21
Wieder saßen sie um das Feuer im Zelt des Scheichs, Farrell diesmal allerdings weit unbequemer auf dem niedrigen Tisch mit den Kaffeemaschinen und dem Radio. Ein kleinwüchsiger Beduine namens Bushaq hatte seinen Rücken untersucht und versorgt. Von Hanan erfuhr Mrs. Pollifax, daß er die Befähigung eines Tahibs oder Arztes habe. Dann hatte er ihren Arm ausgewickelt. Sie beobachtete ihn heimlich amüsiert, denn sie hatte noch nie zuvor einen Beduinen mit Brille gesehen, aber sie fand es irgendwie anheimelnd. Er hatte den Arm abgetastet, hier und da gedrückt und dann erklärt - Hanan mußte übersetzen, da Bushaq nicht Englisch konnte -, daß keine Kugel in ihrem Arm zurückgeblieben war, aber daß sie sowohl Fleisch wie Blut eingebüßt hatte. Danach hatte er eine Schlinge für den Arm gefertigt und kräftigende Brühe für sie bereiten lassen. Nun wurde wieder der allgegenwärtige Kaffee in Täßchen serviert. Seit ihrer Rückkehr war ein Sandsturm aufgekommen. Der heftige Wind peitschte gegen die Seiten des bait sha'ar und spielte mit den Flammen in der Grube.
»Wir müssen jetzt miteinander reden«, wandte sich Farrell an Josefs Großvater. Das hatte er bereits bei ihrer Rückkehr gesagt, doch Scheich Jidoor hatte nicht darauf geachtet. Nun neigte er den Kopf und wartete. Farrell blickte Mrs. Pollifax an und forderte sie auf: »Sie fangen an, Herzogin. Schließlich sind Sie es, die sich ihrer Sache so sicher war.«
» Aber taktvoll«, ermahnte sie ihn. Zu Scheich Jidoor sagte sie wie beiläufig: »Sir, Sie erwähnten, daß Sie vor einiger Zeit eine kleine Gruppe Männer in der Wüste aufgelesen haben, die sich in großer Not befanden und von denen einer bereits tot war.«
Der Scheich blickte sie ausdruckslos an. »Na 'am.« »Mr. Farrell und ich möchten Sie gern fragen, ob einer von ihnen vielleicht Ibrahim heißt?«
Er sprach kurz mit dem Mann neben ihm. »Nein«, antwortete er schließlich.
Sie hörte Farrell leise fluchen.
»Dürfte ich Sie dann vielleicht nach ihren Vornamen fragen?«
»Mustafa und Dalshad«, erwiderte er knapp. Sie ging nicht
darauf ein, sondern sagte statt dessen: »Ich glaube, einer der Männer betrat gestern abend, während der Junge die Rababa spielte, das Zelt. Seine Wangen waren weiß, wie nach einem schlimmen Sonnenbrand geschält.«
Die Augen des Scheichs verengten sich, aber er schwieg. »Dürften wir diesen Mann sehen?« bat sie. Der Scheich lächelte nur höflich, als hätte er sie gar nicht gehört.
Doch Mrs. Pollifax ließ nicht locker. »Hat einer von ihnen möglicherweise mit einem Jungen auf einem Esel einen Ausflug zur Festung Karak gemacht und ist über Nacht weggeblieben?«
Aus einer unbeleuchteten Ecke hörte sie Josef scharf Luft holen.
Farrell starrte sie überrascht an, und sie erklärte mit geheimnisvollem Lächeln: »Ich hatte Zeit nachzudenken und zwei und zwei zusammenzuzählen, mein Freund.«
Der Scheich sagte mit barscher Stimme: »Sie sind mit Juseff, Hanan und Awad Ibn Jazi hierhergekommen, um ein Fort zu besuchen. Weshalb interessieren Sie sich plötzlich für diese Männer? Wollen Sie ihnen etwa schaden?«
»Während unserer Suche nach einem Mann namens Ibrahim«, entgegnete sie eindringlich, »sind wir es, die zu Schaden kamen.« Sie deutete auf ihren Arm. »Wir hatten unsere Suche aufgegeben, als wir hierherkamen. Das kann Josef bezeugen.«
Der Scheich wandte sich dem Schatten in der Ecke zu, und Josef nickte. »Es ist die Wahrheit. Es gab keinen Grund, hier davon zu sprechen, und ich versprach ihnen zu schweigen.«
Farrell ergriff das Wort. »Ich möchte Sie gern zweierlei fragen, Sir. Haben diese beiden davon gehört, daß ein Mann namens Farrell in der Nacht aus dem Lager verschleppt wurde?«
»Nein«, antwortete Scheich Jidoor. »Sie sind
der Ruhe wegen und zur Heilung in einem entlegenen Zelt
untergebracht.«
»Dann ist meine nächste Frage, Sir: Dürfte ich Sie bitten, mit den
Männern Mustafa und Dalshad zu sprechen und sie zu fragen, ob ihnen
der Name Farrell bekannt ist?«
Der Scheich verneigte sich höflich. »Ja, das kann ich tun.« Er
sprach mit dem Mann neben ihm, woraufhin dieser aufstand und das
Zelt verließ.
Mrs. Pollifax und Farrell wechselten Blicke. Leise sagte sie: »Er hat sie unter seinen persönlichen Schutz genommen, nicht wahr?«
Farrell nickte. »Zweifellos will er nicht, daß wir Näheres über sie erfahren, wer immer sie sind.«
»Glauben Sie, ich habe irgendein Stammesgesetz verletzt, indem ich mich nach seinen Gästen erkundigte? Falls ja«, fuhr sie besorgt fort, »müßte ich...«
»Warten Sie!« unterbrach Farrell sie scharf und versuchte sich zu erheben.
Der Mann mit den vernarbten weißen Wangen trat ins Zelt. Als er Mrs. Pollifax bemerkte, blieb er abrupt stehen und lächelte plötzlich. »Sie«, sagte er.
Sie lächelte herzlich zurück. »Ja.«
Sein Blick wanderte rasch zu Farrell, dann
ebenso rasch zu seinem Gastgeber. »As salam
alaikum!« murmelte er.
Scheich Jidoor hatte sich erhoben und verbeugte sich leicht.
»Alaikum as salam!«
In ausgezeichnetem Englisch sagte sein Gast nun: »Geht es Ihnen
gut?«
»Es geht mir gut, Allah sei Dank«, erwiderte der Scheich. »Friede
sei mit Ihnen.«
»Und möge es Ihnen wohl ergehen«,
antwortete der Sche ich.
Mrs. Pollifax konnte Farrells Ungeduld spüren. Er sah aus, als
würde er jeden Moment aus der Haut fahren. »Allahs Wille geschehe«,
sagte der Mann mit einer leichten Verbeugung.
Der Scheich lächelte. »Allah schütze Sie.« Und gleich darauf.
»Trinken Sie eine Tasse Kaffee. Bitte setzen Sie sich.«
Der Scheich setzte sich wieder, doch der Fremde blieb stehen. Sein
Blick wanderte zu Farrell. »Sie sind der Amerikaner Farrell?«
fragte er.
Farrell nickte. »Ja, und Sie - treffe ich nun Ibrahim?«
»Der Name ist mir vertraut«, erwiderte er vorsichtig.
»Dann sind wir beide einen weiten Weg gekommen, um einander zu
begegnen«, sagte Farrell höflich. »Und ich hoffe, Sie sind Ibrahim,
der mir etwas Wertvolles von einem gemeinsamen Freund bringt.« Die
Augen des Fremden ruhten zweifelnd auf Farrells Gesicht.
Mrs. Pollifax seufzte. Sie spürte, daß beide einen Anstoß
brauchten, so sagte sie übergangslos: »Sie haben den Iraker nicht
getötet, das wissen Sie doch? Ihr Blut klebte an seinem Dolch, an
dem Toten befand sich jedoch keines, außer natürlich am Hinterkopf,
wo er an der Mauer aufgeschlagen war. Der Polizei dürfte das
inzwischen klar sein. Und wir bedauern es sehr, daß einer Ihrer
Begleiter in der Wüste starb.«
Ihre Emotionalität schien ihn zu amüsieren, und sein Gesicht wurde
weicher. Zu Farrell sagte er: »Vertrauen zu fassen ist schwer - und
Sie haben keinen Schnurrbart. Ich habe Bilder gesehen, verstehen
Sie? Aber ja, ich bin
Ibrahim.«
»Halleluja!« murmelte Mrs. Pollifax.
»Das ist es also!«
Farrell griff in seine Brusttasche und brachte einen Schnappschuß,
ein etwas älteres Bild von ihm selbst, zum Vorschein. »Verdammt
riskant, es mitzubringen!« brummelte er. Schwerfällig und mit
zusammengebissenen Zähnen erhob er sich vom Tisch und brachte das
Bild zu Ibrahim. »Darauf habe ich einen Schnurrbart. Hilft
das?«
Ibrahim betrachtete das Bild lächelnd. »Sie beide! Ja, das war
riskant!«
Der Scheich, der sich kein Wort hatte entgehen lassen, runzelte die
Stirn. »Sie sind also nicht Mustafa, sondern Ibrahim?«
Mit schiefem Lächeln antwortete der Mann. »Verzeihen Sie mir, aber
ich will ehrlich sein. Ich heiße weder so noch so.« Er gab Farrell
das Foto zurück. »Sie haben beide - Sie und er... Aber begleiten
Sie mich doch bitte ins Zelt, das der Scheich uns so großzügig zur
Verfügung gestellt hat.« Mrs. Pollifax folgte ihm und Farrell ins
Freie. Erleichtert stellte sie fest, daß der Sandsturm vorüber war,
daß keine Steinchen und losen Gegenstände mehr durch das Lager
gepeitscht wurden und daß im Osten ein Fleckchen blauer Himmel
erschienen war. Während sie zum Ende des Lagers stapften, zu dem
abgelegenen Zelt ganz am äußersten Rand, sagte Ibrahim ernst: »Sie
müssen verstehen, daß es auf unserer Wanderung durch die Wüste
viele Verluste gab. Wir hatten nichts gar
nichts -, weder Kamele noch Verpflegung, noch Gepäck, als
wir aufgelesen wurden.«
Jetzt ging Farrells Ungeduld mit ihm durch. »Ja, aber Sie haben
doch das Manuskript dabei und in Sicherheit?«
Ibrahim zögerte, dann blieb er stehen, drehte sich zu ihm um. »Tut
mir leid. Sehr leid, Mr.
Farrell.«
»Sie wollen doch nicht sagen was
wollen Sie damit sagen?« rief Farrell heftig. »Sie haben es doch
hier, nicht wahr? Sie haben es aus dem Land gebracht und sicher
verwahrt? Sagen Sie schon!«
Mit größer Behutsamkeit erklärte Ibrahim: »Dem Ende zu, Mr.
Farrell, waren wir wirklich kaum noch am Leben, und die Nächte
waren lang und kalt. Wir konnten kein wärmendes Feuer entzünden,
außer vielleicht mit den Fetzen unserer Kleidung und ein wenig
getrocknetem Kameldung. Wir besaßen bloß noch drei oder vier
Streichhölzer. Wir brauchten dringend Zunder, etwas, womit wir ein
Feuer machen konnten. Um am Leben zu bleiben - wir waren unendlich
schwach -, mußten wir Feuer haben.«
»O nein!« krächzte Farrell.
»Doch.« Ibrahim nickte. »Mit den Manuskriptseiten ließen sich
gute Feuer machen.« Farrell
stöhnte.
Ibrahim fügte hinzu: »Aber der Verlust läßt sich
ersetzen.«
»Was soll das heißen, ›läßt sich ersetzen‹? Wie können Sie so etwas
sagen?« haderte Farrell verbittert. Mrs. Pollifax wußte, daß er an
den langen, mühevollen Weg dachte, den er des Manuskripts wegen auf
sich genommen hatte, und an die stark schmerzenden Striemen auf
seinem Rücken. Trotzdem wünschte sie, er würde seinen Zorn
zügeln.
»Kommen Sie!« forderte Ibrahim ihn nun ernst auf und öffnete die
Zeltklappe, um sie beide einzulassen. Von einer kleinen Laterne
abgesehen, war es dunkel im Zelt. Sie brannte neben einer
Lagerstätte aus vielen Teppichen, auf der ein Mann schlief. Das
Licht fiel nur auf eine Gesichtshälfte. Ein drahtiger schwarzer
Bart war zu erkennen, eine markante Nase und graumeliertes
schwarzes Haar.
Ibrahim sagte: »Jetzt werden Sie verstehen, weshalb die irakische
Mukhabarat uns unbedingt finden mußte.
Um uns zu töten.«
»Mein Gott!«, hauchte Farrell mit weit aufgerissenen Augen. »Dib
Assen - und er lebt!«
Der Mann auf der Couch rührte sich, schlug die Augen auf und
betrachtete sie verwirrt. »Wer...«, begann er. Dann wisperte er:
»Das ist doch nicht möglich!« Und schon rief er begeistert:
»Farrell!«
Mrs. Pollifax legte die Hand sanft auf Ibrahims Arm. »Kommen Sie«, sagte sie leise und zog ihn aus dem Zelt in die Sonne. »Ich glaube, wir würden jetzt nur stören. Aber bitte erzählen Sie, Ibrahim. Er ist wie Lazarus von den Toten auferstanden! Erklären Sie mir bitte, wie? Sie müssen wissen, daß alle Zeitungen Europas und Amerikas über seinen Tod berichteten!«
Die Sonne schmerzte nach der Dunkelheit im Zelt, und Ibrahims Stimme klang rauh. »Erklären? Erinnern? So viele Meilen zurück?« Er schüttelte den Kopf. »So viele Meilen zurück! Aber diese Auferstehung von den Toten, wie Sie sagen, bedarf einer Erklärung. Ja.« Er starrte stumm in die Wüste, als zwinge er sich, sich zu erinnern. »Sie waren so selbstherrlich«, begann er. »Wie könnte sich auch jemand in einem Land mit so vielen Denunzianten und Informanten verstecken oder fliehen? Noch dazu, wenn er so bekannt ist. Sie hatten ihn schon früher verhaftet, und Assen hatte sich nie versteckt. Aber es gibt noch ein paar anständige, mutige Menschen«, fuhr er leise fort. »Einer davon arbeitete bei... Nun, er kannte Assen... Aber mehr sage ich nicht.« Das Reden fiel ihm schwer. Er schien unendlich erschöpft zu sein. Sie hoffte, dergleichen nie erleben zu müssen, und wartete geduldig.
Nach einer Weile fuhr er fort: »Sie waren so überheblich - so eingebildet! Sie gaben bekannt, daß sie ihn verhaftet hätten, noch ehe sie sich auf den Weg machten, es zu tun. Und warum auch nicht? Wohin hätte er fliehen können? Doch er war gewarnt worden - im letzten Augenblick. Minuten, ehe sie sein Haus erreichten, hatte er es verlassen. Drei von uns. Um zu fliehen. Können Sie sich ihre Wut vorstellen? Ihre Verlegenheit? Ihre Demütigung? Um ihr Versagen zu vertuschen - ihre Dummheit - und das war schlau von ihnen -, gaben sie seinen Tod bekannt. Natürlich waren sie der Meinung, daß er schon bald wirklich tot sein würde.«
»Aber er hat überlebt.«
»Ja.« Sie schwiegen, dann sagte Ibrahim: »Er war dem Tod sehr nah,
als wir gefunden wurden. Und er ist auch jetzt noch nicht kräftig -
oder sicher.«
»Geht es ihm gut genug, um das Lager zu verlassen?«
Ibrahim gestikulierte hilflos. »Um wohin zu gehen? Die Mukhabarat hat einen langen Arm. Nach Amman? Es gibt viele Überläufer aus dem Irak in Jordanien - Tausende anständiger Menschen -, aber kann auch nur einer davon, kann überhaupt irgend jemand ihn vor der Geheimpolizei seines Heimatlandes beschützen?«
»Sein Manuskript«, Mrs. Pollifax runzelte die Stirn, »enthielt es wirklich Geheiminformationen, die niemandem in die Hände fallen sollten?«
Er nickte. »O ja. Ich hatte zwar nicht die
Ehre, es zu lesen - es war versteckt gewesen, und wer kann schon in
der Wüste lesen?
-, aber er erzählte mir bei unserem Marsch durch die Wüste, daß er
die Handlung an echten Orten
angesiedelt hatte, daß sich dort Fabriken befanden, die vor den
Inspektoren der UNO versteckt wurden, und im Manuskript verwendete
er einen Kode, um mitzuteilen, wo was hergestellt wurde.
Botulismus-Erreger nahe einer Ortschaft und in einer anderen Rizin.
Beides führt zu einem grauenvollen Tod. Jetzt, da es das Manuskript
nicht mehr gibt, ist alles nur noch in seinem Gedächtnis vorhanden.
Deshalb müssen sie ihn aufspüren und umbringen!«
»Das muß unbedingt verhindert werden!« sagte Mrs. Pollifax leidenschaftlich. »Er muß in die Vereinigten Staaten kommen, nur...« Jetzt erst wurde ihr das Problem bewußt. »Wie bekommen wir ihn ohne Hilfe aus diesem Land, ja auch nur nach Amman, ohne ihn zu gefährden, ohne das Risiko einzugehen, daß er gesehen und erkannt oder gar festgenommen wird? Er hat doch keinen Reisepaß, oder?«
Ibrahim blickte sie nachsic htig an. »Aus dem Irak? Es werden gar keine ausgestellt.«
Sie schüttelte den Kopf. »Dann werden wir wohl einen rettenden Engel brauchen«, sagte sie bedrückt.
»Einen was?«
»Engel sind in den Vereinigten Staaten zur Zeit ganz groß in Mode«, erklärte sie. »Es werden Bücher über sie geschrieben und Filme gedreht. Sie können Wunder vollbringen, wie beispielsweise einen von der Polizei Gesuchten aus einem fremden Land zu schmuggeln. Ohne Reisepaß und Visum.«
»Es gibt keine Wunder«, sagte er tonlos.
»Daß Dib Assen noch am Leben ist, ist ein
Wunder!« sagte sie trotzig. »Und Sie leben ebenfalls
noch!«
»Ja, aber...« Plötzlich erstarrte er, und Mrs. Pollifax bemerkte,
wie sich sein Gesicht vor Furcht verzog. »Bismallah oh Bismallah«, keuchte er, »man darf mich nicht
sehen!«
»Was haben Sie denn?« rief sie, aber er war bereits um die Zeltecke
gelaufen, um sich zu verstecken. Sie drehte sich um und sah, daß
sich ein völlig verstaubter Wagen mit riesigen Reifen, anscheinend
ein Land Rover, ins Lager plagte. Vor dem Zelt des Scheichs hielt
er an. Hier ein so modernes Fahrzeug zu sehen war ein plötzlicher
Schock, ein Hinweis auf eine völlig andere Welt jenseits der Wüste,
in der üblicherweise nur total verrostete Pritschenwagen und Kamele
zu sehen waren. Sie drehte sich zu Ibrahim um, der außer Sicht auf
dem Boden kniete. »Was ist los?« fragte sie. »Wer ist
das?«
»Die Wüstenpatrouille. Zwei Mann, sehen Sie sie?
Polizei!«
O Gott! dachte Mrs. Pollifax. Sie
beobachtete, wie die zwei Männer ausstiegen. Es bestand gar kein
Zweifel, daß der eine Angehöriger der Wüstenpolizei war, denn er
trug die adrette braune Uniform mit ebenfalls braunen
Schulterriemen und einer roten Schärpe. Sein rotkarierter
Kaffiyeh war mit einem dunklen
Aigal zusammengehalten, an dem ein
silbernes Abzeichen steckte. Sein junger Begleiter trug Zivil, war
sehr staubig und wirkte irgendwie sehr amtlich.
Beide verschwanden im Zelt des Scheichs. Mrs. Pollifax wartete,
worauf, wußte sie selbst nicht. Vielleicht auf ein höfliches
Ersuchen, sich in den Zelten umsehen zu dürfen? Oder auf einen
Hinweis, daß sich weitere gefährliche Personen in der Nähe
herumtrieben? Ihr Arm pochte, sie hatte kaum geschlafen, und nun
bekam sie auch noch heftige Kopfschmerzen. Ich sollte Farrell warnen, dachte sie, aber sie
war wie gelähmt und unendlich müde.
Über die Schulter sagte sie zu Ibrahim: »Sie haben das Zelt von
Scheich Jidoor betreten.«
»Ja«, krächzte er.
Eine Decke am Zelt des Scheichs wurde zurückgeschlagen, und Mrs.
Pollifax wappnete sich, aber nur Josef kam heraus. Er sah sie
sofort, rannte auf sie zu und rief aufgeregt: »Mrs. Pollifax! Mrs.
Pollifax, die Wüstenpatrouille hat einen Mann hierhergebracht, der
sich gestern nacht in der Wüste verirrt hat! Es ist ein Amerikaner,
und er hat Sie gesucht!«
Das war verblüffend. »Er hat mich
gesucht? Ein Amerikaner, der mich
sucht?«
»Ja!« versicherte ihr Josef aufgeregt. »Corporal Saidi fand ihn
vergangene Nacht in der Nähe der saudiarabischen Grenze. Er hatte
sich völlig verirrt. Sein Name ist Rollin oder Rallin oder so
ähnlich, und er sagt, daß ihn ein Mr. Carstairs geschickt
hat.«
Carstairs....! Ihre Knie wurden
plötzlich weich. So erledigt und mitgenommen, wie sie war,
verspürte sie das eigenartige Bedürfnis, in Tränen auszubrechen,
aber statt dessen lachte sie. Es war ein zittriges Lachen, aber
dennoch ein Lachen.
»Ibrahim«, sagte sie. »Sie brauchen sich von nun an nicht mehr zu
verstecken. Ich glaube, unser rettender Engel ist eben erschienen -
unser Wunder!« Hätte Carstairs das hören können, wäre ihm
zweifellos ein wahrer Wasserfall von sarkastischen und sehr
prägnanten Ausdrücken über die Lippen gerauscht.