohne Gegenleistung benutzen.«

»Ohne dich würde ich niemals auf diese Burg gehen«, erklärte Hiltrud mit Nachdruck. »Außerdem glaube ich eher, dass dieser Giso sich für dich entscheiden wird. Ich dürfte etwas zu groß für seinen feinen Herrn sein.«

»Pah, ich gehe nicht dorthin.« Marie hob die Nase hoch, schob das Kinn vor und führte noch ein halbes Dutzend Gründe an, weshalb eine Burg sich nicht als Platz zum Überwintern eignete. Wie sie gehört hatte, waren diese Gemäuer bis auf die Räume der Burgdame kalt und zugig und wurden überdies von armen Verwandten, Gesinde und Kriegsleuten bevölkert, die des Nachts in allen Hallen und Gängen auf schnell ausgebreiteten Strohschütten schliefen. Eine Hure würde dort keinen Augenblick Ruhe finden.

Hiltrud hörte sich Maries Bedenken eine Weile an und winkte dann ab. »Also, das glaube ich nicht. Kein Soldat würde es wagen, die Bettgespielin seines Herrn auch nur schief anzusehen. Eine Tracht Prügel wäre das Mindeste, was der Bursche zu erwarten hätte.«

Marie widersprach, und so entspann sich eine angeregte Diskussion, bei der jede von ihnen ihren Standpunkt bis zum Äußersten verteidigte. Dabei verging die Zeit so rasch, dass die beiden Frauen überrascht aufsahen, als ein Soldat mit dem auffliegenden Falken des Arnsteiners auf der Brust vor ihnen stehen blieb und ihnen befahl, mit ihm zu kommen.

Berta und die anderen Huren drängten sich bereits um das von Giso benannte Zelt. Marie sah Hiltrud fragend an und stand auf ihr Nicken mit einer unwilligen Miene auf.

»Wenn wir schon so freundlich eingeladen werden, kommen wir halt mit«, sagte sie zu dem Soldaten. Der reagierte nicht auf ihre Worte, sondern sah so angewidert drein, als müsse er zwei Verbrecherinnen zum Verhör abführen.

Das Zelt des Arnsteiners war relativ groß, besaß aber keine jener modischen Verzierungen, mit denen die Zelte anderer Herren von Stand reichlich geschmückt waren. Es trug weder wappenbestickte Windabweiser oder Sonnendächer, noch waren die Seitenwände bunt bemalt. Im Grunde war es nur ein großer, quadratischer Würfel aus festem Leinenstoff mit einem sanft geneigten Dach, das bei Regen das Wasser ablaufen ließ. Auch der Eingangsbereich war völlig schmucklos. Die Plane vor dem Eingang war mit Lederbändern aufgebunden und gab den Blick in das Innere des Zeltes frei, dessen letztes Drittel noch einmal durch einen Vorhang abgetrennt worden war.

Giso stand neben dem Zelteingang und musterte die Schar Huren, die von seinen Männern zusammengetrieben worden waren, mit sichtlichem Abscheu. Eine ältere Frau in der strengen Tracht einer Beschließerin trat gerade heraus, warf einen finsteren Blick auf die schwatzenden Frauen und winkte den Männern, sie hineinzulassen.

Marie ließ den anderen den Vortritt, stellte sich dann neben den Eingang und beobachtete den Vorhang im Hintergrund. Neugierig fragte sie sich, wer sich dort aufhalten mochte. Der Stoff bewegte sich mehrmals, und hie und da öffnete sich ein Spalt, als ob jemand hinausspähte.

Als die Beschließerin den Kopf neigte und in Richtung des Vorhangs lauschte, fand Marie ihre erste Vermutung bestätigt. Die passende Hure für Dietmar von Arnstein würde weder von Giso noch von der Beschließerin ausgewählt werden, sondern von der Person, die sich im hinteren Teil des Zeltes verbarg. Sie teilte ihre Vermutung Hiltrud mit, die nun ebenfalls verstohlen auf den Vorhang blickte.

»Ich glaube, du hast Recht. Wer mag das sein? Der Arnsteiner selbst? Vielleicht ist er missgestaltet und will sich der Auserwählten erst nach seiner Entscheidung zeigen.«

»Das denke ich auch. Sonst würde er nicht so viel Aufwand treiben, um eine Beischläferin zu bekommen. Auf seiner Burg müsste doch mehr als eine Magd bereit sein, ihm das Bett zu wärmen.«

Trotz seiner Größe wurde es im vorderen Teil des Zeltes recht eng für die zehn herumquirlenden Hübschlerinnen und ihre Bewacher. Als alle eingetreten waren, knüpften zwei Soldaten die Lederbänder auf und verschlossen den Eingang.

»Die haben wohl Angst, wir könnten davonlaufen«, flüsterte Marie Hiltrud spöttisch zu. Ihre Freundin kam nicht dazu, ihr zu antworten, denn Giso hob die Hand und befahl allen, ruhig zu sein.

»Ich habe euch rufen lassen, weil mein Herr ein Weib braucht, das ihm während der nächsten Monate bereitwillig die Schenkel öffnet. Es soll eine Hure sein, die danach wieder ihrer Wege zieht, denn die Moral der Burgmägde darf durch die Leibesnöte des Herrn nicht in Gefahr kommen.«

Aus seinem Tonfall schloss Marie, dass das nur die halbe Wahrheit war. Es hörte sich eher so an, als dulde die Gemahlin des Burgherrn nicht, dass eine ihrer Mägde für die nächsten Monate ihren Platz einnahm und daraus Ansprüche herleitete, die ihr nicht gefallen konnten. Wahrscheinlich wollte sie nicht, dass die Frau auf der Burg blieb und auch später noch eine Verlockung für ihren Gemahl darstellte. Eine Hure nahm ihren Liebeslohn entgegen und zog ihrer Wege. Vielleicht wollte die Herrin aber auch nur verhindern, dass ein Bastard mehr in der Burg aufgezogen werden musste.

Auf diesen Punkt kam Giso gerade zu sprechen. »Sollte die Hure, die ich auswähle, während ihrer Zeit auf der Burg durch meinen Herrn schwanger werden, so kann sie so lange bleiben, bis ihr Kind zur Welt gekommen ist, und bekommt ihren Verdienstausfall während dieser Zeit ersetzt. Der Herr verspricht, es mit den Kindern seiner Dienstleute aufzuziehen und später gut zu versorgen.«

Marie schob die Unterlippe nach vorne. Sie besaß inzwischen das Rezept von Gerlinds Verhütungsmittel, das ihr bis jetzt gute Dienste geleistet hatte. Ein Kind passte nicht in ihre Pläne, ganz gleich, wer der Vater sein würde. Hiltrud dachte genau wie sie. Einige andere Huren machten sich offensichtlich Hoffnung auf ein größeres Geldgeschenk, wenn sie dem Ritter von Arnstein zu einem männlichen Bastard verhalfen. Zu ihnen gehörte auch Berta, die ganz vorne bei Giso stand und versuchte, die anderen Huren mit ihrer wuchtigen Gestalt in den Hintergrund zu drängen.

Giso schob sie verärgert zurück und befahl den Frauen, sich im Halbkreis vor ihm aufzustellen. »Das Weib soll gesund, sauber und von angenehmer Gemütsart sein.«

»Das trifft wohl kaum auf Berta zu«, kicherte Hiltrud Marie ins Ohr.

»Aber auch nicht auf Fita«, gab Marie zurück. Als wäre es ein Stichwort gewesen, begann Fita zu husten und rang keuchend nach Luft.

Die Beschließerin rümpfte die Nase. »Die Frau da ist krank. Sie kann wieder gehen.«

»Hast du gehört? Du sollst verschwinden«, rief Berta ihrer treuen Begleiterin zu und schob sie, da sie nicht sofort reagierte, resolut auf den Zelteingang zu, den ein Soldat für sie öffnete und hinter ihr wieder verschloss.

Als Berta sich zurückdrängte, zischte Marie sie leise an. »Du bist ein Miststück! Immerhin ist Fita deine Freundin.«

Sie erntete einen bösen Blick und keuchte im nächsten Augenblick auf, weil Bertas Ellbogen ihre Rippen traf.

Die Beschließerin winkte den Huren auffordernd zu. »Ihr könnt euch jetzt ausziehen.«

Berta gehorchte so schnell, dass sie eine der anderen Frauen dabei gegen die Zeltwand stieß und zu Fall brachte. Während die Hure sich schimpfend auf die Beine kämpfte, präsentierte Berta dem Vogt bereits ihre Reize. Trotz ihres Leibesumfangs sah sie noch immer recht gut aus. Sie hatte ein ausladendes, aber wohlgestaltetes Hinterteil und zwei große, feste Brüste, deren Warzen sich Giso herausfordernd entgegenreckten.

Auch die anderen Huren hatten sich ausgezogen und richteten ihre Blicke auf Giso. Nur Marie und Hiltrud behielten ihre Kleidung an und drückten sich in den Hintergrund.

Die Beschließerin betrachtete Berta wie ein Stück Fleisch, bei dem sie sich fragte, ob es eigentlich noch essbar war, und schnüffelte misstrauisch. »Du kannst ebenfalls verschwinden. So etwas Schmutziges wie dich darf ich meinem Herrn nicht zumuten.«

»Ich kann mich ja waschen.« Berta machte keine Anstalten, zu gehen.

Die Beschließerin stieß Bertas Kleid mit der Fußspitze an. »Bei dir ist es mit Waschen allein wohl nicht getan. Ich muss den Mägden nachher auftragen, die Zeltleinwand auszuräuchern, sonst nisten sich hier noch Läuse und Flöhe ein.«

Einige Huren kicherten, während Berta mit hochrotem Kopf ihr Kleid überstreifte. »So einfach werdet ihr mich nicht los. Der Kerl da«, sie zeigte mit dem Kinn auf den Burgvogt, »hat uns Geld dafür versprochen, dass wir überhaupt in euer Wanzenzelt gekommen sind. Ich will es jetzt haben – und zwar auch für meine Freundin, die schon gegangen ist.«

Marie fuhr verärgert auf. »Jetzt ist Fita auf einmal wieder deine Freundin. Dabei konntest du sie vorhin nicht schnell genug loswerden.«

»Das geht dich einen feuchten Furz an.« Berta hielt Giso auffordernd die Hand hin. Der Burghauptmann nestelte seinen Geldbeutel vom Gürtel, öffnete ihn und warf ihr mehrere Münzen zu.

»Das wird wohl reichen. Und jetzt mach, dass du rauskommst.« Berta raffte die Münzen an sich und schlüpfte durch den Spalt im Zelteingang, den ein Soldat schon geöffnet hatte.

»Vergiss aber nicht, Fita ihren Anteil zu geben. Ich werde sie später fragen«, rief Marie ihr nach.

»Warum zieht ihr zwei euch nicht aus?«, fragte die Beschließerin sie und Hiltrud spitz.

»Komm, Marie. Wenn die guten Leute schon dafür zahlen, sollen sie auch etwas zu sehen bekommen.« Hiltrud zog ihr Kleid über den Kopf, faltete es sorgfältig zusammen und legte es sich über den Arm.

Marie zögerte einen Moment, dann machte sie es ihrer Freundin nach. Sie hielt sich jedoch weiterhin im Hintergrund, während die Beschließerin eine Hure nach der anderen zu sich rief, sich die Zähne zeigen ließ und ihnen zwischen die Schenkel griff, um zu sehen, wie die Frauen dort beschaffen waren. Bei den meisten Huren schüttelte sie den Kopf und wies Giso an, sie auszuzahlen. Auf diese Weise lichtete sich die Runde im Zelt schon nach kurzer Zeit. Nur zwei jüngere Frauen, eine blond und eher zierlich gebaut, die andere brünett und mit ausladenderen Formen, durften bleiben. Nun trat die Beschließerin zu Marie und wollte ihr mit der Rechten ans Gesicht greifen, um ihre Zähne zu untersuchen. Marie fing ihre Hand ab.

»Ich lasse mir nicht mit den Fingern ins Gesicht fahren, mit denen du vorher die anderen Frauen unten angefasst hast. Wenn du meine Zähne sehen willst, hier sind sie.« Marie bleckte die Zähne und klopfte mit dem Fingerknöchel dagegen. »Wie du siehst, sind sie weiß, gesund und sitzen fest im Mund. Wenn du dich selbst davon überzeugen willst, dann wasch dir gefälligst vorher die Hände.«

»Das Weibsstück war vorhin schon recht aufsässig.« Giso sah so aus, als würde er Marie am liebsten aus dem Zelt werfen. Auch die Beschließerin wirkte abweisend. Hinter dem Vorhang erklang ein leiser Ruf, der die beiden zurückhielt. Die Beschließerin ging einmal um Marie herum, ohne sie jedoch zu berühren, und wandte sich Hiltrud zu.

»Ihr zwei könnt fürs Erste ebenfalls bleiben. Doch ich glaube, wir werden eine der beiden anderen Huren wählen.«

Marie hatte nichts dagegen, zu bleiben, denn sie war neugierig, wie das hier enden würde. Die Stimme hinter dem Vorhang war eindeutig die einer Frau gewesen. Marie achtete wieder mehr auf die leichten Bewegungen des Stoffes und spitzte die Ohren. Sie glaubte ein »Nein, die auch nicht« zu verstehen und wunderte sich nicht, als der Vogt der brünetten Hure ein paar Münzen reichte.

Die Frau schimpfte enttäuscht. »Euer Herr hält sich wohl für etwas ganz Besonderes. Ich habe schon unter Grafen und anderen großen Herren gelegen, und die waren alle mit mir zufrieden.«

»Verschwinde.« Das war Gisos einziger Kommentar. Die Frau fuhr auf und wollte ihm mit den Fingernägeln ins Gesicht fahren. Doch da wurde der Zelteingang geöffnet, ein baumlanger Soldat packte die Frau und warf sie trotz ihrer Fülle wie ein Bündel Lumpen hinaus. Giso hob ihr Kleid auf und schleuderte es hinter ihr her.

»So ein Miststück«, stöhnte er mit verzweifelter Miene. Marie sah ihm an, dass er sich weit weg wünschte.

Die Beschließerin winkte nun die kleine Blonde nach vorne und fragte sie aus. Die Frau schien nicht genau zu wissen, was sie antworten sollte, und reagierte auf einige der Fragen so schnippisch, dass Hiltrud Marie grinsend anstieß.

»Sieht so aus, als würde es doch auf eine von uns hinauslaufen.« Das schien auch die geheimnisvolle Person hinter dem Vorhang zu denken. Sie bekundete ihre Ablehnung mit einem kurzen Ruf, und Giso zahlte die Hure aus. Die Frau sah auf das Geld, das sicher das Mehrfache ihres normalen Liebeslohns betrug, und zuckte spöttisch mit den Achseln.

»Die wollen doch gar keine von uns mit auf ihre Burg nehmen«, sagte sie zu Marie und Hiltrud. »Gewiss sitzen hinter dem Vorhang ein paar geile Mannsbilder, die sich an unserem Anblick ergötzen wollen. Vielleicht kann der Ritter auch gar nicht mehr. Aber für das Geld kann er von mir noch eine Extravorstellung bekommen.« Sie quetschte einen Furz zwischen den Hinterbacken hervor und bückte sich dann nach ihrem Kleid. Da sah sie, dass Giso zornig die Hand hob, quietschte erschrocken auf und rannte davon.

»So, und nun zu euch beiden.« Giso war anzusehen, wie wenig es ihm gefiel, dass nur noch Marie und Hiltrud zur Auswahl standen. Doch bevor er weitersprechen konnte, hob Marie die Hand.

»Zuerst möchte ich etwas klarstellen. Meine Freundin und ich ziehen seit Jahren gemeinsam durch das Land, und wir werden uns auch jetzt nicht trennen. Entweder gehen wir gemeinsam mit euch, oder ihr bekommt keine von uns.«

Giso schlug mit der geballten Faust in die Hand. »Du bist das unverschämteste Ding, das mir je untergekommen ist.«

Eine energische Frauenstimme hinter dem Vorhang bremste ihn.

»Sei still, Giso. Es ist ihr Recht, sich nicht trennen zu wollen.«

»Wir brauchen aber nur eine Hure für den Herrn«, eilte die Beschließerin Giso zu Hilfe. »Ein zweites Weibsstück dieser Art macht uns nur die Männer auf der Burg verrückt.«

Die Dame lachte. »So dumm sehen die beiden nicht aus. Ich glaube, die können wir im Zaum halten.«

Der Vorhang öffnete sich, und eine Frau trat heraus. Sie war so groß wie Marie, aber gewiss schon Mitte zwanzig und trug ein weites, besticktes Kleid, das ihren von der Schwangerschaft gerundeten Leib nicht mehr verbergen konnte. Ihr Gesicht war weder hübsch noch hässlich, wirkte aber angenehm und freundlich, und ihre langen, blonden Flechten verliehen ihr ein hoheitsvolles Aussehen.

»Ich bin Mechthild von Arnstein«, stellte sie sich vor. »Wie ihr seht, bin ich guter Hoffnung und muss das Bett meines Gemahls bis nach der Niederkunft meiden. Ich will meinen Gemahl den Winter über jedoch nicht ohne Beischläferin lassen.«

Hiltrud sah sie verständnislos an. »Da sucht Ihr eine Hure für Euren Gemahl? Eine Bauernmagd wäre viel billiger.«

»Mein Gemahl mag kein zappelndes Ding im Bett, das vor Angst fast vergeht, sondern eine gesunde, kräftige Frau, die ihm Freude spenden kann.«

»Wenn Ihr eine kräftige Frau sucht, dann nehmt meine Freundin Hiltrud. Sie ist sehr stark.« Dafür erntete Marie einen bitterbösen Blick ihrer Freundin.

Um die Mundwinkel der Edeldame zuckte es belustigt. »Deine Gefährtin ist eine ansehnliche Erscheinung. Nur besitzt mein Gemahl … hm, sagen wir einmal: keine Reckengestalt. Er würde es wohl kaum gutheißen, wenn ich ihm eine Gespielin zuführe, die größer ist als er. Aber du gefällst mir. Darum habe ich dich ausgewählt.«

Marie hob abwehrend die Hände. »Mich?«

»Was ist daran so verwunderlich?«, fragte die Dame lächelnd.

»Du bist außergewöhnlich hübsch und nicht auf den Mund gefallen.«

»Das ist sie wahrlich nicht«, setzte Giso säuerlich hinzu.

Marie wand sich innerlich. Irgendetwas schien ihr nicht zu stimmen. »Warum sucht eine Dame wie Ihr eine Hure für Euren Gemahl? Das ist doch keine Aufgabe für eine christliche Ehefrau.«

»Das geht dich nichts an, Mädchen«, fuhr die Beschließerin auf. Ihre Herrin winkte ihr, zu schweigen. »Ich wünsche Harmonie in meinem Haushalt. Dazu gehört auch, dass mein Gemahl nicht knurrig herumläuft, nur weil er sich nicht als Mann beweisen kann. Ich dulde es aber auch nicht, dass er sich an meine Mägde heranmacht, wie mein Vater es tat. Jedes Mal, wenn meine Mutter schwanger war – und das war sie oft –, holte er sich eine ihrer Mägde ins Bett. Die frechen Dinger bildeten sich wunder was darauf ein, drückten sich vor der Arbeit und gaben meiner Mutter nur noch patzige Antworten.«

Mechthild von Arnstein sah nicht so aus, als würde sie ein solches Verhalten bei ihrem Gesinde dulden. Dafür wirkte sie zu resolut. Noch während Marie über das Angebot nachdachte, sprach die Dame weiter.

»Mein Gemahl lacht mich zwar wegen meiner übertriebenen Vorsicht aus und meint, er könne die vier oder fünf Monate, die er mein Lager meiden muss, durchaus auf eine Frau verzichten. Aber ich kenne die Männer. Wenn der Winter sie in den Gemächern einschließt und sie keinen Trost im Bett finden, kommen sie früher oder später auf abwegige Gedanken oder werden gemütskrank.«

Marie nickte und zählte dann kurz nach. »Fünf Monate sagt Ihr? Das wäre Mitte Februar. Das ist zu früh, um weiterziehen zu können. Wir brauchen eine Unterkunft bis Mitte März oder, bei schlechtem Wetter, Anfang April. Ich möchte ungern mitten im Schnee auf die Straße getrieben werden.«

»Das wird nicht geschehen«, versprach Mechthild von Arnstein.

»Ihr werdet bis zum Frühjahr unsere Gäste sein, auch wenn ich euch nicht mehr benötige.«

Marie wiegte zweifelnd den Kopf, während Hiltrud sie verstohlen anstupste. »So schlecht ist die Idee gar nicht. Wir säßen den ganzen Winter über im Trockenen und brauchten kein Geld für Unterkunft und Verpflegung auszugeben.«

Mechthild von Arnstein lächelte Marie aufmunternd zu. »Deine Gefährtin hat die Vorteile unseres Angebots begriffen.«

Marie seufzte schon halb zustimmend. »Wie ist Euer Gemahl? Ich suche mir die Männer, die ich in mein Zelt lasse, sorgfältig aus. Ein grober Kerl, der Frauen im Bett wehtut, bleibt mir vom Leib.«

Die Dame lächelte versonnen. »Da brauchst du dich nicht zu sorgen. Mein Gemahl war mir immer ein zärtlicher Bettgenosse.«

»Was soll die Ziererei, Marie?«, fragte Hiltrud gereizt. »So eine Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder.«

Marie schloss kurz die Augen und horchte in sich hinein. Hiltrud hatte Recht. Würde sie zustimmen, wären sie über den Winter versorgt und würden nichts von ihren hart erarbeiteten Ersparnissen ausgeben müssen. Vielleicht verdiente sie sogar genug, um im nächsten Frühjahr noch einmal jemanden nach Konstanz schicken zu können. Sie musste sich nur einen zuverlässigeren Boten aussuchen als den lockeren Vogel von Sänger, auf den sie beim letzten Mal hereingefallen war.

Sie atmete tief durch und nickte. »Ich bin bereit.«

Die Wanderhure
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