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,Eine Bewegung über einen festgesetzten Punkt hinaus ist ein Frevel.’ Und: ‚Eine Überdrehung ist ein Frevel.’ Ich begriff, daß jede Unruhe, die enthüllt wird, nichts zur Vollendung beiträgt.

A. C.

 

Es war eine Zeit vergangen, die so lang war, daß Jahre ungeeignet waren, sie zu messen; auch Jahrhunderte reichten nicht hin, denn es hätte ihrer zu viele bedurft. Das Sternenbild, zu dem die Doppelsonne Bitirme gehörte, hatte sich in dieser Zeit so verändert, daß man es von anderen Sonnensystemen aus mit dem bloßen Auge sehen konnte.

Für den Mann, der sich Cretus nannte, gab es keine Zeit, und die Bahnen, auf denen die Sterne durch das All zogen, bedeuteten ihm nichts. Er war einfach da, und jetzt war er … hier.

 

Cretus betrat die Kammer am Fuß der Treppe und verriegelte die Tür sorgfältig hinter sich. Er gestand sich achselzuckend ein, daß ihm das nicht viel Sicherheit bot, denn sie konnten die Tür in wenigen Minuten aufbrechen. Es war einfach so, daß er eine gewisse Abgeschiedenheit für das benötigte, was er jetzt vorhatte. Er befand sich in einer Vorratskammer, einem Speicher für Zeiten der Belagerung. Die Regale waren leer, ein feuchter, dumpfer Geruch hing in der Luft. Auf dem Steinboden stand eine Kiste. Cretus stellte die Laterne, die er mitgebracht hatte, ins Regal und zog die Kiste zu sich heran. Er setzte sich hin und beobachtete das Flämmchen der Lampe.

Nun werden sie wohl gemerkt haben, daß ich verschwunden bin, dachte er. Er konnte sich gut vorstellen, was sie jetzt tun würden. Sicher würden sie nicht viel Zeit damit verschwenden zu überprüfen, wie er an seinen „Beschützern“ – so nannten sie seine Wächter – vorbeikommen konnte. Sie würden vielmehr sofort die Tore der Festung Cucany überprüfen und feststellen, daß niemand hindurchgegangen war. Dennoch schickten sie sicher eine Derques-Patrouille{16} aus, der sie einen oder zwei Haydars mitgaben. Aber sie würden sich nicht lange zum Narren halten lassen. Es würde ihnen klar werden, daß er sich immer noch in der Festung aufhielt, und sie würden ihn suchen. Sehr gründlich würden sie einen Raum nach dem anderen durchkämmen. Ihre Gründlichkeit war bekannt, doch durch sie würde er etwas Zeit gewinnen. Genug Zeit, hoffte er.

Er griff unter seinen weiten Mantel und zog einen schimmernden, glitzernden Gegenstand hervor. Für den Transport hatte er ihn zu einer flachen Scheibe zusammengelegt. Sorglos betrachtete er ihn. In diesem Zustand war er ungefährlich. Solange man ihn nicht entfaltete, konnte er nichts bewirken.

Nach allem, was er wußte, war dieses Gebilde der letzte Skazenache, den es gab, genauso wie er der letzte Zlat war. Genaugenommen war er auch kein reiner Zlat mehr; nur zu einem Viertel war er noch reinen Blutes. Aber er fühlte kein Selbstmitleid. Mit dem Ding, das er nun in seinen Händen hielt, hatte er weit in die Zeit zurückgeschaut, und er wußte, daß der Weg, den die Zlat-Rasse gegangen war, nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit verlief, denen niemand entrinnen konnte. Das schreckliche Werk der Krieger hatte nicht bis in alle Ewigkeit Bestand, und so mußte der Stamm der Zlat im Schmelztiegel der Rassen eben wieder untergehen. Es war Cretus klar, daß eine Fortpflanzung seine Gene nur weiter verstreuen würde. Würde er einen Sohn oder eine Tochter zeugen, so war dieser Nachkomme nur noch ein „Achtel-Zlat.“ Niemand kann seine Rasse vor dem Aussterben bewahren, wenn er ganz allein ist.

Cretus seufzte. Er hatte viele Dinge gesehen, aber er hielt sich nicht für einen Philosophen. Ein Lächeln huschte über seine harten Züge, die tiefliegenden Augen, die Falten auf der Stirn und das schlecht rasierte Kinn, das typisch für ihn war. Er dachte: Ja, so ist es nun: Für meinen Stamm konnte ich nichts mehr tun, denn sie sind dahingegangen, einer nach dem anderen. Aber mir selbst war ich nichts schuldig. Ich konnte den anderen helfen, ihre Identität zu bewahren. Dieser sinnlosen Vermischung der Rassen mußte ein Ende gemacht werden. Es war närrisch! Einen Planeten mit Bastarden zu bevölkern! Sogar der Mischling sucht jemanden, der ihm ähnelt, um mit ihm eine Familie zu gründen, aus der sich später vielleicht ein Stamm bildet. Aber nun bin ich das Opfer meiner eigenen Idee geworden. ‚Cretus!’ rufen sie, ‚der uns gerettet hat!’ Der ganz Kepture geeint hat, zuerst von Ombur aus, und der jetzt in Incana regiert.

Er konnte Menschen führen! Aber dann sind jene gekommen und haben seine Kraft ausgehöhlt. Berater, Diener und Schleicher, Politiker und Höflinge, die es verstanden, sich an einen Führer anzuhängen, solange sie sich einen Vorteil davon versprachen.

Sie haben ihn zu ihrem Gefangenen gemacht, sie wollen, daß er ihren schäbigen Weg geht, der nicht der seine ist. Oh, dieser Abschaum. Er hatte ihnen die Sterne geboten, als letztes Ziel. Aber sie wollten etwas, das sie sehen und berühren konnten, und sie wollten es sofort: Weiber, Geld, eine Zimmerflucht im Schloß mit gutem Ausblick. Nicht mal den ersten Schritt hatten sie verstanden: daß zunächst ganz Monsalvat geeint werden mußte, daß man die Rassen so zu einem großen Ganzen zusammenfügen mußte, daß alle einander ergänzten. Wie die Metalle einer Legierung. Er hatte das alles gesehen.

Vieles hatte er in seinem Geschichtenerzähler gesehen, als er erst einmal entdeckt hatte, daß dieser mehr konnte, als Geschichten zu erzählen. Er sah Tote wieder leben und einen Himmel, der übersät war von fremden Welten und ihren Bewohnern. Alte Menschenwesen und neue Menschen und andere, fremde Kreaturen, deren Anblick einem das Blut gerinnen ließ. Um sich ein Bild vom Weltall zu machen, besaß er nur das Wissen der Klesh, und er spürte bald, daß viele Fehler in diesem Wissen steckten.

Auch gab es noch andere. Ihre Anzahl, ihr Platz und ihre Art, all das war schwankend, vage, instabil. Sie sprachen manchmal zu ihm, das war der einzige stabile Faktor in ihrem Verhältnis. Diese nun (oder sollte man sagen: er, sie oder es?) hatten ihm diesen Ausweg gewiesen – in den Geschichtenerzähler sollte er gehen und dort auf eine andere Zeit, einen anderen Körper warten. Immer wieder hatte er dieses Ansinnen zurückgewiesen. Dazu hatten die Zlats das Gerät niemals benutzt, seine Großmutter hatte ihm das erzählt. Nie. Es war ein unreiner Weg. Ihn fröstelte. Viele hatten vor Cretus gezittert, während er seinen Weg machte vom Herumtreiber zum gesetzmäßigen Herrscher des größten Teils von Kepture, und jetzt hatte er Angst bei dem Gedanken an das, was er zu tun beabsichtigte.

Sie würden ihn schützen, bis sie den Richtigen gefunden hatten, hm? Das war es, was sie (er, sie, es) ihm gesagt hatten. Wie lange würde das dauern? Das war der Haken an der Sache. Hoffentlich würden inzwischen wenigstens diese schleicherischen Hofschranzen verschwunden sein. Vermissen würden sie ihn bestimmt, denn er war der beste Wahrsager, den sie jemals hatten. Cretus beherrschte die Feineinstellung seines Skazenache schon bald sehr gut und konnte so die unmittelbare Umgebung und die allernächste Zukunft sehen. Wie sollte jemand eine Schlacht gewinnen gegen einen Gegner, der die Zukunft kannte? Schon auf der Straße hatte er gelernt, den Ort für eine Auseinandersetzung auszuwählen, aber nun kannte er auch den besten Zeitpunkt.

Er entfaltete das Gebilde, und es wurde zu einer filigranen Kugel, zu einem Gespinst aus feinen Drähten, auf die Tausende kleiner Perlen aufgezogen waren. Er veränderte mehrmals die Anordnung der Drähte, dabei war er sehr ernst und konzentriert. Dann wurde sein Gesicht merkwürdig ausdruckslos, und er sah hinein. Sein Blick löste sich wieder von dem Gebilde. Er nickte, als habe er genau das gesehen, was er erwartet hatte.

Es war höchste Zeit. Seine Kammerherren waren nicht mehr fern, gründlich und beständig rückten sie vor. Cretus atmete tief ein und ließ die Luft langsam entweichen. Diesen beweglichen Körper sollte er zurücklassen! Worin würde er wiederkehren? War es ein fetter Politiker? Ein Kind? Eine Frau vielleicht? Ein interessanter Gedanke. Er grinste.

Dann überkam ihn ein letzter seltsamer Wunsch, und er erhob sich, um sich im Speicher umzusehen. Er brauchte einen Spiegel. Er war nicht eitel, aber er wollte sich noch einmal ansehen. Dort lag einer, neben der Tür, auf dem untersten Brett. Er hatte einen Sprung, und der Rahmen war zerbrochen, aber wenn man ihn abwischte, konnte man ihn noch benutzen. Er nahm den Spiegel auf und wischte mit dem Ärmel darüber. Dann stellte er ihn in das Regal, das seinem Platz genau gegenüberstand. Er setzte sich wieder auf die Kiste, schüttelte den Geschichtenerzähler aus und brachte ihn wieder auf Null-Stellung. Jetzt war er auf die Unendlichkeit eingestellt, es gab kein Entrinnen. Er sah in den Spiegel, und sein Bild starrte zurück. Was er erblickte, überraschte ihn nicht: Ein hartes Gesicht mit scharf vorstehenden Backenknochen, ein zynischer Zug um den Mund, etwas müde war der Blick der Augen.

Erschrocken blickte er auf. Ganz deutlich hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden … Das Gefühl verging, dann war es wieder da, wurde schwächer. Verdammt! Ich suche nur nach Ausflüchten!

Er hielt das Gebilde auf den Knien, damit es nicht herunterfallen konnte, und sah hinein. Sonst zeigten sich dann sofort Bilder, viel klarer als in einem Traum. Diesmal war die Leere des Raums zwischen den feinen Drähten. Er sah gar nichts. Es hatte keinen Sinn, sich anzustrengen, das wußte er; man konnte es nicht zwingen. Er nahm sich vor, sich zu entspannen, ganz gelassen zu sein. Anscheinend ging der Lampe das Öl aus. Unendlichkeit. Er hatte es nie gewagt, darüber nachzudenken, aber es schien, daß nicht viel damit los war. Überhaupt nichts! Verflucht noch mal! Es funktionierte nicht. Er kicherte. Diese alten Märchen und Warnungen der Zlats waren eben nur alte Märchen. Das verdammte Ding tat es nicht, es klappte eben nicht …

Woran hatte er gleich gedacht? Ah ja, der Geschichtenerzähler. Man sollte es noch einmal versuchen! Irgend etwas stimmte hier nicht. Er stand plötzlich und hielt in einer Hand eine Lampe und den Geschichtenerzähler in der anderen. Ich muß eingenickt sein, dachte er, und jetzt haben sie mich. Seine Augen brannten, das Licht war viel zu hell. Jemand war mit ihm im Zimmer, stand hinter ihm. Es war nicht nur einer, spürte er. Er hörte sie atmen. Er wagte es nicht, sich umzusehen. Er fühlte sich benommen, halb betäubt. Ihm war schwindlig wie einem Betrunkenen. Konnte es so einfach gewesen sein? Hatte es doch funktioniert? Er war sich nicht sicher und konnte auch nicht danach fragen. Er dachte: Gleich werde ich es wissen; ich muß ohnehin alles auf eine Karte setzen. Sie werden nicht wollen, daß es einen freien Cretus gibt, ganz gleich, wer sie sind und wann sie leben …!

In der Hand spürte er den Geschichtenerzähler, dessen Drähte in die Haut seiner Finger schnitten, scharf und kalt. Es schmerzte. Er mußte etwas tun, um den Kopf von dem Nebel frei zu bekommen, der ihn lähmend umfing. Er konnte denken, aber er wußte nicht, ob er auch handeln konnte.

Mit wie vielen hatte er es zu tun? Mit ihm im Raum waren … zwei. Und draußen? Ein dritter? Nein, auch zwei. Wenn sie nicht zu schnell waren, konnte er es schaffen. Hoffentlich hatte er recht!

Cretus preßte den Geschichtenerzähler zusammen, so hart er konnte. Die Drähte schnitten tief ins Fleisch. Der Schmerz schoß vom Arm in sein Hirn wie eine flackernde Flamme, siedendheiß! Das Ding war nur noch eine formlose Masse, ein nutzloser Klumpen Metall. Zum Teufel damit! Wenn es nicht funktioniert hat, bleibt mir nur noch die Flucht nach draußen. Und wenn doch, wenn es einen Übertritt gegeben hat, dann hat er eben Pech gehabt, der arme Tropf, der seinen Geist hineingeschickt hat, wir brauchen ihn sowieso nicht mehr. Leb wohl, Trottel!

Erst mal diese zwei, dann zur Tür! Cretus zog ein Bein an und ließ sich nach vorn sinken. Gleichzeitig faßte er die Kette fester, an der die Lampe hing. Aus den Augenwinkeln spähte er nach den Leuten, die mit ihm im Zimmer waren. Wer konnte es sein? Asc? Shlar? Osper Udle, der oberste Diener?

Er sah sie nur verschwommen, doch der Nebel lichtete sich bereits. Es waren Fremde, ihre Köpfe waren unter gewaltigen, unförmigen Helmen verborgen. Die Gesichter mit der albernen Bemalung waren ungeschützt. Sie sahen enttäuscht und angewidert aus; sie glaubten wohl, er würde ohnmächtig werden.

Jetzt! Er straffte sich und warf sich herum. Die schwere Laterne beschrieb einen großen Kreis durch die Luft. Er ließ die Kette los, und die Lampe schlug genau in der Gesichtsöffnung des größeren Mannes ein. Auf diese Entfernung konnte er ihn überhaupt nicht verfehlen, auch nicht mit diesem plumpen, weichlichen Körper, in dem er sich wiederfand. (Ja, was zum Teufel …? Bin ich als Frau zurückgekehrt?} Treffer! Der Wurf hatte gesessen! Das war ein sattes Geräusch, als die flache Bodenplatte der Lampe klatschend aufschlug. Nummer eins, erledigt. Der andere machte einen Schritt in seine Richtung, dann zögerte er, schien an Flucht zu denken. Wohin, du Trottel? Du glaubst doch nicht, daß du an mir vorbeikommst?! Cretus machte eine Finte nach links, und der andere folgte seiner Bewegung; einen kurzen Moment war seine Deckung völlig offen. Cretus landete seinen zweiten Wurf: Der Metallklumpen, der einmal ein Geschichtenerzähler gewesen war, fuhr seinem Gegner in die Genitalien. Noch ein Volltreffer, aber kein Niederschlag. Der Mann krümmte sich zusammen, hielt die Hände vor den Unterleib. Sein schwerer Helm kippte nach vorn und gab seinen Nacken frei. Cretus’ Rechte traf ihn knapp unter dem Brustbein, der Mann stöhnte auf, dann kam die Linke wie ein Schwert auf sein Genick herab. Er landete geräuschvoll auf dem Steinfußboden; Cretus’ Fuß drehte ihn auf den Rücken. Dann trat er ihm kurz auf die Luftröhre, er mußte sichergehen … Der Helmträger, den die Lampe getroffen hatte, lag reglos verkrümmt in der Ecke. Tot? Wahrscheinlich. Zwei weniger also.

Der erste hatte offenbar keine Waffe gehabt, jedenfalls nahm er sich nicht die Zeit, unter seinem Umhang lange nach einer zu suchen. Aber der zweite trug ein kurzes Schwert unter seinem Gewand; der Griff ragte durch einen Schlitz im Tuch hervor. Cretus zog die Waffe aus der Scheide. Jetzt würden die draußen wohl gemerkt haben, daß nicht alles nach Wunsch verlief. Doch jetzt hatte er eine Waffe. Sie sollten nur kommen!

Einer erschien in der Tür, das Schwert in der Faust, doch ein Blick sagte Cretus, daß er es nicht zu benutzen wußte. Außerdem wurde auch dieser durch einen unmöglichen Kopfschmuck behindert. Er schien zu glauben, daß Cretus die Tür von innen schließen wollte, denn er drückte mit der freien Hand dagegen. Gut so! Cretus machte einen Schritt zur Tür, als ob er genau das vorgehabt hätte. Sein Gegner drückte mit Wucht gegen die Tür und lief genau in Cretus’ Schwert. Über die Schulter des fallenden Mannes hielt Cretus schon nach dem vierten Gegner Ausschau, doch dessen Gesicht war schon von Panik und Entsetzen gezeichnet. Was war nur aus der Feste geworden? Hatten sie sie zu einer Absteige gemacht für kümmerliche Penner und reisende Straßenhändler? Der letzte wandte sich zur Flucht. O nein! Du bleibst hier! An dich habe ich einige Fragen! Cretus sprang über den leblosen Körper auf der Türschwelle und setzte ihm nach. Der Mann hatte seinen Kopfschmuck weggeworfen, aber sein Umhang hatte sich an einem Treppenpfosten verfangen, und so war er erst ein paar Stufen hinaufgekommen. Er war wohl nicht mehr der jüngste und in keiner guten Verfassung. Mit ein paar Sätzen war Cretus an der Treppe und packte seinen Fuß. Der rundliche Körper zeigte Wirkung, kippte schwerfällig vornüber, erst zögernd, doch dann rasch, wie alle schweren Dinge, die aus dem Gleichgewicht geraten. Ungraziös polterte die plumpe Masse die Stufen herab.

Cretus rollte den Mann auf den Rücken und hockte sich auf seine Brust. Die Schneide seines Schwerts drückte gegen die blasse, weiche Haut unter dem Kinn.

Cretus blickte grinsend auf den alten Mann hinab und ließ das Schwert drohend über seinen Hals gleiten.

„Ich gebe zu, daß es ziemlich stumpf ist, aber jeder Trottel kann mit einem stumpfen Schwert schneiden, wenn er nur fest genug drückt.“

Der Alte schüttelte den Kopf; er hatte ihn offenbar nicht verstanden. Auch ihm selbst waren seine Worte als unverständliches Gemurmel erschienen.

Zitternd sagte der Alte: „Wer bist du?“

„Cretus natürlich. Wer du bist, will ich gar nicht wissen, aber du kannst mir sagen, welche Zeit wir haben.“

„Welche Zeit?“

„Ja, welche Zeit! Dieser Ort heißt doch Cucany und liegt in Incana?“

Der alte Mann nickte.

„Welches Jahr haben wir? Es müssen viele Jahre vergangen sein, denn zu meiner Zeit trug niemand so komische Hüte.“

„Wir leben im Jahr des Korsors{17}.“

„Zählt denn niemand mehr die Jahre eines nach dem anderen?“

„Es werden Listen geführt, und man zählt die Jahre, die nach einem besonderen Ereignis vergangen sind, nach dem Amtsantritt eines neuen Phaneten zum Beispiel oder nach einer außergewöhnlichen Naturerscheinung.“

„Ich bin Cretus, und ich weiß nicht, was ein Phanet ist. Also ist dieses Amt erst in späterer Zeit eingeführt worden.“

„Das ist viele Jahre her. Wie viele weiß ich nicht. Es sind viele Jahrhunderte, bestimmt mehr als zweitausend Jahre.“

„Du kennst Cretus, aber du weißt nicht, wie lange ihr auf ihn gewartet habt?“

„Alles, was ich weiß, habe ich gelesen, gehört und gesehen. In ganz Aceldama hat man von Cretus gehört. Jeder Mensch kennt ihn.“

„Wie ist es möglich, daß sich der Skazenache in all den Jahren nicht verändert hat?“

„Der Apparat? Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß niemand ihn berührt hat, außer bei den Übertrittsversuchen. Außerdem verwittert und rostet er überhaupt nicht. Wir wußten nicht, wie man damit umgeht, darum haben wir ihn immer sehr vorsichtig gehandhabt.“

„Das habt ihr brav gemacht. Jetzt ist es ein für allemal vorbei mit ihm. Wenn du irgendwann einmal die Gelegenheit dazu hast, dann schmelze ihn ein. Er ist aus sehr kostbarem Metall, edler als Gold, aber viel härter. Du brauchst das Feuer der Hölle, um ihn zum Schmelzen zu bringen.“

Cretus entspannte sich, erhob sich von der Brust des Mannes und sagte: „Jetzt führe mich hinaus! Hier unten waren vier von euch Helmköpfen – wo sind die anderen?“

Der alte Mann richtete sich mühsam auf einen Ellenbogen auf. „Welche anderen?“

„Der Rest eben! Die Wachen, die Diener – Leute wie ihr können ohne Bedienstete doch gar nicht leben. Wenn ihr tatsächlich Jahrtausende auf einen Mann aus der Vergangenheit gewartet habt, dann müßt ihr doch etwas Besonderes sein, darauf wette ich. Wo also sind sie?“

Während sich der Alte umständlich auf die Füße erhob, hatte Cretus Zeit zum Nachdenken: Ja, soweit ist wohl alles in Ordnung. Ich bin tatsächlich zurückgekehrt, wenn auch in eine seltsame Zeit. Statt stahlharter Männer der Macht sehe ich nur senile Priester und unfähige Trottel. O verdammt. Sie brauchen mich nötiger denn je. Viel nötiger als vor einer Stunde. Eine Stunde, die zweitausend Jahre lang war, das hatte er doch gesagt? Nun gut. Der Körper kommt mir recht jung vor, ein bißchen verweichlicht, aber männlich, wie ich merke. Ich werde ihn abhärten müssen, ihn umschmieden, damit er besser zu mir paßt. Und danach, ja, dann werden wir es noch einmal versuchen! Diesmal aber machen wir keine Fehler, nicht wahr, mein Kleiner? Wir gehen ihnen nicht wieder ins Netz, o nein. Diesmal bekommen sie Stiefel und Peitsche zu schmecken. Sie alle möchten gern eine Villa auf dem Lande und schöne Frauen als Gespielinnen – wir werden den Riemen auf ihrer Haut spielen lassen.

Der alte Mann stand jetzt vor ihm und sagte: „Oben ist noch ein Diener, beim Gästeraum. Dort sind auch einige Außenweltler, zu denen hast auch du vorher gehört. Sie schlafen wahrscheinlich noch. Wir haben ihnen ein Mittel gegeben. Was hast du mit mir vor?“

Cretus deutete mit der Schwertspitze nach der Treppe. „Du kannst meine Zuneigung gewinnen, wenn du mich aus Cucany hinausführst. Ich wollte ohnehin hinaus, aber man hat mich dabei gestört.“

„Mein Herr will Cucany verlassen?“

„Ombur ist einfach nicht in der Lage, einen großen Gedanken zu begreifen. Nutzlose Nomaden! Incana hat kein Durchhaltevermögen. Wie nennt man jetzt das Land, das im Osten am inneren Meer liegt?“

„Intance.“

„Nie gehört.“ Cretus’ Stimme war unverändert, aber Bedetdznatsch sah den Haß, der in seinen Augen loderte. Er dachte: Warum nur haben wir diesen Dämon wieder zum Leben erweckt? Ich begreife es nicht. Wir müssen ihn unter Kontrolle bekommen. Vielleicht wäre es das sicherste, ihn sobald wie möglich umzubringen. Es gibt diesmal nichts auf der ganzen Welt, das ihn aufhalten kann, nichts, das ihn zähmen kann. Falls es so etwas überhaupt je gegeben hat. Er wird aufbauen, was er schon immer aufbauen wollte, und er wird die ganze Welt niederreißen, um dies zu tun. Wenn er vorhat, hier herauszugehen und sich mit der ganzen Welt anzulegen, dann ist er entweder ein Held oder ein Verrückter. Doch er hatte es ja schon einmal fast geschafft, so lautet die Fabel … Tiefe Furcht ergriff Bedetdznatsch, und nur ein Gedanke tröstete ihn: Wir müssen ihn töten. Er läßt sich nicht beherrschen. Und diesmal hat er sich selbst den Fluchtweg abgeschnitten, als er den Apparat zerdrückte. Diesmal ist Cretus sterblich, und wir können die Welt ein für allemal von ihm befreien. Die alten Helden gehören in die Vergangenheit. Wir brauchen keine Retter und Weltverbesserer.

Cretus war jetzt ganz ruhig. Eigentlich wurde der Alte nicht mehr gebraucht. Er zittert vor Angst und ist außerdem unbeweglich wie ein Klotz. Es ist schon fast zu einfach.

Doch dann geschah etwas Seltsames. Der Arm, der das Schwert hielt, gehorchte ihm nicht. Mit aller Kraft versuchte er, ihn anzuheben, aber er rührte sich nicht. Seine Kontrolle über alle Teile des Körpers schwand zusehends. Er strauchelte, versuchte aber gleichzeitig den alten Mann im Auge zu behalten, der gemerkt hatte, daß etwas Außergewöhnliches geschah. Cretus fiel mit dem Rücken gegen die Wand. Schweiß trat ihm in dicken Tropfen auf die Stirn. Aus weiter Ferne, tief in seinem Innern, hörte er plötzlich eine Stimme, fremde Erinnerungsbilder tauchten auf, etwas drängte an die Oberfläche, wuchs, breitete sich aus …

Meure Schasny lehnte sich gegen eine feuchte Kellerwand, er fand ein Schwert in seiner Hand, und ihm gegenüber stand ein zitternder Mann, den er noch nie gesehen hatte. Der Fremde starrte ihn an, äußerster Schrecken entstellte seine Züge. Schasny versuchte zu sprechen. „Wie … wie bin ich hierhergekommen?“ stammelte er, „wo sind die anderen?“

Statt einer Antwort warf sich der dicke Mann herum und hetzte wie ein Wahnsinniger die Treppe herauf. Sein Gewand flatterte wie eine Fahne hinter ihm her.

Schasny blieb stehen, wo er war, und betrachtete das Schwert, als habe er noch nie im Leben ein Schwert gesehen. Und er hatte tatsächlich noch nie ein echtes Schwert aus der Nähe gesehen. An diesem klebte Blut. Er fühlte sich verwirrt, unwirklich und benommen. Während er noch versuchte, sich zu fassen, erhob sich in ihm eine drängende Stimme. Er hatte Mühe, ihre Worte zu verstehen. Die Wand schien nachzugeben. Er wollte dieses Phänomen genauer untersuchen, aber die Stimme behinderte ihn. Er tastete über den Fels, aber da war nur festes Gestein. Das beruhigte ihn, und er entspannte sich. Und dann kamen sie über ihn: Gedanken, die jemand in Worte gekleidet hatte, wie Erinnerungen in einem Traum.

HÖR AUF, DICH GEGEN MICH ZU WEHREN, DU IDIOT! GIB MIR DIE KONTROLLE ZURÜCK! ICH/WIR MÜSSEN DEN ALTEN EINFANGEN. ER MUSS UNS HIER RAUSBRINGEN!

Meure fröstelte. Er wußte, daß er im Begriff war, verrückt zu werden. Furchtsam versuchte er eine Frage zu stellen: Wer bist du? Was bist du? Bist du ich?

Diesmal war der Ansturm der Gedanken nicht so heftig, er bewegte sich auf die Treppe zu, gegen – oder besser: ohne – seinen Willen.

So ist es richtig. Entspanne dich. Ich werde dir beim Laufen helfen. Die Stimme klang gebieterisch, und es lag Wahrheit in dem, was sie sagte, darum tat Meure, wozu sie ihn drängte. Die Stimme löste in ihm Gefühle aus, die er nie zuvor verspürt hatte. Da war eine getrennte Einheit mit dem fremden Sprecher, dessen Worte Meures Klang und Betonung hatten. Es war wie in einem schlecht synchronisierten Film in einer Nachrichtensendung. Ein Redner formte machtvolle Sätze in einer fremden Sprache, und nach einer kleinen Denkpause ertönte die Stimme des Übersetzers, dessen schlichte, vertraute Worte nicht zu den Mundbewegungen und den heftigen Gesten des Redners paßten. Meure stellte fest, daß er rannte, aber er hatte nichts damit zu tun.

Gut so. Ich muß dir eine Menge sagen, aber zunächst müssen wir aus diesem Steinhaufen raus. Sie wollen dich umbringen, hast du das gewußt? Ich nehme an, du möchtest lieber noch eine Weile am Leben bleiben, mein Lieber. Ich für meinen Teil habe ein außerordentliches Interesse daran, diese Verkörperung funktionstüchtig zu erhalten. Jetzt hast du mir genug Kontrolle überlassen; es dürfte reichen, dich wieder für eine Weile schlafen zu schicken. Wir werden uns schon aneinander gewöhnen. Es wird dir nicht gefallen, aber mir geht es ebenso, und beide können wir nichts daran ändern. Meure wurde sehr ruhig, er fühlte sich beinahe behaglich. In dieser verzögerten Dolmetscherstimme schwang eine unbekannte Entschlossenheit mit, die Bereitschaft zu großen Taten. Mit dieser Erkenntnis schwanden Meure die Sinne.

 

Cretus spannte alle Muskeln an und wischte sich fahrig mit der Hand über die Augen, als wolle er Spinnenweben entfernen. Es sieht so aus, als hätte doch nicht ganz alles nach Wunsch geklappt. Nun, daran kann man nichts ändern. Zunächst muß ich mich um das Wichtigste kümmern. Der alte Fettwanst hat sicher schon die ganze Festung aufgescheucht, während ich meine Zeit mit Erklärungen für dieses Mondkalb verplempert habe. Ich werde ihm einmal ein paar Sprünge zeigen, die seinen Mädchenkörper strapazieren werden.

Cretus flog die Treppe empor, mit jedem Schritt nahm er zwei Stufen. Oben hielt er kurz an, um sich zu vergewissern, ob alles unverändert geblieben war oder ob sie inzwischen neue Tunnels in die Felsen geschlagen hatten. Es waren viele Jahre vergangen, seit sein Fuß zum letztenmal diese Steine berührt hatte. Er tastete das Gedächtnis des jungen Mannes ab, aber er fand nichts. Der erinnerte sich nicht daran, diese Treppe hinuntergestiegen zu sein. Cretus eilte den Gang entlang. Rechts war eine kleine Küche. Hier befand sich früher ein Verlies. Dann stieß er auf einen größeren Raum. Er hielt inne und sah sich um. Hier hatte sich viel verändert. Der Raum war nicht mehr wiederzuerkennen. Es waren ein paar Fremde in ihm. Er musterte sie sorgfältig … da war ein Hochklesh, ein Haydar-Mädchen offenbar. Und da … Cretus’ Augen blitzten haßerfüllt: Erstvolk. Die Schöpfer. Alte Verwünschungen jagten durch seinen Sinn wie ein Sommergewitter: Des Teufels erlesene Diener! Vakiflar, der Meineidige! Sammar, der Lügenhafte, der in der Unterwelt die Fliesen scheuert! Was taten sie hier?

Nichts stimmte in diesem Zimmer. Alle schliefen sie, aber in merkwürdigen Stellungen, so als habe sie der Schlaf überrascht … Wahrscheinlich hatte man sie betäubt … Ja, darum erinnerte sich der Bursche auch nicht daran, daß er die Treppe hinuntergestiegen war. Warum wurden sie betäubt? Ein Zusammenhang blitzte auf. Aber jetzt war keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Er mußte mit einem von ihnen sprechen. Da war ein älterer Grauhaariger von zweifelhafter Herkunft, wie es schien. Cretus zögerte, dachte nach. Mischlingen traute er nicht, aber Haydars noch weniger; und die Ler-Leute waren sicher nutzlos. Dieser Alte sah aus, als hätte er einen klaren Kopf.

Cretus ging um den Tisch herum. Dabei bemerkte er einen jungen, männlichen Ler, der auf dem Fußboden ausgestreckt lag. Auf der Bank schlief ein kleines Wesen mit einem dichten weißen Pelz; dergleichen hatte er noch nie gesehen. Dann blieb er stehen. Nein, nicht den Mischling. Ich weiß nicht, wie er ist, darum kann ich auch nicht absehen, wie er reagieren wird. Aber ich weiß, was das Haydar-Mädchen tun wird. Das ist das Gute daran, wenn man einem bekannten Typ gegenübersteht: Man bewegt sich von Anfang an auf vertrautem Terrain.

Also trat Cretus zu ihm und berührte es leicht an der Schulter. Die junge Frau hatte den festen, drahtigen Körper, den er bei einem Haydar erwartete. Sie schien nur aus Sehnen und Muskeln zu bestehen. Offenbar war ihre Betäubung nicht sehr tief. Ihre Augenlider flatterten und öffneten sich. Sie fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, sah sich hastig im Zimmer um und blickte zu Cretus auf. Zunächst glätteten sich ihre Züge erleichtert, doch dann nahmen sie sofort den Ausdruck furchtsamer Verunsicherung an. Etwas Außerordentliches war geschehen, die feinen Sinne eines Jägers nahmen auch hauchfeine Veränderungen wahr.

Sie kennt diesen Burschen offensichtlich recht gut. Sie weiß, daß etwas Fremdes aus seinen Augen schaut, seine Gesichtsmuskeln bewegt. Gut, dann weißt du es. Und ich weiß, daß ihr Haydars alle Lebewesen in Fleisch und Jagdgefährten einteilt. In der Jagdgesellschaft aber gibt es Führer und Geführte. Ihr seid sehr leicht kalkulierbar.

Er ergriff zuerst das Wort: „Wir sind gefangen und müssen diesen Mauern entrinnen, wenn wir die Jagd wiederaufnehmen wollen. Ich sehe, daß du ein Haydar bist und zu den alten Hochklesh gehörst, die ihr Blut niemals vermischen. Auch weiß ich, daß du eine Edelfrau von hoher Herkunft bist, darum bitte ich um dein Auge und deinen Arm, auf daß unsere Feinde den Blitzstrahl spüren mögen. Willst du mir folgen?!“ Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, richtete er die Schwertspitze gegen ihre Kehle.

Tenguft schluckte und sagte zögernd: „Wie kann ich jemanden zurückweisen, der alte Bande beschwört in der Sprache der Väter, die in dieser traurigen Welt nicht mehr verwendet wird, es sei denn von den Edlen und den Eingeweihten. Bist du ein Dämon? Man sagt …“

„Ich bin kein Dämon, auch wenn viele mich so nennen würden. So komm denn. Es werden bereits viele Helmträger auf uns warten.“

„Diese anderen hier müssen mit uns ziehen.“

„Eile ist geboten. Eine große Gruppe ist hinderlich, besonders wenn einige von ihnen nicht kämpfen wollen oder können.“

Sie schüttelte den Kopf. Die Antwort fiel ihr schwer: „Nein, sie müssen uns begleiten. Ich habe einen heiligen Eid auf ihre Sicherheit geleistet. Ich bin für sie verantwortlich.“

„Dann also will ich dir von Geheimnissen sprechen, die die Zauberinnen der Haydars des Nachts beim Feuer in den Handknochen ihrer Mütter sehen: Ich bin Cretus, und ich bin zurückgekehrt, um mir die Welt zu eigen zu machen. Ich kann in deinem Gesicht lesen, daß ihr den alten Brauch noch immer pflegt. Vier begleiteten diesen Körper hinab in eine Kammer, sie wollten mich fesseln oder mich töten. Es ist ihnen nicht gelungen, aber auch ich habe einen Fehler gemacht. Einer konnte mir entkommen, und sicher hat er inzwischen die Wachen alarmiert. Es gibt nur einen Weg hier hinaus, den nach oben. Dort werden sie schon auf uns warten. Können diese Leute kämpfen?“

„Ich weiß es nicht. Sie sind Außenweltler, Erstvolk ist auch darunter. Der mit den grauen Haaren ist ein Mittler – niemand darf ihn angreifen.“

„Ich glaube nicht, daß sie viel taugen, wir können sie nicht brauchen.“

„Du hast in mir eine Kraft erweckt, der ich gehorchen muß. Aber ich kann diese hier nicht allein lassen. So muß denn der Tod mein ehrenvoller Ausweg sein.“

So liegt es also! Ich brauche gar nicht weiter in sie zu dringen. Ein Haydar, der die Reiferiten hinter sich hat, kennt keine Furcht vor dem Tod. Ich muß mich damit abfinden.

„Ob ich nun Cretus oder ein Dämon bin, ich akzeptiere deinen Einwand. Aber du mußt wissen, daß ich ein Hierarch der Ludi bin, daß ich Sara Damassou mit eigenen Augen gesehen habe und den Falaise entlanggeschritten bin.“

„Wenn du Cretus bist, von dem die Sage erzählt, dann bist du nicht aus dieser Welt, sondern aus der Vergangenheit. Sage mir, wer dein Meister bei der Wahrheitsprobe gewesen ist.“

„Tarso Emi Koussi.“

Sie hatte ihn auf die Probe gestellt, und aus seiner Antwort tönte die sagenhafte Vorzeit. Er hatte Menschen erwähnt, die in den Sagen hoch geehrt wurden, und zu ihr von Sara Damassou gesprochen, der einzigen Stadt, die je von Haydars erbaut wurde. Den heiligen Ort, die verbotene Stadt. Es gab sie schon lange nicht mehr, und niemand wußte, wo sie gestanden hatte.

„Also wollen wir diese Leute aufwecken und den Ort verlassen. Was mir vorausgesagt wurde, ist geschehen; ich möchte mich mit meinem Volk über die Ereignisse beraten. Es heißt, daß in alter Zeit die Haydars bei Cretus in hohem Ansehen standen; soll das noch immer gelten?“

„So soll es sein!“

Gemeinsam machten sie sich daran, die anderen aufzuwecken. Dies gelang schnell bei einigen, bei anderen machte es ziemliche Mühe, doch nach kurzer Zeit waren alle wieder bei Bewußtsein, und Tenguft erklärte ihnen die Situation. Längere Zeit hatte Cretus nichts mehr von seinem unfreiwilligen Gastgeber gespürt. Er straffte sich und hoffte, daß er ruhig blieb, bis sie aus der Festung heraus waren. Danach würde man sich zweifellos arrangieren müssen. Wie das geschehen sollte, konnte er sich nicht vorstellen; für diese Situation gab es in seinem Gedächtnis keinen Präzedenzfall.