Die Gedanken sind Brei

Herr Béla kratzt den letzten Rest »Familienglück« aus der großen blütenweißen Porzellanschüssel, füllt ihn in ein Schälchen und hält es mir auffordernd hin.

Ich lehne aus vollem Herzen ab.

»Danke, ich hatte schon genug davon.«

Der Blick des Kellners wandert zu Leonie, die gerade mit hochrotem Kopf am Büfetttisch hängt und offenbar versucht, die große Schüssel von dort oben herunterzuziehen. Als sie sieht, dass Herr Béla bereits ein Dessert in der Hand hält, strahlt sie ihn an, als wären wir nicht im Urlaub, sondern auf einem Casting für Kinderzahnpasta.

Herr Béla deutet auf das Welpengesicht am Rand des Schälchens. »Hund?«, fragt er. Muss er sie denn unbedingt an das Schrecktrauma in der Kinderbetreuung erinnern?

Doch Leonie hat nur Augen für das Dessert.

»Wauwau«, antwortet sie artig, lässt den Tisch los, landet auf dem Boden und rudert kurz mit den Ärmchen, bis sie auf den Dielen ihr Gleichgewicht gefunden hat. Dann nimmt sie Herrn Béla das Schälchen aus der Hand.

»Bitte«, sagt sie, meint damit »danke« und stapft auf ihren kleinen Beinen davon, wackelig wie ein winziger Stuntman, der soeben aus der Kanone geschossen wurde.

»In Ungarn Vater isst Reste von Kindern«, belehrt mich Herr Béla von der Seite. »Nicht umkehrt.«

Klar könnte ich jetzt dagegenhalten, dass die Ungarn heutzutage überhaupt keine Kinder mehr essen, nicht mal Reste von ihnen, oder auch, dass ich gar nicht Leonies Vater bin. Stattdessen stelle ich meinen Teller zwischen den Thunfisch-Zucchini-Salat und das Spinat-Poularden-Risotto. Gestern Abend waren das übrigens noch je zwei eigenständige Gerichte. Morgen steht auf dem Büfett wahrscheinlich nur noch eine große Schüssel »Familiensalat«.

»Herr Béla, Leonie ist nicht Ihre Tochter.«

Er sieht mich mit einem Ihre-Tochter-auch-nicht-Blick an. Ich spüre, wie mir das Blut in den Kopf schießt.

»Und hören Sie bitte mit diesem Hund-Wauwau-Unsinn auf! Leonie ist jetzt zweieinhalb Jahre alt, sie kennt noch andere Tiere. Wobei ich mir bei Ihnen da mittlerweile nicht mehr so sicher bin.«

»Warum sind Sie so böse?«

Okay, vielleicht bin ich ein bisschen sauer, weil die Iren neuerdings frühmorgens auf dem knarzenden Dielenboden ihrer Zimmer Stepptanz üben, was durch das ganze Hotel schallt, oder weil ich zum zweiten Mal von meiner Traumfrau verlassen wurde und sie seit gestern nicht mehr gesehen habe. Außerdem hat Anne nach unserem seltsamen Moment gestern plötzlich die Taktik gewechselt und gibt sich jetzt reservierter als je zuvor. Am liebsten würde ich den Job hinschmeißen, meine Wut auf diesen ganzen Familienquatsch in den Speisesaal schreien und Herrn Béla eine Portion Glückscreme ins Gesicht klatschen.

Aber so etwas dürfen natürlich nur Kinder machen. Wer älter ist als zehn Jahre und in einem Familienhotel die Contenance verliert, wird als überfordert abgestempelt und in eine Selbsthilfegruppe überforderter Eltern abgeschoben.

»Ich bin nicht böse, ich bin besorgt. Wenn ich böse wäre, würde ich schreien«, entgegne ich energisch.

»Sie schreien ja.«

Hinten in der Lobby entdecke ich Anne. Schnellen Schrittes kommt sie durch den Speisesaal auf mich zu. Jetzt kann ich ihre Zornesfalten deutlich erkennen. Warum ist die denn jetzt schon wieder sauer? Weil wir uns gestern zu gut verstanden haben? Und was macht sie überhaupt in der Lobby? Ich dachte, sie wäre im Speisesaal und würde Leonies drittes Frühstück vom Boden aufwischen. Die Kleine wäre doch nie so zielstrebig losmarschiert, wenn sie nicht gewusst hätte, wohin. Anne mustert mich von oben bis unten. Ihre Lippen werden schmal und blutleer.

»Wo ist meine Tochter?« fragt sie leise drohend.

Das Geklimper der Messer und Gabeln verstummt. Totenstille legt sich über den Speisesaal. Niemand wagt zu kauen. Alle Augen sind auf mich gerichtet. Der Psychologe hat seine Stirn in professionelle Sorgenfalten gelegt und schüttelt den Kopf. Sogar Oma Eisenstein hat ihre gütigen Augen zusammengekniffen.

Ich blicke in die Richtung, in die Leonie davongedackelt ist. Die meisten Hotelgäste haben jetzt ihr Frühstück beendet. Nur einer der irischen Väter sitzt noch vor dem verwüsteten Tisch, die Augen geschlossen, seine Brust hebt und senkt sich gleichmäßig. Hat wohl heute Morgen zu viel gesteppt.

Knappe zehn Meter entfernt hockt Archibald von der Sommerwiese, der grau melierte Dackel der Eisensteins, zur Hälfte von der bodenlangen Tischdecke verdeckt. Er hält Leonies Glückscreme zwischen den Pfoten und schleckt selig. Ich schaue ihn an und denke: Hund? Wauwau. Keine Spur von Leonie.

»Ich dachte, sie wäre bei dir.«

Annes Miene versteinert. Der erste Ansatz von Entspannung, den ich gestern auf ihrem Gesicht entdeckt habe, weicht dem Ausdruck absoluter Panik.

»Du Idiot!«, ruft sie.

Wir stürmen in die Lobby des Familienhotels: keine Leonie weit und breit. In den Ledersesseln trinken die Architekten und der irische Clan Kaffee, Psychologe Ainberger blättert in der »Psychologie Heute«, die offenbar nur für ihn abonniert wurde. Alle sind zutiefst beschäftigt mit inneren Angelegenheiten.

Wie auf ein geheimes Zeichen drehen sie ihre Köpfe simultan in unsere Richtung und starren uns an. Nein, sie blicken hinter uns in den Speisesaal. Von dort dringt ein Schrei in die Lobby: Leonie.

Wenig später knien Anne und ich vor der Kleinen, die das Brotmesser wie zum Ritterschlag ausstreckt – oder zur Enthauptung. So unauffällig wie möglich halte ich nach Hilfe Ausschau.

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sich Stanley Fröhlich jetzt direkt neben uns im Schneidersitz niederlässt, unbeeindruckt wie ein Unterhändler, der Glasperlen gegen das Kriegsbeil eintauschen will. Er hält einen Glitzerflummi in der Hand. Jetzt wirft er ihn leicht auf den Boden, der Ball federt zurück, Stanley fängt ihn auf. Der Flummi hat zwei Seiten: eine goldglitzernde und eine silberne. Leonies Augen werden größer, sie öffnet vor Staunen den Mund. Stanley fängt den Flummi mit einer Hand auf und hält ihn Leonie auffordernd hin.

»Gibst du mir dafür das Messer?«, fragt er lockend.

»Nein!«, entgegnet Leonie brüsk. Ihr Unterton ist eindeutig bedrohlich, wenn nicht sogar despotisch. Hätte ich ihm gleich sagen können. Die Kleine ist doch nicht doof.

»Bei drei stürzen wir uns auf sie«, zischt Stanley jetzt im Flüsterton, aber Anne schüttelt den Kopf.

»Papa!«, befiehlt Leonie. »Bitte!« Das Messer wandert von der Höhe meiner Kehle zu meiner Hose und deutet nun auf meine Tasche. Mir geht ein Licht auf. Langsam nehme ich eine Hand herunter und greife in die Tasche. Wie in Zeitlupe ziehe ich eine silbrige Minipackung Gummimannles aus der Hosentasche.

Anne sieht mich bestürzt an. »Meine Tochter bekommt noch keine Süßigkeiten.«

Aber da habe ich schon die Packung geöffnet und Leonie eines der deformierten Gummibärchen in den offenen Mund gesteckt.

»Danke, Papa«, sagt Leonie und lässt das Brotmesser fallen, um sich schnell die ganze Tüte zu greifen. Ohne hinzusehen, fängt Stanley das Messer am Griff auf und schlittert es über den Boden aus der Gefahrenzone.

Das Messer erwischt Dackel Archibald von der Sommerwiese von hinten zwischen den Pfoten. Der Arme jault auf und springt mit allen vier Pfoten gleichzeitig in die Luft. Kaum ist er wieder unten, beginnt er völlig schamlos, sich im Intimbereich zu lecken.

Herr Fröhlich zieht ein Minikinderbuch aus dem Ärmel. Wie selbstverständlich lässt sich Leonie jetzt auf seine überkreuzten Beine fallen und deutet auf die bunten Illustrationen.

»Du gibst meiner Tochter diese ekligen Gummidinger?«, fragt Anne fassungslos.

»Hat doch funktioniert«, halte ich dagegen.

Anne schluckt ihren Ärger hinunter und klemmt ihrer fröhlich kauenden Tochter eine Haarspange in die Locken.

»Mehr Gummis, bitte!«, fordert Leonie. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie der Psychologe etwas in sein Lederbüchlein notiert.

Während Anne Leonie akribisch über gesunde Ernährung und die Verwendung von langen Messern aufklärt, wenden sich die anderen Gäste wieder beruhigt ihren Getränken zu.

Hinter der Lobby tänzelt Mr. Perfect frisch geduscht die Treppe herunter, vorbei am Psychologen. Wie soll ich es mit dem noch die restlichen Tage aushalten? Vielleicht hole ich mir einfach Nachschub an Psychopharmaka.

Er bleibt direkt vor mir stehen. Ich rieche Eukalyptus, Moschus und »Le Male« von Gaultier, vielleicht diesmal mit einem Schuss Babyöl.

»Hier können wir unser Duell nicht austragen«, flüstert er. »Sonst kriegen wir beide Ärger mit Du-weißt-schon-wem.«

Oje! Unseren Saunawettstreit hatte ich mittlerweile völlig verdrängt. »Ist schon okay«, entgegne ich und atme erleichtert auf.

Mr. Perfect deutet mit dem Kopf in Richtung Jeannie. »Deshalb habe ich uns für die Furten-Therme angemeldet: neutraler Boden. Da kommen nur Kinder mit. Wir suchen eine Sauna und klären die Sache ein für alle Mal.« Der Kerl ist tasächlich regelrecht versessen auf Wettkämpfe. Hätte ich doch nur auf Anne gehört!

»Worum duellieren wir uns eigentlich?«

Mr. Perfect überlegt, dann grinst er schließlich breit und deutet mit dem Kopf in Richtung Anne. »Der Sieger kriegt die Frau.«

Ich traue meinen Ohren nicht.

»Ich will die gar nicht haben. Außerdem heiratest du sie eh bald. Man wettet nicht um seine Frau.«

Er verdreht die Augen. »Natürlich nicht für immer, du Idiot. Nur für den Urlaub. Wenn ich gewinne, reist du ab. Wenn du gewinnst, reise ich ab.«

»Aber ich muss diese Geschichte schreiben. Das ist mein Job.«

»Und das ist meine Frau. Oder hast du etwa Angst?«

Ich schüttele den Kopf. Mir wird schon noch einfallen, wie ich aus dieser Sache wieder herauskomme. »Wann geht es los?«

»In einer Stunde.«

Verdammt.

Anne kommt mit Leonie an der Hand auf uns zu.

»Na, ihr beiden, vertragt ihr euch wieder?«

Wir nicken. Mr. Perfect legt mir seine Pranke auf die Schulter. Ich spüre, wie sich sein Daumen unter mein Schlüsselbein bohrt: der Mr.-Spock-Griff. Anne hält mein schmerzverzerrtes Gesicht für einen Ausdruck von Freude und lächelt.

»Das ist gut, ich wollte euch nämlich fragen, ob wir heute noch mal einen Ausflug wagen wollen.« Sie schaut zu mir herüber. »Wenn es dein Magen erlaubt.«

Ich nicke. Wenn wir einen Ausflug machen, können wir nicht in die Therme fahren, und das Duell fällt ins Wasser. Mit einer kreisförmigen Verbeugung winde ich mich aus Mr. Perfects Griff. »Eine super Idee. Wo soll es denn hingehen?«

Anne klatscht vor Freude in die Hände. »In die Therme.« Sie deutet mit dem Daumen zu Stanley, dessen Kinder sich gerade mit der irischen Rasselbande anfreunden. »Familie Fröhlich kommt auch mit.«

Das war es dann wohl. Na ja, mit etwas Glück sehe ich vielleicht wenigstens Frau Fröhlich nackt, bevor ich umkippe. Ein schöner Tod. Hoffentlich bleibt Oma Eisenstein im Hotel.

Anne, Leonie und die anderen Familien verschwinden nach und nach auf die Zimmer, um ihre Schwimmsachen zu packen. Mr. Perfect genehmigt sich noch ein zweites Frühstück »für die Herausforderungen des Tages«. So habe ich Zeit für ein kurzes Gespräch mit dem Psychologen – rein hypothetisch, versteht sich.

Ich erkläre ihm, dass ein Freund von mir zu einem Saunaduell herausgefordert wurde und jetzt befürchtet, in Ohnmacht zu fallen, weil ihm das schon mal passiert sei.

»Daraus wacht er schon wieder auf.« Na, das ist mir ja ein toller Psychologe.

»Vielleicht kriegt er einen Herzinfarkt«, meine ich.

Er schaut mich an wie ein Kind, das Angst vor dem schwarzen Mann unter seinem Bett hat. »Normalerweise würde ich Ihnen nun fünfundvierzig Minuten lang diese Idee ausreden und Ihrer Kasse dafür hundert Euro berechnen, aber da es ja nicht um Sie geht, mache ich es kurz: Er soll sich nicht so anstellen!«

Mir fehlen die Worte. Ihm nicht.

»Ich finde es gut, dass er so ein fürsorglicher Vater ist, und seine Tochter liebt ihn dafür ja auch innig – sie ist ihm übrigens wie aus dem Gesicht geschnitten –, aber dieser Freund von Ihnen soll bei seiner starken weiblichen Seite nicht vergessen, dass er ein Mann ist.«

Ich soll eine starke weibliche Seite haben? Genau darum geht es doch. Die habe ich eben nicht. Deshalb bin ich doch hier. Das ist ja zum Wahnsinnigwerden!

Der Psychologe fährt fort: »Wahrscheinlich gehört jener Freund zu dieser neuen Generation von völlig verweichlichten Vätern. Er sollte etwas mehr Rückgrat zeigen, dieser junge Mann. Herz hat er schon genug – und zwar ein gesundes, kräftiges, um das er sich keine Sorgen zu machen braucht.«

Der Typ hat offenbar überhaupt keine Ahnung, mit wem er hier redet. Oder über wen. Wenn der wüsste, dass ich eben kein verweichlichter Vater bin, sondern auf einer geheimen Mission für die echten Kerle, die Bauchspeck grillen statt Tofuspieße, dann würde er mir sofort eine Art Antibubsi verleihen und mir Hausverbot erteilen.

»Dieser Freund ist schon mit ganz anderen Sachen fertig geworden«, entgegne ich störrisch.

Er nickt, klappt seine Zeitschrift zusammen und steht auf. »Dann nehmen Sie sich mal ein Beispiel an ihm.« Dass Psychologen immer das letzte Wort haben müssen!

»Okay!«, rufe ich ihm hinterher. »Danke!«

Ziemlich genau eine Stunde später sitzen wir mit den anderen Gästen des Hotels in einem Bus, der so vollgestopft ist mit Schwimmflügeln, Badetieren und Luftmatratzen, dass es aussieht, als wäre die italienische Nationalmannschaft auf dem Weg zum Strand von Rimini. Der Coach ist Herr Béla. Wegen des Personalmangels konnte uns Frau Sommer keine weiteren Kinderbetreuer mitgeben.

»Was soll in einer Therme passieren?«, fragte sie. »Da wird schon keiner ertrinken.« Wahrscheinlich sind deshalb alle Eltern mitgekommen. Adoré kann ich leider nirgends entdecken.

Die Furten-Therme besteht aus einer riesigen Kuppel mit drei großen Arealen: einem Badebereich für alle, einem Kinderparadies und einer riesigen Saunalandschaft. Drei Bademeister, die in ihrer weißen Montur aus Shorts und Poloshirts aussehen wie das Team der Schwarzwaldklinik im Badeurlaub, patrouillieren zwischen den Becken, Pools und Saunen. Dabei schwingen sie ihre Trillerpfeifen wie Schlagstöcke. Wahrscheinlich sind sie auf der Jagd nach kriminellen Elementen, die ohne Badekappe schwimmen oder ins Becken pinkeln. Trotzdem lasse ich mich auf einen Arschbombencontest mit Herrn Béla und dem Architekten ein, der selbst bei seinem Siegsprung vom Fünfer keine Miene verzieht.

Danach setze ich mich ans Kinderbecken und schaue Leonie zu, die, mit Schwimmflügeln ausgerüstet, versucht, einen kleinen Wasserlauf mit ihren Förmchen zu stauen. Stanley trägt einen Bademantel, der seine Tätowierungen völlig verdeckt. Er liest ein pädagogisches Fachbuch mit dem Titel »Nein! Der unfreie Wille des Kindes«. Auch ich stöbere ein bisschen in einem seiner Elternratgeber, kann mich aber kaum konzentrieren, weil ich vor dem Duell doch ein wenig aufgeregt bin.

Um uns herum hat sich der laute irische Clan ausgebreitet. Anne ist mit Mr. Perfect in Richtung Saunalandschaft verschwunden, »zum Vorglühen«, wie er augenzwinkernd meinte. Dabei ließ er seinen linken Brustmuskel hüpfen. »Schau mal, ich kriege auch schon Herzklopfen.«

Ein irischer Junge kommt auf Leonie zu, die gerade Wasser in ihre kleine rote Gießkanne schöpft und es ins Becken schüttet, um den künstlichen Bach darin anschwellen zu lassen. Der Junge, der etwas älter als Leonie sein mag, stellt sich direkt vor sie. Leonie mustert ihn neugierig. Ehe ich reagieren kann, streckt er seine Hand aus, greift nach der Gießkanne und versucht, sie Leonie wegzunehmen. Was soll denn das? Ich sehe in Richtung der Iren, aber die scheinen vollauf mit sich selbst beschäftigt zu sein. Nur eine etwa vierzigjährige Frau mit wallender roter Mähne sitzt ohne Badekappe am Becken und trällert die Arie der Königin der Nacht aus Mozarts »Zauberflöte«. Klingt, als wäre sie eine ausgebildete Opernsängerin. Sie schaut zu uns herüber und nickt.

»It’s okay!«, ruft sie und singt weiter. Ist wahrscheinlich ihr Sohn. Offenbar macht klassische Musik doch aggressiv. Abgesehen davon, finde ich sein Verhalten überhaupt nicht okay!

Der Junge zieht heftiger an der Gießkanne, Leonie wankt schon. Aber darf ich einschreiten? Ich kann nicht einfach so ein anderes Kind anfassen, da mache ich mich doch strafbar. Hilfe suchend sehe ich mich nach Anne um, aber die ist nirgends zu sehen. Der Junge nimmt die zweite Hand zur Hilfe, aber Leonie lässt nicht los, im Gegenteil: Sie zieht die Kanne zu sich zurück und schreit den Jungen so laut an, dass nun alle Eltern zu den beiden Streithähnen hinübersehen. Der kleine Ire schaut erstaunt. Jetzt ballt Leonie ihre kleine Faust und hält sie dem Jungen direkt unter die Nase.

»Weg!«, schreit sie. »Meins!«

Obwohl er wahrscheinlich kein Deutsch versteht, lässt der Junge die Kanne los und geht einen Schritt zurück. Leonie setzt nach, der kleine Kerl ergreift die Flucht. Ich schaue zu der Irin herüber. Seiner Mutter ist das Lächeln vergangen.

»It’s okay«, rufe ich und recke den Daumen hoch.

»Was ist okay?« Leonhardt und Anne setzen sich auf die Liegestühle neben uns. Ihre Körper haben eine gesunde rote Färbung.

»Nichts Besonderes«, behaupte ich.

Mr. Perfect nickt mir zu. »Also, ich könnte noch eine Saunarunde drehen – bist du dabei?«

Das Saunaparadies der Furten-Therme ist laut Werbeplakat »eine der größten Saunalandschaften Österreichs«. Trotzdem finden wir keine freie Sauna. Die Finnische ist so voll besetzt wie die im Hotel, Warmluft- und Kräuterbad haben Föntemperatur, die Eukalyptussauna ist voll, in der russischen Sauna machen irgendwelche osteuropäischen Immobilienmakler Geschäfte, im Original-Dampfbad ist es Mr. Perfect zu nass, und das Softdampfbad ist uns mit fünfzig Grad zu soft, da sitzen wir ja bis morgen.

Mr. Perfect wird immer ungeduldiger. In der Rauchsauna sieht man die Hand vor den Augen nicht. Im irisch-römischen Dampfbad haben wir Glück, weil gerade alle Iren herausströmen, als gäbe es an der Bar einen Guinnessaufguss. Doch leider füllt sich diese Sauna nach unserer Ankunft so schnell, dass wir wieder aufbrechen müssen.

»Kann man sich denn nirgendwo mehr in Ruhe duellieren?«, fragt Mr. Perfect genervt.

Mein Blick fällt auf die japanische Schwitzkammer, in der höchstens vier Leute Platz haben. Das Thermometer an der Tür zeigt fünfundneunzig Grad. Mr. Perfect lässt mir den Vortritt. Ich atme tief ein und aus, denke an Leonie und die Gießkanne.

Als wir eintreten, verlässt ein lederhäutiger Mann dampfend den winzigen Raum, knickt kurz in den Knien ein und rettet sich mit letzter Kraft auf eine Liege. Seine Frau harrt noch mit geschlossenen Augen auf der oberen Bankreihe liegend aus.

»Du hast deine Alte vergessen!«, brüllt Mr. Perfect dem Mann hinterher. »Nimm die bloß mit.« Daraufhin verlässt auch die Frau die Sauna.

Mein Gegner dreht mir den Aufgusseimer zu. Auf dem Etikett steht »Lindenblüten«. Ich nicke schicksalsergeben.

Doch bevor er eine Kelle Wasser auf die heißen Steine kippen kann, öffnet sich die Tür erneut. Ein japanisch aussehendes Paar schaut herein.

»Sayonara!«, brüllt Mr. Perfect. »Und Tür zu!«

Erschrocken gehorchen die beiden. Doch sie sind nicht die letzten Störer: Immer wieder kommen Leute herein, mal junge, mal alte, mal Pärchen, mal Männer, mal Frauen. Offenbar sitzen wir in einer Touristenattraktion. Ich fühle mich wie ein Soldat der Buckingham-Palace-Wache in seinem Häuschen. Nur dass ich mich mehr bewege, denn einer muss ja die Tür schließen.

Mr. Perfect dagegen ist kurz davor, den Störern die Köpfe abzureißen. Als gerade zwei Frauen in den Vierzigern die Tür öffnen, schreit er ihnen so üble Schimpfwörter zu, dass ich verstehe, warum Anne die Reißverschlussgeste eingeführt hat.

Leonhardt hat schon einen ganz roten Kopf, allerdings vor Wut, nicht vor Hitze. Denn die entsteht bei so viel Luftzug einfach nicht.

»Ist hier noch Platz?«, fragt gerade ein schlacksiger Grunge-Teenie mit langen Haaren, der im Türrahmen steht und in aller Seelenruhe ins Halbdunkel späht.

»Verpiss dich, du Homo!«, knurrt Mr. Perfect. »Tür zu! Von außen!«

Noch während die Tür wieder zufällt, höre ich einen Schrei. Es ist Anne, und sie klingt verdammt wütend. Ich sehe zu Mr. Perfect hinüber. Das wäre eine gute Chance für uns beide, die ganze Sache abzublasen. Aber Mr. Perfect winkt ab.

»Ich habe nichts gehört, du etwa?«

Ein erneuter Schrei. Diesmal eindeutig härter und böser und so laut, dass er sogar durch die geschlossene Tür hereindringt. Ich springe auf.

Mr. Perfect zieht die Augenbrauen hoch. »Wenn du rausgehst, kannst du gleich abreisen. Wir haben gerade erst angefangen.«

»Aber vielleicht ist Anne etwas passiert?«

Er zuckt mit den Schultern. »Wir haben einen Deal.«

Jetzt reißt jemand die Tür mit voller Wucht auf: der Architekt, das erkenne ich am schwarzen Bademantel.

»Verzieh dich!«, brüllt Mr. Perfect. »Und Tür zu, verdammt noch mal! Checkt ihr das alle nicht?«

Aber der Architekt macht keine Anstalten zu gehorchen. »Herr Hartmann, Herr Vogtlinger, bitte kommen Sie schnell.« Ich nicke, aber Mr. Perfect wehrt ab.

»Ich gehe nirgendwohin. Sehen Sie nicht, dass Sie stören?«

Der Architekt schaut erstaunt von Mr. Perfect zu mir. »Sie können Ihren Saunagang bestimmt später beenden.«

»Mann, es geht hier um viel mehr!«

Jetzt höre ich auch Leonie schreien und renne los.

Vom Erholungsraum aus sehe ich das Kinderbecken weiter unten. Am Rand stehen Anne und die rothaarige Opernsängerin. Um die beiden Frauen hat sich ein Halbkreis aus Iren gebildet, ganz in der Nähe haben sich die anderen Gäste aus dem »Wilden Mannle« aufgebaut. Offensichtlich wollen sie den Iren jetzt die morgendliche Stepptanzerei und die tägliche Büfettplünderung heimzahlen. Leonie versteckt sich hinter Annes Oberschenkel, der kleine irische Junge weint jetzt. Weit und breit ist kein Bademeister zu sehen. Die Iren schreien gälische Schimpfwörter. So stelle ich mir einen Hexenaufstand im Mittelalter vor.

Ich renne die Treppen zum Kinderparadies hinunter. Der Architekt ruft mir zu, dass sich der kleine Ire und Leonie um ein Quietscheentchen gestritten hätten. Irgendwie sei das Ganze dann ausgeartet.

Kurz bevor ich unten ankomme, sehe ich, wie Anne die große Irin ins Kinderbecken schubst. Dann stürzt sie sich mit einem Schrei hinterher. Wenige Sekunden später stehe ich am Becken dem dickbäuchigen Vater gegenüber, der heute Morgen noch friedlich am Büfett geschlafen hat.

Ansatzlos haut er mir seine Faust auf die Nase. Ich höre mein Nasenbein knacken, Tränen schießen mir in die Augen. Kann nichts mehr sehen. Instinktiv ramme ich ihm das Knie zwischen die Beine. Er fällt nach vorn, ich umklammere ihn, und wir stürzen gemeinsam ins Becken.

Als ich hochkomme, sehe ich wieder ein bisschen besser: Der Architekt wird gerade von einer dicken rothaarigen Mutter mit einem Handtuchknoten vermöbelt, während Stanley seinen Bademantel abstreift, seine Tattoos entblößt, den Kopf in den Nacken wirft und so laut brüllt, dass Tarzan vor Schreck von der Liane gefallen wäre. Er sieht jetzt eher aus wie ein Serienmörder als wie der Gewinner des wichtigsten Ötztaler Pädagogikpreises. Mit Anlauf stürzt er sich mitten unter die Iren. Seine Frau steht ihm in nichts nach, schickt die Kinder zu Herrn Béla, knotet die Haare zusammen und folgt ihrem Mann in die Schlacht.

Einzig unser ungarischer Betreuer bewahrt Ruhe, holt die kleinen Kinder eins nach dem anderen aus dem Becken und versammelt sie hinter sich. Der Nichtschwimmerbereich ist in Sekundenbruchteilen zur Arena geworden: Frauen ziehen sich an den Haaren, Männer boxen und ringen, mittlerweile ist überhaupt nicht mehr auszumachen, wer hier zu wem gehört.

Momentan kann ich Mr. Perfect nirgends entdecken. Dabei mischt ein Muskelpaket wie er bestimmt ordentlich mit. Könnte mir gut vorstellen, dass er gerade mitten im Irenkessel steckt. Oder er greift unsichtbar unter der Wasseroberfläche an, wie der Weiße Hai. Wahrscheinlich wird er dafür heute Abend wieder als Gast der Woche gefeiert.

Plötzlich höre ich laute Kinderstimmen. Sie streiten nicht, sie singen. Hinter Herrn Béla stehen die etwa zwanzig Kinder des Ausflugs Hand in Hand, gleich, welcher Nationalität, Haut- oder Haarfarbe. Sie halten sich alle an den Händen und singen:

»Der Kuckuck und der Esel, die hatten einen Streit.

Wer wohl am besten sänge, wer wohl am besten sänge,

zur schönen Maienzeit, zur schönen Maienzeit.«

Vielleicht kennen nicht alle Kinder den Text ganz perfekt, aber ihre Stimmen und ihr Anblick ernüchtern uns Raufbolde sofort. Wir verharren wie in Schockstarre. Männer lassen die Fäuste sinken, Frauen geben einander aus Schwitzkästen frei. Alle hören auf zu prügeln und schauen sich betreten an.

Als die letzte Liedstrophe verklungen ist, schickt Herr Béla ein Kind nach dem anderen zu seinen Eltern zurück. Der Spuk hat vielleicht eine, höchstens zwei Minuten gedauert. Ich nehme Leonie auf den Arm.

»Caspar aua!«, stellt sie fest und kneift mir besorgt in die geschwollene Nase.

Jetzt kommen auch die drei Bademeister die Treppen aus der Saunalandschaft heruntergelaufen. Passend zu ihren weißen Uniformen tragen sie knallrote Köpfe, wodurch sie noch österreichischer wirken. Sie schwingen ihre Pfeifen, als wollten sie uns damit verdreschen. Ich presse mir ein nasses Handtuch auf die Nase, die gerade auf Boxergröße anschwillt.

Wahrscheinlich kriegen wir jetzt alle zusammen Hausverbot.

Der Chefbademeister baut sich vor Herrn Béla auf, mustert uns alle kurz, lässt dann seinen Blick suchend zwischen Liegestühlen und Handtüchern umherwandern. Dass hier gerade eine Massenschlägerei stattfand, haben die drei offenbar gar nicht mitgekriegt. Auch die Blutflecken und blauen Augen irritieren sie nicht.

»Alles okay?«, fragt mich ein Bademeister.

»Ja, äh, klar. Habe einen Kopfsprung gemacht, Becken zu flach.«

Der Bademeister nickt abwesend und murmelt: »Springen vom Rand verboten.«

»Wo waren Sie eigentlich?«, will Herr Béla wissen.

Der Bademeister nickt in Richtung Saunalandschaft, als würde ihm seine Abwesenheit erst jetzt bewusst. Er winkt Herrn Béla und mich näher zu sich heran.

»Nicht weitersagen, aber hier treiben sich zwei Schwule herum. Hat uns einer unserer jüngeren Gäste angezeigt – und der sah so aus, als müsste er es wissen. Die Typen haben gerade oben alle Gäste aus der japanischen Sauna vertrieben. Offenbar sind sie bei ihren perversen Spielen gestört worden.« Er bewegt sein Becken ein paarmal ruckartig vor und zurück.

Ich kann es nicht fassen. Wie doof ist der denn?

In diesem Moment stolziert Mr. Perfect die Treppe von der Saunalandschaft herunter wie Grace Kelly. In der Hand hält er ein hellrotes Getränk, am Glas klemmt eine Ananasscheibe. Er nuckelt genüsslich an seinem Strohhalm. Sein Gesicht zeigt keinerlei Beulen, Kratzer oder sonstige Blessuren. Die Bademeister mustern ihn argwöhnisch.

»Wo warst du?«, frage ich ihn ungläubig. »Anne hatte gerade echt Probleme.«

»Kurz an der frischen Luft und dann an der Bar«, antwortet er.

»Das Beste nach einem Saunagang«, bestätigt ein jüngerer Bademeister. »Nach dem Saunagang braucht der Körper frische Luft, Obstsäfte und vor allem eines: Ruhe.«

Mr. Perfect sieht mich ernst an und saugt wieder an seinem Strohhalm. »Dieses Gesicht ist das Aushängeschild eines Familienfitness-Unternehmens. Blessuren machen sich darin nicht so gut.« Er sieht zu Anne. »Außerdem kann eine emanzipierte Frau ihre Streitereien allein austragen. «

Anne nickt widerwillig. Wäre der Psychologe hier, er würde meinem Erzfeind zu Ehren gleich ein neues Lederbüchlein eröffnen.

Als die Bademeister abgezogen sind, erzählt mir Anne, dass ihre Gegnerin bei der Prügelei Enya Sullivan heiße, eine berühmte Opernsängerin sei und sie alle ihre CDs besitze. Das habe sie aber erst eben festgestellt, als sich die beiden ausgesprochen hätten. Enya sei einfach frustriert gewesen, weil sie heute Morgen eine E-Mail vom Intendanten bekommen habe, der ihr Engagement an der Oper von Dublin gekündigt habe. Das findet Anne »skandalös«.

»Bla, bla, bla«, murmelt Mr. Perfect in sich hinein. Ich geselle mich zu Stanley Fröhlich.

»Das war ja wie früher zu Hooliganzeiten«, schwärmt er. Auf seinem Hotelbademantel entdecke ich ein paar Blutflecken. »Nicht von mir«, grinst er fröhlich und deutet zu einem tätowierten Iren hinüber, der aussieht wie ein Anhänger von West Ham United und sich das lädierte Auge reibt. Stanley grinst. Erst jetzt sehe ich, dass ihm ein halber Schneidezahn fehlt.

Die Männer kommen zusammen, es wird gescherzt, gekühlt, Hotelhandtücher werden ausgetauscht, die wackelnden Zähne der Großen ebenso bewundert wie die der kleinen Kinder. Es ist, als ob diese Schlägerei endlich die Distanz unter den zerstrittenen Gästen aufgehoben hätte. Klar, der sommersprossige Kerl hat mir wahrscheinlich die Nase gebrochen, und ich habe ihn in die Familienjuwelen getreten, aber wir alle sind uns einig: Es war doch eine richtig schöne Prügelei, wie man sie aus den alten Western kennt – oder aus dem Kindergarten.

»So etwas gibt es ja heute gar nicht mehr«, meint Stanley wehmütig, nachdem er mein Nasenbein sicherheitshalber mit Klebeband fixiert hat.

Beim Abkühlen im Außenbereich des Spas gerate ich in eine Gruppe russischer Oligarchen, die hier zu Gast sind, weil sie ein Hotel kaufen wollen. Ich kann nicht verstehen, warum. Spreche ja kein Russisch. Ein dickbäuchiger Mann, der offenbar Makler oder Fremdenführer ist, wird nicht müde, den Russen auf Deutsch die Vorzüge des Hotels »Zum Wilden Mannle« anzupreisen. Wusste gar nicht, dass es zum Verkauf steht. Muss ich nachher mal recherchieren.

Auf der Rückfahrt scherzen und erzählen alle miteinander, als hätten wir uns nicht geprügelt, sondern eine Art Verbrüderungsritual erlebt. Ich erfahre, dass das Wort Hooligan von der irischen Familie O’Hoolihan abstammt, die in direkter Blutlinie mit unserem irischen Clan verwandt ist. Überrascht mich nicht.

Herr Béla hat seine Hundemaske im Handgepäck und unterhält die Kinder während der Fahrt damit, dass er auf sich deutet und »Hund?« fragt. Die Kleinen antworten: »Wauwau«. Seltsamerweise empfindet der Ungar bei diesem Dialog einen ähnlich diebischen Spaß wie die Kinder. Auch Leonie scheint ihren Schock in der Kinderbetreuung längst vergessen zu haben und will die ganze Fahrt über auf Herrn Bélas Schoß sitzen.

»Sie ist so süß, ich könnte sie glatt behalten«, schwärmt er. Daraufhin hält ihm die Architektengattin einen Vortrag über die Tücken eines Adoptionsantrags, den Herr Béla nach seinem beherzten Einsatz wirklich nicht verdient hat.

Doch im Moment kann nichts meine gute Laune trüben – nicht mal Mr. Perfect, der mich im Windfang des Hotels am Arm packt und raunt: »Die Sache ist noch nicht ausgestanden.«

Beim Abendessen wechseln die Gäste fröhlich durch, als wäre das hier die »Reise nach Jerusalem« oder das postabenteuerliche Festessen bei Asterix und Obelix.

Ich erkundige mich beim Ehepaar Eisenstein nach dem Befinden ihres Dackels. Schlecht scheint es ihm nicht zu gehen, denn er liegt schon wieder scheintot zu Füßen von Herrchen und Frauchen.

»Das ist die Narkose«, erklärt Opa Eisenstein.

»Wurde er operiert?«, frage ich erstaunt.

Opa Eisenstein nickt. »Kastriert«, sagt er so traurig, als hätte ihn selbst jenes Schicksal ereilt. Mit leiser Stimme erzählt er mir, dass Stanley bei der Brotmesseraktion ihren Archibald von der Sommerwiese so unglücklich erwischt habe, dass man während der Operation mit seinen Genitalien kurzen Prozess gemacht habe.

Opa Eisenstein fixiert mich zornig. »Das hat man übrigens früher auch mit Leuten gemacht, die anderen die Frau ausspannen wollen«, sagt er nachdrücklich. Aber ich habe keine Lust auf eine weitere Schlägerei und lächle nur diplomatisch.

»Dackel aua?«, fragt Leonie.

»Das erkläre ich dir später«, entgegne ich. »Viel später.«

Direktorin Sommer, die auf der Flucht vor den ausgelassenen Iren ihre Runden durch den Speisesaal dreht, bringt mir persönlich ein Expresspaket aus meiner Heimat. Es stammt von meiner Mutter, mein alter Karateanzug. Wie passend. Am liebsten würde ich ihn sofort auspacken, aber erst mal erkundige ich mich bei Frau Sommer nach ihrer Pressefrau, schließlich habe ich gehört, das Hotel stehe zum Verkauf. Leider kann mir Frau Sommer nicht weiterhelfen, denn Adoré ist abgereist. Sie muss das »Wilde Mannle« bei irgendeinem PR-Event vertreten.

»In ein paar Tagen ist sie wieder da«, verspricht die Direktorin. »Sie hat auch nur leichtes Gepäck mitgenommen.«

Ich nicke, denn ich weiß ja genau, was Adoré eingesteckt hat: mein Herz.