Keiner kommt durchs Leben, ohne dass er sich Fragen stellt. Das Bedürfnis nach Erkenntnis, ob durch Notwendigkeit oder Neugierde motiviert, ist an sich schon berechtigt. Es wohnt dem tätigen Geist inne. Fragen stellen und Antworten suchen gehörte bei den ersten Menschen zur Überlebenstechnik. Uns Heutigen bietet eine solche Vorgehensweise auch die Möglichkeit, unsere Zeit auf Erden besonders sinnvoll zu gestalten. Aber natürlich muss man die richtigen Fragen stellen, denn man kann auch ein Leben damit vergeuden, Antworten auf die falschen Fragen zu suchen. Wie der amerikanische Schriftsteller und Zeichner James Thurber (1894–1961) anmerkte: »Besser kennt man einige Fragen als alle Antworten.«
Wir stellen von frühester Kindheit an Fragen und fragen ein ganzes Leben lang. Fragen sind Fenster des Geistes, die in eine unentdeckte Welt hinausblicken, eine Verbindung zwischen Bekanntem und Unbekanntem. Die meisten Fragen, die unsere Tage ausfüllen, dienen nur dazu, Informationen und Auskünfte einzuholen: »Wie geht es dir?« – »Wie spät ist es?« – »Können Sie mir sagen, wie …?« Die wichtigen Fragen drehen sich freilich darum, warum wir überhaupt einen Tag und das Bedürfnis haben, Fragen zu stellen. Zwischen Frage und Antwort spielt sich der Großteil unseres Lernens ab, weshalb sie denn auch das Grundgerüst der meisten Lehrmethoden stellen. Bei der sokratischen Methode, der Dialektik, werden gegensätzliche Sichtweisen einander gegenübergestellt und die Diskussion dadurch vorangetrieben, dass Antworten auf gestellte Fragen hinterfragt werden. Diese Methode, die mit der Aufforderung arbeitet, »Dinge einmal von der anderen Seite her zu denken«, soll zur Wahrheit führen. Der griechische Philosoph Sokrates (um 470–399 v. Chr.) galt als »Geburtshelfer des menschlichen Denkens«, weil man mit seiner Methode der Mäeutik, der »Hebammenkunst«, einer Person zur Erkenntnis verhilft, indem man ihr die richtigen Fragen stellt: So bringt sie selbst mit der Antwort Wissen zur Welt. Neue Einsichten, die Feldfrüchte unseres Geistes, werden durch Fragen gesät und bei Überlegungen geerntet.
Die in diesem Buch aufgeworfenen Fragen zielen nicht auf Fakten und Informationen. Es sind vielmehr die Art Fragen, auf die es keine vorgefertigten Antworten gibt und die sich eher durch eine geistige Erkundungsfahrt als durch Nachschlagen in einer Enzyklopädie beantworten lassen – bei einer Art Selbsterkundung, für die es Introspektion, Offenheit und Selbsterkenntnis mit der Bereitschaft braucht, gewohnte Denkmuster zu überwinden. Es sind die Rätsel, die uns ins Grübeln bringen, obwohl wir uns mit ihnen selten befassen, weil es doch andere, dringendere Fragen gibt, die alle notwendig und berechtigt sind. Ein Mangel unseres modernen Lebens ist, dass wir die Notwendigkeit der einsamen Momente übersehen, in denen wir uns anspruchsvollen Fragen widmen und unser Leben durch Nachdenken neu ordnen können. So meinte denn auch die französische Philosophin Simone Weil (1909–1943): »Jeder sollte über genug Raum, über genug Freiheit verfügen, um zu planen, wie er seine Zeit nutzt, über die Gelegenheit, auch höhere Stufen aufmerksamer Auseinandersetzung zu erlangen, über etwas Einsamkeit, etwas Stille.« In solchen Momenten, so Weil, bewegen wir uns vom Persönlichen zum Unpersönlichen. Von dem »Ich«, das wir mit unseren Ängsten und Nöten, unseren Ambitionen und Hoffnungen gleichsetzen, befreien wir uns vorübergehend und schreiten zu dem »Ich« voran, das aus der Beschäftigung mit sich selbst ausbricht und höhere »Stufen der Aufmerksamkeit« erreicht, auf denen wir uns selbst als Teil eines höheren »Ganzen« erkennen. Einige der in diesem Buch aufgeworfenen Fragen erfordern wohl eine Antwort, die eine Form meditativer Stille ist.
Auf unsere Fragen lassen sich niemals endgültige Antworten finden. Was als solche erscheint, ist nur eine Zusammenfassung der dabei aufgeworfenen Probleme. Auch wenn es als Binsenweisheit erscheint, so führt doch jede Antwort zu einer oder gleich mehreren weiteren Fragen. Und wenn der Leser über die gegebenen Antworten nachdenkt, stößt er möglicherweise auf eine noch wichtigere oder schärfer umrissene Frage. Jenseits des Faktischen und Informationellen gibt es keine vorgefertigten Antworten. Hier erfordert das Nachsinnen über die sich stellenden Fragen Zeit, Selbstreflexion, Ehrlichkeit und sogar Mut. Beim Durchstöbern dieses Buches mag es geschehen, dass der Leser sein Denken neu ausrichtet und bereits formulierte Gedanken mit anderen, die er plötzlich entdeckt, zu einem neuen Muster zusammensetzt. Wie ein Kaleidoskop, das inmitten bekannter plötzlich ganz neue Formen und Farben zum Vorschein bringt, fügt unser Geist Gedanken und Anschauungen zu völlig neuen Motiven und Anordnungen zusammen. Das richtige Nachdenken über die aufgeworfenen Fragen führt den Leser über den Bereich dessen hinaus, was er schon gewusst hat. Wenn nach Immanuel Kant, wie auf Seite 10 zitiert, die Vernunft unsere drängendsten Fragen tatsächlich weder ignorieren noch beantworten kann, dann müssen wir bei der Betrachtung möglicher Antworten vielleicht über die Vernunft hinausdenken.
Die Fragen in diesem Buch ordnen sich folgenden Überschriften unter:
Das Wissen: Was wir wissen, setzt sich aus verschiedenen Quellen zusammen und wird durch vielfältige Mittel erworben. Im einfachsten Fall setzt sich Wissen aus den Fakten und dem Sachverstand zusammen, die wir uns beim Lernen und beim Sammeln von Erfahrung angeeignet haben. Es kann praktisch (das Wissen »wie« oder Knowhow) oder theoretisch (das Wissen um etwas) sein. Es kann allgemein oder speziell sein und beinhaltet unsere Verarbeitung abstrakter Gedanken und die Einsichten, die sie vermitteln. Wissen muss wahr und durch das fundiert sein, was der Schüler des Sokrates, Platon (um 428–347 v. Chr.) den »gerechtfertigten wahren Glauben« genannt hat. Der Unterschied zwischen Wissen und Glauben (ihm ist weiter unten ein eigenes Kapitel gewidmet) ist wichtig: Wissen hat hauptsächlich mit Gewissheiten, Glaube mit Vertrauen zu tun. Es ist das Wesen des Geistes, dass er Wissen erwirbt, während Glaube ein Seelenzustand ist. Das Wissen als Erkennungsmarke für das zu nutzen, was wir noch nicht wissen, spornt zum Erwerb weiteren Wissens an. Die Fragen, die unter dieser Überschrift auftauchen, betreffen das Wesen des Wissens wie das des Wissenden.
Das Ich: Das »Ich« als existierende Wesenheit ist kaum fassbar und schwer zu verorten. Es scheint sich einer klaren philosophischen oder psychologischen Definition zu widersetzen. Wir können sagen, dass ein Ich-Gefühl das wissende und empfindende Subjekt sei, das sich durch die ständig veränderliche Landschaft unserer geistigen und physischen Verfassungen hindurch ständig gleichbleibt, obwohl diese doch Eigenschaften des Ich sind. Konstant ist das Ich oder »Selbst« wohl in dem Sinn, dass es immer gegenwärtig ist und wir uns seiner stets bewusst sind. Aber weil dieses Ich nur in Beziehung auf das andere – Menschen, Dinge, die Umwelt oder Natur – sichtbar wird, sind wir uns zugleich auch bewusst, dass es sich als Reaktion auf diese verschiedenen äußeren Reize verändert. Ob wir religiös gläubig sind oder dem Agnostizismus, Atheismus oder Säkularismus anhängen, unser Selbst bringt ein Gefühl für die eigene Einzigartigkeit mit sich. Und über uns hinausdenkend, gelangen wir zu der Auffassung, dass wir alle ein »wahres« oder »essenzielles« Ich besitzen. Dieses Ich könnte sich ganz oder teilweise mit Platons Idee der Seele decken, das »Ich« aus dem Satz von René Descartes (1596–1650) »Ich denke, also bin ich« sein oder auch mit dem »Ich« der Theorie Sigmund Freuds (1856–1939) zusammenfallen. Gleichwohl gilt der Gebrauch des Begriffs »Selbst« oder »Ich« für etwas Unkörperliches manchem Philosophen als überholt. David Hume (1711–1776), ein Philosoph der Aufklärung, verneinte beispielsweise, dass wir uns »unseres Selbst, wie wir es nennen, aufs Innigste bewusst« sein könnten, da die Erfahrungen, die uns das zur Kenntnis bringen, was wir für ein Selbst hielten, sich doch ständig veränderten. Und weiter: »Wenn ein Eindruck die Vorstellung des Ich veranlasste, so müsste dieser Eindruck unser ganzes Leben über unverändert derselbe bleiben; denn das Ich soll ja in solcher Weise existieren. Es gibt aber keinen konstanten und unveränderlichen Eindruck.« Die Fragen in diesem Kapitel betreffen diesen und weitere Aspekte des Themas.
Der Kosmos: Es gibt ein wachsendes Interesse an allen Fragen, die das Weltall in den Blick nehmen, insbesondere im Zusammenhang mit dessen Entstehung und dem Beginn des Lebens auf der Erde. Dieses Interesse an den Ursprüngen führte zu Spekulationen, ob es Leben auch außerhalb unserer Erde geben könne. Während dies innerhalb unseres Sonnensystems unwahrscheinlich ist, spricht die Wahrscheinlichkeit, dass es im Weltall zahllose weitere Sonnensysteme gibt, durchaus für die Annahme, dass es Lichtjahre von unserer Erde entfernt ebenfalls Formen von Leben gibt. So vertraute uns der Astrophysiker Stephen Hawking (* 1942) an: »Ich habe mich mein ganzes Leben für die großen Fragen begeistert, vor denen wir stehen, und wissenschaftliche Antworten auf sie zu finden versucht.« Abgesehen von diesen »großen Fragen« zielen andere, ebenso sinnvolle darauf ab zu verstehen, wie die gegenwärtige Kosmologie unsere Selbstwahrnehmung beeinflusst und wie wir »auf der Erde« in dieses übergeordnete System hineinpassen. Der französische Philosoph Paul Ricœur (1913–2005) wies darauf hin, dass »unser Leben auf kosmischer Ebene bedeutungslos ist. Und doch ist die kurze Periode, in der wir in der Welt auftreten, jene Zeit, in der alle bedeutsamen Fragen auftauchen«. Einige dieser »bedeutsamen Fragen« werden unter dieser Überschrift behandelt.
Die Menschheit: Hamlet nennt die Menschheit the paragon of animals (das »Paradebeispiel der Tiere«), während Charles Darwin (1809–1882) anmerkte, dass »der Mensch mit all seinen edlen Eigenschaften … in seinem Körpergerüst noch immer den unauslöschlichen Stempel seiner niederen Abkunft« trage. Unser Verständnis der Menschheit bewegt sich noch immer im Spannungsfeld zwischen Kreationismus und Evolutionstheorie, während die These von der intelligenten Gestaltung, die einst als gangbare Brücke zwischen beiden galt, in Misskredit geriet. Obwohl nach der »niederen Abkunft« inzwischen hoch entwickelt, hat die Menschheit nach wie vor mit unüberwindlichen Schwierigkeiten zu tun, insbesondere, wenn es darum geht, mit anderen in Frieden oder mit der irdischen Umwelt in Einklang zu leben. Viele Faktoren unterscheiden uns von anderen Tieren, aber der Philosoph und Sozialpsychologe Erich Fromm (1900–1980) lag gewiss richtig mit der Bemerkung, dass der Mensch das einzige Tier sei, das das Problem der eigenen Existenz lösen müsse. Das Problem unserer Existenz dreht sich darum, ob das Leben einen Sinn oder Zweck hat, entweder einen, der in unseren genetischen Code eingeschrieben ist und durch ihn bestimmt wird, oder einen, den wir selbst entdecken und in unser Leben hineintragen. Das menschliche Tier ist komplex – mit Blick auf seine Biologie und auf seine Fähigkeiten wie seine Intelligenz, seinen Geist, sein Vorstellungsvermögen und sein Schöpfertum. Trotz ihrer sprunghaften Entwicklung und ihrer Begabung in allen Bereichen spürt die Menschheit, dass ihr im tiefsten Inneren dessen, was sie ist, irgendetwas fehlt. Die Fragen, die sich quer durch dieses Themenfeld ziehen, bestätigen wohl den Aphorismus Friedrich Nietzsches (1844–1900): »Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie.«
Die Spiritualität: Das oben erwähnte Gefühl der Leere rührt an die von jeher am heftigsten umstrittene Frage zum Menschsein: Gibt es in unserem körperlichen Sein ein Element – ob man es das Selbst, die Seele oder irgendetwas Göttliches nennt –, das von Natur aus zur spirituellen Wahrnehmung oder zur Transzendenz, zur Überwindung der materiellen Welt neigt? Durch die gesamte Geschichte des Menschengeschlechts hindurch zieht sich die Suche nach dem »anderen«, ein Streben, das der heilige Franz von Assisi (1181–1226) mit treffsicherer Schlichtheit zum Ausdruck brachte: »Was du suchst, ist das, was sucht.« Es besteht Hoffnung, dass die Missionstätigkeit, die Atheisten seit Neuestem energisch betreiben, weiterhin in einem kreativen Dialog mit denjenigen stattfinden kann, die aus Überzeugung oder Erfahrung glauben, sie seien keine »menschlichen Wesen mit einer spirituellen Erfahrung …, sondern spirituelle Wesen mit einer menschlichen Erfahrung«, wie es der französische Theologe und Philosoph Pierre Teilhard de Chardin (1881–1955) fasste. In diesem Kapitel geht es nicht notwendigerweise um Theologie oder die Dogmen etablierter Religionen. Spiritualität beruht weder auf der Autorität schriftlicher Quellen von Religionen noch auf dem Festhalten an althergebrachten Traditionen. Vielmehr zielt sie auf das Wunder des Irdischen. Der englische Religionsphilosoph Alan Watts (1915–1973) drückte es so aus: »Zen verwechselt Spiritualität nicht mit dem Nachdenken über Gott beim Kartoffelschälen. Zen-Spiritualität ist schlicht Kartoffelschälen.« In diesem Kapitel wird sozusagen die Wasserscheide behandelt, die das Einzugsgebiet des Spirituellen von dem des Profanen im Leben trennt.
Die Religion: Nach einem anonymen Sinnspruch betrifft »Philosophie Fragen, die wohl nie beantwortet werden. Religion betrifft Antworten, die wohl nie infrage gestellt werden.« Dieser Dogmatismus, der von einer starken Autorität gestützt wird, war von jeher das größte Problem der Religion. Von ihr, die für beides steht – für den althergebrachten Ausdruck des Glaubens und für die Dogmatik als Maßstab für das, was man zu glauben hat – gingen große Verbrechen wie auch große Wohltaten aus. Die Religion hat Machtgier und Kontrollsucht befriedigt, aber auch zum selbstlosen Dienst am Nächsten angespornt. Mit den Kriegen, die sie auslöste, und den Strafen, die sie gegen Ketzer verhängte, hat sie über Menschen entsetzliches Leid gebracht. Aber ihr Mitgefühl und ihr soziales Gewissen bescherte Millionen auf dem Globus Bildung und medizinische Versorgung. Sie zerstörte ganze Kulturen, stiftete aber auch einige der bedeutendsten Kunstwerke auf der Erde. In ihrer Orthodoxie und ihren konservativen Anschauungen führte die Religion Unzählige zum aufrichtigen Glauben. Aber viele mussten erst einmal aus der vorgegebenen Tradition ausbrechen, um als Freidenker zum eigenen lebendigen Glauben zu finden. Wie der Komiker Lenny Bruce (1925–1966) meinte: »Jeden Tag fallen Menschen von der Kirche ab und kehren zu Gott zurück.« Und das kann durchaus als ein positives Urteil über die Kirche gelten, weil, so der Buchautor und Journalist G. K. Chesterton (1874–1936), »der Test für eine gute Religion darin besteht, ob man über sie Witze reißen kann«.
Der Glaube: Weiter oben wurde zwischen Wissen und Glauben unterschieden und angemerkt, dass Glaube Vertrauen voraussetzt. Denn glauben heißt, etwas für wahr halten, also darauf vertrauen, dass dem wirklich so ist.
Der religiöse oder spirituelle Glaube ist das Vertrauen in eine höhere Macht oder Kraft, die unser Leben durchwirkt, unsere Zukunft bestimmt und uns ein Jenseits beschert.
Das Englische unterscheidet zwischen zwei Begriffen für »Glauben«, zwischen belief und faith, die beide Vertrauen beinhalten, wobei faith aber zusätzlich »Treue«, »Religion« oder »Konfession« bedeutet und so als die Treue zu bewährten religiösen Überzeugungen verstanden werden kann.
Im Deutschen wird »Glaube« oft gegen »Religion« abgegrenzt. Der Glaube gilt dabei als der Nährboden, auf dem die Religion gedeiht. Religiöse Menschen folgen vorgegebenen Glaubensformen in einer Gemeinschaft, zu der sie sich bekennen. Der Glaube ist so eher individuell, die Religion kollektiv. Glaube zielt aufs Relative, Religion aufs Absolute. Die schärfste Unterscheidung traf Dietrich Bonhoeffer (1906–1945), als er, in Anlehnung an andere Theologen, die Frage nach dem »religionslosen Christentum« aufwarf. Mit Blick auf die Fragen, die in diesem Kapitel gestellt werden, muss man die Bedeutungsnuancen des Begriffs »Glauben« nicht unbedingt auseinanderhalten, da ihm jeder bei der Verwendung selbst eine sinnvolle Bedeutung geben kann. Der Science-Fiction-Schriftsteller Isaac Asimov (1920–1992) formulierte mit beiden Begriffen seine Ansicht, »dass jeder noch so törichte Glaube treue Anhänger finden kann, die ihn als Religion bis in den Tod verfechten«.
Das Verhalten: Was als die »beste« Lebensart gilt, bestimmen die Sitten und Gesetze unserer Gesellschaft. Sie sollen sicherstellen, dass wir, soweit möglich, friedlich zusammenleben und die Rechte und das Eigentum anderer respektieren. Wie diese Gesetze und Konventionen aussehen, hängt von der Art der gewünschten Gesellschaft ab, auch wenn sich außerhalb der Philosophie kaum einer oder kaum ein Herrschaftszirkel die Frage so stellt, dass sie über die Gesetzgebung und die Verfassung hinausweist und auch die Bildung einbezieht. Unsere Gesellschaft wurde nicht einmalig festgelegt, sie hat sich vielmehr entwickelt, ungefähr so, wie ein Garten unter den Händen wechselnder Landschaftsarchitekten stets aufs Neue Gestalt annimmt. Aber anders als ein Garten ist eine Gesellschaft keine Oase der Ruhe, sondern der Austragungsort von Konflikten, in dem Stress, Ängste und Unsicherheit herrschen. Deren vielfältige Gründe reichen von ökologischen über wirtschaftliche bis hin zu politischen Problemen. Herrschaft erscheint als das erbitterte Bemühen, unsere Zivilisation irgendwie zusammenzuhalten. Nach dem französischen Soziologen David Émile Durkheim (1858–1917) wird das menschliche Verhalten von »sozialen Tatbeständen« bestimmt. Er versteht darunter »jede mehr oder minder festgelegte Art des Handelns, die die Fähigkeit besitzt, auf den Einzelnen einen äußeren Zwang auszuüben«. Unser Verhalten wird durch Gesetze und Regeln »erzwungen«. Und je unreifer die Gesellschaft, so Durkheim, desto komplizierter ihre Rechts- und Regelsysteme. Der Arzt und Philosoph Albert Schweitzer (1875–1965) entwarf eine deutlich einfachere Formel, die aber ein höheres Maß an persönlicher und sozialer Reife erfordert: Ethik sei nichts anderes als »die Ehrfurcht vor dem Leben«. Sie gebe dem Menschen »das Grundprinzip des Sittlichen ein, dass das Gute in dem Erhalten, Fördern und Steigern von Leben besteht und dass das Vernichten, Schädigen und Hemmen von Leben böse« sei.
Fragen stellen ist ein Mittel zur eigenen Befreiung. Echtes Nachdenken über Fragen, insbesondere über die, zu denen es keine absoluten oder eindeutigen Antworten gibt, versetzt uns in die Lage, die Grenzen dessen zu überwinden, was wir schon wissen oder was unsere Denkungsart prägt und bestimmt. Solches Nachdenken bietet die Möglichkeit, die Diktatur der Dogmen, der Gewohnheiten und scheinbar unstrittigen Ansichten der Fachleute in jedem Bereich abzustreifen, in dem wir zufällig tätig sind und mit dem wir unser Leben ausfüllen. Die Menschheit hat die Freiheit, selbstständig zu denken, in harten Kämpfen errungen, weshalb wir sie dazu nutzen sollten, die Fragen zu lieben und die Antworten zu leben, so der Dichter Rainer Maria Rilke (1875–1926): »Habe Geduld gegen alles Ungelöste in deinem Herzen und versuche, die Fragen selbst liebzuhaben […]. Forsche jetzt nicht nach den Antworten […], weil du sie nicht leben kannst. Und es handelt sich darum, alles zu leben.«