„Die Vorstellung, die sich ein moderner Mathematiker vom Universum macht, erinnert auffällig an die Visionen eines William Blake.“
A.C.
These, Antithese, Synthese. Es entstand eine Person, die es zuvor nicht gegeben hatte. Sie besaß einen Erinnerungsschatz, der sich aus allen Erlebnissen der beiden Einzelpersonen zusammensetzte, die die Verbindung eingegangen waren. Der neue Mensch empfand seine Entstehung nicht als einen Bruch im Lauf der Ereignisse, für ihn war sie nur der Gipfelpunkt eines natürlichen Prozesses. Er fühlte sich nicht als Meure oder als Cretus, sondern als Summe aus beiden. Zunächst schätzte er sich nicht als eine benennbare Identität ein, aber er wußte sofort, daß er ein einzigartiges Geschöpf war, ausgestattet mit einzigartigen Fähigkeiten. Wo beide vorher, jeder für sich, vermutet hatten, daß irgendwo über ihren Köpfen ein dunkles Spiel gespielt würde, durchschaute der neue Mensch nun das ganze Spiel, erkannte die Spieler und seine eigenen Karten. Das alles geschah im allerersten Augenblick seiner neuen Existenz. Er sah alles in einem neuen Licht. Gleichzeitig war er aber selbst aus dem Schatten in dieses Licht getreten.
Es war keine Zeit mehr zu verlieren. Die ersten Augenblicke hatten die Erkenntnis gebracht, und mit der Erkenntnis kam die Einsicht, wie nötig die Tat geworden war. Er sah das alles schneller, als er es benennen konnte.
Er war in einem Zimmer in einer elenden Stadt auf Monsalvat. Das nahm er nur dämmrig wahr. Einige Personen waren da, sie blickten betroffen. Sie standen in einer gewissen Beziehung zu ihm, und jetzt waren sie besorgt, etwas ausgelöst zu haben, das Gefahr bedeutete. Ja, Gefahr. Es würde eine Veränderung geben, und einige würden diese Veränderung für negativ halten, da sie die Grundlagen der Gesellschaft betraf.
Auf der obersten Wahrnehmungsebene war er sich dessen bewußt, daß er ein Teil in einem gewaltigen Spsom-Vfzyekhr-Netzwerk war, welches das ganze Universum umspannte. Er glaubte die Knotenpunkte dieses vierdimensionalen Gebildes im ewigen Dunkel leuchten zu sehen. Und da war, natürlich, noch viel mehr. Fremdartige, intelligente Wesen. Zu manchen war ein Kontakt möglich. Andere gab es, in denen viele sich zu einer Einheit verbanden, bei denen er auf Ablehnung stieß. Auf dieser Wahrnehmungsebene hatte der gesamte Weltraum eine verzerrte Gestalt. Die Abstände zu den Dingen entsprachen nicht der tatsächlichen Entfernung in Lichtjahren. Sein Zielkontakt an Bord der Thlecsne Ishcht, die sich auf einem Flug durch das All befand, zeigte sich als unscharfes Schimmern. Seine Position zwischen den Sternen, die er als matte Punkte wahrnahm, ließ sich nicht genau bestimmen. Es gab andere Dinge, deren Standort glitzernd klar war, er konnte ihn genau festlegen.
In weiter Ferne, so schien es jedenfalls, gab es ein einzigartiges, unbestimmbares Gebilde. Er konnte sich darauf konzentrieren, seine Einzelheiten untersuchen, er mußte nur seine Wünsche dorthin lenken. Es war auf eine unbeschreibliche Weise fremdartig. Fremd für ihn und auch fremd für die Vorstellungskraft des ganzen Netzes, dessen Teil er war. Etwas war unrichtig (?), eine Funktionsstörung (?), verlief gegen alle Erwartungen (?). Es hatte ihn wahrgenommen. Es war in Bewegung geraten, in eine schiebend-drängende Bewegung, die sich nicht mit Beispielen aus der menschlichen Bewegungsanatomie beschreiben ließ. Es bewegte sich, und gleichzeitig konnte man ahnen oder spüren, daß es sich nicht wirklich physisch bewegte. Sicher war jedoch, daß es ihn wahrnahm und daß es sich anschickte, ihn zu bedrohen.
Er hatte eine Verbindung zur Thlecsne Ishcht. Er sandte eine Nachricht an den Kommunikationsbund an Bord: Kommt mit dem Schiff nach Monsalvat und trefft die notwendigen Maßnahmen, um die Überlebenden der Ffstretsha an Bord zu nehmen. Ihr müßt eine feindselige Wesenheit niederkämpfen.
Die Thlecsne antwortete: Wir kommen gut gerüstet und sind auf eine Auseinandersetzung vorbereitet. Wie bei unserem ersten Anflug rechnen wir mit Flugschwierigkeiten, doch diesmal sind wir darauf vorbereitet.
Er: Ich werde versuchen, das Phänomen abzuschwächen. Es wird nämlich bewußt verursacht. Der Verursacher ist in unserem Netz auszumachen: Es ist die fremdartige Erscheinung bei den Koordinaten 23a& =+667. Entweder befindet sie sich auf dieser Welt oder in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft.
Der Bund an Bord der Thlecsne Ishcht sandte folgende Antwort: Eure Sehfähigkeit hat die Größe G. Uns steht diese Sehkraft nicht annähernd zur Verfügung. Wir nehmen nur andere Spsom-Sender auf, ein paar unidentifizierbare Strahlungen und euch. Ihr seid keine Spsomi. Wer seid ihr, und wie konntet ihr euch in das Vfzyekhr-Netz einschalten?
Er antwortete: Ich/wir sind/waren Menschen. Als der Kommunikationsbund zustande kam, bin ich zu einer Einheit verschmolzen worden. Ich weiß nicht, welcher Art diese Einheit ist und ob sie Bestand haben wird. Ich werde mich nun auf eine höhere Ebene begeben und mit der fremden Wesenheit Verbindung aufnehmen, die unsere gemeinsamen Anstrengungen bedroht. Ihr müßt alle Spsom-Stationen aus dem Netz ausschalten, da es zu einer Bedrohung für euer gesamtes System kommen kann. Sofern euch Vfzyekhr zur Verfügung stehen, könnt ihr Dämpf-Filter nach dem Muster „2“/3 verwenden. Wenn ich nicht wieder Kontakt zu euch aufnehme, müßt ihr dieses Planetensystem ansteuern und die Wesenheit vernichten. Der Vfzyekhr kann ihren Ort bestimmen.
Damit brach er den Kontakt zur Thlecsne Ishcht ab. Dann versuchte er mit seinem Vfzyekhr-Bund eine höhere Kommunikationsebene zu erreichen.
Sein Ziel war die Wesenheit, sie stand im Zentrum seiner Konzentration.
Weit unten auf einer der beiden Lebenslinien, die er besaß, hatte es schon einmal einen Kontakt mit einer Projektion der Wesenheit gegeben. Doch diese Erinnerung war von einem mystisch-dunklen Hauch begleitet, war zugleich bedrückend und unwirklich. Der Kontakt jetzt war von völlig anderer Art. Die Wesenheit existierte vor allem auf einer sehr abstrakten, gedanklichen Ebene; sie hatte allerdings ihre Wurzeln in der physischen Realität, doch die waren dünn, weit verzweigt, trügerisch und fast unsichtbar wie das Myzel der Pilze. Und so, wie der sichtbare Teil der Pilzpflanze nur ein Fruchtträger ist, der von der eigentlichen Pflanze aus dem Untergrund hervorgetrieben wird, so waren auch die körperhaften Erscheinungen der Wesenheit auf Monsalvat nicht das Wesen selbst. Es waren vielmehr Kontaktstationen, Verständigungsapparate, die der Staatenorganismus des Wesens hervorbrachte, um mit Kreaturen in Verbindung zu treten, die ihm primitiv und unterlegen erschienen.
Soviel konnte er nun wahrnehmen. Was er nicht ermitteln konnte, war der Ort, an dem sich der Rest der physischen Existenz der Wesenheit verbarg.
Natürlich nicht! Diese Botschaft sandte es ihm. Durch diese direkte Ansprache wurde er sich noch einmal der Gefahr bewußt, in der er schwebte. Denn Monsalvat lag nun einmal im Einflußbereich des Wesens, und daher befand auch er sich auf einem Gelände, das von seinem Feind beherrscht wurde.
Endlich, ließ es sich wieder vernehmen, kann ich direkt zu dem sprechen, um dessen Erweckung aus dem Haus der Toten ich mich so lange bemüht habe.
Der Meure-Anteil gab die Antwort: Und auch zu dem, den du von weither geholt hast, um als Träger für Cretus zu dienen. Aber keiner von uns will dir dafür danken, was du uns und dem Volk von Monsalvat angetan hast.
Es antwortete: Was das betrifft … Auch wenn du nur künstlich und zeitweise diese hohe Ebene erreicht hast, kannst du doch von ihr aus eine neue Sehweise gewinnen. Du wirst begreifen, daß Wesen wie ich durch die Handlungen anderer leben. Tiere sind dabei unbefriedigend, denn sie haben kein Zeitgefühl. Organismen dagegen, die mir ähneln, sind ebenfalls ungeeignet, denn sie erkennen mich, können sich mir widersetzen und mich möglicherweise angreifen. Nein, die Menschen von Monsalvat mit ihrer Leidenschaft, ihrem Haß, ihrer Rache und ihrer Verachtung sind wirklich gut geeignet, und sie besitzen gerade das richtige Erkenntnisvermögen. Einsamkeit und Langeweile nehmen mit dem Bewußtseinsstand zu. Körperliche Beschränkungen behindern den Anstieg zu dieser Ebene, daher werden sie immer weiter reduziert, und man reicht weiter und weiter hinauf. Diese Entwicklung lassen wir auf Monsalvat nicht zu! All diese blanken Waffen und die Freude an ihrem Gebrauch. Nein! Das darf sich nicht ändern. Und da ihr nicht zu mir kommen könnt, selbst wenn ihr wüßtet, wo sich meine körperliche Basis befindet, sehe ich nicht, wie ihr etwas verändern könntet.
Was wird aus mir/uns?
Was bist du?
Eine Gemeinschaft, ein Staatenorganismus … Vor langer Zeit bin ich aus Einzelwesen entstanden, die ein individuelles Bewußtsein hatten …
Waren sie menschenähnlich?
Nein, eigentlich nicht. Allerdings hatten die Einzelwesen Knochen, Organe, Gliedmaßen, was eben eine herkömmliche Lebensform ausmacht. Das gilt für alle Lebewesen, es gibt nur äußerliche Abweichungen. Das Universum jedoch hat dem Körperlichen Grenzen auferlegt. Diese Grenzen kann man nur überwinden, wenn es einem gelingt, sie in einer neuen Gestalt zu umgehen.
Du hast dir bisher keinen anderen Wirt gesucht?
Nein, das ist mit einigen Problemen verbunden. Wenn ich meine Wirtswesen verlasse, dann entsteht ein Leerraum. Sie können nur als Wirtswesen existieren, und sie würden sich eine neue Wesenheit schaffen, über deren Art sich schlecht spekulieren läßt.
Und du erträgst keine Konkurrenz. Das ist ganz einleuchtend.
Ihr, sagte es, seid Wesen der Bewegung. Das bedeutet, daß ihr unbeweglich seid in bezug auf die Zeit. Für mich ist es gerade umgekehrt. Für Monsalvat verfolge ich ein ganz konkretes Ziel: Ich warte, bis die zukünftige Wirtsbevölkerung einen gewissen Stand erreicht hat … dann werde ich mich dorthin transferieren. Unter meiner Anleitung werden sie dann das All bereisen, und ich werde in zweifacher Hinsicht beweglich sein.
Aha, dachte er, es ist nicht auf Monsalvat, denn es will sich erst dorthin transferieren …) Dann fragte er: Und dann willst du dich ausbreiten und vervielfachen?
Nein, lautete die Antwort, nachdem der Transfer zustande gekommen ist, werden wir die alte Wirtsbevölkerung eliminieren und gemeinsam davonfliegen … Vorher muß hier auf Monsalvat erst eine gewisse Bevölkerungsdichte erzielt sein, darauf ist meine Existenzform angewiesen.
Er fragte: „Warum willst du dich überhaupt fortbewegen?“
Die Maßnahme ist langfristig notwendig. Alle Planetensysteme verlieren irgendwann ihre Bewohnbarkeit für jede Lebensform.
Alle Lebensformen, auch die mächtigsten, haben ihre Beschränkungen. Dies ist eine meiner Grenzen. Ich kann Einzelwesen zusammenfassen und sie spezialisieren, aber ich kann keine alten Formen neu erschaffen oder spezialisierte Formen in eine neue Richtung lenken. Meine Wirtsform ist so hochspezialisiert, daß ihr sie für degeneriert halten würdet. Ich kann keinen Marmor erschaffen, nur Statuen aus dem Marmor formen, den ich finde. Meine Wirtswesen … wir sind kleine Pflanzenfresser, niemand würde uns ansehen, daß wir von den Stem-Epiprimaten abstammen, die auf einer sehr hohen Entwicklungsstufe standen.
Was wird aus den Klesh, wenn du hierherkommst?
Die hohe Entwicklungsstufe meines ursprünglichen Wirtsvolks kann ich ihnen nicht zugestehen … gerade soviel technologisches Wissen, daß wir von hier fortkommen können.
Er sagte: Wird es ein solcher Transfer wie zwischen Cretus und mir?
Cretus war nur ein Experiment. Ich habe seine Spur in der Zeit entdeckt – und auch die von Meure – und ihn dann hierhergeschafft. Vorher gab es einige Fehlversuche …
Hast du auch bedacht, daß sich etwas Ähnliches wiederholen könnte? Daß der Monsalvat-Klesh-Wirt eine verborgene, unentdeckte Kraft besitzen könnte. Daß er die Macht über dich, dein Wissen und deine Unabhängigkeit von der Zeit übernehmen könnte? Ich glaube nicht, daß ein solches Gebilde etwas Gutes bringen würde. Es würde das Universum mindestens ebenso sehr verändern, wie ich die Klesh auf Monsalvat verändern werde, aber für das Universum wäre es keine Veränderung im Guten.
Wie willst du die Klesh verändern? In der Botschaft schwang eine Spur von Schrecken mit.
Zunächst einmal werde ich sie gegen dich immun machen. Die Geschichten der Menschen sind voller Furcht und Abscheu vor Dämonen. Dort werde ich anknüpfen. Du wirst einen guten Dämonen abgeben, wenn du auch nicht ganz meinen Vorstellungen entsprichst.
Zum erstenmal war die drängende Kraft, mit der die Wesenheit den Kontakt gesucht hatte, verschwunden. Er suchte, er lauschte. Aber für einige Zeit war da nur Dunkelheit und Schweigen.
Er machte einen neuen Vorstoß. Jetzt erkenne ich, daß es Wesen wie du waren, die wir Dämonen nannten. Aber es gelang den Dämonen nie, von den Menschen Besitz zu ergreifen, oder …
Die Antwort kam sofort: Es gibt kein oder. Es ist nie gelungen, das weiß ich. Der Transfer kam nie zustande, weil die zu überwindende Distanz immer zu groß war. Auf den Heimatwelten lief ihnen die Zeit davon, und in der näheren Nachbarschaft gab es keine geeigneten Wirtsorganismen.
Diesmal gab sein dritter Bestandteil die Antwort: Eine Rasse ist deinen Weg nicht zu Ende gegangen. Sie ist umgekehrt.
Mehr als eine, antwortete es. Eine von ihnen ist jetzt ein Bestandteil eures Kommunikationsbundes. Aber sie konnte sich meine Erfahrungen zunutze machen. Sie haben von mir gelernt, bevor ihre Evolution den Punkt überschritten hatte, hinter dem es keine Umkehr mehr gibt. Wir hatten bereits Kontakt miteinander, damals, wie ihr sagen würdet, dort, wie ich sagen würde.
Welche Rasse ist noch umgekehrt?
Ihr Schiff hat dich hierhergebracht.
Die Spsomi?
Ja, die Spsomi. Sie fürchteten die Verschmelzung noch mehr als die Vfzyekhr sie gefürchtet hatten.
Wie ist es mit den Menschen, den Ler, den Klesh?
Das ist nicht mit einem Satz zu beantworten. Alle intelligenten Organismen entwickeln sich auf die Verschmelzung hin. Es liegt hier der gleiche Prozeß vor, der aus Einzellern vielzellige Lebewesen werden ließ.
Aber die einzelnen Rassen hassen einander doch!
Es ist unwichtig, was sie sagen. Was sie tun, das zählt. Sie reagieren aufeinander in genau bestimmbaren Verhaltensmustern. Alles in diesen Verhaltensmustern deutet darauf hin, daß die Vereinigung bald bevorsteht. Erst durch diese Muster wird ein Wesen wie ich überhaupt auf andere Organismen aufmerksam.
Weil sie als Wirt in Frage kommen?
Aus eben diesem Grund. Außerdem waren die Klesh in Reichweite, und sie besitzen genau das richtige, empfindsame Bewußtsein. Cretus zum Beispiel. Allerdings bin ich zunächst auf seine Vorfahren aufmerksam geworden. Es war fast zu spät …
Aber er hat dich doch bekämpft …
Gewiß, er hatte eigene Vorstellungen … Immerhin hat er die Voraussetzungen geschaffen, damit ich steuerbare Empfänger hier einführen konnte. Mit ihnen konnte ich verhindern, daß sich die Entwicklung in eine falsche Richtung bewegte. Es hat mich viel gekostet, diese Außenstationen hier zu unterhalten. Sie ähneln mir. Sie bestehen nicht wirklich aus Materie, obwohl es für eure Wahrnehmungsorgane so erscheinen mag.
Der Cretus-Anteil sagte: Die Wendel.
So ist es. Um sie zu benennen, habe ich sogar ein Menschenwort verwendet: Wandelbar! Vielleicht wird euch jetzt klar, warum man nie herausbekommen hat, auf welche Weise die Wendel zueinander in Verbindung treten. Sie verständigen sich untereinander überhaupt nicht; sie sind Teile von mir. Es gibt keine Wellen, sie sind einfach ein Bewußtseinszustand.
Aber es gab die Wendel schon früher als Cretus.
Ich kann mich in der Zeit bewegen. Ich habe sie vor Cretus eingeführt, damit man sie nach ihm benutzen konnte. Es war das Äußerste, was ich tun konnte, und es war mein erster Schritt auf dem Wege zur direkten Intervention.
Das ist das Äußerste, was du im Reich der Materie zu tun vermagst?
Das ist die einzige stabile Form, die ich im materiellen Universum annehmen kann.
Er hätte gern weitere Fragen gestellt und so dem Wesen Gelegenheit gegeben, sich weiter zu enthüllen. Er wußte, daß es in der Nähe war. Nahe genug, um sich in Reichweite der Waffen der Thlecsne Ishcht zu befinden, ganz gleich, wie diese beschaffen sein mochten.
Aber plötzlich verschwand die Verbindungsebene, die er mit der Wesenheit teilte. Sie verging nicht allmählich, wurde nicht langsam undeutlicher, sondern war von einem Moment auf den anderen nicht mehr da. Wie abgeschaltet. Aber er hatte auch keine Verbindung mit der Alltagswelt, in der sich sein Körper befand. Er war eingeschlossen im Niemals, im Nichts.
Eine feine Stimme sprach ihn an, fast unhörbar zwar, aber von einer kristallenen Klarheit, die auch den Lärm einer großen Stadt durchdrungen hätte. Sie sagte: „Wir haben die Kraft des ganzen Vfzyekhr-Volkes zusammengefaßt, um dich vor dem Wesen abzuschirmen. Es ist sehr intelligent, aber das ist keine praktische Intelligenz – es ist nicht gewitzt. Dennoch hat es erkannt, daß du herausbekommen willst, wo es sich befindet. Wir kennen es aus der alten Zeit, als wir es gefunden haben – oder es uns. Sein Beispiel hat uns zur Umkehr auf unserem Weg bewogen. Zur Zeit befindet es sich auf dem zweiten Planeten dieses Systems, dort hat es seine Basis. Aber es ist ein Wesen, das in der Zeit lebt, und so hat es den künftigen Transfer zurückverlegt. Seine Vorbereitungen hatten schon begonnen, bevor es mit dir sprach. Es dauert eine gewisse Zeitspanne, bis es die Kontrolle über seinen neuen Wirtsorganismus übernommen hat. In dieser Zeit kommen alle seine anderen Aktivitäten zum Erliegen. Das Kriegsschiff hat bereits offenen Raum gemeldet und nähert sich nun mit voller Kraft. Die Wesenheit, wie du sie nennst, wird von der Bevölkerung dieses Planeten Besitz ergreifen, bevor du sie davor warnen kannst. Das Wesen muß aber dennoch aufgehalten werden, denn eine Verbindung mit der Bevölkerung dieser Welt würde seine Stärke verfünffachen. Dann kann es das System verlassen, wo es gefangengehalten wurde.“
Er dachte:
„Ich hatte geglaubt, es sei hier entstanden.“
„Es gehört seit seinen Anfängen zu diesem System, aber vor langer Zeit hat es versucht, es zu verlassen. Es ist im ersten Schöpfungszyklus entstanden, und es war stärker als alles andere. Alle anderen Wesenheiten, die ihm ähnelten, verbanden sich, um es aufzuhalten. Es gab eine große Schlacht der Willenskräfte. Die Verbindungsebene, die du eben erblickt hast, erzitterte unter diesem Gefecht. Sogar ein Teil des materiellen Universums wurde in den Kampf hineingezogen. Wir …“
„Fahre fort.“
„Wir mußten etwas Schreckliches tun, ein Verbrechen begehen. Wir brachten alle Sterne in der Umgebung von Monsalvat zum Erlöschen, mit Ausnahme von Bitirme. Wir sahen, denn auch wir beherrschten die Zeit, daß die nahe gelegenen Systeme Lebensformen entwickeln würden, die es als Brücken für seine Ausdehnung benützen könnte. Es würde ewig weiterwachsen. Wir schufen Wirbel in der Struktur des Alls, die die Neuentstehung zentraler Sterne in diesem Bereich des Weltalls verhinderten. Die Urspirale, in der Sterne und Galaxien entstehen, ist an dieser Stelle deformiert.“
Aus diesen Worten sprach ein Schuldgefühl, das sich nicht verbergen ließ. Er fragte: „Ihr mußtet viel zerstören, um es hier festzuhalten?“
„Die Hälfte von dem, was damals war, ist für immer verloren. Wir nahmen es freiwillig auf uns, denn wir erkannten, welche Zukunft uns alle erwartete. Wenn man die Zeit bewegen will, bedarf es dazu großer Lebensenergie. Darum mußten wir unsere Daseinsform selbst opfern, und wir wurden zu dem, was wir heute sind: kleine Pelztiere, die von einer anderen Zivilisation adoptiert worden sind. Wir sind die veränderten Nachkommen der Ersten, und wir wählten die Unwissenheit, weil wir nicht so werden wollten wie die Wesenheit. So ist es damals gewesen. Jetzt sind wir von den Toten zurückgekehrt, um uns zu versichern, daß wir nicht noch einmal dasselbe tun müssen, denn sie ist heute stärker als sie damals war.“
„Du bist gekommen, um mir zu sagen, was ich tun soll.“
„Du bist eine einzigartige Gestalt, eine Geburt des Zufalls. Jetzt ist dir die Macht des kollektiven Willens der Vfzyekhr verliehen worden. Wenn sie dir wieder entzogen wird, dann wird dir nur das bleiben, was Cretus und Meure in die Verbindung einbrachten: Unschuld und eine souveräne Menschenkenntnis. Ihr müßt die Verantwortung auf euch nehmen, die ihr für diese Menschen habt. Ihr könnt sie zu Heil und Rettung führen. Macht die Augen auf und folgt dann eurer Vision. Aber jetzt mußt du dieser Kreatur sagen, was wir tun werden, um sie zum Stillstand zu bringen – für immer.“
„Was könnt ihr tun?“
„Die beiden Sterne, die das Zentrum des Systems bilden, sind sehr alt, und ihr Heliumanteil ist beträchtlich. Man kann einen Vorgang einleiten, in dem sie zu einem einzigen Gestirn verschmelzen. Ein solches Geschehen kann allerdings nicht durch Willenskraft allein ausgelöst werden, dazu müssen die Grundkräfte des Universums umgeformt werden.
Viele Geschöpfe werden darunter zu leiden haben, einige von ihnen sind den Menschen unbekannt, andere werden ihnen immer unbekannt bleiben. Wir haben alle Vorbereitungen getroffen, um den Prozeß einzuleiten. Doch vielleicht findest du einen anderen Weg. Dir stehen Cretus’ Geschick und Meures Träume zur Verfügung, und du kannst dich der herkömmlichen Waffen der Thlecsne Ishcht bedienen, wenn die Lage es erfordert. Wenn du wieder mit der Wesenheit Kontakt aufnimmst, wird es nur noch zwei voneinander getrennte Sendekanäle geben, derer du dich bedienen kannst. Diese beiden Kanäle sind hermetisch gegeneinander abgeschirmt. Einer wird dich mit der Wesenheit verbinden und der andere mit der Thlecsne. Ich/Wir werden keine direkte Verbindung mehr haben. Wir werden nur beobachten, was geschieht. Solltest du scheitern, werden wir eingreifen.“
Während die Stimme so zu ihm sprach, verspürte er die wachsende Kraft, die hinter ihr stand. Energien strömten zusammen, und lange vergessene Fähigkeiten erwachten zu neuem Leben. Eine Macht befreite sich von den Fesseln, die sie sich vor Jahrmillionen selbst angelegt hatte. Die Stimme entfernte sich weiter und weiter, dann erlosch sie.
Jetzt wurde die Gegenwart der Wesenheit wieder spürbar, gleichzeitig empfing er ein Gedankenbild des Raumschiffes. Doch nur er konnte beide wahrnehmen. Füreinander waren sie unsichtbar.
Er dachte: Es ist also auf dem zweiten Planeten, auf Kathargo. Doch es hat bereits mit dem Transfer hierher, nach Monsalvat, begonnen. Zu welchem Stamm wollte es? Auf welchem der vier Kontinente mochte es sich befinden? Verzweifelt überprüfte er das Wissen, daß Cretus und Meure über Monsalvat zusammengetragen hatten. Eine Tatsache schälte sich immer deutlicher heraus: Nirgendwo auf dieser Welt gab es eine Klesh-Rasse, deren Mitglieder so zahlreich waren, daß sie einen ganzen Kontinent beherrschen konnten. Die Mittler lebten zwar über die ganze Welt verteilt, aber ihre Zahl war sehr gering. Es gab nur einen Platz, wohin es sich wenden konnte: … Hierher, nach Yastian. Eine Unzahl von Lagostomern lebte hier. Jeder einzelne war schwach, aber vereint und von einem gemeinsamen Ziel beseelt, waren sie unschlagbar. Auch waren sie das einzige Volk, das ein Massenbewußtsein entwickelt hatte. Das verdammte Ding hat Nerven! Es kommt hierher, direkt unter unsere Augen. Wie, um alles in der Welt, können wir das jetzt noch verhindern?
Er löste sich aus den Gedankenverbindungen. Wie ein Traum erschien ihm die Alltagswelt, in die er zurückkehrte. Eine Scheibe aus milchigem Glas trennte ihn von seiner Umgebung. Er stand auf, hob den Vfzyekhr hoch und setzte ihn auf seiner Hüfte ab. Er trat an das Fenster, ohne seine Gefährten zu beachten, die ihn erstaunt anstarrten. Dann blickte er über die nächtliche Stadt. An vielen Stellen brannten kleine Lampen. Jede einzelne warf nur einen schwachen Schein, doch gemeinsam überstrahlten sie das Licht der Sterne. Eine schmerzhafte Sehnsucht nach dem fernen Hochland von Incana packte ihn, ein Verlangen nach der Steppe von Ombur mit ihrem Wind, der das Gesicht kühlte.
Jetzt also würde er sich zeigen, der Spender der Visionen, der Ursprung der Orakel, der Monsalvat unzählige Jahre in seinem Bann gehalten hatte. Hierher würde er kommen.
Als die Nacht hereinbrach, war es in der Stadt der Lagostomer nicht ruhiger geworden. Doch jetzt war es mit einemmal ganz still, ohne Grund. Es war so, als ob jedermann im gleichen Moment innehielt, abwartete, lauschte … Sie warteten. Das Gefühl war so stark, daß es auch ihn ergriff. Sanft und verführerisch hüllte es ihn ein. Er wollte sich hingeben, eingehen in den kollektiven Wunsch, das zu tun, was alle taten, und so den Frieden finden. Schwer und lähmend senkte sich etwas aus dem Himmel auf die Stadt herab, flüsterte beschwörende Worte in ihr Unterbewußtsein: Ich komme, um euch zu erlösen. Ich bringe euch endlich die Freiheit. Ihr sollt nach Herzenslust brüllen und töten, essen und Kinder zeugen, ich gewähre es euch. Ein großes Volk werde ich aus euch machen; ihr sollt zu den Sternen fliegen. Ihr werdet ewig leben … So redete die Stimme. Wie Balsam ließ sie die Flut ihrer Versprechungen auf die Hütten niederströmen, auf das verlorene, verzweifelte Volk. Für die Ohren war die Stimme nicht wahrnehmbar, darum war sie so gefährlich. Worte hätten die Lagostomer nur mißtrauisch gemacht. Doch Gefühlen würden sie antworten. Ja, würde etwas in ihnen sagen. Ja, Herr, wir sind dein Volk. Wir wollen zu dir kommen. So würde es geschehen, während er vom Fenster aus alles mit ansehen mußte.
Die Luft war von Erwartungen geschwängert. Es kostete ihn große Mühe, sich aus diesem fremden Bann zu befreien, um sich umzudrehen und Tenguft ein Zeichen zu geben. Sie reagierte, doch ihre Bewegungen waren schwerfällig und langsam. Wie eine Schlafwandlerin erhob sie sich und kam zu ihm ans Fenster. Vom Fenster aus überblickte man einen kleinen Innenhof, auf dem sich immer mehr Menschen versammelten. Sie sahen einander fragend an und schauten immer wieder erwartungsvoll zum Himmel empor. Hier mußte er zuschlagen, er durfte nicht länger zögern. Mit Tengufts Speer würde er einen der Leute mitten im Hof durchbohren – das würde die Lagostomer in einen unkontrollierbaren Mob verwandeln.
Ein harter Schlag ließ sein Nervensystem erzittern, und dann ergriff ihn ein lähmender Schmerz, begleitet von einem Gefühl, das er nie zuvor gespürt hatte. Die Stimme der Wesenheit ertönte wieder und schnitt ihn von seiner Umgebung ab. Seine Wahrnehmung wurde völlig von dem Anprall der Gedankenbotschaft beherrscht.
Das Schiff ist gekommen. Es brachte Feuer und hat großen Schaden angerichtet. Meine Wirtsorganismen wurden von Furcht und Panik ergriffen. Das hat mir Schwierigkeiten bereitet. Aber das ist jetzt nicht mehr wichtig. Ich habe mich abgekapselt. Sie mögen am bleichen Gebein von Kathargo nagen … Bald wird eine gewaltige Faust in den Himmel greifen und das metallene Ding auslöschen. Diese Leute besitzen eine große Kraft; mit ihnen werde ich mir das Weltall gefügig machen. Ich konnte es vorher nicht wissen. Erst seit ich Fühlung zu ihnen aufgenommen habe, spüre ich es. Es wird nicht nötig sein, sie im Raumschiffbau zu unterweisen. Wenn ich sie miteinander verschmolzen habe, dann haben sie die Macht, ins All selbst hinauszugreifen und die Schiffe hierherzuholen, die wir brauchen. Für mein Reich wird es keine Grenzen geben.
Er versuchte Kontakt zur Thlecsne Ishcht aufzunehmen. Die Verbindung kam zustande und erlosch sofort wieder. Es schien nicht mehr nötig zu sein, eine Botschaft zu senden.
Am östlichen Horizont war ein Lichtschein zu sehen, wo vorher Dunkelheit geherrscht hatte. Vom Rande der Welt flackerte eine Flamme auf. Etwas näherte sich mit rasender Geschwindigkeit. In der Stadt unten sprangen Schreckensgefühle wie Funken von einem zu dem anderen über. Aus dem Leuchten wurde ein weißglühender Feuerball. Wie ein gigantischer Meteor zog er eine flammende Spur über das Firmament. Der Schall konnte seiner rasenden Fahrt nicht folgen, darum kam er schweigend, wie der Engel des Todes. Die Lagostomer verbargen vor diesem Anblick ihre Augen und krümmten sich zusammen. Dann stand die Erscheinung wie ein erstarrter Kugelblitz über ihnen. Ihr Mantel aus Flammen verwehte und enthüllte den bizarren Rumpf der Thlecsne Ishcht.
Der helle Schein ihres weißglühenden Röhrennetzes beleuchtete die Stadt und ließ gleichzeitig die Schatten der Hütten schwärzer werden. Das Schiff schwebte dicht über den Dächern, von einer unbekannten Kraft gestützt. Kleine Lichtblitze tanzten jetzt auf dem Röhrensystem, das den gesamten klobigen Rumpf überzog. Nun erst folgte wie rollender Donner der Fluglärm und erfüllte die Plätze, Kanäle und Gassen der Stadt. Der Anprall warf viele Lagostomer zu Boden. Glas klirrte aus den Fenstern, und der Staub zusammenbrechender Schuppen wirbelte auf.
Er schickte der Wesenheit eine Botschaft: Du darfst nicht hierherkommen! Das Schiff ist schon da, und es ist bereit, noch schrecklicher zuzuschlagen, als auf Kathargo. Wir können dir die Lagostomer nicht überlassen, nicht die Klesh und auch nicht Monsalvat. Da wir alles Leben achten und lieben, wollen wir dich nicht vernichten, aber wir werden es nicht zulassen, daß du von dieser Welt Besitz ergreifst. Wenn wir ein gemeinsames Bewußtsein benötigen, werden wir aus uns selbst heraus eines bilden. Er wartete auf eine Antwort.
Sie kam nicht. Er spürte nur tief im Unterbewußtsein, daß etwas geschah. Unsichtbare und doch schreckliche Ereignisse. Energieströme prallten aufeinander, bildeten Strudel, kämpften einen lautlosen Kampf. Er hoffte, daß die Wesenheit bei den Lagostomern auf unerwarteten Widerstand gestoßen war, aber er konnte sich von den Vorgängen kein Bild machen. Die Eindrücke waren unscharf und verschwommen, gleichzeitig schienen sie aus immer größerer Ferne zu kommen.
Dann klärte sich alles, und die Wesenheit sprach wieder: Verraten! Gefangen!
Die Botschaft wurde schwächer und erlosch.
???
Sie flackerte noch einmal auf: Cretus! Ich habe Cretus vorangetrieben, bis er mich entdeckte, soweit seine eingeschränkte Wahrnehmung dies zuließ. Dann versteckte er sich. Vorher hatte er eine Stabilität geschaffen, von der ich mich täuschen ließ. Denn ich hielt sie für die Vorbereitung zu meinem Transfer. Aber er bewirkte etwas ganz anderes: Er schuf ein schlafendes, rudimentäres Massenbewußtsein, eine vielzellige Einheit, die ich bei meinem Transferversuch geweckt habe. Ich bin hierher aufgebrochen, habe meine alten Wirtsorganismen aus meinem Griff entlassen und mußte mit ansehen, wie sie kurz darauf von dem Kriegsschiff in wilder Panik durcheinandergewirbelt wurden. Jetzt sind sie nur noch unbrauchbare Tiere. Hier stellte ich fest, daß mir der Massenorganismus widersteht. Gleichzeitig zersplittert er unter der Furcht vor dem Raumschiff. Der Rückzug durch die Zeit wird mir von einer anderen Wesenheit versperrt. Ich zerfalle …
Den letzten Teil der Botschaft hatte er kaum noch aufnehmen können, so schwach war sie geworden. Sie klang fast erstickt. Erstickt an den eigenen Plänen …
Er spürte, wie der Vfzyekhr die hohe Kommunikationsebene verließ. Seine Wahrnehmungskraft sank in tiefere Regionen und wurde schwächer. Er ließ es geschehen, entspannte sich. Die klare Stimme des Vfzyekhr drang in sein Bewußtsein: Es ist vergangen. So hätten wir ihm einst schon begegnen sollen. Aber wir dachten, es sei genug gewesen, was wir damals taten.
Das Bewußtseins-Bündnis der Vfzyekhr hatte sich nur für eine kurze Zeit neu informiert. Jetzt löste es sich auf und versank erneut in den Schlaf des Vergessens, aus dem es sich aus eigener Kraft erhoben hatte. Doch er war es, der das Erwachen ausgelöst hatte. Die Spsomi allein hätten es nicht vermocht.
Nein, nein, noch nicht, flehte er. Ich weiß doch nicht, was ich tun soll und wo ich beginnen soll!
Noch während seine Botschaft abging, war die Auflösung weiter vorangeschritten. Sie verwandelten sich wieder in die Teile des machtvollen Ganzen. In kleine, einfache Wesen, die gelegentlich den Raum mit einer anderen Rasse bereisten, mit der sie ein Bündnis geschlossen hatten. Ein Bündnis, das beide Rassen vor einer verhängnisvollen Entwicklung bewahren sollte.
Eine letzte Antwort schwebte durch Raum und Zeit: Du bist Cretus, dem ein Menschenwesen die Ruhe gebracht hat, die du auf Monsalvat nicht gefunden hättest. Du magst dich auf dich selbst verlassen. Du weißt, was zu tun ist. Der Funke glimmt noch auf Monsalvat. Die Lagostomer haben es bewiesen, als sie der Verlockung der Wesenheit widerstanden. Kämpfe … Die Botschaft war unhörbar geworden.
Mit der hereinbrechenden Stille kam auch das Ende seiner Verbindung mit dem Vfzyekhr. Sie erlosch einen Herzschlag später mit einer Endgültigkeit, die ihm sagte, daß es sie nie mehr geben würde. Jetzt war er nur noch das, was der Dreierbund aus ihm gemacht hatte: die seltsame Verbindung zweier Einzelindividuen. Für diese Fusion gab es keinen Präzedenzfall. Darüber gab es keine Untersuchungsberichte und keine Sagen. Auf der Straße, die er nun gehen mußte, würde er seinen Weg selber suchen müssen. Tastend, fühlend und reagierend mußte er eine neue Einstellung finden zum Universum und den Menschen, die noch nicht wußten, welcher Gefahr sie gerade entronnen waren.
Er befand sich in einem armseligen Raum. Durch ein Fenster fiel Licht herein und tauchte den Raum in dämmriges Halbdunkel. Draußen herrschten Panik und Schrecken. Der Lärm des Tumults drang zu ihnen herein. Er bemerkte, daß seine Gefährten ihn ansahen; in ihren Augen war abzulesen, wie fremd er ihnen geworden war. Er wußte genau, daß er sehr behutsam und vorsichtig vorgehen mußte, denn seine Worte und Taten konnten Auswirkungen haben, die im ganzen Universum zu spüren sein würden. Von diesem Raum würde etwas ausstrahlen, Wellenkreise würden das All durchlaufen, sie würden sich brechen und andere Gestalt annehmen. Ja, er mußte jeden seiner Schritte mit Sorgfalt wählen.
Er blickte hinab auf den Vfzyekhr, der die Verbindung hergestellt hatte, die ihn zu einer Einheit verschmelzen ließ. Er streichelte ihn gedankenverloren. Das Wesen war kalt, es bewegte sich nicht. Tot. War es die ungeheure Anstrengung gewesen, oder war es freiwillig aus dem Leben geschieden … Sein Tod war eine Verstärkung der letzten Mitteilung der Vfzyekhr: Er würde nie wieder die Macht erhalten, diese uralte Kraft aus ihrem Schlaf zu erwecken. Seine Hand glitt weiter über das weiße Fell. Eine tiefe Traurigkeit ergriff ihn. Er dachte: Sie haben einen hohen Preis bezahlt, um das Universum zu erhalten, einst und jetzt, doch sie fordern nichts und sie klagen nicht. Jetzt ist die Reihe an mir.
Clellendol trat zu ihm und sagte: „Gemeinsam mit Morgin habe ich die Leute im Hof beobachtet. Sie sind sehr aufgeregt, aber sie benehmen sich nicht so, wie man es von den Lagostomern erwarten würde. Sie reagieren nicht mehr so empfindlich aufeinander. Sie verlassen diesen Teil der Stadt in hellen Scharen. Wir werden bald gefahrlos nach draußen gehen können.“
„Wo ist das Schiff jetzt?“
„Ganz in der Nähe. Die Lagostomer sind vor ihm geflüchtet. Es scheint sich gerade einen freien Platz zum Landen zu verschaffen. Offenbar wissen sie, daß sie hier irgendwo nach uns suchen müssen …“
„Wir warten, bis sie unten sind. Dann gehen wir zu ihnen hinüber.“
„Endlich können wir von hier fort!“
„Flerdistar und du, ihr könnt fortgehen … Für mich bleibt hier noch sehr viel zu tun …“
Auch Flerdistar kam zu ihm. Ihre Stimme klang sehr verwirrt: „Etwas ist mit dir geschehen – und mit uns …“
Ihn befiel eine Erschöpfung, gegen die er sich kaum noch wehren konnte. Er antwortete: „Ja, mit uns allen …“
„Wer bist du? Cretus oder Meure Schasny?“
„Beide und keiner von beiden.“
„Wie sollen wir dich nennen?“
„Wie ihr wollt – oder nach meinen Taten.“
„Was willst du tun?“
„Ich will den Weg finden helfen, den wir verloren haben. Ich habe eine Botschaft für jene, die mir zuhören wollen. Einige werden mir sicher zuhören.“
„Ich weiß nicht, wie man eine solche Person nennt.“
„Es ist auch gleichgültig. Nenne mich Cretus, damit ein Teil von dem erhalten bleibt, was einmal war. Aber vergiß nicht, daß der andere Teil genauso wichtig ist.“
„Du willst also auf Monsalvat bleiben?“
„Ja, das werde ich. Hier läßt sich ein besserer Anfang finden als irgendwo sonst. Auch wird jeder, der es will, hierherkommen können. Der stürmische Raum um Monsalvat ist zur Ruhe gekommen. Die verhängnisvollen Orakel wird es nicht mehr geben. Endlich wird diese Welt ihrem Namen gerecht werden: Monsalvat – Mountain of Salvation – Berg des Heils. Der Name, den wir einst erdacht haben, ‚Ort, wo man die Fremden begräbt’, wird nicht mehr gelten.“
Flerdistar schnaubte verächtlich: „Heil! Welches Heil meinst du? Wovor willst du Monsalvat bewahren?“
„Vor seinen schlimmsten Feinden, vor dir und mir, vor uns. Ich werde mein Volk führen, und ich werde ihm den Weg zu einem wahren Menschentum weisen.“
„Verfügst du über eine solche Macht, daß du dies Wagnis unternehmen kannst?“
„Ich habe viel von dem eingebüßt, was du Macht nennen würdest. Und doch habe ich etwas hinzugewonnen. Ich bin einzigartig geworden.“
„Einzigartig als Doppelexistenz?“
„Das war ich. Jetzt bin ich eine Einheit.“
„Dann wird also auf Monsalvat wieder der Marschtritt von Cretus’ Armeen zu hören sein?“
„Nein, so wird es nie wieder sein. Das Neue darf nicht durch Zwang entstehen. Es muß aus sich heraus wachsen, unter der sorgsamen Obhut eines Gärtners.“
„Ich verstehe, was du mit diesem Bild beschreiben willst: Der Gärtner bewässert den Boden und düngt ihn, aber er schneidet auch die wilden Triebe ab und verbrennt sie, jätet das Unkraut.“
„Genau das habe ich vor. Aber mit der Zeit werden alle dieses Handwerk erlernen. Wir brauchen keine Herren. Unser Weg liegt deutlich vor uns, aber wir fürchten uns noch, ihn zu betreten, weil er so gerade und einfach ist.“
Zynisch sagte sie: „Ein Jahrtausend wird es wohl dauern, nicht wahr?“
„Weder du noch ich werden es erleben. Die Geschichtsforscher der Zukunft werden feststellen, welche Veränderungen dieser Tag eingeleitet hat.“
Sie sagte: „Ich habe schon vorher gespürt, daß etwas Neues im Entstehen war. Kann es denn möglich sein, daß es so einfach zu beschreiben ist?“
Er dachte wieder an seine Verbindung mit der Wesenheit und mit dem Massenbewußtsein der Vfzyekhr. Er dachte auch an die fernen, fremden Lichter, die er gesehen hatte, und von denen noch niemand etwas ahnte. Doch vor ihnen lag eine Zukunft, in der die Menschen auch auf sie vorbereitet sein mußten … „Einfach?“ sagte er endlich, „ja, so einfach wie der Rhythmus einer Musik. Er schafft den Mittelweg zwischen ungeordnetem Lärm und pedantischem Formalismus. Und das Sonderbare dabei ist, daß er zu seinem größten Teil durch Zufall entsteht.“
„Durch Zufall?“
„Es ist so einfach, daß mir die Worte fehlen, um es deutlich zu machen. Es handelt sich um Willkür, um Zufall, und doch steht es in einem logischen Zusammenhang, der das All seit seinem Anfang beherrscht. Aus diesem Planetensystem hier, mit seinem Doppelstern, können wir viel über das Wesen der Dinge ablesen: Auf der untersten Wahrnehmungsstufe scheinen alle Dinge eine zweifache Existenz zu besitzen. Zufall und Vorherbestimmung sind zu gleicher Zeit Herren über das Universum. Doch in Wirklichkeit gibt es diese Zweiheit gar nicht. Sie entsteht nur durch die Beschränkungen unserer Wahrnehmungsfähigkeit.“
„Du drückst dich noch rätselhafter aus als das Orakel. Das Orakel ist gar nicht verschwunden, es hat nur seinen Herrn gewechselt.“
„Es gab hier nie ein wirkliches Orakel, und es gibt auch jetzt keines. Hast du denn nicht begriffen, was du hier erlebt hast? Hast du nicht verstanden, was du aus der Vergangenheit gelesen hast? Das Ding war kein Orakel. Wenn man diese Ausdrucksweise beibehalten will, diese Sprache des Aberglaubens, dann könnte man es als Dämon bezeichnen, als Sukkubus, der diese Welt beherrscht und ihr das Beste geraubt hat. Sie dachten, sie würden beschenkt, doch sie wurden beraubt.
Habe keine Furcht! Die Geschichte dieser Welt wird nicht die Geschichte eines Eroberers werden, dessen Taten seinen Namen mit Schande bedecken. Hier wird etwas beginnen, das die Menschen für immer verändern wird, und man wird nie erfahren, wer diesen Prozeß in Gang gebracht hat. Du hast einmal davon gesprochen: Die Zukunft Monsalvats ist mit deinen Forschungsmethoden nicht zu enthüllen. Das soll nicht nur für Monsalvat, das soll für die ganze Menschheit gelten. Wir werden keine Parias mehr sein. Ich werde unerkannt bleiben. Berühmt werden nur die Worte und Träume, die ich ihnen bringe.“
Morgin trat dicht neben ihn und sagte leise: „Du hast zu den Außenweltlern gesprochen; sie sind unwissend. Ich aber bin hier geboren, ich verstehe, was du sagst. Du wirst einen erfahrenen Gefährten auf deiner langen Reise benötigen … einen Schreiber, der die Worte eines Schreibers festhält.“
Cretus lächelte. Im Halbdunkel des Zimmers war es kaum zu sehen. „Ihre wahre Bedeutung wirst auch du nicht festhalten können. Für deine Erfahrung aber wäre ich sehr dankbar. Komm also ruhig mit mir.“
Er erhob sich und bettete den Vfzyekhr behutsam auf den Strohsack. Tenguft trat vor ihn hin. Ihre Stimme klang eigenartig belegt. So hatte er sie noch nie sprechen hören: „Auch ich werde mit dir kommen. Morgin kennt die Klesh, doch ich kenne alle Wege und Plätze dieser Welt. Und natürlich“, fügte sie fast schüchtern hinzu, „brauchst du dir dann nicht jede Nacht eine andere Frau zu suchen.“
„Du weißt, daß unser Weg ins Dunkle führt?“
„Das schreckt mich nicht. Der Weg aller Haydar-Krieger führt durch die Dunkelheit des Unbekannten. Wozu wären sie sonst Krieger? In beleuchteten, vertrauten Straßen findet jeder Städter seinen Weg.“
„Dann sei mir willkommen. Ruhm und Ehre können wir nicht gewinnen, wenn es auch manchen harten Kampf geben wird.“
„Aber wir werden alles verändern, das habe ich verstanden. Für immer! Vieles, was ich kannte und liebte, wird verlorengehen, und auch andere werden viel verlieren. Aber ich weiß auch, daß alles, was wir früher taten, nur ein Trugbild von Veränderung schuf. In unseren Herzen sind wir Tiere geblieben, auch jene von uns, die im Bauch der stählernen Schiffe wohnen …“
Jetzt ging er wieder zum Fenster und sah zur Thlecsne Ishcht hinüber. Das Schiff hing tief über der Stadt und war noch immer dabei, einen geeigneten Landeplatz freizuräumen. Mit schnellen Lichtstrahlen fegte es die armseligen Hütten beiseite. Man sah keine Flammen, nur Schutt und Staub wirbelten durch die Luft. Die Lagostomer hatten diesen Teil der Stadt schon lange verlassen. Mit einem Achselzucken sagte er: „Laßt uns gehen. Es ist Zeit.“