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Nom Anor betrachtete jeden Aspekt der Botschaft genauestens. Es war schwer, sie zu begreifen, ohne nervös zu werden, da die Möglichkeit des Verrats lauerte.
»Wer hat dich geschickt, Laiin Sool?«, fragte er den Boten leise. Der Bote war ein Beschämter, seine Schultern und das Gesicht bildeten eine Masse schlecht verheilten Narbengewebes. Seine Augen waren verborgen von einem Uruun-Tuch, das man ihm umgebunden hatte, bevor er seinen Abstieg in die tiefen, feuchten Gänge von Nom Anors Domäne begonnen hatte − die Domäne des Propheten.
Ein Wink, und Laiin Sool würde nie wieder etwas sehen.
»Ich komme im Auftrag der Gestalterin Nen Yim«, antwortete Sool. »Viel mehr als das weiß ich nicht. Man hat mich von der Arbeit weggeholt, mir die Botschaft in die Hand gedrückt und mich geschickt, um dich zu suchen.«
Nom Anor nickte. Sool war selbstverständlich auf Implantate überprüft worden, obwohl außer einer vollkommenen Sezierung kein Test wirklich ganz sicher feststellen konnte, ob Implantate vorhanden waren oder nicht. Schaute ihn jemand jetzt gerade aus einer verborgenen Pore in der Haut des Boten an?
Wenn das der Fall war, dann sahen sie nicht Nom Anor, sondern Yu’shaa, den Propheten, dessen Gesicht hinter einer grotesken Ooglith-Maske verborgen war, die nur einen spektakulär Beschämten zeigte, dessen Augen entzündet waren und dessen Wunden das Gesicht als Yuuzhan Vong beinahe unkenntlich machten.
Seine Umgebung würde einem Beobachter kaum mehr verraten. Yuuzhan’tar war ein Labyrinth aus verrostenden Löchern wie diesem.
»Wieso kommt die Gestalterin nicht selbst zu mir?«
»Sie darf Lord Shimrras Palastgelände nicht verlassen, sagte man mir. Sie nimmt ein großes Risiko auf sich, indem sie dir auch nur diese Botschaft schickt.«
Das stimmte zweifellos. Das wenige, was Nom Anor über Nen Yim wusste, legte nahe, dass Shimrra ihre wahre Rolle verheimlichte. Er hatte sie einige Zeit an Tsavong Lah ausgeliehen, aber seit ihrer Rückkehr von dieser Aufgabe hatte man wenig von ihr gesehen oder gehört. Nom Anor hatte sich tatsächlich schon gefragt, ob man sie nicht stillschweigend beseitigt hatte.
Und vielleicht war das ja auch der Fall. Schließlich konnte er nicht wissen, ob diese Botschaft tatsächlich von ihr kam. Seit er Ngaaluh, seine Spionin an Shimrras Hof, verloren hatte, gab es so vieles, was er nicht erfuhr.
»Warum sucht sie nach mir?«, fragte Nom Anor.
»Sie hörte von deiner Prophezeiung des neuen Planeten. Ihre Studien lassen sie glauben, dass diese Prophezeiung der Wahrheit entspricht. Sie wünscht, diese Welt selbst zu sehen.«
»Das hast du bereits gesagt. Warum wendet sie sich ausgerechnet an mich?«
»Wer sonst könnte ihr helfen? Shimrra und seine Schergen sind korrupt. Sie haben alles getan, was sie können, um die Existenz unserer Rettung abzustreiten. Er und die Elite werden noch viel mehr tun, denn sie wissen, wenn die Wahrheit bekannt wird, wird man sie als die falschen Anführer erkennen, die sie sind. Und du, Herr, wirst als wahrer Prophet erkannt werden.«
»Was interessiert das eine Gestalterin?«, fragte sich Nom Anor laut.
»Nen Yim sucht nur die Wahrheit«, sagte Sool.
»Du hast mir bereits gesagt, dass du sie nicht einmal kennst«, sagte Nom Anor. »Wie kannst du dann für sie sprechen oder behaupten, ihre Motivationen zu verstehen?«
»So lautet die Botschaft, Prophet«, antwortete Sool. »Ich wiederhole sie nur.«
Ein leises Rezitieren hatte unter Nom Anors Schülern begonnen. Er wünschte sich, er hätte Sool privat empfangen und nicht vor dreißig Anhängern.
Eine feste Stimme erhob sich über den Rest: »Gepriesen sei der Prophet. Seine Prophezeiung entspricht tatsächlich der Wahrheit. Der Planet unserer Rettung, unserer Erlösung, befindet sich nun in unserer Reichweite. Und Lord Shimrras eigene Gestalterin weiß, dass es wahr ist! Unser Schicksal ist zu einer Kraft geworden, die selbst die Schwerkraft besiegt!«
»Nicht so eilig, Kunra«, erklang eine andere Stimme. »Das hier ist vielleicht nur eine Täuschung, um den Propheten in ihre Falle zu locken.«
»Dann werden sie versagen«, sagte Kunra. Er sah Nom Anor an. »Du bist der Prophet, oder etwa nicht? Hast du das nicht ebenfalls vorhergesehen? Hast du nicht gesehen, wie du durch die Wälder des neuen Planeten wandeltest und ihn auf uns vorbereitetest?«
»Ich sah es«, stimmte Nom Anor zu. Ihm blieb nicht viel anderes übrig. Er hatte diese kleine Ausschmückung vor ein paar Tagen hinzugefügt. Aber was machte Kunra da? Kunra war seit Beginn dieser Farce bei ihm gewesen. Er wusste, wer Nom Anor wirklich war, und dass der »Prophet« ebenso wie sein Planet der Fantasie entsprangen.
»Dann ist die Zeit gekommen, dass wir uns gegen Shimrra erheben.«
»Nein«, fuhr Nom Anor ihn an. »Wage es nicht, meine Prophezeiung zu interpretieren!«
»Aber wir haben den Planeten gefunden«, sagte Kunra. »Lass mich gehen, großer Prophet! Ich werde die Gestalterin befreien. Ich werde mit ihr zusammen nach dem neuen Planeten suchen. Wenn es sich um eine Falle handeln sollte, wird unsere Sache kaum darunter leiden. Wenn es die Wahrheit ist …«
»Die Wahrheit muss durchführbar sein«, stellte Nom Anor fest. »Wir könnten Flüsse mit dem Blut von Beschämten füllen, um diese Gestalterin zu befreien, und sie wüsste immer noch nicht, wo sich der Planet befindet.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte Kunra. »Fürchtest du deine eigene Prophezeiung?«
»Still«, fauchte Nom Anor, dessen Gedanken sich überschlugen. Zonama Sekot war tatsächlich wichtig − wenn auch nur, weil Shimrra diesen Planeten so sehr fürchtete. Er wusste ebenfalls, dass man der Gestalterin die Überreste des Schiffs, das der Kommandant von Sekot mitgebracht hatte, zur Untersuchung überlassen hatte, und offenbar war sie dabei auf etwas recht Wichtiges gestoßen. Diese Botschaft legte eine von zwei Möglichkeiten nahe: Entweder sagte sie die Wahrheit und brauchte tatsächlich Hilfe von außerhalb des Systems, um Shimrra zu entkommen und zu dem Planeten zu gelangen, oder − und wahrscheinlicher − sie glaubten, Nom Anor wisse, wo sich der Planet befand. Sie konnten nicht ahnen, dass er überhaupt nur von dem Planeten wusste, weil er Shimrra und Ekh’m Val belauscht hatte und dass dies bereits seine gesamten Informationen ausmachte.
Nein, nicht seine gesamten Informationen. Er hatte auch Gerüchte gehört, die Jedi hätten den Planeten gefunden.
Was er plötzlich für sehr passend hielt.
»Die Prophezeiung nähert sich tatsächlich ihrer Erfüllung«, verkündete Nom Anor seinen Anhängern. »Aber etwas bleibt noch. Etwas fehlt. Wenn ich meinen Fuß auf diesen neuen Planeten setze, werde ich nicht allein sein. Jeedai werden mich begleiten.«
Das rief ein kollektives Nach-Luft-Schnappen hervor. Selbst Kunra schien verstört zu sein.
»Großer Prophet …«
»Die Zeit ist gekommen«, erklärte Nom Anor feierlich. »So, wie Vua Rapuung an der Seite von Anakin Solo kämpfte, so werden die Jeedai und ich diese Gestalterin befreien und unseren Planeten finden.«
Selbstverständlich folgte darauf Jubel.
Sollten die Jedi doch die Dreckarbeit machen und Nen Yim befreien. Wenn sie versagten, würde man ihnen die Schuld geben und nicht ihm. Und wenn sie Erfolg hatten, dann würde er vielleicht tatsächlich seine Prophezeiung verwirklichen können. Im Augenblick hatte er nicht viel zu verlieren.