17

Dr. Carleton Wells bewohnte einen netten kleinen Bungalow mit einem hübschen, gepflegten Garten inmitten einer ganzen Reihe gleicher und ähnlicher Häuser und Grundstücke.

Hier wohnten Leute, die zwei Autos in ihrer Garage hatten und am gesellschaftlichen Leben der Stadt eifrig teilnahmen. Die verheirateten Frauen engagierten Babysitters, um ihre Klubs und Tanzabende besuchen zu können. Ihre Männer hielten sich schlank und ließen sich am Sonntagmorgen auf dem Golfplatz von der Sonne bräunen. Es war eine Gegend in der selten ein Polizeiauto anhalten mußte.

Leutnant Sellers ließ seinen Wagen vor dem Bungalow von Dr. Wells langsam ausrollen, ehe er bremste. Wir gingen die Vortreppe hinauf, Sellers drückte mit dem Daumen auf den Klingelknopf. Im Hause schlug ein melodisches Glockenspiel an. Ein paarmal klingelte Sellers noch in regelmäßigen Abständen.

In einem Zimmer des ersten Stocks wurde Licht angemacht, ein Fenster ging auf, und jemand fragte: »Wer ist da?«

»Kriminalpolizei«, sagte Sellers.

»Was ist denn geschehen?«

»Wir möchten mit Ihnen reden.«

»Worüber?«

»Soll das vielleicht die Nachbarschaft mithören«, fragte Sellers.

Das Fenster wurde mit einem Knall geschlossen. Im Hausflur wurde es hell, auf der Treppe waren Schritte zu hören. Die Tür wurde knapp fünf Zentimeter geöffnet, sie war durch eine Sicherheitskette gesperrt. Eine etwas ängstlich klingende Stimme fragte von drinnen: »Darf ich bitte Ihre Ausweise sehen?«

Sellers zog eine lederne Hülle aus der Tasche, klappte sie auf, so daß seine Ausweiskarte und die Polizeimarke zu sehen waren, und schob sie durch den Spalt.

Einen Augenblick später wurde die Sicherheitskette abgehakt.

Dr. Wells war ein schmalschultriger Mann, der aussah wie ein Magenkranker. Er war in Pantoffeln und trug über seinem Pyjama einen Bademantel.

»Was gibt es denn?« fragte er.

»Sind Sie verwandt mit Drury Wells?«

»Er ist mein Bruder.«

»Wo befindet er sich?«

»Das weiß ich nicht.«

Sellers drückte die Tür vollends auf und ging hinein. Ich folgte ihm.

»Machen Sie mehr Licht«, sagte Sellers.

Dr. Wells knipste an mehreren Schaltern. Wir gingen ins Wohnzimmer.

»Wollen Sie...«, Dr. Wells räusperte sich, »…möchten Sie einen Whisky trinken?«

»Ich bin im Dienst. Wo ist Ihr Bruder?« entgegnete Sellers.

»Ich sagte doch schon, daß ich’s nicht weiß. Gelegentlich höre ich mal von ihm, aber wo er gerade jetzt ist, weiß ich nicht.«

»Wann haben Sie zuletzt von ihm gehört?«

»Vor etwa einer Woche.«

»Wo befand er sich da?«

»Hat er nicht erwähnt.. Er hat nämlich häuslichen Ärger, wissen Sie, und möchte deshalb lieber unerreichbar bleiben.«

»Sie wissen aber, wie Sie ihn erreichen können,, ja?«

»Er ruft mich hin und wieder an.«

»Wie oft?«

»Manchmal höre ich von ihm einen ganzen Monat nichts, dann vielleicht wieder zwei drei Tage hintereinander. Verstehen Sie doch, Leutnant, er ist zwar mein Bruder, aber es herrscht zwischen uns keine rechte Harmonie. Ich finde nämlich, daß er seine Frau und die Kinder schandbar vernachlässigt. Er trägt zu ihrem Lebensunterhalt nur dann bei, wenn er sich unbedingt dazu gezwungen sieht. Er beharrt nach wie vor auf seinem Standpunkte, daß seine Frau die Unvernünftige sei, weil sie sich nicht scheiden lassen will, und.. Nun, dafür will er sie eben auf seine Art bestrafen, was ich häßlich von ihm finde.«

»Wie können Sie mit ihm Kontakt aufnehmen?« fragte Sellers.

»Ich sagte doch schon: gär nicht. Ich weiß einfach nicht, Leutnant.. Vermutlich wird er gesucht, weil er den Unterhalt nicht zahlt?«

»Er wird gesucht wegen Mordes«, antwortete Sellers.

»Weswegen?«

»Sie haben mich verstanden: wegen Mordes.«

»Aber das ist doch unmöglich!«

Sellers holte eine Zigarre aus der Tasche und steckte sie in den Mund. »Ich muß Sie also jetzt fragen, ob Sie einen Menschen decken wollen, der als Mörder gesucht wird! Das könnte sehr schlimm für Sie ausgehen, und ich bin derjenige, der dafür sorgen kann, daß es schlimm genug wird. Das verstehen Sie wohl?«

Dr. Wells nickte.

»Daher frage ich Sie jetzt: Wo ist er?«

Wells schüttelte den Kopf.

Sellers fragte über die Schulter: »Na, was macht Sie so kribbelig, Lam?«

»Ich habe eine Idee«, antwortete ich.

»Die wird warten können.«

»Ich gehe weg. Ich glaube, ich habe einen Anhaltspunkt.«

Sellers streifte mich nur mit einem raschen Blick, um Dr. Wells nicht aus den Augen zu lassen, und sagte: »Sie bleiben genau hier, Lam.«

»Ich sagte doch eben, daß ich einen Anhaltspunkt habe.« Damit verließ ich das Zimmer.

Eine Frau in Nachthemd und Morgenrock stand auf der halben Treppe und horchte. Als ich in den Flur kam, stieß sie einen unterdrückten Schrei aus und eilte, so schnell sie konnte, die Treppe wieder hinauf.

Ich ging zur Haustür, öffnete sie, knallte sie zu, schlich auf Zehenspitzen durch den Flur zurück bis an einen Kleiderschrank, machte ihn auf, schob einige Regenmäntel und einen Schirm beiseite, hockte mich so hin, daß ich die Schranktür schließen konnte, und zog sie bis auf einen schmalen Spalt zu.

Ich hörte Sellers sagen: »Ich will wissen, wo Drury Wells ist, und nicht mit Ihnen Karussell fahren!«

»Aber ich habe Ihnen doch erklärt, wie’s ist, Leutnant.«

»So. Ich fahre jetzt wieder ins Präsidium«, sagte Sellers. »Ich hin überzeugt, Sie wollen Ihren Bruder decken, lasse Ihnen aber ungefähr eine Viertelstunde Zeit, damit Sie sich anders besinnen können. Rufen Sie das Polizeipräsidium an, verlangen Sie das Morddezernat und dann Leutnant Sellers.«

Ich hörte, wie Sellers seinen Stuhl zurückschob, vernahm seine festen Schritte, als er durchs Wohnzimmer ging, dann durch den Flur, vorbei an dem Schrank, in dem ich saß, und nach draußen die Vortreppe hinab. Dann hörte ich das jaulende Geräusch des Starters in seinem Dienstwagen.

Die Frauenstimme sagte angstvoll: »Carl, du wirst es ihnen sagen müssen.«

Aus dem Wohnzimmer kam keine Antwort. Die Frau kam die Treppe herunter, ich hörte, wie die Wählscheibe eines Telefons gedreht wurde, und sah die Frau an mir vorbei zum Wohnzimmer gehen.

»Carl, du kannst dir nicht erlauben, so zu handeln«, sagte sie. »In diesem Fall bist du verpflichtet...«

Offenbar hatte Dr. Wells inzwischen Antwort am Telefon bekommen, denn ich hörte ihn sagen: »Drury, was hast du denn jetzt wieder angerichtet?«

Eine Minute war es still, dann sagte er: »Eben ist die Polizei hiergewesen und hat nach dir gefragt... Nein, das ist es nicht, behaupten sie... Sie kamen vom Morddezernat. Du sollst einen Mord begangen haben...«

Wieder herrschte eine Weile Schweigen, bevor er weitersprach: »Ich bin nicht mehr in der Lage, dich zu beschützen,

Drury. Vierundzwanzig Stunden gebe ich dir noch, und dann ist Schluß.«

Er hatte den Hörer aufgelegt. Ich hörte ihn, während er die Sperrkette wieder vor die Tür legte, noch kurz mit seiner .Frau sprechen, dann knipsten sie im Parterre die Lampen aus und begaben sich wieder nach oben.

Ich wartete ungefähr fünf Minuten, dann schlich ich in den dunklen Flur, tastete nach der Sperrkette an der Haustür, machte sie vorsichtig los, öffnete, trat behutsam auf die Freitreppe und zog die Tür leise hinter mir zu. Dann eilte ich die Stufen hinab und gleich quer über den Rasen bis zum Bürgersteig. Auf der Straße rannte ich, so schnell ich konnte, weiter. Wie lange mußte ich wohl noch laufen, ehe ich in dieser Gegend ein Taxi fand?

Um die nächste Ecke glitten die Scheinwerferstrahlen eines Autos, das sehr schnell fuhr. Ich drehte mich um, da schob sich der Wagen schon dicht neben mir an den Rinnstein, seine vordere Tür flog auf, und Sellers sagte: »Einsteigen, Knirps.«

Ich kletterte hinein.

»Was hat der Mann unternommen?« fragte Sellers sofort.

»Also haben Sie gewußt, was ich tat?« stellte ich eine Gegenfrage.

»Ich hab’s ja zugelassen, oder etwa nicht?«

Darauf brauchte ich nicht zu antworten.

»Hat er telefoniert?« fragte Sellers.

»Hat er«, erwiderte ich.

Sellers wendete den Wagen noch vor der nächsten Kreuzung und fuhr wieder zum Bungalow von Dr. Wells, wo er wie beim erstenmal anhaltend klingelte.

Dr. Wells kam mit zornigem Gemurmel von oben. »Das ist ja unerhört«, sagte er. »Es ist doch..«

Sellers griff durch die Tür, die Wells halb geöffnet hatte, packte ihn vor der Brust beim Bademantel, drehte den Stoff zusammen, bis seine Faust unter der Kehle des Arztes saß, und drückte ihn, indem er in den Flur trat, gegen die Wand. »Reden Sie sofort! - Welche Nummer haben Sie angerufen, sobald ich das Haus verlassen hatte?«

»Ich habe überhaupt nicht telefoniert«, sagte Wells.

Sellers zog ihn nach vorn, packte noch fester zu und rammte ihn noch einmal gegen die Wand, so wuchtig, daß das leichtgebaute Haus zitterte.

»Ziehen Sie sich an, Sie sind verhaftet«, sagte er grimmig.

»Aus welchem Grunde?«

»Wegen Nichtmeldung eines Verbrechens, das Mord heißt. Beihilfe nach der Tat. Unterwegs werde ich mir weitere Beschuldigungen ausdenken. Ich bringe Sie vor den Kadi!«

»Ich schwöre Ihnen, daß ich nicht telefoniert habe! Ich...«

Sellers blickte mich fragend an.

»Er lügt«, sagte ich.

»Nein, ich lüge nicht!« rief Dr. Wells. »Ich werde...«

»Sie hatten doch, ehe Sie wieder nach oben gingen, die Sperrkette vor die Haustür gelegt, nicht wahr?« fragte ich ihn.

Er maß mich mit einem sonderbaren Blick und antwortete: »Ja...«

Im ersten Stock begann ein Kind zu weinen.

»Die war aber ab, als Sie soeben herunterkamen, um zu öffnen«, hielt ich ihm vor. »Ziehen Sie daraus selbst Ihre Schlüsse.«

Sellers wies mit einer Kopfbewegung nach oben. »Wie wird Ihrer Frau und Ihren Kindern zumute sein, wenn sie morgen Ihr Foto groß in der Zeitung finden? Sie und Ihr kostbarer Bruder wegen Mordes verhaftet! Was werden Ihre Freunde und Bekannten dazu sagen, und was wird aus Ihrer Praxis? Ihre Golfpartner werden stolz auf Sie sein, wie?«

Dr. Wells schien in seinem Bademantel zusammenzuschrumpfen.

»Ziehen Sie sich an«, sagte Sellers noch einmal.

»Leutnant... ich werde Ihnen sagen, wie es ist. Ich...«

»Sie sollen sich anziehen!«

»Ich sage Ihnen doch, daß...«

»Dann gehen Sie eben mit, wie Sie sind«, sagte Sellers und begann, ihn zur Haustür zu zerren.

»Nein, nein, nein! Ich werde mich anziehen.«

»Ich gehe mit Ihnen nach oben.«

Sellers folgte ihm die Treppe hinauf. Ich hörte eine Frau schluchzen und ein Kind laut weinen, und sehr bald kam Sellers mit Dr. Wells wieder die Treppe herab.

»Ohne Haftbefehl dürfen Sie mich gar nicht mitnehmen«, protestierte Wells.

»Ich tue es aber, das sehen Sie doch!« entgegnete Sellers.

»Das wird noch böse Folgen für Sie haben!«

»Lassen Sie das meine Sache sein.« Sellers schob Wells vor sich her zum Bürgersteig und ins Polizeiauto. Wir saßen zu beiden Seiten von ihm.

Der Wagen fuhr los. Über Dr. Wells hinweg fragte mich Sellers: »Er hat doch mit seinem Bruder telefoniert, nicht wahr, Donald?«

»Hat er«, bestätigte ich. »Er erklärte Drury, er könne sich nicht länger für ihn einsetzen. Vierundzwanzig Stunden Vorsprung würde er ihm noch geben.«

»Das genügt für uns«, sagte Sellers, »nun kriegt er seinen Prozeß vor dem Schwurgericht.«

Ungefähr zwei Minuten fuhren wir schweigend weiter, dann war Wells schon weich und nannte uns eine Adresse.

»Wurde auch Zeit, daß Sie zu Verstand kamen«, sagte Sellers, trat den Knopf für das auf dem Wagendach kreisende rote Alarmlicht und gab Vollgas. Die Sirene betätigte er nicht.

Frank Sellers ist ein erfahrener Kriminalist, mit allen Wassern gewaschen. Schon weit vor dem genannten Hause stellte er Scheinwerfer und Motor ab und steuerte in gleitender Fahrt ganz dicht am rechten Bordstein entlang. Er hielt nicht mit der Fußbremse an, sondern zog ganz sanft die Handbremse, bis der Wagen geräuschlos stand. Dann steckte er den Zündungsschlüssel in die Tasche und sagte zu Dr. Wells: »Ich will es bei dieser Sache nicht aufs Äußerste ankommen lassen und möchte nicht erst schießen müssen. Wenn wir an der Tür sind und Ihr Bruder fragt, wer da ist, sagen Sie bloß >Carleton<, nichts weiter. Nur Ihren Vornamen. Dabei bleibt’s. Ist das klar«

Dr. Wells nickte stumm.

»Dann vorwärts«, sagte Sellers.

Wir gingen in das Apartmenthaus, zwei Treppen hinauf und durch einen Korridor bis zu einer Tür, unter der ein Streifen Licht durchschien.

Innen bewegte sich jemand in wilder Hast, das konnten wir

an seinen Schritten hören. Wiederholt huschten Schatten durch den schmalen Lichtspalt.

Sellers gab Dr. Wells einen stummen Wink.

Zaghaft klopfte Wells an. Im selben Moment stockte drinnen jede Bewegung. Wieder sah Sellers den Doktor an und nickte ihm zu. Mit dünner, vor Angst beinah schriller Stimme sagte Wells: »Ich bin’s, Drury. Carleton.«

Schritte näherten sich der Tür.

»Wer?« fragte eine Männerstimme in der Wohnung. »Carleton. Laß mich hinein.«

Die Tür war nicht von innen zugeschlossen. Ein Riegel glitt zurück, sie ging auf. Sellers warf sich sofort mit der Schulter gegen die Füllung und sprang, die Pistole in der Faust, mit einem Satz in den Flur.

»So! Hände hoch, Wells, und so stehenbleiben!« sagte er. »Kriminalpolizei. Sie sind verhaftet unter Mordverdacht. Stellen Sie sich mit dem Gesicht zur Wand, legen Sie die Handflächen dagegen und setzen Sie die Füße weit zurück. Vorgebeugt stehenbleiben, Hände an der Wand!«

Drury Wells hatte erst Sellers, dann mich angeblickt, und als er den Ausdruck im Gesicht seines Bruders sah, drehte er sich schweigend um und stellte sich so an die Wand, wie Sellers es verlangte. Offenbar war es ihm nicht ganz neu, von der Polizei visitiert zu werden.

Sellers nickte mir zu. »Filzen Sie ihn, Donald.«

Aus der Halfter unter Wells’ linkem Arm zog ich einen Revolver, Kaliber 9,6 Millimeter, und der Gründlichkeit halber auch das Taschenmesser aus seiner Gesäßtasche.

»Sonst noch etwas?« fragte Sellers.

Ich tastete Wells aufmerksam ab. »Das ist alles, er ist waffenrein«, sagte ich.

»Kehrtmachen«, forderte Sellers ihn auf.

Wells, drehte sich um. »Da hört doch alles auf!« rief er. »Man hat mich herumgehetzt und...« Er unterbrach sich, fixierte mich wütend und sagte: »Sie sind der Kerl, der daran schuld ist! Morgen werde ich durch meine Anwälte die Klage erweitern lassen und noch hunderttausend Dollar mehr als Schadenersatz fordern!«

»Klappe halten«, sagte Sellers barsch. »Der einzige Anwalt, mit dem Sie morgen reden können, wird Ihr Verteidiger im Mordprozeß sein. Sie werden beschuldigt, die Frau, mit der Sie in wilder Ehe lebten, ermordet zu haben.«

Wells lachte. »Also Sie fallen auch drauf ’rein!« sagte er. »Dieser Schuft von Detektiv will mich bloß zwingen, meine Klage zurückzuziehen, deshalb das ganze Theater. Sie haben ja meine Frau gesehen und...«

»Ganz recht, ich habe sie gesehen«, unterbrach ihn Sellers.

»Na, wie können sie mich dann beschuldigen, sie getötet zu haben?«

»Weil sie, als ich sie sah, mehr als tot war«, entgegnete Sellers. »Sie lag unten im Schacht auf dem Land da draußen, das sie geerbt hat. Über zwei Wochen hat sie da gelegen.

Miss Warren hat uns die ganze Sache berichtet: Wie Sie die Agentur angerufen und sie veranlaßt haben, zu Ihnen zu kommen und sich als Ihre Frau auszugeben. Wollen Sie also jetzt reden, oder wollen Sie’s mit einem Bluff versuchen?«

Drury Wells sank sichtlich in sich zusammen, Furcht malte sich auf seinem Gesicht.

»Kaltblütiger, vorsätzlicher Mord«, fuhr Sellers fort. »Keine mildernden Umstände. Sie haben ihr den Schädel mit einer Keule eingeschlagen, haben sie da in die Einöde gebracht und in den Schacht geworfen. Dann haben Sie diese Frau aus Ihrem Modellbetrieb veranlaßt, an Stelle der Getöteten in Erscheinung zu treten, damit Sie ungeschoren davonkamen. Sie zogen in eine andere Gegend um und inszenierten dort dasselbe noch einmal, nur um sich vor Gerede in der Nachbarschaft zu schützen. Sie haben versucht, den Eindruck zu erwecken, als ob Sie, wenn Sie mit Ihrer Frau Streit hatten, mit Ihren Decken fortgefahren seien und im Freien kampiert hätten. So genau nahmen Sie es mit dieser Täuschung, daß Sie sogar jedesmal fast gleich lange der Wohnung fernblieben, damit die Aussagen der Nachbarn, wenn das in Frage kommen sollte, übereinstimmten. Eine wirkungsvolle Szene haben Sie für Mrs. Raleigh gespielt und meinten, gewissen Leuten unvermutet ein Bein stellen und ihnen eine Schadenersatzklage anhängen zu können, die dann für Sie der beste Deckmantel geworden wäre. Kommen Sie, nehmen Sie Ihren Hut, Sie haben eine Autofahrt vor sich, und zwar in Gesellschaft Ihres Bruders. Ich werde Sie mit Handschellen aneinander fesseln.«

»Drury, um Gottes willen, sag’s ihm doch!« rief Dr. Carleton Wells.

»Was soll ich ihm sagen?« fragte Drury.

»Ist das denn die Wahrheit, was wir soeben hörten?« fragte sein Bruder ungläubig.

Drury Wells schluckte ein paarmal, dann sagte er: »Nein, das ist sie nicht. In Wirklichkeit war es ein Unglücksfall, Carl.

Das schwöre ich dir.«

Sellers, der die Handschellen schon hervorgeholt hatte, hielt mitten in der Bewegung inne, blickte mich vielsagend an und fragte Wells: »Was meinen Sie?«

»Sie fiel hin und schlug mit dem Kopf gegen die Badewanne. Ich konnte gar nicht fassen, daß sie tot sein sollte. Ein reiner Unglücksfall!«

»Wodurch fiel sie denn so hin?« forschte Sellers.

Wells leckte sich wieder die Lippen und sagte nach einer Weile: »Ich hatte sie geschlagen.«

»So ist’s besser«, kam von Sellers der übliche Kommentar. »Haben Sie einen Füllhalter oder Kugelschreiber und Papier hier?« fragte ich Wells.

In dem Blick, mit dem er mich maß, lagen Haß und tiefste

Abscheu.

»Guter Gedanke«, sagte Sellers zu ihm. »Schreiben Sie’s auf, bevor wir abfahren. Dann werden Sie wenigstens nicht mehr probieren, faustdicke Lügen vorzubringen und dabei ’reinzufallen. Vielleicht erreichen Sie damit noch eine günstige Wendung für sich.«

Er faßte Wells am Rockkragen, wirbelte ihn herum und setzte ihn auf den Stuhl vor dem in der Nähe stehenden Schreibtisch.

»Ich habe gar nichts aufzuschreiben«, sagte Wells. »Mir stehen bestimmte Rechte zu, und die kenne ich.«

»Klar, Sie haben Ihre Rechte, eine ganze Menge sogar«, bestätigte Sellers. »Brauchen nichts zu Ihren Ungunsten auszusagen und sind berechtigt, einen Verteidiger zu haben, solange das Verfahren gegen Sie läuft. Dürfen Zeugen ins Kreuzverhör nehmen und gelten so lange als schuldlos, bis man Ihnen eine Schuld zweifelsfrei nachgewiesen hat. Und wenn Sie es dann mit Ihrer verdammten Schlauheit so weit gebracht haben, daß man Sie in die Todeszelle schickt, können Sie verlangen, daß Ihnen das Urteil vorgelesen wird, bevor Sie in die Gaskammer gesperrt werden. Kraft Gewohnheitsrechts dürfen Sie sich am Abend vor der Hinrichtung zum Essen wünschen, was Sie wollen. Ferner...«

»Hören Sie auf!« schrie Wells.

»Sie wollten mich ja über Ihre Rechte belehren, und jetzt erzähle ich Ihnen, welche Sie haben. Ich kenne sie alle.«

Drury riß ein Schreibtischfach auf, zog einen Bogen Papier heraus und begann zu schreiben. Als er fertig war, nahm Sellers das Blatt, las den Text und sagte: »Datum noch einsetzen.«

Wells schrieb es dazu.

»Sie unterzeichnen als Zeuge«, sagte Sellers zu Dr. Wells.

Carleton Wells las das Schriftstück, setzte sich und unterschrieb als Zeuge. Seine Hand zitterte so sehr, daß der Namenszug fast unleserlich wurde.

»Nun Sie auch, Lam«, forderte Sellers mich auf, und ich unterschrieb ebenfalls.

»In Ordnung«, sagte Sellers. »Wollen jetzt abfahren! Sie, Dr. Wells, besorgen sich ein Taxi und fahren zu Ihrer Familie, und wenn Sie zu Hause sind, gratulieren Sie sich, daß Sie zwei so hübsche Kinder haben.«

Zu mir sagte er: »Mensch, Donald, ich habe immer gedacht, Bertha hätte gewohnheitsmäßig zu dick aufgetragen, wenn sie Ihr Köpfchen lobte. Aber heute abend haben Sie mir wahrhaftig einen großen Dienst geleistet.«

»Reden wir nicht davon«, sagte ich.

Er lächelte mich verschmitzt an und balancierte seine Zigarre in den anderen Mundwinkel. »Verdammt guter Vorschlag«, sagte er. »Will auch nicht mehr davon reden. Ich bin der Kerl, der den Mordfall gelöst hat, und Sie dürfen auch mit dem Taxi nach Hause fahren. Meinen Gefangenen bringe ich allein von hier fort.«