15. Julias Facebook Status:
Freiburg?!
„Und du bist dir ganz sicher?“ Katja sieht mich bekümmert an. Wir stehen vor dem Flughafengebäude. Mein Koffer steht neben mir auf dem Boden. Viel ist es nicht, was ich mit nach Freiburg nehme. Außer den paar Klamotten, die Katja und ich zusammen für mich gekauft haben. Katja raucht eine Notfallzigarette. Sie bläst den weißen Qualm in die Luft, dabei formt sie mit ihren Lippen ein »O«, so dass lauter kleine Kringel emporsteigen.
„Warum musst du schon wieder damit anfangen?“
Jetzt ist Katja gekränkt. Und es tut mir auf der Stelle leid. Ich bin mir jetzt, wo ich vor dem Flughafengebäude stehe, gar nicht mehr sicher. Man könnte sagen, dass das bisschen Selbstsicherheit, das ich hatte, völlig verflogen ist. Ich frage mich ständig, was Benni wohl gerade macht. Kein gutes Zeichen, ich weiß. Aber ich kann nicht anders, als an ihn zu denken.
„Katja entschuldige, aber ich muss mich kurz sammeln. Gib mir eine von deinen ekeligen Zigaretten ab.“
Ich nehme ein paar kräftige Züge. Sofort wird mir auf angenehme Weise schwindlig. Was geschieht hier eigentlich?
Ich komme mir vor wie in einer dieser miesen deutschen Komödien, die immer zur besten Sendezeit laufen, die aber eigentlich keiner sehen will weil alles schlecht daran ist. Die Schauspieler, die Story, das Setting ... einfach alles. Und jetzt spiele ich selbst in einem so miesen Stück mit. Nur dass es diesmal kein Film ist, sondern mein Leben. Da stehen zwei Frauen am Hamburger Flughafen. Die eine sieht aus wie Gwyneth Paltrow, die andere wie deren Sekretärin. Gwyneth trägt einen locker fallenden Hosenanzug, dazu eine dunkle Sonnenbrille von Ray Ban. Sie trägt eine schwarze Hose, die von ihren weiblichen Rundungen ablenken soll, dazu trägt sie ein schlichtes, etwas zu eng anliegendes T-Shirt, weil sie hofft, ihre Brüste würden dadurch größer wirken. Aus dem gleichen Grund liebt sie Push-ups, die ihr das Gefühl geben, besonders weiblich zu sein. Ihre Schuhe sind vorne ein bisschen zu eng, da sie sie zu klein gekauft hat, aber sie findet ihre Füße wirken sonst zu groß und deshalb erträgt sie die Unannehmlichkeit lieber.
Mein Schwindel verstärkt sich und ich überlege mir, welche Schauspielerin meine Rolle spielen könnte. Renée Zellweger aus Bridget Jones würde meiner Person da wohl am nächsten kommen. Ich mochte den Streifen im Übrigen überhaupt nicht. Ich habe damals geradezu seelische Qualen gelitten. Während das ganze Kino über Bridget Jones gelacht hat, dachte ich nur daran wie ähnlich wir uns beide sind. Mal ehrlich! Bridget Jones sieht aus wie ich, lacht wie ich und verhält sich fast immer so, wie ich es an ihrer Stelle tun würde. Das ist bedenklich und nicht witzig. Ich will nicht, dass die Menschen über mich lachen und schon gar nicht Männer.
Ich drücke die Zigarette auf dem Drahtgeflecht aus, das über den Aschenbecher gespannt ist. „Komm, bringen wir es hinter uns. Immerhin ist das hier eine Verbesserung, wenn man bedenkt, dass ich mit dem Nachtzug in Hamburg angekommen bin. Jetzt fliege ich immerhin nach Hause.“ Ich verziehe mein Gesicht zu einem Lachen, aber es gelingt mir nicht wirklich, denn bei dem Wort »Nachtzug« muss ich sofort wieder an Benni denken.
Katja nickt und nimmt mich wortlos in den Arm. „Du wirst mir fehlen, Pumbi“, schluchzt sie.
„Du mir auch. Bitte richte Sergej meine Grüße aus, ja? Und sag ihm, er kann seine Leute von der Mafia wieder von Benni abziehen. Ich habe mich entschieden.“
Wir lachen unter Tränen.
Ich bin schrecklich nervös, als ich die Flughafenhalle betrete. Mein Puls rast und meine Hände sind feucht. Ich weiß nicht, was mich mehr beunruhigt: Der Gedanke an Johann oder der an den bevorstehenden Flug.
„Entschuldigung …“ Ein Mann in einem augenscheinlich teuren Anzug drängelt sich durch die Drehtür an mir vorbei. „Andere Leute haben es eilig.“
Ich lasse meinen Blick über die Menschenmenge schweifen. Die Schlangen vor den Economy-Schaltern sind meterlang. Selbst an den Automaten drängeln sich die Reisenden. Wo steckt nur Johann?
Normalerweise ist Johann überpünktlich. Er hasst es, wenn Menschen zu spät sind, was zwischen uns beiden häufig ein Streitpunkt war. Denn ich halte es immer mit der akademischen Viertelstunde. Außerdem finde ich, als Frau wirkt man interessanter, wenn man den Mann etwas warten lässt. Das erhöht die Spannung. Im Moment finde ich die Spannung allerdings unerträglich. Ich will jetzt sofort mit Johann in den Flieger steigen, sonst befürchte ich, ich könnte es mir doch noch in letzter Sekunde anders überlegen.
Wie geht es Benni wohl in diesem Moment? Ob er unglücklich ist?
Hoffentlich ...
Ach, verdammt! Ich wollte doch nicht mehr an ihn denken, aber bei dieser Warterei überschlagen sich meine Gedanken einfach und ich kann nichts dagegen tun.
Ob er versuchen wird mich zu finden?
Aber wie?
Und vor allem: Warum? Wahrscheinlich ist doch eher, dass er froh ist, mich los zu sein. Schließlich habe ich ihm ja den Artikel da gelassen. Also gibt es für ihn keinen Grund mehr, mir auch nur eine Träne nachzuweinen.
Oder vielleicht ist er sogar erleichtert mich auf so einfache Weise losgeworden zu sein. Jetzt, wo unsere Affäre dank meines Auftritts vor Emma bald in der ganzen Abteilung bekannt sein dürfte. Mist, wenn ich so weiter mache, bin ich bis Johann endlich kommt ein emotionales Wrack.
Das ist die Krux mit uns Frauen. Wenn wir mit jemanden ins Bett gehen, öffnen wir nicht nur unsere Schenkel, sondern meistens auch unsere Seele. »Emotionale Bindung« nennen die Forscher das. Ich nenne es naiv und blöd. Jedes Mal wenn ich mir vorgenommen habe mit einem Mann nur Spaß zu haben, endete es damit, dass er seinen Spaß hatte und ich am Ende heulend in der Ecke saß. Ich war nie einer dieser Vamps, die mit einem Mann, den sie gerade erst kennengelernt haben, ins Bett gehen, ihm beim Sex schmutzige Worte ins Ohr stöhnen und den Rücken dabei zerkratzen, hinterher lasziv eine Zigarette rauchen und ihn mit den Worten: „Mach’s gut, Kleiner!“ aus ihrem Schlafzimmer und gleichzeitig aus ihrem Leben entlassen. Ich bin das nette Mädchen von nebenan, das an die große Liebe glaubt und den Mann sofort ihren Eltern vorstellt, um sich deren Segen abzuholen. One-night-stands sind nicht fester Bestandteil meines Lebens.
Jemand tippt mir von hinten auf die Schulter und ich höre mich kurz aufschreien. Ich war schon immer sehr schreckhaft, aber in den letzten Tagen bin ich geradezu paranoid geworden.
„Julia. Endlich.“ Johann sieht mich vorwurfsvoll an. „Wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt? Ich hatte doch gesagt, dass wir uns Punkt Acht am Check-in treffen.“
„Äh, ´tschuldigung.“ Augenblicklich fühle ich mich schlecht. „Ich dachte du freust dich, dass ich hier bin.“
„Tue ich ja auch“, beteuert Johann und tätschelt mir unbeholfen die Schulter. War Johann schon immer so herablassend?
„Aber doch nicht am Economy-Schalter!?“ Er zieht die buschigen Augenbrauen nach oben. „Du weißt doch, dass ich prinzipiell nur Business Class reise.“
Nein, wusste ich nicht. Ich bin immer noch ein wenig überrascht mit welcher Selbstverständlichkeit Johann mich begrüßt hat. So, als wäre er sich seiner Sache von Anfang an ganz sicher gewesen.
„Woher wusstest du, dass ich kommen würde?“
„Aber Schnuppelchen, ich kenne dich eben.“ Klingt fast ein bisschen mitleidig in meinen Ohren. „Schön, dass du hier bist.“ Johann zieht mich zu sich heran und gibt mir einen Kuss.
Meine Zehenspitzen kribbeln. Warum habe ich mir die Schuhe nur eine Nummer zu klein gekauft? Der Kuss fühlt sich wie ein typischer Johann-Kuss an. Perfekte Zungentechnik, ohne viel Spucke und ohne viel Gefühl. Wenn ich da an Bennis weiche Lippen denke ... Ach, genug davon. Ich habe mich für Johann entschieden. Ob Benni auch an mich denkt ... an meinen Kuss?
„Ich habe uns schon eingecheckt. Weißt du, das geht heute ganz elektronisch“, erklärt er mir weltmännisch. „Wir müssen nur noch deinen Koffer abgegeben.“ Selbstsicher führt er mich zu dem Check-in-Schalter, wo uns eine mürrisch aussehende Dame erwartet. Ich dachte, die Lufthansa würde so viel Wert auf die Auswahl ihrer Mitarbeiter legen. Also diese Angestellte des Unternehmens ist denen auf jeden Fall durchgerutscht. Dabei ist sie noch nicht einmal hübsch!
Johann lässt meine Hand los, als wir uns dem Schalter nähern.
„Ticket!“, fordert uns die Dame auf ohne uns eines Blickes zu würdigen.
„Ich habe bereits online eingecheckt“, antwortet Johann. Ganz Mann von Welt. „Hier, meine Senatorkarte.“
Die Dame hebt den Kopf und riskiert einen kurzen Blick auf die Karte. Anscheinend erfüllt Johann ihre Kriterien der Kundenzuwendung, denn sie sieht ihn mit einem Lächeln an – was sie allerdings auch nicht sympathischer macht. Fette Qualle!
„Herr Hartmann, wie kann ich Ihnen weiterhelfen?“ Die Frau ist auf einmal die Liebenswürdigkeit in Person. Mich hingegen würdigt sie keines Blickes.
Na super! Bin ich etwa Luft?
„Ich würde gerne das Gepäck meiner ... äh von Frau Löhmer aufgeben.“
Hallo! Das hört sich ja geradezu an, als wäre ich seine Sekretärin. Das scheint die Dame von der Lufthansa auch zu denken, denn sie wirft mir einen bedauernden Blick zu. Wahrscheinlich glaubt sie jetzt, ich hätte eine Affäre mit meinem Chef und begleite ihn heimlich auf einer seiner sogenannten »Dienstreisen«, die eigentlich nur dazu dienen, damit wir beide Sex miteinander haben können.
„Ich bin seine Verlobte“, stelle ich die Situation richtig und streiche mir ganz Grande Dame eine Strähne aus dem Gesicht.
Die Frau sieht zu Johann, der nichts weiter tut außer auf seine Senatorkarte zu starren. Kein Kopfnicken, kein Wort der Bestätigung. Mich beschleicht das Gefühl, dass hier gerade etwas schrecklich schief läuft.
„Wenn Sie bitte den Koffer aufs Band stellen würden“, fordert die Check-in Dame uns auf. Johann zuckt noch nicht einmal. Ich gebe Johann einen sanften Stups, worauf er mit mürrischer Miene meinen Koffer auf das Band neben dem Schalter wuchtet.
„Meine Güte, Schnuppelchen, was hast du denn da alles drin? Man könnte meinen, du hast Wackersteine eingepackt.“ Er sieht mich vorwurfsvoll an. Ich wünschte, er würde mich nicht ständig bei meinem Kosenamen nennen.
„Kein Problem, Herr Hartmann. Als Senator haben Sie vierzig Kilogramm Gepäck gut“, lächelt ihn die Angestellte gütig an und entblößt dabei ein paar schlecht gepflegte Zähne. „Hier, Ihr Ticket.“ Es ist zwar mein Flugschein, aber sie reicht ihn trotzdem Johann, der ihn wie selbstverständlich entgegen nimmt. Ist das mein zukünftiges Leben? Immer die zweite Geige an der Seite meines tollen Verlobten spielen? Nicht, dass ich immer im Vordergrund stehen möchte. Aber die letzten Wochen in Hamburg waren schon sehr aufregend. Ich habe das erste Mal in meinem Leben meine eignen Entscheidungen getroffen.
Gleich beginnt mein altes Leben wieder. So wie es war. In ruhigen Bahnen, mit Johann an meiner Seite und meinem geregelten Tagesablauf. Keine Holunderküsschen-Orgien mehr mit Harald und Katja. Stattdessen ein gepflegtes Glas Rotwein und Sauerbraten. Sogar meine Flugangst ist wieder da. Alltag, ich komme!
Ich lege mein Ticket auf den rot blinkenden Kasten, um die Schranke zu öffnen. Ein lauter Pfeifton lässt mich und die restlichen Mitreisenden in der Schlange hinter mir zusammenzucken. Grauenvoll. Ich halte mir vor Schreck erst einmal die Ohren zu. Hektisch ziehe ich meine Bordkarte mit dem Barcode erneut über das hektisch blinkende Lesegerät. Wieder ertönt das laute Pfeifen und es würde mich nicht wundern, wenn gleich zwei Polizisten hinter der Gateschranke hervorspringen und mich festnehmen würden. Ich und elektronische Geräte, das ist eine Never Ending Story. Irgendwie gehen von meiner Person Schwingungen aus, die jedes elektronische Gerät zum Erliegen bringen. Ich habe schon mehrere Computer und Handys mit einem Handgriff erledigt. Die Krönung war, als ich als Praktikantin einmal die gesamte IT-Abteilung mit einem Knopfdruck lahmgelegt habe. Anschließend wurde ich in den Außendienst versetzt. Meine Vermutung ist ja mittlerweile, dass es sich mit Geräten wie mit Tieren verhält. Ein Hund zum Beispiel gehorcht dir nur dann, wenn du selbst davon überzeugt bist, dass er dir gehorchen wird. Verspürt ein Hund auch nur den Anflug von Unsicherheit in deiner Stimme, hast du schon verloren. Einer der Gründe warum ich mir nie einen Hund angeschafft habe. Auf mich würde nicht einmal ein Hamster hören.
„Geht das jetzt mal schneller?“, werden erste Stimmen hinter mir laut, als der Ticketleser weiterhin hektisch piept. „Ich will schließlich noch vor Weihnachten zuhause sein!“ Was für ein typischer Männerspruch. Glaubt der Kerl ernsthaft es ginge schneller, wenn er eine saublöde Bemerkung macht? Nein! Mein Stresspegel ist jedenfalls noch mal um einiges gestiegen. Hektisch und mit roten Flecken im Gesicht lege ich mein Ticket erneut auf das Lesegerät. Bilde ich es mir nur ein oder wird der Pfeifton noch lauter? Ich trete schuldbewusst einen Schritt nach hinten und stoße mit dem Typen zusammen, der mir schon die ganze Zeit in den Nacken haucht.
„Frauen“, murrt er und schüttelt abfällig den Kopf. Die Dame von der Fluggesellschaft lächelt nicht mehr, sondern drückt erfolglos auf irgendwelchen Knöpfen herum.
„Vielleicht sollten sie einfach mal mit dem Fuß dagegen treten, das hilft manchmal“, schlage ich vor.
Die Blicke, die mir die Frau daraufhin zuwirft, sind tödlich. Wäre ich nicht so eine willensstarke Frau, würde ich jetzt röchelnd, mich im Todeskampf windend auf dem Boden liegen. Johann steht mit versteinerter Miene hinter der Schranke.
Kein Wort. Kein Zeichen. Nichts.
Endlich werde ich erlöst und das Piepsen hört auf. Lautes Aufatmen der Passagiere. Mal ehrlich, dieses Gerät kann nur von einem Mann entwickelt worden sein. Praktisch, funktionell und mit einem absolut unnötig lauten Alarmton. Es würde doch völlig ausreichen, wenn beim Auflegen eines falschen Tickets eine leise Melodie spielen würde. Etwas, das die wartenden Gäste in der Schlange fröhlich stimmen würde, anstatt sie zu verärgern. Wenn ich das Gerät konstruiert hätte, würde es »It‘s getting hot in here« spielen. Da bekomme ich sofort gute Laune.
Ein weiterer uniformierter Herr tritt auf mich zu. Er fasst mich am Arm und zieht mich sanft zur Seite, während sich der Strom an Geschäftsleuten an mir vorbei durch die Schranke drängelt.
„Darf ich Sie kurz bitten zu mir zu kommen.“
Ich sehe mich irritiert um. Mich beschleicht schön langsam der Verdacht, hierbei könnte es sich um eine Aufzeichnung der Versteckten Kamera handeln und gleich springt Guido Cantz hinter dem Schalter hervor. Ich suche hilfesuchend nach Johann in der Menge. Nanu? Johann ist verschwunden.
„Geben Sie mir mal Ihre Bordkarte. Wäre doch gelacht, wenn wir Sie nicht an Bord kriegen“, brummt der Angestellte.
Haha! Das hört sich an als wäre ich ein Schwertransport, den es in den Frachtraum zu befördern gilt. Na, danke auch. Der Mann in Uniform runzelt die Stirn, als ich ihm meine Bordkarte gebe.
„Aber das ist ja gar kein elektronisches Ticket.“ Ach so! „Das kann ja nicht funktionieren.“ Er wendet sich an den Computer vor sich und fängt an mit flinken Fingern auf die Tastatur einzuhämmern. „Das hätte Ihnen die Dame am Check-in eigentlich sagen müssen.“ Er reißt einen Teil des Tickets ab.
„Voilá. Einen schönen Flug, Frau Löhmer.“ Er reicht mir die Karte mit einem Lächeln. „Tut mir leid, dass Sie warten mussten.“
Ich passiere endlich die verhasste Schranke. Auch im Finger auf den Weg zum Flugzeug keine Spur von Johann. Wie vom Erdboden verschluckt. Einfach verschwunden.
Ich bin verletzt.
So habe ich mir mein neues Leben nicht vorgestellt. Das soll der Neubeginn unserer Freundschaft, nein unserer Beziehung sein? Mein Magen zieht sich zu einer Faust zusammen.
Er verhält sich so, als ob wir nicht zusammen reisen würden. Ich spüre eine Wut im Bauch wie lange nicht mehr. Was fällt Johann eigentlich ein, mich hier einfach stehen zu lassen wie ein ungeliebtes Kind? Eben am Check-in Schalter hat er sich schon so komisch benommen. Und mit einem Mal trifft mich die Erkenntnis wie eine Ohrfeige: Ich bin ihm peinlich.
Ich gehe erhobenen Hauptes den Gang entlang bis zu meinem Sitzplatz, wo Johann bereits sitzt. Das Gesicht hinter einer Süddeutschen versteckt. Ich räuspere mich, bleibe aber stehen.
Keine Reaktion.
Ich huste gekünstelt.
Endlich lässt Johann seine Zeitung sinken und sieht mich mit unbeweglicher Miene an.
„Schnuppelchen, da bist du ja endlich“, begrüßt er mich schließlich und liest dann weiter.
Und ich ... ich stehe wie ein Depp im Gang.
„Johann!“ Mein Ton ist schärfer als ich wollte. Alle anderen Fluggäste sehen zu mir hoch. Alle, außer Johann.
„Johann“, wiederhole ich, diesmal lauter.
„Was ist denn schon wieder? Setz dich lieber hin und lass mich meine Zeitung lesen. Wir haben noch den ganzen Flug, um uns zu unterhalten. Komm sei lieb.“ Er tätschelt mit der Hand auf den freien Sitz neben sich.
Fehlt nur noch, dass er »PLATZ!« sagt. Ich bin doch kein Hündchen.
„Dann will ich dich mal nicht länger stören, Liebes.“ Ich spucke lautstark auf meinen Ringfinger. Ein paar Tropfen meiner Spucke landen auf Johanns Zeitung. Die Frau am Gang verzieht das Gesicht und ich ziehe mir mit einiger Anstrengung den Verlobungsring vom Finger. Anschließend wische ich das nasse Schmuckstück an meinem Ärmel ab.
„Hier.“
„Wie? Was? Warum?“ Johann sieht mich vollkommen verdattert an. Im Flugzeug ist es mucksmäuschen still.
Ich versuche Johann so schonend wie möglich beizubringen, dass ich nicht mit ihm nach Frankfurt fliegen werde.
„Der Ring ist wirklich wunderschön“, fange ich an, „aber ich kann ihn unmöglich behalten.“
„Wieso das denn nicht? Ist er zu eng?“ Er betrachtet besorgt meinen leicht angeschwollenen und geröteten Ringfinger. „Du fandst ihn doch so schön, hast du mir selbst gesagt.“
Die Sitznachbarin schüttelt den Kopf. Ein anderer Gast stöhnt mitleidig.
„Ja, schon. Er ist ja auch wunderschön, aber ...“ Ich hole tief Luft, „nicht für mich. Die Situation ... meine Situation hat sich ...“ Ich atme hörbar aus.
„Könntest du jetzt bitte mal Klartext reden und dich zu mir setzen, anstatt die ganzen Leute hier mit deinem Gerede zu belästigen?“ Seine Stimme klingt gepresst. Johann hasst Situationen wie diese.
„Ist schon okay.“ Der Mann am Gang lächelt mir auffordernd zu.
„Lassen Sie sich durch uns nicht stören“, ermuntert mich eine Frau drei Reihen hinter Johann weiterzumachen. Mehrere Leute nicken zustimmend.
„Nur zu“, fordert mich Johanns Sitznachbarin auf, was ihr einen hasserfüllten Blick von Johann einbringt.
Johann richtet sich auf und sieht mich mit halb strengem, halb entsetztem Blick an. Dabei pult er an seinem Zeigefinger herum, was er immer tut, wenn er nervös oder extrem angespannt ist.
„Na ja, weißt du. Ich habe noch einmal über alles nachgedacht und ich ... äh, ja weißt du, ich bin mir nicht mehr ganz sicher ...“
„Schätzchen nun mach endlich und komm zur Sache“, proletet der Typ mit Ed Hardy Baseball-Mütze dazwischen.
„Schsch“, zischt irgendwer außerhalb meines Sichtfelds und bittet so den Zwischenrufer zu Räson.
Vielleicht habe ich mich etwas kompliziert ausgedrückt. Johann schweigt. Ich lasse meine Worte in meinem Kopf Revue passieren. Gerade als ich alles noch einmal zusammenfassen will, werde ich von der Stewardess unterbrochen.
„Entschuldigung, gibt es ein Problem?“, fragt sie überaus freundlich mit dem typischen Stewardessen-Lächeln auf dem Gesicht.
„Nein, danke“, antworte ich höflich. „Ich habe nur gerade gemerkt, dass ich dabei bin einen Riesenfehler zu begehen.“ Ich sehe Johann tief in die Augen. „Es tut mir leid, aber ich kann nicht mit dir zurück nach Freiburg kommen.“ Johann zuckt zusammen, als hätte ich ihm eine Ohrfeige verpasst. Ich reiche ihm den Ring. Seine Hand zittert. Ich hingegen bin das erste Mal seit Johann wieder in meinem Leben aufgetaucht ist völlig ruhig.
„Das ist doch absolut lächerlich.“ Johann ist aus seinem Sitz aufgesprungen und funkelt mich böse an. „Hör auf mit dem Theater und setz dich hin! Du weißt ja nicht, was du da sagst.“ Die Flugbegleiterin schnappt hörbar nach Luft.
„Würden Sie dem Kapitän bitte mitteilen, dass ich aussteigen möchte“, sage ich an die Flugbegleiterin gewandt. Jemand klatscht.
„Bravo!“ Ein Typ ist aus seinem Sitz aufgesprungen und filmt mich mit seinem Handy. Ich lächele.
Einige Passagiere klatschen noch immer, als ich der Flugbegleiterin durch den Gang nach vorne folge.
„Katja, wo steckst du gerade?“
„Pumbi, bist du das? Was ist passiert? Hat euer Flieger Verspätung? Ist Johann nicht gekommen?“
„Ich habe mit Johann Schluss gemacht“, erkläre ich fröhlich. „Und wollte dich fragen, ob ich mein altes Zimmer wieder haben kann.“
„Gott sei Dank!“, schreit Katja ins Telefon. Mein Ohr fängt prompt an zu klingeln. „Bleib, wo du bist. Sergej und ich sind schon unterwegs.“
Mir schießen die Tränen in die Augen vor Glück. „Flughafen Hamburg Ankunftsebene“, schniefe ich.
„Wir sind in fünf Minuten bei dir. Und rühr dich nicht von der Stelle“, kreischt Katja. „Sergej, gib Gas! Meine beste Freundin wartet auf mich.“