Tiefpunkt Entspannung

Sonst lag ich immer mit dem Rücken zu den Frauen, mit denen ich zuvor Sex gehabt hatte. War gar nicht persönlich gemeint, aber es hat eben jeder Mensch so seine Gewohnheiten. Diesmal nicht. Wir liegen auf der Seite, ich hinter ihr, mein Arm auf ihrer Hüfte. Ich will ja nicht übertreiben, aber das war wirklich die schönste Nacht meines Lebens. Es hat sich etwas verändert zwischen uns. Wir sind uns näher, körperlich, menschlich. Ich muss Anne endlich beichten, dass es nur eine Redakteursstelle gibt. Wir werden niemals Konkurrenten sein, sondern gemeinsam eine Lösung für mein Dilemma finden. Gemeinsam. Klingt gar nicht schlecht.

Ich rolle mich auf die andere Seite, sodass wir einander zugewandt auf dem Bett liegen. Anne hat die Augen schon geöffnet. Sie sieht glücklich aus. Hinter dem Vorhang zu Leonies Kinderbett höre ich gleichmäßiges Atmen. Auch ich schlafe ja am liebsten lang.

»Anne«, beginne ich und versuche meinen Morgenatem nicht in Richtung ihrer Nase zu lenken. So kann ich ihr zwar nicht in die Augen sehen, aber sie starrt eh an die Decke. »Ich muss dir etwas sagen.«

Ein Lächeln zieht über ihren Mund. Es ist ein trauriges Lächeln, ergeben, fast schon erleichtert. Wie bei Angehörigen von lang verschollenen Verwandten, wenn ihnen die Polizei endlich die schlimmste aller Nachrichten überbringt.

»Ist schon okay«, sagt Anne leise und stiert weiter nach oben. »Ich weiß, Beziehungen machen für dich keinen Sinn«, zitiert sie. »Das Überleben der Menschheit hängt davon ab, dass wir unsere Sexualpartner wechseln.«

Das wollte ich doch gar nicht sagen. Diesmal nicht.

»Es war sehr schön«, flüstere ich.

Annes Augen schimmern mit einem Mal ein wenig glasig, das ist ja manchmal so, morgens, wenn man gegähnt hat.

»Caspar, ich heirate in zwei Wochen den Vater meiner Tochter.«

»Ja, dazu muss ich dir auch noch etwas sagen.«

Ihre Gesichtszüge verhärten sich. »Bitte fang nicht wieder damit an.«

»Das wollte ich doch gar nicht.«

Sie setzt sich im Bett auf. »Wolltest du mir erzählen, dass Leonhardt ein Lügner ist und mich nicht verdient hat? Wolltest du mich bitten, ihn nicht zu heiraten?« Ihr Ton klingt jetzt fast verzweifelt, ungläubig. »Wolltest du mir einen Heiratsantrag machen?«

Ich schüttele ehrlich den Kopf. Aber Anne hat längst die emotionale Lawine losgetreten.

»Was wolltest du dann? Mir sagen, dass die letzte Nacht ein Fehler war? Dass du so durcheinander gewesen bist nach der langen, kalten Wanderung? Dass du auch nicht weißt, was da über dich gekommen ist? Oder wolltest du irgendwas anderes sagen, was du in solchen Situationen immer zu den Frauen sagst? Du kennst dich da besser aus. Verdammt, ich habe gerade zum ersten Mal meinen Verlobten betrogen!« Man könnte die Sache auch so auslegen, dass Anne mich mit ihrem Verlobten betrogen hat, bedenkt man, dass wir zuerst Sex hatten, aber den Gedanken behalte ich besser für mich.

Leonie, die während Annes Wutausbruch schon im Halbschlaf ein bisschen gemeckert hat, fängt an, richtig zu weinen. Anne steht auf, nimmt sie auf den Arm und schmiegt sie an sich – oder sich an sie.

Jetzt kullern auch Anne die Tränen über die Wangen.

»Ich habe echt geglaubt, du könntest dich ändern, ich könnte dich ändern. Weil ich es beim letzten Mal gar nicht versucht habe.« Während sie Leonie wickelt, erzählt sie mir, dass sie gestern mit Nadine im Spa war. Den ganzen Tag über habe ihre Kollegin versucht, mich schlechtzumachen.

»Sie sagte, du bist kein Familienmensch und würdest auch nie einer werden. Du seist jemand, der Frauen belügt, auch sie. Und mich. Stimmt das?«

Sie sieht mich herausfordernd an. Jetzt oder nie – auch wenn es nicht der beste Zeitpunkt ist.

»Anne, nur einer von uns kriegt den Job.«

Anne setzt sich aufs Bett. Jede Farbe, selbst die Zornesröte, ist aus ihrem Gesicht gewichen.

»Du verarschst mich.« Sie rückt von mir ab. Ich schließe die Augen. Aber die Wahrheit bleibt. Es ist Zeit, reinen Tisch zu machen.

»Herr Schade hat mir gestern erzählt, dass er nur eine Stelle zur Verfügung hat – ganz gleich, ob halbtags oder nicht. Die Anwärter darauf sind Nadine, du und ich.«

Anne sieht mich fassungslos an. »Seit wann weißt du das?«

Ich mache eine Pause, vielleicht weil mir das alles ein bisschen viel am Stück erscheint. Aber in zwei Teilen wird die Botschaft auch nicht leichter erträglich.

»Seit gestern. Aber schon direkt nach der Themenkonferenz vor zwei Wochen hat mir Schade erzählt, er wolle dich gar nicht wirklich einstellen. Selbst wenn du diese Halbtagsstelle kriegst – nach einem halben Jahr würde dir betriebsbedingt gekündigt werden.«

Anne starrt mich an, als hätte ich mir gerade das Gesicht wie eine Latexmaske vom Kopf gezogen und darunter wäre eine Mischung aus Predator und Hugh Hefner zum Vorschein gekommen.

»Das Doppelbett, das Schrankklo, der Familiencontest, das Tanzen, die Therme – die ganze Zeit über hast du gewusst, dass ich das umsonst mache? Für nichts?«

Leonie will zu mir kommen. Ich strecke meine Hände aus, aber Anne hält ihre Tochter zurück. Sie deutet mit dem Zeigefinger auf mich und dann zur Tür. »Raus aus meinem Zimmer!«

»Das ist auch mein Zimmer. Bitte beruhige dich.«

Denn um ganz ehrlich zueinander zu sein, muss ich ihr noch von meinem Verriss erzählen. Doch anstatt einen Gang herunterzuschalten, stürmt sie an mir vorbei zur Tür, reißt sie auf und deutet mit der Hand nach draußen.

Dort steht Jeannie mit einem schwitzenden, dicken Kerl, den ich hier noch nie gesehen habe. Wahrscheinlich will er sich wegen gestern Nacht beschweren. Unter seinen Arm hat er ein Kuvert geklemmt.

»Ein Kurier für Herrn Hartmann«, stellt Jeannie vor, macht auf dem Absatz kehrt und eilt mit schnellen Schritten zu den Aufzügen. Der Mann vor uns starrt die zornige Anne an. Ich versuche, mich zur Tür durchzudrängen, denn ich ahne schon, was in dem Umschlag steckt.

»Was?«, faucht Anne den Mann an.

»Kuriersendung. Für Caspar Hartmann persönlich«, stammelt er.

Mit einem Ruck reißt ihm Anne das Kuvert aus der Hand und wirft einen Blick darauf. »V. T. Labs, München? Vielleicht Post von einer deiner Verehrerinnen?«

Der Kurier schaut verlegen zu mir. Weil ich ihn jetzt auch böse anstarre, richtet er seinen Blick auf Leonie, die vorsichtig hinter dem Sessel hervorschaut.

»Sie hat genau Ihre Augen«, versucht er, Schönwetter zu machen, während ich das Papier auf seinem Klemmbrett unterschreibe. Als ihm klar wird, was er da gesagt hat, beißt er sich auf die Unterlippe, nimmt die Unterschrift entgegen, schlägt die Fersen zusammen wie ein Soldat und rennt davon.

»Anne, der Brief ist für mich«, versuche ich es vorsichtig.

Aber sie funkelt mich nur böse an. »Hast du Angst, ich würde ihn lesen? Was steht drin? Geheime Anweisungen von Schade – wie du dich verhalten sollst, nachdem du mich gevögelt hast?«

»Bitte gib mir den Umschlag!«

Sie reißt ihn auf und nimmt ein paar aneinandergeheftete Bögen Papier heraus. Voller Verachtung beginnt sie zu lesen, als wäre das genau der Brief, den sie erwartet hätte. Ist er aber wohl nicht. Anne erblasst. Ihr Oberkörper wankt, ihr rechtes Bein knickt etwas ein, sie muss sich gegen eine Wand lehnen. Seite für Seite blättert sie um. Ich erkenne Tabellen, Ziffern, Grafiken, Laborwerte. Ade, du schöner Traum von einem gemeinsamen Neuanfang.

Schließlich faltet sie das Schreiben in der Mitte und versucht, es zurück in den Umschlag zu stecken. Das gelingt ihr nicht sofort, weil ihre Hände zu stark zittern. Sie atmet ein, atmet aus und hält mir Brief und Umschlag hin. Ich nehme ihr beides aus der Hand. Ihre Stimme ist ganz leise – wie die einer Rächerin, die weiß, dass sie die Moral auf ihrer Seite hat.

»Du hast gegen meinen Willen einen Vaterschaftstest machen lassen?«

Leonie läuft zu Anne und schmiegt sich an das Bein ihrer Mutter. Die hebt ihre Tochter hoch. Da stehen die beiden, noch immer in ihren Nachthemden, auf dem Teppichboden des Hotelflurs. Leonie streckt mir die Arme entgegen.

»Papa Arm!«, fordert sie. Offenbar merkt sie, dass ihre Mutter gerade nicht so stabil ist.

Anne sieht sie ernst an. »Nein, Leonie. Das hier ist nicht dein Papa. Und er wird es auch nie sein.«

Dann rauscht sie an mir vorbei und knallt die Tür zu.

Ich stelle mich unter das kalte Licht eines Spots im Flur und schlage den Brief des Labors auf. Die wichtigste Info finde ich ganz hinten: Mit einer Wahrscheinlichkeit von einhundert Prozent bin ich nicht Leonies Erzeuger.

Keine Ahnung, wie lange ich auf dem Flur stehe. Irgendwann kommt Stanley Fröhlich auf Krücken angehumpelt und nimmt mich mit in den Speisesaal. Dabei habe ich keinen Hunger. Ich habe gar nichts mehr.

Zum Frühstücken setzen wir uns auf die Sonnenterrasse, da kann ich wenigstens rauchen.

Stanley Fröhlich erklärt mir, dass er sich auf eigenen Wunsch entlassen hat. Der Knöchel sei glatt gebrochen und wurde eingegipst: »Heutzutage wird eh nicht mehr operiert.« Der Arzt hat ihm Ruhe verordnet, Stanley soll sein Bein hochlegen, am besten im Bett. Deshalb will er abreisen.

»Können wir die Herausforderung vielleicht um ein Jahr verschieben?«, fragt er. Nichts lieber als das – wenn ich bis dahin eine neue Familie gefunden habe. Dieser Contest liegt gefühlt gerade weiter entfernt als die Teilnahme an einer Castingshow mit Dieter Bohlen.

Stanley hat mir ein Dossier aus seinen Erfahrungen vom vergangenen Familiencontest zusammengestellt: alle Fragen, alle Kniffe, dazu ein paar Erziehungs- und Beziehungstipps. Er zwinkert wie Peter Lustig. »Du hast noch zwei Tage Zeit – wenn du alles machst, was hier drinsteht, dann kriegst du den Platinbubsi hinterhergeschmissen.«

Ich starre die Mappe an und erzähle Stanley von meinem Streit mit Anne.

»Liebst du sie?«, fragt er.

Ich schüttele den Kopf. »Sie ist gar nicht mein Typ. Wir verstehen uns nur gut im Bett.«

Stanley sieht mich an, als hätte ich gerade behauptet, dass die Sonne jeden Abend ins Meer fällt. »Ihr harmoniert doch gut.«

»Du spinnst wohl! Sie hat mich rausgeschmissen.«

»Kann dir doch egal sein. Du machst das hier ja nur, weil du einen Verriss darüber schreiben musst, um noch mehr Frauen ins Bett zu kriegen.«

»Um Nachtlebenkolumnist zu werden«, stelle ich richtig.

Er lächelt wie ein sehr dünner Buddha. »Du hast zwei Möglichkeiten: Du entscheidest dich entweder für die Familie oder gegen sie. Muss eh jeder irgendwann mal machen. Ist ganz einfach.«

»Aber Anne hört mir nicht mehr zu. Das kann ich ihr nicht einmal übel nehmen.«

»Dann schreib ihr halt. Du hast mir doch erzählt, dass du eigentlich Journalist bist.«

In diesem Moment kommt Frau Fröhlich mit den Kindern auf die Terrasse. Sie hat die Sachen ins Auto geladen. Stanley und ich verabschieden uns mit Handschlag. Er drückt mir seine Mappe in die Hand und besteht darauf, dass ich sie annehme. Eines will ich aber noch wissen.

»Stanley, hast du mir den kleinen Steinzeithund für Leonie ins Fell gesteckt? Wenn er wirklich so alt ist, gehört er in ein Museum.«

Stanley zieht mich zu sich heran und flüstert mir ins Ohr: »Spielzeug gehört in Kinderhände, nicht ins Museum.«

Wir umarmen uns, wie echte Freunde es tun – ohne Abstand zwischen den Herzen. Ich sehe ihm hinterher, wie er, gestützt von seiner Frau, zum blauen Touran humpelt. Die Kinder winken vom Rücksitz. Am Heck des Wagens lese ich »Immer Fröhlich bleiben« und werde noch trauriger.

An der Rezeption stehen Anne, Mr. Perfect und Leonie.

»Möchten Sie auch auschecken?«, fragt mich Jeannie.

»Nein, warum?«

»Weil Ihre Familie gerade auscheckt. Aber Sie können natürlich gern noch bleiben – wäre nicht das erste Mal, dass Familien gemeinsam an- und getrennt abreisen.«

Ich sehe die drei fragend an. Mr. Perfect trägt Leonie auf dem Arm, Anne füllt hoch konzentriert eine Hotelgastumfrage aus. In die Rubrik »persönliche Stimmung beim Verlassen des Hotels« schreibt sie: »Fuck off and die!«

Ich stelle mich neben sie.

»Anne, egal, was war – wir haben Herrn Schade unser Wort gegeben, dass wir diese Sache durchziehen. Wenn du jetzt abreist, war alles umsonst.«

Anne malt noch ein paar Totenköpfe in das Formular.

Mr. Perfect legt den freien Arm um seine Frau. »Vielleicht hat er recht. Wenn du vorzeitig abreist, gibst du deinem Chef doch nur einen Grund, dich rauszuschmeißen. Dann war der ganze Zirkus hier umsonst. Denk an deine Halbtagsstelle.«

Nanu? Ist der jetzt plötzlich auf meiner Seite? Ich dachte eher, er hätte Anne zu guter Letzt noch von meinem Geheimauftrag erzählt. Wahrscheinlich ist das einfach die Arroganz des Siegers. Anne schüttelt seinen Arm ab.

»Ich glaube, du hast dir in den Bergen irgendwie das Hirn verkühlt. Schade wollte mir nie die Halbtagsstelle geben, und das wird er auch nicht, egal, was ich mache. Es sei denn …« Sie legt den Kopf schräg und kreuzt die Arme vor der Brust. ». . . ich steche Caspar Hartmann aus. Genau so, wie er mich ausstechen wollte. Ich grätsche ihm rein, mache ihn fertig, schreibe den besseren Artikel und hole mir auf ganz legalem Weg seinen Job – so, wie es ein Mann machen würde.«

»Schade wird da nicht mitspielen«, bemerke ich.

Aber Anne würdigt mich keines Blickes. Stattdessen wendet sie sich an Jeannie. »Oh doch, das wird er. Weil ich Betriebsrätin bin, studierte Journalistin und kein Nightlife-Jungredakteur.« Bei den letzten Worten verzieht sie ihr Gesicht, als würde sie den Internetverlauf des einzigen Computers einer Bohrinsel lesen. Dann wendet sie sich wieder an ihren Verlobten.

»Mit dem ganzen Theater ist jetzt Schluss. Zimmertausch! Caspar zieht in die Onkel-Suite, und ich bleibe die letzten Tage bei meiner echten Familie.«

Jeannie lächelt. Anne grinst sie offensiv an.

»Ja, Sie haben richtig gehört: Dieser große, starke, gut aussehende Typ und ich, wir heiraten in zwei Wochen!«

»Na, da gratuliere ich aber«, entgegnet Jeannie.

»Deshalb werde ich mir auch mit ihm den Platinbubsi holen und nicht mit Herrn Hartmann.« Sie überlegt kurz. »Wenn Sie den sehen – richten Sie ihm bitte aus, dass er sofort seine Sachen aus dem Zimmer holen soll. Wir beide sind nämlich ab sofort Konkurrenten. Er weiß dann schon, worum es geht. Danke.«

Nach dieser Ansage verschwindet sie mit ihrer Familie in Richtung Fahrstühle – wahrscheinlich um Herrn Schade zu suchen. Wenn ich er wäre, würde ich Anne nicht widersprechen.

Anne will den Kampf, sie soll ihn bekommen. Möge der Bessere gewinnen – und nicht die Bessere.

Jeannie lächelt weiterhin wie ein Roboter. Ich stütze mich auf den Empfangstresen, als wäre er Teil einer Bar.

»Was kostet es mich, wenn Sie die ganzen Verwandtschaftsprobleme ausblenden und uns einfach die Zimmer wechseln lassen?«

Jeannie zückt einen kleinen Taschenrechner und tippt munter drauflos. »Das wären dann insgesamt fünfhundert Euro, ohne Steuern, nur Barzahlung.«

Ich nicke und lasse mir den Weg zum nächsten Geldautomaten beschreiben.

»Heute um acht findet übrigens die Siegerehrung vom ›Paleo-Cup‹ statt«, ruft mir Jeannie hinterher. »Sie sollten unbedingt hingehen.«

Der Psychologe sitzt wieder einmal mit seiner Zeitschrift in der Lobby und beobachtet die Gäste. Ich grüße ihn mit Kopfnicken. Er klappt die Zeitschrift zu und will mich zu sich winken, aber ich nicke nur und gehe schnell weiter. Noch jemanden, der in meinem Kopf herumpfuscht, kann ich jetzt beim besten Willen nicht gebrauchen.

Bis zur Siegerehrung räume ich meine Sachen aus dem Zimmer in Mr. Perfects riesige Suite. Eigentlich ist doch alles perfect: Hier stinkt es nicht nach Windeln, nirgendwo liegt Spielzeug herum, keine Kindersicherungen in den Steckdosen, die Lautstärke der Stereoanlage ist nicht reguliert, und vor allem bin ich ganz allein. Zu guter Letzt erinnert mich alles an meine heiße Nacht mit Adoré. Aber genau das fühlt sich seltsam belanglos an.

Ich lege mich auf das zwei mal zwei Meter große Bett und zappe mich durch die neuesten Actionfilme – sie erscheinen mir seelenlos. Vielleicht sollte ich mal auf den Kinderkanal schalten?

Noch einmal lese ich meinen Artikel. Viel zu korrigieren gibt es nicht, er ist genau so, wie ihn Herr Schade bestellt hat. Am besten, ich gebe ihm den Text gleich heute Abend auf der Paleo-Verleihung. So steche ich Anne noch aus. Klar, vielleicht hat sie schon mit Schade geredet, über weibliche Leser, ihre Qualifikationen und all das, aber wenn ich dem Chef einfach genau den Text in die Hand drücke, den er bestellt hat, kann Anne einpacken. Blöderweise macht mich dieser Gedanke nicht so glücklich, wie er sollte.

Um mich abzulenken, vertiefe ich mich in Stanleys Dossier. Eigentlich gar nicht so uninteressant, was er da zusammengestellt hat: die wichtigsten Fragen und Antworten zur Erziehung, von A wie Aufstehen bis Z wie Zuhören. Könnte man glatt ein Buch draus machen.

Für die Siegerehrung des »Ötzi-Paleo-Cups« hat Adoré den Speisesaal in eine Art multihistorischen Bankettsaal verwandeln lassen. Zum Glück dürfen die Gäste auch in Anzug oder Kleid kommen – allein der Gedanke daran, noch einmal ein Fell überzuziehen, lässt mich frösteln.

Zur Pressekonferenz sind jede Menge Journalisten angereist. Anstatt sich unter die Gäste und Paleos zu mischen, sitzen sie mit redaktioneller Distanz hinten rechts oder links – je nach Ausrichtung ihres Mediums. Aber diesmal haben offenbar nicht nur die Lokalblattschreiber ihre freien Mitarbeiter zur Hofberichterstattung geschickt, ich erkenne auch die kritischen Kollegen der bundesweiten Münchner Medienhäuser, zum Beispiel einen glatzköpfigen Meinungsmacher der »Allgemeinen Nachrichten«. Sogar ein paar Kamerateams von öffentlich-rechtlichen und Privatsendern haben ihre Stative direkt vor Adoré aufgebaut.

Allerdings sind viele der bekannten Gäste nicht anwesend: Stanley Fröhlich weg, die Eisensteins sowieso, die Architekten essen heute auswärts. Leonie und Anne kann ich nirgends entdecken, doch Mr. Perfect sitzt vorne, links neben meinem Chef. Auf dessen rechter Seite ist noch ein Platz frei. Trifft sich gut, dann kann ich ihm endlich den Speicherstick mit meinem Text geben und die Sache abhaken. Zu meiner anderen Seite setzt sich der Psychologe. Für ihn muss dieser Auflauf an Tierfellträgern ein Analyseparadies sein.

»Sie haben Ihrem Konkurrenten das Leben gerettet«, lobt er mich. »Sehr gut gemacht: Wahrscheinlich wird es in diesem Jahr zum ersten Mal einen Bubsi aus Platin geben.« Ich danke ihm aufrichtig und wende mich nach links zu Herrn Dr. Schade.

»Ich habe noch etwas für Sie!«

Schade nickt. »Ihre Kollegin hat mir heute Morgen im Spa-Bereich eine ziemliche Szene gemacht.«

»Ja, so ist sie«, entgegne ich vertrauensheischend.

Mein Chef kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Sie will die Stelle und ist bereit, dafür sogar auf die Hälfte ihres Gehalts zu verzichten. Offenbar ist es ihr wichtiger, Ihnen eins auszuwischen.«

Ich stutze. Das hätte ich Anne nicht zugetraut. »Wollen Sie jetzt also einen Text drucken, der sich für die Familie ausspricht?«, will ich wissen.

Schade schüttelt den Kopf. »Ich habe ihr gesagt, sie soll einen Verriss schreiben – aber einen qualifizierten Verriss aus der Sicht einer Mutter, der genau erklärt, warum sich solche Familienhotels nicht mit einer pädagogischen Betreuung in Einklang bringen lassen. Keine schlechte Idee, oder?« Mein Chef dreht sich zu mir. »Wissen Sie, Caspar, mir ist es, ehrlich gesagt, völlig egal, wer die Stelle bekommt. Wer den besseren Artikel schreibt, gewinnt.«

»Haben Sie ihr von meinem Geheimauftrag erzählt?«

»Nein, sie glaubt immer noch, dass Sie sich dem Thema Familie öffnen sollten. Aber mittlerweile hat sich das für Sie endgültig erledigt, nehme ich an.« Er öffnet die Hand und streckt sie aus. »Ihren Artikel, bitte.«

Ich greife in die Tasche und fühle das Plastik des Speichersticks. Da höre ich, wie Adoré die Pressekonferenz für eröffnet erklärt. Herr Schades Aufmerksamkeit richtet sich wieder nach vorn.

Pflichtschuldig lichten ein paar Fotografen die schöne Pressesprecherin ab, während Adoré sich mit leuchtenden Augen bei allen Teilnehmern und Kooperationspartnern bedankt. Danach zeichnet Frau Sommer die Sieger des »Ötzi-Paleo-Cups« aus: drei blonde, langhaarige Bergburschen, die in ihrer Dankesrede beweisen, dass sie sich auch rhetorisch an der Jungsteinzeit orientieren. Doch keiner der Kollegen gerät in die übliche Hektik. Stattdessen starren alle auf die Bühne, als würden sie darauf warten, dass Frau Sommer irgendein schmutziges oder gesellschaftlich relevantes Geheimnis gesteht.

Zu guter Letzt erwähnt die Hoteldirektorin, dass es noch einen »wahren Helden des ›Ötzi-Paleo-Cups‹« gibt. Plötzlich wirkt sie bedrückt, fast traurig. Sie schluckt, bevor sie noch einmal ans Mikrofon tritt.

»Einer unserer Stammgäste hat sich beim ›Paleo-Cup‹ den Knöchel gebrochen. Wie in solchen Notsituationen üblich, ist einer aus seinem Dreierteam bei dem Verletzten geblieben. Der andere ist aufgebrochen, um Hilfe zu holen. Aber auch er hat sich im Schneesturm verlaufen.«

Aha – das ist nun also die offizielle Sprachregelung: Verlaufen klingt besser als verraten oder im Stich gelassen. Ich sehe Frau Sommer an und schüttele den Kopf. Klar, ich könnte jetzt einen Aufstand machen und vor der versammelten Presse Mr. Perfect bloßstellen. Aber damit schade ich nur Anne. Meine Rache an dem Hotel trage ich in der Tasche.

»Also hat unser Gast den Verletzten zurück auf den Weg getragen, dafür gesorgt, dass er medizinisch versorgt wird, und ihm damit das Leben gerettet. Ein wahres Vorbild für Groß und Klein. Deshalb zeichnen wir ihn heute als Gast der Woche aus: Caspar Hartmann.«

Die ersten Gäste fangen an zu klatschen, die Steinzeitfans imitieren Hundegebell.

Mr. Perfect tritt ans Mikrofon, offenbar ist der Arsch nicht nur mein Vorgänger in dem Amt, sondern auch noch mein Laudator. Ausführlich erzählt er von meinem Ohnmachtsanfall letzte Woche. Einige meiner Kollegen grinsen und machen sich Notizen. Wie schön, morgen weiß ganz München, dass ich in der Sauna umgekippt bin.

Dann ruft er mich auf die Bühne. Dort nimmt er seinen bescheuerten Anstecker vom Revers, klappt die Nadel aus und versucht, sie mir ans Hemd zu stecken. Dabei piekst er mir in die Brust.

»Halt still«, zischt er mir zu. »So ist es für alle am besten.«

»Wo sind Anne und Leonie?«, frage ich.

»Anne arbeitet, Leonie ist bei dem verrückten Ungar in der Kinderbetreuung.«

Jetzt bin ich es, der stichelt. »Machst du dir da keine Sorgen?«

Mr. Perfect klappt die Nadel zu und schüttelt mir die Hand.

»Du bist jetzt der neue Gast der Woche.«

Ich fühle mich eher wie der Arsch der Woche.

Herr Schade deutet mit der rechten Hand auf meinen freien Platz neben ihm. Gerade will ich losgehen, da hält mich Adoré am Arm zurück. In ihrer Hand baumelt eine Medaille.

»Und weil er den Geist des Paleo im wahrsten Sinne des Wortes in die Neuzeit getragen hat, ernenne ich Caspar Hartmann zum Sonderbotschafter des ersten ›Ötzi-Paleo-Cups‹.«

Ich sehe in ihre schönen grünen Augen. Sie lächelt. Genau so hatte ich mir die Preisverleihung doch gewünscht! Adoré hängt mir langsam und stolz die Medaille um, sie freut sich noch viel mehr als ich über die Auszeichnung und klatscht mädchenhaft in die Hände. Klar, sie hat sich all das ausgedacht, ist ja ihr Job. Wie eine Ehefrau die Krawatte ihres Mannes, so zupft Adoré jetzt das Band der Medaille an meinem Hals zurecht. Sie sieht mich mit diesem Blick an, den ich immer so sehr an ihr gemocht habe. Aber in meinem Bauch fliegen keine Schmetterlinge umher, nicht mal Fruchtfliegen. Nichts. Als hätte die Nato dort ein Embargo verhängt.

Ich sehe Adoré distanziert an. Die scheint erstaunt, dass ich diesmal nicht wie Wachs dahinschmelze. Sie nimmt mein Gesicht in beide Hände, sieht mich noch einmal so an, wie sie es in Mr. Perfects Suite getan hat, und küsst mich auf den Mund.

Die Gäste klatschen. Adoré schmeckt nach Rauch. Auch der Kuss fühlt sich kalt an. Will gar nicht weiterküssen. Erstaunt löse ich meine Lippen von ihren. Ich will Adoré nicht, ich will auch diese Nachtlebenstelle nicht. Ich will Anne.

»Soll das ein Witz sein?«, höre ich die laute Stimme des glatzköpfigen Kollegen von der Reporterseite. Adoré weicht von mir zurück und stellt sich neben Frau Sommer. »Sie zeichnen hier Kostümierte aus, knutschen mit einem Kollegen von zweifelhaftem Ruf und denken, wir schreiben darüber auch noch?«

Mein Gott, immer diese auf Krawall gebürsteten Journalisten. Ich habe gerade echt andere Probleme.

Adoré schaut verwirrt, Frau Sommer ebenfalls. Wie auf ein geheimes Zeichen schubsen sich die Fotografen direkt vor mir in der ersten Reihe um den besten Platz. Der Glatzkopf schaut auf seinen Zettel.

»Vierzehn Männer und Frauen wurden gestern mit zum Teil erheblichen Erfrierungen nach diesem Paleo-Contest ins Krankenhaus eingeliefert. Ein Wunder, dass keine Menschen gestorben sind.« Er sieht mich direkt an.

»Was sagen Sie denn dazu, Herr Sonderbotschafter?«

Die Kameras blitzen los, als wären sie die Pfeile einer mittelalterlichen Exekution. Ich stehe zwischen Frau Sommer und Adoré, Mr. Perfect hat sich bereits von der Bühne geschlichen. Ich will es ihm gleichtun, aber Frau Sommer hält mich fest: »Sie bleiben schön hier.«

So werde ich aus nächster Nähe Zeuge eines Pressetribunals. Adoré und Frau Sommer werden von den Fragen der Kollegen zerpflückt.

»Hilf mir doch«, flüstert mir Adoré zu. Aber was soll ich sagen? Die Kollegen haben ja recht. Ich stehe einfach nur wie auf Stand-by im Blitzlichtgewitter. Vielleicht ist das hier ja meine Strafe dafür, dass ich Anne hintergangen habe.

Adoré und Frau Sommer argumentieren sich immer abstruser um Kopf und Kragen, ziehen Verknüpfungen zwischen Familienhotel und Paleo, verweisen auf die Häufigkeit von Schneestürmen in den Bergen, schieben mich als Helden vor, aber das alles hilft nichts. An den Gesichtern der Kollegen sehe ich, dass sie morgen die Verrisse ihres Lebens schreiben werden. Übermorgen kann das »Wilde Mannle« dichtmachen.

Herr Schade ist längst aufgestanden und hat sich diskutierend unter die Kollegen gemischt. Er schüttelt den Kopf, schwimmt diensteifrig wie ein kleiner Fisch im Presseschwarm. Als die Journalistenmeute den Saal verlässt, kommt er auf mich zu.

»Herr Hartmann, die Lage hat sich geändert. Ihre Kollegen tippen jetzt ihre Artikel über dieses Hotel. Wenn Sie mit Ihrer großen Geschichte noch eine Rolle spielen wollen, sollten Sie mir jetzt den Text geben. Wenn wir ihn heute noch ins Layout einfließen lassen, sind wir die Ersten. Und Sie wären noch vor Ihrer Kollegin dran, denn Annes Text ist noch nicht fertig. Wenn Sie also jetzt so freundlich wären?« Er streckt seine Hand aus.

Ich greife in meine Hosentasche. Anne oder Schade – das ist hier die Frage.

Nein, ist es nicht.

»Tut mir leid, ich dachte, ich hätte den Artikel eingesteckt, aber ich muss ihn wohl vergessen haben«, lüge ich meinem Chef ins Gesicht.

Er sieht mich länger an als gewöhnlich. »Wollen Sie ihn denn noch holen?«, fragt er mit väterlicher Stimme.

Ich lächle ihn erleichtert an. »Nein, das will ich nicht.«

Mein Chef ist zu sehr Profi, um in diesem Ambiente herumzuschreien, dass ich ihm verdammt noch mal einen Text schulde. Stattdessen sagt er ruhig: »Sie wurden gerade auf der Bühne mit der Besitzerin des Hotels fotografiert. Wahrscheinlich stehen Sie übermorgen in allen Zeitungen als Botschafter eines obskuren Trends, der möglicherweise eine Katastrophe für den regionalen Tourismus nach sich ziehen wird. Was glauben Sie, wie es um Ihre Glaubwürdigkeit als Journalist steht?«

Dann macht er auf dem Absatz kehrt und lässt mich stehen. Ein paar Kollegen versuchen noch, mich zu interviewen, aber mir hat es endgültig die Sprache verschlagen.

Wahrscheinlich sollte ich es so machen wie Anne damals: einfach ins Spa gehen. Allerdings werde ich das erst spätabends machen, wenn die Kinder und Eltern aus dem Nassbereich in den Bettenbereich verschwunden sind.

Ich muss mich zusammenreißen. Vielleicht ist das alles ja Schicksal: Ein Familienhotel und ich – das konnte gar nicht gut gehen, ebenso wenig wie die Sache zwischen Anne und mir. Es würde mich nicht wundern, wenn heute Abend Adoré an meine Tür klopft – reinlassen werde ich sie diesmal allerdings nicht.

Ab zehn Uhr abends hat der Bademeister das Spa zu einer »freien Zone« erklärt. »Ich habe keine Lust, Gäste, die sich entspannen, aus dem Spa zu vertreiben. Wer auf der Liege einschläft, soll aufwachen, wenn er ausgeschlafen hat«, hat er mir anvertraut. »Die meisten Pärchen versuchen in Hotels eh früher oder später, nackt schwimmen zu gehen, deshalb lasse ich die Tür einfach offen.«

Mein erstes Ziel ist die finnische Holzsauna, mit der habe ich noch eine Rechnung offen. Wahrscheinlich bin ich diesmal ganz allein darin, ohne jemanden, der mich raustragen kann, wenn ich umfallen sollte. Ich werfe einen Blick durch die verschwommene Glastür. In der Sauna hocken noch zwei Gäste: Mr. Perfect und mein Chef, Herr Schade. Seltsam.

Was die beiden wohl zu besprechen haben? Vielleicht will Mr. Perfect meinen Chef davon überzeugen, mal ein Sonderheft über seine Fitnesskette herauszubringen. Jetzt stehen sie auf. Instinktiv ducke ich mich hinter einen Handtuchständer in der Nähe der Liegen. Nicht, dass ich mich verstecken will oder so – ich habe bloß keine Lust, mit den beiden zu reden. Außerdem scheinen sie mir eh schon erstaunlich vertraut.

Nachdem sie sich kurz und schnaufend abgeduscht haben, begeben sie sich auf zwei Liegen direkt vor meinem Versteck.

Das Grinsen, das sich während der Pressekonferenz heute Nachmittag auf ihren Gesichtern angedeutet hat, liegt immer noch in den Mundwinkeln.

»Du hättest Hartmanns Augen sehen sollen, als der gemerkt hat, was los ist«, freut sich mein Chef grinsend. Mr. Perfect haut sich auf den mit einem Frotteehandtuch bedeckten Schenkel, was den erwarteten Klatscher ein wenig dämpft.

»Die habe ich gesehen«, steigt er ein. »Deshalb musste ich mich ja hinsetzen – sonst hätte ich noch laut losgeprustet. Hartmann hat geschaut, als würde er gleich von der Bühne kippen.«

»Dann hättest du ihn wohl noch mal tragen müssen!«, gackert mein Chef.

Mr. Perfect steht auf und tut so, als ob er jemanden hochheben und ihn kurz darauf versehentlich fallen lassen würde. Schade bekommt vor Lachen kaum noch Luft. Aber was ich hören muss, als sich Mr. Perfect wieder gesetzt hat, haut mich tatsächlich fast aus den Frotteelatschen.

Die beiden haben Übles vor: Mein Chef plant, das Hotel zu übernehmen und vom Familienressort in eine »Männerbastion« umzubauen. Mr. Perfect soll Teilhaber und neues Gesicht des Hauses werden. Sein Hauptaufgabenbiet ist die Fitness der Kunden. Dafür sorgt eine Kooperation mit seiner Kette »Mr. & Mrs. Perfect«. Neben der Leibesertüchtigung will er Seminare für »Manager und Macher« anbieten, um die »verweichlichten Typen von heute wieder in die Spur zu bringen«. Den Plan haben sie schon vor einem Jahr geschmiedet, als mein Chef Mr. Perfect auf einem Managementseminar kennenlernte. Seitdem haben sie nur auf die richtige Gelegenheit gewartet, das »Wilde Mannle« in Misskredit zu bringen. Dass ein Taugenichts wie ich in diesem Hotel für Unruhe sorgen würde, war für meinen Chef abzusehen, vor allem wenn er dazu noch Anne auf mich ansetzt. Dieses Hotel stellt für die beiden ein Versuchsobjekt dar. Wenn die Umwandlung zur Männerbastion gut funktioniert, sollen weitere Filialen hinzukommen.

»Das ›Wilde Mannle‹ ist eben mehr als ein Hotel, es ist ein Symbol für Maskulinität«, schlussfolgert Mr. Perfect. Klingt eher wie der Club der toten Chauvinisten.

»Ich dachte schon, Hartmanns Artikel reicht vielleicht nicht, um das Hotel in den Ruin zu treiben, aber jetzt bringen die ganzen Kollegen ihre Verrisse. Die können den Laden hier dichtmachen. Dann werden sie uns die Bude hinterherschmeißen.« Schade lächelt zufrieden, zieht eine Packung Zigarillos aus der Tasche seines Bademantels und steckt sich einen an. Mr. Perfect schaut kurz überrascht, aber Schade winkt ab.

»Bald gehört der Laden hier eh mir. Wenn du erst mal das neue Gesicht unserer Kette bist, dann rauchst du hier auch.« Er macht eine ausholende Geste. »Männerbastion – daheim ist, wo der Herr der Mann ist.« Er hält Mr. Perfect die Zigarillos hin, der nimmt sich einen und schießt wenig später mit wippendem Unterkiefer genüsslich ein paar Rauchringe durchs Spa.

»Wo ist eigentlich diese scharfe Praktikantin, die du dabeihattest?«, will er wissen.

Mein Chef grinst. »Ach, die kannst du vergessen, die quatscht den ganzen Tag. Außerdem hatte die was mit Hartmann. Du willst doch nicht sein Lochschwager werden!«

Beide brechen in prustendes Gelächter aus. Ich verspüre das starke Bedürfnis, sie mit dem Handtuchständer zu erschlagen.

»Als ich Nadine erklärt habe, dass die Stelle bereits vergeben ist, hat sie ihre Sachen gepackt und das Zimmer gewechselt.« Schade drückt seinen Zigarillo in der Hydrokultur einer grünen Schlingpflanze aus.

Ich spüre, wie mir die Wut die Kehle zuschnürt. Schade und Mr. Perfect haben das alles geplant: Mein Verriss soll den Wert des Hotels drücken. Aber das hieße ja …

»Adoré spielt in einer ganz anderen Liga«, behauptet mein Chef und bläst Rauch auf die glühende Spitze seines Zigarillos. »Auf die Idee mit dieser bescheuerten Paleo-Wanderung wäre ich nie gekommen. Von wegen jede PR ist gute PR. Schlechte Presse bringt viel mehr! Die Kleine ist genial!«

Schade raucht zufrieden vor sich hin. Offenbar steckt Adoré mit meinem Chef unter einer Decke – im wahrsten Sinne des Wortes.

»Sie kommt übrigens gleich noch und bringt ein Fläschchen Schlampampus mit.« Schade zwinkert Mr. Perfect anzüglich zu. »Zum Anstoßen.«

Ich kann nicht fassen, was ich da höre.

»Na, dann steck mal einen Gruß mit rein«, blökt Mr. Perfect. Das ist hier ja wie in der schlimmsten Chauvi-Sitcom!

»Nächste Runde?«, fragt Schade und deutet auf die Sauna vor ihnen, aber Mr. Perfect winkt ab.

»Nee, nee, ich bin noch immer wettkampfgeschwächt. Außerdem muss ich rauf, bin doch jetzt im Zimmer mit Leonie und Anne. Du weißt ja, wie die ist.«

Schade nickt mitleidig.

Mr. Perfect stützt sich an der Plastiklehne des Liegestuhls in die Höhe, Herr Schade erhebt sich ebenfalls. Die beiden schütteln sich die Hand.

»Ich liebe es, mit Profis zu arbeiten«, sagt mein Chef grinsend.

»Dito«, entgegnet Mr. Perfect und wendet sich zum Gehen.

Kaum ist er verschwunden, erscheint Adoré aus einer Tür, die eigentlich dem Personal vorbehalten ist. Oben ohne. Sie trägt ein Handtuch um die Hüften geschlungen, einen Champagnerkübel in der freien Hand und begrüßt meinen Chef mit einem langen Kuss. Wie in der Parodie eines James-Bond-Films.

Bei dem Gedanken daran, dass meine ehemalige große Liebe mit meinem Chef schläft, wird mir jetzt doch übel. Keine Ahnung, was ich alles in Adoré hineininterpretiert habe, aber offenbar macht Liebe nicht nur blind, sondern auch doof.

Zu meinem Glück beschließen die beiden, ihr Geturtel in der Sauna fortzusetzen, wo Schade Adoré einen »besonderen Aufguss« verspricht. Daraufhin kichert sie, als hätte mein Chef den besten Witz aller Zeiten gerissen. Als die Saunatür zugefallen ist, überlege ich kurz, von außen einen Riegel vorzuschieben, aber dann fällt mir etwas Besseres ein.

Anne werde ich nicht davon überzeugen können, dass Schade und ihr Verlobter ein Komplott gegen die Familien dieser Welt ersonnen haben – vor allem nicht, solange Mr. Perfect bei ihr im Zimmer schläft. Da muss ich einen anderen Weg wählen.

Von meiner Suite aus rufe ich Jeannie an und frage sie, ob sie immer noch daran interessiert sei, dass ich einen Artikel für ihre Broschüre »Familienurlaub« schreibe.

»Ich dachte, Sie sind Legastheniker.«

»Das war gelogen. Wie alles andere auch.«

Sie seufzt. Leider sei die morgige Ausgabe bereits mit Infos über den »Ötzi-Paleo-Cup« gefüllt. In der Broschüre für übermorgen gehe es um die Sieger des Familiencontests. Nur die Gutenachtgeschichte auf der Rückseite sei noch frei. Eigentlich wolle sie die aber selbst schreiben.

Ich muss lächeln. Dann stelle ich ihr eine Frage, die sie von mir nicht zum ersten Mal hört. Wenig später ziehe ich meine Jacke über und mache mich auf den Weg zum örtlichen Geldautomaten.