15.
THE PHONE RINGS IN THE MIDDLE OF THE
NIGHT.
MY FATHER YELLS: »WHAT YOU GONNA DO WITH YOUR LIFE?«
OH, DADDY DEAR, YOU KNOW YOU’RE STILL NUMBER ONE,
BUT GIRLS, THEY WANNA HAVE FUN.
Libyen, Syrien oder wie die alle heißen.
Scheiße, diese ewige Warterei, denkt Fräulein Nono. Sie fummelt an den Gurten ihrer Handschuhe aus schwarzem Leder. Dehnt die Finger, knacks, knacks. Streicht sich den Pony aus der Stirn und holt einen kleinen Johnny aus der Minibar. Puh. Ob rot oder blau, er schmeckt beschissen. Sie gießt Cola zum Whisky, kippt den Alkohol schließlich weg und trinkt die Cola pur.
Auf dem großen Hotelbett liegen zwei riesige schwarzweiße Hunde, Bane und Tyranny. Die Namen hat ihr Vater sich ausgedacht. Nono kann die beiden nicht immer auseinanderhalten. Deshalb hat der eine Swarowski-Steine am Halsband, der andere Nietnägel.
Ich habe jahrhundertelang Krieg geführt und viele Männer getötet, denkt Nono, während sie gesalzene Erdnüsse gegen den Fernseher schnippt, in dem die Nachrichten laufen. Und bei jedem Einzelnen habe ich mich vergewissert, dass das Leben in seinen Augen erlosch. So tötet ein Held.
Die heutige Kriegsführung ist nicht heldenhaft. Ferngelenkte Bomber und Cruise Missiles. Es war doch noch etwas anderes, als Mann gegen Mann kämpfte; Fleisch stieß auf Eisen, und die Uniform wurde vom Blut des Feindes durchtränkt. Diesen Krieg der Individuen vermisse ich. Leibliche Begegnungen. Leidenschaft, Haut, die man durchbohrt und zerreißt.
Bei den Kämpfen heutzutage treffen sich nicht einmal die Blicke des Tötenden und des zu Tötenden.
Die können mich nicht einmal sehen.
Moderne Kriegsführung ist vor allem Warten. Und sie mag nicht mehr warten.
»Ich will, dass man mich sieht«, sagt sie laut. Die Hunde spitzen die Ohren. Es sind die größten Hunde, die sie finden konnte. Hunde müssen groß sein. Vorzugsweise unnatürlich groß. Irgendwer hat ihr gesagt, große Hunde seien krank und würden früh sterben. Dann schaffe ich mir neue an, hat sie erwidert.
»Ich muss hier raus.«
Die Hunde springen vom Bett. Vielleicht könnte ich Erwerbsunfähigkeitsrente beantragen. Das tun die jungen Frauen doch heutzutage. Wenn ich meinem Vater und überhaupt allen sagen würde, dass ich deprimiert bin und in meiner sogenannten Arbeit keinen Sinn mehr sehe? Nono lacht laut. Sie ist kein schwaches Stück Scheiße. In Rente geht sie nicht. Aber sie wird ihren Vater um Versetzung bitten. Sie wird ihm sagen, dass sie den Frieden am besten mit dem Schwert verteidigen kann.
Nono hat ihren Vater lange nicht gesehen. Er fühlt sich in unfruchtbaren Sandwüsten am wohlsten. Er mag Wärme.
Mit dem Motorrad fährt Nono zum Militärstützpunkt. Genau das ärgert sie: Die Kerle führen so distanziert Krieg, dass sie riesige Gebäude und Verwaltungszentren errichten müssen. Solche Dinger baut man für die Bürokratie, nicht für den Kampf.
Das mit dem Sternenbanner geschmückte Tor wird geöffnet, alle wissen, wer sie ist. Nono mustert die Soldaten. Ihre Uniformen lassen keinen Streifen Haut frei. Von den Gesichtern ist gerade so viel zu sehen, dass man erkennen kann, ob es sich um Schwarze, Weiße, Beige, Latinos oder Asiaten handelt.
»Was liegt an?«, wird sie gefragt.
»Ich will zu meinem Vater«, antwortet Nono.
»Ist ein Treffen vereinbart?«
»Nein. Es ist nichts vereinbart.«
»Dann musst du warten.«
Das hat sie gelernt.
Eine Baracke mitten in der Wüste ist schweißtreibend, vor allem, wenn man schwarzes Latex trägt. Nono setzt sich auf einen Klappstuhl. Ein Trupp Soldaten kommt vorbei. Sie lachen. Nono hört sie sagen: »Freaky bitch«. Sie senkt den Blick, verbirgt ihr Gesicht hinter den dunklen Haaren. Sekundenlang wünscht sie sich, so sein zu können wie alle anderen.
Nono weiß, dass sie lange warten muss. Sie denkt an ihren Geliebten. An den verdammten Kotzbrocken.
Nonos Liebesgeschichte
Der Mann war älter und erschreckend größer als sie. Er hatte herrliche eisgraue Augen, schmutzig blonde Haare und rötliche Bartstoppeln. So prachtvolle Männer findet man nur im Norden.
Odin. Schneidende Lust durchzuckt Nonos Herz. Der Mann hieß Odin. Besser gesagt, so heißt er sicher immer noch, denn er ist nicht tot. »Aber für mich ist er gestorben«, flüstert Nono vor sich hin. Für mich bist du tot.
Odin rief sie zum Kampf. Nono kam und tötete alle. Doch Odin ließ sich nicht blicken. Mit bluttriefendem Bajonett, in das Fleisch ihrer Gegner gekleidet, stand Nono inmitten der Leichen und wartete.
Endlich, als die Bomben den Nachthimmel erhellten, sah sie den Mann am Horizont. Odin ritt auf seinem achtbeinigen Pferd auf sie zu, zwei zahme Wölfe neben sich.
»Ich habe deine Bitte erfüllt. Bist du jetzt befriedigt?«, fragte Nono.
»Noch nicht«, antwortete Odin mit satanischem Lächeln. Er riss Nono in seine Arme und aß ihr die Kleider vom Leib.
In einem Fjell-Hotel hatten sie acht Tage und neun Nächte leidenschaftlichen, fast krankhaften Sex. »Ich habe mich in dich verliebt«, sagte Nono am letzten Morgen nach der letzten Nacht.
Odin nahm sie hoch und trug sie auf den großen Balkon. Der kalte Nordwind fuhr durch ihren dünnen Babydoll. Der Mann hielt sie über das Geländer und fragte, ob sie ihm vertraue. Natürlich, antwortete Nono. Da lachte Odin und ließ sie fallen.
Nono lag zwischen kalten Felsen auf dem gefrorenen Boden und spürte ihren Unterleib nicht mehr. Erst in der Morgendämmerung fand sie die Kraft, den Hügel hinauf und in die Hotelrezeption zu kriechen, wo Hilfe herbeitelefoniert wurde.
»Soldatinnen mangelt es einfach an beruflichem Können«, sagte ihr Vater, als er sie im Feldlazarett besuchte. »Eine Soldatin wiegt vielleicht ein Viertel eines männlichen Soldaten auf. Aber es steht fest, dass eine verkrüppelte Soldatin nicht einmal so viel wert ist.«
Auf ihre Arme gestützt, stand Nono auf. Sie befestigte Reihenfeuerwaffen an ihren Krücken und sagte zu ihrem Vater: »Ich bin schon wieder ganz fit.«
Der Vater marschierte zu seinem Jeep. Nono folgte ihm mühsam. »Heute noch!«, brüllte ihr Vater, der bereits am Steuer saß. Schweigend fuhren sie zum Schlachtfeld, bis der Vater brummte: »Dir ist hoffentlich klar, dass er dich ausgenutzt hat.«
»Was?!«, rief Nono.
»Er wollte bloß seine besten Krieger ins Land des Todes schaffen. Dort kämpfen sie jetzt seine Schlachten, und er selbst brauchte nur ein bisschen Süßholz zu raspeln. Und hat als Dreingabe auch noch …«
»Du irrst dich!«
Da lachte der Vater. »Glaubst du, du wärst das erste Mädchen, das Odin reingelegt hat?«, fragte er.
Die Ärzte und der Vater behaupteten, Nono werde nie wieder laufen können. Doch sie ging unermüdlich zur Physiotherapie, bis ihre Beine wieder funktionierten. Zur Belohnung kaufte sie sich Armadillo-Panzerschuhe, in denen sie fast so groß war wie ihr Vater.
Odins Bild brennt immer noch in ihrer Brust wie eine im Feuer erhitzte Klinge. Scheiße, eines Tages räche ich mich an dir, denkt sie. Und sie denkt auch, dass sie alles dafür geben würde, dass Odin noch einmal …
Ein junger Mann rennt an Nono vorbei und betritt das Zimmer ihres Vaters, ohne anzuklopfen. Er sieht nicht nach einem Soldaten aus. Nono hört die Stimme ihres Vaters: »He, wir sind hier mitten in …« Gleich darauf wird die Tür aufgestoßen, und einige hochrangige Kriegsherren marschieren heraus. Nono steht auf, schleicht sich an die angelehnte Tür. In dem Zimmer sind nur noch ihr Vater und der junge Mann.
VATER: He, du, im Ernst.
JUNGER MANN: Ich langweile mich.
VATER: Na aber … das ist nun mal mein Job.
JUNGER MANN: Fuck, na und?
VATER: Hör mal, ich müsste jetzt wirklich …
JUNGER MANN: Du bist nicht zum Aushalten!
VATER: Was kann ich denn für dich tun?
JUNGER MANN: Nichts, du kannst gar nichts, du bist ein Niemand, ein elendes Stück Scheiße.
VATER: Entschuldige. Ehrlich, es tut mir leid.
JUNGER MANN: Mir egal!
VATER: He, geh nicht weg! Bitte bleib. In Ordnung?
Doch der junge Mann gehorcht ihm nicht. Nono lässt ihn vorbei. Er bleibt kurz stehen und sieht sie an. »Du bist hübsch«, sagt er zu Nono und geht dann zügig hinaus.
Fräulein Nono betritt das Zimmer ihres Vaters. »Vater?«, sagt sie. Der Vater blickt sie an. Nono hat nie zuvor Beunruhigung in seinen Augen gesehen.
»Ich bin nicht schwul«, sagt er.
»Papa, es macht doch nichts, wenn du schwul bist. Das kommt in deinen Kreisen häufiger vor, als man zugeben will.«
»Bist du taub? Ich sagte, ich bin nicht schwul! Das bedeutet, dass ich es nicht bin. Blöde Kuh.«
Nono überlegt kurz, dann streicht sie sich die Haare aus der Stirn. »Mit welchem Recht nennst du mich blöde Kuh?«, fragt sie.
»Was? Ich kann dein Gepiepse nicht hören!«, der Vater lacht.
»Ich habe …« Nono hebt die Stimme. »Ich habe gefragt, mit welchem Recht du mich blöde Kuh nennst.«
Ihr Vater winkt schnaubend ab.
»Im Kampf bin ich dir ebenbürtig. Mindestens«, sagt Nono. Ihr Vater lacht wieder. Sie zieht ein Messer aus dem Stiefelschaft. »Wir werden ja sehen«, meint sie. »Wähl deine Waffe.«
»Dich mach ich mit bloßen Händen fertig!«
Doch da irrt er sich. Nono greift schnell und frontal an und stößt ihrem Vater das Messer bis zum Griff ins Herz. »Ich habe dir doch gesagt, Papa, dass ich dir ebenbürtig bin, mindestens.« Aus Ares’ Mund sprudelt Blut in Nonos Gesicht. Nono wischt es nicht ab. Sie sieht dem sterbenden Mann in die Augen und sagt: »Bestell der kleinen Nutte schöne Grüße. Jetzt hast du die ganze Ewigkeit, um sie flachzulegen.«
Nono leckt das Messer sauber ab. Sie muss den Stützpunkt verlassen, bevor der Vatermord entdeckt wird. Sie läuft zu den Hubschraubern und kapert einen.
Damit fliegt sie auf das Dach ihres Hotels. Geht in ihr Zimmer und packt ihre Kleider ein. Überlegt, welche Waffen sie mitnehmen soll. Wählt schließlich die Tachis, die Katanas und die Wakizashis. Die sind schwer, kommen aber nie aus der Mode. Dann läuft sie mit ihren Hunden zum Hubschrauber zurück. Setzt die Pilotenbrille auf und fliegt davon. Über die türkisfarbenen Wellen des Mittelmeers.
In Griechenland gibt es herrliche Straßenunruhen. Fräulein Nono reißt irgendwem einen Arm ab und sticht einem anderen ein Auge aus. Sie mag wilde Spiele, genau wie die Männer in ihrem Heimatland. Deshalb toben sie so oft.
Doch dann endet die sinnlose Gewalt völlig überraschend. Nono rennt mit einem Baseballschläger aus dem Hotel auf die Straße. Dort schlägt ihr nur widerlich schwüle, stickige Luft entgegen. Die griechischen Sommer sind unberechenbar und ziemlich schrecklich, seit Demeter, die ewigen Winter ausgerufen hatte, in die Irrenanstalt gesteckt wurde. Das ist doch nicht mein Fehler, denkt Nono und streicht über ihre nassen Haare.
»Wo sind die ganzen Leute?«, fragt sie einen Gemüsehändler, der an der leeren Straße steht. Er zeigt auf ein Plakat an der gekalkten Hauswand. »Der Zirkus kommt in die Stadt«, liest Nono.
Von diesem Tag an reden die Leute im Fernsehen, in den Zeitungen und auf den Agoren nur vom Zirkus. Und vor allem von seiner strahlenden, supersexy Direktorin.
Eines Morgens wird Nono vom Schreien und Kreischen der Menschen geweckt. »Es ist Krieg!«, jubelt sie und läuft auf den Balkon. Doch niemand scheint zu kämpfen. Anstelle von Waffen tragen die Menschen Plakate mit aufgemalten Herzen und den Worten WE LOVE YOU, WE NEED YOU.
Nonos Hotel gegenüber steht ein schöneres und höheres Hotel. Die Leute lassen den obersten Balkon nicht aus den Augen. Rhythmisch rufen sie einen Namen.
Endlich betritt eine schillernde, in Gold und Kupfer glänzende Frau den Balkon. Ein Raunen geht durch die Menge: Seufzer, Aufschreie, Liebesbekenntnisse. Die Frau sieht aus wie eine Skulptur. Sie stützt sich auf das Geländer und betrachtet das Menschenmeer zu ihren Füßen. Dann erklingt Musik. Die Frau wirkt gefährlich und sexy. Sie hebt die Arme und lässt die Hüften kreisen. Sie tanzt, und jede ihrer Bewegungen ist perfekt.
Nono hat noch nie etwas so Gelungenes gesehen. Tränen strömen ihr aus den Augen. Die Frau kehrt in ihr Zimmer zurück, und die Menschen zerstreuen sich, aber Nono steht noch lange da. Sie ist verzaubert. Erst am Nachmittag kommt sie wieder zu sich und geht zurück in ihr Zimmer. Sie betrachtet ihr Spiegelbild in der Messerklinge. Dann geht sie hinunter auf die Straße, sucht einen Frisiersalon und bittet die Friseuse, ihre schwarzen Haare so blond zu färben wie die der strahlenden Zirkusfrau.
Adam ist ein passiv-aggressiver Alkoholiker. Doch sein Banausentum wird durch sein Aussehen kompensiert: Er ist auf primitive Weise attraktiv. Die Frauen verknallen sich schnell in ihn, sie glauben, sie könnten ihn durch ihre Liebe zu einem anständigen Menschen machen. Da irren sie sich.
»Ich bin Gottes Sohn. Örrörrö. Also fast Gott selbst«, prahlt Adam vor Dionysos im Darts Pub. »Ich bin sein wahrer Sohn rörrörrör …« Er greift nach seinem Glas und lässt die Hälfte des Biers über seine nackte Brust laufen.
»Besser auf der Erde als im Mund eines Gottlosen«, sagt irgendwer. Adam braust auf. »Nennst du mich gottlos? Ich sage dir, du sollst den Namen des Herrn nicht grundlos in meinen … deinen … in den Mund nehmen.«
»Adam, hör auf, dich mit den Wänden zu streiten«, mahnt Dionysos seinen einzigen Gast.
»Du schmeißt mich nicht raus, rörrör … Du bist so ein rörrör … Du traust dich nicht an mich ran. Ich bin der Sohn des Vaters. Rörrör. Der lässt den Blitz in deine Bar fahren, wenn du gemein zu mir bist!«
Dionysos sagt leise: »Whatever«, und spült die Gläser. Er ist nicht sehr sorgsam. Das sind seine Kunden auch nicht.
»Ich will hier drinnen rauchen!«, ruft Adam. »Warum darf ich hier nicht rauchen, hä?« Dionysos antwortet, Adam rauche doch gar nicht. »Erssähl du mir nicht, was ich tu, rörrör …«
Im Fernsehen beginnt eine Nachrichtensendung. »Schalt sofort zurück zum Spiel!«, brüllt Adam und schüttelt die Fäuste. Dionysos sagt, das Spiel sei wegen einer Sondermeldung unterbrochen worden. Adam steht auf und kippt den Tisch um. Das Feigenblatt vor seinem Geschlechtsteil fällt zu Boden. Adam hebt es auf und klatscht es wieder auf sein Gemächt. Und siehe! Es hält ganz von selbst.
In den Nachrichten geht es um den Sturz des Patriarchats. »Was zum rörrörröö?« Der Reporter interviewt eine blonde Frau, die mit ihren weißen Zähnen strahlend lächelt. »Gott ist tot. Ich habe ihn sozusagen getötet«, gurrt die Frau.
»HUURE!!!«, brüllt Adam. »Wer ist diese Hure?«
»Das ist Aphrodite. Erkennst du sie nicht?«, meint Dionysos und stellt den Ton lauter.
»Hure. Wer ist die Huure?!«, wiederholt Adam.
»Du hast sie bestimmt schon mal gesehen. Sie stammt aus dieser Gegend. Liegt gern in der Sonne. Du hast sie sicherlich schon gesehen.« Denn Adam sind die Sonnenanbeterinnen an den Mittelmeerstränden bestens bekannt. Mehr als eine hat ihn schon wegen Belästigung angezeigt.
»Röööö!«
»Jetzt, wo die Welt in Ordnung ist, werde ich nach Hause zurückkehren«, erklärt Aphrodite im Fernsehen und wirft die Haare zurück.
»Sag noch etwas«, bittet der Reporter schüchtern.
»Na ja, was könnte ich sagen, hm, hihi. Na, vielleicht: Gott ist tot, es lebe die Liebe!«
»Oh, das hast du wundervoll gesagt.« Dann blickt der Reporter in die Kamera und meint, hoffentlich sehen wir alle eines Tages so wunderschön aus wie Aphrodite. Zum Schluss lehnt Aphrodite sich vor und wirft der Kamera eine Kusshand zu.
»Wenn du jetzt nicht aufhörst, kriegst du Hausverbot«, brüllt Dionysos.
Adam schmeißt die Gläser von der Theke und pinkelt auf den Boden. »Ich brauch rörrörröö deine blöde Bar nicht …«
Adam torkelt nach draußen und schläft drei Meter vor dem Lokal ein. Aber als er am Morgen erwacht, ist sein Kopf nüchtern und klar.
Frauen sind Adams Leidenschaft. Er hasst Frauen leidenschaftlich.
Er erhebt sich aus dem Straßengraben. »Dein Reich komme«, knurrt er zum Himmel. In der Bibliothek leiht er das Buch Grundlagen der Missionsarbeit aus, setzt die Lesebrille auf und beginnt zu buchstabieren. Na gut, er buchstabiert nicht, er kann sogar sehr gut lesen.
Sag, dass Gott dich gesandt hat. »Hat er ja auch«, stellt Adam fest.
Halte die Objekte deiner Missionstätigkeit prinzipiell für schlechter und minderwertiger als dich selbst hinsichtlich ihrer Intelligenz und ihrer Menschlichkeit. »Das sind sie ja auch. Eine leichte Aufgabe.«
Baue einen Brunnen oder eine andere lebenswichtige Anlage und erkläre, dass alle sie gern benutzen dürfen, sofern sie Gott und Jesus in ihr Herz lassen. »Hö …«
Wenn all das nicht wirkt, versklave und vergewaltige die Objekte der Missionsarbeit und zerstöre ihre Häuser. Der Verlust bringt sie dazu, Gott zu lieben. »Na, vergewaltigen werde ich jedenfalls nicht. Das hatte noch nie gute Folgen für mich«, brummt Adam.
Adam kauft ein Auto und fährt nach Athen. Er hätte auch den Bus nehmen können, aber die Dinger verschmäht er grundsätzlich. In der Stadt sprengt er die Wassertürme und sagt, diejenigen, die Gott in ihr Herz aufnähmen, bekämen Wasser aus den Reservoirs, deren Bau er plane. Die klatschnassen Athener jagen Adam wütend nach, so weit sie laufen können. Und sie können laufen. Auf das Auto muss er verzichten, weil irgendeine Blondine einen brennenden Pfeil in den Benzintank schießt. »Verfluchte Hexe!«, schreit Adam, während er vor der brüllenden Menschenmenge herrennt.
»Das hat nicht ganz geklappt«, stellt er fest, als er sich in Sicherheit gebracht hat. »Aber ich schwöre dir, Vater, dass ich die Völker wieder zu deinen Kindern machen werde.«
Er muss die Aufgabe nur in kleinerem Maßstab angehen.
Adam baut eine Hütte am Strand. Dann errichtet er zwei Straßensperren und verwehrt Lastwagen mit Erfrischungsgetränken die Durchfahrt. Er geht in die Dörfer und erklärt, ihr handelt ab jetzt nach meinem Befehl, oder ihr verdurstet. Die Leute wägen die Alternativen ab und sagen dann: »In Ordnung.«
ADAM: Ich erzähle euch jetzt von meinem Vater. Ihr könnt ihn Gott nennen.
Er schickt die Frauen hinaus.
ADAM: Die Küche ist der geeignete Ort für eine Frau. Solange es keine Barküche ist.
»Und die Freudenhäuser?«, wird er gefragt.
ADAM: Was ist mit denen?
»Dürfen die Frauen dort sein?«
Adam überlegt, was er darauf antworten soll. Er versteht nicht ganz, warum irgendwer in Freudenhäuser gehen will, die sind doch voll mit infizierten Frauen. Er kommt zu einem Entschluss.
ADAM: Nein. Sex ist schmutzig und eklig. Frauen ebenfalls. Nur Frauen interessieren sich für Sex. Die Männer sind besser. Die Männer sind rein. Es wäre auch gut, wenn die Männer sich ein Stück von der Vorhaut abschneiden würden.
»Warum?!«
ADAM: Weil ich es sage.
Vor lauter Machtgefühl wird ihm schwindlig: Er kann befehlen, was er will, und die anderen gehorchen ihm.
ADAM: Und wenn die Frauen ihre Monatsblutung haben, müssen sie weggehen und dürfen nicht auf denselben Stühlen sitzen wie gesunde Menschen!
ADAM: Und die Frauen müssen schweigen!
ADAM: Und die Frauen müssen sich die Körperhaare rasieren!
ADAM: Und die Frauen müssen einteilige Badeanzüge tragen, keine Bikinis!
Man unterbricht ihn: »Deine Regeln beziehen sich ziemlich oft auf die Frauen. Was ist mit den anderen Dingen?«
ADAM: Welche anderen?
»Na, generell.«
ADAM: Wenn die Frauen unter Kontrolle sind, ist alles unter Kontrolle.
»Und was ist mit Alkohol?«
ADAM: Was soll schon sein. Frauen dürfen ihn nicht trinken. Sie nerven, wenn sie besoffen sind.
»Wir anderen dürfen trinken?«
ADAM: Ja … Außer, wenn die Flasche ein rotes Etikett hat. Dann muss man den Inhalt wegschütten. Ein blaues Etikett ist okay.
Nono jagt dem Terroristen weiter nach, als die Athener nach gut vierzig Kilometern schlappmachen. Sie hält erst an, als der eine Hund aufheult. Der mit dem Nietenhalsband. »Bane!«, ruft Nono und hockt sich zu dem Hund, der kraftlos auf der Erde liegt. »Bane, Baby, ach Schätzchen, stirb noch nicht!« Doch der Hund macht einen letzten Schnaufer und schwebt in den Hundehimmel, den einzigen richtigen Himmel.
Nono hockt weinend auf dem staubigen Feldweg. Dann trägt sie Banes Leiche auf einen hohen Hügel. »In Wahrheit will ich keinen neuen kaufen«, flüstert sie, bevor sie ihren Hund begräbt.
Tyranny bellt auf. Nono geht zu ihm und streichelt seinen großen schwarzweißen Kopf. Er bellt erneut. Nono blickt vom Hügel hinunter. »Oh, das ist ja wie ein Kino, bloß ohne Dach.«
Am Abhang sind steinerne Sitzreihen angebracht, die auf eine gewaltige Bühne ausgerichtet sind. Nono läuft nach unten. »Stell dir mal vor, die Ränge wären voller Menschen«, sagt sie zu Tyranny und zieht ihre Waffe. »Die könnten mir beim Kämpfen zugucken!« Geschickt ficht sie gegen die Luft.
»Oder … sie könnten mich ansehen wie die Zirkusfrau. Ich könnte so sein wie sie.«
Nono lässt das Schwert sinken und schaltet ihr kleines tragbares Tonbandgerät ein.
Die Delfine bringen Aphrodite an die vertrauten Mittelmeerufer.
APHRODITE: Ich bestelle in Delphi Grüße von euch.
Die Delfine lachen.
APHRODITE: Von da stammt ihr doch …
Die Delfine lachen wieder. Aber die lachen ja immer und über alles! Aphrodite wirft ihnen eine Kusshand zu. Die Delfine machen einen Luftsprung und gleiten dann aufs offene Meer hinaus.
Die letzte Strecke zum Strand schwimmt sie. Brust, nicht Kraulstil: Sie mag das Gespritze nicht. Nur Kinder und ätzende Machos spritzen mit Wasser, das weiß jeder, der jemals ein Schwimmbad besucht hat.
Schließlich berühren ihre Zehen den sandigen Meeresboden. Sie watet an Land. Ihre Beine haben sich so an das Wasser gewöhnt, dass sie sie auf festem Boden nicht tragen. Sie fällt in den Sand, und weil es dort so schön und warm ist, schläft sie ein, ganz leicht, aber genussvoll, wie man schläft, wenn man von einer langen Reise zurückgekehrt ist.
Im Traum kommt ein junger Mann zu ihr. Ein herrlicher Junge, den sie kennt. Der die Jeans auszieht und … Hmm. Aber ich bin deine Patentante, murmelt Aphrodite.
Da erwacht sie von dem Geräusch, das entsteht, wenn eine Pistole entsichert wird. Jemand steht als dunkler Schatten zwischen ihr und ihrer Sonne. Wie ein schwarzer Phallus. Oder eine Säule. Aphrodite sieht das Gesicht des Unbekannten nicht, sie nimmt nur die schwarze Silhouette wahr.
APHRODITE: Pardon, du nimmst mir die Sonne.
UNBEKANNTER MANN: Ich lösche dich aus, wie die Wellen dir die Schminke vom Gesicht waschen.
APHRODITE: Die ist wasserfest, nur dass du’s weißt.
UNBEKANNTER MANN: Hure.
Der unbekannte Mann drückt ab. Die Kugel durchbohrt Aphrodites Brust. Aphrodite holt sie hinter ihrem Rücken hervor.
APHRODITE: Du hast da was fallen gelassen.
UNBEKANNTER MANN: Wieso bist du nicht gestorben?
APHRODITE: Weil ich schon einmal gestorben bin. Liest du keine Zeitung, du Arsch? Ich bin unsterblich.
Aphrodite kehrt ihm den Rücken zu und schläft ein. Als sie erwacht, erinnert sie sich nicht daran, wo sie ist. Sie hat etwas Seltsames geträumt. Irgendetwas von wasserfester Schminke. Sie überprüft ihr Gesicht im Taschenspiegel. Alles ist perfekt, wie immer.
Von irgendwoher dringt Gloria Gaynors Song an ihr Ohr. Sie ist zu Hause! Sie läuft in die Ewige Disco.
Die Glitzerkugel hängt immer noch an der Decke. Alles ist genau wie früher. Aber ohne Zigarettenqualm. Und ohne den süßlichen Schnapsgestank.
Aphrodite schaut sich verwundert um. Schließlich fällt ihr Blick auf die Theke. Penelope! »He, du darfst nicht hinter der Theke stehen!«, ruft Aphrodite. Penelope lacht. Ihr Lachen klingt kraftvoll, nicht so heiser und atemlos wie früher. Ihre Haare sind glatt und gepflegt, ihr Körper wirkt durchtrainiert und ist schlank. Sie trägt ein Designerkleid.
Penelope schnappt sich eine Limonadeflasche, geht zu Aphrodite und erklärt ihr, sie sei jetzt die Besitzerin der Ewigen Disco. Geübt öffnet sie die Flasche und reicht sie Aphrodite, die sich nicht die Mühe macht nachzusehen, ob das Getränk light oder nicht-light oder geradezu heavy ist.
APHRODITE: Wie geht es dir? Was ist passiert?
Penelope lächelt.
PENELOPE: Willst du es hören?
Aphrodite nickt.
Penelopes Scheidungsgeschichte
Odysseus war zehn oder zwanzig Jahre weg gewesen. Dann kam er eines Tages nach Hause. Stiefelte einfach rein und rief: »Honey, I’m home!«
In Gedanken hatte ich den Moment bestimmt hunderttausendmal durchlebt. Manchmal fiel ich ihm um den Hals und wir vögelten, manchmal zerkratzte ich ihm das Gesicht und wir vögelten erst dann. Aber als es jetzt wirklich passierte, saß ich einfach da und horchte auf seine Schritte im Haus. Ich trank einen Schluck Rosé, weil es erst Vormittag war, und holte meine Handarbeit unter dem Bett hervor. So habe ich dann gewartet, dass er mich findet. Schließlich kam er in mein Zimmer und sah aus, als ob er erwartet, dass ich mich ihm an den Hals werfe, ohne ein Wort über sein kleines Meeresabenteuer zu verlieren.
Na, das habe ich nicht gemacht.
Er hat mich gefragt, ob ich ihm treu geblieben sei. Vor dem Haus trieben sich nämlich alle möglichen Burschen herum, wer weiß, aus welchen Arschlöchern die gekrochen waren. Ich habe ihn bloß angeguckt, das weiß ich noch, weil ich so früh am Tag noch nicht total besoffen war, und gesagt, es will mir nicht in den Kopf, wieso du denkst, ich könnte dir nicht untreu sein, aber so unglaublich es klingt, ich bin dir treu gewesen.
Der Kerl war übrigens immer noch high, keine Ahnung, wovon. Erst hat er blöd geguckt, aber dann kam er ans Bett und fing an zu grapschen. Ich hab gesagt, Scheiße, du verdammtes Arschloch, eines Tages tut’s dir mal so weh wie mir. Er darauf, lass das doch. Und ich hab gesagt, ich verlasse dich. Unsere Ehe ist vorbei.
Er fing an zu schreien, das kannst du nicht machen, du dreckige Hure, ich komme von einer langen Reise, und meine Alte meckert bloß und ist negativ, und wenn du das nicht sofort zurücknimmst, bringe ich dich um.
Na, ich bin mir nicht ganz sicher, was dann passiert ist, aber irgendwann lag er vor dem Bett, eine Stricknadel im Herz, und hat nicht mehr geatmet.
Und ich habe gedacht, gut.
Die Polizei ist natürlich gekommen, und dann gab’s einen Prozess. Ich hatte einen guten Anwalt, der wirklich viel über die neuesten Gesetzesänderungen wusste. Der hat auf Selbstverteidigung plädiert. Das geht in diesen Fällen ja meistens nicht durch, aber dann haben sie die neueste Auflage des Gesetzbuchs studiert und festgestellt, dass man mir kein Verbrechen vorwerfen kann. Sie konnten mir bloß für zehn Jahre verbieten, Nähzeug zu benutzen, und alle Stricknadeln und alles Garn in meiner Wohnung beschlagnahmen.
APHRODITE: Echt gut!
PENELOPE: Vom Erbe habe ich die Disco gekauft. Obwohl ich mich vielleicht auch zu Hause wieder wohlgefühlt hätte, nachdem die ganzen Gammler vertrieben wurden. Die Polizei hat gesagt, die hätten kein Recht gehabt, auf meinem Grundstück zu lagern.
APHRODITE: Fantastisch, ich freu mich so für dich. Gut, dass du den Eierkopf los bist. Und vom Alk bist du auch runter?
PENELOPE: Ja, ich hab mit dem Saufen aufgehört und mit Pilates angefangen.
Ein kichernder Junge platzt herein, gefolgt von einem Gleichaltrigen. Beide tragen unglaublich kleine Lendenschurze und Riemensandalen im Gladiatorenstil.
APHRODITE: Ist das …
PENELOPE: Tele, ja.
APHRODITE: Er sieht so anders aus.
TELEMACHOS: Mutter, kannst du zwei Cosmo mixen? Bitte!
Er sieht Aphrodite an.
TELEMACHOS: Bist du das Original?
APHRODITE: Äh … wieso?
TELEMACHOS: Ich habe mal eine Drag-Queen gesehen, die als du verkleidet war. Also, falls du das Original bist.
PENELOPE: Ja, Tele, sie ist das Original.
Telemachos trinkt einen Schluck Cosmopolitan.
TELEMACHOS: Jetzt, wo Papa von uns gegangen ist, kann ich so schwul sein, wie ich will.
APHRODITE: Du vermisst ihn offenbar auch nicht?
TELEMACHOS: Der war ja nie richtig zu Hause. Außerdem hat er Argo umgebracht.
APHRODITE: Argo!? O nein, das war der liebste Hund der Welt.
PENELOPE: Na ja, er war doch schon alt. Vielleicht mehrere Tausend Jahre. Niemand hat gesehen, was passiert ist, aber er wurde an dem Abend tot im Garten gefunden.
TELEMACHOS: Es war Papas Schuld.
PENELOPE: Ja, sicherheitshalber geben wir ihm die Schuld. Nun sag, wie war denn deine Reise?
Aphrodite erzählt von ihrer Reise, von der Wärme des Meeres, von den treibenden Müllhaufen, aber auch von den leuchtenden Korallen, die sie mancherorts gesehen hatten und über die sie und die Delfine sich so freuten, dass sie tagelang dort blieben und unter Wasser spektakuläre Musicals aufführten. Alle Fische konnten mitsingen, während ihre Stimme in der Luft überhaupt nicht trägt. Und das ist schade, denn so gut wie die Fische singt keiner.
Sie erzählt von den Walen und Haien, die sie getroffen hat und die ihr sehr reserviert begegneten, bis sie ihnen klarmachte, dass sie kein Mensch, sondern eine Göttin ist. Sie berichteten ihr von ihrer Not und baten sie, ein gutes Wort für sie einzulegen. Aphrodite versprach es, obwohl Worte in solchen Fällen selten helfen. Ein Hammerhai, der einen ziemlich schwarzen Humor hatte, schlug ihr vor, sie könne ja die ganze Menschheit vernichten. Alle lachten, obwohl jeder wusste, dass es vielleicht der einzige Weg war, die armen Tiere der Ozeane zu retten.
APHRODITE: Es war eine lehrreiche Reise. Aber es ist schön, wieder zu Hause zu sein.
PENELOPE: Und hast du das bekommen, was du holen wolltest?
APHRODITE: Was denn?
PENELOPE: Den jungen Mann.
APHRODITE: Ach den … Na ja. Aber dann brauchte ich ihn nicht mehr.
Penelope mixt hinter der Theke einen Smoothie, als ein Mann die Ewige Disco betritt. Er sagt etwas, aber der Mixer ist so laut, dass Penelope es nicht verstehen kann. Der Mann redet weiter. Penelope zeigt auf den Mixer und zuckt die Achseln. Der Mann spricht lauter. Penelope hört immer noch nichts. Schließlich verliert der Mann die Nerven, springt über die Theke und zieht den Stecker heraus.
MANN: Wenn ich spreche, hörst du zu!
PENELOPE: Okay. Aber hier gilt die Regel, dass man mehr am Körper tragen muss als ein Salatblatt, wenn man meine Bar betreten will.
MANN: Ich heiße Adam, ich verwende keinen Salat, und du machst mir keine Vorschriften, sondern ich dir.
PENELOPE: Verpiss dich.
Der Mann versetzt ihr einen Faustschlag ins Gesicht.
MANN: Hiermit beschlagnahme ich dieses Lokal, denn hier werden die allgemeinen Regeln missachtet, sprich: Weiber als Gäste und als Wirtin, außerdem Getränke mit rotem Etikett. Und dich beschlagnahme ich auch, weil du keine sogenannten Menschenrechte mehr hast.
Penelope hält sich die blutende Nase und fragt, was das soll. Adam knallt ihr eine große Bibel auf den Schoß.
ADAM: Hier sind die Beweise. Du bist bloß ein Nebenprodukt. Ein Stiefkind. Ein Überrest.
Penelope schlägt das Buch an einer beliebigen Stelle auf und versucht den Text zu entziffern. Obwohl sie sich anstrengt, erkennt sie die Buchstaben nicht. Sie hat das Lesen verlernt! Was hat das zu bedeuten, fragt sie.
ADAM: Das bedeutet, dass du jetzt tust, was ich sage.
Der Mann packt ungewöhnlich hart zu, aber irgendwie ist er auch echt heiß. Vielleicht ist er nicht wirklich aggressiv, sondern nur ein bisschen jähzornig.
Aphrodite liegt in der Sonne, als Telemachos wütend vorbeisprintet, dass der Sand aufwirbelt.
APHRODITE: Was hast du?
TELEMACHOS: Scheiße!!
APHRODITE: ?
TELEMACHOS: Meine Mutter ist eine Dirne!
Gott sei Dank habe ich keine Kinder, denkt Aphrodite. Jedenfalls keine anwesenden.
APHRODITE: Was hat deine Mutter denn Schlimmes getan?
TELEMACHOS: Sie hat mir erklärt, dass Adam sagt, Schwule sollten gesteinigt werden. Ich muss hetero werden oder weggehen oder sterben. Die blöde Hure.
Schluchzend läuft Telemachos davon.
Aphrodite nimmt ihr Handtuch und geht zur Ewigen Disco. Davor wird sie von einem Türsteher angehalten.
»Was willst du?«, fragt er.
»In die Bar gehen«, antwortet Aphrodite und will an ihm vorbei. Der Wärter stößt sie die Treppe hinunter. »Ich will mit der Besitzerin sprechen!«, ruft sie.
»Der Besitzer hat gewechselt.«
»Wo ist Penelope?«
»Wenn du zu der Frau willst, geh durch die Küchentür. Im Lokal hast du nichts zu suchen. Prostituierte haben hier keinen Zutritt.«
»Leck mich doch am Arsch!«
Aphrodite geht durch die Küche ins Haus. »Was geht hier vor?«, fragt sie. Penelope antwortet, sie bereite das Essen zu. Sie habe einen Mann kennengelernt, der streng sei, aber irgendwie gefalle es ihr, dass ein anderer ihr die Regeln diktiere. Sie habe sich nie so ganz an die Selbstständigkeit gewöhnt.
»Doch, sehr gut sogar!«, ruft Aphrodite.
Penelope fragt, ob Aphrodite sich nicht mit ihr freuen könne. »Adam sagt, das ist mein Platz in der Welt. Das ist das Richtige. Und Adam sieht gut aus. Es könnte funktionieren.«
»Ich begreife das nicht«, seufzt Aphrodite. Penelope sagt, sie solle lieber gehen, Adam mag es nicht, wenn sie mit Fremden redet.
Nachdem Aphrodite gegangen ist, stiefelt Adam in die Küche, holt ein Würstchen aus dem Kühlschrank und lässt die Tür offen stehen.
ADAM: Mit wem hast du gesprochen?
Mit niemandem, antwortet Penelope.
ADAM: Lüg nicht!
Er schlägt Penelope so heftig, dass sie mit dem Kopf an die Tischkante knallt. Penelope entschuldigt sich. Sie sagt, sie habe nur mit einer Aphrodite geplaudert.
ADAM: Mit der?! Für die habe ich Schlimmeres vorgesehen als den Tod. Wohin ist sie gegangen?
Zur Tür hinaus, antwortet Penelope. Adam tritt ihr in den Bauch und zum Schluss ins Gesicht.
Lange und ausgiebig hat Adam überlegt, wie er sich an Aphrodite rächen soll. Er hat die Annalen der Inquisition, die westliche Literatur und die Geschichte des Films, vor allem der Pornografie, studiert. Aphrodite mag unsterblich sein, aber sie kann dennoch Leid empfinden. Und Adam wird ihr ewiges Leid und nie endenden Schrecken bescheren. Hahaha.
Es wird bereits dunkel. Aphrodite wandert an den Ufern und durch die Ruinen ihrer Heimat. Sie würde gern gegen die Steine treten, aber das wäre unklug: Dabei würde sie sich nur die Zehen aufschlagen, die aus den Sandalen ragen.
»Dummkopf«, flüstert sie.
»Selber dumm«, zischelt jemand. »Dumm, dumm«, eine andere Stimme. »Mein Liebhaber hat seine Frau nicht verlassen, obwohl ich es mir gewünscht habe. Da habe ich mich getötet. Ich hätte groß sein können«, das ist schon die dritte Stimme. Die vierte wispert: »Meine Frau hat mich wegen einem anderen Mann verlassen. Ich habe sie umgebracht. Dann unsere Kinder. Und zuletzt mich selbst.« Und die fünfte: »Rutsch mir den Buckel runter, du Hure!« Und die sechste: »Mein Leben ist kaputtgegangen, weil ich mich in eine zu junge Frau verliebt habe.« Und die siebte: »Mein Leben ist kaputtgegangen, weil ich mich in einen zu jungen Mann verliebt habe.«
Dutzende zischelnder Stimmen umgeben Aphrodite. »Iih, wer seid ihr?«, fragt sie.
»Es ist deine Schuld, dass ich gestorben bin, ich hätte groß sein können.«
»Ich hätte auch groß sein können. Aber dann bin ich auch gestorben. Auch das ist deine Schuld.« Alle Stimmen geben Aphrodite die Schuld an ihrem Tod und erklären, sie hätten weltberühmt werden können, wenn sie nicht wegen der Liebe zu früh gestorben wären.
»Widerwärtige Schuldzuweisungen«, faucht Aphrodite. »Glaubt ihr, ich hätte es leicht gehabt?«
Ohne es zu merken, hat sie die Überreste eines uralten Theaters erreicht. Die Seelen der Bühnenkünstler hören nicht auf, sie zu quälen, bis Aphrodite sie mit Parfüm besprüht. Die Seelen sind extrem geruchsempfindlich und ergreifen kreischend die Flucht.
Aphrodite setzt sich in den steinernen Zuschauerbereich. Sie zupft den abgesplitterten Lack von den Fingernägeln und merkt nicht, dass unten auf der Bühne eine menschliche Gestalt erscheint. Erst als die Musik schon eine Weile läuft, schaut sie hin. »Du lieber Himmel!«
Auf der Bühne wirbelt eine Gestalt in einem bodenlangen roten Vinylgewand herum. Aphrodite weiß nicht, ob es sich um einen Mann oder um eine Frau handelt. Sie ist daran gewöhnt, an solchen Orten nur Männer zu sehen.
»Es ist ein Mädchen«, stellt Aphrodite fest, als die Gestalt sich bis auf die Unterwäsche auszieht. »Was tut sie da?« Das Mädchen dehnt sich. Dann sucht sie die passende Musik aus und beginnt zu tanzen. Wieder und wieder übt sie dieselben Schritte. Bei jedem kleinen Fehler beginnt sie von vorn. Nie erreicht sie den Refrain.
Vollkommenheit ist etwas Seltsames, überlegt Aphrodite. Man erlangt sie nicht, indem man sie anstrebt, sondern sie entsteht aus Versehen … Sie kann den Gedanken nicht weiterspinnen, denn jemand legt ihr seine behaarte Hand über den Mund und schleppt sie zwischen die Bäume.
Nono zuckt zusammen, als sie die Geräusche hört. »Idiotin!«, schimpft sie mit sich selbst. Warum hat sie nicht überprüft, ob die Zuschauerränge leer waren? Womöglich hat jemand ihre Unvollkommenheit gesehen. Nono will gern von allen gesehen werden, aber erst dann, wenn sie so vollkommen ist wie die bronze schimmernde Frau vom Zirkus. Bisher haben nur sterbende Menschen Nonos Fähigkeiten erlebt. Von ihnen ist keine Bewunderung zu erwarten.
Und keine Liebe.
Sie schaltet das Tonband aus.
Wenn ich so bin wie diese Frau und Odin mich sieht …, überlegt Nono, während sie die steinernen Sitzreihen hinaufsteigt. Und gleich darauf denkt sie: Scheiße, Scheiße, Scheiße, denn von Odin zu träumen steht auf der Verbotsliste. Ganz oben. Nur Rachefantasien sind erlaubt. Aber die nehmen manchmal merkwürdige Formen an.
Auf den Zuschauerrängen ist niemand. Nono seufzt erleichtert auf. Dann nimmt sie einen Geruch war, der ihr irgendwie bekannt und anheimelnd vorkommt, und sie wird wieder nervös: Gerade eben muss jemand hier gewesen sein, das Parfüm liegt noch deutlich wahrnehmbar in der Luft.
Irgendwer war hier und ist lachend weggegangen. Warum sehen die Sterbenden meine Erfolge und die Lebenden meine Misserfolge, zum Teufel!?
Nono läuft zurück auf die Bühne, zieht ihr Vinylkleid an und hebt mit eleganter Handbewegung ihr Samuraischwert auf.
Aber irgendetwas an dem Geruch verwirrt ihre soldatisch geordneten Gedanken.
Aphrodite kommt in völliger Dunkelheit zu sich. Ihr Körper fühlt sich ramponiert an. Sie renkt sich ihre Knochen wieder ein, legt die Finger an ihren Oberschenkel und spürt, wie sich die klaffende Wunde schließt. »Iih«, wispert sie.
Irgendwo knackt etwas. Aphrodite erstarrt und lauscht. Es folgt kein zweites Knacken. Sie atmet auf.
Die Erde um sie herum ist felsig und ein wenig feucht. Es stinkt. Als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, sieht sie vor sich einen grünen Punkt. Aphrodite kriecht darauf zu. Der grüne Punkt gehört zu einer kleinen Videokamera. Sie stellt die Kamera auf Nachtaufnahme ein und betrachtet ihre Umgebung durch den Sucher. Wie komme ich hier weg?!
Aus den Augenwinkeln sieht sie etwas Helles und Krummes. »Scheiße!« Aphrodite erschrickt. Das hier ist irgendein schrecklicher Ort. Schrecklicher als der Tod. Sogar schrecklicher als Finnland. Sogar dunkler als Finnland.
Sie hebt die Kamera möglichst lautlos vor das Gesicht. Das Bild zeigt eine missgestaltete menschenähnliche, nackte, glatzköpfige Gestalt, deren Augen zugeschwollen sind. Sie steht auf allen vieren wie ein Tier, zehn Meter von ihr entfernt.
Der Schrei will heraus, bleibt ihr aber in der Kehle stecken: Sie ist so entsetzt, dass sie nicht einmal atmen kann.
Wenn ich, wenn ich, wenn ich … was, zum Teufel … Aphrodite muss atmen, sonst wird sie ohnmächtig. Sie legt die Hand vor den Mund, atmet in die Handfläche. Das blasse Wesen bleibt stehen, legt lauschend den Kopf schräg.
Etwas Nasses fällt Aphrodite auf die Schulter. Da schreit sie los und schreit und schreit!
Aphrodite wirft die Kamera weg, sie will das nicht sehen. Das Tier oder der Mensch, oder was immer es ist, wirft sich auf sie, versucht sie in den Hals zu beißen. Sein Atem stinkt entsetzlich, und seine Haut ist schleimig und kalt. Aphrodite gräbt die Fingernägel in sein Gesicht.
Als sie wieder schreit, füllt sich ihr Mund mit einer dicken, klebrigen Schmiere. Der Mann, Aphrodite erkennt jetzt, dass es ein Mann ist oder vielmehr war, fällt mit seinem ganzen Gewicht auf sie. Oder genaugenommen, mit seinem ganzen Gewicht minus Kopf, denn jemand ist hinter ihn getreten und hat ihm den Kopf abgeschlagen.
Der Kopf liegt leblos neben ihrem Gesicht. Sie stößt den glitschigen Körper von sich.
Vor ihr steht eine Frau in einem roten Vinylkleid. Sie trägt eine Stirnlampe, genauer gesagt eine Kristallkrone, und hält ein Samuraischwert in der Hand, von dem Blut tropft.
Aphrodite holt tief Luft und fragt: »Wer bist du?«
Da stürmen von allen Seiten weitere bleiche Monster heran. Oder sollte man sie Menschen nennen? Jedenfalls sind sie widerwärtig und entsetzlich.
Fräulein Nono schlachtet jeden der herbeikriechenden schleimigen Gnome mit einem gezielten Schwertstreich ab. Die Kristalle an ihrer Stirn klirren leise.
Als das Blutbad beendet ist, fasst Nono Aphrodite am Arm. Aphrodite erschrickt, obwohl die Hand der jungen Frau warm ist.
»Ich muss dich etwas fragen«, sagt Nono und zieht Aphrodite mit sich.
Doch in den Stunden, Tagen oder Wochen, die sie daraufhin im Labyrinth verbringen, beginnt Fräulein Nono kein Gespräch. Sie konzentriert sich darauf zu töten. Nono tötet alles, was ihnen über den Weg läuft, wie der Held eines Videospiels.
Schließlich bricht Aphrodite das Schweigen.
APHRODITE: Warum hast du mich gerettet?
Im selben Moment taucht ein Dutzend bläulich-weiße Monster auf. Whoom, wham, wusch, Nono tötet sie alle.
NONO: Du hast mir nachspioniert.
Slash.
APHRODITE: Nicht mit Absicht.
NONO: Du hast gesehen, wie ich geprobt habe?
Slash.
APHRODITE: Pfui.
NONO: Was hast du gesagt!?
APHRODITE: Ich meinte diese Typen.
NONO: Du hast meine Probe gesehen.
APHRODITE: Ääh, ja …
Slash.
NONO: Und?!
APHRODITE: Was und?
NONO: War ich miserabel?
Crack, smash.
APHRODITE: Wo?
NONO: Da auf der Bühne. Beim Tanzen.
APHRODITE: Ach so!
Wham!
APHRODITE: Darauf kommt es doch nicht an. Hauptsache, es macht einem Spaß.
NONO: Scheiße!
Slash.
APHRODITE: …
NONO: …
APHRODITE: Also …
Smash.
NONO: Wer will sich so was schon angucken?
Splam.
NONO: Niemand!
APHRODITE: Aha.
NONO: Keiner guckt gern zu, wenn eine da rumturnt, obwohl sie es gar nicht kann, und wenn es ihr noch so viel Spaß macht.
APHRODITE: Du hast dich wohl noch nie in deinem Leben amüsiert.
Blast, crash, urgh.
NONO: Mein Vater hat mich gelehrt, dass Spaßhaben völlig überbewerteter Quatsch ist und außerdem …
Klot klot klot.
NONO: … die Arbeitsmoral zerstört.
APHRODITE: Haha! Du scheinst einen kompletten Idioten zum Vater zu haben!
NONO: …
APHRODITE: Also, das geht nicht gegen dich, wir können uns unsere Väter ja nicht aussuchen. Wenn wir das könnten, dann wären sicher alle in derselben Situation wie ich und hätten überhaupt keinen Vater … Aber wir können uns aussuchen, mit wem wir vögeln. Es wäre besser, nicht mit Idioten zu vögeln. Und vor allem, sich von Idioten keine Kinder machen zu lassen. Noch mal, das geht nicht gegen dich, aber ich begreife nicht, wie manche Frauen überhaupt nicht darauf achten können, mit wem sie rummachen … Und dann auch noch ohne Verhütung.
Splash.
NONO: Mein Vater war der Kriegsgott Ares.
Vor ihnen schimmert ein heller Streifen.
APHRODITE: Mit welcher abgefuckten Hure …
Nono schlitzt einem Feind, der sich von der Decke fallen lässt, von den Lenden bis zur Nase den Bauch auf.
NONO: Was hast du gesagt?
APHRODITE: Nichts.
In fünfzig Metern Entfernung ist eindeutig Tageslicht zu sehen.
APHRODITE: Warum sind wir nicht einfach da raus, wo wir reingekommen sind?
NONO: Zu anspruchslos.
Das ist eine Lüge. Als sie den Schrei gehört hatte, war Nono völlig desorientiert losgerannt. Sie hat sich verlaufen.
NONO: Nun komm.
Nono zieht Aphrodite einen steilen Knochenhaufen hinauf. Die Sandalen, die Aphrodite während der ganzen Zeit im Labyrinth nicht verloren hat, rutschen ihr jetzt von den Füßen und verschwinden zwischen Schenkel- und Hüftknochen und Rippen. Nono zieht Aphrodite hoch und durch einen schmalen Spalt nach draußen. Dort steht Aphrodite nun neben Nono, die sie um fünfzehn Zentimeter überragt.
»Mach mal auf«, sagt Nono und dreht ihr den Rücken zu. Aphrodite hebt Nonos von Schmutz und Blut schweres Haar an und öffnet ihr das Kleid. Es fällt herunter wie eine Schlachterschürze. Unter dem roten Kleid kommt noch mehr Gummi zum Vorschein, ein schwarzer Catsuit mit nur einem Träger. Aphrodite findet ihn eine Spur provokativ.
NONO: Nun sag mir mal, was du meinst.
APHRODITE: Dein Tanz hat nicht ganz befreit gewirkt, tut mir leid.
NONO: Nicht dazu. Zu dieser Persephone.
APHRODITE: Wir kennen uns flüchtig. Sagen uns höchstens guten Tag und so.
NONO: Was hältst du davon, dass Hades sie geraubt hat?
APHRODITE: Das war von seiner Seite kein ungewöhnliches Verhalten.
NONO: Es war mein Verdienst.
APHRODITE: …
NONO: Wusstest du das nicht?
APHRODITE: …
NONO: Freust du dich?
APHRODITE: Wer ist deine Mutter?
Tränen laufen Nono über das mit Blut und Schmutz beschmierte Gesicht. Ihre künstlichen Wimpern lösen sich zur Hälfte, sie blinzelt. Aphrodite zupft die Wimpern zärtlich ab. »Für die gibt es einen besseren Klebstoff«, murmelt sie. »Ich habe ihn nicht bei mir, aber…«, sie überlegt, was sie sagen soll, »… ich kann ihn dir leihen, wenn wir hier wegkommen.«
Nono schnieft, ihr läuft Rotz aus der Nase. »Mutter«, sagt sie, »wer hat dich da reingeworfen? An dem werde ich mich rächen.«
Die Tür zur Disco wird aufgetreten. In der Türöffnung steht Fräulein Nono mit ihrem japanischen Traditionsschwert. »Du bist tot, Bursche«, sagt sie zu Adam.
Adam lacht auf und winkt träge seine beiden Aufpasser heran, die Nono an den Armen packen und ihr das Schwert entwinden. Nono zappelt und tritt und setzt alle Selbstverteidigungstricks ein, zu denen sie fähig ist, aber manchmal treffen wir auf einen Gegner, der einfach zu groß ist, in physischer Hinsicht.
Aphrodites Herz rast. Soll ich einfach verschwinden?, überlegt sie. Sie betrachtet das schimmernde Schwert und denkt an die sexy Uma Thurman und die superheiße Lucy Liu. Aber ich bin die Göttin des Sex, nicht der Gewalt.
Das Stöhnen des Sicherheitsmannes reißt sie aus ihren Gedanken. Nonos Mund ist blutverschmiert. Dem Mann fehlt ein Stück Wange. Sein Kollege drückt dem Mädchen eine elektrische Keule an den Hals. Nono zuckt, fällt aber nicht. Der Mann mit dem Loch in der Backe packt sie an den Haaren und knallt ihr Gesicht auf die Bartheke.
»Scheiße«, flüstert Aphrodite. So was kann zu einem Nasenbruch führen! Sie ergreift das Schwert und zieht es mühsam zu sich heran, es ist unverschämt schwer. Sie kann kaum das Gleichgewicht halten, schwankend steht sie mit der Waffe an der Tür. Könnte man die Dinger nicht aus leichterem Material herstellen?
Die Sicherheitsmänner achten nicht auf Aphrodite. Ihnen ist gerade eingefallen, was sie mit der kleinen Schlampe im Gummianzug anstellen könnten. Aphrodite zögert immer noch: Ihr fehlt die Aggressivität, die man für solche Aktionen braucht. Doch dann sieht sie, dass die Aufpasser ihre Hosenschlitze öffnen. Sie wollen Sex als Gewaltmittel einsetzen. Das werdet ihr nicht tun, denkt sie. Ungeheurer Hass überkommt sie, der wie ein weißes Feuer brennt, er wärmt ihre Glieder und verleiht ihr gewaltige Kräfte.
Das Schwert über die Schulter gelegt, springt Aphrodite in den Lichtkegel. Sie läuft kreischend auf Adam zu, der in seiner Verblüffung nicht einmal auf die Idee kommt, sich Penelope, die gerade Kaffee serviert, als menschlichen Schutzschild zu krallen. Aphrodite schwingt das Schwert und schafft es, Adam in Längsrichtung zu halbieren. Dann schlägt sie noch einmal zu und zerteilt den Mann horizontal.
Adams vier Teile geraten durch den überraschenden Angriff außer Rand und Band. Jeder rennt in eine andere Richtung davon: die rechte obere Seite nach Süden, die linke obere Seite nach Norden, die rechte untere Seite nach Osten und die linke nach Westen. Und sie laufen und laufen, bis sie einander schließlich begegnen. Doch darüber vergeht viel Zeit, und wir brauchen uns deshalb noch nicht zu grämen. Es kann ja sein, dass Adam dank alldem an Menschlichkeit gewinnt und seinen Kampf gegen die Frauen einstellt. Das ist allerdings unwahrscheinlich, denn menschliche Individuen entwickeln sich kaum.
Die Sicherheitsmänner unterbrechen ihre Tätigkeit. Die von Blut geschwärzte Aphrodite sieht sie mit tierischer Miene an. »Das ist meine Tochter«, knurrt sie.
»Entschuldigung«, entgegnet der eine Türsteher furchtsam.
»Was hattest du mit meiner Tochter vor?«
Der Mann schnappt ein paarmal nach Luft, bevor er antwortet, das wisse er nicht so genau. Vielleicht habe er daran gedacht, sie zu vergewaltigen. So sei der Krieg nun mal.
»Wenn der Krieg so ist, schaffe ich ihn ab«, erklärt Aphrodite bestimmt.
Der andere Mann, dessen Zähne man durch das Loch in der Backe sehen kann, lacht auf. »Verpiss dich, alte Fotze«, sagt er.
Aphrodite bohrt ihm das Schwert durch den Hals. »Wieso lernen die einfach nicht, wie man mit einer bewaffneten Frau spricht?«, schnaubt sie.
Der andere Mann ist jetzt ganz still. Aphrodite setzt ihm das Schwert auf die Brust.
»Ich tu so was nie wieder«, stammelt der Mann. »Es war eine Ausnahmesituation.«
APHRODITE: Das ist keine Entschuldigung.
Sie hebt das Schwert und spaltet den Oberkörper des Mannes. »Autsch!«, schreit sie und presst eine Hand auf ihr Ohr. Blut läuft ihr über die Finger.
»Mutter!«, ruft Nono. »Alles in Ordnung?«
»Natürlich, es ist bloß ein Kratzer.«
Nono hebt Aphrodites Ohr vom Fußboden auf. »Du hast etwas verloren …« Aphrodite starrt auf das Stück Fleisch und fällt in Ohnmacht.
Nono steht am Bett ihrer Mutter. Aphrodite schlägt die Augen auf.
NONO: Vielleicht wächst es nach.
APHRODITE: Ich bin doch keine Eidechse.
NONO: Nee, klar. Aber jetzt … Jetzt bist du unvollkommen. So wie ich.
Aphrodite ist so konsterniert, dass sie aufsteht.
APHRODITE: Sag so etwas nie wieder. Ich bin eine Göttin, und ich habe dich perfekt gemacht, Baby. Ich mache keine Fehler.
NONO: Aber ich bin nicht gut genug.
Aphrodite legt die Hände um das Gesicht ihrer Tochter und erklärt, Nono sei die Beste und sie sei schön, so wie sie ist. »Du brauchst nichts anderes zu werden als die, die du schon bist.«
»Mutter, ich habe Papa getötet«, sagt Nono. Aphrodite schweigt. »Mit voller Absicht«, fährt Nono fort. »Nicht mit Vorsatz, aber trotzdem mit Absicht.«
Nach langem Schweigen beginnt Aphrodite zu sprechen: »Ich war eine schlechte und verantwortungslose Mutter. Und mein Liebhaber, also dein Vater, war ein Schweinehund. Wenn ich noch einmal von vorn beginnen könnte, würde ich wahrscheinlich ganz genauso handeln. Ein Glück, dass es nicht nötig ist.«
Aphrodite begreift, dass sie Ares nie mehr den salzigen Schweiß vom muskulösen Hals lecken wird. Und auch von keinem anderen Körperteil. Das ist natürlich ein Verlust. In gewisser Weise hat sie alle ihre Geliebten verloren. »Aber jetzt kann ich mich auf mein zweites Kerngebiet konzentrieren«, sagt sie.
»Was ist das?«, fragt Nono.
»Die Mutterschaft. Und mit dir fange ich an.«
Nono braucht ihrer Mutter nicht von der Zirkusfrau zu erzählen und auch nicht von ihren zwölfstündigen Tanzproben oder davon, dass sie eigentlich ziemlich schüchtern ist, sie braucht nicht einmal über ihr problematisches Verhältnis zu älteren Männern zu sprechen. Aphrodite versteht, was Nono wirklich braucht. »Liebe und Achtung. Macht und Aufmerksamkeit. Medienpräsenz.«
Aphrodite sagt, so etwas kriegt man nicht durch Tanzen. Na ja, manche schon, aber dann muss man wirklich gut sein und all die Energie, die man auch für nützlichere Zwecke verwenden könnte, auf das Einstudieren von Tanzschritten vergeuden. »Und du kannst schließlich schon gehen und stehen.«
»Aber was könnte ich denn sonst tun? Ich habe keine spezielle Begabung.«
»Du bist Soldatin. Die Tochter des Kriegsgottes. Aber du bist auch meine Tochter. Und es gibt nur einen vernünftigen Grund, Krieg zu führen.«
»Welchen denn?«, fragt Nono.
Aphrodite erzählt, was sie auf ihren Reisen alles gesehen hat: Frauen werden verstümmelt und geschlagen und vergewaltigt, Kinder missbraucht, Tiere verspeist. »Ich will mir das nicht länger anschauen. Im Ernst, verdammt.« Die Verhältnisse sind ihr zuwider, aber jetzt weiß sie, was zu tun ist.
APHRODITE: Jemand muss für die Liebe Krieg führen.
NONO: Ist das nicht widersprüchlich?
APHRODITE: Ja, aber manchmal muss man Kompromisse eingehen. Die Menschen sind dickköpfig.
NONO: Zum Glück kann man Köpfe abschneiden.
APHRODITE: Genau! Meine liebe, schöne Tochter, steh gerade und sei du selbst. Dann bist du das vollkommene, aufrechte Wesen, das alles verteidigen kann, was gut ist. Selbst wenn es mit Gewalt verteidigt werden muss.
NONO: In Ordnung. Und wohin muss ich jetzt gehen?
APHRODITE: Du musst nirgendwohin gehen. Im günstigsten Fall ist es nicht einmal nötig, Blut zu vergießen. Zuerst bringe ich dir die Grundlagen des Schminkens bei. Dann rufen wir die Zeitungen an und erzählen ihnen, wer du bist und was du tust. Sie werden Fotos von dir machen, und alle Menschen werden die Bilder sehen und beeindruckt sein. Und dann können sie dich lieben oder fürchten.
NONO: Glaubst du, das funktioniert?
APHRODITE: Natürlich. Bilder haben eine unglaubliche Kraft, sie beherrschen uns. Glaub mir.
An einem stinknormalen Montagmorgen geht der verkaterte Odin zum Kiosk, um sich einen großen Becher Kaffee und ein Croissant zu holen. Die Croissants sind ausverkauft. »Mist«, schimpft Odin.
»Wir haben Zimtschnecken«, sagt die Verkäuferin.
»Ich will keine verdammten Zimtschnecken!«
Verärgert wirft er einen Blick auf den Zeitungsständer. Auf dem glänzenden Titelblatt jeder Illustrierten prangt das Bild einer jungen blonden Göttin, die mit einem Samuraischwert bewaffnet ist. Darüber stehen in Großbuchstaben Schlagzeilen wie »Fräulein Nono beherrscht die Welt«, »Mode-Ikone: Das Kind des Krieges und der Liebe, so schön und so gefährlich wie niemand zuvor« und »Wer dieser Frau dumm kommt, den schlachtet sie ab«.
Odin betrachtet die junge sexy Göttin. Sie kommt ihm vage bekannt vor, denkt er. Er überlegt und überlegt, bis ihm aufgeht, woher er dieses Mädchen kennt. Sie sieht allerdings verdammt viel besser aus als damals. Odin sucht auf seinem Handy nach Nonos Nummer und findet sie unter E: »E« wie »Exweiber«. Das Telefon klingelt lange.
NONO: Nonos Residenz, Nono am Apparat.
ODIN: Grüß dich.
NONO: Wer ist da?
ODIN: Ich. Erinnerst du dich nicht?
NONO: Wer?
ODIN: Odin.
NONO: …
ODIN: Hallo, bist du noch dran?
NONO: …
ODIN: Ich dachte, wir könnten uns treffen.
NONO: Ach.
ODIN: Ja. Ich kann dich ja mal besuchen. Sag mir deine Adresse, dann schau ich vorbei.
NONO: Die einzigen Orte, wo du mich sehen wirst, sind die Zeitungen und das Fernsehen und das Internet und verdammt große Werbetafeln. Aber da wirst du mich wahrhaftig sehen. Ich werde dafür sorgen, dass du dir nicht einmal einen Scheißkaffee kaufen kannst, ohne mich zu sehen. Guck also in aller Ruhe hin und hol dir einen runter, wenn dir danach ist.
ODIN: Was ist, treffen wir uns oder nicht?
NONO: Wenn du je wieder versuchst, mit mir zu sprechen, lass ich dir die Zunge abschneiden.
Der Hörer wird aufgeknallt. Odin ist verblüfft, er versteht nicht, was das soll. Er trinkt von seinem Kaffee und verbrennt sich dermaßen die Zunge, dass er es auch in der darauffolgenden Woche noch spürt. Er kriegt einen fürchterlichen Wutanfall. »Der Kaffee ist zu heiß!«, brüllt er.
Die Kioskverkäuferin sieht ihn eine Weile schweigend an. »Dein Reißverschluss ist übrigens offen«, sagt sie dann und kichert leise.