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Sellers war mißtrauisch, verärgert und vorsichtig. Auch beunruhigte ihn der Gedanke, es könnte doch schon ein anderer Beamter zur Stelle sein, wenn nun tatsächlich eine Leiche entdeckt und ein Mord aufgeklärt wurde.
»Nehmen Sie Platz, Frank«, sagte ich. »Machen Sie’s sich recht bequem...«
Aber er stellte sich breitbeinig hin, rollte die zerknautschte Zigarre zwischen den Lippen hin und her und sagte: »Lassen Sie den blöden Quatsch weg. Ich will mir’s gar nicht bequem machen. Reden Sie, Mann!«
Bertha sagte: »Na aber, Frank, seien Sie doch nicht...«
Er brachte sie mit einem Wink zum Schweigen. »Lassen Sie den Knirps hier reden«, sagte er, »ich will hören, was unser Superdetektiv zu dieser Herumjagerei zu erklären hat.«
»Drury Wells und seine Frau hatten in Banning gewohnt«, sagte ich, »bevor sie hier in die Frostmore Road zuzogen.«
»Na und?« fragte er barsch.
»Ich bin in Banning gewesen und habe mit den Nachbarn gesprochen«, fuhr ich fort. »Der im Nebenhaus, an der Seite, von der man das Schlafzimmer im Hause von Wells sehen kann, hatte mir einiges mitzuteilen.«
»Was denn?«
»Lärm von einem Streit hat er gehört, das Geräusch eines Schlages, wonach Schweigen eintrat. Sah Wells etwas über der Schulter tragen, das er in sein Auto packte, sah ihn abfahren, nach drei Stunden zurückkommen und zu Bett gehen. Am nächsten Tage war seine Frau nicht mehr zu erblicken. Auf eine Besuchsreise gegangen.«
»Stimmt das, Mensch?« fragte Sellers.
Ich nickte und schwieg vorerst. Er stand da und grübelte.
»Sapperlot!« sagte er nach einer Weile. »Was soll das eigentlich bedeuten - dieser Klatsch, den ich schon mal gehört habe? Warum spielen Sie mir immer wieder dieselbe Platte vor?«
»Na, warum wohl?«
»Keine Ahnung.«
»Möchten Sie sich noch einmal mit dem Rotköpfchen unterhalten, das Sie da draußen in der Frostmore Road kennengelernt haben?« fragte ich.
Er nickte.
Ich ging in den Korridor und holte Wanda Warren ins Büro. Sie sah erst Bertha Cool, dann Sellers, dann mich an und sagte: »Oh, wir sind, scheint’s, eine beschlußfähige Versammlung hier, wie?«
»Das sind wir!« sagte Sellers nicht gerade freundlich. »Was haben Sie uns zu sagen«?
»Lassen Sie mich mal die Glanzpunkte beleuchten«, mischte ich mich ein.
»Bleiben Sie mir mit Ihren Glanzlichtern vom Leibe! Ich wünsche eine Darstellung Von ihr«, wies Sellers mich schroff zurück.
»Das möchten Sie wohl, was, Frank?« sagte ich. »Aber wir arbeiten auf einer Vierundzwanzigstunden-Basis. Wenn wir diesen Fall nicht binnen vierundzwanzig Stunden klären, verlieren wir zweitausend Piepen. Also hören Sie erst mal mich an, und dann beginnen Sie mit Ihren Fragen.«
Ich wartete nicht ab, ob er mir das Wort ließ oder nicht, sondern redete weiter, indem ich die wesentlichen Vorgänge kurz schilderte, angefangen mit Cornings erstem und abschließend mit dessen zweitem Besuch in unserer Agentur, worauf ich Sellers das von Corning Unterzeichnete Schriftstück zeigte. Unerwähnt ließ ich nur meine Reise nach Sacramento und mein Sonderabkommen mit Lucille Patton.
Sellers hörte mir bis zum Schluß zu, ohne mich zu unterbrechen, dann begann er, seine Zigarre total zu zerbeißen. Er stand noch so breitbeinig da, den Hut auf dem Hinterkopf, die Schultern gereckt.
Ruckartig wandte er sich an Miss Warren, die sich in den
Sessel gesetzt hatte, aus dem Corning kurz vorher aufgestanden war.
»Was treiben Sie beruflich?« fragte er sie.
»Ich bin Fotomodell, Schauspielerin, übernehme alle möglichen Aufträge.«
»Zum Beispiel?«
Ich antwortete für sie: »Während der Legislaturperiode arbeitet sie in Sacramento für gewisse Interessentengruppen. Nur wenn’s dort nichts zu tun gibt, kommt sie hierher.«
»Verstehe, verstehe schon«, sagte Sellers und musterte sie jetzt genau von oben bis unten.
Sie spendete ihm ein verführerisches Lächeln, setzte sich anders hin und schlug die Beine wieder übereinander.
»Hier geht’s um Verbrechen«, sagte Sellers. »Reden Sie bei mir nicht mit Ihren Beinen, sondern mit dem Mund.«
»Was möchten Sie denn wissen?«
»Diese ganze Geschichte kommt ja nicht von ungefähr«, antwortete Sellers. »Sie kannten doch diesen Wells schon früher, wie?«
»Nein, das stimmt nicht, das dürfen Sie mir glauben, Leutnant«, sagte sie, »auf mein Wort. Für mich war das nur ein Auftrag wie viele andere. Er rief unsere Agentur an und..«
»Ich müßte Ihnen eins auf Ihren verlogenen Schnabel geben«, sagte Sellers. »Wells hat doch nicht bloß auf blauen Dunst gerade Sie für so ein Manöver ausgesucht. Er kannte Sie schon vorher.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Lügen Sie mich nicht an!« rief Sellers zornig. Dann erklärte er ruhiger, aber streng: »Von den Herrschaften hier können Sie erfahren, daß ich zu meinem Wort stehe, nach der einen oder der anderen Seite. Wenn Sie mir klaren Wein einschenken, werde ich sehen, daß Sie noch gut davonkommen. Belügen Sie mich, dann werde ich, wahrhaftig, dafür sorgen, daß Sie in dieser Stadt keine Beschäftigung mehr finden. Vielleicht kann ich Sie sogar im ganzen Lande unmöglich machen. Nun reden Sie!«
Miss Warren holte tief Luft. »Ja«, sagte sie, »ich kannte ihn schon.«
»So ist’s besser. Auf welche Weise lernten Sie ihn kennen?«
»Er ist an dem Unternehmen beteiligt.«
»Soll das heißen, daß Sie direkt für ihn arbeiten?«
»Eigentlich ja. Geschäftsführer ist Norwalk Lykens, aber Wells hat spezielle Interessen an dem Geschäft. Wie weit die reichen, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich weiß nur, daß er von Zeit zu Zeit besondere Anordnungen trifft...«
»…von Zeit zu Zeit Sie engagiert, wie?«
Sie hielt seinen scharfen Blick aus. »Ja.«
»Klingt mir schon bedeutend besser«, sagte Sellers. »Zunächst wollen wir mal von der Zeit da draußen in Banning reden. Was hat er da inszeniert?«
»Er gab Lykens telefonisch den Auftrag, sich mit mir in Verbindung zu setzen. Ich sollte ihn dann sofort direkt anrufen.«
»Und das taten Sie?«
»Ja.«
»Und was ergab sich?«
»Er beauftragte mich, schnell nach dem Hause da in Banning zu fahren.«
»Was sonst noch?«
»Er erklärte mir, was ich da tun sollte.«
Sellers ging zum Fenster, sah in den Lichtschacht hinunter, zerrte den Rest seiner zermanschten Zigarre aus den Zähnen und schleuderte sie auf den Hof. Dann drehte er sich zu mir um und sagte: »Jetzt habe ich Ihnen ein paar Fragen vorzulegen. Weshalb geschah zweimal dasselbe, he?«
»Na, was meinen Sie wohl?« gab ich zurück.
»Ich meine gar nichts. Sie sollen mal scharf nachdenken, Freundchen.«
Ich sagte nur: »Ungefähr zweidreiviertel Stunden in beiden Fällen.«
»Sie glauben also..? Ah, ich hab’s!« sagte Sellers und fragte Bertha: »Haben Sie einen Kompaß da oder einen Stechzirkel?«
Bertha Cool öffnete ein Schreibtischfach und überreichte ihm einen Kompaß.
»Und eine Karte von Südkalifornien?« sagte Sellers.
Bertha zog dasselbe Fach wieder auf und nahm die gewünschte Landkarte heraus.
»Zweidreiviertel Stunden für die ganze Fahrt«, sagte Sellers. »Eine dreiviertel Stunde zum Verbergen einer Leiche, dann blieben je eine Stunde für die Hin- und Rückfahrt. Rechnen wir für eine Stunde durch Stadtverkehr 65 Kilometer. Oder 55 bis 65... So, nun wollen wir mal sehen, wo das Haus von dem Kerl auf der Frostmore Road liegt. Die ist ja sehr lang. Aha, hier wäre das ungefähr. Vergleich mit dem Kartenmaßstab - so. Nun den Kompaß auf das Haus Frostmore Road gesetzt und über dem Zeiger in siebzig Kilometer Abstand von der Mitte einen Bogen ziehen, das wäre also der entsprechende Radius. So, jetzt gehen wir von Banning aus und ziehen denselben Kreis, und die beiden Linien schneiden sich bei - Mensch, was sind Sie für ein Schlaumeier! An beiden Punkten, wo die sich schneiden, kann man nicht mal einen toten Kater einbuddeln! Das ist alles dicht bebaut.«
»Klar«, sagte ich.
»Was hatten Sie mir da eigentlich vorgefaselt, zum Donnerwetter. Das war doch Ihr kluger Einfall, nicht wahr?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Ihrer.«
»So. Hm - und was für einen haben Sie?«
»Als der Zeitungskorrespondent erschien«, sagte ich, »wußte Wells, daß der ihn nach seiner Frau fragen würde. Und später überlegte er sich, daß jemand anders noch mehr Fragen stellen könnte. Wenn es also in Banning geschehen wäre, dann hätten die Leute erfahren, daß er mit seiner Frau Streit gehabt und sie geschlagen hätte, anschließend weggefahren, zweidreiviertel Stunden fortgeblieben und nachher ohne Frau zurückgekommen sei. Deshalb zog er nach der Frostmore Road um und..«
»Menschenskind! Eine Laterne geht mir auf!« unterbrach mich Sellers plötzlich erregt. »Da scheinen Sie wirklich ins Schwarze getroffen zu haben!«
»Das denke ich auch. Sonst hätte ich bei Ihnen ja nicht angerufen«, sagte ich.
»Haben Sie einen bestimmten Plan?«
Ich nickte.
»Was brauchen wir dazu?« fragte er.
»Eine Taschenlampe.«
»Habe ich bei mir.«
»Schaufel.«
»Auch im Wagen.«
»Na, weshalb bleiben wir hier noch?«
»Absolut kein Grund!« sagte er.
Ich wandte mich an Rotköpfchen. »Sie können hier warten, bis..«
»So sehen Sie aus«, schnitt mir Sellers das Wort ab. »Sie fährt mit uns. Darf mir an kein Telefon und keine Notizen hinterlassen, sonst probiert sie womöglich noch krumme Tricks. Kommen Sie, Schwester. Wenn Sie sich korrekt verhalten, werden Sie von mir gut behandelt. Versuchen Sie aber, ein schräges Ding zu drehen, dann werden Sie erleben, daß ich der gröbste und gemeinste Kerl sein kann, mit dem Sie in Ihrem ganzen Leben zu tun gehabt haben. Vorwärts, Hänfling, wir wollen los!«