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In der Nacht zum Sonntag logierte ich in Banning in einem Motel. Niemand wußte, wo ich mich aufhielt.

Die Bergluft war klar, kühl und trocken. Das Hotel lag in geringer Entfernung von der Chaussee. Vor dem Einschlafen hörte ich gedämpft den Verkehrslärm von der großen Überlandstraße: die riesigen Lastzüge, die aus dem Tal die Steigung hinaufdonnerten, und das fast wie Pfeifen klingende Jaulen der Motoren schneller Personenwagen. An einem frischen, sonnigen Morgen wachte ich auf, zog mich an, rasierte mich und ging ins Restaurant, wo ich mir starken, feinen Kaffee mit Sahne, eine dicke Scheibe Schinken und zwei Eier schmecken ließ. Ich bestellte noch Toast und Kaffee nach. Dann bestieg ich unseren Geschäftswagen, flitzte die Chaussee entlang bis zur Abzweigung nach Twentynine Palms und befand mich alsbald auf einer kurvenreichen Steigung, die hoch über dem Bergpaß auf ein Plateau führte. Hier standen in dichten Gruppen die unheimlich wirkenden Josuapalmen, gigantische ungleich gewachsene Bäume, die ihre Äste wie groteske Arme in den tiefblauen Himmel reckten.

Abends war ich sorgenvoll und nervös gewesen. Jetzt aber fühlte ich mich ausgeruht und entspannt und war überzeugt, daß alles doch so klappen würde, wie ich es mir dachte. Die Bergluft hatte an mir ein gutes Werk getan.

In Yucca machte ich Rast, trank eine Tasse Kaffee, nahm mir eine Landkarte vor und erkundigte mich ein bißchen nach der Gegend. Man forschte dort wie verrückt nach Uran, fortwährend kamen und gingen Leute mit allen möglichen Ausrüstungen: Zelten, Feldbetten, Planen, Schaufeln, Landkarten, Kompassen und allem nur denkbaren technischen Gerät zum Schürfen nach Mineralien. So erregte ich gewiß am wenigsten Aufmerksamkeit, wenn ich mich auch als Uransucher ausgab.

Ich fand ein Geschäft, das Geigerzähler und Stromstoßmesser verlieh und Hefte mit Gebrauchsanweisungen zur Suche nach uranhaltigem Erz und mit Ratschlägen zur Sicherung von Schürfrechten und so weiter verkaufte. Und ich machte es gleich gründlich, kaufte mir alle einschlägigen Hefte, mietete den letzten noch vorhandenen Geigerzähler und stellte so viele laienhafte Fragen, daß ich schließlich genug erfuhr, um das Stück Land, dem mein Interesse galt, tatsächlich zu finden.

Als ich aufbrach, war ich überzeugt, daß kein Mensch in mir einen Privatdetektiv vermutete. Jeder mußte mich zu den Leuten rechnen, die ihr Wochenende zur Uransuche ausnutzten.

Uran!

Auf einmal schlug in meinem Kopf eine Glocke an. Woher wollte ich wissen, daß Corning sich gerade für Erdöl interessierte? Hatte ich nicht zu Bertha gesagt, daß es in diesem Gebiet kein öl gab, sondern nach den Feststellungen der Geologen nur Granit, eine Schicht über der anderen? Also war hier eine Bodenstruktur vorhanden, die kein Erdöl versprach, aber theoretisch die besten Aussichten für Uranfunde bot. Man hatte auch schon ein paar kleine Stellen entdeckt, und die Leute kämmten jetzt das Berggelände ab, wobei sie Gebiete, die als Privatbesitz kenntlich gemacht waren, mehr oder weniger verschonten.

Meine unauffälligen Nachfragen ergaben, daß zeitweilig jemand auf dem bewußten Stück Land gewohnt hatte, daß dort noch eine alte Hütte stand und der frühere Pächter, ein Erzfachmann, sein ganzes. Geld ohne Erfolg in eine Bohrung gesteckt hatte. Der Mann hatte einen Posten alte Eisenbahnschwellen, die er zum Abstützen des Schachtes benutzte, billig gekauft und hatte die Bohrung sehr tief getrieben, um Wasser zu finden. Nach erfolglosen Bemühungen hatte er die Pachtung aufgegeben und war fortgezogen.

Kreuz und quer über holprige Feldwege und kleine Hügel suchte ich mein Ziel, verirrte mich trotz aller Aufmerksamkeit zweimal, fand aber den Ausgangspunkt wieder und erreichte schließlich ein Gebiet, das genau der Beschreibung entsprach. Hier lief der Weg an einer Parzelle entlang. Ich folgte ihm bis zur Ecke, dann seitwärts bis zum nächsten Grundstück, zog meinen Kompaß zu Rate und erkannte ziemlich genau, daß ich nun das gesuchte Land vor mir hatte.

Die verfallene Hütte war aus allem möglichen Zeugs zusammengeflickt; Holzstücke, Wellblechplatten und Blech von aufgeschnittenen Kanistern bildeten die >Baustoffe<. Ein Loch in der schief eingehängten Tür war mit Segeltuch zugenagelt. Die Luft innen war muffig und stank nach Ratten.

Von einem Stapel Zeitschriften in einer Ecke hatten Mäuse teilweise die Ränder angefressen. Auf einem Feldbett an der Nordostwand lagen Reste von fast vertrockneten Kiefernzweigen. Ein Ofen, dem ein Fuß fehlte, war mit ein paar Steinen abgestützt. In einem Regal stand zerbrochenes Steingutgeschirr, der Erdboden war mit Papier, Glasscherben und Gerümpel bedeckt.

Ich inspizierte aufmerksam das Gelände, konnte aber zunächst kein Anzeichen einer Brunnenbohrung entdecken. Bei einem kleinen Erdhügel sah ich so etwas wie eine alte Plattform. Ich faßte sie an einer Ecke, hob sie ein wenig an und spürte fast im selben Moment schon die Kälte der Luft, die mir entgegenschlug. Ich blickte in ein quadratisches Loch von ungefähr anderthalb Meter Durchmesser, einen Schacht, der senkrecht so tief in die Erde reichte, daß der Boden nicht zu erkennen war.

Ich ließ die hölzerne Plattform, die als Abdeckung diente, wieder auf die Schachtöffnung nieder, ging zum Wagen, holte den Geigerzähler und begann meine Arbeit als Forscher.

Ein paarmal sprach das Instrument an, aber nur ganz schwach. Ich ging mit ihm zurück bis an einen langen, niedrigen Granitkamm und auf diesem entlang, bis ich merkte, daß sich im Gerät überhaupt nichts mehr rührte. An verschiedenen Stellen auf dem Gelände aber tickte der Zähler wieder. Ich ging und kletterte, forschte und machte mir Skizzen, bis mir die Beinmuskeln schmerzten. Ein paarmal hatte das Gerät, wie gesagt, reagiert, aber nirgends auffallend stark.

Ich ging zum Wagen zurück. Gewiß, ich hatte den Tag mit gesunder Tätigkeit ausgefüllt, aber das war auch alles.

Gerade wollte ich mich erleichtert ins Polster sinken lassen, da kam mir eine Idee.

Ich nahm wieder den Geigerzähler zur Hand, ging zum Schacht, hob die Plattform an, wuchtete sie zur Seite und blickte hinab. Da ich keine Taschenlampe bei mir hatte, konnte ich nicht bis auf den Grund sehen. Aber soweit sich erkennen ließ, schien die Wandung gut abgesteift zu sein. An die starken, senkrecht eingesetzten Planken waren ganz fachmännisch in gleichmäßigen Abständen Querhölzer genagelt, die eine Leiter ergaben. Ich probierte ein paar Stufen, die mein Gewicht gut und sicher hielten.

Jetzt kletterte ich auf eine kleine, ein Stück hinter dem Schacht gelegene Anhöhe und spähte scharf nach allen Seiten. Ich hatte mir überlegt, wie bedenklich meine Lage werden konnte, falls jemand, der mich hier nicht haben wollte, gerade kam, während ich unten im Schacht war. Im ganzen Umkreis war jedoch niemand zu sehen.

Ich hängte mir die Instrumente um den Hals und stieg, jede Stufe vorsichtig abtastend, in die Tiefe.

Es wurde immer dunkler, und die trockene Luft hatte einen eigenartigen Geruch, den ich mir nicht gleich erklären konnte.

Als ich so tief unten war, daß das quadratische Loch oben mir so klein wie eine Briefmarke vorkam, wurde der Geruch stärker. Die Leiter schien mir hier noch ebenso sicher, aber plötzlich hatte ich genug und bekam etwas Platzangst.

Ich klammerte mich an den Stufen fest, warf einen sehnsüchtigen Blick nach dem Fleck blauen Himmels hoch über mir, klappte die Skala des Geigerzählers auf und schaltete das Instrument ein.

Sofort gerieten die kleinen Ziffern der Skala unter den Stromstößen in wildeste Bewegung. Im Kopfhörer hörte sich das Knacken an wie Maschinengewehrfeuer.

Ich schob mir die ganze Apparatur wieder auf den Rücken und erklomm, so müde meine Beine auch schon waren, gewandt wie ein Affe die Leiter.

Als ich endlich wieder in der Nachmittagssonne auftauchte, atmete ich die belebende, frische Luft in tiefen Zügen ein. Jetzt erst merkte ich, daß ich triefend naß war vom Schweiß.

Noch einmal kletterte ich auf die kleine Anhöhe und hielt Umschau. Kein Mensch war zu sehen.

Es gelang mir mit Mühe, die Plattform wieder über die Schachtöffnung zu zerren. Dann stieg ich in den Wagen und fuhr nach Yucca zurück. Dort gab ich das geliehene Geigergerät wieder ab, bekam einen Teil des hinterlegten Pfandbetrags ausbezahlt und mußte auf alle die üblichen Fragen antworten: »Haben Sie etwas entdeckt, ja? - Nein, wirklich nicht?« Und so weiter. »Na ja, Sie müssen immer wieder suchen, es lagert bestimmt etwas in diesem Gebiet. Wer das finden kann, wäre in einem Tag Millionär. Es ist vorhanden, jawohl, und man weiß nie, wann einer darauf stoßen wird.. Na, uns sind Sie jederzeit willkommen, können in der Gegend stöbern und forschen, soviel Sie wollen, das kann immer Erfolg bringen und ist außerdem vielleicht gesundheitlich sehr gut für Sie... Einer, wissen Sie, ein Buchhalter, der hier drei Monate lang jede Woche hergekommen ist, hat im vorigen Monat eine reiche Ader getroffen. Davon haben Sie doch sicher in der Zeitung gelesen?«

»War das westlich von hier?«

»Nein, es war mehr nach Osten, aber hier in der ganzen Gegend gibt’s auch was.«

»Schön«, sagte ich, »dann werde ich wohl bald wiederkommen.«

Reichlich müde bestieg ich meinen Wagen und fuhr nach Banning zurück.