16
Sechs Monate später
Sophie lag auf ihrem Sofa und las ein Buch, als sie den Schlüssel im Schloss hörte. Frank kam nach Hause. Sie sprang auf und lief ihm entgegen.
„Hallo, mein Schatz“, begrüßte sie ihn mit einem leidenschaftlichen Kuss.
Frank erwiderte ihren Kuss und streichelte ihren gewölbten Bauch.
„Wie geht es euch beiden?“
„Ach, uns geht es gut. Was hast du da?“
Sie zeigte auf einen Umschlag, den er in seiner rechten Hand hielt.
„Kommissar Schmidt war bei mir und hat mir das hier gegeben. Es ist ein Brief von Uta. Sie macht große Fortschritte“, erzählte er, während sie ins Wohnzimmer gingen und sich setzten.
„Stell dir vor, Philipp hat sie fünf Jahre gefangen gehalten und mit Drogen vollgepumpt. Utas Angehörige hatten sie bereits für tot erklärt, nachdem die jahrelange Suche erfolglos geblieben war.“
Er hielt inne, da er bemerkte, wie bleich Sophie wurde, als sie den Brief in ihren Händen hielt.
„Entschuldige, ich hatte ganz vergessen, dass du in deinen Träumen alles erlebt hast“, bedauerte er.
Sophie lächelte beruhigend.
„Schon gut, es ist vorbei. Was diese Frau durchleben musste, war viel schlimmer. Wird sie denn je ein normales Leben führen können?“
Sophie betrachtete skeptisch den Umschlag. Sie hatte Angst, es könnte etwas drinstehen, was sie nicht erfreuen würde.
„Der Kommissar meinte, dass sie in guten Händen sei und es durchaus möglich wäre“, entgegnete er.
„Aber diese Albträume, Frank. Mir ist noch immer unbegreiflich, wieso ich all das im Traum durchlebt habe.“
Er streichelte ihre Wange.
„Das wird wohl ein großes Rätsel bleiben. Die Ärzte halten sich bedeckt, was Erklärungen angeht. Ich vermute, dass durch deine Vorgeschichte dein Unterbewusstsein für ihr Leid offen war und du all ihre Qualen so deutlich spüren konntest“, antwortete er. „Nehme es als Gabe an, als Segen – du hast ihr das Leben gerettet.“
„Dann waren diese schrecklichen Träume nicht umsonst“, flüsterte sie und legte den Brief ungeöffnet beiseite.
„Gibt es was Neues? Haben sie Betty gefunden?“, fragte sie neugierig.
Er atmete tief, als wollte er diese Frage nicht beantworten. Sophie kannte ihn nur zu gut und wusste, wenn er etwas vor ihr verbergen wollte.
„Sie haben nochmals die ganze Gegend abgesucht, aber weder eine Leiche noch eine Verletzte gefunden. Auch die Suche in den umliegenden Krankenhäusern ist weiterhin erfolglos geblieben. Sie ist nach wie vor wie vom Erdboden verschluckt.“
Frank nahm sie in den Arm.
*
Auf der anderen Straßenseite stand eine Frau angelehnt am Gemäuer. Sie trug Lumpen und rings um sie schwebte ein beißender Schweißgeruch.
Ihr fettiges dünnes Haar klebte an ihrem Kopf und ihre Augen starrten auf das gegenüberliegende Gebäude.
Sie lief über die Straße. Dabei zog sie ihr rechtes Bein nach, bis sie am Hauseingang ankam.
Mit ihren vom Rauchen vergilbten Fingern, die Fingernägel lang und schwarz vor Dreck, glitt sie sanft über die Reihe der Klingelschilder. Sie suchte nach einem bestimmten Namen.
Plötzlich stoppte sie und fuhr zärtlich mit ihrem Zeigefinger über eines der Schilder, als wollte sie klingeln, tat es aber nicht.
Betty lächelte zufrieden.
„Ich habe euch gefunden.“
* Ende *