Kapitel 3
Glauben Der Gott im Gehirn
Als ich etwa dreizehn Jahre alt war, hatte ich eine Erleuchtung. Damals spazierte ich auf eine eigentümliche Weise von der Schule nach Hause, denn ich stellte mir vor, die herabgefallenen Herbstblätter seien Tretminen, die ich nicht berühren dürfte. Während ich so im Zickzack die Straße hinunterlief, ging auch mein Geist auf Wanderschaft. Damals war ich überzeugt, dass Gott die Gedanken aller Menschen hören könne. Ich versuchte oft, einen Gedanken zu fassen, ohne ihn lautlos im Geiste zu sprechen. Irgendwie hoffte ich, dass solche Gedanken Gott verborgen bleiben würden. Ich entwickelte sogar eine Methode, im Vordergrund meines Gedankenraumes lautlos zu sprechen, zum Beispiel ein Gedicht aufzusagen, während ich im Hintergrund ungestört meinen eigentlichen Gedanken nachging, so wie Geheimagenten im Film die Musik lauter drehen, damit sie nicht abgehört werden können. Doch mir wurde schnell klar, dass alle Tricks vergeblich waren. Wenn Gott allmächtig ist, dann kann er auch die Hintergrundgeräusche wahrnehmen. Doch dann kam mir plötzlich ein anderer Gedanke: Warum soll ich überhaupt annehmen, dass mir jemand zuhört? Darauf gab es keine Antwort. Und so wurde ich Atheist.
Vielleicht hat es geholfen, dass ich nicht in einer religiösen Familie aufgewachsen bin, denn die meisten Gläubigen glauben das, was ihre Eltern glauben. Der Nichtglaube fällt leichter, wenn man niemals gebetet hat oder von den Nachbarn komisch beäugt wurde, weil man sonntags nicht in der Kirche war. Natürlich gehört zu einem ausgereiften Atheismus mehr als nur der Zweifel daran, dass man von ganz oben abgehört wird. Doch die Frage «Warum soll ich diese Annahme machen?» charakterisiert ein Grundmotiv der atheistischen Skepsis. Weitaus komplexer ist die Frage: Warum glauben überhaupt so viele Menschen an höhere Wesen oder eine höhere Kraft? Die elterliche Autorität allein kann das nicht erklären. Aber vor allem: Wer ist das eigentlich, Gott?