12. KAPITEL
Sie schrie. Die instinktive Reaktion auf die Bedrohung, die der Schatten, der auf sie zukam, in ihr auslöste. Dann wurde der Schatten zu einem Mann.
„Kelly! Um Gottes willen, ich bin es nur, Lance Morton. Tut mir Leid ... oh, ich wollte Sie doch nicht erschrecken."
Sie blinzelte, als er ganz aus der Dunkelheit hervortrat. Schlanke Figur, schmales Gesicht, schütteres Haar. Er trug einen gut geschnittenen Anzug, und es war tatsächlich nichts Bedrohliches an ihm. Nichts Furcht erregendes.
„Lance ...", begann sie.
Aber dann entfuhr ihr ein neuer Angstschrei. Ein Mann raste mit der Geschwindigkeit eines Blitzes an ihr vorbei und warf sich auf Lance. Der brüllte auf und stürzte zu Boden, den anderen Mann über sich.
„Was zum Teufel geht hier vor?" bellte der Angreifer.
Kelly erkannte seine Stimme. „Doug!"
Er schien sie nicht zu hören. Er schüttelte den Mann, der unter ihm lag. „Was haben Sie mit ihr gemacht?"
Lance Morton, die heißeste Stimme der Rockmusik dieser Tage, lag platt auf dem Rücken. Doug riss mit seinen großen Händen am Kragen seines teuren Designer-Jacketts.
„Sie ...?" schrie Lance aufgeregt.
„Doug, es ist gut." Kelly hatte nun endlich ihre Sprache wieder gefunden. Sie fasste nach Dougs Schulter und versuchte, ihn zurückzuziehen.
Lance fluchte und beschimpfte Doug. „Halten Sie bloß den Mund", fuhr der ihn an, stand auf und zog Lance auf die Füße.
Lance wäre fast wieder hingefallen. Er war ziemlich hart auf dem Boden aufgeschlagen.
„Lassen Sie mich los", forderte Lance Doug auf.
Doug ließ ihn frei. „Was zum Teufel haben Sie mit ihr gemacht?"
„Ich habe ,Hallo' gesagt", schnappte Lance wütend nach Luft.
Doug, die blonden Haare zerzaust, sah Kelly an. „Er hat ,Hallo' gesagt?"
„So was in der Art", stammelte Kelly.
Er starrte sie an. „Warum haben Sie dann so geschrien?"
„Er hat mich erschreckt."
„Erschreckt?"
„Ja, erschreckt, das ist alles. Tut mir Leid, es ist lächerlich. Ich habe ihn zuerst nicht gesehen. Er kam auf mich zu und ich ... nun, ich habe geschrien", murmelte sie unsicher.
„Ich wollte Kelly begrüßen, weil ich gerade in der Stadt war", sagte Lance.
Doug drehte sich zu ihm um. „Warum verfolgen Sie sie bis in ihren Vorgarten?"
Lance ließ ein Stöhnen hören. „Ich habe sie nicht verfolgt. Ich habe hier gewartet und gehofft, dass sie bald nach Hause käme. Ich wollte ein wenig mit ihr plaudern, damit wir uns besser kennen lernen. Schließlich soll sie in meinem Video auftreten", schimpfte er entrüstet. Er starrte Doug an. „Sie hätten mir das Genick brechen können. Mein Rücken tut ganz schön weh."
„Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass ein Mann sich nicht im Dunkeln vor der Tür einer Frau herumdrücken soll?"
„Ich weiß nicht, ob ich jetzt überhaupt noch das Video machen kann", jammerte Lance. Er zeigte mit dem Finger auf Doug. „Sie sind ja irre. Wie ein Tier auf jemanden loszugehen."
Kelly konnte fast schon hören, wie Doug mit den Zähnen knirschte.
„Meinen Sie? Nun, Sie selbst scheinen aber auch nicht ganz bei Trost zu sein. Sie hat vor Angst geschrien. Das bedeutet normalerweise, dass jemand in Gefahr ist."
Erst jetzt hörte Kelly, dass Sam hinter der Haustür wie wild bellte. Sie ärgerte sich plötzlich über sich selbst, dass die andauernde Besorgnis, mit der ihre Freunde und Freundinnen sie ständig nervten, offenbar dazu geführt hatte, dass sie sich die Lunge aus dem Hals schrie, nur weil jemand auf sie zukam. Allerdings hatte er immerhin in der Dunkelheit gestanden. Nein! So ängstlich musste sie ja nun doch nicht sein.
So, wie Doug ihn umgeworfen hatte, hätte sich Lance tatsächlich die Knochen brechen können. Und das wäre eine Katastrophe gewesen.
„Lasst uns ins Haus gehen", schlug sie vor.
Beide Männer drehten sich um und starrten sie verwundert an. „Also", sagte sie. „Das alles war wohl ein großes Missverständnis. Lance, Sie haben mich wirklich erschreckt. Wenn Sie nicht hinter den Büschen gestanden hätten, dann hätte ich Sie erkannt. Und Doug hätte nicht ..."
„Hätte ich warten sollen, bis ein verrückter Killer Sie erwürgt?" schnaufte Doug.
„Ich bin aber kein verrückter Killer", protestierte Lance beleidigt. „Verdammt, für wen zum Teufel halten Sie sich eigentlich? Für einen von der CIA?"
Doug musterte ihn mit kaltem Blick.
„Wissen Sie was? Ich kann Sie feuern, einfach so." Lance schnippte mit den Fingern.
„Dann feuern Sie mich doch", entgegnete Doug trocken.
„Genug jetzt", versuchte Kelly ihn zu beruhigen.
„Er ist draußen", schimpfte Lance. „Ich rufe die Polizei und zeige ihn wegen tätlichen Angriffs an."
„Tun Sie das, und ich zeige Sie wegen unerlaubten Betretens meines Grundstücks an." Kelly ließ keinen Zweifel, dass sie meinte, was sie sagte.
„Wie bitte?" entfuhr es Lance Morton.
„Sie haben es doch gehört", feixte Doug.
„Sie sind gefeuert."
„Wenn er draußen ist, dann bin ich es auch", sagte Kelly.
„Wie bitte?" japste Lance. „Er ist ein kleiner Tanzlehrer, sonst nichts."
„Ich denke, es wäre besser, wenn Sie Ihre Beleidigungen für sich behalten würden", murmelte Kelly.
„Er kann mich nicht beleidigen", sagte Doug. „Er kapiert nichts. Was er von sich gibt, hat überhaupt keine Bedeutung."
„He, passen Sie auf, was Sie sagen!"
Sams Bellen wurde immer lauter. „Okay, Sie beide", schaltete sich Kelly ein. „Meinetwegen können Sie ruhig hier draußen bleiben und sich weiter Beleidigungen an den Kopf werfen. Es war eine unglückliche Situation. Tut mir Leid. Aber ich werde jetzt meinen Hund ausführen."
Sie ging auf die Tür zu. Doug und Lance folgten ihr schweigend und sahen zu, wie sie den Schlüssel ins Schloss steckte. Dann stieß Sam zu Kellys Entsetzen die Tür auf und raste an ihr vorbei. Sie drehte sich um und traute ihren Augen nicht. Sam, der niemals aggressiv war, stand mit gesträubtem Fell und gefletschten Zähnen vor Lance Morton und knurrte ihn bedrohlich an.
„Sam!"
Aber der Hund hörte nicht auf sie. Wenn er jemand beißen würde, bekäme sie Ärger mit der Polizei, schoss es ihr durch den Kopf.
„Sam!" Dougs Stimme klang schneidend. Er ging einen Schritt vor und stellte sich zwischen Lance und den Hund. Sam wich etwas zurück, bellte aber immer noch wie verrückt.
„Sam ... aus! Komm her", rief Kelly verzweifelt.
Doch Sam blieb, wo er war. Sein silbergraues Fell war gesträubt, er zitterte.
„Sam, es ist gut." Doug trat vor und tätschelte seinen Kopf. Der Hund begann, mit seinem Schwanzstummel zu wedeln und sah Doug an.
„Ich glaube, ich fange gleich an zu heulen", meinte Lance.
„Es ist alles in Ordnung. Kommen Sie rein", sagte Kelly.
„Ich habe furchtbare Kopfschmerzen", beklagte sich Lance.
„Ich mache Ihnen einen Drink. Oder möchten Sie lieber ein Aspirin?"
„Einen Drink könnte ich jetzt gebrauchen", stöhnte Lance. Er schob sich an Doug vorbei. Sam begann wieder zu knurren.
„He, hör endlich auf", zischte Lance.
„Er ist eben ein kluger Hund", meinte Doug.
„He, war das schon wieder eine Beleidigung?" Lance ging zur Haustür, drehte sich aber noch einmal um. „Als nächstes werden Sie behaupten, meine Musik sei Mist,"
„Ihre Musik ist erstklassig", antwortete Doug ehrlich.
Aber Lance begriff nicht, was er durch die Betonung des
Wortes „Musik" ausdrücken wollte. „Meinen Sie das tatsächlich?" stammelte er. Sein Ärger war plötzlich wie weggeblasen. In seiner Stimme klang Hoffnung, aber auch Unsicherheit an.
„Ja, ich mag Ihre Musik wirklich", bestätigte Doug.
„Oh ... danke."
„Kommen Sie endlich rein", meinte Kelly. „Es wird langsam kalt, wenn ich die Tür noch lange offen lasse."
Lance äugte misstrauisch zu ihr hinüber. „He, Sie waren es doch, die geschrien hat."
Kelly fragte sich, ob er noch ganz bei Sinnen sei. „Ja, und ich habe mich dafür entschuldigt. Fangen wir mit dem ganzen Gezeter noch einmal von vorne an?"
Er starrte ihr ins Gesicht. „Sie würden doch nicht wirklich aus dem Video aussteigen, nicht wahr?"
„Und ob ich das würde."
„Ich, also ..." Er unterbrach sich eine Sekunden, sah den Hund furchtsam an und dann Doug O'Casey. „Tut mir Leid, dass ich Sie erschreckt habe", sagte er zu Kelly.
„Und mir tut es Leid, dass ich Ihnen fast die Knochen gebrochen hätte", meinte Doug.
Lance Morton grinste plötzlich. „Und Sie mögen meine Musik wirklich? Cool."
„Ja", bestätigte Doug. „Sehr sogar. Ich denke, ihr Jungs seid keine Eintagsfliegen, die kommen und gehen. Ihr seid alle exzellente Musiker mit viel Talent und Ausstrahlung. Und nun habt ihr auch noch das große Geld hinter euch."
„Cool, wirklich cool." Lance schien ihre Auseinandersetzung schon vergessen zu haben. „Haben Sie einen guten Whisky?" fragte er Kelly.
„Ich glaube, das wird sich machen lassen", meinte sie. Sie schaute Doug an. „Sam müsste wohl mal ..."
Sie unterbrach sich, als Sam zu den Büschen hinüber trottete und das Bein hob.
„Sam?" fragte Doug.
„Na, das hat sich wohl gerade erledigt." Kelly ging ins Haus, gefolgt von Lance, Doug und Sam. Der Hund schien heute Abend kein Interesse an einem längern Spaziergang zu haben. Er wollte bei ihr im Haus sein, bei ihr und ihren ... Gästen.
Kelly ging in die Küche. Zum Glück hatte sie Whisky im Haus, obwohl sie selbst keinen trank. Sie hörte die Schritte der beiden Männer hinter sich und das Tappen von Sams Pfoten, der ihr natürlich ebenfalls folgte.
„Schönes Haus", gab Lance von sich.
„Woher hatten Sie die Adresse?" erkundigte sich Doug.
Aber Lance schien ihn nicht zu hören. Er rieb sich die Schulter. „Mann, das brennt ganz schön."
„Woher hatten Sie Kellys Adresse?" wiederholte Doug.
„Von Marc Logan, glaube ich", antwortete Lance. „Und der wird sie von ihrem Agenten, Mel, haben."
„Tatsächlich?" Kellys Zweifel waren offensichtlich. „Mel würde niemandem meine Adresse geben, ohne mich vorher zu fragen."
Lance zuckte mit den Achseln. „Nun, Logan hat sie irgendwo her. Was weiß ich."
Kelly reichte ihm den Whisky.
„Danke", sagte Lance. Er sah an sich hinunter und rieb an einem Grasfleck auf seiner Jacke. „Die Sachen sind ruiniert."
„Ich kenne eine gute Reinigung", schlug Kelly vor. Sie sah
Doug an und zeigte auf die Whiskyflasche. Er schüttelte den Kopf. Sie selbst nahm sich ein Glas Cola.
„Oh, und mein Rücken", jammerte Lance.
„Ich kenne auch eine gute Masseurin", meinte Kelly.
Lance ging zur Tür ihres Arbeitszimmers, blickte sich um und ließ sich stöhnend auf der Couch nieder. „Und Sie wollen mir ihren Namen geben?" hakte er nach.
„Warum nicht?" antwortete Kelly verwundert.
„Cool."
„Ich bin immer noch etwas erstaunt", sagte Doug. „Sie sind also einfach so vorbei gekommen und haben hier im Garten darauf gewartet, dass Kelly nach Hause kommt? Was machen Sie eigentlich in Kalifornien?"
„Plattenaufnahmen."
„Deswegen kommen Sie nach L.A.? In Miami gibt es doch auch erstklassige Aufnahmestudios."
„Ja, das stimmt. In Miami gibt es prima Studios. Aber es wurde festgelegt, dass wir hier produzieren. Was weiß ich, warum? Ich bin nicht der Geldgeber."
„Und statt zu arbeiten, hängen Sie in fremden Gärten herum und vertrödeln Ihre Zeit?"
„He, ich wusste nicht, dass ihr beide zusammen seid", maulte Lance und schüttelte ungeduldig den Kopf.
Kelly wollte protestieren. Sie dachte, Doug würde etwas sagen, aber er schwieg. Lance schaute sich immer noch interessiert um. „Wirklich, ein cooles Haus", sagte er.
„Freut mich, dass es Ihnen gefällt", murmelte Kelly.
Lance nickte geistesabwesend, dann sah er sie an. „He, wie kommt es eigentlich, dass Sie nicht wussten, dass ich nach L.A.
komme? Sie treten doch auch in dem Video auf." Seine Stimme klang ein wenig irritiert.
„Das steht tatsächlich so im Vertrag. Aber niemand hat mir bisher irgendeinen Terminplan gegeben, wann welche Aufnahmen gemacht werden. Und wo."
„Nun, ja, vielleicht sind sie mit den Planungen noch nicht durch." Lance trank seinen Whisky aus und blickte in das leere Glas.
„Möchten Sie noch einen?" fragte Kelly.
„Sicher."
Sie nahm sein Glas und ging zur Bar hinüber. Doug musterte Lance immer noch, als ob er eine lebende Bombe wäre, die jede Sekunde explodieren könnte. „Wo steht Ihr Wagen?" fragte er.
„Wagen?" wiederholte Lance.
„Ja, Ihr Wagen, Auto, Vehikel, Fahrzeug. Wie sind Sie hergekommen?"
„Taxi, Mann. Mit dem Taxi."
„Sie haben keinen Wagen?"
„Doch, einen Leihwagen. Aber ich finde mich hier nicht zurecht mit all den Straßen, Canyons und Hügeln. Bei dem Auf und Ab ist mir gestern in der Limo, die mich vom Flughafen abgeholt hat, fast schlecht geworden. Nein, das ist nicht meine Stadt."
Kelly schenkte ihm noch einen "Whisky ein.
„Sie haben also ein Taxi genommen, sind zu einem leeren Haus gefahren und haben dort gewartet, einfach so", wunderte sich Doug.
Lance sah ihn mit schwimmenden Augen an und hob die Hände. Die Eiswürfel klirrten in seinem Glas. „Ich sagte doch, ich wollte nur ,Hallo' sagen."
„Trinken Sie aus, ich nehme Sie mit", meinte Doug.
Lance grinste plötzlich. „Werden Sie auch während der Fahrt nicht gewalttätig? Wer hätte gedacht, dass ein Tanzlehrer sich aufführt wie Arnold Schwarzenegger. Mann, mir tut es überall weh und ich bin bestimmt übersät mit blauen Flecken."
„Soll ich Sie zu einem Arzt bringen?" fragte Kelly.
„Zum Teufel, nein", wehrte Lance ab. „Ich gehe doch wegen ein paar blauer Flecken nicht zum Arzt." Sein Glas war jetzt leer, und er sah Kelly hoffnungsvoll an.
„Es ist spät. Kelly hatte einen harten Tag. Kommen Sie, ich bringe Sie ins Hotel", sagte Doug.
Enttäuscht stand Lance auf und stöhnte leise.
„Nehmen Sie ein langes heißes Bad", schlug Kelly vor.
Er sah sie an und grinste wieder. Sein Blick verunsicherte sie. Und seine Worte auch. „Ein langes heißes Bad, wie?"
„Kommen Sie, Ihr Taxi wartet draußen", drängte Doug. Er sah Kelly an. „Schließen Sie gut ab, sobald wir weg sind."
Sie nickte. „Ich habe ja Sam, wie Sie wissen."
„Er sollte immer in Ihrer Nähe sein", riet ihr Doug. Er legte Lance eine Hand auf die Schulter und dirigierte ihn mit sanftem Druck in Richtung Haustür. Als er endlich mit dem Rocksänger draußen auf der Treppe stand, drehte er sich noch mal um. „Sind Sie wirklich okay?" wollte er von Kelly wissen.
„Ja, alles in Ordnung", versicherte sie ihm. „Ich hätte nicht schreien sollen. Ich habe mich nur so fürchterlich erschrocken."
Doug antwortete nicht, sein Gesicht war ausdruckslos. „Ich schaffe ihn jetzt weg", flüsterte er.
Sie nickte. „Und wann treffen wir uns morgen?"
„Wie wär's, wenn ich Sie abhole?"
Sie zögerte. Der Tag heute war nicht so verlaufen, wie sie es sich gewünscht hätte. Die dunkle Gestalt in ihrem Garten hatte sie mehr erschreckt, als sie sich selbst eingestehen wollte. Es wäre gut, wenn Doug sie abholte und abends wieder nach Hause brachte. Dann würde sie nicht wieder allein im Dunkeln ankommen.
„Wann?"
„Gegen zwölf?"
„Fein."
„He, wo bleibt denn mein Taxifahrer?" rief Lance mit nicht mehr ganz sicherer Stimme.
„Schließen Sie gut ab", erinnerte Doug Kelly noch einmal.
Sie hörte die Schritte der beiden Männer, wie sie die Einfahrt hinab gingen. Sam winselte und blickte sie hoffnungsvoll an. „Ich hoffe, du hast alles erledigt, was zu erledigen war, als du draußen warst, mein Junge. Denn heute Nacht gehe ich so spät nicht mehr vor die Tür." Sie kraulte ihn hinter den Ohren, froh, dass er bei ihr war.
Sie fühlte sich wieder besser, als sie Lances Glas und den Rest ihrer Cola in die Küche trug. Sie putzte sich die Zähne und wusch ihr Gesicht. Aber als sie dann ins Schlafzimmer kam, wurde ihr plötzlich klar, dass sie die Dunkelheit nicht ertragen konnte. Sie ließ das Licht brennen, als sie sich hinlegte, und stellte den Fernseher an. Sie rief Sam zu sich, damit er sich an ihr Fußende legte. Schließlich fiel sie in einen unruhigen Schlaf.
Sie wachte auf, als sich Sams kühle Nase gegen ihren Arm drückte. Es wurde schon hell, und er wollte raus.
„Warte, Sam, ich stehe gleich auf", gähnte sie.
Der Fernseher war immer noch an. Es liefen gerade die Morgennachrichten mit dem Wetterbericht. Der Morgen war dunstig. Na, so eine Überraschung. Tagsüber würde es trocken und warm sein. Noch eine Überraschung. Doch plötzlich spitzte Kelly die Ohren und blickte wie gebannt auf die Nachrichtensprecherin. „Im Mordfall Dana Sumter hat Gerry Proctor, der Verteidiger von Harvey Sumter, dem Ex-Ehemann der Toten, angekündigt, dass er die Unschuld seines Mandanten zweifelsfrei beweisen wird."
Der Verteidiger kam kurz zu Wort und führte aus, dass sein Klient nur in Verdacht geraten sei, weil seine Frau ihn durch die Scheidung völlig ruiniert habe. Dann war Harvey Sumter selbst zu hören. „Sie war die Mutter meiner Kinder. Mein Gott, ich hätte sie doch niemals umbringen können." Er war ein anständig aussehender Mann mittleren Alters, dessen Haare schon etwas schütter zu werden begannen. „Dana und ich hatten unsere Probleme miteinander ... Aber ich hätte sie doch nie ... sie war die Mutter meiner Kinder."
Kelly schaltete den Apparat aus. Der Bildschirm wurde dunkel. Sie stand auf und ging ins Badezimmer, um rasch zu duschen, bevor sie mit Sam nach draußen ging.
Doug hatte die Fernsehnachrichten ebenfalls gesehen. Er dachte noch darüber nach, wie Harvey Sumter auf ihn gewirkt hatte, als das Telefon klingelte.
„O'Casey."
„Guten Morgen." Es war Kelly. „Haben Sie Pläne für heute Morgen?" erkundigte sie sich.
„Nein. Warum fragen Sie?"
„Ich dachte, dass wir uns dann vielleicht schon früher treffen könnten."
„Gute Idee. Wie wäre es mit einem gemeinsamen Mittagessen, bevor wir uns in die Arbeit stürzen?"
„Mit Vergnügen", stimmte Kelly zu. „Was halten Sie davon, wenn ich Sie abhole und Ihnen die Stadt zeige? Dann können wir zum Lunch gehen und danach ins Studio. Ich bringe Kleidung zum Wechseln mit, dann kann ich mich nach dem Training umziehen, und wir können gleich zu der Grillparty fahren. Ich muss dann nicht noch einmal nach Hause. Wenn Sie allerdings schon andere Pläne haben ..."
Sie fügte den letzten Satz noch rasch an, weil sie fürchtete, sonst zu aufdringlich zu erscheinen.
„Das würde aber doch bedeuten, dass Sie mich nach der Party bei meinem Hotel absetzen und dann in der Nacht allein nach Hause fahren?"
Sie zögerte eine Sekunde. „Das ist kein Problem, wirklich. Ich werde mir heute Pfefferspray kaufen, damit ich ..."
„Ich hole Sie ab", fiel ihr Doug ins Wort.
„Aber..."
„Ich hätte einfach ein besseres Gefühl, wenn ich Sie sicher zu Hause abgeliefert habe. Also, ich bin dann in einer halben Stunde bei Ihnen. Und außerdem kann ich dann noch mal rasch Sam ausführen."
Sie lachte. „Dann bis gleich."
Er legte auf, betrachtete den Telefonhörer und schüttelte dann den Kopf. „Du gerätst immer tiefer hinein, mein Junge", sagte er zu sich selbst. Er hatte das Gefühl, wie von einem Strudel eingesaugt zu werden. Es gab keine andere Chance, als sich treiben zu lassen und zu hoffen, dass man irgendwann ans sichere Ufer kam.