10. KAPITEL
Großer Gott! Was machte die Frau da mitten auf der Straße?
Doug brachte seinen Wagen mit quietschenden Reifen gerade noch einen halben Meter vor Kelly zum Stehen. Ihre Augen waren weit aufgerissen, wie die eines Kaninchens im Scheinwerferlicht. Er lehnte sich aus dem Seitenfenster und befürchtete einen Moment lang, er könnte sie angefahren haben.
„Was machen Sie hier mitten auf der Straße?" fragte er ärgerlich. Er hätte sie überfahren können!
„Wie bitte?" Kelly blinzelte, sah zum Haus hinüber, dann wieder zu Doug.
„Kelly, was machen Sie hier auf der Straße?"
Sie schüttelte den Kopf. „Nichts. Ich hörte ..."
„Was haben Sie gehört?"
„Nichts", sagte sie, sah sich verängstigt um und trat dann auf den Fußweg zurück. „Was machen Sie denn hier, Doug? Woher wissen Sie, wo ich wohne?" konterte sie misstrauisch.
Er nahm die Brieftasche vom Beifahrersitz und reichte sie ihr. „Hier, die haben Sie vorhin im Studio vergessen. Ich nehme an, sie ist aus Ihrer Handtasche gefallen. Ihre Adresse steht auf dem Führerschein. Ich dachte, Sie brauchen sie vielleicht."
„Oh ... ja, danke."
„Dann wäre ja alles in Ordnung. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht."
„Warten Sie. Wenn Sie schon mal hier sind, wollen Sie nicht für eine Minute mit hineinkommen? Dann können Sie schon mal meinen Hund kennen lernen. Ich werde ihn mitnehmen nach Miami."
„Sie wollen, dass ich Ihren Hund kennen lerne?"
„Mögen Sie keine Hunde?"
„Doch, ich liebe Hunde."
Auf halbem Weg zu ihrem Haus blieb sie stehen. Er sah, wie sie sich bückte und ihr Portmonee aufnahm. Ungläubig runzelte er die Stirn. Sie schien ja eine Menge zu verlieren heute.
An der Haustür steckte sie den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn zweimal um. Das hieß, sie war noch gar nicht im Haus gewesen. Drinnen bellte der Hund wie verrückt.
„Ich bin es, Sam", rief Kelly. „Komm her", sagte sie dann, als der große Weimaraner Schwanz wedelnd aus der Tür kam und zu Doug laufen wollte.
Sie packte ihn am Halsband. Der Hund knurrte leise, gehorchte aber. „Sam, das ist Doug O'Casey. Doug, das ist Sam. Sam, mach Sitz und sei brav. Sag guten Tag."
Sam setze sich tatsächlich aufs Wort hin und reichte Doug eine Pfote. Der nahm sie und schüttelte sie mit gespielter Ernsthaftigkeit. Der Hund winselte, aber seine Aufregung schien nicht Doug zu gelten. Bellend und knurrend rannte er vor der Haustür auf und ab.
„Sam", rief Kelly. Sie warf Doug einen fragenden Blick zu und zuckte mit den Achseln. „Vielleicht eine Katze?"
„Wie bitte?"
„Vielleicht streunt irgendwo eine Katze herum. Er ist ein lieber Hund, aber Katzen machen ihn wild. Sam scheint zu glauben, sie seien Dämonen."
„Verstehe", murmelte Doug. „Sam, da draußen sind keine Katzen."
Der Hund sah ihn an, als ob er verstünde, was Doug sagte.
Sam war wirklich ein wunderschönes Tier. Groß, gut gebaut und muskulös. Sein Fell hatte, wie auch seine Augen, einen silbrigen Schimmer. Er wedelte weiter mit dem Schwanz und winselte.
„Soll ich mal nachschauen, ob da Katzen sind?" meinte Doug und bückte sich, um den Hund zu streicheln.
„Ich muss sowieso noch mit ihm rausgehen", sagte Kelly.
„Das kann ich machen, wenn Sie möchten."
„Nein, nein, das müssen Sie nicht", protestierte Kelly. „Machen Sie es sich bequem. Nehmen Sie sich einen Drink. Die Küche ist gleich da rechts."
„Ich sage Ihnen was. Sie kümmern sich um die Drinks, weil Sie sich hier auskennen, und ich gehe mit dem Hund raus. Okay?"
„Wollen Sie das wirklich tun?"
„Warum denn nicht? Sam und ich sind doch schon gute Freunde."
Sie schien so verunsichert, wie Doug sie bisher noch nicht erlebt hatte. Mehr noch als am Nachmittag im Studio fiel ihm auf, wie schön sie war. Ihr Haar leuchtete in einem tiefen, intensiven Rot, ihre Augenfarbe war eine erstaunliche Mischung aus Grün und Blau. Er erinnerte sich daran, wie er sie zum ersten Mal auf der Jacht gesehen hatte. Schon in jener Nacht hatte er sie sehr attraktiv gefunden, aber damals hatte er in ihr nur einen blasierten Star gesehen. Vielleicht, weil das der Vorstellung entsprach, die er mitgebracht hatte. Aber heute Abend ...
Sie hatte sich nicht verändert, aber er sah sie nun mit ganz anderen Augen. Sie war liebenswürdig und viel natürlicher, als er angenommen hatte. Sie hatte weder einen Chauffeur noch einen Butler und war keine Spur arrogant. Sie konnte hart arbeiten, und dann auf einmal war sie völlig verunsichert. Sie steckte voller Widersprüche, und gerade das machte sie so reizvoll.
„Klopfen Sie, wenn Sie zurück sind", sagte sie schließlich und lächelte ihn an. „Und vielen Dank."
Doug nahm Sam an die Leine und ging mit ihm hinaus. Kaum waren sie vor der Tür, als Sam laut bellte und hinüber zu den Büschen zog. Fast wäre Doug auf den Treppenstufen gestolpert. Der Hund war kräftig. Und offenbar entschlossen. Er zog Doug hinter sich her in das Gebüsch neben der Haustür und bellte wie wild.
„Sam!"
Der Hund war allem Anschein nach von einem Tiertrainer erzogen worden. Als er seinen Namen hörte, blieb er sofort stehen und hörte auf zu bellen. Er sah Doug schuldbewusst an und wedelte mit dem Schwanz.
„Wir gehen jetzt Gassi, Sam. Bei Fuß!"
Als Doug die Einfahrt hinunter gehen wollte, winselte Sam abermals und ließ seinen Blick nicht von Doug. Der blieb stehen und musterte das Haus. „Na gut, mein Junge."
Als Doug zurückging, glaubte er ein Rascheln zu hören. Er überlegte, ob er den Hund von der Leine lassen solle, entschied sich dann aber, ihn lieber angeleint zu lassen. Er bezweifelte zwar, dass sich ein Kojote hierher trauen würde, aber er wollte nicht das Risiko eingehen, dass Sam mitten in der Nacht mit einem anderen Tier aneinander geriet und möglicherweise verletzt wurde. Vielleicht war es ja tatsächlich eine Katze gewesen. Oder ein Skunk, der hier herumlief.
Er ließ sich von Sam hinüber zu den Büschen führen. Der Hund schnüffelte, bellte aufgeregt und lief um das Haus herum, die Nase immer auf dem Boden. Doug ließ ihn laufen, wie er wollte, und folgte ihm. Sie durchquerten den Garten, sprangen über eine niedrige Hecke in den Garten des Nachbarn und gelangten schließlich zur Straße. Dort schnüffelte und winselte der Hund und lief aufgeregt hin und her.
„Was immer hier war, es ist nicht mehr da, Sam", sagte Doug. Offensichtlich war der Hund der gleichen Meinung. Nachdem er mehrere Bäume markiert hatte, strebte er wieder nach Hause.
Als Kelly auf sein Klopfen die Tür öffnete, stellte er erstaunt fest, dass sie nicht nur von innen abgeschlossen, sondern auch den Sicherheitsriegel vorgelegt hatte.
„Danke", sagte sie und zeigte auf Sam.
„War mir ein Vergnügen."
„Ich habe uns zwei Cola mit Rum eingegossen. Ich wusste nicht, was Sie mögen, und dachte mir, damit könnte ich wohl nicht falsch liegen."
„Stimmt."
Sie reichte ihm ein Glas. Er sah, dass sie ihren Drink schon fast geleert hatte. „Also", sagte sie mit einer einladenden Armbewegung. „Das ist die Eingangshalle."
„Hübsche Fliesen", meinte Doug.
„Danke. Das Haus wurde bereits in den zwanziger Jahren gebaut."
„Es ist wunderschön, mit den gewölbten Decken. Es erinnert mich an die Häuser in meiner Gegend, am Strand. Häuser in mediterranem oder altspanischem Stil."
„Das hier ist so ähnlich", meinte Kelly und führte ihn durch das Haus. Sam winselte und schob sich an ihre Seite. „He, du", sagte sie und tätschelte ihm den Kopf. Sie wandte sich wieder an Doug. „Das ist das Wohnzimmer oder der Salon oder wie immer Sie es nennen wollen."
„Wirklich, ein sehr schönes Haus", sagte Doug. Und das war es tatsächlich. Die Fußböden waren aus Hartholzdielen, bedeckt mit dicken Teppichen. Ein breites, einladendes Ledersofa und bequeme Sessel rahmten einen offenen Kamin ein. Der Raum war rustikal, aber mit sehr viel Geschmack eingerichtet.
„Sieht aus, als hätten Sie einen guten Innenarchitekten beschäftigt", vermutete Doug.
Kelly lächelte. „Sieht vielleicht so aus, ist aber nicht so. Das Sofa zum Beispiel stammt aus einer Haushaltsauflösung. Man kann wirklich Glück haben, wenn man aufpasst."
„Und Sie leben allein hier?" erkundigte sich Doug.
Sie nickte. „Es ist mein Haus, ich liebe es."
„Es ist wirklich großartig, sehr individuell."
Sie schenkte ihm ein Lächeln. „Möchten Sie noch einen Drink?"
„Nein, danke. Ich trinke normalerweise nur wenig. Und ich muss noch fahren."
„Nun, Sie müssen ja nicht gleich wieder gehen ... Oh, Entschuldigung, Miss Februar könnte natürlich angerufen haben. Ein hübsches Mädchen, allerdings längst nicht so attraktiv wie Jane Ulrich. Aber das geht mich natürlich nichts an."
Er überlegte kurz, ob er sie weiterreden lassen oder ihr die Wahrheit sagen solle. „Jane ist meine Partnerin, rein beruflich. Wir haben keine private Beziehung."
„Oh..."
Er sah ihren Augen an, dass sie das nicht ganz glauben wollte.
„Sie ist mit einem bekannten Eishockeyspieler zusammen."
„Und Sie ..."
Er lachte. „Möchten Sie wirklich etwas über mein Liebesleben erfahren?"
Sie wurde rot. „Um Himmels willen, nein. Aber Sie schienen an Miss Februar ein gewisses Interesse zu haben, nicht wahr? Nicht, dass ich mich in Ihre privaten Belange einmischen wollte, ich meine ... oh Gott. Also, was mich betrifft... Menschen sind eben Menschen, und was sie mögen oder nicht mögen, ist schließlich egal. Ich meine, das gilt nicht für kriminelle Typen, das ist klar. Oh Gott, was rede ich nur. Bitte verzeihen Sie mir."
„Wie viele Drinks haben Sie schon getrunken, während ich mit Bello draußen war?" sagte Doug.
„Sam."
„Entschuldigung, mit Sam. Er ist ein guter Hund. Also, wie viele?"
„Zwei. Das hier ist der dritte."
„Das ist merkwürdig, auf der Jacht haben Sie praktisch nichts angerührt."
Sie wurde wieder rot. „Ich habe entschieden, dass ich heute Abend mal unsolide sein darf."
„Wegen Ihres Ärgers mit der Fernsehserie?"
Sie prostete ihm zu. „Genau. Ich sollte eigentlich über den Dingen stehen und mir sagen, dass mir das alles nichts ausmacht. Aber dem ist nicht so. Und ich bin etwas geschockt über meine Freundinnen. Es sind wirklich sehr liebe Freundinnen, aber sie hätten vor Ihnen nicht so offen über meine ganz privaten Angelegenheiten sprechen dürfen. Schließlich sind Sie für sie ein Fremder. Und für mich ja fast auch."
„Vielleicht erkennen sie eine mitfühlende Seele, wenn sie auf eine treffen", meinte er leichthin. „Und ich versuche ja auch, nicht zu befremdlich auf Sie zu wirken."
„Sie wirken nicht befremdlich, nur kennen wir uns ja noch kaum", sagte sie leise, drehte sich um und ging in die Küche.
Er folgte ihr. Die Küche war ebenfalls geschmackvoll eingerichtet. Die Möbel waren in Blau mit Weiß, die Wände in einem warmen Ton gehalten. Er lehnte sich an die Esstheke und beobachtete sie. „Trinken Sie auch an anderen Abenden so viel, wenn Sie nach Hause kommen?" fragte er.
„Nein", antwortete sie kurz und bündig.
Er runzelte die Stirn. „Ich bin sicher, Sie können sich jede Rolle aussuchen, die Sie haben wollen. Und ich dachte, dass Ihnen die Pause ganz willkommen wäre, um mal was Neues zu versuchen."
Sie starrte ihn wortlos an.
„Also, hören Sie", meinte Doug. „Es ist sicher hart, so behandelt zu werden. Aber ich halte Sie für einen so gestandenen Profi, dass Sie damit doch mühelos fertig werden sollten."
„Danke für Ihre netten Worte", sagte Kelly trocken. „Und natürlich Sie haben irgendwie Recht. Es kam alles nur so plötzlich und unerwartet, dass es mich einfach überrollt hat."
Sie holte Eiswürfel aus dem Kühlfach und füllte sie in eine Schale. Nachdem sie sich einen neuen Drink eingegossen hatte, wandte sie sich wieder Doug zu. „Ich habe genügend Selbstvertrauen, glaube ich", sagte sie nachdenklich. „Ich hatte selbst schon mal daran gedacht, die Rolle aufzugeben, habe mich aber dann anders entschieden. Und nun bin ich plötzlich draußen. Wütend bin ich, weil ich den wirklichen Grund dafür zu kennen meine. Und der hat nichts damit zu tun, dass ich angeblich in Gefahr bin. Durch eine längere Pause wird die Figur Maria Valentine unweigerlich an Popularität verlieren. Und dann haben sie einen Grund, um mich endgültig zu feuern."
„Sie gehen also davon aus, dass es überhaupt keinen Grund zu der Annahme gibt, Sie könnten in Gefahr sein?"
Sie zögerte für den Bruchteil einer Sekunde, dann schüttelte sie den Kopf. „Ich spiele in der Serie eine Hexe, die andere Menschen manipuliert. Aber es ist eine Rolle, ich bin nicht diese Frau."
Doug war sich nicht sicher, was sie aus seiner Haltung oder seinem Gesichtsausdruck ableitete, als sie ihm mit einem ironischen Lächeln zuprostete. „Ich weiß ganz genau, was Sie über mich gedacht haben, als wir uns zum ersten Mal trafen: Da ist eine zickige kleine Schauspielerin, nicht übermäßig berühmt, eine von Dutzenden, wie sie eben in Unterhaltungsserien am Nachmittag auftreten. Aber sie ist sich zu fein, ein Musikvideo zu machen." Kelly schüttelte den Kopf. „Doch so ist es ganz und gar nicht."
„Ich weiß. Sie haben Angst."
„Keine Angst, nein. Ich bin nervös, gestresst. Gut, vielleicht auch ein bisschen ängstlich. Aber nur, weil ich so etwas noch nie zuvor gemacht habe. Und weil ich, wie ich ja immer wieder beteuert habe, nun mal nicht tanzen kann."
„Aber Sie haben wirklich Talent", erwiderte er. „Das haben Sie sich heute Nachmittag selbst bewiesen."
Sie lächelte ein wenig ungläubig. „Ich habe also nicht völlig versagt, meinen Sie?"
Er lachte. „Versagt? Aber nein, ganz im Gegenteil!"
„Ehrlich gesagt bin ich wohl tatsächlich ganz gut, glaube ich. Wenn man in einer Serie mitspielt, muss man das sein. Die meisten Szenen werden aus Zeit-und Kostengründen nur einmal gedreht. Wenn man in einer solchen Produktion erfolgreich sein will, muss man schon einiges an Talent mitbringen."
„Aber es gibt noch andere, möglicherweise interessantere Aufgaben."
„Ich weiß. Ich bin gerade dabei, das herauszufinden. Heute Abend habe ich mich selbst ein bisschen bemitleidet. Aber mein Ärger ist schon verflogen. Erfolg ist die beste Antwort auf einen Rückschlag. Also werde ich versuchen, mein Bestes für das Video zu geben. Und dann ..." Sie unterbrach sich und setzte ein entschlossenes Gesicht auf. „Und dann werde ich die Serie nur weitermachen, wenn es mir passt."
„Bravo."
Sie nickte ihm zu. „Danke."
„Meinen Sie nicht, Sie sollten auch mal was essen?" schlug Doug vor. „Wegen der Drinks, meine ich."
Sie überlegte kurz. „Vielleicht. Etwas Hunger habe ich schon ..." Plötzlich gähnte sie. „Aber zum Ausgehen habe ich keine Lust mehr. Und etwas kochen will ich auch nicht mehr. Vielleicht ist noch was Fertiges im Tiefkühlschrank."
„Heute Mittag im Restaurant haben Sie ja nur ein paar Häppchen zu sich genommen."
Sie grinste. „Tagsüber ernähre ich mich überwiegend von Kraftriegeln und solchen Sachen. Und dort steht eine Schale mit Früchten. Wenn Sie mögen, bedienen Sie sich. Ich werde einfach mein Elend auskosten heute Abend."
„Und morgen einen Kater haben, wenn ich wieder mit Ihnen arbeiten soll?"
„Ich bin immer voll da, wenn ich arbeiten muss", klärt sie ihn auf und musterte ihn mit hochgezogenen Brauen.
„Aber ohne Kopfschmerzen arbeitet es sich leichter", konterte Doug.
„Was lässt Sie annehmen, ich hätte morgen einen Kater?" wollte sie wissen.
„Ich nehme es einfach mal an."
„Wenn Sie darauf bestehen, dass ich etwas esse, dann bestellen Sie doch eine Pizza. Da am Kühlschrank klebt ein Zettel mit der Telefonnummer des Pizzaservice."
Sie wandte sich um und wollte ins Wohnzimmer hinüber gehen. Doch der Alkohol zeigte bereits Wirkung. Sie schwankte, und Doug griff ihren Arm, um sie zu stützen. Cola und Rum waren eine gefährliche Mischung. Er legte einen Arm um ihre Hüften und nahm ihr das Glas aus der Hand. „Drei davon, und Sie sind groggy?"
Sie suchte nach Worten. „Nun, sie waren ziemlich stark. Und da ich sonst kaum Alkohol trinke ..." Sie sah ihn mit einem durchdringenden Blick an und begann zu lachen. „Lassen Sie mich los, fremder Mann ... und bestellen Sie lieber eine Pizza."
„Sind Sie sicher, dass Sie nicht eingeschlafen sind, bevor die Pizza kommt?"
„Ich schlafe nicht ein." Ihr Gesicht war jetzt ganz dicht an seinem, und Doug spürte, wie aufreizend ihr Duft auf ihn wirkte.
„Also Pizza", sagte er und ließ sie los. Er ging zum Kühlschrank und suchte den Zettel mit der Telefonnummer. Neben dem Zettel war mit einem Magneten ein Foto befestigt, das mehrere Kinder zeigte, alle mit roten Haaren. Also war das offensichtlich ihre natürliche Haarfarbe und kein Kunststück ihres Friseurs.
Er rief den Pizzaservice an und bestellte eine große Käsepizza. Als er auflegte, war Kelly verschwunden. Sam lag auf dem Küchenfußboden und sah Doug mit großen Augen an. Sein Schwanz schlug rhythmisch auf den Boden.
„Wo ist sie denn abgeblieben, Sam?" fragte Doug.
Als hätte Sam verstanden, sprang er auf, bellte und lief in den hinteren Teil des Hauses.
Dort hatte sich Kelly ihr Arbeitszimmer eingerichtet. Auf einem antiken Schreibtisch stand ihr Computer, ein Laptop. Daneben waren das Telefon, ein Drucker und ein Faxgerät aufgereiht. Die Mitte des Raumes wurde von einem großen Billardtisch ausgefüllt. In einer Ecke befanden sich eine Couch und zwei bequeme Sessel vor einem großen, flachen Fernsehgerät. Das Regal an der Wand enthielt eine Menge Bücher und eine Sammlung von CDs und DVDs.
Kelly lag ausgestreckt auf der Couch. Eine lange Locke ihres roten Haares war ihr in die Stirn gefallen. Doug unterdrückte den spontan in ihm aufsteigenden Wunsch, zu ihr zu gehen und die Strähne zurückzustreichen. Statt dessen setzte er sich in einen der Sessel. Sie hatte den Fernseher eingeschaltet, doch ihre Augen waren geschlossen. Sam ließ sich vor der Couch auf dem Boden nieder. Ohne die Augen zu öffnen, legte sie eine Hand auf seinen Kopf und streichelte ihn.
„Hat es geklappt mit der Pizza?" fragte sie schläfrig.
„Sie ist unterwegs."
„Das ist gut."
„Denke ich auch."
„Ich fühle mich ... nicht besonders. Vielleicht hätte ich wirklich etwas mehr essen sollen."
„Was ich mitbekommen habe, war, dass Sie ein paar Salatblätter auf Ihrem Teller hin und her geschoben haben."
„Ich bin nicht etwa magersüchtig oder auf Diät versessen", sagte sie und sah ihn vorwurfsvoll an. „Wir haben uns nur so angeregt unterhalten, dass ich kaum zum Essen gekommen bin."
Er sagte nichts dazu. „Wer sind die Kinder auf dem Foto am Eisschrank?"
„Meine Nichten und Neffen. Mein Bruder hat zwei Mädchen, und meine Schwester hat zwei Jungen. Sie sind süß, nicht wahr?"
„Ja, sehr süß. Haben Sie auch selbst Kinder?"
Ein Schatten von Verärgerung angesichts seiner Frage zog über ihr Gesicht. „Natürlich nicht. Wenn ich Kinder hätte, wären sie bei mir." Sie hob den Kopf, um ihn anzusehen. „Und was ist mit Ihnen? Haben Sie Kinder?"
Er lächelte und schüttelte den Kopf.
„Eine Ex-Frau?" fragte sie.
Abermals schüttelte er den Kopf.
Sie ließ sich wieder auf die Couch zurücksinken und seufzte leise. „Ich bin Ihnen wirklich dankbar, dass Sie Pizza bestellt haben."
„Sie vertragen wirklich nicht viel Alkohol."
Sie hob den Arm und wedelte abwehrend mit der Hand. „Ich ... also, das war keine gute Woche für mich."
Doug schlug die Beine übereinander und betrachtete die roten Haare auf dem Kissen der Couch. „Erzählen Sie mir von Matt Avery", sagte er.
Sie verzog das Gesicht. „Da gibt es nicht viel zu erzählen. Er ist ein mieser Typ mit einem Egoproblem."
„Und Sie sind tatsächlich überzeugt, dass er das alles inszeniert hat, um Sie abzuservieren?"
„Ja, das denke ich."
„Aber Sie hatten doch wirklich einen Unfall, nicht wahr?"
Sie seufzte. „Ein paar Kratzer, sonst nichts."
„Aber es hätte viel schlimmer ausgehen können."
„Hören Sie, ich bin doch nicht schwer von Begriff. Ja, ich hätte dabei umkommen können. Aber ich lebe noch. Es waren Dutzende von Leuten am Drehort, den ganzen Tag über. Niemand hätte Gelegenheit gehabt, den Sandhaufen unbemerkt zu manipulieren."
Plötzlich begann Sam zu bellen. Doug war überrascht, dass Kelly erschreckt in die Höhe fuhr.
„Das wird der Pizzabote sein", meinte er beruhigend.
„Oh ja, natürlich."
Doug ging zur Tür, Sam folgte ihm. „Ist schon gut, mein Junge. Nur der Pizzabote", sagt er. Aber er schaute trotzdem erst durch den Spion, bevor er die Tür öffnete. Er bezahlte den Boten, einen jungen Burschen mit langen schwarzen Haaren, nahm die Pappschachtel, machte die Tür zu und schloss ab, bevor er zurück ins Arbeitszimmer ging.
Kelly war aufgestanden und hatte Teller, Besteck und Servietten geholt. Und eine große Flasche Cola. Sie war dabei, den Tisch zu decken, als Doug die Pappschachtel hereinbrachte. Die Pizza war schon in Stücke geschnitten, und beide nahmen sich ein Stück.
„Jetzt sind Sie dran", meinte Kelly.
„Wie bitte?"
„Erste Frage: Wie sind Sie zum Tanzen gekommen? Haben Sie diesen Beruf schon immer ausgeübt?"
Er schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe erst ziemlich spät damit angefangen. Erst vor einigen Jahren. Es fing damit an, dass ich wegen der Hochzeitsfeier eines Freunden ein paar Tanzstunden nahm."
„Das ist wohl ein Scherz?"
„Nein."
„Sie tanzen erst seit einigen Jahren professionell?"
„Richtig."
Sie stöhnte auf. „Und ich seit einem einzigen Tag."
„Sie haben aber schon einen Grundkurs an der Schauspielschule absolviert", erinnerte er sie.
„Ich bin ein wenig neugierig", wechselte sie das Thema.
„Worauf?"
„Vergessen Sie's. Es geht mich nichts an."
„Fragen Sie."
„Also gut. Warum sind Sie nicht auch privat mit Ihrer Partnerin zusammen? Jane ist sehr hübsch. Und enorm talentiert."
Doug nahm einen Bissen von seiner Pizza. „Ich war einmal mit einer Tänzerin zusammen. Das heißt, es war wohl eher eine Affäre."
„Wieso?"
„Sie war mit mehreren Männern zusammen, gleichzeitig." „Oh."
„Und dann wurde sie umgebracht."
„Umgebracht?"
„Ermordet." Er beschäftige sich mit seiner Pizza. Das alles war lange her.
Kelly sah ihn voller Mitgefühl an. „Das tut mir Leid. Wie ist das passiert? Ein Überfall?"
Er schüttelte den Kopf. „Es war kein brutaler Mord. Nein, es war subtiler. Sie wurde mit einer Mischung aus Drogen und Alkohol umgebracht. Die Täter sind ebenfalls tot ... Nun, das ist eine Weile her. Jedenfalls habe ich damals den Entschluss gefasst, Arbeit und Privatleben strikt zu trennen."
Sie sagte nichts. Seit die Pizza gekommen war, saßen sie nebeneinander auf der Couch. Sie berührten sich nicht, aber Doug meinte, ihren Körper förmlich fühlen zu können. Er verspürte den Wunsch, näher zu ihr zu rücken. Doch statt dessen stand er auf und holte sich eine neue Papierserviette.
Kelly war so völlig anders heute Abend, längst nicht mehr so abweisend, wie er sie kennen gelernt hatte. Ihr Haar war zersaust und ihr Lächeln so offen und warm, wie er es kaum von ihr erwartet hätte.
Alarmglocken schrillten in seinem Kopf. Es war lange her, dass er den Wunsch, einer Frau nahe zu sein, so intensiv verspürt hatte. In einem Film würde der Held jetzt auf sie zugehen, seine Finger durch ihre flammenden Haare gleiten lassen, tief in ihre magischen blauen Augen schauen, ihr Kinn anheben und ihre vollen Lippen küssen. Ein brennendes Verlangen versetzte seinen Körper in Erregung. Er musste sich zusammenreißen.
„Noch Cola?"
„Wie bitte?"
„Soll ich Ihnen noch Cola einschenken?"
„Nein, danke." Kelly bewegte sich nicht und versuchte auch nicht, mehr Abstand zwischen sich und Doug zu bringen. Dann straffte sie sich plötzlich, als ob ihr bewusst geworden sei, dass sie sich ein wenig zu entspannt und offen gegeben hatte.
„Ich glaube, ich mache mich dann mal auf den Weg", hörte er sich sagen.
Sie drehte sich weg. Er fragte sich, ob sie enttäuscht war. Oder nur unsicher oder ängstlich.
„Nun, ja, in Los Angeles ist eine Menge los, um einen interessanten Abend zu verbringen", meinte sie. „Sie wollen sicher noch was unternehmen."
„Um ehrlich zu sein, ich würde gern bald schlafen."
Sie hielt den Kopf gesenkt. Er konnte ihre Reaktion nicht einschätzen. Sie blickte auf. „Ist Ihr Hotel okay?"
„Es ist tadellos. Weiß. Alles ist weiß, die Wände, die Teppiche, die Bettbezüge, einfach alles." Er zog eine Grimasse.
Kelly musste lachen. „Das ist der letzte Schrei der Designer."
„Da bin ich mir sicher. Aber es ist nicht nur völlig weiß, sondern auch sehr komfortabel."
„Das freut mich", sagte sie.
Er zögerte. „Soll ich noch mal mit Sam rausgehen?"
„Nein, nein. Das ist nicht nötig. Ich mache das schon. Sie sind mein Tanzlehrer, nicht mein Hundeausführer."
„Ich habe doch gesagt, dass ich Hunde mag."
Sie strich eine Strähne zurück, die ihr ins Gesicht gefallen war. Ihr Haar schimmerte wie eine Flamme im Licht der Lampe. Ihre Blicke trafen sich. „Meinen Sie das wirklich?"
„Schließen Sie hinter mir ab. Ich klopfe, wenn ich zurückkomme."
Er nahm Sam an die Leine. Doch kaum vor der Tür, war der Hund wieder darauf aus, an den Büschen herumzuschnüffeln und denselben Weg zu nehmen wie vorhin. War jemand dort gewesen? Doug folgte Sam, der leise jaulte und vorwärts drängte, bis sie wieder zur Straße kamen. Dort wusste er offensichtlich nicht weiter. Eine Katze? Ein Spanner? Oder ...? Ja - oder was?
Ging jetzt etwa seine Phantasie mit ihm durch, fragte Doug sich selbst. Er spürte, dass er unruhig war.
Zuerst war es reine Neugier gewesen, die ihn diesen Job hatte annehmen lassen. Und die Möglichkeit, herauszufinden, ob er seinen Job als Cop vielleicht zu übereilt aufgegeben hatte. Und nun war er Kelly begegnet...
Er rief sich in Erinnerung, dass er sich geschworen hatte, Beruf und Privatleben nie wieder zu vermischen. Bereits als er sie noch für kalt, unnahbar und affektiert gehalten hatte, war ihm nicht entgangen, wie schön sie war. Aber nun ... ja, sie war die Frau seiner Träume. Eine Frau, die ihn aufregte und erregte. Wenn ihr etwas zustoßen würde ...
„Sam, Zeit, nach Hause zu gehen", sagte er. Aber zunächst wollte er sich noch einmal sorgfältig umsehen. Er umrundete das Haus. Wenn jemand hier gewesen war, der vor Kellys Haus nichts zu suchen hatte, dann war er längst verschwunden. Also ging Doug zur Eingangstür zurück und klopfte, entschlossen, sich jetzt auf den Weg zu machen. Oder es wenigstens zu versuchen.
Kelly ließ ihn herein. „Danke. Das war wirklich sehr nett von Ihnen."
„Gern geschehen."
Sie standen in der Eingangshalle. Sie berührten sich nicht, aber die Luft um sie herum schien elektrisch geladen. Er fragte sich, wie sie reagieren würde, wenn er einen Schritt auf sie zu machte. Sie berührte. Ihr sagte, was er fühlte. Du bist die aufregendste Frau, die ich je getroffen habe. Ich sterbe vor Verlangen nach dir. Ich möchte bei dir sein. Für immer.
„Sind Sie auch wirklich okay?" fragte er.
„Natürlich. Warum fragen Sie?"
„Sie erschienen mir vorhin ziemlich nervös."
Sie lachte. „Sie scheinen sich ebenso Sorgen um mich zu machen wie meine Freundinnen. Ich lebe seit Jahren in diesem Haus. Außerdem", sagte sie lächelnd, „habe ich Sam. Er würde die ganze Welt alarmieren, wenn es Ärger gäbe. Mir geht es wirklich gut. Wir sehen uns dann morgen."
Er nickte und wandte sich um. „Schließen Sie ab, wenn ich weg bin."
Sie ging zurück ins Haus, blieb dann aber stehen. „Wir können uns auch früher treffen. Ich habe nichts anderes vor. Außerdem", sie sah ihn entschuldigend an, „bin ich es nicht gewohnt, untätig zu Hause herumzusitzen."
„Gut, dann treffen wir uns früher."
„Okay."
Sie sahen sich noch immer an.
„Wenn Sie nichts vorhaben, könnten wir zusammen Mittag essen", schlug sie vor. „Vielleicht um Viertel nach zwölf?"
„Prima. Wo?"
„Im Mirabelle. Das ist nur vier oder fünf Blocks von Ihrem Hotel entfernt. Gehen Sie nach links, wenn Sie aus dem Hotel kommen. Es ist ein angenehmes Restaurant mit einer guten Küche."
Er nickte. „Klingt verlockend."
Einen Moment lang musste er innerlich über sich selbst lachen. Er, Doug O'Casey, hatte sich verliebt.
„Gute Nacht", sagte er noch einmal. „Schließen Sie gut ab."
Sie ging hinein, und er lauschte auf das Geräusch des Schlüssels und des Sicherheitsriegels. Dann ging er zu seinem Wagen, setzte sich hinein und starrte einen Augenblick zum Haus hinüber, um völlig sicher zu gehen, dass er nicht doch etwas übersehen hatte. Dann fuhr er langsam los.
Es war recht einfach gewesen, ihre Adresse herauszubekommen, dachte Lance Morton. Er saß in seinem Wagen und sah zu Kellys Haus hinüber. Er fühlte so etwas wie freudige Erregung. Kelly. Kelly Trent. Ihr Haus war wundervoll, gerade so, wie er es sich vorgestellt hatte. Denn es war ihr Haus ...
Er blieb hinter dem Steuer sitzen und sah hinüber zur Eingangstür. Ein heller Lichtschein drang heraus, aber das Haus war von Büschen und Bäumen umgeben, die es in Schatten hüllten. Er wollte aussteigen. Nein ... jetzt noch nicht. Er konnte warten.
Er saß noch lange in seinem Wagen. Sah unentwegt zu ihrem Haus hinüber. Und empfand immer wieder die gleiche Erregung. Kelly. Kelly Trent.
Unsicher blickte er die Straße entlang. Absolute Stille, nichts war zu sehen. Er fuhr das Seitenfenster hoch und schob eine CD in den Player. Er lauschte mit geschlossenen Augen und ließ sich von seinen Gedanken forttragen. In seinen Phantasien gingen seine geheimsten Wünsche in Erfüllung, und er überließ sich ganz seinen Gefühlen. Dann kam die Musik von der CD zum Crescendo. Und er ebenfalls.
Er schluckte, sah sich um und erinnerte sich, dass er sich trotz der Stille um ihn herum auf einer öffentlichen Straße befand. Er war ein Idiot. Wenn nun ein Cop vorbeigekommen und auf ihn aufmerksam geworden wäre? Trotzdem blieb er noch eine Weile stehen. Kelly ... sie würden noch viel Zeit haben, sehr viel Zeit. Er musste nur warten. Der richtige Moment würde kommen ...