3. KAPITEL

Kelly wünschte sich, sie wäre in diesem Moment irgendwo anders.

Die Party auf der Jacht war so, wie sie es erwartet hatte - alles Menschen, die ihr völlig fremd waren. Waren das die Leute, mit denen sie arbeiten sollte? In diesem Augenblick kamen sie ihr vor wie eine Horde sonnengebräunter Beachboys und Beachgirls, deren einzige Sorge zu sein schien, wie sie den nächsten Drink ergattern konnten. Sie lehnte sich an die Reling und nippte an ihrem Cocktail. Mel stand neben ihr. Eine langbeinige, vollbusige Bikinischönheit mit einem Modepuppen-Lächeln kam auf sie zu. „Noch einen Drink?"

„Danke", sagte Kelly. „Ich habe noch."

„Nein, danke", sagte auch Mel. Als die junge Frau weitergegangen war, fragte er: „Amüsierst du dich?"

„Hm ... sicher", schwindelte Kelly.

„Wir müssen nicht sehr lange bleiben. Du sollst nur ein paar Leute kennen lernen."

Hinter Mel sah sie einen groß gewachsenen, blonden Mann stehen. Er hatte breite Schultern, war tief gebräunt und trug einen gut geschnittenen Anzug, der die Breite seiner Schultern und seine schmalen Hüften dezent zur Geltung brachte. Sie vermutete, dass er ein Kunstprodukt war wie die junge Frau eben. Die Art von Mann, die die meiste Zeit des Tages in einem Sportstudio verbringt oder am Strand.

Er drehte sich um, als ob er gespürt hätte, dass er beobachtet wurde. Er lächelte nicht, sondern sah sie mit festem Blick an. Sein Gesicht war klassisch geschnitten und gleichzeitig zerfurcht. Kelly fielen die tiefblauen Augen auf. Vielleicht trug er Kontaktlinsen? Seine Haltung war so makellos, dass er noch größer wirkte, als er ohnehin war. Gut über einen Meter neunzig, schätzte sie. Er trug seinen Anzug mit der lässigen Eleganz eines Cary Grant oder Errol Flynn.

Ob er wohl schwul ist, fragte sich Kelly.

Er hätte gut in die Serie Baywatch gepasst, fand sie. Einen Moment lang fühlte sie sich unbehaglich, dass sie sich gegenseitig anstarrten und er sicher genau die gleichen Überlegungen über sie anstellte wie sie über ihn. Sie wusste nicht warum, aber sie bezweifelte, dass sein Urteil über sie besonders gut ausfallen würde. Vielleicht dachte er, sie hätte sich ihre Nase operieren oder ihre Lippen aufspritzen lassen. Vielleicht dachte er auch, sie sei magersüchtig oder schnupfte Kokain.

Kelly errötete, als der Mann ihr plötzlich zunickte und sich dann wieder umdrehte. Sie hatte kein Recht, sich ein Urteil über ihn zu bilden. Sie wusste, wie unfair Mutmaßungen sein konnten. Als Schauspielerin hatte sie oft genug unsachliche Kritik und unfaire Unterstellungen einstecken müssen.

Der Musikproduzent war ein reicher Mann mittleren Alters, braungebrannt, silberhaarig, ein Möchtegern-Casanova namens Marc Logan. Sie hatte ihn schon früher gesehen. Er war am Set gewesen, als der Unfall passierte. Verständlich, sein Angebot für das Video hatte schon auf dem Tisch gelegen. Er hatte sich wohl selbst ein Bild von ihr machen wollen.

Sie zwang sich zu einem Lächeln und versuchte zum wiederholten Mal an diesem Abend, ihm aus dem Weg zu gehen. Sie senkte den Kopf und ermahnte sich, dass sie kein Recht habe, herablassend über diese Leute zu denken. Aber sie fühlte sich so ... verloren hier. Und betrogen. Warum musste sie für etwas bezahlen, das nun wirklich nicht ihre Schuld war?

Als sie aufsah, bemerkte sie, dass Marc Logan sie beobachtete. Er lehnte an der Reling gegenüber. Als er sein Glas hob, um ihr zuzutrinken, zwang sie sich zu einem Lächeln und hob ebenfalls ihr Glas. Vielleicht war sie bislang ja etwas zu abweisend gewesen.

Seine Bewunderung für sie wirkte jedenfalls ehrlich. Offenbar hatte ihm in der Nacht ihres Unfalls ihre Einstellung „Es ist nichts passiert, lasst uns weitermachen" imponiert. Er schien ein Mann zu sein, der sich nicht die geringsten Sorgen wegen irgendwelcher Probleme zu machen schien. Und er wollte sie unbedingt engagieren. Dafür sollte sie ihm in ihrer Situation dankbar sein.

„Sie sehen hinreißend aus auf diesem alten Kahn", rief er ihr zu.

Richtig, die Jacht war nicht neu. Er erwartete jetzt wohl, dass sie antwortete, was für ein großartiges Schiff es dennoch sei. Dann konnte er zu ihr herüberkommen und ein Gespräch beginnen.

Aber Kelly brachte nur ein kurzes „Danke" hervor. Er kam trotzdem auf sie zu.

Zum Glück kam gerade eine der leicht bekleideten Serviererinnen vorbei. Er legte ihr den Arm um ihre Taille und ließ seine Hand - widerlich - über ihre Hüften zu ihrem Hinterteil gleiten. Es schien dem Mädchen nichts auszumachen.

Kelly drehte sich angewidert um. Nun gut, er war hinter Frauen her. Wie alle Männer. Sie fühlte sich verunsichert. Sollte sie tatsächlich für ihn arbeiten? Zu ihrer eigenen Überraschung bemerkte sie, dass ihre Augen feucht wurden. „Ich kann es immer noch nicht glauben, dass Joe Penny mich gefeuert hat - und dass ich das hier machen muss", flüsterte sie Mel zu.

„Nun sieh die Welt mal nicht zu schwarz. Du bist eine clevere Geschäftsfrau, die dabei ist, ihrer Karriere einen neuen Schub zu geben."

Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. „Mel... diese Leute sind grässlich."

Mel lachte. „Du kennst sie doch gar nicht. He, du hast dich in Hollywood behauptet, du kannst mit jeder Situation fertig werden."

„Du willst also wirklich, dass ich für ihn arbeite?" fragte Kelly und zeigte verstohlen auf den Produzenten.

„Er ist nur dafür da, die Rechnungen zu bezahlen. Vertrau mir", sagte Mel. „Er wird bei den Dreharbeiten kaum dabei sein. Er will die Sache in Gang bringen und hat endlose Diskussionen um jeden Dollar Produktionskosten geführt. Mit Ausnahme der Gage, die er bereit ist, dir zu bezahlen."

Geld. Plötzlich wusste sie, warum sie sich betrogen und ängstlich fühlte. Ihre Arbeit für die Valentine-Sene hatte sie lange Zeit völlig ausgefüllt, sie hatte weder an die Zukunft gedacht, noch daran, dass sich jemals etwas ändern könne.

Durch ihre Rolle als Maria Valentine war ihr Leben einfach und angenehm verlaufen, weil der Job ihr stets genügend eingebracht hatte. Sie liebte ihr Haus am Sunset Boulevard und fand es angenehm, dass sie ohne groß zu überlegen ihre Nichten und Neffen zu Reisen in die großen Vergnügungsparks des Landes einladen konnte und dass sie ihrem Bruder und ihrer Schwester hatte finanziell unter die Arme greifen können, als die in Schwierigkeiten gekommen waren. Als zuerst ihre Mutter und dann ihr Vater krank geworden waren, hatte sie die beste Pflegeklinik für sie gesucht, die sie finden konnte, und sämtliche Kosten übernommen, bis beide dann irgendwann gestorben waren.

Als ob er ihre Gedanken erraten hätte, sprach Mel leise weiter. „Kelly, ich sehe, dass du nachdenkst. Und ich weiß auch, dass du vermeiden möchtest, dass andere Leute es erfahren."

„So?"

„Deine Rolle in Valentine Valley war eine sichere Bank. Jetzt machst du dir natürlich Gedanken um deine Zukunft. Aber es ist gut für dich, wenn du auch einmal etwas anderes ausprobierst." Er holte tief Atem. „Okay, Logan ist ein Unsympath, stimmt. Aber ein sehr reicher Unsympath. Vielleicht hast du nach Abschluss des Vertrags mit ihm direkt gar nichts mehr zu tun. Jerry Tritan ist der Regisseur des Videos. Du arbeitest hauptsächlich mit ihm, und ich schwöre dir, er ist große Klasse. Er ist zurzeit der Beste für diese Art von Produktionen."

Mel begann eine Reihe von Videos aufzuzählen, die Jerry in der letzten Zeit gemacht hatte. Sie hatte einige davon gesehen, sie waren wirklich gut gewesen. Es waren beinahe kleine Spielfilme, nicht diese üblichen wilden Musik-und Kameraorgien. „Jerry ist der Typ dort hinten, der mit den ernsten, dunklen Augen und den etwas struppigen Haaren."

Irgendwie fühlte sich Kelly beruhigt. Jerry Tritan war als exzentrisch bekannt, aber seine Umgangsformen galten als untadelig. Er war in eine lebhafte Diskussion mit dem großen, blonden Mann vertieft, und jeder schien dem anderen aufmerksam zuzuhören. Beide schauten gleichzeitig auf, als ob ein sechster Sinn sie gewarnt hätte, dass sie beobachtet würden. Der blonde Mann starrte Kelly an. Jerry Tritan nickte ihr freundlich zu, und sie erwiderte seine Geste.

„Siehst du", meinte Mel leise. „Es wird alles bestens werden. Du musst nur ein bisschen mehr Vertrauen haben." Er lächelte ihr aufmunternd zu.

„Natürlich, wenn du es sagst."

Wenn sie nur nicht so verkrampft wäre. Kelly zwang sich, einen Blick in die Runde zu werfen. Die Szenerie, die sich vom Deck des Schiffes aus bot, war wirklich beeindruckend. Die Lichter von Miami und Miami Beach spiegelten sich im Wasser der Bucht. Und am Nachthimmel waren nur wenige leichte Wölkchen zu sehen.

Es war wirklich schön hier. Sie musste nur bereit sein, es wahrzunehmen ...

„Und da kommt ein weiterer Held in deinem neuen Abenteuer", murmelte Mel.

Ein lauter Schrei. „Da ist sie ja!"

Ein junger Mann mit langen, blonden Haaren, die sich in seinem Nacken kräuselten, kam auf sie zu. Er war schlank, hatte dunkle Augen, und sein Gesicht war schmal und fast klassisch geschnitten. Er war mit Logan zusammen am Set gewesen, in der Nacht, in der Kelly ihren Unfall hatte.

„Kelly. Kelly Trent." Er blieb vor ihr stehen, griff nach ihren Händen und grinste sie strahlend an. Sein Blick spiegelte eindeutig Bewunderung wider. Sie hätte geschmeichelt sein müssen. Aber in ihrer augenblicklichen Stimmung ...

„Kelly, das ist Lance Morton, der Lead-Sänger von Kill Me Quick."

„Hallo, Lance. Freut mich, Sie zu sehen", murmelte sie und wünschte sich, er würde ihre Hände loslassen. Sie wollte nicht unhöflich sein, aber sie fühlte sich nicht wohl.

„Großartig! Wie aufregend! Ich war es, der Sie unbedingt als Partnerin wollte, wissen Sie das? Vom ersten Moment an", sagte Lance begeistert. Er schaute Kelly etwas einfältig an. „Ich war in Los Angeles, um Sie kennen zu lernen, aber dann hatten Sie diesen scheußlichen Unfall, und es ging nicht. Aber jetzt ... einfach toll! Ich fühle mich wie ein kleiner Junge, der endlich sein großes Idol trifft."

„Ich danke Ihnen sehr, Lance", sagte Kelly. „Das ist überaus freundlich von Ihnen."

„Nein, ich danke Ihnen. Ich hätte niemals zu hoffen gewagt, dass ich mal mit Ihnen zusammenarbeiten dürfte, niemals."

„Ich fühle mich geehrt", meinte Kelly und schaffte es endlich, ihre Hände frei zu bekommen. „Aber noch ist nichts vereinbart." Sie sah Mel an. „Es ist noch nichts entschieden, meine ich."

„Oh, aber hoffentlich sehr bald", erwiderte Lance, gab ihr ein aufmunterndes Zeichen mit dem nach oben gestreckten Daumen und grinste Mel breit an. „Wir fangen in zwei Wochen an zu drehen. Es ist, als ob ein Traum für mich in Erfüllung geht."

Eine der Serviererinnen, eine dunkelhaarige Bikinischönheit, winkte ihm verstohlen zu. Bevor Lance ging, küsste er Kelly auf die "Wange und hinterließ den Geruch von Bourbon und kaltem Zigarettenrauch.

„Mel", sagte sie. „Der Deal ist noch lange nicht unter Dach und Fach."

„Kelly, sie bieten dir eine enorme Gage an. Wirklich großes Geld. Und du brauchst es. Du brauchst es als Reserve für den Fall ... nun, du solltest dir einfach ein finanzielles Polster zulegen. Warum willst du eine solche Gelegenheit auslassen?"

„Hm ... lass mich überlegen. Manche Videos erweisen sich als totaler Flop. Dann würde mir die Sache schaden. Tut mir Leid, Mel, aber so ist das nun mal." Je länger sie darüber nachdachte, desto weniger Lust hatte sie auf den Dreh.

„Kelly, Lance Morton mag ein wenig ... eigen sein, aber das Produktionsteam ist erste Klasse. Und die Band ist wirklich gut. Es könnte sogar sein, dass ihr für das Video einen Preis bekommt. Und das bringt dir dann vielleicht eine neue Rolle im Fernsehen. Glaub mir, die positiven Möglichkeiten überwiegen das Risiko bei weitem. Und noch einmal: Es ist finanziell wichtig für dich."

Sie wurde rot. Sie hatte kein Verhältnis zu Geld. Schrecklich, aber so war es nun mal. Sie hätte längst ein Konto einrichten müssen, auf dem sie etwas für solche unvorhersehbaren Situationen zurücklegte.

Sie räusperte sich, um ihre Kehle frei zu bekommen. „Also gut, Mel. Du und Ally, ihr habt mich hergebracht, also lass es uns zu Ende bringen. Was habe ich in dem Video zu tun ? Herumstehen und ein wichtiges Gesicht machen? Oder zur Abwechslung von einer Klippe springen?"

„Du wirst tanzen, du wirst singen ... es wird dir eine Menge Spaß machen, da bin ich mir ganz sicher."

„Wie bitte?"

„Tanzen, ein bisschen singen, das ist alles. Es ist ganz einfach. Eine Kleinigkeit für dich. Und du machst damit mehr Geld als mit mehreren Folgen einer Fernsehserie. Im Ernst, warte, bis du den Vertrag siehst. Das ist die Eintrittskarte in eine erfolgreiche Zukunft."

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das kann ich nicht."

„Was heißt das? Du kannst doch singen. Die Jungs haben die Szene gesehen, in der Maria Valentine als Nachtclub-Sängerin auftritt. Sie waren begeistert. Du wolltest doch auch immer mal in einem Musical mitspielen."

„Du hast Recht, singen kann ich."

„Na, also."

„Aber ich kann nicht tanzen."

„Rede keinen Unsinn. Jeder kann tanzen."

„Nun, ich kann es nicht. Ganz ehrlich, Mel, ich kann nicht tanzen."

„Du hast eine klassische Ausbildung als Schauspielerin. Und Tanzen gehört dazu, so viel ich weiß."

„Aber meine Tanzlehrer sind an mir verzweifelt und haben mich ausgelacht. Ich habe zwei linke Füße."

„Das kriegen wir schon hin", versicherte Mel zuversichtlich. „Wir haben schon vereinbart, dass dich ein professioneller Tanzlehrer unterweist."

„Na, gut. Erzähl mir mehr über das Video."

„Der Song, auf dem das Video basiert ist, heißt Tango to Terror..."

„Tango to Terror - von Kill Me Quick? Da kommt ja wirklich Freude auf", murmelte Kelly und schüttelte ungläubig den Kopf.

Mel lächelte. „Halb so wild. Du musst nur ein wenig Tango tanzen."

„Oh Mel, hörst du mir denn gar nicht zu? Ich kann einfach nicht tanzen."

„Das kriegen wir schon hin. Du bekommst einen Trainer."

„Was ich brauche, ist ein Double."

„Kelly, du siehst das alles viel zu negativ. Du bekommst einen Spitzenmann als Trainer."

„Er wird den Job nach zwei Tagen hinwerfen."

„Also, hör mal, Kelly. Du brauchst wirklich keine Bedenken zu haben. Sie schätzen dich, und sie wollen dich unbedingt für die Rolle."

„Ja, und bei Valentine Valley haben mich auch alle bewundert und hatten Respekt vor mir. Deshalb bin ich jetzt hier. Kannst du mir das bitte erklären?"

Mel zögerte. „Kelly", sagte er dann vorsichtig. „Dr. Dana Sumter wurde vor drei Wochen ermordet."

Kelly runzelte die Stirn. Sie verstand nicht, was er ihr damit sagen wollte. „Ja, das weiß ich. Es wurde im Fernsehen und in den Zeitungen darüber berichtet. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, wurde ihr Ex-Ehemann vor wenigen Tagen verhaftet."

„Stimmt", meinte Mel. „Und der Bursche scheint ein ausreichendes Motiv gehabt zu haben. Sie hat den armen Kerl total fertig gemacht. Trotzdem schwört er, er sei unschuldig."

„Die meisten Verbrecher sagen, sie seien unschuldig", erwiderte Kelly.

„Von dem anderen Vorfall hast du wohl noch nichts gehört?"

„Welchen Vorfall meinst du?"

„In Sandusky, Ohio. Sally Bower, die im lokalen Fernsehen eine Ratgeber-Show moderiert hat, wurde letzte Woche tot in ihrer Badewanne gefunden."

„Ermordet?"

Mel zuckte die Achseln. „Man ist sich noch nicht sicher. Sie hatte getrunken und Valium genommen. Sie war bekannt dafür, dass sie Pillen schluckte."

„Mel, das ist bestimmt alles tragisch, aber was hat das mit mir zu tun? Ich bin keine berufsmäßige Psychologin oder Beraterin. Ich bin Schauspielerin, ich spiele nur in einer Fersehserie."

„Du hast ja Recht. Aber so einfach ist das nicht. Mit Valentine Valley hat es im Laufe der Jahre genügend Ärger gegeben. Die Produzenten wollen kein Risiko mehr eingehen. Zum Beispiel, dass dir etwas Schlimmes zustößt. So ist es nun mal." Mel stieß sich von der Reling ab und warf einen Blick über das Deck.

„Aber ich habe keine Angst, sag ihnen das", widersprach Kelly.

„Kelly", sagte Mel ganz sanft. „Es tut mir Leid. Aber die Sponsoren haben ein Machtwort gesprochen."

„Die Sponsoren?" Kelly fühlte, wie der Arger in ihr aufstieg. Sie wusste nur zu gut, was der tatsächliche Grund für dieses „Machtwort" war.

Aber sie kam nicht dazu, Mel zu erklären, was geschehen war, denn der drehte sich um und flüsterte ihr dabei etwas ins Ohr. „Da kommt er. Er will sich vorstellen."

Kelly drehte sich um und sah den großen, blonden Mann mit dem perfekten Körper auf sich zukommen. Sein Gesichtsausdruck war undurchdringlich.

„Doug, ich freue mich sehr, Sie zu sehen. Darf ich Ihnen Miss Kelly Trent vorstellen? Kelly, das ist Doug O'Casey, dein Tanzlehrer."

Na großartig. Sie nahm die Hand des Mannes und zwang sich zu einem Lächeln. Sie wollte nicht unhöflich sein, aber sie fühlte sich einfach elend. „Hallo", murmelte sie.

„Guten Abend, Miss Trent", sagte er. Seine Stimme war ruhig und angenehm. Aber es herrschte von der ersten Sekunde an eine Spannung zwischen ihnen. Kelly konnte ein Gefühl von Bitterkeit, Ablehnung und Peinlichkeit nicht unterdrücken. Sie hätte es sich denken können. Sie hatte ihn einschätzend angestarrt. Und das tat er jetzt mit ihr, egal, wie höflich er auch sein mochte. Und da war auch ein Anflug von Geringschätzung in seinem Blick, dessen war sie sich sicher.

Schon wieder jemand ohne Talent, aber mit hohen Ansprüchen. Das wird ein hartes Stück Arbeit. Das schien sein Blick auszudrücken.

„Sie beide werden wunderbar miteinander auskommen, da bin ich sicher", säuselte Mel.

Mühsam hielt Kelly ihren Gesichtsausdruck unter Kontrolle. Sie zog ihre Hand zurück, als fürchte sie, sie könne sich verbrennen. Seine Augen, diese tiefblauen Augen, strahlten eine ungeheure Intensität aus.

„Welche Erfahrungen haben Sie denn bereits mit dem Tanzen, Miss Trent?" erkundigte er sich höflich.

„Gar keine, absolut keine", versicherte sie ihm freundlich.

Mel legte Kelly seine Hand auf den Rücken und schob sie vorwärts. Fast wäre sie gegen Doug O'Casey geprallt. Mel schien das nicht zu bemerken. „Kelly wird das ohne Probleme schaffen. Dank Ihrer Hilfe, Doug. Mir wurde gesagt, Sie seien der Beste. Und mir wurde auch gesagt, dass mit einem Tanzprofi Ihrer Qualifikation jede Frau einen hervorragenden Eindruck macht."

Doug sah Kelly an. Sie konnte fast seine Gedanken lesen. Jede Frau? Vielleicht, außer der hier...

„ Nun, ich wollte mich nur vorstellen und Sie begrüßen, Miss Trent. Man hat mir gesagt, dass wir schon sehr bald miteinander arbeiten werden ... Also, ich sehe Sie dann."

„Die Sache ist noch nicht unter Dach und Fach", beeilte sich Kelly zu antworten.

„Wir müssen nur noch den Vertrag unterschreiben", beeilte sich Mel hinzuzufügen. War das die Möglichkeit? Er trat ihr auf den Fuß, um sie zum Schweigen zu bringen!

„Dann noch einen schönen Abend."

Doug drehte sich um und ging. Er war sehr freundlich und höflich gewesen. Es gab für Kelly überhaupt keinen Grund, derartig abweisend zu sein. Aber sein Auftreten hatte sie ziemlich verunsichert.

Eine der Serviererinnen kam auf Doug zu. Kelly hörte die beiden lachen, und wunderte sich, warum sie das störte.

Mel strahlte sie zufrieden an. „Du wirst sehen, Kelly, das wird großartig."

„Oh ja, großartig. Ganz bestimmt." Plötzlich bemerkte sie, wie ihr Kopf schmerzte. „Mel, bitte, können wir jetzt gehen?"

„Ein bisschen solltest du noch aushalten."

Vom unteren Deck war Musik zu hören. Leute riefen durcheinander, Gelächter erschall, und dann fanden sich die Pärchen auf der Tanzfläche ein.

„Nimm noch einen Drink, Kelly", schlug Mel vor.

„Nein, bitte nicht. Ich habe Kopfschmerzen. Ich möchte jetzt für mich sein. Du kannst ruhig hier bleiben, Mel. Ich finde schon allein zum Hotel zurück."

„Kelly..."

„Ich werde den Vertrag unterschreiben. Weil ich dir vertraue, Mel. Wenn du überzeugt bist, dass es richtig ist, dann unterschreibe ich. Aber lass es für heute Nacht genug sein, bitte. Meine schöne, heile Welt ist ganz plötzlich zusammengebrochen, verstehst du?"

Als sie in sein Gesicht sah, wurde ihr Ton bittend. „Vergib mir, dass ich dir heute so wenig hilfreich gewesen bin. Aber ich möchte jetzt wirklich gehen."

„Ist schon gut, Kelly. Ich begleite dich zum Hotel."

„Das brauchst du nicht, Mel. Wenn du noch bleiben willst..."

Er schaute sie ernst an. „Ich werde dafür sorgen, dass du sicher zurück ins Hotel kommst. Ich bin kein Held, aber ich würde dich mit allen Mitteln beschützen, wenn dir jemand zu nahe käme."

„Ich habe keine Angst", versuchte Kelly ihn zu beruhigen.

„Aber ich habe Angst. Dann beschützt du eben mich."

Sie brachte es fertig, sich von einigen Leuten auf dem oberen Deck zu verabschieden und dabei freundlich zu lächeln. Dass sie allein aus der Erleichterung heraus lächelte, endlich von der Jacht herunter zu kommen, musste ja niemand wissen. Als sie über die Gangway auf die Pier hinunter stieg, hatte sie das Gefühl, als würde sie beobachtet. Unten drehte sie sich kurz um, doch niemand schenkte ihnen die geringste Beachtung.

„Was ist los?" fragte Mel.

„Nichts, überhaupt nichts." Aber sie zitterte. „Ich habe mich nur umgesehen, ob uns jemand folgt." Sie hakte sich bei Mel ein. „Aber ich habe ja dich als meinen Beschützer."

„Ganz richtig, meine Liebe. Dann also vorwärts." Er führte sie zu der Limousine mit Fahrer, die sie hergebracht hatte und die sie jetzt wieder zum Hotel bringen würde.

Mel sah mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck zu der Jacht zurück.

„Was ist mit dir, Mel?" fragte Kelly.

Er schüttelte sich, als ob er etwas abstreifen wolle. „Ich weiß nicht. Ich glaube, mir ist gerade klar geworden, dass auch ich anfange, mir Sorgen um dich zu machen."

„Das brauchst du wirklich nicht."

Er nickte. „Ich gebe mir Mühe. Aber ich werde erst aufatmen, wenn wir mit den Dreharbeiten zu dem Video beginnen. Sie finden auf einer kleinen, privaten Insel statt. Da kann nichts passieren."

„Kein Mensch ist hinter mir her, Mel. Und niemand wird mir zu nahe kommen", versicherte Kelly. Aber während sie das sagte, verspürte sie eine seltsame Kälte. Und sie fragte sich, ob sie diese Worte nicht noch einmal bereuen würde.

Marc Logan saß vor dem Fernseher und sah sich eine Folge von Valentine Valley an. Er konnte sich kaum erinnern, seit wie vielen Jahren er diese Serie schon regelmäßig verfolgte. Natürlich nicht zur normalen Sendezeit, da war er im Büro und hatte zu arbeiten. Er nahm die Folgen jeweils auf Video auf, weil er die Serie über alles schätzte. Das war natürlich sein Privatvergnügen und ging andere Leute nichts an.

Die Serie lief nachmittags um vierzehn Uhr. Wenn er es irgendwie einrichten konnte, guckte er die aufgezeichnete Folge noch am selben Abend. Manchmal, wenn er zu sehr beschäftigt war oder verreisen musste, sah er sich alle Folgen einer Woche hintereinander an.

Es war spät. Auch die letzten Gäste waren gegangen. Er fühlte sich sehr zufrieden, das war ein ganz besonderer Abend gewesen. Er hatte Kelly schon früher gesehen, aber heute war sie als Gast auf seiner Jacht gewesen. Und sie hatte zugesagt, in seinem Video mitzuwirken. Nun, für die meisten würde es ein

Video von Kill Me Quick sein. Aber das störte ihn nicht, für ihn war es sein Video.

Valentine Valley hatte oft unterschiedliche Emotionen bei ihm ausgelöst. Manchmal hatte ihn die Serie zum Weinen gebracht, dann wieder hatte sie ihn geärgert oder ihn lachen und sich glücklich fühlen lassen, dass er lebte. Er fand die Serie ungeheuer realistisch. Das faszinierte ihn. Und Maria Valentine konnte so überzeugend sein! Manchmal karikierte sie perfekt und spitz all diese selbstgerechten Psychologinnen, die für jede Lebenslage den passenden Ratschlag parat hatten. Eingebildete Weiber, die vom wahren Leben nichts verstanden und wahrscheinlich nicht einmal begriffen, wie gekonnt sie von Maria Valentine vorgeführt wurden.

Er spielte die neueste Episode ab, bis ihm einfiel, dass Maria Valentine darin ja gar nicht zu sehen war. Also spulte er zurück bis zu den Folgen der vergangenen Woche. Er war dabei gewesen, als die letzte Folge mit Kelly gedreht wurde. Als sie gestürzt und auf den Abhang zugerollt war. Sie hätte tot sein können! Aber was für eine spannende Folge. Er war sicher, dass sie alle Zuschauerrekorde gebrochen hatte. Und er stellte sich vor, wie die Produzenten sich wegen des Vorfalls die Haare rauften. Kelly war einfach Klasse.

Er ließ das Band zurück laufen, bis er die Episode gefunden hatte, in der sie zum ersten Mal als Psychologin aufgetreten war. Was für eine Schauspielerin! Sie spielte die Maria Valentine einfach perfekt selbstgefällig und blasiert. Und unglaublich gut. Sie hielt all diesen Idiotinnen, die glaubten, die Stimme der Weisheit in ihrem Ohr flüstern zu hören, den Spiegel vor.

„Was haben wir denn da?" Maria ließ sich in ihren Sessel sinken und begutachete mit ernster Miene die Papiere in ihrer Hand. Die roten Haare fielen ihr in die Stirn. „Hier ist meine Antwort für Sarah in Ohio. Sarah, ich hoffe, Sie hören mir jetzt zu, weil ich Ihnen etwas Wichtiges zu sagen habe. Verlassen Sie ihn! Hören Sie mich? Verlassen Sie diesen nichtsnutzigen, miesen Lumpen. Sie wissen doch, wie er sich in der Vergangenheit aufgeführt hat. Was, glauben Sie, wird er in Zukunft tun? Seien Sie mal ernst. Erinnern Sie sich daran, dass ich mal gesagt habe, Schwachsinn zeige sich darin, dass jemand denselben Unsinn immer und immer wieder macht? Und, meine Liebe, wenn Sie zur Tür hinausgehen, sollten Sie bereits Kontakt mit einem guten Anwalt aufgenommen haben. Machen Sie diesem erbärmlichen Halunken die Hölle heiß, mit allem, was das Gesetz Ihnen an Möglichkeiten bietet. Kurz gesagt, skalpieren Sie ihn. Werden Sie nicht schwach, kennen Sie keine Gnade, Sarah, verstanden? Er hat es nicht anders verdient."

Logan lachte laut auf. „Oh ja, Baby, gib es ihnen!"

Er schüttelte über sich selbst den Kopf. Okay, er war ein komischer alter Kauz, der mit Hilfe von Schönheitschirurgen seiner verlorenen Jugend hinterherlief. Das entscheidende Wort für ihn war Reichtum. Er hatte es sich leisten können, sein eigenes Filmstudio und ein eigenes Schallplattenlabel zu gründen. Und er konnte sich sogar den exorbitanten Preis für ein hochklassiges Musikvideo leisten, obwohl er sich ganz schön über die hohen Kosten erschrocken hatte. Aber wenigstens erfüllte er sich seine Träume. Er war der Mann, der ein Musikvideo produzierte, in dem Kelly Trent die Hauptrolle spielte.

Er stand auf und dachte amüsiert, dass er stets bekam, was er wollte. Musik hatte er immer geliebt. Und nichts ging über einen leidenschaftlichen Tango.