8. Julias Facebook Status: Braucht
dringend eine Haarwäsche.
„Liebelein, es geht doch nichts über eine entspannende Haarwäsche, wenn man sich in einer Krise befindet. Stimmt‘s?“ Harald nippt an seinem Prosecco-Glas und wirft Robin einen schmachtenden Blick zu. Robin wäscht meine Haare, als müsste ich morgen für eine Woche ins Dschungelcamp. Ich habe diese Show des Grauens zusammen mit Katja verfolgt und wir sind uns einig, dass es im deutschen Fernsehen nichts Schrecklicheres gibt. Eine Ansammlung von Möchtegern - und alternden, ehemaligen Stars, die meinen, sie müssten dem Publikum beweisen wie toll sie sind, indem sie Känguruh-Hoden essen oder vor der Kamera nackt duschen, so dass man ihren Hängehintern in Großaufnahme bewundern kann. Ich meine, wer will so etwas sehen? Ich jedenfalls nicht! Die müssen Dirk Bach richtig viel Geld zahlen, dass er bei so einem Scheiß mitmacht.
„Und sie hat dir tatsächlich erzählt, dass dein Benni das Studio von der Alten bekommen hat?“
„Er ist nicht »mein Benni«“, blinzele ich einen Tropfen Wasser aus meinen Augen. „So ähnlich. Sie meinte, die alte Hirsekorn hätte ihm das Studio angeboten.“
„Na ja, das heißt noch lange nicht, dass sie es ihm geschenkt hat.“
„Glaub mir, Liebelein“, schaltet sich Harald ein, „natürlich hat sie ihm das Studio geschenkt. Hat sie mal letztlich die Preise für Mietobjekte in guter Lage gesehen? Keiner würde ein solches Angebot ablehnen.“
„Und warum wollte er dann Julia küssen?“, fragt Katja.
„Weil er ein Mann mit gesunden Trieben ist“, erklärt Harald fröhlich.
Ich spüre wie die Hitze heiß in mein Gesicht aufsteigt. „Eigentlich weiß ich nicht wirklich, ob er mich küssen wollte. Es sah nur für einen Moment so aus. Schließlich musste ich im entscheidenden Augenblick niesen und dabei ist mein Becher zu Boden gegangen.“
Katja kichert. „Typisch du!“
„Warum?“
„Liebelein, sie ist eben wie sie ist ...“ Mein »Krisenteam«, wie sich Harald und Katja nennen, prostet mir zu.
Ich habe klatschnasse Haare und auch ein Glas mit Holunderküsschen in der Hand. Allerdings ist mein Glas – im Gegensatz zu den Gläsern der Beiden – bereits zum zweiten Mal leer. Ich brauche Alkohol ... viel Alkohol nach dem Schockerlebnis von heute Mittag mit Benni.
„Vielleicht, weil du schon immer so warst“, überlegt Katja.
„Sehr hilfreich. Jetzt geht es mir gleich besser.“
„Ich kann mich an viele unangenehme Momente in deinem Leben erinnern, wo du und ICH vergeblich auf die sich gnädige auftuende Erdspalte gehofft haben.“ Katja kichert.
„Du wärst nicht Julia, würden dir nicht all diese Dinge passieren“, verteidigt mich meine beste Freundin standhaft. „Gerade das macht dich ja so liebenswert.“
Harald nickt zustimmend. „Liebelein, gerade die Menschen mit kleinen Fehlern sind die sympathischsten.“ Er lächelt mich wissend an und streicht sich dabei theatralisch mit seinem Wurstfingern und den unzähligen Ringen über sein Kinnbärtchen.
„Wenn es danach ginge, müsste ich der sympathischste Mensch im ganzen verdammten Universum sein“, brumme ich.
„Bist du ja auch und noch dazu meine beste Freundin!“ Katja steht auf und umarmt mich. Vor Rührung schießen mir direkt die Tränen in die Augen. Meine Güte, ich bin dieser Tage aber auch nah am Wasser gebaut! Robin scheint von unseren Gefühlsbekundungen in seiner Gegenwart nicht so begeistert zu sein. Jedenfalls unterbricht er unsere Umarmung abrupt, indem er den Wasserhahn aufdreht und demonstrativ damit beginnt, meine Haare vom Shampoo zu befreien.
„Stößchen, meine Lieben. Darauf muss der kleine Harald noch ein Schlückchen trinken.“
Als ich mein Glas hebe, was auf dem Friseurstuhl liegend und während Robins Dauermassage gar nicht so leicht ist, sehe ich, wie sich Harald verlegen eine Träne wegwischt. Ich kenne keinen Mann, der gefühlvoller als Harald ist. Der normale deutsche Mann ist doch die ganze Zeit damit beschäftigt, so cool wie möglich zu wirken. Da passen spontane Gefühlsausbrüche nicht ins Bild. Wobei, wenn ich ehrlich bin würde es mich auch irritieren, wenn der Mann an meiner Seite bei jeder Kleinigkeit anfangen würde zu heulen. Aber ein bisschen mehr Gefühl dürften die Herren manchmal schon an den Tag legen. Eine Mischung aus Harald und George Clooney wäre die optimale Kombination.
„Und was hast du jetzt vor?“, fragt Katja.
„Was meinst du?“ Ich habe den Faden völlig verloren.
„Na, mit Benni?“
Ich zucke mit den Schultern. „Keine Ahnung. Außerdem kann mir der Kerl egal sein, schließlich trauere ich noch um Johann. Schon vergessen?“
„Ach Johann. Ich dachte das Thema ist durch. Johann hat dich wochenlang mit dieser Annette betrogen! Und wenn das nicht in deinen Kopf will, dann vielleicht die Tatsache, dass du bereits am gleichen Tag als du mit Johann Schluss gemacht hast, mit einem anderen Mann die Nacht verbracht hast. Also bitte, sieh der Realität ins Auge!“
„Das ist nicht fair. Schließlich war ich betrunken und unglücklich. Das zählt nicht“, schmolle ich. „Außerdem weiß ich ja gar nicht, ob überhaupt etwas zwischen uns gelaufen ist.“
„Ach Göttle, wie aufregend“, gurrt Harald. „Warum passiert mir nie so etwas! Wenn ich mir vorstelle, ein fremder, gutaussehender Mann würde mit mir das Abteil teilen und ich wäre noch dazu betrunken ... Also ich könnte für nichts mehr garantieren.“ Harald wiehert wie ein Pferd.
„Danke Harald, das war sehr hilfreich“, schaltet sich Katja ein. „Außerdem, was nützt dir der ganze wilde Sex, wenn du dich am nächsten Tag an nichts erinnern kannst?“
„Aber ich kann es mir wenigstens vorstellen“, widerspricht Harald.
„Das kannst du auch so. Dazu brauchst du nicht eine Nacht im Zug mit Filmriss“, kontert Katja. Mir wird heiß und kalt bei dem Gedanken an jene Nacht im Zug.
„Also Liebelein“, räuspert sich Harald, nachdem er seine Fassung wieder gewonnen hat. „Wenn ich ihr als Mann – sozusagen als Fachmann – einen guten Rat geben darf, dann sollte sie sich interessant machen.“ Ich sehe wie Katja die Augen verdreht. .
„Wenn sie etwas von dem Kerl will, sollte sie ihn unbedingt im Ungewissen darüber lassen an was sie sich noch erinnert und ob sie eine Fortsetzung wünscht. Sie sollte ihn an der langen Leine zappeln lassen. Männer wollen eine Frau erobern. Das ist so eine Art Urinstinkt, der dann durchkommt. Ich sage nur: Jäger und Sammler!“ Harald bläst sich derart auf, dass sein Hemd über der Brust zu spannen beginnt. Noch ein paar Millimeter und mir fliegen seine Hemdknöpfe um die Ohren.
„Ausatmen!“ ermahne ich ihn, als seine Gesichtsfarbe in ein unnatürliches Rot wechselt. Mit einem lauten Zischen entweicht die Luft. Robin ist endlich fertig und wickelt mir gekonnt ein Handtuch um den Kopf.
„Und, wie ist die weitere Vorgehensweise?“ Katja sieht mich erwartungsvoll an.
Ich zucke mit den Schultern. „Keine Ahnung. Außerdem hat Miriam die Präsentation für übermorgen angesetzt und ich habe nicht die leiseste Ahnung worüber ich schreiben soll.“
„Armes Pumbi. Liebeskummer und Präsentation. Darauf sollten wir noch einen Schluck trinken.“ Sie hebt ihr Glas.
Ich wache auf und muss feststellen, dass ich nicht geträumt habe. Zumindest der Teil in meinem Traum, als ich das Gefühl hatte zu verdursten. Mein Mund ist trocken, auf der Zunge ist über Nacht ein Pelz gewachsen und zu allem Übel sehe ich meine Umwelt nur verschwommen. Vielleicht hätte ich die verdammten Kontaktlinsen doch herausnehmen sollen. Neben mir vibriert mein Handy zornig. Ich blinzele mit meinen vertrockneten Augen auf das Display, in der Hoffnung wenigstens den Namen des Anrufers erkennen zu können. Fehlanzeige.
„Ja, ja, ja“, murre ich und klappe das Handy auf.
„Hallo?“ Meine Stimme klingt mehr wie eine altersschwache Krähe.
„Hallo, ich bin‘s“. Vor Schreck fällt mir fast das Handy aus der Hand.
Johann!
Ich bemühe mich lässig bis nachlässig zu klingen. Johann soll schließlich nicht merken, dass mir das Herz bis zum Hals schlägt und sich meine Beine wie Wackelpudding anfühlen.
„Julia, ich versuche seit einer Woche dich zu erreichen“, quengelt Johann mit vorwurfsvollem Unterton.
Gut so, denke ich. Das ist Juniorchef Johann Eugen Hartmann bisher wohl noch nicht passiert. Jetzt schön cool bleiben. Vielleicht hätte ich mich schon viel früher mal rar machen sollen, anstatt immer gleich »Gewehr bei Fuß« zu stehen.
„Du, ich war total beschäftigt.“
Das ist noch nicht einmal gelogen. So viel wie in den letzten Tagen hatte ich noch nie zu tun.
„Womit?“ Er klingt ungläubig, so als gäbe es für mich keine Beschäftigung, wenn er nicht in meiner Nähe ist.
„Ich arbeite jetzt bei einer Zeitschrift und bin für deren nächste Ausgabe verantwortlich.“
„Bitte? Du hast einen neuen Job? Wo denn?“
„Holiday Dream. Was hast du erwartet? Dass ich bei Katja sitze und darauf warte, dass du dich bei mir meldest?“ Schweigen.
„Du wohnst also bei Katja?“ Ich merke, dass Johann jetzt ernsthaft verwirrt ist.
„Ja. Eigentlich wollte ich mir eine eigene Wohnung suchen, aber Katja schläft meistens bei Sergej und dann habe ich die Wohnung ganz für mich alleine.“
„Wer ist Sergej?“ Misstrauen schwingt in Johanns Stimme mit.
„Katjas neuer Freund. Weißt du, Sergej besitzt mehrere Firmen und lässt sich bei Blohm + Voss gerade seine neue Luxusyacht bauen. Im übrigen kann ich auch nicht mehr lange telefonieren, da ich gleich mit Katja und Sergej im Hotel Atlantik verabredet bin.“
„Gehst du alleine?“
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass mir Johann – abgesehen von unserer ersten Begegnung – jemals so viele Fragen in Folge gestellt hat. Normalerweise werden meine Erzählungen eher durch Grunzlaute kommentiert und gelegentlich wird ein „Tatsächlich“ eingestreut.
„Nein.“
Schweigen.
„Und, wie geht es dir?“, frage ich fröhlich.
„Gut“, kommt die zögerliche Antwort. „Ich arbeite viel.“
In diesem Moment höre ich im Hintergrund die Haustürklingel.
„Erwartest du Besuch?“, frage ich.
„Wieso?“
„Es hat geklingelt.“
„Ach, derjenige kann warten.“ Aus seinem Tonfall entnehme ich, dass Johann genau weiß, wer jetzt vor der Tür steht. Und ich weiß es auch.
Es klingelt erneut, diesmal energischer als das erste Mal.
„Du, ich muss auch los. Schön, dass es dir gut geht. Pass auf dich auf, ja?“ Ich will einhängen.
„Julia ...“
„Ja?“ Mein Herz klopft wie das eines Marathonläufers nach dem Rennen. Ich fürchte, jeden Moment ohnmächtig zu werden.
„.Ach, nichts.“ Im Hintergrund klingelt es ohne Unterbrechung.
„Gut, dann tschüss.“ Ich lege auf. Und nun?
Ich starre auf meinen Laptop. Genauer gesagt, sehe ich mir die Bilder darauf an.
... Johann, wie er mir mit einem leichten Glimmer in den Augen zuprostet.
... Johann, wie er sich eine Zigarre anzündet.
... Johann, zusammen mit seinem Vater.
... Johann und ich auf der Skihütte. (Die Aufnahme ist leicht verwackelt, da wir schon die vierte Runde Apfelkorn hinter uns hatten.)
... Johann, stolz in seinem neuen Auto.
Es ist erst drei Wochen her und trotzdem habe ich das Gefühl, eine Ewigkeit sei seitdem vergangen. Bilder, stumme Zeugen einer glücklichen Zeit.
Wie konnte ich nur so naiv und blöd sein zu glauben, in meiner Beziehung sei alles in Ordnung? Wobei? Selbst im Nachhinein gab es keinerlei Anzeichen für einen Betrug.
Oder doch?
Lange Meetings im Büro? Sein plötzliches Interesse für Sport? Eigentlich hätte ich spätestens da misstrauisch werden müssen, als sich Johann in dem angesagtesten Fitness Club von Freiburg angemeldet hat. Aber ich dachte wirklich er will etwas für seine Gesundheit tun. Zumal ihm Dr. Wegener, sein ehemaliger Kinderarzt, zu mehr Bewegung geraten hat. Oder war das auch alles Teil des Plans, damit er und Titten-Annette mehr Zeit miteinander verbringen konnten?
Ich finde, Misstrauen hat in einer intakten Beziehung nichts verloren. Das ist wie wenn Eheleute schon vor der Hochzeit einen Ehevertrag abschließen. Da kann man ja gleich die bevorstehende Scheidung schon mal vorsichtshalber mit durchsprechen. Nein, ich würde niemals einen Ehevertrag gutheißen. Das käme mir wie ein Verrat an der Liebe vor. Ich heirate doch nicht mit dem Hintergedanken, dass ich mich vielleicht wieder scheiden lassen könnte. Wenn ich eine Ehe eingehe, dann ist es für die Ewigkeit. Die Kirche sieht das ja ein bisschen anders: „Bis dass der Tod euch scheidet.“ Wohin dieser Satz geführt hat, weiß man spätestens seit König Heinrich dem Achten, der seine Frauen einfach zum Tode verurteilen ließ wenn ihm nach einer neuen Frau gelüstete.
Das Telefon klingelt erneut. Meine Mutter. Das hat mir gerade noch gefehlt! Aber wenn ich nicht abnehme, wird sie das Telefon die nächsten zwei Stunden klingeln lassen.
„Hallo Mama.“
„Julia. Was bist du nur für ein undankbares Kind“, platzt siegleich heraus.
„Bitte?“
„Ich habe gerade mit Johann gesprochen und der klang überhaupt nicht glücklich. Er sagt, du hättest am Telefon so distanziert geklungen.“
„Kein Wunder, wenn im Hintergrund Titten-Annette zu Besuch kommt.“
„Julia, was ist denn das für eine Ausdrucksweise?! Schließlich ist Frau Annette Gerber deine Kollegin und da ...“
„Gewesen“, unterbreche ich sie.
„Ach, jetzt sei doch nicht so kleinlich.“
„Ich bin nicht kleinlich, es ist eine Tatsache, dass diese Frau nicht mehr meine Kollegin ist! Erstens arbeite ich nicht mehr bei Hartmann & Sohn und zweitens ist sie der Grund, warum Johann und ich nicht mehr zusammen sind. Das letzte Mal, als ich sie gesehen habe, war sie nackt! Da kann einem schon mal der Respekt flöten gehen.“
„Aber du sollst vorausschauend denken und nicht so negativ! Wenn du so weiter machst, wird das nie was mit euch werden.“ Das ist nun wieder typisch!
„Mama, du bist meine Mutter und nicht die von Johann. Du solltest auf meiner Seite stehen und nicht Johann verteidigen!“
„Aber Süße, so ist das doch gar nicht gemeint. Ich will doch nur dein Bestes. Schließlich ist Johann der zukünftige Chef von Hartmann & Sohn. Eine bessere Partie wirst du in ganz Freiburg nicht finden.“ Sie macht eine Pause. „Bedenke doch nur die gesellschaftliche Stellung, die du durch eine Hochzeit mit Johann innehalten würdest!“
Manchmal denke ich, meine Mutter nimmt heimlich Drogen. So kann nur ein Mensch reden, der total blöd oder völlig zugekifft ist.
„Mama, diese Hochzeit wird es nicht geben“, versuche ich es mit Nachdruck. „Johann ist mit Ti ... äh, Frau Gerber zusammen. Ich sehe nicht, wo ich da noch hineinpasse.“
Meine Mutter seufzt laut. „Meine Güte, dass du immer so schnell aufgeben musst. Das hast du schon als Kind gemacht. Immer gleich die Flinte ins Korn werfen, wenn es nicht gleich so läuft wie du es dir vorgestellt hast. Nein, nein, Julia, so geht das nicht! Wenn du etwas im Leben erreichen willst, musst du dafür kämpfen.“
„Mama, das hat nichts mit aufgeben zu tun. Johann hat mich betrogen.“
„Dein Vater hat mich auch betrogen und trotzdem sind wir noch zusammen.“
„Waaaas?“ Ich halte die Luft an.
„Schätzchen, reg dich nicht gleich so auf. Die Sache ist schon Jahre her. Außerdem hat sich dieser Seitensprung deines Vaters als äußerst lukrativ herausgestellt.“
„Hä?“ Ich verstehe nur noch Bahnhof. „Wie kann sich ein Seitensprung als lohnenswert erweisen?“
„Du kennst doch meinen Memoire-Ring?“
„Meinst du den, den dir Papa vor ein paar Jahren zum Beweis seiner unendlichen Liebe geschenkt hat?“ Mir schwant Dunkles.
„Genau. Und von wegen als Beweis seiner unendlichen Liebe. Pah! Eher als Beweis seiner Schuld.“
„Du meinst, Papa hat dir den Memoire-Ring als Wiedergutmachung geschenkt?“
„Allerdings!“
„Wie taktvoll von ihm. So wirst du den Betrug niemals vergessen.“ Ich schüttele fassungslos meinen Kopf. „Und du hast ihm verziehen?“ Ich bin völlig geschockt. Mein braver Vater soll meine Mutter betrogen haben? Umgekehrt vielleicht, aber so ...
„Ach, weißt du Julia, dein Vater und ich sind jetzt seit fast 35 Jahren verheiratet. Da weiß man, was man aneinander hat. Diese Frau damals hat ihm nichts bedeutet.“
„Hast du denn nie daran gedacht ihn zu verlassen?“
Schweigen.
„Mama?“
„Nein.“ Ihre Stimme klingt entschlossen. „Im Nachhinein muss ich zugeben, dass ich nicht ganz unschuldig an der ganzen Sache war. Ich war so mit mir selbst beschäftigt, dass ich überhaupt nicht gemerkt habe, wie dein Vater auf seine Midlife-Krise zugesteuert ist.“ Sie macht eine Pause. „Aber wir haben es geschafft. Bitte erwähne deinem Vater gegenüber nichts. Ich möchte nicht, dass er sich dir gegenüber schlecht fühlt.“
„Nein, natürlich nicht.“ Gleichzeitig frage ich mich, ob ich meinem Vater jemals wieder unter die Augen treten kann ohne daran zu denken.
Als ich den Hörer auflege, fühle ich mich gleich aus zwei Gründen schlecht. Zum Ersten wegen Papas Betrug und dann noch ... hat meine Mutter vielleicht Recht? Habe ich zu schnell aufgegeben? Habe ich Johann mit meinem Hochzeitsgerede zu sehr unter Druck gesetzt?
„Unsinn! Julia, bitte hör auf immer die Schuld bei dir zu suchen!“, widerspricht mir Katja, als ich sie gegen sechs Uhr Abends im Büro anrufe. Ich bin immer noch völlig fertig von dem Gespräch mit meiner Mutter. „Johann, das alte Muttersöhnchen, war schon immer wankelmütig und unentschlossen. Der Mann isst jeden Mittag bei seinen Eltern! Das sagt doch schon alles.“ Sie schnaubt wütend aus. „Deine Mutter ist so versessen darauf dich unter die Haube zu bringen, dass sie gar nicht merkt, was sie da eigentlich von dir verlangt.“
„Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen? Schließlich dachte ich, alles wäre in Ordnung. Unser Leben verlief in geregelten Bahnen, so wie Johann es liebt.“
„Siehst du, und genau das war dein Fehler. Männer wollen heißen Sex, egal wie langweilig sie selbst sind.“
„Hallo, ich höre wohl nicht richtig. Willst du mir etwa andeuten, dass ich Johann praktisch in die Arme von Titten-Annette getrieben habe. Nur weil ich nicht sofort in Ekstase geraten bin, wenn er nackt an mir vorbei gelaufen ist, um sich Milch aus dem Kühlschrank zu holen? Schließlich waren wir schon zwei Jahre zusammen, da hat man nicht mehr jeden Tag Sex. Da ist man einfach auch mal zu müde dazu.“
„Natürlich nicht. Aber Titten-Annette hat ihm bestimmt versprochen, dass sie jeden Tag aufregenden Sex miteinander haben werden und sie ihm nie Vorschriften machen wird. Raus aus der Routine und rein ins Vergnügen.“
Habe ich schon Staub angesetzt? In den letzten Monaten sind Johann und ich deutlich weniger weggegangen als früher. Wenn ich Johann vorgeschlagen habe in ein Restaurant essen zu gehen, hat er in letzter Zeit immer mit den Worten abgewunken: „Ach, Zuhause ist es doch viel gemütlicher, findest du nicht?“
Nein, eigentlich finde ich es schöner unter Menschen zu sein und ein bisschen abzulästern. Wenn Katja und ich zusammen in einem Restaurant sitzen, besteht unsere Hauptbeschäftigung darin über die anderen Gäste lustig zu machen, das Essen ist eigentlich Nebensache. Mit Johann essen zu gehen war immer eher anstrengend, da er großen Wert auf gutes Benehmen gelegt hat und immer peinlich genau auf jede Kleinigkeit achtete, was mich schrecklich nervös gemacht hat. Ich kann es eben einfach nicht leiden, wenn mich jemand die ganze Zeit mit Argusaugen beobachtet. Da muss einem ja die Olive von der Gabel hüpfen! Okay, vielleicht nicht gerade bei einem wichtigen Geschäftsessen und vielleicht nicht in den Schoß meines Sitznachbars Herrn Gutlieb, Besitzer einer der größten Tiefkühlkostketten Deutschlands. Nomen est omen – bei Herrn Gutlieb definitiv eine Fehlanzeige. Aber solche Dinge passieren nun mal. Meine Bemühungen, das Missgeschick wieder gut zu machen, indem ich herzhaft zugegriffen und die Olive aus Herrn Gutliebs Schoß zurück auf den Tisch befördert habe, trafen bei Johann nicht auf Begeisterung. Bei Herrn Gutlieb dafür umso mehr, der wenig später, völlig unerwartet, seine feuchte Hand auf mein Knie legte, während er mit Johann über die Wichtigkeit von Tiefkühlkost debattierte. Ich habe Herrn Gutlieb daraufhin spontan eine Ohrfeige versetzt. Anschließend müssten wir Hals über Kopf das Restaurant verlassen. Das Schlimmste an der ganzen Sache war aber, dass mir Johann hinterher stundenlange Vorträge über die Bedeutung von Geschäftsessen gehalten hat.
„Zum Thema Sex. Wann siehst du Benni wieder?“
„Heute noch. Miriam hat ein Meeting für morgen elf Uhr angesetzt. Ich habe schon Bauchschmerzen, wenn ich nur daran denke“, verziehe ich schmerzvoll mein Gesicht.
„Warum?“
„Weil ich immer noch keine Ahnung habe, was ich ihr präsentieren soll. Ich habe mir heute Morgen zum Frühstück sicherheitshalber eine Folge von Vox Tours angesehen und sämtliche auf dem Markt verfügbare Reisezeitschriften gewälzt.“ Ich streiche mir eine vorwitzige Strähne aus dem Gesicht.
„Und?“
„Judith Adlhoch ist weg von Vox Tours. Stattdessen haben sie jetzt so eine nichtsagende Maus mit der Ausstrahlung einer Schlaftablette vor die Kamera geholt. Ich habe nach der Hälfte der Sendung ausgeschaltet und das ist mir noch nie passiert.“
„Ich denke nicht, dass Miriam sich mit dir über die neue Moderatorin von Vox Tours unterhalten möchte“, unterbricht mich Katja. „Du solltest deine Zeit nicht für so einen Blödsinn verschwenden.“
„Judith Adlhoch ist kein Blödsinn!“
„Nein“, seufzt Katja betont laut, „aber in deinem Fall nicht das richtige Thema.“
„Wahrscheinlich hast du recht“, jammere ich.
„Weißt du was?“
Ich kann förmlich sehen, wie Katja mich erwartungsvoll durch den Hörer anstarrt.
„Nein.“
„Sieh dir doch die alten Bilder von unseren Reisen an. Vielleicht bringt dich das auf eine Idee.“
„Die von unseren Urlauben?“
„Nein, die von unserem letzten gemeinsamen Pornodreh auf Mallorca ... ja, natürlich die von den Urlauben.“ Katja klingt gestresst. Das tut sie eigentlich immer, wenn sie im Büro ist.
„Hast du die Bilder hier in der Wohnung?“
„Klar. Jede Menge. Sind alle in der weißen Kiste gleich rechts neben dem Regal. Aber bitte pass auf, dass du sie nicht alle durcheinander bringst. Ich habe Wochen gebraucht bis ich sie chronologisch geordnet hatte.“ Katja und ihr Ordnungsfimmel. Alles muss irgendwie geordnet werden. Man stelle sich vor, sogar ihre DVDs und CDs sind namentlich und nach dem Erscheinungsjahr geordnet.
„Versprochen. Du kennst mich doch.“
„Eben weil ich dich kenne!“
„Du bist meine Freundin, da erwarte ich schon etwas mehr Toleranz“, halte ich fröhlich dagegen.
„Die Beste, die du kriegen kannst, aber das heißt nicht, dass ich deine Unordnung schweigend ertragen muss.“ Katja flüstert leise etwas in den Raum, woraus ich folgere, dass sie Besuch bekommen hat. „Mach´s gut! Ich muss weiter machen, bevor mein Projektleiter mich mit Blicken tötet.“
Sie hängt ein und ich hole mir erst einmal eine Tüte Gummibärchen.