„Die Kunst des Fortschritts liegt darin, daß man das Ewige bewahrt.“
„Die Ursprünge dieses Systems liegen in geheimnisvoller Dunkelheit. Jede Theorie, die den Tatsachen gerecht wird, geht von Voraussetzungen aus, die völlig absurd sind.“
A.C.
Den Weg zum Schiff legten sie in tiefem Schweigen zurück. Nicht daß niemand etwas zu sagen gewußt hätte, nein, es war zuviel, was jeder sagen wollte. Einiges ließ sich nicht ausdrücken, weil ihnen dazu die Worte fehlten.
Als sie die Stelle erreicht hatten, die die Thlecsne Ishcht als Landeplatz ausgewählt hatte, hatte diese den Platz bereits leergeräumt und lag nun leicht auf dem kahlen Boden auf. Das Schiff war nicht auf dem Boden verankert, so wie Meure Schasny es vor langer, langer Zeit einst auf dem Feld bei Kundre zum erstenmal erblickt hatte. Es schwebte vielmehr fast über dem Boden. Sein Rumpf berührte ihn kaum. Es lag still, aber man konnte ihm ansehen, daß seine Kraft kaum gebändigt war. Funken liefen in Spiralen die Röhren entlang, deren verwirrendes Geflecht den Rumpf bedeckte.
Die Nacht war noch nicht zu Ende, doch im Osten, über den Hütten und den Nebelbänken des Flusses, verfärbte sich bereits der Himmel. Er dachte: Dort über den Hügeln von Intance und Nasp ist der Himmel jetzt schon hell. Sein bleiches Licht wird sich in den schwarzen Seen spiegeln. Das Flimmern, das wir immer aus den Augenwinkeln sahen, ist verschwunden. Für alle Zeit. Wir haben es lange gesehen, und da wir nie erfuhren, was es war, hatten wir es schon beinahe vergessen. Nur die Außenweltler fühlten sich davon irritiert und glaubten, daß sie beobachtet würden. Wir haben es nie wahrhaben wollen. Wie ein Mann, der an einer Mauer lehnt, werden wir nun stürzen, weil es diese Wand nicht mehr gibt. Es sei denn, wir bauen eine neue Mauer, oder aber es gelingt uns, unser Gleichgewicht zu finden. Für ihn jedoch gab es diese beiden Möglichkeiten nicht mehr. Er hatte seine Wahl bereits getroffen.
Aus der großen Luke unten am Schiffsrumpf quollen aufgeregte Spsomi hervor. Sie trugen eine bizarre Kleidung, die sie wahrscheinlich als Uniform bezeichnet hätten, wenn man sie daraufhin angesprochen hätte. Sie bildeten einen dichten Kreis um Vdhitz und nahmen Tenguft den Körper des Vfzyekhr aus den Händen. Sie hatte ihn von der Herberge zum Schiff getragen. Clellendol sah sich einen Moment zögernd um, einen kurzen Augenblick nur. Er tauschte einen Blick mit Flerdistar, sah kurz zu seinen alten Gefährten hinüber und stieg über die Leiter ins Schiff. Für ihn war sein Auftrag erledigt. Jetzt war er nur noch ein einfacher Passagier.
Auch Flerdistar trat auf die unterste Sprosse. Mit einer Hand hielt sie das Geländer umfaßt. So blieb sie unsicher stehen, drehte sich um und sagte: „Ich bin hierhergekommen, um die Vergangenheit zu erforschen, doch ich erhielt eine Antwort über die Zukunft, auf eine Frage, die ich gar nicht gestellt habe.“
Cretus erwiderte: „Wenn man es einmal gelernt hat, auf Antworten zu hören, dann erhält man sogar Antworten auf Fragen, die man noch nicht gestellt hat. So sollte es auch sein. Selbst wenn einen diese neue Erfahrung zunächst erschreckt.“
„Die Antwort, wegen der ich kam, habe ich noch nicht erhalten.“
„Du hast nicht konkret genug danach gefragt.“
„Die offizielle Geschichte lehrt, daß die Krieger von Sanjirmil angeführt wurden. Diese Aussage wird von den Sagen der Krieger bestätigt. Doch etwas, dessen Wurzel hier auf Monsalvat liegt, ließ uns diese geschichtliche Theorie fragwürdig erscheinen. Wie lautet die Wahrheit, und wieso liegt sie auf Monsalvat verborgen?“
„Cretus hat einst viel Zeit mit seinem Skazenach verbracht, bis er es lernte, ihn vollendet zu beherrschen. Einmal hat er – oder habe ich – etwas gesehen, was ich überhaupt nicht verstand. Es war so rätselhaft, daß ich mir die Einstellung des Geschichtenerzählers genau eingeprägt habe, damit ich wieder genau dorthin zurückkehren konnte.
Auch für einen Meister auf diesem Instrument ist das nämlich sehr schwierig. Später, als ich die Dinge, die ich sah, besser interpretieren konnte, gab ich eben diese Einstellungen erneut in den Skazenach ein, und die Szene lief wieder genauso ab.
… Es war sehr seltsam … Ich hatte inzwischen einiges über die Krieger und die Klesh gelernt, und daher wußte ich, daß ich Sanjirmil selbst sah. Sie war sehr alt. Aber, und jetzt kommt das Erstaunliche: Sie war auf einer anderen Welt, nicht auf Morgenröte. Und sie bewegte sich in dieser Szene so, als ob sie erwartete, daß ihr jemand zusähe …“
Flerdistar fragte erstaunt: „Was …“ Aber Cretus schnitt ihr mit einer Geste das Wort ab.
„Sie sprach laut in einfacher Singlesprache. Es war, als würde sie einen Text aufsagen, den sie vorbereitet hatte. Ich, Cretus, werde es genauso wiedergeben, wie ich es von Sanjirmil gehört habe: Als das erste Schiff den Heimatplaneten verließ, war Sanjirmil die Anführerin einer kleinen Minderheit deines Volkes. Diese radikale Gruppe strebte die Herrschaft über die Menschen an. Sie gehörte zur Elite, zum Pilotenteam, von dem niemand zu Beginn der Reise etwas zu sehen bekam. Als dann die offene Meuterei ausbrach und die Gruppe das Schiff stahl, nahmen die zurückbleibenden Ler an, daß sie die Anführerin sei.
Doch dem war nicht so. Sie hatte sich verändert. Ihre Überzeugungen waren nur durch eine Fehlsteuerung ihres Gehirns zustande gekommen. Als Kind hatte es eine Überlastung ihrer Nervenzellen gegeben, die ihre Persönlichkeit beeinflußte. Doch nun, nachdem ihre Taten einen Prozeß in Gang gebracht hatten, der sich nicht mehr aufhalten ließ, war sie geheilt. Sie wurde von jemandem geheilt, der sie sehr liebte. Seine Behandlung befreite sie von den radikalen Ansichten, die ihren Geist beherrschten, aber sie verlor auch die Fähigkeit, ein Schiff zu steuern. Von nun an lebte sie zurückgezogen in ihrem Quartier, betrieb ein wenig untergeordnete Astrogation und erteilte Unterricht.
Als sie das Alter erreicht hatte, in dem die Fruchtbarkeit einsetzte, ging sie eine Familienbeziehung nach der Art eures Volkes ein. Auf der ersten Welt, auf der das Schiff landete, gebar sie zwei Kinder. Dort zog sie diese Kinder auch auf. Sie führte ein stilles, zurückgezogenes Leben, beinahe isoliert. Sie übte sich in den Tugenden der Ler und versuchte im stillen, das Böse zu bekämpfen, das sie in ihrer Jugend zum Ausbruch gebracht hatte.“
Flerdistar sagte: „Eine bescheidene Person, die du da beschreibst, geradezu ein musterhafter Ler. Doch in der Ler-Geschichte wird sie als die Kraft bezeichnet, die in unserem Volk das Böse erweckte. Von allen Ler hat der Schatten ihrer Person am eindringlichsten über unserer Entwicklung gehangen. Sie hat uns zu dem gemacht, was wir heute sind. Und doch behauptest du, daß sie dir erzählte, sie habe sich zurückgezogen?“
„Glaubst du, ich hätte nicht alles überprüft, was sie mir sagte? Es hat mich genauso überrascht wie dich. Ich habe es sehr genau überprüft! Über einen Zeitraum von zehn Jahren habe ich das Leben Sanjirmils erforscht. Am Ende kannte ich es fast besser als sie selbst.
Natürlich nehmen die Dinge oft einen anderen Lauf, als wir es wünschen. Als sie noch krank war, hatte sie eine formende Kraft besessen, nach ihrer Heilung war sie nur noch eine einfache Frau in der Menge, ihre Macht war erloschen. Sie konnte die Geschichte nicht mehr steuern. Die Verschwörung versickerte im Untergrund, in geheimen Treffen wurde die Geschichte von Mund zu Mund weitergegeben … und nach fast einer Generation fand sich eine neue Gruppe von Abtrünnigen zusammen. Sie stahlen das Schiff und machten sich auf in den Weltraum. So narrten sie die Mehrheit der Ler, die sich inzwischen zu friedlichen Siedlern entwickelt hatten.
Sie nahmen Sanjirmil mit sich, denn sie war ja die Prophetin ihrer Bewegung, sie hatte sie einst ins Leben gerufen, noch bevor die meisten von ihnen geboren waren. Sie wußten nur, daß sie Sanjirmil die Große war. Doch sie ging gegen ihren Willen mit diesen Aufständischen. Als sie Widerstand leistete, entführten sie sie mit Gewalt. Sie wußten, daß sie ohne den legendären Ursprung ihrer Bewegung nicht fortgehen konnten. Sie hätten es nicht ertragen, wenn ihre eigene Prophetin sie angeklagt oder gar einen Rachefeldzug gegen sie angeführt hätte.
Ihre Heilung war vollständig. Auch an Bord des Schiffes, umgeben von den jungen Aufrührern, wurde sie nicht mehr zu der Sanjirmil von einst. Sie war deren Talisman, das hatte sie nicht verhindern können, aber sie war ein Talisman, der ihr Verhalten nicht akzeptierte. Sie forderte von ihnen, sich bedingungslos zu ergeben und das Schiff zurückzubringen. Nun befanden sie sich in einer ausweglosen Situation. Sanjirmil verweigerte jede Zusammenarbeit, aber sie konnten sie auch nicht zurückbringen. Sie brachten es auch nicht fertig, sie zu töten. Man kann ihnen die Erkenntnis zugute halten, daß Sanjirmils Tod auch das Ende ihrer Bewegung bedeutet hätte.
Auf ihrem Weg, der sie vom Zentrum zum Rande des Universums führte, stießen sie auf ein seltsames Planetensystem, zu dem mehrere bewohnbare Welten gehörten. Eine erwies sich als besonders ruhig und angenehm, dort landeten sie. Es dauerte einige Zeit, bis sie Sanjirmil an einem Strand ein kleines Haus gebaut hatten. Sie ließen ihr Samen, Werkzeuge und einige Tiere zurück. Auf dieser Welt gab es kein intelligentes Leben. Dort konnten sie ihr zu Ehren ein Haus bauen, aber sie konnten auch sicher sein, daß sie niemals Gelegenheit haben würde, sie zu verraten. Diese Welt lag so weit draußen im Raum. Es schien ausgeschlossen zu sein, daß irgend jemand hierherkam, solange es hier noch ein Zeichen von ihrer Existenz gab. Nicht einmal sie selbst kannten die Positionen dieses Planetensystems genau. Außerdem hatte sie bereits ihre Ältesten-Phase erreicht, und es blieb ihr ohnehin nicht mehr allzuviel Zeit. Und so flogen sie davon, nachdem sie ihr noch einmal die Ehre erwiesen hatten, und ließen Sanjirmil auf einem unbewohnten Planeten zurück. Selbst seine Entdecker hatten schon nach kurzer Zeit vergessen, wo er sich befand …
Jetzt kam Sanjirmil noch einmal ihre erfolgreiche Heilung zugute. Denn diese Heilung hatte ihr zu einer geistigen Gesundheit verholfen, wie sie wohl kaum je ein Ler oder Mensch besessen hatte. Sie saß allein in ihrer steinernen Villa und blickte über das weite Meer. Sie war die Gefangene einer Bewegung geworden, die sie einst ins Leben gerufen, dann verlassen und schließlich bekämpft hatte. Sie verzweifelte nicht. Sie verließ sich auf ihre Kräfte, denen sie ihr ganzes Leben hindurch vertraut hatte. So überlebte sie. Das erste Jahr. Und das zweite. Danach fiel ihr das Leben etwas leichter. Sie lernte es, sich dem Rhythmus des Planeten anzupassen.
Sie vergrößerte ihr kleines Reich und begann die Umgebung zu erforschen. Sie lernte einige gefährliche Lebensformen kennen, und sie verstand es bald, ihnen aus dem Weg zu gehen. Sie marschierte weit die Küste entlang, und sie durchstreifte das Landesinnere. Ein Schiff zu fliegen, hatte sie einst eine ungeheure Anstrengung gekostet, doch das Überleben bereitete ihr keine Schwierigkeiten. Sie vereinigte bald eine ganze Gemeinschaft von Handwerkern und Bauern in ihrer Person. Sie hatte keine Hoffnung, aber sie gab auch nicht auf.
Sie zählte bald die Jahre nicht mehr, denn sie konnte sie ohnehin nicht in die Jahre des Heimatplaneten umrechnen. Es war nicht mehr wichtig. Als man sie zurückließ, hatte ihr Haar schon einige graue Strähnen, jetzt wurde es völlig grau, dann weiß. Sie begann haushälterisch mit ihren Kräften umzugehen und verließ kaum noch die nähere Umgebung ihres Hauses. In dieser Zeit hatte sie zum erstenmal das Gefühl, das irgend etwas sich rührte, sie bemerkt hatte und sie beobachtete. Es war etwas Böses, das sich bis dahin aus einem unbekannten Grund totgestellt hatte. Zuerst glaubte sie an Halluzinationen. Sie schrieb sie ihrem Alter und ihrer Einsamkeit zu. Aber die Erlebnisse häuften sich, und die fremden Eindrücke wurden stärker. Es begann Spuren zu hinterlassen, die objektiv meßbar waren. Doch sie hörte nicht auf, an sich selbst zu zweifeln. Um sich Gewißheit zu verschaffen, ersann sie unauffällige kleine Fallen, die sie dem Unbekannten stellte. Es wurde zur Hauptbeschäftigung für den Rest ihres Lebens: der Beweis, daß dieses fremde Wesen existierte, daß es sich nicht um eine Täuschung ihrer nachlassenden Sinne handelte.
Schließlich gelangte sie zu der Gewißheit, daß dieses Wesen tatsächlich existierte. Es war kein Phantom, und es war intelligent; es war machtvoll und befand sich in einem Prozeß des Erwachens. Sie fürchtete sich vor ihm, doch es gelang ihr auch, sich in gewissen Grenzen mit ihm zu verständigen. In ihr war die Hoffnung erwacht, daß es eines Tages jemanden geben würde, der durch Raum und Zeit sehen konnte, der sie wahrnehmen würde. So spielte sie wieder und wieder eine kleine Szene, in der sie die ganze Geschichte erzählte. Irgendwann würde jemand die Wahrheit erfahren, ganz gleich, ob es die Krieger dann noch geben würde. Und so trug sie am Ende den Sieg über sie davon. Denn das Geschlecht der Krieger ist erloschen. Es lebt nur noch ihre Lüge, sie sei ihr Prophet, ihr Anführer gewesen. Doch ich kenne bereits die wahre Geschichte, und ich …“
Flerdistar unterbrach ihn: „Du hast die Geschichte auf Monsalvat verbreitet, einst, als Cretus der Schreiber …“
„Ich habe sie ein wenig überarbeitet und ausgeschmückt, um sie dem Geschmack der Klesh anzupassen …“
„… daß Sanjirmil …“
„… die Heilige Zermille, die heilige Frau von Monsalvat …“
„… die Krieger haßte, obwohl sie selbst eine Ler war, und daß sie die Opfer der Krieger liebte.“
„So geht die Legende.“
„Es ist eine schöne Geschichte. Sie ist gut für dein Volk, und mir bringt sie endlich die Antwort, nach der ich so lange gesucht habe. Jetzt ist alles gut. Ich habe nur noch eine Frage: Was bringt die Geschichte eigentlich mit Monsalvat in Verbindung? Was hat sie mit dieser Welt zu tun?“ Während sie noch ihre Frage formulierte, sagte ihr Gesicht ganz deutlich, daß sie die Antwort schon kannte. Mit einemmal wußte sie es.
Cretus antwortete ihr dennoch: „Hier auf Monsalvat haben sie sie zurückgelassen. Sie hat im Westen gelebt, am großen Ozean. Das Land nennen wir heute Warvard. Es ist gar nicht sehr weit von Ombur entfernt. Und sie hat die Wesenheit aufgeweckt, die schon damals auf Kathargo lebte … Sie hat mich gelehrt, die Wesenheit zu erkennen und ihren Einflüssen zu entfliehen. Die Kreatur konnte Raum und Zeit beeinflussen, aber sie konnte nicht verhindern, daß mich Sanjirmils Botschaft erreichte. Für Sanjirmil war es eine der letzten Taten in ihrem Leben, die Botschaft zu formulieren. Die Wesenheit konnte die Botschaft nicht wahrnehmen, diese Botschaft, durch die ich erkannte, daß ich mich zurückziehen mußte, daß mein Traum sich nicht verwirklichen ließ, solange dieses Etwas lebte und ich es nicht erreichen und darum nicht besiegen konnte …“
Sanjirmils Geschichte war noch nicht ganz zu Ende, darum fuhr er fort: „Sie ist ins Meer gegangen, um zu schwimmen, und der große Ozean hat sie verschlungen. Die Sonnen, der Wind und die Wellen verwischten nach und nach alles, was sie am Strand zurückgelassen hatte. Ihre Spuren verwehten und waren für ungeübte Augen bald völlig unsichtbar geworden. Und dann kamen die Menschen und die ehemaligen Sklaven der Krieger, und sie schufen Bauten, rissen sie nieder und bauten sie wieder auf. Die Gouverneure und Kolonialisten radierten das aus, was Wind und Wellen übriggelassen hatten. Warum hätte auch irgend jemand hier nach ihr suchen sollen? Alle dachten ja, daß sie mit den Kriegern gegangen war. Doch als man die Krieger von Morgenröte deportierte, da hat niemand von ihnen ihr Grab erwähnt, niemand hat auch nur ihren Namen genannt. Nein, hier hat sie ihr Leben beendet. Und so haben wir aus ihr eine Heilige gemacht. Jetzt hat uns die Geschichte Recht gegeben. Es war eine lange Zeit, und es war ein weiter Weg, doch am Ende hat sie uns gerettet und uns den Weg gewiesen. Denn was ich verkünden werde, das stammt nicht von Meure und nicht von Cretus, sondern sie hat es mir gesagt. Ich kenne ihre Botschaft schon lange, doch ich wußte nicht, wie ich sie in Taten umsetzen sollte. Aber nach dem, was heute geschah, weiß ich es! Durch mich wird sie ihr Verbrechen wieder gutmachen können. Sie selbst hat schon alles vorbereitet. Zu ihrer Zeit war sie der einzige Ler, dessen Geist völlig rein und demütig war. Sie hatte eine klare Vision, die mir fehlte, obwohl auch ich einen Traum hatte. Doch ich war als Träumer weise genug, um zu erkennen, daß ihr Traum der größere war.“
Flerdistar machte einen unsicheren Schritt die Leiter hinauf. Worte fand sie keine.
Er sagte zum Abschied: „Trage dies alles, was du gehört hast, weiter. Sage deinem Volk, daß niemand mehr staubige Bücher durchforschen oder das All durchqueren muß, wenn er zu ihr gelangen will, der größten Seherin deines Stammes. Sage deinen Leuten, daß wir sie zu euch bringen werden, daß sich unser Leben verändern wird. Wir werden uns auf wunderbare Art entfalten, und alles, was vor uns geschah, werden wir nun als Einführung betrachten, ohne die unsere Wandlung nicht möglich gewesen wäre. Leb wohl!“
Flerdistar schwieg noch immer. Stumm wandte sie sich ab und stieg die restlichen Sprossen hinauf. Ohne sich noch einmal umzusehen, verschwand sie im Rumpf des Schiffes.
Dann wurde die Leiter eingezogen, und die Luke schloß sich. Jetzt war die Außenhaut des Rumpfes nahtlos glatt. Das Schiff stieg auf, kaum merklich zunächst, doch dann wurde es schneller. Gleichzeitig schwenkte sein Bug herum, gehorchte den Anweisungen des unsichtbaren Kapitäns und seines Astrogators. Jetzt war es schon hoch in den Himmel hinaufgestiegen, in dem sich mit rosigem Schein die Ankunft des Morgens ankündigte. Der Horizont im Osten war bereits leuchtend orangefarben eingefärbt. Er erstrahlte in einem Licht, das zum Wesen von Monsalvat gehörte. Währenddessen war das Schiff geräuschlos weiter emporgestiegen. Der Funkenflug auf den Röhren verblaßte, und das Schiff stieg und stieg und war bald nur noch ein dunkler Reck im endlosen Himmel von Monsalvat.
Es gab Leute in Yastian, deren Geschäft war es, alles festzuhalten, was in der Stadt geschah; und diese Leute wußten später zu berichten, daß die drei Gefährten noch eine Weile auf dem Landeplatz standen und in den Himmel schauten. Doch dann gingen auch sie. Am folgenden Tag konnte man sie an den Hafenbecken beobachten, wie sie mit mehreren Kapitänen verhandelten. Schließlich schifften sie sich auf einem Boot ein, daß dreieckige Segel gesetzt hatte. Die Mannschaft bestand aus schlanken Gestalten, die enganliegende gestreifte Hemden und imposante Turbane trugen. An dieser Kleidung und an ihren schmalen, sonnengebräunten Gesichtern konnte man leicht erkennen, daß sie zum Radah Horisande gehörten, den gefürchteten Piraten von Glordune.
Augenzeugen berichten, daß sie an Bord mit der finsteren Zurückhaltung aufgenommen wurden, die für diesen Klesh-Radah so typisch war. Dann löste das Schiff die Taue und zog mit langsamer Fahrt durch die Kanäle, dem Meer entgegen. Als der Abend hereinbrach, glitt es durch das Inselmeer des Deltas, und vom morastigen Ufer aus konnte man sehen, wie die drei beieinander an der Reling standen, entspannt und heiter. Seltsame Lieder klangen über das Wasser. Es waren nicht die blutdürstigen Shanties, die man hin und wieder von Leuten hören konnte, die eine Begegnung mit den Horisandern lebend überstanden hatten.
Von diesen Beobachtungen sprach man eine Weile in der Stadt, aber dann wandte man sich wieder dem hektischen Geschehen des Alltags zu. Doch es kam der Tag, da man sich wieder an all das erinnerte. Als nämlich Cretus, nachdem Bitirme viele Male über das Innenmeer gezogen war, nach Yastian auf Kepture, dem letzten der Kontinente, zurückkehrte, da sah man in den Beobachtungen die Vorzeichen für eine neue Zeit. Doch das ist eine andere Geschichte. Sie läßt sich in der Aussage zusammenfassen, daß eine große Veränderung von Osten kam. Sie kehrte dorthin zurück, von wo sie ausgegangen war, und dann breitete sie sich weiter aus, bis sie schließlich alles erfaßte: Menschen, Salamander und Gnome.