„Nun, wie war die Party?" fragte Quinn.
Doug zuckte mit den Achseln und sah seinen Bruder und Jake Dilessio mit einem breiten Grinsen an. „Was man von so einer Party erwarten kann. Wirklich alles, was man von so einer Party erwarten kann. Total stereotyp, wie aus dem Handbuch."
„Total stereotyp", sagte Jake und ahmte Dougs Schulterbewegung nach. „Das heißt, jede Menge zu trinken, viele hübsche, leicht bekleidete Mädchen, eine Millionen-Dollar-Jacht. Da musst du dich ja wirklich entsetzlich gelangweilt haben, Junge."
„Die Getränke waren bestimmt erstklassig ... denke ich mir, denn ich habe nichts getrunken." Doug lehnte sich zurück. „Die Mädchen waren okay, aber ein bisschen zu freizügig. Die Jacht war Spitze, der Besitzer ein mieser Typ."
„Kein Abend nach deinem Geschmack, was, Doug?" feixte Quinn. „Ich dagegen habe eine aufregende Nacht damit verbracht, aus meinem Dienstwagen ein Haus zu beobachten, in dem absolut nichts passierte. Wie war dein Abend, Jake?"
„Ziemlich traurig", gestand Jake. „Wir haben in der neuen Siedlung einen Jungen aufgesammelt, dessen Freundin sich gedacht hatte, er könne sie nicht mehr betrügen, wenn sie ihm den Schwanz abschneidet. Also ging sie mit dem Messer auf ihn los, verfehlte aber ihr Ziel und schlitzte ihm die Schlagader am Oberschenkel auf. Jetzt ist er tot. Und sie sitzt im Gefängnis und erwartet ihren Prozess."
„Dann hattest du den schlechtesten Abend von uns dreien", gab Doug zu und sah hinaus auf die Bucht. Sie aßen bei Nick 's zu Abend, einem rustikalen Restaurant am Hafen, in das Leute gingen, die ein Boot hatten und auch solche, die kein Boot hatten.
Jake Dilessio, der mit der Nichte von Nick, dem Besitzer, verheiratet war, hatte ganz in der Nähe einen Liegeplatz für sein Boot. Jake und seine Frau Ashley waren bei der Polizei, sie in der Gerichtsmedizin und er bei der Mordkommission. Dougs Bruder Quinn wohnte in den Keys, dem Landschaftsschutzgebiet außerhalb der Stadt. Er war Privatdetektiv. Aber da es in den Keys meist sehr ruhig war und viele Fälle, die Quinn bearbeitete, Nachforschungen in Miami und der dicht besiedelten Gegend um die Stadt notwendig machten, hatte er ebenfalls einen Liegeplatz hier und benutzte sein Boot als zweiten Wohnsitz. Quinn hatte mehrere Jahre für das FBI gearbeitet. Aber dann war er nach Hause zurückgekehrt und hatte mit Freunden eine Privatdetektei gegründet.
Doug hatte einige Mühe gehabt, sich die Anerkennung seines älteren Bruders, aber auch die von Jake und dessen Kollegen zu erhalten. Sie alle waren völlig überrascht gewesen und hatten ihn schlicht für verrückt erklärt, als er plötzlich seinen Job bei der Polizei aufgab, um Tanzen zu seinem Beruf zu machen. Seine Ausbildung hatte er in dem Tanzstudio erhalten, das Quinns Frau Shannon gehörte. In diesem Studio arbeitete Doug jetzt zusammen mit seiner Partnerin Jane Ulrich als Tanzlehrer. Und mit Jane trat er auch bei Tanzwettbewerben auf.
Quinn blickte Doug mit einem amüsierten Lächeln an. „Du hast die Jacht erwähnt, den Millionär, das Trinken und die Mädchen. Und was ist mit dem kleinen Fernsehstar?"
„Sie ist alles andere als klein. Ich schätze sie auf ungefähr einen Meter achtzig", meinte Doug.
„Wahrscheinlich unglaublich dünn, wohl der magersüchtige Typ", spekulierte Quinn.
„Schlank ... ja. Aber sie hat eine gute Figur", erwiderte Doug.
„Ist sie nett oder ein Biest?" erkundigte sich Jake.
„Weiß ich noch nicht. Wir haben nur kurz miteinander gesprochen."
„Was ist mit ihrem Haar?" wollte Quinn wissen. „Ist es tatsächlich rot?"
Doug lächelte. „Sieht echt aus."
„Hast du jemals ihre Serie gesehen, Quinn?" fragte Jake.
„Wenn es so wäre, würde ich es bestimmt nicht zugeben", lachte Quinn.
„Ich auch nicht", gestand Jake. „Aber jeder bei uns auf der Polizeiwache schien sie zu kennen, als wir die Hinweise über sie erhielten."
„Was für Hinweise denn?" fragte Doug überrascht.
Jake zuckte mit den Achseln. „Kelly Trents Managerin, eine Ally Bassett, hat sich mit der Polizei in Miami in Verbindung gesetzt. Sie wollte, dass Miss Trent rund um die Uhr Personenschutz erhält. Dieser Unfall kürzlich bei den Dreharbeiten hat sie wohl nervös gemacht."
Doug lehnte sich gespannt vor. „Was für ein Unfall?"
„Ein Unfall, der genau wie ein Unfall aussah", antwortete Quinn.
„Liest du denn auch keine Zeitungen, Doug?" lachte Jake.
„Natürlich lese ich Zeitungen", erwiderte Doug ungeduldig und sah Jake auffordernd an. „Was für Zeitungen meinst du?"
Jake grinste. „Nun ja, hauptsächlich die Sensationsblätter. Aber sämtliche Zeitschriften, die über das Showbusiness und die Prominenz berichten, haben die Sache ebenfalls ausgeschlachtet. Sie haben irgendwo in Los Angeles in einer neuen Wohnanlage gedreht. Sie kam auf einem Sandhaufen ins Rutschen und wäre beinahe über einen Abhang gegangen. Die Polizei hat die Sache untersucht, konnte aber keine Hinweise finden, die auf mehr als einen Unfall deuten. Aber es scheint so, dass sie früher schon mal Probleme bei den Dreharbeiten hatten. Vor dem Hintergrund, und wegen einiger Morddrohungen, die Kelly Trent erhalten hat, wurden die Managerin und der Agent von Miss Trent mächtig unruhig."
„Morddrohungen? Gegen den Star einer Fernsehserie?" staunte Doug. Er war wütend. Ally Bassett hatte ihm gegenüber zwar den Unfall erwähnt und dass sie und Kellys Umgebung sich Sorgen um ihren Star machten. Aber sie hatte nichts von Drohungen gesagt.
Quinn sah Jake an. „Mein kleiner Bruder scheint sich tatsächlich nie Fernsehserien anzusehen."
Doug nickte zustimmend. „Stimmt genau. Aber ihr scheint ja bestens informiert zu sein und täglich vor dem Bildschirm zu hocken. Aber sagt mir eins: Warum sollte jemand einen Serienstar töten wollen?"
„Warum wollen überhaupt Leute andere Leute umbringen?" murmelte Jake.
„Also, Jungs, nun mal ernsthaft", sagte Doug. „Leute töten aus Habgier, Leidenschaft und Furcht. Was ist das Motiv, das ist die Frage, die immer als Erstes zu stellen ist. Außer natürlich, man hat es mit einem Psychopathen zu tun. Aber auch dann gibt es meist ein Motiv. Sexuelle Befriedigung durch Gewalt oder etwas ähnliches."
„Hass", warf Quinn ein.
„Warum sollte jemand einen Fernsehstar hassen?" wunderte sich Doug.
„In diesem Fall scheint es aber so zu sein," sagte Jake. „Das FBI beschäftigt sich gerade mit mehreren Morden an verschiedenen Tatorten."
„Alles Stars?"
„Moderatorinnen von Ratgebersendungen, Gastgeber von Talkshows, solche Leute."
„Und was hat das mit Kelly Trents Serie zu tun?" wollte Doug wissen.
Quinn grunzte leise und schüttelte den Kopf. „Du solltest dir wirklich mal eine Folge von Valentine Valley anschauen, dann wüsstest du es."
„He", protestierte Doug. „Mir wurde ein Job als Tanztrainer angeboten, Quinn. Deine Frau hat mich dafür vorgeschlagen. Und die Bezahlung ist tatsächlich erstklassig. Zugegeben, es hat mich auch gereizt, dass ich gleichzeitig ein bisschen auf sie aufpassen soll. Aber deswegen muss ich mir doch diese Serie nicht ansehen."
„Mal im Ernst, Doug", sagte Jake. „Diese Leute bekommen Unmengen von Zuschauerpost. Viele Briefe sind bösartig, manche enthalten sogar Drohungen. Offensichtlich können viele Zuschauer zwischen den Schauspielern und den Rollen, die sie verkörpern, nicht unterscheiden. In letzter Zeit ist die Zahl der Drohungen gegen deinen Schützling enorm gestiegen. Und zwar seitdem Maria Valentine - das ist die Rolle, die Kelly verkörpert - eine Art Psychologin spielt. Eine ziemlich unsympathische Psychologin, ganz nebenbei."
„Was wird die Polizei unternehmen?" fragte Doug.
„Viel können wir nicht machen. Miss Trent ist zum Beispiel nicht selbst zu uns gekommen, um Schutz anzufordern. Aber wegen der Dinge, die bereits passiert sind, können wir die Sache nicht einfach ignorieren. Miss Trent wohnt in einem Hotel am Strand. Das Gebäude hat einen hauseigenen Sicherheitsdienst. Die Polizeibeamten in der Gegend werden sich häufiger mal in der Nähe des Hotels sehen lassen. Sie scheint nicht akut gefährdet, aber du solltest trotzdem wachsam sein, Doug."
„Ich werde die Augen offen halten. Vor allem nach dem, was ihr mir gerade erzählt habt. Und das ist immerhin mehr als ihre Managerin mir hat sagen wollen."
„Miss Trent ist bei dir in guten Händen. Übrigens: Die Kollegen bei der Polizei vermissen dich, weißt du das?" schloss Jake das Thema ab.
„Du kannst jederzeit bei mir in die Detektei einsteigen", sagte Quinn.
„Ich bin sehr zufrieden mit dem, was ich jetzt mache", erwiderte Doug. Das stimmte wirklich, und doch ...
„Verdammter Hundesohn", murmelte Jake zwischen den Zähnen hindurch und starrte an Doug vorbei hinaus auf die Pier.
„Was ist?" Doug sah in fragend an.
„Da drüben. Das ist Kevin Lane."
„Ja, tatsächlich", bestätigte Quinn.
Da Quinn und Jake nichts weiter sagten, hakte Doug nach. „Also, ich bin nicht mehr so auf dem Laufenden. Was ist los mit Kevin Lane?"
„Er ist einer der Großen im Rauschgiftgeschäft. Aber wir konnten ihm bisher nie etwas nachweisen. Er wird gesucht im Zusammenhang mit dem Mord an Leon Thibault", erklärte Jake.
Doug hätte sich fast mit einem Ruck umgedreht, beherrschte sich aber im letzten Moment. Leon Thibault war eine Schlüsselfigur des organisierten Verbrechens gewesen. Er war vor drei Wochen tot mit einer Kugel im Hinterkopf aufgefunden worden, hinter dem Steuer seiner Jaguar-Limousine. Kurze Zeit später war eine neue Droge namens Sweet Coke in Miami aufgetaucht, eine Substanz, die man heimlich in Drinks mischte und die jeden, der das Zeug trank, willenlos und gefügig machte wie ein kleines Kind.
„Was habt ihr gegen ihn in der Hand?" erkundigte sich Doug.
„Es gibt einen Zeugen, der ihn am Tatort gesehen hat", raunte Jake.
„Liegt ein Haftbefehl gegen ihn vor?" wollte Doug wissen.
„Ja.“
„Dann schnappen wir ihn uns doch", schlug Quinn vor. „Ich nehme ihn von rechts."
„Ich von links", sagte Jake.
„Dann gehe ich direkt auf ihn zu", verkündete Doug.
„Du spielst in dem Spiel nicht mehr mit", erinnerte ihn Jake.
„Quinn ist ebenfalls kein Polizist, sondern Privatdetektiv", wandte Doug ein.
„Ja, aber er war ..."
„Willst du den Typ nun festnehmen oder nicht, Jake? Dann lass mich mitmachen. Jeder Bürger ist verpflichtet, aktiv für Recht und Ordnung einzutreten."
„Ich gehe davon aus, dass er bewaffnet ist", warnte Jake.
„Und ich wette, dass ihr beide das ebenfalls seid", konterte Doug.
Sein Bruder machte eine ungeduldige Geste mit der Hand. „Also los jetzt."
Sie standen auf. Quinn und Jake wandten sich nach links und rechts, Doug ging direkt mitten auf die Pier. Eine attraktive, junge Blondine stöckelte auf eins der Boote zu. Lane folgte ihr offensichtlich.
„He, Lane." Doug wollte ihn mit seinem Ruf stoppen, bevor er zu dicht an die junge Frau herangekommen war.
Lane blieb stehen und sah sich um. „Wer zum Teufel sind Sie?"
Kevin Lane war zwischen dreißig und vierzig und trug teure Freizeitkleidung. Seine Shorts waren ausgefranst, stammten aber wahrscheinlich wie sein mit unzähligen kleinen Palmen bedrucktes Hemd aus einer dieser teuren Boutiquen in Bar Harbor. Sein Haar war schwarz und glatt zurückgekämmt, seine Haut tief gebräunt.
Doug antwortete nicht, ging aber weiter auf ihn zu. Er lächelte freundlich, als ob er einen Freund begrüßen würde.
„Was wollen Sie von mir?" rief Lane.
Doug antwortete auch jetzt nicht.
„Zum Teufel, wer sind Sie?" Lane machte eine Bewegung mit der Hand, als wenn er nach hinten in den Gürtel seiner Shorts fassen wollte.
Doug musste nicht mehr antworten, denn hinter Lane tauchte plötzlich Quinn auf. „Er ist mein Bruder, wer sonst?"
Lane fuhr herum. „O'Casey", presste er zwischen den Zähnen hervor. „Was wollen Sie von mir? Sie sind kein Cop, also warum verschwinden Sie nicht von hier? Und nehmen Sie ihren Bruder gleich mit, sonst passiert ihm noch was. Oder ist er etwa vom FBI, der CIA, oder so was?"
„Nein, er ist Tanzlehrer", sagte Quinn.
„Aber ich bin Polizist", war nun Jake zu hören, der von der anderen Seite herankam. „Und Sie, Lane, sind hiermit festgenommen ..."
Lane fuhr herum, zog einen Revolver und richtete ihn auf Jake.
„Ich schieße nicht gern auf Cops, wenn es nicht sein muss."
Doug schätze die Entfernung zwischen Lane und sich ab, dann handelte er blitzschnell. Lane versuchte noch, sich umzudrehen, aber er kam nicht mehr dazu, den Revolver auf Doug zu richten oder zu schießen. Doug umklammerte seine Arme und schob ihn über die Kante des Piers. Das Wasser spritzte auf, als sie versanken.
Mit dem Revolver in der Hand mochte er ein starker Mann sein, aber für seine körperliche Fitness hatte Lane viel zu wenig getan. Ein Schlag gegen sein Kinn, als sie auftauchten, genügte, und er war besinnungslos. Doug nahm ihn in den Rettungsschwimmergriff und schwamm mit ihm zu einer Stelle, an der eine Leiter zur Pier hinaufführte. Jake griff zu und zog Lane aufs Trockene. Quinn reichte seinem Bruder die Hand und half ihm nach oben.
„Das war ziemlich leichtsinnig", meinte er.
„Aber es hat funktioniert", keuchte Doug.
„Wenn du verletzt oder gar getötet worden wärst... ich hätte unserer Mutter nie wieder unter die Augen treten dürfen."
„He, ich bin schon seit einigen Jährchen volljährig", lachte Doug. „Er hätte Jake erschießen können. Wenn du in meiner Position gewesen wärst, hättest du genau so gehandelt."
Dagegen konnte Quinn wenig einwenden. Sie standen auf der Pier, aus Dougs Kleidung triefte das Wasser, und um sie herum bildete sich langsam eine Menschenmenge. „Bitte gehen Sie weiter. Es gibt nichts zu sehen. Dieser Gentleman hier macht jetzt einen Ausflug zur Polizeiwache."
Lane kam wieder zu Bewusstsein und blinzelte verwirrt. Er sah Doug an. „Tanzlehrer, wie?" stieß er gehässig hervor.
„Ich bin wirklich Tanzlehrer", bestätigte Doug.
„Oh, ich hatte vergessen, Ihnen zu sagen, dass er früher mal Cop war", sagte Quinn. „Hatte ich glatt vergessen. Der Beste in seinem Jahrgang auf der Polizeiakademie."
„Los jetzt", sagte Jake.
„Brutaler Übergriff der Polizei", knurrte Lane. „Dafür sehen wir uns vor Gericht wieder."
„Nicht eher der brutale Übergriff eines Tanzlehrers?" Dann verschwand das Grinsen aus Jakes Gesicht. Er zog die Handschellen hervor und nannte Lane seine Rechte.
„Ich schwöre dir, mir geht es gut, wirklich gut", beteuerte Kelly.
Sie frühstückten auf der Terrasse ihres Hotels. Es war Mai, die beste Zeit für Florida, bevor die Gegend unter der Gluthitze des Sommers erstarrte. Kelly musste zugeben, dass es wunderbar hier war. Kein Wölkchen trübte den tiefblauen Himmel. Und die Leute um sie herum waren fröhlich und ausgelassen.
Das kleine, aber exquisit eingerichtete Hotel, das Mel für sie gebucht hatte, lag, nur durch eine schmale Straße getrennt, direkt am Strand. Von der Terrasse aus hatten Kelly und Mel die Leute mit Rollerskates beobachtet, darunter etwas seltsam anmutende Mädchen in Bikinis und mit dicken Socken und Knie-und Ellbogenschützern. Eben waren einige ältere Damen mit Blumenhüten und zwei winzigen Hunden, die sie abgöttisch zu lieben schienen, vorbei gekommen.
Aber das Angenehmste war, dass niemand sich darum zu scheren schien, wer der andere war, was er machte und woher er kam. Die Leute lächelten sich an und riefen völlig Fremden einen Morgengruß zu. Ein paar Bauarbeiter winkten einem offensichtlich schwulen jungen Mann zu, ohne jedes Anzeichen von Häme oder Abneigung. Und die alten Damen waren ganz entzückt, als eine dunkelhaarige südamerikanische Schönheit - mit einem winzigen Bikini so gut wie unbekleidet - sich zu den Yorkshireterriern hinunterbeugte und sie mit vielen Ahs und Ohs streichelte. Englisch, Spanisch und auch Portugiesisch waren durcheinander zu hören, das Letztere ein Beweis für die wachsende Zahl von Brasilianern, die sich seit einiger Zeit hier niederließen.
Kelly fühlte sich ausgesprochen wohl. Und sie hätte das alles noch mehr genießen können, wenn sie tatsächlich nur Urlaub machen würde. Aber so konnte sie ihren Kopf nicht von den Gedanken an die Zwangspause freimachen, die man ihr verordnet hatte. Und dann war da auch noch das Video ...
Mel legte leicht seine Hand auf ihren Arm. „Kelly, du wirst sehen, es wird alles gut."
Kelly seufzte. Mels Fürsorge rührte sie. „Habe ich dir schon mal gesagt, dass du ein ganz besonderer Agent bist? Die meisten anderen hätten in dieser Situation, aus Angst davor, auf einem sinkenden Schiff zu sitzen, den Telefonhörer abgenommen, mir erzählt, sie hätten einen neuen Job für mich, und mir gesagt, ich solle gefälligst hingehen und unterschreiben oder es lassen."
„Ich habe als dein Agent gut verdient in den letzten Jahren, meine Liebe, das weißt du doch."
Aber Mel war trotzdem etwas ganz Besonderes, dachte Kelly.
„Okay, es wird also alles gut. Was machen wir als Nächstes?"
„Du unterschreibst den Vertrag." Mel lehnte sich vor. „Wir können dann nach Los Angeles zurückfliegen, und du packst ein paar Sachen ein, bevor wir wieder herkommen."
Sie blickte sich um und genoss die Stimmung an diesem Morgen. Sie wusste, dass sie jetzt nicht länger zaudern durfte, sonst lief sie Gefahr, dass die anderen die Lust verloren, auf ihre Entscheidung zu warten. „Also gut", sagte sie.
„Und dann werden wir uns intensiv mit deiner weiteren beruflichen Zukunft beschäftigen, Kelly. Finanziell ist fürs Erste alles in warmen Tüchern. Für das Video zahlen sie dir eine sehr hohe Gage. Aber ehrlich, wegen des Gelds allein hätte ich dir nicht zugeraten, das zu machen. Ich bin überzeugt, es wird auch deiner Karriere nützen."
„Das hoffe ich."
Er wirkte nachdenklich. „Ich muss zugeben, ich konnte es erst selbst nicht glauben, dass sie dich aus der Serie herausnehmen. Offensichtlich machen sich die Leute, die zurzeit die Verantwortung tragen, mehr Sorgen um dich als ich gedacht habe."
Kelly starrte ihn an und rückte ihre Sonnenbrille zurecht. „Entweder das - oder ich hätte besser nicht zu dieser Verabredung mit Matt Avery gehen sollen."
„Gut möglich", meinte Mel und räusperte sich. „Er ist eben der Chef des Hauptsponsors. Er dreht ein großes Rad, aber persönlich ist er nichts als ein hochnäsiger, aufdringlicher, unreifer «
„Das trifft den Nagel auf den Kopf", stimmte Kelly zu. Nach ihrer ersten Verabredung mit Matt Avery war sie zu dem gleichen Schluss gekommen. Als sie ihn damals auf einer Party getroffen hatte, hatte er einen hervorragenden Eindruck auf sie gemacht. Groß, schlank - mit seinen intensiven grauen Augen und dunklen Haaren war er eine imponierende Erscheinung. Er war höflich, zuvorkommend und charmant gewesen. Als sie dann zu ihrer ersten Verabredung in sein Penthaus kam, wurde ihr schnell klar, dass er gar nicht die Absicht hatte, sie näher kennen zu lernen.
Er hatte teuren Champagner und ein Luxusdinner auffahren lassen. Und er erwartete offensichtlich, dass sie gleich nach dem Essen, möglichst noch auf dem Tisch, mit ihm schlief. Als sie nicht bereit war, sein Spiel mitzuspielen, hatte er sich bockig wie ein kleiner Junge verhalten. Ohne ihr Judotraining hätte sie es wohl kaum vermeiden können, vergewaltigt zu werden. Am Beginn des Abends hatte er Kelly wortreich von seiner Frau erzählt, die ihn verlassen hatte. Als der Abend zu Ende ging, war Kelly sich sicher, dass seine Ex-Frau einen weisen Entschluss gefasst hatte.
Wenn sie daran dachte, dass es offenbar Matt Avery gewesen war, der sie in die Wüste geschickt hatte, ging es ihr gleich besser. Der Gedanke brachte sie in Rage, und das war viel besser, als sich mit dem Gefühl von Hilflosigkeit und Unverständnis herumzuquälen.
„Wo ist der Vertrag?" fragte sie.
„In meinem Zimmer", sagte Mel.
„Ich nehme an, du hast ihn schon eine ganze Zeit."
Er zog die Brauen hoch und nickte dann. „Stimmt. Und ich bin überzeugt, es ist eine gute Sache. Aber wenn du absolut dagegen gewesen wärst, hätte ich deine Entscheidung natürlich akzeptiert. Ich habe den Vertrag schon seit ein paar Tagen. Ich habe ihn gleich gelesen und noch ein paar Änderungsvorschläge in deinem Sinne gemacht. Sie haben alles akzeptiert. Du wirst sehen. Ich würde dich niemals einen Vertrag unterschreiben lassen, ohne das Beste für dich herausgeholt zu haben."
Sie lächelte. „Das weiß ich." Sie trank ihren Kaffee aus. „Also, dann lass uns hinaufgehen und das verdammte Ding unterzeichnen. Und was dann?"
„Dann fahren wir zu einem der alten Hotels im Norden der Stadt, wo es einen großen Ballsaal gibt."
„Sollen dort die Dreharbeiten stattfinden?"
„Nein, dort findet die Auswahl der Tänzer statt."
Sie stöhnte auf. „Ich habe dir doch gestern Abend erklärt, dass ich nicht tanzen kann ..."
„Du musst ja nicht an den Ausscheidungen teilnehmen, Kelly", wandte Mel geduldig ein. „Sie stellen nur die Tanztruppe für den Background zusammen. Gedreht wird auf Dead Man's Key, einer kleinen Privatinsel."
„Sag mir, dass das kein Scherz ist", entfuhr es Kelly.
„Die Insel heißt tatsächlich so", grinste er.
Sie starrte ihn an und schüttelte den Kopf. „Ich mache ein Video mit der Gruppe Kill Me Quick für einen Song mit dem Titel Tango to Terror, und das auf einer Insel namens Dead
Man's Key. Meinst du nicht auch, dass das ein bisschen viel auf einmal ist?"
Mel nickte. „Ja, aber das ist wohl der besondere Kick an der Sache."
„Na, großartig. Phantastisch. Lass mich bloß schnell den Vertrag unterschreiben, bevor ich mir das alles noch mal überlege."
„Morgen fliegen wir nach Hause und bleiben ein paar Tage dort. Du packst alles zusammen, was du für einen längeren Aufenthalt hier brauchst. Die Inselwelt der Keys wird dir gefallen. Und den Job machst du mit links."
„Meinst du wirklich? Zuerst muss ich mal tanzen lernen, wenn ich wieder hier bin. Viel Zeit bliebt dann wohl nicht."
„Oh, ich wollte dir noch sagen, dass dein Tanztraining bereits in Los Angeles beginnt. Doug O'Casey kommt rüber. Und wenn du wieder herkommst, wird es sein, als ob du nie im Leben etwas anders gemacht hättest, als zu tanzen."
Sie zog die Brauen hoch. Was das betraf, hatte sie jedoch ihre Zweifel.