4. Julias Facebook Status: Shoppen!

 

„Bist du immer noch nicht fertig?“ Die Tür fliegt auf und Katja steht mitten im Raum.

„Wofür?“ Ich sehe meine beste Freundin fragend an. Mit ihren langen Beinen und dem Minikleid sieht sie einfach umwerfend aus. Sie sprüht sich mit Parfüm ein, wirft dabei ihr braunes Haar zurück und lächelt mich an. Selbst ihr Parfüm hat eine elegante Note. Ich persönlich bevorzuge eher süßliche Düfte.

„Unser Plan ...“ Sie tippt mir mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. „Heute beginnt dein neues Leben, schon vergessen? Und dazu gehört auch ein neues Outfit. In deinen alten Klamotten kannst du dich unmöglich durch Eppendorf bewegen! Und deine Haare ...“, sie schüttelt den Kopf, „... also ehrlich, deine Haare gehen überhaupt nicht. Ich schlage vor, wir besuchen als erstes Harald. Eigentlich ist er bis nächsten Monat komplett ausgebucht, aber ich bin in der glücklichen Lage seine Freundin zu sein.“ Sie kichert hysterisch.

Jetzt bin ich fast ein bisschen beleidigt, aber zu erschöpft, um mich zu wehren. Schließlich waren die letzten vierundzwanzig Stunden nicht eben die besten meines Lebens, wenn man mal von dem Gespräch von heute Morgen absieht.

„Ich habe morgen ein Vorstellungsgespräch beim Hirsekorn-Verlag“, triumphiere ich auf.

„Nicht dein Ernst“, ruft Katja und lässt sich in den Sessel fallen.

„Doch! Ich habe die Anzeige aus dem Hamburger Abendblatt. Du hättest diese Frau mal am Telefon hören sollen. Frau Lauschke oder so ähnlich. Also, besonders höflich war die nicht. Aber ich habe ihr klar gemacht, dass ich genau die Richtige für den Job bin. Daraufhin hat sie mir einen Termin zum Vorstellungsgespräch gegeben. Ich soll mich morgen um 15.00 Uhr beim Empfang im Hauptgebäude melden.“

„Die haben es aber eilig! Hast du denn alle Unterlagen dabei?“, ruft Katja.

„Jetzt fängst du auch noch damit an“, stöhne ich, „natürlich nicht, aber ich habe meinen Laptop mit und ...“

„Julia!“ Ihre perfekt gezupften Augenbrauen ziehen sich zusammen. „Du willst doch nicht etwa deine Unterlagen fälschen?“, fragt Katja und der vorwurfsvolle Unterton in ihrer Stimme ist nicht zu überhören.

„ »Fälschen« ist so ein hartes Wort – »Verschönern« trifft es in meinen Augen besser“, versuche ich zu beschwichtigen.

„Für welche Stelle hast du dich eigentlich beworben?“, fragt Katja matt.

„Als Reisejournalistin!“, verkünde ich stolz.

Katja richtet sich mit einem Ruck auf. „Pumbi, du hast Flugangst! Schon vergessen?“

„Ach das“, winke ich ab, „das ist doch nur ein klitzekleines Problemchen.“

„Du bekommst ja schon Panik, wenn du nur zur Verabschiedung mit zum Flughafen kommen sollst. Das nenne ich keine klitzekleine Sache, sondern ein ausgewachsenes Problem, wenn man Reisejournalistin werden will.“ Sie funkelt mich an.

„Manchmal kannst du ein echter Spielverderber sein.“ Ich bin ernsthaft empört. „Man muss ja nicht mit dem Flugzeug reisen, schließlich gibt es auch noch andere Verkehrsmittel wie das Schiff oder den Bus.

„Du wirst doch sofort seekrank“, sagt Katja trocken, „falls ich deinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen darf denk an unseren Bootstrip in Griechenland.“

Ich stöhne innerlich auf. Katja und ich hatten nach unserem Abitur eine Reise nach Griechenland geplant. Insel-Hopping, wie sie es in den Hochglanzbroschüren immer nennen. Da ich ein von Grund auf offener Mensch bin und gerne mal etwas Neues ausprobiere, hatte ich begeistert zugesagt. Spätestens bei der Überfahrt mit der Fähre von Athen nach Santorin wurde mir und jedem anderen, der sich in meiner Nähe aufhielt, klar, dass Seereisen nichts für mich waren. Bereits beim Ablegen im Hafen verspürte ich ein flaues Gefühl im Magen. Zunächst ignorierte ich das Hin-und-Her-Schaukeln meiner Mitte, indem ich mich dem attraktiven Schweden an meiner Seite zuwandte. Er wollte zusammen mit seinem Bruder den gleichen Trip wie Katja und ich unternehmen. Ideal also. Magnus war ein Naturbursche wie aus dem Bilderbuch. Lange flachsblonde Haare, stahlblaue Augen und ein Body wie aus Stein gemeißelt. Während Magnus mich mit seinem umwerfenden Lächeln ansah, passierten gleich zwei Dinge mit mir. Erstens übernahmen meine Hormone direkt die Gesprächsführung und zweitens schlug mein Magen Purzelbäume. Allerdings nicht solche, die man schlägt wenn man jemanden toll findet, sondern die, wenn man etwas Falsches gegessen hat. In meinem Fall begannen sich die Spiegeleier vom morgendlichen Frühstück langsam in Rühreier zu verwandeln. Ich konnte mich auf nichts anderes mehr konzentrieren, so sehr ich mir auch Mühe gab. Genau in dem Moment als Magnus mich fragte, ob ich nicht Lust hätte zusammen mit ihm, seinem Bruder Lars und Katja den Rest unseres Urlaubs zu verbringen, beschloss mein Magen die lästigen Rühreier loszuwerden und schoss die gesamte Eimasse die Speiseröhre nach oben – wie ein Vulkan seine Lava. Ich schaffte es gerade noch, meinen Kopf zur Seite zu wenden so dass Magnus nicht getroffen wurde, vergaß allerdings in meiner Panik die Windrichtung mit einzukalkulieren. So kam es, dass ich die Spiegeleier noch einmal zu sehen bekam, diesmal auf meinem T-Shirt klebend.

Es ist unnötig zu erwähnen, dass Magnus auf eine weitere Zusammenreise mit mir und Katja verzichtete und sich lieber einer mittelmäßig hübschen Engländerin widmete, die sich ebenfalls an Bord der Fähre befand und deren einziger Vorzug war, dass sie im Gegensatz zu mir nicht seekrank wurde. Mein ohnehin angeknackstes Selbstbewusstsein nahm weiteren Schaden.

„Okay“, gebe ich zu. „Vielleicht kein Schiff . Aber dann gibt es immer noch Bus, Bahn und das Auto.“ Ich sehe sie triumphierend an.

Katja flattert mit den Augen. „In Ordnung, bei einem derart unerschütterlichen Optimismus muss ich mich wohl geschlagen geben.“

„Ha, habe ich es doch gewusst: meine Argumente haben dich überzeugt! Siehst du, das ist der Grund, warum ich Reporterin geworden bin. Ich habe einfach eine Gabe, Menschen Dinge logisch zu erklären.“ Ich streiche mir das Haar zurück.

„Pumbi, du bist ein absolutes Chaosweib und dafür liebe ich dich!“, sagt Katja und lacht.

 

 

Katja und ich schlendern den Jungfernstieg entlang. Die Prachteinkaufsmeile der Hamburger präsentiert sich in strahlendem Sonnenschein und ich fühle mich bei dem Anblick der edlen Auslagen in eine Art Rauschzustand versetzt, wie ich es sonst nur von Weihnachten her kenne. Hamburg ist meine Stadt. Hier flanieren die Menschen. »Sehen und gesehen werden« lautet das Motto der Hamburger. Da huscht keiner in ausgeleierten Jogginghosen an einem vorbei, um mal schnell ein paar Einkäufe zu tätigen. Hier spaziert die Hamburger Gesellschaft in Joop und Jil Sander gekleidet den Jungfernstieg auf und ab.

Aber das Beste an Hamburg ist, dass mich niemand kennt. Keine Erinnerungen, keine Bekannten, kein Johann, keine lästigen Erklärungen, gefolgt von mitfühlenden Gesprächen, die einem das Gefühl geben, dass man ein total beziehungsunfähiger Versager sei. Hamburg ist genau der richtige Ort für einen Neuanfang. Hier hat alles seine Ordnung. Hier herrscht ein höfliches, distanziertes Miteinander.

An meinem Arm baumeln die Errungenschaften der letzten zwei Stunden. Tüten, ebenso schlicht und edel wie die Namen der Designer, die darauf gedruckt sind. Understatement ist ein Begriff, den die Hamburger schon mit der Muttermilch aufsaugen. Nicht wie in Düsseldorf, wo jeder zeigt, was er hat und die Frauen mit Klunkern behangen sind, dass man sie von Weitem für wandelnde Weihnachtsbäume halten könnte. Nein, der Hamburger trägt seinen Status nicht offensichtlich zur Schau. Erst bei genauerem Hinsehen kann man die feinen Unterschiede erkennen.

Kaschmir statt Wolle.

Seide statt Satin.

Platin statt Silber.

Champagner statt Sekt.

Von einigen Freundinnen weiß ich, dass deren Understatement sogar so weit geht,  die Label aus ihren Klamotten herausschneiden. Wer tut denn so was! Ich bin zwar auch kein Fan von groß aufgedruckten Markennamen, aber wenn ich mir schon mal was Teures leiste, soll man das auch ruhig sehen.

Bei Facebook habe ich mich kürzlich der Gruppe angeschlossen: Danke, dass es Ed Hardy gibt. So erkennt man wenigstens auf einen Blick, wer ein Prolet ist! Mal ehrlich genauso ist es. Beim Anblick von Ed Hardy-Shirts rollen sich mir die Fußnägel auf. Hässlicher geht es kaum noch! Diese schrecklichen Totenkopf-Motive, die schon bei den Hells Angels lächerlich wirken und dazu noch diese neckischen Glitzersteine, die dem Ganzen die Krone der Geschmacklosigkeit aufsetzen! Da hilft es auch nichts, wenn Heidi Klum die Klamotten trägt. Die bekommt nämlich Geld dafür, im Gegensatz zum Rest der Welt. Ich verstehe nicht, wie Menschen diese grauenvollen Klamotten an anderen Tagen als Halloween tragen können.

 

 

Noch nie in meinem ganzen Leben habe ich an einem einzigen Tag genau genommen sind es nur drei Stunden gewesen so viel Geld für Klamotten ausgegeben. Okay, um ehrlich zu sein ist es gar nicht mein Geld, sondern das von Johann. Seine Kreditkarte habe ich, wie durch ein Wunder, in meinem Portemonnaie gefunden habe. Meine anfänglichen Skrupel, die Karte zu benutzen, haben sich schnell verflüchtigt, als Katja mich daran erinnerte, dass es ja schließlich Johanns Schuld sei, die mich in diese misslichen Lage gebracht hat. Er habe mich mit seiner Aktion förmlich gezwungen mich neu einzukleiden, schließlich könnte ich ja nicht nur in meinem ollen Rock und der Bluse durchs Leben gehen. Und zurückfahren nach Freiburg, um meinen Kleiderschrank auszuräumen, käme gar nicht erst infrage.

Natürlich bin ich mir dabei bewusst, dass ich über fremdes Geld verfüge und gehe deshalb besonders verantwortungsbewusst damit um. Johann wäre stolz auf mich, denn ich achte auf höchste Qualität und nicht auf den Preis. Was er mir häufig genug bei meinen sonstigen Einkäufen vorgeworfen hat. Sein Argument, ich solle mir lieber weniger, aber dafür qualitativ Hochwertigeres kaufen, fand ich nicht akzeptabel. Eine Frau will schließlich nicht jeden Tag das Gleiche anziehen, sondern die Möglichkeit haben zu variieren und das ist bei meinem doch relativ bescheidenen Einkommen nun mal nur möglich, wenn man bei H&M einkauft.

Egal, diese Zeiten sind ab heute vorbei. Zwar habe ich kein Hartmännchen mehr, aber dafür besitze ich jetzt eine wunderschöne weiße Leinenhose von Jil Sander, die meinen leichten Hüftspeck auf geradezu magische Weise unsichtbar macht und die mich das erste Mal in meinem Leben aussehen lässt, als ob ich meterlange Beine hätte. Dazu eine passende hellblaue Bluse, die laut Katja meine Augen erst zum Leuchten bringt, und samtweiche Ledersandalen. Der reizende Verkäufer versichert mir, dass ich in diesem Outfit einfach unwiderstehlich aussehe. Beflügelt von so vielen Komplimenten, gehen mir die nächsten Einkäufe mit Johanns Kreditkarte noch deutlich leichter von der Hand.

Unter Katjas strengem, modisch geschultem Auge erstehe ich noch zwei Jeans einer angesagten Marke, die einen richtigen Knack-Po machen, mehrere T-Shirts, die meine Körbchengröße von 75a auf eine stattliche 75b vergrößern, drei Blusen, ein Wickelkleid von Diane von Fürstenberg, einen Rock von Wunderkind, einen Swingermantel für kühlere Tage, den ich kostengünstig bei Zara gekauft habe, ein Paar Pumps, ein Paar hochhackige schwarze Stiefel, schwarze Chucks und haufenweise neue Unterwäsche. Mal ehrlich, wer will schon die Unterwäsche tragen, in der man seinen Ex-Freund verführt hat! Nein, zu einem Neuanfang gehört neue Unterwäsche ebenso dazu wie neue Klamotten, neues Parfum und eine neue Wohnung. Das verschafft ein völlig neues Körpergefühl!

Ich addiere in Gedanken meine bisherigen Ausgaben. Mir wird heiß und kalt, während ich über die Summe nachdenke, die am Ende des Tages – von Johanns Konto – abgebucht wird

Katja sieht mich von der Seite an. „Pumbi, geht es dir gut? Du bist plötzlich so blass.“

Ich bleibe abrupt stehen und schnappe nach Luft, wie ein Fisch auf dem Trockenen. „Oh mein Gott! Ich habe gerade knapp tausend Euro ausgegeben“, flüstere ich heiser und schlucke. „Das verzeiht mir Hartmännchen nie!“

„Nicht du.“ Katja hakt sich bei mir ein und zerrt mich weiter, um nicht den Strom der Menschen zu behindern, die sich hinter uns drängen. „Sieh es als eine Art Spende, die dir dein Schwein von einem Ex-Freund vermacht hat, damit du über das Trauma hinwegkommst, das du nach dem Anblick von Titten-Annette erlitten hast. Solltest du trotzdem noch Bedenken haben, dann denk einfach an die neuen Losungswörter in deinem Leben. Selbstbewusstsein. Erfolg. Spaß.“ Sie strahlt mich an. „Und ...“ Katja holt tief Luft für ihr letztes wirklich überzeugendes Argument. „ ...Titten-Annette! “

Schlagartig fühle ich mich besser. „Okay, du hast Recht.“ Ich spähe zu dem kleinen Café rüber, das direkt an der Alster liegt und bestimmt sündhaft teuer ist. „Lust auf einen Latte Macchiato?“

 

 

Nachdem wir den herrlichen Ausblick auf die Alster in dem sündhaft teuren Café genossen haben, machen wir uns auf den Weg zu Katjas legendärem Friseur Harald. Der Laden liegt in der Schanze, dem ehemaligen Drogenbezirk. Das Publikum ist hier, anders als in Eppendorf, bunt gemischt. Einige wenige Punker faulenzen am Seitenrand im Schatten der Häuser, während Mütter mit Kindern, Mitglieder verschiedener ethnischer Gruppen und Studenten an ihnen vorbeiziehen. Trotz der vielen neuen Wohnungen, die hier in den letzten Jahren entstanden sind, hat sich die Schanze mit ihren gemütlichen Cafés und den urigen Kneipen ihre quirlige Ursprünglichkeit bewahrt.

„Hier waren Sergej und ich letzte Woche beim Essen.“ Katjas Gesicht bekommt einen schwärmerischen Ausdruck, während sie mit dem Finger auf ein unscheinbares Rotklinker-Fabrikgebäude zeigt. Auf dem Vorplatz sind lange Bänke mit Tischen und Sonnenschirmen aufgebaut, unter denen es sich mehrere Grüppchen gemütlich gemacht haben und ihr Mittagessen im Freien genießen. Eigentlich entspricht das so gar nicht Katjas Stil.

„Das ist der Schuppen vom Mälzer. Du weißt schon ...“ Ich habe keine Ahnung, wen Katja meint. Erstaunt sieht sie mich an und ich komme mir plötzlich vor wie ein Landei. „Na, dem Fernsehkoch.“

Bei mir dämmert es so langsam. „Ist das der Typ, der aussieht wie ein dickliches Monchichi-Äffchen und redet wie ein waschechter Hamburger mit leichtem Lispler?“

Katjas prustet laut los. „Genau der!“ Sie bleibt an dem Eckhaus stehen. „Wir sind da.“

Über die gesamte Fensterfront zieht sich ein gelber Schriftzug mit dem Aufdruck Box Haare. Katjas Friseurtempel.

Ich bin ein bisschen enttäuscht. Nach Katjas Erzählungen zu urteilen, hatte ich einen Prachtbau erwartet, und jetzt stehe ich vor einem eher schäbig wirkenden Gebäude mit Rotklinker-Fassade und Graffiti. Der Kerl muss wirklich gut sein, wenn sich die Hamburger High Society zum Haarescheiden hierher traut.

„Ich weiß, es sieht nicht besonders spektakulär aus. Aber Harald ist ein echter Künstler", beschwichtigt Katja, als hätte sie meine Gedanken erraten. „Im wahren Leben heißt Harald übrigens Dieter Manuel Vögler. Aber das wissen nur die wenigsten seiner Freunde. Denn wer geht schon zu einem Friseur der »Dieter Manuel Vögler« heißt?" Katja lacht und öffnet dabei die Ladentür.

Als wir den Laden betreten, steigt uns der typisch beißende Geruch nach Haarfärbemitteln in die Nase. Ein kleiner untersetzter Mann kommt mit ausgebreiteten Armen auf uns zu.

Hä? Das soll der berühmte Hamburger Starcoiffeur sein? Der Mann hat dichtes schwarzes Kopfhaar, das mit viel Gel zu einer Art moderner Hahnenkamm gebändigt wurde und nahtlos in den Bart übergeht, der wiederum mit den Brusthaaren verschmilzt, die sich unter seinem Shirt hervor kringeln. Ich blinzle irritiert. Der Mann ist geschminkt! Jonny Depp und die Pirates of the Caribbean lassen grüßen. Schwarzer Kajal umrandet die Augen, die wulstigen Lippen umgeben von schwarzen Barthaaren wirken unnatürlich rot. Ach herrje, was erblicken meine Äuglein da gezupfte Augenbrauen. Wenn ich etwas an Männern nicht leiden kann, dann sind es getrimmte Augenbrauen. Figurtechnisch hat das Männlein nichts mit Jonny Depp gemein. Seine dünnen, streichholzartigen Beine stecken in einer schwarzen Lederhose mit einem Totenkopfgürtel, der einem Augenschmerzen verschafft. Dazu trägt er eine schwarze Weste, die einen gewagten Blick auf das getrimmte üppige Brusthaar zulässt, das an eine schwarze Matte erinnert. Die Arme sind fast vollständig mit Tattoos übersät. Und dann dieser Schmuck! An den wurstigen Fingern glänzen dicke Klunkerringe und selbst um den Hals hängen fette Ketten.

Das kann Katja unmöglich ernst gemeint haben! Dieser Harald sieht aus wie die Galionsfigur vom Christopher Street Day und mit diesen Wurstfingern braucht er eine Spezialanfertigung von Schere.

Der Rest der Angestellten in Der Box macht den Eindruck, als wären sie gerade einem Magazin für alternative Mode entsprungen und hätten sich ganz zufällig hier eingefunden, um zum Spaß anderer Leute Haare zu schneiden. Also wenn meine nachher so aussehen wie die, dann verzichte ich lieber.

„Liebelein, was sieht sie wieder wunderschön aus!“, begrüßt Harald Katja und wirft ihr einen Kuss über die Schulter. Mich würdigt er keines Blickes.

„Ach, du alter Charmeur“, winkt Katja ab. „Toll, dass du Zeit für mich hast. Ich weiß ja wie voll dein Terminkalender immer ist. Das ist meine Freundin Julia.“ Sie gibt mir einen Stoß und ich stolpere ungeschickt nach vorne. „Äh, der Notfall, von dem ich gesprochen habe“, erklärt Katja unverschämt.

Hallo! Geht´s noch? Mich als »Notfall« zu bezeichnen, finde ich nun wirklich reichlich übertrieben. Zugegeben, meine Haare führen schon seit meiner Geburt ihr Eigenleben. Aber als Notfall würde ich sie nicht bezeichnen eher als »Krisengebiet im Ruhezustand«.

Harald baut sich vor mir auf. Oh mein Gott, der Mann reicht mir knapp bis zum Kinn und die Make-up Schicht ist dicker als die eines Fernsehmoderators. Wie will der mir mit seiner Größe die Haare schneiden? Ich sehe mich schon auf dem Boden hockend, während Harald meine Haare mit einer Schere bearbeitet. Harald sagt kein Wort, sondern starrt mich nur mit verzogenen Mundwinkeln an. Als würde er befürchten, ich könnte Ungeziefer einschleppen.

„Hallo Harald! Netter Schuppen, den du da hast“, versuche ich möglichst selbstbewusst zu sagen. Aber ich höre selbst, dass es eher so klingt wie: „Bitte, bitte großer Meister, schenk mir deine Gunst und mach aus dem Chaos auf meinem Kopf so etwas, was sich Frisur nennen darf!“

Gerade als ich mich frage, ob er bei dem Anblick meiner Haare einen plötzlichen Sprachverlust erlitten hat, öffnet Harald den Mund.

„Ach Göttchen wie sie aussieht.“ Er spitzt pikiert die Lippen. „Dabei hat sie gute Anlagen, auch wenn sie ...“, er stockt und ich halte die Luft an, „... ein bisschen blass um die Nase wirkt.“ Er zwirbelt eine Haarsträhne zwischen seinen Wurstfingern. „Die Haarstruktur ist wirklich  außergewöhnlich schwierig. Das wird nicht ganz einfach, aber da lässt sich was machen“, sagt Harald wie ein Richter, der ein Urteil fällt gegen das es keine Berufung gibt. Dabei fährt er mit seiner Hand durch meine Haare und legt den Kopf leicht zur Seite. Der Typ ist definitiv ein echter Vorzeigeschwuler. Jede seiner Bewegungen wirkt, als würde er auf der Bühne stehen und sich einem ganz großen Publikum präsentieren.

„Äh, ich kann auch ein anderes Mal wiederkommen“, nutze ich die Gelegenheit zur Flucht. Harald hebt kurz die Augenbraue und verlagert sein Gewicht mit Hilfe eines eleganten Hüftschwungs von rechts nach links.

„Robiiiiin!“ Er wedelt hektisch mit der Hand einen jungen Mann zu sich, der aussieht als wäre er der Gruppe Tokio Hotel abhanden gekommen. „Einmal Spezialwäsche, bitte!“

Hallo!? Geht es vielleicht noch lauter? Spezialwäsche!!!! Das klingt nach Läusen, Krätze und anderem Getier, das sich so auf Köpfen tummelt aber sicher nicht auf meinem. Das Gleiche muss die Frau neben mir gedacht haben, die bis eben in ihre Zeitschrift vertieft war. Jetzt hebt sie zusammen mit den anderen Kunden im Salon den Kopf und starrt mich an. Ich weiß, ich sollte jetzt selbstbewusst lächeln. Stattdessen suche ich nach der Erdspalte, in die ich kriechen kann. Wie ein Schaf, das zur Schlachtbank geführt wird, folge ich Robin zum Waschtisch und lasse mich auf den Friseurstuhl plumpsen. Während Katja mit einem Gläschen Prosecco mit Harald anstößt. Wie ist es möglich, dass wir mit Raketen bis zum Mond und weiter fliegen, aber gleichzeitig so unbequeme Friseurstühle bauen, dass der Genickbruch während des Haarewaschens geradezu vorprogrammiert ist? Hier liege ich nun völlig verkrampft und lasse die Spezialwäsche über mich ergehen. Meine Nackengegend fängt bereits an zu tingeln und Robin ist noch beim Einstellen der richtigen Temperatur. Es ist nur noch eine Frage von Minuten, bis ich die ersten Ausfälle meines gequetschten Rückenmarks spüren werde.

„Geht es so?“, fragt Robin.

Ich gebe ein schwaches Nicken von mir. Zu mehr bin ich nicht fähig. Während Robin sich mit Hingabe daran macht, meine Haare mit Unmengen von Shampoo zu reinigen, bewege ich heimlich meine Zehen, um deren Funktionsfähigkeit zu überprüfen. Soweit alles okay. Allerdings kitzelt es in meinem Rücken und ich frage mich, ob es Wasser ist, das versehentlich seinen Weg dort entlang gefunden hat, oder ein eingeklemmter Nerv, der nach Hilfe schreit.

Als Robin endlich mit dem Waschen fertig ist, liegen meine Nerven buchstäblich blank. Endlich darf ich meinen Kopf aus der unbequemen Lage anheben. Gerade als die Durchblutung meines Nackens wieder einsetzt, wickelt mir Robin das Handtuch wie einen Turban um den Kopf. Was einen auch nicht wirklich schöner macht, vor allem wenn man eine kurze Stirn wie ich hat. Wie meinte Sunji alias Reiner einmal zu mir: „Also wenn man deine Stirn so betrachtet, wird einem wieder bewusst, dass der Mensch vom Affen abstammt!“ Ich habe seitdem einen ausgeprägten Komplex, wenn es um meine Stirn und ihre öffentliche Zurschaustellung geht.

Katja unterhält sich noch immer mit Harald, als Robin seinem Meister verkündet, dass ich fertig sei. Das bin ich wirklich. Und zwar mit den Nerven, spätestens als mich Robin zu einem Stuhl ohne Spiegel führt. Irritiert sehe ich mich um.

„Suchst du was?“, trällert Katja, in der Hand ihr Gläschen Prosecco.

„Tja, äh, eigentlich ... wo ist der Spiegel?“

Katjas grinst mich blöde an. „Teil deiner Verwandlung: Du darfst dich erst ansehen, wenn Harald fertig mit dir ist. “

Na super!

Ein Blind Date mit meinem neuen Ich. Bevor ich mich weiter damit auseinandersetzen kann, taucht Harald vor mir auf. Gelangweilt zieht er seine Schere aus der Hüfte wie ein Cowboy seinen Colt. Hilfe suchend sehe ich zu Katja, die es sich inzwischen in einem Ohrensessel neben dem Zeitschriftenständer gemütlich gemacht hat und mir zuprostet was ich wohl als Aufmunterung verstehen soll. Verräterin!

Die erste Locke segelt an meinen Augen vorbei nach unten und mit ihr mein Wille zur Gegenwehr. Fassungslos starre ich auf den Boden, wo sich innerhalb kürzester Zeit ein Berg von abgeschnittenen Haaren türmt. Mein Gott, wenn dieser Mann nicht bald aufhört, habe ich keine Haare mehr auf dem Kopf und sehe aus wie Mia Farrow in Rosmaries Baby. Eine grauenhafte Vorstellung!

Ich habe festgestellt: Die meisten Männer stehen auf lange Haare. Haare stehen als Zeichen für Weiblichkeit. Man braucht sich nur ein Beispiel an den weiblichen Stars zu nehmen. Bis auf wenige Ausnahmen haben alle lange Haare.

Hilfeeee! Ich will keine kurzen Haare. Katja steht auf und tippt etwas in ihr iPhone. Ich räuspere mich, in der Hoffnung ihre Aufmerksamkeit auf mich lenken zu können.

„Katja“, flüstere ich.

Leider ohne Erfolg, denn Katja verlässt den Laden bevor ich sie aufhalten kann. Stattdessen hält Harald in der Bewegung inne und zieht die gezupften Augenbrauen vorwurfsvoll nach oben.

„Liebelein, mit ihren Haaren kann ich ihr helfen. Aber wenn ich sonst noch etwas für sie tun soll, muss sie schon lauter sprechen.“ Also diese Form der Ansprache ist schon gewöhnungsbedürftig und ich bin ständig versucht Harald über die Tatsache aufzuklären, dass wir uns nicht am französischen Hof befinden sondern in seinem Friseursalon. Angesicht der Gegebenheiten lasse ich es lieber sein, schließlich will ich es mir mit meinem Friseur nicht vergraulen.

„Ich hätte gern einen Schluck Wasser“, krächze ich entschuldigend. Harald nickt und gibt einem  seiner unzähligen Angestellten ein Zeichen. Sofort verschwindet eine junge Frau in modischen Haremshosen um die Ecke, um kurz darauf mit einem Glas Wasser wieder vor mir zu stehen. Wie eine Ertrinkende nach dem Rettungsfloß greife ich mit zittrigen Händen danach. Harald zuppelt derweilen ungeduldig an meinen Haaren oder besser, was davon noch übrig geblieben ist. Gott sei Dank sind Hüte dieses Jahr modisch ganz weit vorne. Im Notfall laufe ich eben die nächsten Wochen mit einer Kopfbedeckung durchs Leben. Ohne Vorwarnung macht Harald weiter. Er schneidet schon wieder!

Hilfeee!

Meine innere Stimme schreit ganz erbärmlich. Ich versuche Haralds Gesicht zu deuten. Bilde ich es mir ein oder verzieht er tatsächlich den Mund? Ist das jetzt ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Ein Gefühl von Panik kriecht langsam entlang meiner Magenwände nach oben. Meine Hände sind schweißnass. Verlegen wische ich sie mir an der Hose ab. Vielleicht hat Harald heute einen schlechten Tag und verschneidet mich völlig?! Der Gedanke macht meine Situation nicht besser. Hör auf! Alles wird gut! Hoffentlich ... Vielleicht sollte ich mich ein wenig ablenken?

„Wer kommt denn sonst so in deinen Laden?“ Mein Versuch locker zu klingen hört sich selbst für meine Ohren hölzern an. Harald hält für einen Moment inne, dann beginnt die Schere wieder zu klappern. „Ich würde meinen Salon nicht als »Laden« bezeichnen, Liebelein.“

Oh toll! Gleich in den erstbesten Fettnapf zu treten gehört zu meinen Spezialitäten. „Tschuldigung“, piepse ich.

Harald nickt zufrieden und fährt dann fort. „Die meisten meiner Kunden sind jahrelang zu Marlies Möller gerannt. Bis sie gemerkt haben, dass die Frau immer das Gleiche macht: Blond, blond, blond! Dabei sieht die gute Marlies doch selbst aus, als hätte man ihr eine schlecht gefärbte Perücke aufgesetzt.“  Haha, der Mann hat Humor.

„Ich möchte jede Frau zu einer Prinzessin gemacht haben, wenn sie meinen Laden verlässt. Ein Luxus, den sich jede Frau gönnen sollte.“ Ich habe zwar noch keinen Blick auf die Preisliste geworfen, aber ich bete im Stillen, dass ich mir den Luxus hier leisten kann.

„Und was treibt sie so nach Hamburg? Katja erwähnte etwas von einem Notfall?“ Es ist das erste Mal, dass Harald mich wahrzunehmen scheint,. Jedenfalls sieht er kurz zu mir hoch.

„Ach, nichts Besonderes“, winke ich ab. „Katja übertreibt gerne mal. Zu Hause gab es ein paar Probleme.“

„Also sie braucht mich nicht anzulügen, Süße. So, wie sie hier reingeschneit gekommen ist, hat sie mehr als nur ein paar Probleme.“

Sieht man es mir wirklich an? Eine schreckliche Vorstellung. Ich betrete einen Raum und alle Leute denken: Seht nur, die Betrogene. „Woher wusstest du ...?“

Harald winkt ab. „Aus meiner Erfahrung mit Frauen weiß ich, es gibt nur zwei Dinge, die eine Frau wirklich unglücklich machen: Sie hat zugenommen oder ihr Freund hat sie betrogen.“ Er sieht an mir herunter. „Und bei ihr ist es nicht das Gewicht.“ Das hört man gern!

„Aber keine Sorge! Zumindest, was ihr Aussehen betrifft. Wenn ich mit ihr fertig bin, wird sich ihr Ex wünschen, er hätte sie nicht gehen lassen.“

Und plötzlich ohne dass ich es verhindern kann treten mir Tränen in die Augen. „Johann hat mich mit Titten-Annette betrogen“, schluchze ich leise. Du meine Güte, jetzt erzähle ich schon wieder einem wildfremden Menschen aus meinem Privatleben!

Haralds Schere hört auf zu klappern. „Robin bring mal ein Gläschen Prosecco rüber.“ Harald tätschelt mir mit seiner behaarten Pranke auf die Schulter. „Liebelein, ich kann es nicht ertragen, wenn andere Menschen unglücklich sind. Schon gar nicht, wenn es mir selbst schlecht geht. So ein Piccolöchen ist gut für die Nerven.“ Neben mir steht Robin mit dem Prosecco in der Hand. Holunderküsschen, lese ich.

„Das ist ja ein süßer Name für einen Prosecco: Holunderküsschen. Kenn ich gar nicht“, sage ich und hebe mein Glas.

„Eigenmarke, die aus Holunderblüten gebraut wird. Ein uraltes Familienrezept.“ Harald prostet mir traurig zu. „Ich fürchte, ich komme auch nie über ihn hinweg!“

Ich schüttele verwirrt den Kopf. Irgendwie habe ich gerade den Faden verloren.

„Über Johann?“

„Dummerchen, über meinen Ex-Freund Roberto natürlich. Er hat mich verlassen und vergnügt sich jetzt mit einem Anderen. Während ich vor lauter Gram immer dicker werde.“ Wie zur Bestätigung schiebt sich eine beachtliche Plauze unter der Weste hervor.

„Ach, das kleine Bäuchlein ist doch nichts“, versuche ich ihn zu beruhigen.

„Sie sieht es also auch“, jammert Harald plötzlich. Tränen treten ihm in die Augen und er wischt sich verlegen mit dem Handrücken übers Gesicht.

„Nur ein bisschen, das kann aber auch an dem Shirt liegen. Ich finde, du siehst sonst richtig gut aus.“ Eine Notlüge! Ich finde Notlügen sind erlaubt, solange man andere damit glücklich macht.

„Das ist nicht fair“, jammert Harald weiter. „Jahrelang finanziere ich ihm das Studium und jetzt wo er endlich fertig ist und wir mehr Zeit miteinander verbringen könnten, verlässt er mich.“

„Männer sind eben undankbar“, entweicht es mir.

„Das kann sie doch nicht so pauschal sagen“, protestiert Harald.

„Doch!“, bestehe ich auf meiner Aussage und erzähle Harald von meinem Erlebnis in der Bahn mit dem Lustmolch. Katja und ich haben uns auf diesen Namen geeinigt, denn Benni klingt irgendwie zu nett. Als ich zu Ende erzählt habe, ist die Flasche Prosecco leer und ich habe einen leichten Glimmer. Hoffentlich geht es Harald nicht wie mir, denn er greift wieder zur Schere.

„Mit Männern ist es wie mit einer neuen Frisur. Entweder sie passt zu dir oder du hast richtig in die Scheiße gegriffen.“ Philosophisch gesehen ist die Aussage vielleicht nicht ganz korrekt, aber ich verstehe Harald voll und ganz.

Katja lässt endlich von ihrem iPhone ab und kommt zu uns herüber geschlendert.

„Wow, Julia, du siehst schon jetzt völlig verändert aus.“

Kein Wunder, schließlich habe ich keine Haare mehr auf dem Kopf oder nur noch sehr wenige. Was da vor mir auf dem Boden liegt ist genug, um daraus eine passable Afro-Perücke zu machen.

Harald jedenfalls nickt zufrieden, als er sich vor mich stellt. „Liebelein, ich habe ihr doch gesagt, das kriegen wir hin!“ Er zwinkert zuerst Katja und dann mir zu. „Mit der Frisur mache ich sie zum Star.“ Mit einer lässigen Handbewegung greift Harald zum Föhn. Sekunden später bin ich von ohrenbetäubendem Lärm umgeben. Dass Harald föhnen muss, werte ich als gutes Zeichen. Schließlich kann man nur föhnen, wenn es noch etwas zu Föhnen gibt.

„Tataaa.“ Mit einem Ruck zieht Harald mir den Schutzumhang von den Schultern und wirbelt mich auf dem Stuhl herum. „Ach Göttchen, sie sieht einfach bezaubernd aus. Aus dem hässlichen Entlein wurde ein Schwan. Meine Damen, sehen sie nur!“ Er wedelt mit den Händen durch die Luft. „Eine Prinzessin! Wenn sie morgen in das Personalbüro kommt, werden sie ihr einen roten Teppich ausrollen.“

Ich starre auf das Gesicht im Spiegel keine zwei Schritte von mir entfernt. Kann es sein? Bin das wirklich ich dort im Spiegel? Ich habe Haare tolle, lange Haare! Ich bewege meinen Kopf zu allen Seiten. Wie eine seidig schimmernde Matte schwingen meine Haare hin und her. Ich bin so glücklich, dass ich vor Freude aufspringe.

„Hab ich es dir nicht gesagt, der Harald ist ein wahrer Künstler“, kreischt Katja und schlingt ihre Arme von hinten um mich. „Pumbi, du siehst klasse aus!“

„Sie sieht aus wie eine Königin“, korrigiert Harald und nippt an seinem Prosecco-Glas.

„Aber wie ... wie hast du das nur gemacht?“, frage ich, noch immer fassungslos über mein Spiegelbild. „Das hat noch nie ein Friseur bei mir geschafft. Ich habe lockige ... glatte Haare!“ Das ist wahr. Meine Haare fallen in weichen schimmernden Wellen auf meine Schultern. Keine Krause mehr, die mich aussehen lässt, als hätte es sich ein Pudel auf meinem Kopf gemütlich gemacht.

„Liebelein, ich verstehe mich eben als Künstler und nicht als Friseur. Friseur kann jeder, das hier aber ist Kunst in seiner höchsten Vollendung. Menschen sind meine Passion und bei ihr wusste ich gleich, dass sie Starpotenzial besitzt.“

Ich spüre, wie eine flammende Röte mein Gesicht überzieht. Wenn mich Hartmännchen doch nur sehen könnte, schießt es mir durch den Kopf. Hör auf mit dem Scheiß, der Kerl hat dich betrogen, ermahne ich mich selbst zur Vernunft. Trotz alledem fehlt mir mein Hartmännchen doch. Schließlich waren wir vier Jahre lang zusammen. Nach so einer langen Zeit legt man einen Mann nicht einfach so ab als wäre er ein ausgeleiertes T-Shirt. Ausgeleierte T-Shirts sind schließlich bequem.

 

 

Die Kreditkarte brennt in meiner Hand, als ich sie Harald reiche, um meine Rechnung zu begleichen. Seine Augenbraue schnellt nach oben, eigentlich zuckt sie mehr, da Haralds Gesicht durch Botox so gut wie stillgelegt ist. Aber dafür hat der Mann fast keine Falten.

„Ähm, gehört meinem Ex“, stammle ich verlegen.

„Nimm den Höchstsatz“, ruft Katja fröhlich und prostet mir zu. „Das Schwein hat es verdient.“

„Für die Gerechtigkeit“, antwortet Harald und zieht die Karte mit gleichgültiger Miene durch den Apparat. Es piepst und die Rechnung rattert fröhlich durch. Harald reicht mir die Karte samt der Rechnung. „Liebelein, es war mir ein Vergnügen, mit ihr Geschäfte zu machen.“

Ein Blick darauf genügt, um zu wissen, dass Johann mit Sicherheit einen Anfall erleiden wird, wenn er davon erfährt.