17

Bertha Cool fuhr den jungen Polizisten an: »Gehen Sie hinein und sagen Sie Sergeant Sellers, daß ich nicht mehr warten kann. Ich hab schließlich noch eine kleine Nebenbeschäftigung.«

Der Junge grinste nur.

»Denken Sie, ich mache Witze?« wütete Bertha. »Geschlagene zwei Stunden hocke ich jetzt hier. Sergeant Sellers weiß doch, wo er mich erreichen kann.«

»Er hat zu tun. Mit Lappalien kann ich ihn nicht belästigen.«

»Das sind keine Lappalien. Ich gehe!«

»Ich hab’ Anweisung, Sie hierzubehalten.«

»Ich möchte bloß wissen, weshalb ich hier hocken soll, bloß weil ich für Sergeant Sellers eine Leiche aufgespürt habe.«

»Tja, das müssen Sie Sellers schon selber fragen.«

»Mrs. Goldring haben Sie doch nach Hause geschickt.«

»Die war auch hysterisch. Sie sollte bloß die Leiche identifizieren.«

»Und was soll ich?«

»Keine Ahnung.«

»Ist Sergeant Sellers mit seinen Ermittlungen in der Garage fertig?«

»Keine Ahnung.«

»Weiß man schon die Todesursache?«

»Keine Ahnung.«

»Ihr Verstand scheint nicht gerade ausgeprägt zu sein.«

»Möglich.«

»Was wissen Sie überhaupt?«

Der Polizist griente. »Daß ich Sie hierbehalten soll. Und das tue ich auch.«

Bertha hüllte sich in ärgerliches Schweigen.

Unerwartet öffnete sich die Tür. Sergeant Sellers kam herein, machte dem Polizisten ein Zeichen und grinste Bertha Cool an. »Tag, Bertha.«

Bertha funkelte ihn zornig an.

»Sie machen keinen besonders glücklichen Eindruck. Was ist los?«

»Glücklich? Wenn Sie meinen... Ach, was soll’s.«

Sellers ließ sich in einen Sessel sinken. »Woher wußten Sie, daß sie tot ist?«

Bertha holte tief Atem. »Ihre Haut war kalt. Es roch nach Verwesung. Sie bewegte sich nicht. Ich sprach sie an. Sie antwortete nicht. Da kam mir eine dieser Eingebungen, Sergeant, die Ihr Polypen nur alle hundert Jahre einmal habt. Donnerwetter, sagte ich mir — die Frau ist tot!«

»Sehr witzig, Bertha, aber das meine ich nicht. Woher wußten Sie, daß Sie in der Garage eine Leiche finden würden?«

»Das wußte ich ja gar nicht...«

»Weshalb sind Sie dann hineingegangen?«

»Weil ich mich immer scheckig ärgere, wenn ich jemanden verliere, den ich beschatten sollte.«

»Aha. Wenn Sie am Mittwochnachmittag ärgerlicherweise die Spur Ihres Opfers verlieren, fahren Sie am Freitagabend zum Schauplatz der Handlung zurück, um die Spur wiederaufzunehmen...«

»Nein.«

»Sondern?«

»Ich wollte nur das Terrain erkunden.«

»Da müssen Sie sich schon was Besseres einfallen lassen, Bertha.«

»Es ist ja schließlich nicht verboten, sich ein bißchen umzusehen.«

»Woher wußten Sie, daß Sie sie an dieser Stelle verloren hatten?«

»Sie fuhr um die Ecke. Dann war sie verschwunden.«

»Warum haben Sie dann nicht am gleichen Tag das Terrain erkundet, wie Sie es nennen?«

»Weil ich dachte, sie wäre zur nächsten Ecke gefahren und dann rechts eingebogen.«

Sellers betrachtete sie mit freundschaftlicher Nachsicht. »Wirklich, Bertha, Sie sind unbezahlbar. Wenn Sie nächstens über das Schneckentempo der Polizei frotzeln, können Sie sich daran erinnern, daß es manchmal auch bei vorzüglichen weiblichen Privatdetektiven zwei oder drei Tage dauert, bis der Groschen fällt. Und wieso haben Sie sich ausgerechnet diese Garage ausgesucht?«

»Die Häuserblocks haben dort doppelte Länge. Sie konnte gar nicht in einer Querstraße verschwunden sein, dazu war ich ihr zu dicht auf den Fersen.«

»So — und das ist Ihnen jetzt erst aufgefallen?«

»Leider ja«, sagte Bertha ziemlich zerknirscht. »Ich hielt den Auftrag für eine Routinebeschattung, einen Job, der für alle bis auf den Auftraggeber schrecklich uninteressant ist. Wenn ein Mann erst mal so weit gekommen ist, daß er seine Frau beschatten läßt, kann er seine Ehe gleich verloren geben; ob sie ihn nun mit Fritz oder Franz betrügt, ist egal.«

»Eine hübsche Philosophie«, meinte Sellers. »Zu schade, daß ich jetzt keine Zeit habe, Eheprobleme mit Ihnen zu erörtern, Bertha. Weshalb haben Sie nicht gleich bemerkt, daß es Doppelblocks waren?«

»Weil ich so wütend war. Diese Schlange hat mich in Sicherheit gewiegt, um mich dann um so gründlicher reinlegen zu können. Mir fiel gar nicht ein, daß sie irgendwo in einer Garage untergetaucht sein könnte.«

»Die Idee ist Ihnen erst später gekommen?«

»Ja.«

»Am Mittwoch sind Sie nicht hier langgefahren?«

»Nein.«

»Haben Sie den Zettel gesehen, der auf dem Boden des Wagens lag?«

»Ich will Ihnen nur mal zeigen, wie sie das Problem gesehen hat. Und da ist natürlich auch noch ihre Mutter...«

Bertha zögerte.

»Ja oder nein?«

»Ja.«

»Haben Sie ihn angefaßt?«

»Ja.«

»Gelesen?«

»Ja — das heißt, ich hab’ mal so flüchtig draufgesehen.«

»Mal flüchtig draufgesehen«, wiederholte Sergeant Sellers.

»Na und? Hören Sie mal, ich hab’ die Leiche gefunden, da können Sie’s mir doch nicht übelnehmen, wenn ich mich bei dieser Gelegenheit noch etwas umsehe.«

»Sie wissen ganz genau, daß wir so was nicht lieben.«

»Es hätte ja auch etwas drauf stehen können, das sofort erledigt werden mußte.«

»Was sie wieder lebendig gemacht hätte?«

»Langsam fallen mir Ihre faulen Witze auf die Nerven.«

»Auf dem Zettel haben wir vorzügliche Fingerabdrücke gefunden«, sagte Sergeant Sellers, »die sich vermutlich als Bertha Cool gehörig entpuppen werden. Da hab’ ich mich also zu früh gefreut.«

»Tut mir leid«, sagte Bertha.

»Mir erst«, sagte Sellers grimmig.

»Ist sie an Kohlenmonoxydvergiftung gestorben?«

»Sieht so aus.«

»Wie beurteilen Sie die Sache?«

»Eine nette kleine Falle«, sagte Sergeant Sellers. »Jemand schreibt der Frau anonyme Briefe, bis sie wie hypnotisiert ist. Versetzen Sie sich mal in ihre Lage. Das Vermögen gehörte ihr. Nach allem, was ich gehört habe, scheint ihr Göttergatte in ihr weniger die Ehefrau als einen wandelnden Geldschrank gesehen zu haben. Ich möchte annehmen, daß sie fort wollte aus dieser Ehe — aber nach Möglichkeit mit dem Geld. Das kann man ihr nicht verdenken. Ihr Mann erfreut sich bester Gesundheit — er konnte sich also nach der Trennung von ihr gefälligst selbst ernähren. Wenn sie aber nicht sofort einen reichen Ehemann Nummer zwei kaperte, sah sie sich der leidigen Situation aller Geschiedenen gegenüber: Männer, die sich mit ihr amüsieren wollen, aber gar nicht an Heirat denken, ein Vermögen, das jeden Tag ein bißchen mehr abbröckelt, ein Gesicht, das jeden Tag ein bißchen älter wird...«

»Gott, wie rührend«, unterbrach Bertha sarkastisch. »Soll ich weinen?«

»Nein. Aber nachdenken.«

»Wieso?«

»Glauben Sie wirklich, die Mutter hatte die Hand im Spiel?«

»Am Dienstagnachmittag hat sie mit ihrer Mutter in San Franzisko telefoniert. Gegen halb sieben hat ihr dann ihre Mutter die Ankunftszeit telegrafiert und um Abholung gebeten.«

»Worüber haben die beiden am Telefon gesprochen?«

»Mrs. Goldring wollte erst nicht recht mit der Sprache heraus. Schließlich habe ich sie aber doch festgenagelt. Mabel hat ihr von einem anonymen Brief erzählt, in dem ihr Mann beschuldigt wird, eine Affäre mit dem Dienstmädchen zu haben. Mrs. Goldring gab ihr den Rat, Everett zu verlassen. Mabel war nicht für so radikale Maßnahmen. Sie hielt eine gütliche Einigung für besser. Das ärgerte Mrs. Goldring. Sie redeten noch eine Weile hin und her, dann beschloß Schwiegermama, die Sache persönlich in die Hand zu nehmen. Sie wollte es zum Krach kommen lassen.«

»Hat Mabel das Telegramm bekommen?«

»Ja. Carlotta war dabei, als es telefonisch durchgegeben wurde. Mrs. Belder ließ es sich noch einmal wiederholen, um sich die Ankunft des Zuges genau zu notieren. Dann sagte sie Carlotta Bescheid, und sie beschlossen, beide zum Bahnhof zu fahren. Everett hatte keine Ahnung von dem Gewitter, das sich über seinem Kopf zusammenbraute. Seine Frau bat ihn an jenem Abend lediglich, den Wagen auftanken, die Reifen prüfen zu lassen und ihn ihr spätestens um elf Uhr vors Haus zu stellen.«

»Augenblick mal«, sagte Bertha. »Sie ist am Mittwochmorgen erst um elf Uhr zweiundzwanzig aus dem Haus gegangen. War nicht der Zug vorher fällig?«

»Die planmäßige Ankunftszeit war elf Uhr fünfzehn. Aber der Zug hatte viel Verspätung.«

»Wie kam es, daß Carlotta und Mrs. Belder nicht zusammen zum Bahnhof fuhren?«

»Carlotta hatte noch in der Stadt zu tun. Da Mrs. Belder morgens gern lange schläft, verabredete sie, sich mit Carlotta am Bahnhof zu treffen. Wir können annehmen, daß Mrs. Belder sich telefonisch erkundigte, ob der Zug pünktlich kommen würde. Der Haken ist nun, daß es zunächst hieß, der Zug würde pünktlich eintreffen. Erst später wurde angesagt, daß er erst um zwölf Uhr fünfzehn kommen würde. Wenn Mrs. Belder das Haus erst um elf Uhr zweiundzwanzig verlassen hat, muß sie schon erfahren haben, daß der Zug Verspätung haben würde. Tatsächlich kam der Zug dann erst gegen eins. Carlotta verließ gegen neun das Haus, machte in der Stadt ein paar Einkäufe, kam gegen elf zum Bahnhof und hörte, daß der Zug um zwölf Uhr fünfzehn kommen würde. Sie rief dann bei Belders an, wo sich niemand meldete. Nach unserer Theorie mußte aber um diese Zeit Mrs. Belder am Telefon sitzen und auf den Anruf der anonymen Briefschreiberin warten. Im Haus war sie — dafür haben wir Ihre Aussage. Wieso hat sie sich nicht gemeldet, als Carlotta anrief?«

»Weil sie in diesem Augenblick dabei war, Sally Brentner zu ermorden.«

Sellers nickte. »Genau.«

»Was tat Carlotta dann?« wollte Bertha wissen.

»Sie schloß, daß Mabel schon auf dem Weg zum Bahnhof war, blieb also, wo sie war, und wartete auf die liebe Mabel. Der Zug rollte erst um eins ein. Mabel tauchte nicht auf und hat offenbar auch nicht versucht, sich mit Carlotta in Verbindung zu setzen. So — nun sagen Sie was dazu.«

»Dazu läßt sich nicht viel sagen«, meinte Bertha. »Ich kann’s mir nur so erklären, daß der Mord um elf Uhr dort im Haus begangen worden ist.«

»Hm — muß wohl so sein«, bestätigte Sellers unzufrieden. »Mrs. Belder erfährt auf telefonische Rückfrage hin, daß der Zug erst um zwölf Uhr fünfzehn kommt. Sie wartet sehnlichst auf den Anruf ihrer anonymen Brieffreundin. Trotzdem geht sie nicht ans Telefon, als es um elf bimmelt. Während Carlottas Anruf war die Leitung besetzt, deshalb hat die andere sie erst um elf Uhr fünfzehn erreichen können.«

»Wie kommen Sie ausgerechnet auf diese Zeit?«

»Früher war es auf keinen Fall. Höchstwahrscheinlich sogar erst gegen elf Uhr einundzwanzig. Mrs. Belder dürfte kaum mehr als sechzig Sekunden gebraucht haben, um das Haus zu verlassen und in den Wagen zu steigen. Man muß also den Anruf zwischen elf Uhr fünfzehn und elf Uhr zweiundzwanzig ansetzen.«

»Da hat sie aber nicht viel Zeit gebraucht, um Sally Brentner in die ewigen Jagdgründe zu befördern.«

»Vielleicht hat sie schon vor elf angefangen...«

»Um elf kam aber ihr Mann«, meinte Bertha.

»Nach Ihrer Aussage ist er gar nicht ins Haus gegangen. Er hat nur draußen gehupt.«

»Richtig. Sie glauben also jetzt, daß sie Sally Brentner ermordet hat? Daß es gar nicht Everett Belder war?«

»So sieht’s aus.«

»Ich denke, es war typische Männerarbeit?«

»Nach dem Material, das uns jetzt zur Verfügung steht, habe ich meine Meinung geändert. Mrs. Belder muß sich davon überzeugt haken, daß die Sally Brentner betreffenden Vorwürfe in dem Brief stimmten. Sie ermordete Sally und wurde dann das Opfer einer Falle, die man ihr gestellt hatte.«

»Wer hat denn aber sie auf dem Gewissen?« fragte Bertha.

Sellers riß nachdenklich ein Streichholz an und hielt es an die Zigarre, die er während seines Gesprächs mit Bertha sträflich vernachlässigt hatte. Er beantwortete Berthas Frage indirekt.

»Am Mittwoch zwischen elf Uhr fünfzehn und elf Uhr zweiundzwanzig klingelte das Telefon. Mrs. Belder bekam Anweisungen, in den Wagen zu steigen, zur Hauptstraße zu fahren, eine gewisse Kreuzung bei Rot zu überqueren, um eventuelle Beobachter abzuschütteln, und an der Harkington Avenue links einzubiegen. Dann sollte sie in die Garage fahren, das Garagentor schließen und bei laufendem Motor auf ein vereinbartes Zeichen warten. Sicherheitshalber hat der Meistermörder in der Garage alle Ritzen mit Werg verstopft.«

Bertha pfiff leise.

»Technisch werden wir es verflixt schwer haben, einen Mord nachzuweisen«, fuhr Sergeant Sellers fort. »Es war Fahrlässigkeit und...«

»Augenblick mal«, unterbrach Bertha. »Sie haben noch was übersehen. Nach dem Anruf ging sie zu ihrer Reiseschreibmaschine und tippte die Anweisung, um sie nicht zu vergessen.«

Sergeant Sellers lächelte herablassend. »Nee, mein Kind, so einfach ist das nicht«, sagte er. »Glauben Sie, in einer solchen Situation hätte sie sich seelenruhig an die Schreibmaschine gesetzt? Zunächst mal ist es unwahrscheinlich, daß man, wenn man so unter Druck steht, solche Anweisungen vergißt. Und für den Fall, daß sie sich etwas hätte notieren wollen, lagen ja Bleistift und Papier auf dem Telefontischchen. Sie hätte sich mit der Hand Notizen gemacht, und zwar in einer Schrift, der man ihre Erregung angesehen hätte.«

»Sie meinen also, daß der Mörder diesen Wisch tippte und ihn bei der Leiche liegenließ?«

»Es ist gar nicht anders möglich.«

»Warum?«

»Damit selbst die dummen Polizisten sofort kapieren, daß sie Selbstmord begangen hat.«

»Und so ist es tatsächlich passiert?« fragte Bertha.

»Ja, so ist es tatsächlich passiert«, bestätigte Sellers. »Der Tank ist knochentrocken. Die Batterie ist leer. Sie muß nach wenigen Minuten erstickt sein, und dann lief der Motor eben weiter, bis das Benzin alle war.«

»Dann muß der Mörder hinterher den Zettel in der Garage deponiert haben.«

»Ja. Deshalb war ich ja so begeistert über die beiden wunderschönen Fingerabdrücke. Als ich merkte, daß ich auf dem Holzweg war, nur weil Mrs. Cool ihre Nase in Angelegenheiten gesteckt hatte, die sie nichts angingen, war ich begreiflicherweise sauer.«

»Tut mir wirklich leid.«

»Kann Ihnen auch leid tun. Sie sind lange genug dabei, um zu wissen, daß man nichts berühren darf, wenn man eine Leiche findet. Ihre Fingerabdrücke an der Türklinke des Wagens schadeten weiter nichts. Sie mußten ja die Wagentür aufmachen, um zu sehen, was los war. Aber weiter hätten Sie nicht gehen dürfen.«

»Also wirklich, ich...«, stammelte Bertha.

»Na ja, lassen Sie’s gut sein.«

»Hören Sie mal«, sagte Bertha plötzlich, »der Mord war offenbar so geplant, daß es nach einem Unfall aussehen sollte.«

»Ganz recht.«

»Dann muß der Mörder die Garage betreten haben, um zu sehen, ob es geklappt hatte und um den Zettel hinzulegen.«

»Genau.«

»Warum hat er bei der Gelegenheit nicht den Werg aus den Ritzen gezogen? Das Zeug ist doch höchst verräterisch.«

»Daran hab’ ich mich auch gestoßen«, meinte Sellers. »Aber versetzen Sie sich mal in die Lage des Mörders. Er hatte sein Ziel erreicht, hatte die Frau aus dem Weg geräumt. Er schlich sich in die Garage, wahrscheinlich mitten in der Nacht, um den Zettel in den Wagen zu legen, damit ihr Tod als Unglücksfall und nicht als Mord erscheinen sollte. Der Mörder riskierte es nicht, längere Zeit dort zu bleiben. Wenn ihn unglücklicherweise jemand beim Betreten der Garage beobachtet und die Polizei alarmiert hätte, wäre er ebenso stark in Mordverdacht geraten, als wenn man ihn auf frischer Tat ertappt hätte. Er konnte sich also nicht damit aufhalten, den Werg aus den Ritzen zu entfernen. Er hat vielleicht gehofft, die Polizei würde das Zeug nicht entdecken. Er fühlte sich eben, nachdem niemand ihn dort erwischt hatte, ziemlich sicher.«

»Weil man ihm jetzt nichts nachweisen kann, meinen Sie?«

»Ja«, sagte Sellers. »Das können wir nur, wenn wir Beweise dafür finden, daß der Tod von Mrs. Belder auf einen zielbewußten, sorgfältig ausgearbeiteten Plan zurückzuführen ist. Sonst haben wir nichts gegen den Mörder in der Hand — selbst wenn wir ihn kennen. Er hat ja die Frau nicht selber getötet. Er war ja nicht dabei. Der Plan ist teuflisch — und genial. Juristisch unanfechtbar. Man setzt einem Menschen so sehr zu, bis er vor Erregung sämtliche Vorsichtsmaßnahmen außer acht läßt und den eigenen Tod durch Fahrlässigkeit verursacht. Versuchen Sie mal, mit diesem Argument eine Jury dazu zu bringen, den Mann wegen Mordes verurteilen zu lassen! Und in der Berufung ist die Sache erst recht hoffnungslos.«

»Haben Sie schon einen konkreten Verdacht?« fragte Bertha.

»Ja. Everett Belder«, erklärte Sergeant Sellers langsam. »Der teuflisch geschickte Mörder, der geniale Planer, der bankrotte Geschäftsmann, der viel Zeit zum Nachdenken hat. Der den gleichen Einfallsreichtum, mit dem er seine Verkaufskampagnen anlaufen ließ, dazu benutzt, sich einen risikolosen Mord an seiner Frau auszudenken. Er schreibt einen anonymen Brief, in dem er sich selbst verschiedener Frauengeschichten bezichtigt, die sonst nie entdeckt worden wären. Er schaltet ein Detektivbüro ein, um ganz sicher zu sein, daß seine Frau bis zu dieser Garage verfolgt wird. Kapieren Sie das noch immer nicht, Bertha? Wenn Sie die Frau nicht beschattet hätten, wäre der Ablauf noch einigermaßen unklar gewesen, aber so können wir die Todeszeit fast bis auf die Minute bestimmen. In der kritischen Zeit saß Everett Belder beim Friseur und ließ sich verschönen.«

»Beim Friseur?« wiederholte Bertha mit schlecht gespielter Überraschung.

»Tun Sie nicht so erstaunt! Wir haben seine Aussage schon geprüft. Er war schlau genug, ohne seinen Mantel wegzugehen, so daß der Friseur sich unbedingt an ihn erinnern mußte. Übrigens konnte sich der Friseur auch ganz genau an Sie erinnern, weil Sie ihn auch nach dem Mantel gefragt hatten.«

Ausnahmsweise war Bertha mal sprachlos.

»Eine andere Frau«, sagte Sellers, »die etwa zwanzig Minuten nach Ihnen kam, sagte, Mr. Belder hätte seinen Mantel vergessen und sie gebeten, ihn mitzunehmen.«

In Berthas Gesicht stritten sich die widersprechendsten Empfindungen.

»Es freut mich, daß man Ihnen auch ab und zu noch ’ne kleine Überraschung bereiten kann«, meinte Sellers trocken. »Inzwischen hätten Sie eigentlich schon merken können, daß er eine Komplizin haben muß.«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Jemanden, der höchst geschickt mit der Schreibmaschine seiner Frau umgehen konnte. Der seine Frau anrufen und sie zu der Garage locken konnte. Das ist das einzige schwache Glied in seinem Plan, Bertha. Er brauchte eine Komplizin. Und wenn ich diese Frau finde und ich werde sie finden und zum Sprechen bringen—, kann ich Everett Belder überführen. Ausnahmsweise lautet in diesem Fall die Frage nicht, wer den Mord begangen hat, sondern ob ich beweisen kann, daß es vorsätzlicher Mord war, so daß der Mörder in die Gaskammer wandert.«

»Ich verstehe«, brachte Bertha heraus.

»Und eins will ich Ihnen sagen, Bertha«, fuhr Sellers grimmig fort, »wenn Sie mir dabei Steine in den Weg legen, reiße ich Ihnen jedes Haar einzeln aus. So, das ist alles. Sie können gehen.«