22
Everett Belders Haus war ein typisch südkalifornischer Bungalow mit eingebauter Garage und großem Garten.
Bertha war in einer halben Stunde auf abenteuerlichem Zickzackkurs hinausgefahren.
Das Haus stand dunkel und verlassen da. Bertha stieg aus und klingelte. Nach fünfzehn Sekunden klingelte sie noch einmal, diesmal länger.
Als sich drinnen nichts rührte, rüttelte sie an der Haustür. Abgeschlossen. Sie ging einmal um das ganze Haus herum, doch auch die Hintertür, sämtliche Fenster und die Garagentür erwiesen sich als unzugänglich.
Doch noch gab sich Bertha nicht geschlagen. Sie öffnete den Hausbriefkasten und tastete darin herum. Richtig fand sich ein Schlüssel. Er paßte zur Haustür!
Bertha schloß auf. Sie legte den Schlüssel wieder zurück an seinen Platz und betrat das Haus. Getreu dem alten Einbrechergrundsatz, sich stets den Rückweg freizuhalten, suchte sich Bertha zunächst mit Hilfe ihrer Taschenlampe den Weg zur Hintertür, deren Schlüssel steckte. Sie schloß auf und besah sich dann die Baulichkeiten.
Bertha Cool pflegte zu behaupten, jedes Haus verrate etwas von dem Geist seiner Bewohner. Hier meinte sie eine Atmosphäre der Feindschaft, der Bedrohung zu spüren. Oder bildete sie sich das nur ein, weil sie wußte, daß in diesem Haus ein Mord geschehen war?
Reiß dich zusammen, Bertha, befahl sie sich streng. Du mußt etwas riskieren, sonst schickt dich der Sergeant hinter schwedische Gardinen.
Von dem Hauptkorridor ging rechts ein kurzer Gang ab, der in die Garage führte. Dort war die Luft dumpf und feucht. In der Schwärze der großen Doppelgarage verlor sich der schmale Lichtkegel ihrer Taschenlampe. An einer Wand zog sich eine Werkbank entlang. Werkzeuge lagen herum und Dinge, die offenbar im Haus keinen rechten Platz mehr gefunden hatten — ein alter Kabinenkoffer, ein Herrenmantel, ein ölfleckiger Overall, Schachteln, Zündkerzen, Drähte.
Bertha ging zurück und begann, die anderen Zimmer zu erkunden. Das nächste gehörte offensichtlich Carlotta. Am Spiegel steckten Fotos von mehr oder weniger ansprechenden Jünglingen. Es roch süßlich.
Hinter der nächsten Tür fand Bertha, was sie suchte: zwei Schlafzimmer, hell getäfelt, dazwischen ein Bad. Das vordere Zimmer gehörte offensichtlich Everett Belder, das hintere seiner Frau.
Bertha ging sofort zu Mrs. Belders Kleiderschrank. Vielleicht fand sie doch noch einen Hinweis, der dem Mörder nicht aufgefallen war. Beim Stöbern in dem geräumigen Schrank fielen Bertha einige helle Holzspäne in die Hand, die offenbar noch frisch waren. Sie waren offensichtlich mit einem Bohrer herausgedreht worden.
»Komisch«, sagte sie. »Das wäre ein Fall für Donald. Wie kommen Holzspäne in einen Kleiderschrank?« Sie tastete noch einmal die Wände ab. So vertieft war sie in ihre Aufgabe, daß sie erschreckt zusammenzuckte, als eine Tür zuschlug.
Sie kauerte sich auf dem Boden des Kleiderschrankes zusammen und lauschte.
Sie hörte Schritte, leise Frauenstimmen. Dann wieder Stille.
Vielleicht konnte sie sich durch die Hintertür aus dem Staub machen? Sie ging auf Zehenspitzen weiter ins Zimmer hinein. Die Stimmen waren jetzt deutlicher zu hören. Sie kamen aus der Küche. Eine Schranktür klappte, Teller klirrten. Carlotta und Mrs. Goldring waren also wieder da.
Durch die Hintertür gab es kein Entkommen mehr, denn der Weg dorthin führte an der Küche vorbei. Dann fiel ihr der Gang zur Garage ein. Versuchen konnte man’s ja mal...
Sie zog die Schuhe aus, klemmte sie unter den Arm und trat auf den Gang. Sie hörte das ungeduldige Miauen einer Katze, dann Carlottas Stimme: »Und ich sage dir, Mutter, sie werden Everett anklagen. Es geschieht ihm ganz recht! Was ich dazu tun kann, daß er verurteilt wird, soll geschehen.«
So gespannt Bertha auch lauschte, es kam keine Antwort.
Sie tastete sich an der Wand entlang, sorgsam bemüht, knarrende Dielen zu vermeiden. Nicht auszudenken, wenn man sie hier im Haus ertappte!
Carlotta sagte: »Ich mag Katzen nicht. Wir sollten zusehen, daß wir das Vieh loswerden. Pfui, meine Hände riechen nach Kater! Ich muß mir meine Creme holen.«
Ein Lichtkegel fiel in den Gang, den Bertha entlangschlich. Sie nahm die Taschenlampe in die Linke und ballte kampfentschlossen die Rechte. Aber Carlotta schien es mit ihrer Handcreme nicht so eilig zu haben. Sie stand noch an der Tür. Man hörte, wie der Kater genußvoll die Milchschale ausleckte.
Für übertriebene Vorsicht war jetzt keine Zeit mehr. Bertha ging eilig zur Garage, öffnete die Tür und seufzte erleichtert, als die feuchte Dunkelheit sie umgab.
Sie setzte sich auf eine Werkzeugkiste, um die Schuhe wieder anzuziehen, und merkte zu ihrem Ärger, daß sie am ganzen Körper zitterte. Sie tat ein paar Schritte zur Garagentür. Aber dann hielt sie plötzlich inne. Im vorderen Teil der Garage war es sonderbar hell. Hinter einem kupferbezogenen Dichtungsring, der an einem Nagel an der Wand hing, drang Licht hervor. Als Bertha ihn abnahm, entdeckte sie dahinter ein sauber gebohrtes Loch von etwa zweieinhalb Zentimeter Durchmesser.
In diesem Augenblick vergaß Bertha alle Gefahren einer möglichen Entdeckung. Sie nahm einen Schraubenzieher von der Werkbank und schob ihn durch die Bohrung. Er traf gegen einen leichten Widerstand auf der anderen Seite der Wand, der sich aber leicht beiseite schieben ließ. Es war ein Bild, und dieses Bild hing in Mabel Belders Schlafzimmer. Bertha sah Carlotta, die vor dem Ankleidetisch saß, sich die Hände eincremte und ihrem Spiegelbild selbstzufrieden zulächelte. Dann griff sie sich das Telefon und wählte eine dreistellige Nummer. »Ja, ist dort die Auskunft? Bitte geben Sie mir die Nummer von George K. Nunnelys Privatwohnung. Die Adresse kenne ich nicht.« Eine Pause. »Vielen Dank.«
Sie hängte auf. Bertha sah sie eine andere Nummer wählen. »Hallo, spreche ich mit Mr. Nunnely? Wir kennen uns nicht, Mr. Nunnely. Mein Name ist Carlotta Goldring. Ich bin Mrs. Belders Schwester. Ja, ganz recht. Ich bin auf einige sehr sonderbare Dinge gestoßen, und ich glaube, es läge in Ihrem Interesse, wenn wir uns einmal darüber unterhalten könnten. Es handelt sich um den Mord an Mabel Belder. Ich sagte Mord, Mr. Nunnely. Ganz recht. Soviel ich weiß, brauchen Sie dringend Geld. Der Tod meiner Schwester kam Ihnen sehr gelegen, nicht wahr? Sie...«
Carlotta setzte sich bequemer auf ihrem Stuhl zurecht und sah auf. Ihr Gesicht wurde starr. Bertha überlief eine Gänsehaut: Im Spiegel hatte Carlotta gesehen, daß das Bild schief hing.
»Mutter!« schrie Carlotta.
Bertha ließ den Schraubenzieher fallen, hörte ihn zu Boden klappern. Das Bild schob sich vor die Bohrung. Bertha drehte sich um...
Ein Feuerwerk blendender Lichtfunken sprühte vor Berthas Augen auf. Etwas Kaltes berührte ihr Gesicht. Der Steinfußboden der Garage — dachte sie noch. Dann rutschte sie in schwarze Bewußtlosigkeit ab.