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Als die Sterne wieder erschienen, ließ Anakin seinen XJ-X-Flügler langsam rotieren und deaktivierte alle Systeme, abgesehen von den Sensoren und minimaler Lebenserhaltung. Normalerweise wäre er nicht so vorsichtig gewesen, denn schließlich musste jemand nach den von einem X-Flügler verursachten Hyperwellenkräuselungen Ausschau halten, um überhaupt eine Chance zu haben, ihn zu orten. Aber er hatte ein ungutes Gefühl − vielleicht hielt tatsächlich jemand die Augen offen.
Die langsame Rotation des X-Flüglers sollte den Sensoren die Möglichkeit geben, in möglichst kurzer Zeit den gesamten ihn umgebenden Raum zu sondieren. Während der Ortung erweiterte Anakin sein Selbst mit jenem Sinn, dem er das größte Vertrauen schenkte, der Macht.
Der Planet Yavin füllte den größten Teil seines Blickfelds aus. In seinen gewaltigen, orangefarben brodelnden Gasmeeren entstanden fraktale Muster, an die sich Anakin von seiner Kindheit her erinnerte. Das Praxeum, die Jedi-Akademie seines Onkels, befand sich auf Yavin Vier, einem Mond des Gasriesen. Er entsann sich, Yavin am Nachthimmel beobachtet und den Riesenplaneten bestaunt zu haben. Damals hatte er sich gefragt, was sich in seinen Tiefen verbergen mochte, und mit seiner wachsenden Macht war er auf geistige Entdeckungsreise gegangen.
Er hatte Wolken aus Methan und Ammoniak gefunden, tiefer als Ozeane, und Wasserstoff, der unter dem enormen Druck zu Metall wurde. Er erinnerte sich an Wesen, so stark zusammengepresst, dass sie dünner waren als das dünnste Papier, aber sie lebten. Und an Stürme, schwerer als Blei, aber schneller als die schnellsten Winde der von Menschen besiedelten Welten. Und an funkelnde Corusca-Kristalle, die in jenen titanischen Orkanen aufstiegen, sich in einem uralten Tanz drehten und das Licht einfingen, das sie in den oberen Schichten der Atmosphäre fanden, es mit ihren Molekülen festhielten.
Natürlich sah er das alles nicht wie mit Augen, aber damals hatte er es mithilfe der Macht gefühlt. Und in der Bibliothek hatte er Referenzen gefunden, sie mit visuellen Eindrücken assoziiert und verstanden.
In seiner Vorstellung hatte er noch mehr gesehen. Trümmer des ersten Todessterns, der über jenem Himmel sein Ende gefunden hatte, von Druck und Schwerkraft in monomolekulare Folien verwandelt. Und ältere Dinge, Relikte der Sith und anderer Spezies, noch älter und tiefer in der Zeit verloren. Wenn ein Planet wie Yavin ein Geheimnis geschluckt hatte, gab er es kaum wieder preis. Wenn man an die anderen Geheimnisse dachte, die im Yavin-System aufgetaucht waren − zum Beispiel der Sonnenhammer, den Kyp Durron aus dem Bauch des orangefarbenen Riesen geholt hatte −, war das auch ganz gut so.
Über dem weiten Rand von Yavin erschien ein heller, gelblich leuchtender Stern: Yavin Acht, einer der drei mit Leben gesegneten Monde des Gasriesen. Auch dort hatte Anakin eine Freundin, eine Einheimische, die nach einer kurzen Ausbildung an der Jedi-Akademie heimgekehrt war. Er spürte ihre Präsenz, ganz schwach. Yavin Vier befand sich hinter der Wölbung des Planeten, und auch dort gab es Freunde von Anakin. In gewisser Weise kam das ganze System einem vertrauten Zimmer für ihn gleich, einem Raum, in dem er sofort feststellen konnte, ob sich alles an seinem Platz befand.
Jetzt hatte er den Eindruck, etwas sei fehl am Platze.
In der Macht spürte er die Jedi-Schüler. Er fühlte Kam Solusar, seine Frau Tionne und den alten Ikrit, keine Schüler, sondern erfahrene Jedi. Anakin sah sie wie durch eine Wolke, was darauf hinwies, dass sie wenigstens versuchten, die Illusion aufrechtzuerhalten, die Yavin Vier vor beiläufigen Blicken verbarg.
Aber ein Licht strahlte selbst durch diese Wolke mit der Helligkeit von Vertrautheit und Freundschaft. Tahiri.
Sie spürte ihn ebenfalls. Zwar hörte er keine Worte, die sie ihm vielleicht zu senden versuchte, aber er nahm eine Art Rhythmus wahr, wie von einer Person, die schnell und aufgeregt sprach, ohne sich zu unterbrechen, um Luft zu holen.
Es zuckte in Anakins Mundwinkeln. Ja, das war Tahiri, eindeutig.
Was sich falsch anfühlte, war etwas näher und viel schwächer. Keine Yuuzhan Vong − die ließen sich in der Macht nicht wahrnehmen −, aber jemand, der nicht hier sein sollte. Jemand, dessen Verwirrung wachsender Zuversicht wich.
»Bleib auf der Hut, Fünfer«, teilte er seinem Astromech mit. »Halte dich bereit, von einem Augenblick zum anderen zu kämpfen oder zu fliehen. Vielleicht sind Talon Karrde und seine Leute früher eingetroffen als erwartet, aber eher würde ich bei einem Sabacc-Spiel gegen Lando Calrissian setzen, als mich darauf zu verlassen.«
Das Wort BESTÄTIGUNG erschien auf einem Display.
Der sich langsam drehende X-Flügler geriet in Sensorreichweite, und der Computer verarbeitete die Ortungsdaten zu einem Bild.
»Das ist nicht so schlimm«, murmelte Anakin. »Ein leichter corellianischer Transporter. Vielleicht gehört er tatsächlich zu Karrdes Haufen.« Oder auch nicht. Und möglicherweise lauerten hundert Schiffe der Yuuzhan Vong auf der anderen Seite des Gasriesen oder von Yavin Vier, seinen Jedi-Sinnen ebenso verborgen wie den Sensoren. Wie auch immer: Er verbesserte die Situation nicht, indem er einfach nur wartete. Anakin reaktivierte die Systeme, beendete die Rotation des X-Flüglers und leitete Energie ins Ionentriebwerk.
Anschließend versuchte er, eine Kom-Verbindung zu dem fremden Schiff herzustellen. »Transporter, bitte melden Sie sich.«
Einige Sekunden lang geschah nichts, und dann knackte es im Lautsprecher. »Wer ist da?«
»Ich bin Anakin Solo. Was machen Sie im Yavin-System?«
»Wir sind hier, um Corusca-Kristalle zu sammeln.«
»Ach, tatsächlich? Und wo sind Ihre Schleppnetze?«
Wieder eine Pause, gefolgt von Worten, in denen Ärger erklang.
»Wir sehen den Mond jetzt. Wir wussten die ganze Zeit über, dass er da ist. Ihre Jedi-Magie hat versagt.«
DER TRANSPORTER AKTIVIERT SEINE WAFFENSYSTEME, meldete Fünfer. Anakin nickte grimmig, als sich ihm das andere Schiff zuwandte.
»Ich warne Sie nur einmal«, sagte er. »Deaktivieren Sie Ihre Waffen.«
Die Antwort bestand aus dem Strahlblitz einer Laserkanone. Die Entfernung war noch recht groß, und deshalb konnte Anakin ebenso mühelos ausweichen, wie er einen Blasterschuss mit dem Lichtschwert abgewehrt hätte.
»Ich schätze, damit wäre alles klar.« Anakin fuhr die S-Flächen aus. »Fünfer, Annäherung mit Ausweichmanövern, Muster sechs. Aber überlass mir die Navigation, nur für den Fall.«
BESTÄTIGUNG.
Mit voller Beschleunigung raste er Yavin Vier und dem Transporter entgegen, drehte sich immer wieder und tanzte von einer Seite zur anderen. Als er das Ziel deutlich genug in der Macht spürte, schnitt ein rubinroter Energiestrahl durch die Schwärze des Alls. Der Transporter erwiderte das Feuer und begann mit eigenen Ausweichmanövern, wirkte dabei aber wie ein Bantha, der einer Keulenfliege auszuweichen versuchte.
Aber das andere Schiff hatte gute Schilde − den ersten Angriff überstand Anakins Gegner weitgehend unbeschädigt. Um die Sache noch interessanter zu machen: Vier kleine blaue Flammen und die Anzeigen der Sensoren wiesen daraufhin, dass der Transporter Protonentorpedos abgefeuert hatte. Anakin war zu einem zweiten Anflug entschlossen gewesen, aber jetzt überlegte er es sich anders und ließ den Bug des X-Flüglers auf den Mond gerichtet.
»Vier Protonentorpedos. Die Burschen haben etwas gegen uns.«
DER TRANSPORTER SCHEINT TATSÄCHLICH FEINDLICHE ABSICHTEN ZU VERFOLGEN, erwiderte Fünfer. Anakin seufzte. Fünfer war ein modernerer Astromech als R2-D2, aber manchmal mangelte es ihm an der Persönlichkeit des Droiden seines Onkels. Anakin fragte sich, ob er in dieser Hinsicht etwas unternehmen sollte.
Zwei Laserblitze trafen kurz hintereinander die Schilde des X-Flüglers, doch die Schirmfelder blieben stabil. Der Ortungsschirm zeigte die vier Protonentorpedos, die sich näherten, als Anakins kleines Schiff auf zunehmenden Widerstand der Atmosphäre stieß. Wenn er bei diesem Manöver nicht genau den richtigen Zeitpunkt erwischte… Dann würden sich seine Reste kilometerweit über den Dschungel weiter unten verteilen.
Als ihn der erste Torpedo fast erreicht hatte, deaktivierte Anakin das Triebwerk und zog den Bug nach oben. In dieser Höhe war die Atmosphäre noch dünn, aber es genügte, um dem X-Flügler einen ordentlichen Schlag zu geben und ihn vom Mond fortzuschleudern. Servos jaulten, und irgendwo machte etwas laut Ping. Anakin nutzte das Bewegungsmoment des Atmosphärensprungs, raste weiter ins All und spürte, wie ihm der enorme Andruck das Blut aus dem Kopf presste. Er wartete einige Sekunden, reaktivierte dann das Triebwerk.
Die Protonentorpedos hinter ihm kamen nicht so gut zurecht wie er. Sie versuchten natürlich, ihre Flugbahn zu ändern und ihm weiter zu folgen. Zwei schafften es nicht und fielen dem Mond entgegen. Die anderen beiden kamen so weit vom Kurs ab, dass ihnen der Treibstoff ausgehen würde, bevor sie zu Anakin aufschließen konnten.
»Die wären erledigt«, sagte Anakin grimmig. Er kletterte jetzt aus dem Gravitationsschacht des Mondes, und seine Laser feuerten in einem beständigen Rhythmus. Der Gegner erzielte einen Treffer mit seiner leistungsfähigeren Kanone, und für einen Augenblick trübten sich die Lichter im Cockpit. Als Fünfer die Energie umleitete, leuchteten sie wieder wie zuvor, und Anakin nahm erneut den Transporter unter Beschuss. Seine Laserblitze durchschlugen die Schilde und verwandelten den primären Generator in Schlacke. Während des Vorbeiflugs, vom Bug zum Heck, feuerte Anakin auf Lasertürme, Torpedokatapulte und Triebwerk.
Anschließend stellte er eine neue Kom-Verbindung her. »Wollen Sie jetzt reden?«, fragte er.
»Warum nicht?«, erklang eine Stimme. »Sie können noch immer kapitulieren, wenn Sie wollen.«
»Das ist doch…«, begann Anakin, aber Fünfer unterbrach ihn.
HYPERRAUM-SPRUNG ENTDECKT. 12 SCHIFFE SIND EINGETROFFEN, ENTFERNUNG 100 000 KILOMETER.
»Sithspucke!«, zischte Anakin und betätigte die Kontrollen der Sensoren.
Es waren keine Schiffe der Yuuzhan Vong, das sah er sofort. Vielmehr handelte es sich um eine bunte Mischung aus E-Flüglern, Transportern und Korvetten.
Anakin empfing Kom-Signale und öffnete einen Kanal.
»Fremdes Schiff, hier ist die Friedensbrigade«, sagte jemand. »Ergeben Sie sich, dann haben Sie nichts zu befürchten.«
Sie waren zu weit entfernt, um ihn zu treffen, und Anakin wollte ihnen keine Gelegenheit geben, die Distanz zu verkürzen. Er fuhr die S-Flächen ein, drehte ab, beschleunigte und sauste dem fernen Chromgrün von Yavin Vier entgegen.
Anakin sprang aus dem Cockpit des X-Flüglers, und stille Düsternis empfing ihn. Ein mattes Lichtband in der Ferne markierte den Zugang, durch den er in den einstigen Massassi-Tempel geflogen war. Die Rebellenflotte hatte diesen Teil des alten Gebäudekomplexes als zentralen Hangar benutzt, aber inzwischen stand er fast immer leer, denn die meisten Schiffe, die Besucher für die Akademie brachten, landeten draußen.
Anakins Stiefel kratzten über den uralten Steinboden, und das Geräusch schien lauter zu werden, sich in das Knistern großer Schwingen zu verwandeln. Er roch Stein und Schmiermittel, nahm auch schwach den moschusartigen Geruch des Dschungels wahr.
Jemand beobachtete ihn aus der Dunkelheit.
»Wer ist da?«, ertönte eine Stimme, die den Eindruck erweckte, aus einem tiefen Abgrund zu kommen.
»Ich bin’s − Anakin.«
Ein vages Glühen zeigte sich, und dann erhellten sich einige Leuchtplatten. Etwa zehn Meter entfernt stand Kam Solusar und hakte sein Lichtschwert an den Gürtel.
»Es hat sich so angefühlt wie du«, sagte Kam. »Aber seit mehreren Standardtagen befindet sich ein fremdes Schiff im Orbit. Wir haben versucht, die Crew zu verwirren.«
»Die Friedensbrigade«, erklärte Anakin. »Jenem einen Schiff haben sich zwölf weitere hinzugesellt. Und sie lassen sich nicht mehr täuschen.«
Er hatte sich Kam beim Sprechen genähert; plötzlich trat sein alter Lehrer vor und ergriff ihn am Arm. »Es freut mich, dich wiederzusehen, Anakin. Was ist mit dir? Bist du allein?«
Anakin nickte. »Talon Karrde ist mit einer kleinen Flotte hierher unterwegs, um Euch und die Schüler fortzubringen. Ich schätze, Onkel Luke hat nicht damit gerechnet, dass die Friedensbrigade hier so früh aufkreuzt.«
Kam kniff die Augen zusammen. »Im Gegensatz zu dir, wie? Du bist ohne Erlaubnis hierher gekommen.«
»Genau genommen sogar gegen einen ausdrücklichen Befehl«, sagte Anakin. »Aber das ist jetzt nicht wichtig. Wir müssen die Schüler in Sicherheit bringen, darauf kommt es an.«
»Natürlich«, pflichtete ihm Kam bei. »Wann wird die Friedensbrigade landen?«
»In einer Stunde? Sie lässt sich bestimmt nicht viel Zeit.«
»Und Karrde?«
»Vielleicht kommt er erst in einigen Tagen.«
Kam schnitt eine Grimasse. »So lange können wir hier nicht aushalten.«
»Vielleicht doch. Wir sind Jedi.«
Kam schnaubte. »Du solltest ein Gespür für deine Grenzen entwickeln. Ich habe eines für meine. Wir könnten uns wirkungsvoll zur Wehr setzen, aber wir würden den einen oder anderen Schüler verlieren. Ich muss zuerst an sie denken.«
Sie näherten sich dem Turbolift, als die Tür mit einem leisen Zischen aufglitt und ein blonder beziehungsweise orangefarbener Schemen aus der Kabine sauste. In Brusthöhe prallte er gegen Anakin, und plötzlich stellte er überrascht fest, dass erstaunlich starke Arme um ihn geschlungen waren. Hellgrüne Augen sahen ihn an, nur wenige Zentimeter entfernt.
Er fühlte, wie seine Wangen glühten.
»Hallo, Tahiri«, sagte er.
Sie wich von ihm zurück. »Hallo, großer Held von den Sternen, der sich zu gut ist, mit seiner Freundin in Verbindung zu bleiben.«
»Ich bin…«
»Du bist beschäftigt gewesen. Ja. Ich habe davon gehört. Nun, natürlich habe ich nicht alles gehört, denn Nachrichten erreichen uns erst spät. Aber ich weiß von Duro, Centerpoint und…«
Tahiri unterbrach sich plötzlich, denn entweder sah sie es in Anakins Gesicht oder fühlte es in der Macht. Centerpoint Station war ein heikles Thema.
»Wie dem auch sei«, fuhr sie fort, »du ahnst nicht, wie langweilig es ohne dich gewesen ist. Die älteren Schüler haben den Mond verlassen, und geblieben sind nur die Kinder…« Sie trat noch einen Schritt zurück, und dadurch bekam Anakin Gelegenheit, sie richtig zu sehen.
Was auch immer sie in seinen Augen sah − es veranlasste sie, sich erneut zu unterbrechen. »Was ist?«, fragte sie. »Warum starrst du mich so an?«
»Ich…« Anakins Gesicht schien regelrecht zu brennen. »Du siehst… anders aus.«
»Älter vielleicht? Ich bin jetzt vierzehn. Hatte letzte Woche Geburtstag.«
»Herzlichen Glückwunsch.«
»Du hättest daran denken sollen, aber trotzdem danke. Dummkopf.«
Anakin konnte ihr plötzlich nicht mehr in die Augen sehen und senkte den Blick. »Du, äh, bist noch immer barfuß, wie ich sehe.«
»Was hast du erwartet? Ich hasse Schuhe und trage sie nur, wenn ich muss. Schuhe wurden von den Sith erfunden, um unseren armen Zehen endloses Elend zu bescheren, da bin ich sicher. Glaubst du etwa, ich würde meine Füße quälen, nur weil ich ein oder zwei Zentimeter gewachsen bin?«
Tahiri richtete einen argwöhnischen Blick auf Kam. »Was will er überhaupt hier? Ich weiß, dass er nicht wegen mir gekommen ist.«
Der Schmerz in diesen Worten ließ Anakin zusammenzucken.
»Anakin ist gekommen, um uns vor einer Gefahr zu warnen«, erwiderte Kam. »Sie erfordert unsere ganze Aufmerksamkeit. Über alles andere könnt ihr später reden.«
»Sind wir wirklich in Schwierigkeiten?«
»Ja«, bestätigte Anakin.
Tahiri stützte die Hände an die Hüften. »Warum hast du das nicht gleich gesagt? Was ist los?«
»Wir müssen mit Tionne und Ikrit reden«, sagte Kam und betrat den Turbolift.
»Und zwar sofort.« Anakin folgte ihm.
»Aber worum geht es?«, rief Tahiri ihnen nach.
»Das erkläre ich dir unterwegs«, versprach Anakin.
»Gut.« Tahiri huschte in den Lift, als sich die Tür schloss.
»Der Kriegsmeister der Yuuzhan Vong hat praktisch ein Kopfgeld auf uns ausgesetzt«, sagte Anakin. »Auf uns alle. Auf alle Jedi. Wenn das, was von der Neuen Republik übrig ist, ihm die Jedi übergibt − und insbesondere Jacen −, so verzichtet er darauf, weitere Planeten unter seine Kontrolle zu bringen.«
»Meine Güte, wenn das nicht nach einer Lüge klingt«, kommentierte Tahiri.
»Und wenn schon. Die Leute glauben ihm. Wie die Leute an Bord der Schiffe, die sich in diesem Augenblick Yavin Vier nähern.«
»Sie wollen uns den Yuuzhan Vong übergeben? Sollen sie es nur versuchen!«
»Das werden sie zweifellos.«
Die Tür öffnete sich, und sie betraten die zweite Etage. Kam schritt durch den Hauptkorridor und dann durch einige Gänge, die Anakin sehr vertraut waren, jetzt aber ein wenig schmaler wirkten als früher. Einst war ihm der Massassi-Tempel gewaltig erschienen; jetzt war er nur noch groß.
Sie gelangten in den zentralen Bereich, und dort wandten sich ihnen mehr als zwanzig vertraute Gesichter zu. Menschen, Bothaner, Twi’leks, Wookies − mehr als ein Dutzend Spezies waren präsent. Alle wirkten sehr jung, abgesehen von Kams Frau Tionne, einer eleganten Frau mit silbernen Haaren und perlweißen Augen. Überrascht hob sie die Brauen und lächelte erfreut.
»Anakin!«, sagte sie.
»Wir müssen uns beraten, Tionne!«, erwiderte Kam mit einem gewissen Nachdruck.
»Anakin!« Sannah, ein dreizehnjähriges Mädchen mit braunem Haar und gelben Augen, winkte ihm zu. Der noch jüngere Valin Horn winkte ebenfalls.
»Er ist beschäftigt!«, teilte Tahiri den anderen mit. Aber als Anakin Kam und Tionne folgte, um mit ihnen zu sprechen, begleitete ihn Tahiri.
»Tahiri…«, begann Kam.
»O nein«, sagte sie. »Ihr werdet mich nicht ausschließen.«
»Das käme mir nicht in den Sinn«, erwiderte Kam sanft. »Ich wollte dich bitten, Meister Ikrit zu holen und mit ihm in den Konferenzraum zu kommen.«
»Oh. In Ordnung.«
Tahiri wirbelte herum und lief barfuß durch den Korridor.
Kurze Zeit später kehrte Tahiri mit Ikrit zurück. Der alte Jedi-Meister kam auf allen vieren in den Konferenzraum, und seine langen Ohren strichen über den Boden. Die normalerweise leuchtenden Augen erschienen Anakin trüb, und er fühlte sich von plötzlichem Kummer erfasst.
»Meister Ikrit.«
»Junger Anakin. Es freut mich, dich wieder zu sehen«, sagte Ikrit. »Obgleich du beunruhigende Neuigkeiten bringst.«
»Ja.« Er nannte noch einmal die Einzelheiten, damit Ikrit und Tionne die Situation verstanden.
»Sie wollen unsere Kinder verschleppen?«, fragte Tionne, und ihre Stimme klang finsterer als sonst.
»Die Friedensbrigade? Und ob. Tionne, derzeit ist es für Jedi dort draußen sehr gefährlich.«
»Ich verstehe«, entgegnete sie und ballte die Faust. »Nein, ich verstehe nicht. Ist die Galaxis verrückt geworden?«
»Ja«, sagte Kam sanft. »Es ist ein alter Wahnsinn namens Krieg.«
»Ihr habt keine Schiffe, oder?«
»Nein. Streen und Peckhum sind mit dem Versorgungsschiff losgeflogen.«
»Wohin?«
»Nach Corellia. Sie müssten bald zurück sein. Allerdings… Jetzt rechne ich nicht mehr mit ihrer Rückkehr.«
»Wir müssen die Kinder hier verstecken«, sagte Anakin. »Aber wo?«
»Unten am Fluss!«, schlug Tahiri vor. »Die Höhle unter dem Palast des Woolamander. Meister Ikrits Höhle.«
Anakin hob die Brauen. »Das ist eine gute Idee. Dort wären sie schwer zu finden, insbesondere wenn die Friedensbrigade nicht sofort mit der Suche beginnt.«
»Wie meinst du das?«, fragte Kam vorsichtig. »Warum sollte sie mit der Suche warten?«
»Ich bleibe zurück«, sagte Anakin. »Ich werde dafür sorgen, dass sie glauben, wir seien im Tempel und würden uns von dort aus verteidigen. Die Friedensbrigade wird Zeit vergeuden bei dem Versuch, sich den Weg freizuschießen, und dadurch bekommt ihr Gelegenheit, die Kinder in Sicherheit zu bringen.«
»Du hast ein kleines Detail ausgelassen«, sagte Tahiri. »Was ist mit dir? Was gewährleistet deine Sicherheit?«
»Ich verstecke den X-Flügler − ich kenne da einen guten Ort. Und später mache ich mich damit auf und davon. Ich spiele Versteck, bis Talon Karrde eintrifft. Sobald er die Friedensbrigade erledigt hat, führe ich ihn zu euch.«
»Du hast über diese Sache nachgedacht«, stellte Tionne fest.
»Sehr gründlich«, bestätigte Anakin.
»Er hat Recht«, sagte Kam.
»Kam…«, begann Tionne.
»Er hat Recht«, betonte Kam noch einmal. »Allerdings bleibt nicht er zurück, sondern… ich.«
»Ich bin der bessere Pilot«, sagte Anakin unverblümt. »Nur ich kann dies schaffen.«
»Das stimmt«, erklang Ikrits kratzige Stimme. »Es ist Teil seines Schicksals. Und des meinen.«
»Meister Ikrit…«
»Du willst darauf hinweisen, dass ich kein Krieger bin. Das mag sein − es ist lange her, seit ich zum letzten Mal ein Lichtschwert in der Hand gehalten habe, und selbst damals empfand ich keine Freude dabei. Aber heute sind es keine Lichtschwerter, die sich durchsetzen werden, keine Waffen. Nicht jeder Gebrauch der Macht ist aggressiv.«
Anakin schürzte die Lippen, brachte es aber nicht fertig, dem alten Meister zu widersprechen.
Kam kaute einige Sekunden auf der Unterlippe. »Na schön«, sagte er schließlich. »Es gefällt mir nicht, aber wir haben keine Zeit für eine Debatte. Komm, Tahiri. Hilf mir und Tionne, die Schüler auf die Boote zu bringen.«
»Ich bleibe bei Anakin«, erwiderte Tahiri.
»Nein«, sagte Anakin.
»Doch!«, konterte Tahiri hitzig. »Ich habe mich auf diesem Mond gelangweilt, während du gegen die Yuuzhan Vong gekämpft hast. Ich hab’s satt! Ich will endlich etwas unternehmen!«
»Du bist für dies zu jung«, wandte Tionne ein.
»Anakin ist nur zwei Jahre älter als ich! Bei Sernpidal war er fünfzehn!«
»Das stimmt«, sagte Anakin. »Und Chewbacca starb durch meine Schuld. Bitte geh mit Kam, Tahiri.«
Sie riss die Augen auf, fühlte sich verraten. »Du willst nicht, dass ich bei dir bleibe! Nach allem, was wir…. Du hältst mich für ein Kind, so wie die anderen!«
Nein, dachte Anakin. Ich möchte nur nicht, dass du stirbst.
»Ich bitte dich, Tahiri«, sagte Tionne. »Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
»Schon gut, schon gut.« Tahiri sauste hinaus, ohne einen weiteren Blick auf Anakin zu richten.
Kam legte Anakin die Hand auf die Schulter. »Für sie war es sehr schwer hier ohne dich.«
Anakin nickte. »Ich sollte mich besser an die Arbeit machen«, sagte er schroff.
»Sei vorsichtig, Anakin. Du brauchst nicht sehr viel Zeit für uns zu gewinnen. Zieh dich zurück, wenn es brenzlig wird. Wir brauchen dich lebend.«
»Ich habe nicht vor zu sterben«, versicherte Anakin.
»Den meisten Leuten geht es so. Und dann sterben sie doch. Vertrau der Macht, hör auf Ikrit. Möge die Macht mit dir sein.«