Erweiterter Sexualitätsbegriff

 

Sexualität ist nicht die Summe sexueller Handlungen zwischen verschiedenen Lebewesen, Sexualität muss sich nicht einmal in sexuellen Handlungen ausdrücken, um dem Kern nach „sexuell“ zu sein. Im Grunde ist alles als sexuell zu betrachten, was darauf ausgerichtet ist, auf möglichst umfassende Weise Glück oder Wohlbefinden zu erfahren.

In der Vorbereitung des Vortrages habe ich Empfindungen gehabt wie: „Ich werde mich selbst entblößen müssen“ – nicht, weil ich das körperlich beabsichtige, sondern weil Sexualität ganz eng mit unserer Lebenskraft, unseren Lebensimpulsen verbunden ist. Unsere körperliche Sexualität ist nicht getrennt von unserem seelischen Empfinden.

Wenn ich Musik mache oder in irgendeiner Art und Weise schöpferisch tätig bin, gibt mir das Zufriedenheit. Schöpferisch tätig zu sein bedeutet nicht automatisch, kreativ zu sein in dem Sinne, etwas genuin Neues hervorzubringen. Man kann es auch als eine Art von Erotik betrachten, eine Herangehensweise, wie man mit Aufgaben umgeht.

So geht es mir auch mit diesen Vorträgen. Die Vorbereitung und Durchführung ist mit Angst und Anspannung verbunden. Zugleich ist es jedoch auch ein erwünschter Erregungszustand. Und ich empfinde mich dabei hochgradig verletzlich, ich mache mich verletzlich. Es ängstigt mich auf die gleiche Art und Weise, damit rauszugehen, wie es mich ängstigt, wenn ich das erste Mal mit jemandem erotisch oder anders intensiv in Kontakt komme.

Was ich anspreche, ist eine Verbindung zu dem Gefühl von Ohnmacht und der Angst vor dem Versagen. Für einen Mann ist diese Angst noch viel elementarer, denn im direkten sexuellen Kontakt kann er seinen eigenen Zustand nicht mehr verschleiern. Für viele erwachsene Männer gibt es kaum etwas Schrecklicheres, das sie sich vorstellen können. Nicht wenige neigen dazu, wenn es ihnen bei einer Frau passiert, sich im vermeintlich falschen Moment als erregt oder als nicht erregbar zu zeigen, möglichst jeden weiteren Kontakt abzubrechen, weil sie es nicht ertragen, durch diese Person wieder an ihre Ohnmacht, ihre Unfähigkeit erinnert zu werden. In den vorherigen Vorträgen habe ich bereits wiederholt das Thema Ohnmacht berührt, und insofern steht es auch in der Reihe dieser Vorträge.