23

 

Nen Yim warf Yu’shaa einen Blick zu. Er hatte still an der Aufgabe gearbeitet, die sie ihm übertragen hatte, und die genetischen Sequenzen von Flora und Fauna in den Qahsa eingetragen. Jetzt schien er jedoch Probleme zu haben.

»Was ist denn?«, fragte sie.

»Er hat aufgehört, mir Zugang zu gewähren«, sagte er. Irgendwo in der Ferne maunzte etwas, und etwas anderes schnatterte in Reaktion. Der Himmel war klar, die Luft still.

»Haben Sie versucht, sich Daten zugänglich zu machen, die Ihnen verboten sind?«, fragte Nen Yim.

»Nicht dass ich wüsste, Meisterin Yim. Ich habe einfach nur versucht, die Fermon-Signaturen einzugeben, wie ich es tun sollte.«

»Pheromone«, verbesserte Nen Yim ihn. »Es könnte sein, dass meine Sicherheitsmaßnahmen zu umfassend waren. Lassen Sie mich mal sehen.«

Gehorsam reichte er ihr den knollenförmigen lebenden Datenspeicher.

»Nein«, stellte sie fest. »Weil der Qahsa nicht auf Sie eingestellt ist, verweigert er Ihnen nach einiger Zeit den Zugang.« Sie betrachtete den Propheten ein wenig genauer. Sie konnte seinen zeitweiligen Zugang erneuern, aber in ein paar Stunden würde sie dann die gleiche Prozedur wiederholen müssen.

Oder sie konnte ihm dauerhaften Zugriff auf den Qahsa geben, aber sie zögerte. Sie hatte die Protokolldaten der sekotanischen Biologie dort gespeichert. In den falschen Händen …

Aber der Prophet hatte sich als nützlich erwiesen, und nur jemand, der sich gut mit der Arbeit von Gestaltern auskannte, würde verstehen, was er im Qahsa fand. Nach dem Muster seiner abgestoßenen Implantate nahm sie an, dass der Prophet Verwalter gewesen war, bevor er zum Beschämten wurde.

Zeit war wichtig. Wenn Yu’shaa die einfacheren Arbeiten übernahm, konnte sie sich auf die komplizierteren Analysen konzentrieren und kam gut voran. »Kommen Sie«, sagte sie. »Ich werde Sie mit ihm vertraut machen.«

Nachdem das geschehen war, konnte sie eine Weile in Frieden arbeiten.

Bis Harrar kam, sich herrisch vor ihr aufbaute und wartete, dass sie ihm ihre Aufmerksamkeit zuwandte. Sie gewährte sie ihm nur zögernd. Wenn er etwas über das Gestalten wusste − und das war zweifellos der Fall −, würde er sich bereits denken können, dass sie eine Ketzerin war. Wenn sie ihre Arbeit leisten wollte, konnte sie sie nicht länger verstecken.

»Ja?«, sagte sie schließlich.

Er bedachte sie mit einer unbehaglichen, knappen Verbeugung. »Ich fragte mich, wohin Ihre Forschungen Sie führen«, fragte er. »Ob Sie zu neuen Schlüssen gekommen sind.«

Immer das Gleiche! Was glaubte er, dass Schlüsse waren − Obst, das man einfach von einem Baum pflückte? »Es wäre voreilig, etwas Definitives zu sagen«, erklärte sie.

»Das verstehe ich«, erwiderte er freundlich. »Aber ich hoffe, dass Sie mir neue Entwicklungen mitteilen.«

Sie sah ihm an, dass es ihm schwerfiel, so mit ihr umgehen zu müssen. Harrar war daran gewöhnt, Befehle zu geben, nicht jemanden überreden zu müssen. Immerhin waren die Priester die Stimmen der Götter.

»Es hat ein paar Entwicklungen gegeben«, gestand sie. »Allerdings eher auf der Ebene der Daten, als dass bereits ein Schluss möglich wäre.«

»Bitte fahren Sie fort. Alles Neue muss hörenswert sein.«

»Aber es kostet mich Zeit, mit Ihnen zu reden, während ich doch dabei bin, zu den Schlüssen zu kommen, von denen Sie sprachen.«

Harras Miene wurde ausdruckslos. »Jeedai Horn sagt, es könnte lange dauern, bis jemand uns findet. Ich denke nicht, dass Sie es so eilig haben, dass Ihnen sogar die Zeit für ein paar Worte über Ihren Fortschritt fehlt. Ich war immerhin derjenige, der diesen Flug für Sie arrangierte.«

»Ja, genau danach wollte ich Sie ohnehin fragen«, sagte Nen Yim.

»Dann werden Sie vielleicht meine Frage beantworten, nachdem ich Ihre beantwortet habe«, schlug der Priester vor.

Nen Yim lehnte sich zurück und zwang ihre Tentakel in eine neutrale Position.

»Als wir uns begegnet sind, sagten Sie, Sie könnten meine Flucht nicht selbst organisieren, weil Sie fürchteten, entdeckt zu werden.«

»Das ist wahr. Eine von mir arrangierte Flucht hätte nicht funktioniert.«

»Und dennoch sind Sie jetzt hier; Sie sind mitgekommen. Wird das nicht auffallen?«

Harrar schien sich plötzlich zu entspannen, als hätte er eine andere, schwierigere Frage erwartet.

»Ich befinde mich angeblich am Äußeren Rand, wo ich an der Stelle unseres Eindringens in diese Galaxis über unsere Eroberung meditiere. Einer meiner Untergebenen hat das Schiff dorthin geflogen. Man wird mich sehr wahrscheinlich nicht vermissen. Sie haben doch auch dafür gesorgt, dass Ihr Verschwinden wie eine Entführung aussah. Wir haben beide unsere Spuren verborgen.«

»Ich gebe meinem Betrug keine große Erfolgschance«, erwiderte Nen Yim. »Wenn ich in den Yuuzhan-Vong-Raum zurückkehre, erwarte ich, hingerichtet zu werden.«

»Und dennoch haben Sie vor zurückzukehren.«

»Selbstverständlich. Unser Volk muss erfahren, was hier entdeckt wurde.«

»Was Ekh’m Val entdeckte, wurde sehr wirkungsvoll unterdrückt«, sagte Harrar. »Wieso glauben Sie, dass Ihre Entdeckungen ein anderes Schicksal haben werden?«

»Ich werde eine Möglichkeit finden«, versicherte Nen Yim ihm.

Harrar verschränkte die Arme und sah sie anerkennend an. »Sie meinen es ernst. Sie sehen in dieser Sache keinen persönlichen Gewinn. Ich glaube, Sie sind eine der bewundernswertesten Personen, die ich je kennen gelernt habe.«

»Bitte verspotten Sie mich nicht.«

»Ich verspotte Sie nicht«, erwiderte er ein wenig verärgert. »Ich versuche, meiner Hochachtung Ausdruck zu verleihen. Wenn Sie diese Hochachtung abweisen, bleibt sie dennoch, was sie ist. Jede Kaste versucht, sich über die anderen zu erheben. Jede Domäne liegt im Wettbewerb mit den anderen, Individuen verraten einander und bringen einander in blinder Gier nach Aufstieg um. In der galaktischen Tiefe hat uns das beinahe zerrissen. Ich hoffte, wenn wir einen echten Feind hätten, könnten wir diese Aggression nach außen wenden, und das geschah auch, aber nun kehrt sie zurück. Es ist mehr als eine Gewohnheit geworden; es ist jetzt unsere Lebensart.«

»Bringt man uns nicht bei, dass Wettbewerb zu mehr Kraft führt?«, fragte Nen Yim.

»Selbstverständlich«, antwortete Harrar. »Aber nur bis zu einem bestimmten Punkt, wenn es nicht auch so etwas wie Zusammenarbeit gibt.«

Nen Yim verdrehte die Tentakel zu einem ironischeren Ausdruck. »Und darin besteht die Lektion von Zonama Sekot«, sagte sie. »Die Lektion, von der wir offenbar beide der Ansicht sind, dass unser Volk sie lernen muss.«

Harrar entspannte sich erneut.

»Setzen Sie sich«, sagte Nen Yim. »Ich werde so gut ich kann erklären, was ich hier sehe.«

Harrar ließ sich in seinem üblichen Schneidersitz nieder und wartete.

»Die Spezies hier sind nicht sonderlich mannigfaltig«, begann sie. »Viel weniger, als man in einem natürlichen Ökosystem erwarten würde.«

»Was könnte so etwas bewirken?«, fragte Harrar.

»Zum Beispiel Massensterben. Eine Katastrophe oder eine Reihe von Katastrophen, die viele Spezies auslöschte.«

»Das ist eine interessante Tatsache, aber …«

»Nein, es ist mehr als eine interessante Tatsache«, unterbrach sie ihn. »Dieses Ökosystem funktioniert, als wäre es mannigfaltig genug. Spezies haben hier Rollen übernommen, für die sie nicht gedacht waren.«

»Ich bin nicht sicher, ob ich Sie richtig verstehe.«

»Nach jedem massenhaften Sterben öffnen sich viele ökologische Nischen. Andere Spezies nutzen den Vorteil dieser leeren Nischen und passen sich durch natürliche Auswahl an, um sie zu füllen und sie zu nutzen. Nach Jahrtausenden gesundet ein verwüstetes Ökosystem schließlich wieder und ist erneut so divers wie das, das ursprünglich betroffen war.«

»Aber das ist nicht, was hier geschah?«, fragte Harrar.

»Nein. Nicht im Geringsten. Zum einen liegt das Massensterben hier nicht lange genug zurück. Es gab nicht genug Zeit für die Art von Anpassung, von der ich gesprochen habe. Zum anderen passen sich Spezies hier nicht an, um ökologische Nischen zu füllen − sie bleiben an ihre eigenen Nischen angepasst, jene, die zu füllen sie sich entwickelt haben, und dennoch vollziehen sie auch die Umweltaufgaben ausgestorbener Spezies − ohne dadurch selbst einen Nutzen zu haben.«

Sie wartete einen Augenblick, um ihn das verdauen zu lassen, und genoss die plötzliche Brise und den Geruch, den sie mitbrachte, eine Art von staubig goldenem Duft.

»Ein Beispiel kann vielleicht helfen«, begann sie erneut. »Es gibt zum Beispiel eine Pflanze mit einer röhrenförmigen Blüte. Die einzige Möglichkeit der Fortpflanzung für sie besteht darin, dass ein Gliederfüßer oder ein anderes kleines Tier in die Röhren der Pflanze eindringt und dann in eine andere und dabei die klebrigen Sekrete der ersten mit sich trägt. Die Pflanze lockt das Insekt mit essbarer Flüssigkeit an, die für das Insekt nahrhaft ist − und wie ich aus einigen Hinweisen entnehme, wichtig für den Lebenszyklus des Insekts.«

»Das verstehe ich«, sagte Harrar.

»Ja, nur dass ich kein Insekt finden kann, das sich von der Flüssigkeit ernährt. Und dennoch habe ich gesehen, wie diese Pflanzen befruchtet wurden, und zwar von einem anderen Insekt, dessen wichtigste Rolle im Ökosystem in der Vertilgung von Aas besteht. Sein Lebenszyklus, vom Ei über die Puppe bis zum ausgewachsenen Tier, dreht sich vollkommen um Aas. Dennoch nehmen sie sich Zeit, in diese Blütenröhren einzudringen, und das häufig genug, um sie zu befruchten, und zwar ohne jeden Nutzen für sich selbst.«

»Vielleicht haben Sie den Nutzen nur noch nicht erkannt.«

»Wenn dies das einzige Beispiel solchen Verhaltens wäre, könnte ich Ihnen zustimmen. Aber ich habe bei mehr als der Hälfte der Tiere, die ich untersuchte, festgestellt, dass sie in diesem Ambiente Rollen spielen, die schlicht nichts mit ihrem Lebenszyklus und physischen Entwurf zu tun haben. Und noch interessanter ist, dass jede Spezies eine Art Fortpflanzungskontrolle praktiziert. Wenn eine bestimmte Art von Moos selten wird, da ein bestimmter Käfer es frisst, beginnen die Käfer, ihre Eier zu legen, ohne sie zu befruchten. In anderen Worten, das Ökosystem dieses Planeten ist homöostatisch − es versucht, vollkommen im Gleichgewicht zu bleiben. Und das gelingt ihm sogar nach gewaltigen Massensterben.«

»Das klingt vernünftig.«

»Für ein Weltschiff ja, weil jede Lebensform gestaltet wurde, eine bestimmte Rolle zu spielen, und das System von Intelligenz angeleitet wird − von einem Rikyam auf einer Ebene und von Gestaltern auf der nächsten. Mutationen werden eliminiert, ebenso wie unerwünschtes Verhalten. Aber in den natürlichen Ökosystemen, die ich nach Daten, die in dieser Galaxis gesammelt wurden, studiert habe, funktionieren die Dinge nicht so. Jeder individuelle Organismus kämpft, um die Anzahl und die Überlebensfähigkeiten seiner eigenen Nachkommen zu erhöhen. Es kommt zu Mutationen, die Vorteile haben und weiter bestehen. Solche Systeme befinden sich in einem ständig fließenden Zustand, sie sind nicht … kooperativ. Es gibt Beweise dafür, dass dieser Planet ebenfalls einmal so war − wie ein wilder Planet eben −, es aber nicht mehr ist.«

Harrar schürzte die Lippen. »Sie sagen also, dass dieser Planet so etwas wie ein Dhuryam hat, eine Intelligenz, die all diese Organismen miteinander verbindet und sie dazu veranlasst, harmonisch miteinander zu funktionieren.«

»Ich kann mir keine andere Erklärung vorstellen.«

Yu’shaa, der bisher kein Wort beigetragen hatte, mischte sich jetzt plötzlich ein. »Wie ich es prophezeite«, erklärte er, »und wie die Jeedai es sagten! Das hier ist ein lebender Planet, ein einziger großer Organismus, mehr als nur die Summe seiner Einzelteile. Wie ein Weltschiff, das sich selbst herstellte. Sehen Sie denn nicht, was dieser Planet uns lehren kann? Harrar, Sie haben sich gerade nicht eben vorteilhaft über den Wettbewerb geäußert, der uns zerstört. Und es ist genau dieser blinde Kampf um den Aufstieg, der uns dazu führt, so viele von unserem Volk als beschämt zu betrachten.«

»Ist das möglich?«, fragte Harrar Nen Yim. Er schien den Propheten zu ignorieren.

»Wir sehen es vor uns«, erwiderte Nen Yim. »Dennoch, ich kann keine Hinweise auf die Mechanismen finden, die eine individuelle Lebensform an eine andere binden. Es gibt keinen chemischen Austausch, der es erklären würde. Die Flora und die Fauna hier sind nicht mit Kommunikationsorganen ausgerüstet, wie es unser Villip oder irgendetwas auch nur annähernd Ähnliches wäre.«

»Es ist die Macht«, unterbrach Tahiri sie. »Ich kann die Verbindungen spüren, spüre konstanten Austausch zwischen − na ja, zwischen allem.«

Nen Yim sah die junge Jedi an. »Ich habe gehört, dass ihr Jeedai über Telepathie verfügt wie unsere Villips«, sagte sie. »Aber bei denen, die ich aufge… die ich untersucht habe, ließen sich keine besonderen Organe feststellen.«

»Nein, selbstverständlich nicht«, erklärte Tahiri, deren Stimmung sich sofort erheblich verfinsterte. »Es ist die Macht, die alles aneinanderbindet. Einige Geschöpfe kommunizieren durch sie. Ich kann manchmal spüren, was Corran denkt. Bei Anakin war es noch stärker, wie …« Sie hielt inne. »Wie auch immer. Sie müssen mir eben glauben.«

»Und wenn Sie diese Macht benutzen, können Sie anderen auch Ihren Willen aufzwingen, oder?«, sagte Yu’shaa.

»Ja, aber nur denen, die eher willensschwach sind«, erwiderte Tahiri. »Und ich kann nicht wahrnehmen, dass irgendetwas hier auf Zonama Sekot gezwungen wurde, irgendetwas zu tun. Es ist so, als stimmten die Lebewesen einfach zu, die Dinge auf diese Art zu tun.«

»Ich kann diese Macht weder sehen noch messen oder sie prüfen«, sagte Nen Yim. »Ich kann ihr nicht die Wirkung zuschreiben, die sie Ihnen zufolge angeblich hat.«

Ein Stein erhob sich plötzlich vom Boden, schwebte auf Nen Yim zu und fiel vor ihren Füßen wieder hin. »Sie wissen vielleicht nicht, was es ist«, sagte Tahiri, »und Sie können es vielleicht nicht sehen oder spüren, aber Sie sehen die Ergebnisse.«

Nen Yim gestand ihr das mit einem kleinen Nicken zu. Dann traf sie ein Gedanke mit der Wucht eines Schlags. »Nehmen wir einmal an, dass Sie recht haben«, sagte sie, »und Sie sind mit dieser Macht verbunden − wie es kein Yuuzhan Vong ist. Und dennoch sind Sie zum Teil Yuuzhan Vong. Was sagt Ihre Macht Ihnen, was das hier für ein Ort ist? Für uns?«

»Ich habe lange darüber nachgedacht«, erwiderte die junge Frau. »Ich war bisher nicht imstande, es in Worte zu fassen, aber jetzt kann ich es.«

»Und?«, fragte Harrar.

Tahiri holte tief Luft. »Das hier ist der Ort, von dem wir kommen.«

 

Das ließ selbst Nom Anor aufmerksam werden. Während die drei ins Gespräch versunken gewesen waren, hatte er Nen Yims Qahsa erforscht und war auf ein paar sehr interessante Dinge gestoßen. Er hatte seine kleine Ansprache gehalten, um weiter in seiner Rolle zu bleiben, aber nicht, weil ihn das Thema wirklich interessierte. Jetzt jedoch starrte er die junge Jedi ebenso verdutzt an wie Harrar und Nen Yim.

»Das ist unmöglich«, sagte Nen Yim.

»Sie haben gefragt, was ich empfinde«, sagte das Mädchen. »Und ich habe es Ihnen gesagt. Behaupteten Sie nicht, dass nur ein paar Tausend Jahre das Leben dieses Planeten von Yuuzhan-Vong-Leben trennen?«

»Das traf nur auf eine einzige Pflanze zu«, erwiderte Nen Yim. »Vor mehreren Tausend Jahren waren wir sehr weit von hier entfernt. Und noch wichtiger, der Qang-Qahsa enthält mehr als genug Daten über die Heimatwelt, die sehr deutlich machen, dass dieser Planet hier es bestimmt nicht ist.«

»War die Heimatwelt wie diese hier? Lebendig, wie ein Organismus?«

»Es gibt ein paar Legenden …«, begann Harrar.

»Was immer die Legenden sagen«, erklärte Nen Yim, »die Tatsachen sind, dass es sich bei der Heimatwelt um ein Ökosystem von ungehindertem Wettbewerb und enormer Raubgier handelte. Hätte sich ein Geschöpf wie das Vua’sa auf einem Planeten entwickelt, wo alles in der Natur zusammenarbeitet? Nein. Das Vua’sa war ein bösartiges Raubtier, das sich mitunter so schnell vermehrte, dass es nur Wüsten zurückließ. Dieser Wettbewerb zwischen uns, von dem Sie sprechen, ist das Erbe der Heimatwelt.«

»Aber vielleicht geschah das erst, nachdem wir die Gunst der Götter verloren hatten«, warf Harrar ein.

Nen Yim blinzelte ihn an, und Nom Anor sah etwas in der Miene der Gestalterin, was er mit einiger Sicherheit für kaum verborgene Abscheu hielt.

»Wie auch immer«, tat die Gestalterin Harrars Anmerkung ab, »dieses Gespräch wird nicht die gleichen Früchte tragen wie weitere Arbeit. Wir reden von Dingen, die wir nicht durch Daten stützen können.«

»Sie waren es, die die Frage stellte«, sagte Tahiri. »Ja, und jetzt tut es mir leid, dass ich das getan habe. Wenn Sie mir bitte alle gestatten würden, mich wieder meiner Arbeit zuzuwenden …«

Nom Anor erwartete eine wütende Bemerkung von Harrar, aber stattdessen nickte der Priester nur nachdenklich.

Was um alles in der Welt war hier los? Fingen sie tatsächlich an, an seine Prophezeiung zu glauben? Und was war mit ihm selbst?

Nein, denn er kannte die Quelle, und die Quelle war eine Lüge. Ja, dieser Planet war seltsam, aber das traf auf viele Planeten zu. Und alles, was die anderen hier sahen, war beeinflusst von seiner Krippengeschichte eines Planeten der Erlösung. Dieser Filter ließ sie die Dinge in einem sehr seltsamen Licht betrachten.

Würden sie sich gegen Shimrra wenden? Das wäre möglich. Wenn Harrar es tat, würde er gewaltige Unterstützung von der Priesterschaft erhalten, und mit dieser Gestalterin …

Aber nein. Wenn Harrar sich gegen Shimrra wandte, würde es nicht darum gehen, den Propheten der Beschämten auf den Polypenthron zu bringen, sondern sich selbst. Und der Priester war in einer besseren Position, das zu tun, als Yu’shaa.

Besonders, wenn Yu’shaa Zonama Sekot niemals verließ.

Es bestand auch durchaus die Möglichkeit, dass Harrar Nom Anors wahre Identität bereits kannte. Er hatte mehr als nur einen misstrauischen Blick des Priesters bemerkt.

»Yu’shaa?«, sagte Nen Yim. »Was machen Sie denn?«

»Entschuldigen Sie, Meisterin«, erwiderte er. »Es ist nur, dass ich über die Enthüllungen, die dieser Tag gebracht hat, nachdenken muss.«

»Das ist in Ordnung; Sie waren heute schon genug Hilfe«, sagte Nen Yim. »Tatsächlich möchte ich selbst lieber einige Zeit allein sein.«

»In diesem Fall werde ich im Glanz dieser Welt meditieren.«

Er verließ die Lichtung und begann vage hügelaufwärts zu wandern.

Es gab noch andere Dinge zu bedenken. Nach allem, was er in ihrem Qahsa gesehen hatte, war Nen Yim aus Angst vor Zonama Sekot hierhergekommen, bereit, den Planeten wenn nötig zu vernichten. Sie verfügte über Protokolle, die dabei vielleicht nützlich sein würden, obwohl sie offensichtlich nicht in der Praxis erprobt waren. Sie hatte sie in Kurzschrift und mit den Zeichen der Gestalter niedergeschrieben, also nahm sie wahrscheinlich an, dass er sie nicht verstehen konnte.

Sie wusste selbstverständlich nicht, dass er sich selbst ein wenig als Gestalter betätigt hatte. So, wie sie keine gewöhnliche Gestalterin war, war er kein gewöhnlicher Exekutor. Er war sicher, dass er die Informationen verstehen und nutzen könnte, wenn er musste. Obwohl er nicht hätte sagen können, wieso er diesen Planeten vernichten sollte, außer, dass es Shimrra erfreute.

Das ließ ihn erstarren.

Es würde Shimrra gewaltig erfreuen.

Wenn er dazu noch Corran Horn tötete, der die Yuuzhan Vong bei Ithor so in Verlegenheit gebracht hatte, und Tahiri Veila, die ihr doppeltes Wesen mehr als einmal benutzt hatte, um sie zu verraten … Und wenn er einen abtrünnigen Priester und eine Meistergestalterin umbrachte, die nicht nur gegen Shimrra intrigierten, sondern gegen das wahre Wesen von allem, was Yuuzhan Vong war …

Shimrra wäre so erfreut, er würde den, der ihm diese Dinge lieferte, nicht hinrichten lassen, ganz gleich, wofür er gesucht wurde. So erfreut, dass eine solche Person tatsächlich sogar eine höhere Stellung erhalten würde als vor ihrer Ungnade.

Er dachte weiter darüber nach, während er den Hügel hinaufging. Harrar hatte etwas Seltsames am Horizont erwähnt Er hielt inne, als er die Kuppe erreichte, starrte die gewaltigen künstlichen Gegenstände an, die sich in den Himmel erhoben, und war plötzlich bis ins Mark erschüttert.

Harrar hatte nicht genug Zeit bei den Ungläubigen verbracht, aber Nom Anor war auf ihren leblosen Schiffen geflogen und hatte in ihren leblosen Stationen gelebt. Harrar würde natürlich nicht erkennen, was er da vor sich hatte.

Aber Nom Anor erkannte die Feldleiter von Hypertriebwerken, wenn er sie sah, selbst wenn sie tausendmal größer waren, als sie sein sollten.

Das mussten sie schließlich auch sein, wenn sie einen ganzen Planeten bewegen wollten.

Nom Anor setzte sich auf einen Stein und lauschte einen Moment den Geräuschen dieses seltsamen Planeten. Er war allein, zum ersten Mal seit ihrem Absturz. Mit einem Seufzen befreite er sein Gesicht von der grotesken Maske, die es verbarg. Seine Behauptung, dass dies schwierig sei, war selbstverständlich eine Lüge gewesen.

Er griff in den lebenden Beutel unter seinem Arm und nahm das Ding heraus, das er mitgebracht hatte. Er musste irgendwo im Hinterkopf gewusst haben, dass es auf so etwas hinauslief.

Er starrte es an und drehte es in den Händen hin und her. Es war ein Villip, der verbunden war mit einem ganz bestimmten anderen, weit entfernten. Er hatte ihn sehr lange nicht benutzt − nicht mehr seit vor der Katastrophe, die zu seinem Exil geführt hatte.

Er strich darüber, sodass er zum Leben erwachte.

Einen Augenblick später erschien das Gesicht eines Intendanten an der Villip-Oberfläche, eines seiner ehemaligen Untergebenen.

Selbst durch das Medium des Villips konnte Nom Anor erkennen, wie überrascht der andere war.

»Man hielt Sie für tot«, sagte der Mann.

»Ich grüße Sie ebenfalls, Phaa Anor«, sagte er seinem Krippenvetter.

»Sie sind zumindest so gut wie tot«, sagte Phaa Anor. »Shimrra schreit nach Ihrer Haut. Ich werde selbstverständlich über dieses Gespräch Bericht erstatten müssen.«

»Selbstverständlich. Ich will ebenfalls, dass Sie das tun. Tatsächlich möchte ich, dass Sie dafür sorgen, dass Ihr Villip zu Shimrra selbst gebracht wird.«

»Zu Shimrra?« Phaa klang ungläubig.

»Ja. Lassen Sie ihn wissen, dass Sie von mir gehört haben. Sagen Sie ihm, ich sei auf Zonama Sekot, und dass ich seine verloren gegangene Gestalterin gefunden habe. Dann wird er Sie anhören. Wenn Sie eine Audienz erhalten, zeigen Sie ihm Ihren Villip.«

»Warum sollte ich das für Sie tun?«, fragte Phaa.

»Denken Sie nach. Ich habe Informationen, die so wichtig sind, dass ich glaube, sie könnten mich in den Augen des Höchsten Oberlords rehabilitieren. Und nicht nur das, ich glaube, dass ich für meine Anstrengungen befördert werde. Glauben Sie nicht, dass auch Sie Nutzen daraus ziehen könnten − der Mann, der ihm diese Nachrichten bringt?«

Phaa Anor schien einen Augenblick darüber nachzudenken.

»Also gut«, sagte er schließlich.

»Tun Sie es schnell, und verraten Sie niemandem, was ich gesagt habe, nur denen, die Sie überzeugen müssen, um eine Audienz bei Shimrra zu erhalten.«

»Ja, ja«, erwidert Phaa. Dann kehrte der Villip in seinen Normalzustand zurück.

Er hatte Phaa Anor wahrscheinlich gerade zum Tode verurteilt, das war ihm vollkommen bewusst. Shimrra würde ihn schon allein deshalb umbringen lassen, weil er nun wusste, dass dieser Planet existierte und sich in der gleichen Galaxie befand.

Aber man musste eben für das große Ganze Opfer bringen. Nicht zu reden vom Wohl Nom Anors.

Er versetzte den Villip wieder in dessen Schlafzustand und versiegelte ihn erneut im luftdichten Behälter, steckte ihn zurück unter den Arm und ging den Hügel hinunter zu den anderen.