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Elsie Brand sah von ihrer Schreibmaschine hoch, als Bertha Cool das Büro betrat.
»Ich wette, Sie haben ganz vergessen, daß Sie sich für zehn Uhr dreißig mit George K. Nunnely verabredet hatten«, sagte sie.
»Schon gewonnen«, bestätigte Bertha seelenruhig. »War er da?«
»Allerdings! Er ist hin und her getrabt wie ein Raubtier im Käfig und hat auf seiner Oberlippe herumgenagt.«
Bertha Cool ließ sich in einen Sessel sinken. »Das hab’ ich nun davon, daß ich versuche, mich mit der Kripo gutzustellen. Steht doch heute in aller Frühe schon so ein Bulle vor der Tür, verputzt mein Frühstück und kommandiert mich herum wie einen x-beliebigen Polizisten. Zu meiner eigenen Arbeit komme ich überhaupt nicht mehr. Wovon soll denn der Schornstein rauchen? War er sauer?«
»Nicht direkt. Eher besorgt. Er hat von hier aus zwei Telefongespräche geführt. Leider hab’ ich nicht feststellen können, mit wem er telefoniert hat. Er hat sich von mir nur eine Amtsleitung geben lassen.«
»Hat er was für mich hinterlassen?«
»Sie sollen ihn sofort in seinem Büro anrufen.«
Bertha grinste. »Na, seine überlegene Ruhe scheint ihm gründlich abhanden gekommen zu sein. Der wird nicht noch mal mitten im Gespräch auflegen!«
»Ich hab’ den Eindruck, daß er nicht mehr aus noch ein weiß«, sagte Elsie. »Wer war denn Ihr Frühstücksgast? Sergeant Sellers?«
»Ja...«
»Aber der ist doch recht nett?«
»Na ja, für einen Bullen ist er annehmbar«, meinte Bertha großzügig. »Aber ich hab’ nun einmal was gegen die Freunde von der Polizei. Die werden allzu leicht größenwahnsinnig. Wie er sich aufgeplustert hat! Schrecklich.«
»Worum ging’s denn?« fragte Elsie Brand.
»Es sieht so aus, als ob Mrs. Belder einen Mord begangen hätte.«
Elsie Brand riß die Augen auf.
»Natürlich kann’s auch ein Unfall gewesen sein«, erläuterte Bertha. »Aber die Polizei ist anderer Meinung. Und ich auch.«
»Wen soll sie denn ermordet haben?«
»Sally Brentner, ihre Hausangestellte.«
»Und das Motiv?«
»Eifersucht. In einem anonymen Brief ist ihr mitgeteilt worden, daß ihr Mann ein Verhältnis mit Sally hatte und Sally im Belderschen Haus nur deshalb noch die Treppen fegte, um in seiner Nähe zu sein. Und das Verrückteste: Sally hat vermutlich den Brief selber geschrieben.«
»Aber weshalb denn?«
»Vielleicht wollte sie es zu einem handfesten Krach kommen lassen. Sie liebte Belder, aber der hielt sie hin. Er dachte gar nicht daran, seine Frau zu verlassen. Er konnte es gar nicht, denn seine Frau hielt die Hand auf der Brieftasche. Das ist jedenfalls die Theorie, die wir uns inzwischen zurechtgezimmert haben.«
»Was sagt denn Mrs. Belder selber dazu?«
»Die hat sich vorsichtshalber vorübergehend unsichtbar gemacht. Sie muß das Mädchen ermordet haben, bevor ich mich auf ihre Spur gesetzt habe. Wahrscheinlich während ihr Mann bei mir im Büro anrief.
Dieser Belder scheint ein stilles, aber tiefes Wasser zu sein. Am Montag hat ihn eine alte Flamme in seinem Büro besucht und sich ihm an den Hals geworfen, kaum daß die Sekretärin die Tür hinter sich geschlossen hatte. Sally Brentner saß indessen im Haus gegenüber beim Zahnarzt und ließ sich eine Füllung machen. Vom Behandlungsstuhl aus konnte sie direkt in Belders Büro sehen.«
»Machte Mrs. Belder einen nervösen Eindruck, als Sie hinter ihr her waren?«
»Nein. Sie war bemerkenswert gelassen für eine Frau, die eben einen Mord begangen hat. Moment mal. Sie muß Sally hinterher umgebracht haben. Ja, so war’s. Sie verläßt das Haus, den Kater auf dem Arm, steigt ins Auto und gondelt zu ihrem telefonisch verabredeten Rendezvous. Sie hat kein Gepäck, nur eine ganz gewöhnliche Handtasche. Dann saust sie bei Rot über die Kreuzung, hängt mich ab, kurvt zum Haus zurück, bringt Sally um die Ecke, packt ein paar Sachen zusammen und verschwindet.« Berthas Augen funkelten aufgeregt. »Ich kann dir sogar genau sagen, wann ihr der Gedanke gekommen ist, die Rivalin aus dem Weg zu schaffen. Genau an der Kreuzung. Was kann sie wohl veranlaßt haben, auf dem schnellsten Wege nach Hause zu fahren und einen Mord zu begehen?«
»Glauben Sie, daß etwas, was sie unterwegs gesehen oder gehört hat, dafür ausschlaggebend war?« fragte Elsie.
»Ich möchte fast darauf wetten. Eben noch gondelt sie ganz brav und gemäßigt, ein Musterverkehrsteilnehmer, zu ihrer Verabredung — und urplötzlich überfährt sie eine rote Ampel, schlägt Haken wie ein verfolgter Hase und fährt wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Das muß doch einen Grund haben...«
»Und wie geht’s jetzt weiter?« wollte Elsie wissen. »Hält eigentlich Mr. Belder zu seiner Frau?«
»Worauf du dich verlassen kannst«, bestätigte Bertha grimmig. »Schon aus Selbsterhaltungstrieb. Ohne sie hat er ja nicht mal Geld für die Straßenbahn. Er muß sie wieder irgendwie aus der Versenkung hervorzaubern und versuchen, die Sache geradezubiegen.«
»Dann werden Sie beweisen, daß sie unschuldig ist?«
»Ich werde mir erst mal einen netten Tag beim Angeln machen.«
»Ich verstehe nicht...«
»Mit Donald Lam habe ich mich immer gekabbelt, weil er nie einsehen wollte, daß es manchmal besser ist, alles laufenzulassen, wie es will. Donald ließ nicht locker, auch wenn die Sache noch so verfahren war.«
»Er hat’s ja auch noch immer geschafft«, verteidigte ihn Elsie lebhaft.
»Ich weiß«, räumte Bertha ein. »Aber oft haben wir uns um Haaresbreite an der Katastrophe vorbeigemogelt. Mir ist das zu nervenaufreibend.«
»Sie wollen also den Fall aufgeben?«
»Unsinn!« fauchte Bertha. »Der >Fall< existiert im Grunde genommen gar nicht mehr. Belder wollte eine Zwanzigtausend-Dollar-Forderung mit zweitausendfünfhundert Dollar abfinden. Ich habe die Sache für ihn arrangiert. Aber selbst wegen dieser lächerlichen zweieinhalb Mille muß Belder seine Frau anbetteln, die verschwunden ist, nachdem...«
»Nachdem?« wiederholte Elsie, als Bertha plötzlich verstummte.
»Das ist eben die Frage«, meinte Bertha. »Vielleicht, nachdem sie Sally umgebracht hatte. Vielleicht aber auch, nachdem sie im Keller auf Sallys Leiche gestoßen war. Auf jeden Fall aber ist sie erst mal verschwunden und mit ihr das Geld, das Belder braucht, um endlich seine Forderung abzulösen.«
»Glauben Sie nicht, daß er Ihnen den Auftrag gibt, seine Frau zu suchen?«
»Möglich, aber was könnte ich da schon ausrichten? Um Mrs. Belders Verschwinden wird sich schon die Polizei kümmern, wirksamer als ich das könnte. Da gehe ich lieber angeln. Ich will nicht den gleichen Fehler machen wie Donald. Wenn man mit dem Kopf durch die Wand will, holt man sich nur Beulen.« Bertha wies auf den Schreibtisch. »Post gekommen?«
»Ein halbes Dutzend Briefe — aber nichts Eiliges. Was soll ich Mr. Nunnely sagen, wenn er wieder hier auftaucht?«
»Daß ich nicht im Büro bin. Ein eiliger Auftrag... Das kannst du übrigens allen sagen, die nach mir Sehnsucht haben. Belder, Sergeant Sellers, der ganzen Gesellschaft... Ich tauche unter, bis sich die Wogen geglättet haben. Vielleicht können wir dann doch noch was für uns rausschlagen. Bis dahin ist es mir viel zu riskant, was zu unternehmen. Wozu soll man sich das Leben unnötig schwermachen?«
»Wo kann ich Sie erreichen, wenn etwas Wichtiges anfällt?«
»In Timbuktu!«
»Wenn aber Sergeant Sellers Sie als Zeugin braucht?«
Bertha zog ein Gesicht. »Dann sag ihm, er kann mich... Nein, sag ihm, ich bin verreist.«
»Vielleicht denkt er, Sie treffen sich irgendwo heimlich mit Mrs. Belder.«
Bertha grinste. »Hoffentlich. Vielleicht versucht er sogar, mich zu verfolgen. Dazu wünsche ich ihm jetzt schon viel Spaß.«
Bertha sah sich noch einmal im Büro um und ging dann zur Tür. Als sie die Hand auf die Klinke legte, schrillte das Telefon los.
Elsie Brand griff nach dem Hörer, hielt die Hand über die Muschel und sah Bertha Cool fragend an.
»Beruhige dich, Elsie, du brauchst nicht zu schwindeln. Ich bin schon weg!«
Damit klappte die Tür hinter ihr zu.