24

Bertha ließ sich zufrieden in den Sessel neben Elsie Brands Schreibtisch sinken. »Montag morgen. Und wieder beginnt eine funkelnagelneue Woche. Hol deinen Stenoblock heraus, Elsie. Fertig? Also: >Lieber Donald! Gerade habe ich einen höchst verzwickten Fall hinter mir, der genau Deine Kragenweite gewesen wäre. Beinah wär’s schiefgegangen — aber Du weißt ja, Unkraut vergeht nicht, und ich hab’ mich doch noch durchgeboxt. Sergeant Sellers hat gut geschaltet. Natürlich mußte ich ihn erst auf die richtige Fährte setzen...< Diktiere ich zu schnell, Elsie?«

»Nein, nein, es geht schon. Wollen Sie ihm alle Einzelheiten schreiben?«

»Ja. Meinst du nicht, daß ihn die interessieren?«

»Doch, bestimmt.«

»Wo war ich stehengeblieben? Richtig: >Mein Klient war ein Mann namens Everett Belder, der sein gesamtes Vermögen seiner Frau überschrieben hatte. Die weitere Familie bestand aus seiner Schwiegermutter, Mrs. Theresa Goldring, und deren Adoptivtochter Carlotta, die neuerdings versessen darauf war festzustellen, wer ihre leibliche Mutter war — was Mrs. Goldring und Mrs. Belder unter allen Umständen zu verhindern suchten. Mrs. Goldring war so gut wie bankrott, und eines Tages rief sie Mabel an und bat sie um Hilfe. Aber Mabel ließ sie glatt abfahren. Carlottas leibliche Mutter, Mrs. Croftus, wußte, wo ihre Tochter war, wagte es aber nicht, sich mit ihr in Verbindung zu setzen. Sie hatte eine Gefängnisstrafe verbüßt, von der Carlotta nichts erfahren sollte, und dieses Wissen benutzte Mrs. Goldring als Druckmittel gegen sie.< Ist das verständlich, Elsie?«

»Er wird sich schon seinen Reim darauf machen können.«

»Ja, so wie ich Donald kenne... Also weiter im Text. >Im Auftrag von Mrs. Croftus arbeitete eine Privatdetektivin namens Sally Brentner als Dienstmädchen bei den Belders und hinterbrachte ihr alles, was dort geschah. Carlotta konnte Mabel Belder nicht ausstehen. Sie sah eine Chance, Mabel loszuwerden, ein nettes kleines Vermögen zu erben und zu erfahren, wer ihre Mutter war — mit anderen Worten: einen ganzen Fliegenschwarm mit einer Klappe zu schlagen. Sie brauchte nur dafür zu sorgen, daß Mabel, die ein schwaches Herz hatte, das Zeitliche segnete. Das Rezept war einfach: Man nehme einen Gummischlauch, bringe ihn an dem Auspuff von Mabels Wagen an, leite ihn durch ein Loch in der Wand in Mabels Schlafzimmer, schalte den Motor ein und gehe Tennis spielen. Wenn man dann nach Hause kommt, findet man bedauerlicherweise die Schwester an einem Herzschlag verschieden vor und braucht nur noch den verräterischen Schlauch verschwinden zu lassen.

Leider lief nicht alles so, wie sie sich das gedacht hatte. Mabel muß Sally Brentner frühmorgens zu sich gerufen haben. Was sie miteinander sprachen, werden wir nicht mehr erfahren. Fest steht, daß Sally sich so lange in Mabels Zimmer aufhielt, daß sie ebenso wie Mrs. Belder durch die Kohlenmonoxydgase vergiftet wurde.

Als Carlotta frohgemut heimkam, fand sie statt einer Leiche deren zwei vor. Daß Mabel und Sally gleichzeitig eines natürlichen Todes gestorben waren, mußte jedem als ein sehr sonderbarer Zufall erscheinen. Außerdem stellte Carlotta mit Entsetzen fest, daß die Opfer einer Kohlenmonoxydvergiftung wesentlich anders aussehen als Menschen, die an einem Herzschlag gestorben sind.

Das war nun eine höchst unangenehme Überraschung. Mrs. Goldring wurde gegen elf Uhr aus San Franzisko erwartet. Möglicherweise entdeckte man die Leichen auch vorher. Und Carlotta war nicht sicher, ob Mrs. Goldring sie decken würde. Immerhin ging es um Mord. Nun stand aber Carlotta seit einiger Zeit mit ihrer leiblichen Mutter in Verbindung. Sie wußte auch, daß ihre Mutter im Gefängnis gesessen hatte, so daß sie bei ihr ein etwas weniger empfindliches Gewissen voraussetzen konnte. Einen geplanten Mord würde sie wahrscheinlich nicht ohne weiteres gutgeheißen haben, aber jetzt stand sie vor vollendeten Tatsachen. Außerdem bot sich ihr die Chance, ihre Tochter für immer so fest an sich zu binden, daß Mrs. Goldring sie nie mehr von ihr trennen konnte.

Mrs. Croftus funktionierte prompt. Zuerst kümmerte sie sich um die Toten. Sally Brentners Tod kaschierte sie als Unfall. Dann schrieb sie einen anonymen Brief, den sie Mr. Belder in die Hand spielte. Er schluckte den Köder und kam zu mir. Ich sollte seine Frau beschatten. Ich hatte seine Frau noch nie gesehen. Verständlicherweise nahm ich an, daß die Frau, die in Mrs. Belders Mantel und mit Mrs. Belders Kater unter dem Arm aus Mrs. Belders Haus kam und in Mrs. Belders Auto stieg, Mrs. Belder selbst war. In Wirklichkeit spielte Mrs. Croftus diese Rolle. Sie lockte mich in die Gegend, in der sie Mrs. Belders Leiche deponiert hatte und wo ich sie drei Tage später auch fand — in einer Garage, die Freunden von Mrs. Croftus gehörte, die auf zwei Wochen verreist waren. Dann versuchte das Trio Croftus-Goldring-Carlotta, den Mord Mr. Belder anzuhängen. Mrs. Belders herausnehmbare Brücke legten sie in ein Brillenetui, das sie in Mr. Belders Manteltasche praktizierten. Mrs. Croftus tippte zwei weitere anonyme Briefe auf Mrs. Belders Reiseschreibmaschine. Mutter Croftus und Carlotta redeten Mrs. Goldring ein, daß es nicht klug sei, zu verraten, worum es bei dem Ferngespräch mit ihrer Tochter wirklich gegangen war. Statt dessen sollte sie angeben, Mabel habe ihr von dem anonymen Brief erzählt. Mrs. Croftus richtete es so ein, daß man denken konnte, Mabel habe um elf das Haus verlassen, um sich mit der Schreiberin des anonymen Briefes zu treffen. Dann aber machte Belder den Fehler, seinen Mantel beim Friseur zu vergessen. Den Mantel aber mußte das Trio haben, denn in dem Mantel steckte das Beweisstück, das Belder auf den elektrischen Stuhl bringen sollte.

Durch ihre Spionin Sally Brentner wußte Mrs. Croftus, was bei den Belders gespielt wurde. Sally hatte den Verdacht, daß Everett Belder ein Verhältnis mit seiner Sekretärin hatte — was übrigens stimmte —, und hatte sich daher bei dem Zahnarzt im gegenüberliegenden Haus angemeldet, von dessen Behandlungsstuhl sie Zeugin eines rührenden Wiedersehens zwischen Belder und Dolly Cornish, seiner Jugendliebe, wurde.

Daraufhin rief Mrs. Croftus bei Dolly Cornish an, gab sich als Mrs. Belder aus, deutete an, sie hätte Sally Brentner ermordet und habe als nächstes Opfer Dolly auf der Liste. In Wirklichkeit war zu dieser Zeit Mabel Belder bereits tot. Es hätte uns allen viel Ärger erspart, wenn Dolly der Polizei von diesem Telefongespräch berichtet hätte. Aber das hatte ihr der geschniegelte Empfangschef in ihrem Hotel ausgeredet, aus lauter Angst um Dollys guten Ruf.

Tja, mein Freund, es war eine harte Nuß, und mein Partner hat mir gefehlt. Für solche Dinge habe ich nicht das nötige Fingerspitzengefühl. Aber nach allerlei Irrwegen bin ich doch auf den richtigen Dreh gekommen, und Sergeant Sellers hat den Rest erledigt. Mrs. Goldring und Mrs. Croftus haben eisern geschwiegen, aber unsere liebe kleine Carlotta ist nervös geworden und hat ausgepackt. Ob Du's glaubst oder nicht, sie hat sich doch tatsächlich bereit erklärt, als Belastungszeugin gegen ihre beiden Mütter aufzutreten. Ein reizendes Pflänzchen!

Aber dann passierte das Tollste. Halt Dich fest: Frank Sellers hat mir einen Heiratsantrag gemacht! Zuerst hab’ ich natürlich furchtbar gelacht, so albern kam es mir vor. Andererseits... Er ist gar kein übler Kerl. Dich bewundert er übrigens, Donald, weil Du so viel Grips hast, und da hat er ja auch recht. Er hat mich übrigens vor einem Prozeß wegen Beleidigung bewahrt, den Imogene Dearborne gegen mich anstrengen wollte. Er hat festgestellt, daß sie mit dieser Masche — nämlich mit gepfefferten Schadensersatzklagen — schon eine recht nette Summe bei früheren Gelegenheiten verdient hat. Sie reist auf diese Tour, diese verdähem — diese ehrenwerte junge Dame. Nachdem Frank sie sich vorgenommen hatte, war sie erfreulicherweise ganz klein und häßlich. Von Prozeß keine Rede mehr! Aber der Anwalt, den ich gebeten hatte, mir eine Entgegnung aufzusetzen, wollte nach wie vor seine fünfundzwanzig Kröten haben. Er ließ nicht locker, obgleich er nun keinen Finger für mich zu rühren brauchte. Na, um des lieben Friedens willen hab’ ich ihm dann zweieinhalb Dollar in die Hand gedrückt.

Frank Sellers sagt, ich bringe ihm Glück, und er mag meinen Mut und meine Tatkraft. Bis jetzt habe ich mich noch zu keiner Entscheidung durchringen können.< Geht’s zu schnell, Elsie?«

Elsie Brand sah auf. »Also ich muß schon sagen — Sie legen ein ganz schönes Tempo vor!«

»Ich meine doch das Diktat!« blaffte Bertha.

»Ach so.« Elsie balancierte den Stenostift auf ihrem kleinen Finger. »Nein. Ich komme gut mit, Mrs. Cool.«

Bertha schluckte eine bissige Bemerkung hinunter. »So, für heute reicht’s. Man muß auch noch was zu erzählen haben, wenn er wiederkommt. Als Nachsatz kannst du noch schreiben, daß wir einen beachtlichen Happen von dem Belderschen Vermögen bekommen haben... Nein, streich das wieder! Schreib einfach, daß die Kasse stimmt, vorausgesetzt, das Finanzamt schröpft uns nicht allzusehr

Bertha rappelte sich auf und marschierte auf ihr Büro zu.

»Neue Besucher schick bitte gleich zu mir hinein«, rief sie Elsie noch zu, bevor sie in ihrem Zimmer verschwand.