6. KAPITEL

Als Doug O'Casey in den Saal zurückkam, merkte man ihm an, dass er verärgert war.

„Wer war das am Telefon? Gibt es ein Problem?" erkundigte sich Mel.

Doug schüttelte den Kopf. „Ein Typ hat nach Kelly gefragt und dann aufgelegt." Er sah Kelly an. „Tut mir Leid."

Kelly erwiderte seinen Blick erstaunt, zuckte dann aber mit den Achseln. „Ich bezweifle, dass es etwas Wichtiges war. Kaum jemand weiß, dass Mel und ich heute hier sind. Wenn Freunde mich erreichen wollen, rufen sie meine Handynummer an."

„Sicher", sagte Doug, aber seine Augen blieben nachdenklich und wachsam auf Kelly gerichtet. Er sah sie an, als ob er irgend ein Geheimnis ergründen wolle. Sie fühlte sich unbehaglich. Sie war sich sicher, dass sie noch nie im Leben derartig intensive, blaue Augen gesehen hatte. Und wenn er sie so anblickte wie jetzt, fühlte sie sich gleichzeitig angezogen und beunruhigt. Von diesem Mann ging eine unglaubliche Energie aus, und nichts schien seiner Aufmerksamkeit zu entgehen. Er wirkte auf sie wie eine Kobra, die jederzeit bereit war, zuzubeißen.

Gleichzeitig jedoch strahlte er etwas aus, das ihr ein Gefühl von Sicherheit gab. Er war muskulös, mit blitzschnellen Raubtierreflexen ausgestattet, und es schien nichts zu geben, was ihn aus der Ruhe bringen konnte. Kelly wurde bewusst, dass sie ihn äußerst attraktiv und anziehend fand. Und das machte ihr Angst. Ja, sie verspürte tatsächlich so etwas wie Angst vor der Nähe dieses Mannes. Oder war es eher eine Angst vor sich selbst?

Mel räusperte sich, und Kelly wurde plötzlich bewusst, dass sie und Doug sich einen Moment zu lange wortlos angestarrt hatten. Lange genug jedenfalls, dass es Mel aufgefallen war.

„Ist das die letzte Gruppe?" fragte Mel. Er zeigte auf die Tänzerinnen und Tänzer, die ihre Darbietungen beendet hatten und jetzt schwer atmend auf der Tanzfläche saßen.

„Ja, jetzt müssen sie die Auswahl treffen", antwortete Doug.

„Ich wüsste nicht, wie ich da entscheiden sollte", seufzte Kelly.

„Oh, keine Sorge. Sie brauchen ja keine Entscheidungen zu treffen, Sie müssen niemand rauskicken", sagte Doug. „Das ist Jane Ulrichs und Herb Essens Job."

Zum Glück, dachte Kelly. Aber war da eben nicht ein feixender Unterton in Dougs Stimme gewesen? Sie spürte, wie ihre Lippen zitterten. „Nicht, dass ich mich nicht durchsetzen könnte, wenn es sein muss", beeilte sie sich zu sagen.

„Gut für Sie", sagte Doug. „Ja, richtig, Sie sind ja aus Kalifornien. Da löst man Probleme mit Joga, Taebo oder Taek Wan Do, richtig?"

„Doug", sagte Jane vorwurfsvoll. Offensichtlich hatte er gar nicht bemerkt, wie aggressiv seine Worte geklungen hatten.

Warum zum Teufel attackierte er sie so? Er war doch selbst Tänzer, also ebenfalls Teil des Showgeschäfts. Er hatte kein Recht, so zu tun, als ob Kelly in einer nutzlosen, künstlichen Plastikwelt lebte.

„Sie sind offensichtlich noch nie in Kalifornien gewesen, Mr. O'Casey", konterte Kelly mit deutlich spürbarem Sarkasmus in ihrer Stimme.

„He, Doug ... Jane", rief Herb Essen von der Tanzfläche herüber und winkte ihnen zu.

„Entschuldigen Sie uns bitte", sagte Jane. „Ich bin wirklich Ihr größter Fan, Miss Trent. Es war mir ein großes Vergnügen, Sie kennen zu lernen. Aber das hören Sie bestimmt jeden Tag ..."

„Sie sind sehr freundlich, Jane, ich fühle mich wirklich geschmeichelt. Das Vergnügen war ganz meinerseits."

Doug O'Casey nickte ihr zu, ein wenig zu betont förmlich, wie Kelly fand, und ging mit Jane zur Tanzfläche hinüber. Kelly fragte sich, welche Beziehung zwischen Doug und Jane bestand. Sie schienen sich wirklich sehr gut zu kennen, und doch ...

„Können wir jetzt gehen?" fragte sie Mel.

„Natürlich ... außer, du willst noch etwas mehr sehen", antwortete er.

„Wieso? Ich bin doch schon eingeschüchtert und entmutigt genug", erwiderte Kelly trocken. „Du bist wirklich ein guter Agent, weißt du das? Du hast mir beigebracht, dass ich niemals vor anderen Leuten Unsicherheit zeigen soll, richtig? Also werde ich mir Mühe geben, mir meine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen."

Mel lachte und tätschelte ihr freundschaftlich die Hand. „Du schaffst das schon, Kelly. Ich weiß, wie sehr dich die Ereignisse der letzten Wochen mitgenommen haben. Aber wenn sich eine Tür schließt, dann geht eine andere auf. Und wir sind gerade dabei, durch eine große, neue Tür zu gehen."

„Ich bin über das Gefühl, etwas verloren zu haben, schon hinweg."

„Das ist gut. Deshalb wird dies auch für dich eine tolle Sache werden. Betrachte es einfach als ein Abenteuer."

„Du redest wie die gute Fee im Märchen, Mel. Ich danke dir für deine Unterstützung. Ich sage dir, ich werde gut sein. Es wird harte Arbeit erfordern, aber das macht mir nichts aus, das bin ich gewöhnt. Es wird eine ganz neue Erfahrung für mich sein."

Sie straffte ihre Schultern und sah ihn an. Zum Teufel mit diesem eingebildeten Tanzlehrer! Sie hatte nicht darum gebeten, in dem Video auftreten zu dürfen. Andersrum wurde ein Schuh daraus, sie hatten sie mit allen Mitteln dazu überredet.

„Die beiden werden jetzt etwas vortanzen, was du in dem Video auch ungefähr so machen wirst. Lass uns noch ein paar Minuten zusehen", meinte Mel.

Die Musik erklang wieder. Doug und Jane waren jetzt allein auf der Tanzfläche. Die beiden wirkten wie aus einem Guss, wunderbar aufeinander eingespielt. Ihre Bewegungen waren exakt abgestimmt, auf den Bruchteil einer Sekunde. Arme, Beine, Füße, jeder Muskel war angespannt. Kelly seufzte innerlich.

„Das schaffe ich nie", flüsterte sie Mel ins Ohr.

„Ach, mach dich nicht lächerlich."

„Mel, die beiden tanzen offensichtlich seit einer Ewigkeit zusammen. Sie sind wie Fred Astaire und Ginger Rogers. Und du glaubst wirklich, ich kann das in ein paar Wochen auch nur annähernd lernen?"

„Es sind Videoaufnahmen. Wenn es mal nicht ganz klappt, wird die Szene noch mal gedreht. Und dann sind da auch noch die Background-Tänzer und die Band. Die Choreographie ist völlig anders als hier."

„Das klingt ja wenigstens ein bisschen ermutigend", murmelte Kelly.

„Es wird schon klappen."

„Aber sicher. Vielleicht sollte ich in meinem nächsten Film als Basketball-Profi auftreten, wenn ich das hier hinter mir habe."

„Kelly, Kelly, Kelly."

„Mel, Mel, Mel."

„Hast du vielleicht eine bessere Idee, was deine Zukunft angeht?"

Sie schaute ihn an. „Nein", gab sie zu.

Er grinste. „Dann hör endlich auf, dich zu quälen. Stell dir einfach vor, dass du nach dem Video deinen vielen Talenten ein weiteres hinzugefügt hast. Wie klingt das?"

„Umwerfend", beteuerte sie.

Mel sah auf die Uhr. „Wir fahren jetzt los, um zu packen. Ich muss noch ein paar Dinge erledigen. Und dann müssen wir auch schon zum Flughafen."

„Nach Hause", seufzte sie erleichtert.

Mel winkte kurz zur Tanzfläche rüber. Ohne viel Aufsehen verschwanden sie durch die Tür.