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Das >Dartmouth< war ein verhältnismäßig kleines Hotel, das mit seinen modernen Appartements gern zu den luxuriösen Unternehmen gerechnet werden wollte. Der Mann am Empfangstisch sagte mir, er werde sich mal erkundigen, ob Mr. Corning da sei, und bat um meinen Namen.
Ich sagte: »Mein Name ist Wells.« Der junge Mann wurde, nachdem er telefonisch mit Corning gesprochen hatte, äußerst liebenswürdig. »Sie können gleich hinaufgehen, Mr. Wells«, sagte er. »Mr. Corning freut sich sehr, Sie begrüßen zu können.«
»Danke«, sagte ich.
»Appartement 362-A, zweiter Stock, nach vorn.«
»Danke«, sagte ich wieder und fuhr hinauf.
Vor Nr. 362-A drückte ich auf den Perlmutterknopf. Die Tür wurde mit einem Ruck aufgerissen. Corning strahlte vor Herzlichkeit, doch im Moment, da er mich entdeckte, machte sein Gesichtsausdruck sozusagen einen Salto.
»Heiliges Kanonenrohr!« rief er.
Er hatte kein Jackett an, der Hemdkragen war geöffnet. Seine mächtige Gestalt mit den starken Knochen stand wie eine geballte Ladung vor mir. Aber er sah mich an, als müßte er mühsam seine Gedanken sammeln.
»Ich verfüge über gewisse Informationen«, sagte ich, »die vielleicht für Sie von Wert sind.«
»Was fällt Ihnen ein, Mensch, sich als Wells bei mir anzumelden?« donnerte er los.
»Ich dachte mir nur: Als Donald Lam werde ich wahrscheinlich nicht so prompt empfangen.«
Er blockierte noch immer unschlüssig den Türrahmen.
Ich trat mit der Ruhe eines sehr selbstbewußten Mannes noch einen Schritt vor und sagte: »Meine Information wird Ihnen willkommen sein.«
Er bewegte sich etwas zur Seite, ließ mich Vorbeigehen, stieß die Tür mit dem Fuß zu und deutete auf einen Stuhl.
Sein Appartement kostete bestimmt eine schöne Stange Geld. Es bestand, soweit ich übersehen konnte, aus drei oder vier Räumen. Das Wohnzimmer, in dem ich mich befand, war geschmackvoll möbliert. Offenbar hatte er kürzlich Gäste gehabt, denn im Zimmer stand eine fahrbare Bar mit zehn, zwölf Gläsern. Die Flaschen vorn im Regal waren fast alle zu einem Drittel oder zur Hälfte geleert, die in der zweiten Reihe noch voll.
»All right«, knurrte Corning, »was gibt’s also?«
»Wenn Sie mir genau erklären, was Sie wünschen, kann ich Ihnen vielleicht nützlich sein«, erwiderte ich.
»Was ich wünsche, hatte ich Ihnen bereits erklärt«, sagte er. »Ich will Mrs. Wells finden.«
»Und zu welchem Zweck?«
»Das geht Sie gar nichts an! Nur finden will ich sie.«
»Tja«, sagte ich, »es ist natürlich ein Unterschied, ob es bei Ihrer Suche um Geld, Murmeln oder Kreide geht. Das Mädel ist ja eine Augenweide! Schon nach den Fotos hatte ich mir von ihr allerhand vorgestellt, aber gegen die Wirklichkeit sind die Bilder nur bleiche Schemen. Die Frau strahlt ja vor Lebenslust. Ganz reizende Person, und...«
Er hatte sich in seinem Sessel vorgeschoben. »Was soll das heißen? Haben Sie sie etwa gesehen?«
»Na klar«, sagte ich.
»Haben Sie sie tatsächlich gefunden?«
»Selbstverständlich.«
»Warum haben Sie mir das denn nicht mitgeteilt, zum Kuckuck noch mal?«
»Das tue ich ja soeben.«
»Wo ist sie?«
»Zunächst möchte ich gern ein paar Fragen klären«, entgegnete ich.
»Und die wären?«
»Sie erinnern sich wohl, daß ich bei Ihrem letzten Besuch in unserer Agentur meinen Bekannten beim Morddezernat anrief?«
»Ja.«
»Dem meldete ich, daß eine Mrs. Raleigh, Nachbarin von Drury Wells, erzählt hätte, sie habe spät abends nebenan ein wildes Getümmel gehört, auch das Geräusch eines Schlages, und habe dann gesehen, wie Wells aus der Wohnung zur Garage ging, und zwar mit einer Last über der Schulter, die nach Mrs.
Raleighs Ansicht eine in Decken gewickelte Leiche gewesen sein könnte. Das wissen Sie doch noch?«
»Ja, ich erinnere mich an das Gespräch.«
»Und daß dies der wesentliche Inhalt meiner Meldung war?«
»Ja, auch das.«
»Dann werden Sie sich entsinnen, daß ich zu keiner Zeit behauptet habe, Wells habe nach meiner Ansicht seine Frau umgebracht. Ich habe bloß den Inhalt eines Gesprächs, das ich mit Mrs. Raleigh hatte, weitergegeben.«
Corning wollte gleich etwas antworten, verkniff aber erst die Augen und sagte nach kurzer Pause: »Scheint Ihnen ja sehr viel daran zu liegen, das festzustellen, wie?«
»Ich wollte nur sichergehen, daß Ihre Erinnerung an das Gespräch völlig klar ist.«
Er grübelte eine Weile, ehe er fragte: »Wo also befindet sich Mrs. Wells?«
»Frostmore Road 1638.«
»Daß das ihre Adresse ist, weiß ich ja selbst.«
»Nun, da ist sie vorgestern bestimmt gewesen. Eine wirklich ganz entzückende Frau.«
»Und Sie meinen, sie wäre jetzt wieder dort?«
»Sie ist zurückgekommen, um die Wohnung aufzuräumen, das Geschirr zu spülen, die Betten zu machen, die Aschenbecher auszuschütten...«
»Und vorgestern soll sie auch schon dort gewesen sein?«
»Ganz recht.«
»Menschenskind, dann hätten Sie mich doch vorgestern schon benachrichtigen müssen!«
»Sie hatten mich ja des Auftrags enthoben, und inzwischen war ich anderweitig beschäftigt.«
Corning stand auf, knöpfte sein Hemd zu, band eine Krawatte um, nahm das über einem Stuhl hängende Jackett und sagte, während er es anzog: »Kommen Sie, wir wollen los. Identifizieren können Sie ja die Frau. Sie hatten doch mit ihr gesprochen?«
»Hatte ich, selbstverständlich.«
»Gut. Also vorwärts.«
Ich sagte: »Ich hätte gern von Ihnen ein Memorandum über
das Telefongespräch, um es meinem Freund beim Morddezernat zeigen zu können, damit der sich nicht etwa in den Kopf setzt, ich -«
»Klar, wird gemacht«, sagte Corning. »Ich setze das gleich auf und freue mich, daß ich Ihnen gefällig sein kann, Lam. Nur hätten Sie mich doch bereits vorgestern informieren müssen, denn ich habe mir schon viel Scherereien gemacht, um die Frau aufzufinden. Begreife einfach nicht, daß sie in das Haus zurückgekommen ist. Überall in der Welt hätte ich sie eher vermutet als gerade da.«
»Sie ist aber da. Hätten Sie uns nicht ausgeschaltet, dann wären Sie inzwischen schon bei ihr gewesen, hätten Ihre geschäftlichen Angelegenheiten erledigt und könnten bereits wieder in Texas sein.«
»Gebe zu, daß ich einen Fehler gemacht habe, Lam, indem ich Ihre Tüchtigkeit unterschätzte«, sagte er.
»Besten Dank.«
»Werde sehen, daß ich das wiedergutmachen kann.«
»Die schriftliche Bestätigung des Telefongesprächs..«
»Sobald ich mich überzeugt habe, daß Ihre Angaben über die Wells richtig sind.. sobald ich sie vor mir sehe, werde ich Ihnen jede gewünschte Bestätigung geben. Die können Sie mir sogar diktieren, ich schreibe und unterschreibe dann.«
»Möchten Sie in meinem Wagen hinfahren?« fragte ich.
»Nein, Sie kommen mit in meinen. Steuern werde aber ich.«
Wir gingen in die Halle hinunter. Er warf dem Clerk am Empfangstisch seinen Zimmerschlüssel zu und sagte: »Ich bleibe ein paar Stunden fort. Kommen Sie, Mr. Lam.«
Als der Clerk hörte, daß Corning mich Lam nannte, zog er skeptisch eine Augenbraue hoch und sagte: »Guten Morgen, Mr. Wells.«
»Guten Morgen«, gab ich in dem gleichen, kalt zurechtweisenden Ton zurück, wie er es gesagt hatte.
Draußen stiegen wir in Cornings Wagen. Der Mann fuhr recht gut in dem dichten Verkehr.
Ich merkte, daß er mir keinerlei Aufklärung zu geben gedachte, und ich wollte ihm natürlich erst recht keine geben. Also setzte ich mich bequem hin und überließ ihm die Leitung.
Wir bogen in die Frostmore Road ein und kreuzten in flottem Tempo vor der Nr. 1638 auf. Er bremste hart. Ich stieg sofort aus.
»Halt«, sagte er, »erst will ich mit Mrs. Wells ein paar Minuten unter vier Augen reden. Dann hole ich Sie als Zeugen dazu, Lam.«
»In Ordnung«, gab ich zurück. »Gehen Sie zu ihr hinein, ich werde mich bei der Gelegenheit mal mit Mrs. Raleigh unterhalten.«
.Als er die Stufen zur Haustür hinaufging, begab ich mich zum Nebenhaus. Mrs. Raleigh erwartete mich schon an. der Tür.
»Na, da sind Sie ja endlich, Mr. Lam!« empfing sie mich. »Ich bin nämlich schon halb krank vor Aufregung. Es sind Leute hiergewesen, die mir viele Fragen gestellt haben.«
»Erzählen Sie mir das bitte.«
»Ach, da wäre eine Menge zu erzählen«, sagte sie.
»Nur zu.«
»Zwei Frauen kamen her, die sagten mir, Wells hätte Sie sozusagen verklagt.«
»Und was sonst?«
»Auch ein Rechtsanwalt kam, der eine Stenotypistin mitbrachte. Die beiden haben eine Aussage von mir aufgeschrieben, aber mir selbst keine Kopie davon hiergelassen. Das junge Mädchen hatte nämlich eine Reiseschreibmaschine und tippte gleich alles. Ich las es dann durch, nur flüchtig, wissen Sie, aber es schien mir alles korrekt. Als ich unterschrieben hatte, holte das Mädchen aus einer Aktentasche ein kleines Notariatssiegel und sagte zu mir: >Erheben Sie Ihre rechte Hand.<
Ich tat das auch, und sie fragte mich: >Beschwören Sie feierlich, daß dies wahr ist?<«
»Traf das denn zu?« fragte ich.
»Selbstverständlich entsprach alles der Wahrheit. Gewiß habe ich manche Einzelheiten ein bißchen stärker betont, aber wahr ist alles gewesen. Jawohl, die reine Wahrheit.«
»Und das sagten Sie auch zu ihr?«
»Was hätte ich denn sonst tun sollen unter diesen Umständen?«
»Und weiter?«
»Dann sagte das Fräulein: »Sie beschwören es feierlich« und klammerte ein Siegel an das Papier. Sie Unterzeichnete es als amtlich zugelassener Notar und gab es dem Rechtsanwalt. Der wartete gar nicht ab, ob ich noch etwas sagte, sondern flitzte wie ein Pfeil aus der Haustür.«
»Na, der hat ja auch bekommen, was er haben wollte«, sagte ich. »Wozu sollte er noch dableiben? Was haben Sie da nun eigentlich unter Eid ausgesagt?«
»Nur die Wahrheit, weiter nichts.«
»Daß wir uns nur richtig verstehen in dieser Sache, Mrs. Raleigh: Sie wissen doch noch, daß ich Sie, als ich zum erstenmal hier war, nach den Leuten im Nebenhaus fragte?«
»Ja, ja, das weiß ich.«
»Und Sie sagten mir, Sie hätten drüben wüsten Streit und das Geräusch eines Schlages gehört und dann gesehen, wie der Mann mit einem Packen auf der Schulter, der eine Leiche hätte sein können, herauskam, die Last ins Auto packte, nochmals zur Garage ging, sich Hacke und Schaufel holte und wegfuhr. Weiter, daß er nach zwei Stunden und fünfundvierzig Minuten wiederkam, kurze Zeit in der Küche war, dann dort das Licht ausmachte, ins Schlafzimmer ging, wo er nach einer Weile, wie man sie zum Ausziehen braucht, auch das Licht löschte und sich offenbar gleich schlafen legte. Sie erinnern sich auch, daß Sie mir sagten, Sie hätten den bestimmten Eindruck gehabt, daß er seine Frau getötet habe?«
»Getötet?« rief Mrs. Raleigh.
»Das haben Sie mir gesagt.«
»Aber... das wäre mir ja nicht im Traum eingefallen, Ihnen so etwas zu sagen, Mr. Lam!« sagte sie. »Ich begreife überhaupt nicht, was Sie mir hier Vorreden. Sie fragten mich nach den Leuten von nebenan, und da sagte ich Ihnen, meines Wissens verständen die beiden sich recht gut, nur neulich abends hätten sie sich mal tüchtig gekabbelt, ich hätte an ihren Stimmen gemerkt, daß sie zornig waren, hätte aber die Worte nicht verstehen können. Und dann sagte ich, Mr. Wells sei für eine Weile herausgekommen, aber mit keiner Silbe habe ich behauptet, er hätte eine Leiche auf der Schulter getragen. Was haben Sie eigentlich mit mir vor..? Wollen Sie mir solche Behauptungen einfach in den Mund legen?«
»Von einer Leiche sprachen Sie nicht«, sagte ich. »Sie erklärten mir, es sei ein in Decken oder einen Teppich gewickeltes Etwas gewesen, das so schwankte und wippte, als ob es eine Leiche wäre.«
»Na, das ist doch die Höhe! Ist mir gar nicht eingefallen, Ihnen so etwas zu sagen! Wohl habe ich gesagt, daß er aus dem Hause kam, aber es war doch dunkel, und ich konnte wenig erkennen. Über der Schulter trug er etwas, ja. Das könnte eine Decke oder ein Teppich gewesen sein, oder.. Nun, alles mögliche hätte es sein können. Ihnen hatte ich allerdings gesagt, es sei eine Decke oder ein Teppich gewesen.«
»Und daß er sich Hacke und Schaufel holte, nicht wahr?«
»Auf keinen Fall habe ich so etwas gesagt! Sind Sie denn ganz von Sinnen?«
»Was haben Sie von der Hacke und der Schaufel tatsächlich gesagt?«
»Na, doch nur, daß ich einen metallischen Klang gehört hätte, aber du meine Güte, das bedeutet doch absolut nichts! Daß -«
Jemand klingelte ungeduldig an der Haustür.
Mrs. Raleigh schoß förmlich von ihrem Stuhl in die Höhe. »Werde mal nachsehen, wer das jetzt wieder ist«, sagte sie.
Sie riß die Haustür auf, und gleich danach kam Corning mit dröhnenden Schritten ins Zimmer.
»Wo steckt denn Mrs. Wells heute morgen?« fragte er. »Sie scheint nicht zu Hause zu sein. Überhaupt niemand, scheint mir.«
»Ja - nun, hm, ich glaube, sie ist wirklich nicht da«, sagte Mrs. Raleigh. »Aber ich weiß das nicht, habe viel zuviel mit meiner Hausarbeit zu tun, um hier zu hocken und die Nachbarin zu beobachten. Mister... Sie waren ja schon mal hier draußen, ich komme nur nicht auf Ihren Namen, Mister..«
»Corning«, antwortete ich für ihn, »Lawton C. Corning aus Texas.«
»Ach ja, Mr. Corning. Nun, ich habe zuviel zu arbeiten, um faul herumzusitzen und meine Nase in anderer Leute Angelegenheiten zu stecken.«
»Sie scheinen Ihre Sache ganz gut zu machen«, sagte Lawton
Corning. »Drüben ist niemand zu Hause. Wo ist Mrs. Wells? War sie gestern abend da?«
»Das kann ich Ihnen wahrhaftig nicht sagen. Ich habe für meinen Mann den Haushalt zu führen und zu kochen. Ich versuche, gute Nachbarschaft zu halten, und bin immer bereit, auszuhelfen, wenn jemand mal etwas braucht oder vergessen hat, es rechtzeitig zu besorgen; aber keinesfalls schnüffle ich in Privatsachen meiner Nachbarn herum. Gestern abend war ich sehr beschäftigt.«
»Haben Sie gesehen, ob drüben Licht brannte?« fragte ich.
»Darauf habe ich sicher gar nicht geachtet.«
Corning und ich wechselten Blicke.
»Sagen Sie mal, was ist eigentlich mit Ihnen los?« fragte Corning.
»Los ist mit mir gar nichts«, erwiderte sie scheinheilig, »aber ich möchte keinesfalls in den Ruf kommen, ich mischte mich überall ein. Also dieser Rechtsanwalt, der hierherkam, hat sogar angedeutet, daß ich..«
»Welcher Rechtsanwalt?« fuhr Corning sie an.
»Der hier war mit der Frau, die ich für seine Sekretärin hielt. Sie stellten mir Fragen, und dann klappte die Frau eine Reiseschreibmaschine auf, nahm sie auf den Schoß und tippte die ganze Zeit, was ich sagte. Als ich fertig war, gab sie mir das Schriftstück zum Lesen und Unterschreiben.«
»Ein Rechtsanwalt?«
»Jawohl.«
»Hat er denn erklärt, warum er kam?«
»Nun, er sagte, er verträte Mr. Wells, und der wollte feststellen, wer schuld sei an dem Gerücht, daß er seine Frau umgebracht hätte. Der Betreffende werde sich vor Gericht verantworten müssen. Ob ich das Gerücht verbreitet hätte, hat er mich gefragt. Ich antwortete, daß ich’s bestimmt nicht gewesen bin, es wären aber mehrere Leute zu mir gekommen und hätten mich dies und jenes gefragt, aber ich hätte nie und nimmer behauptet, Wells habe seine Frau ermordet oder so etwas. Übrigens war die ja vorgestern den ganzen Tag im Hause und hat aufgeräumt und so weiter. Wie sollte man da wohl auf den Gedanken kommen, daß jemand sie umgebracht hätte!«
Über Cornings Gesicht breitete sich langsam ein Lächeln. »Aha, nun geht mir ein großes Licht auf. Sie sagten, der Rechtsanwalt sei mit einer Sekretärin gekommen, die Ihre Aussagen schriftlich aufgenommen hat. Haben sie das Papier denn unterschrieben, Mrs. Raleigh?«
»Aber natürlich unterschrieb ich’s. Ich meine, es sogar beschworen zu haben. Beunruhigt hat mich nachher freilich, daß sie mir keine Abschrift gaben. Die Frau forderte mich auf, die rechte Hand hochzuheben, und dann sagte sie: >Das ist die Wahrheit, so helfe mir Gott<, und ich sagte: >Ja, sie ist es.< Und dann griff sie in ihre Aktenmappe und holte so ein Siegel heraus, das man sonst in amtliche Papiere hineindrückt, aber das klammerte sie bloß an das Schriftstück an, setzte ihren Namen darunter und gab es dem Rechtsanwalt.«
»Sie haben damit eine eidesstattliche Versicherung abgegeben«, sagte Corning. »Wenn später Ihre Aussage von der schriftlichen abweicht, machen Sie sich des Meineids schuldig.«
»Du meine Güte, wie soll man denn später wissen, was man gesagt hat, wenn die Leute einem nicht mal eine Kopie von dem geben, was man unterschrieben hat?«
»Unter diesen Umständen«, sagte Corning, »ist es am sichersten, gar nichts mehr zu sagen und vor allem, Mrs. Raleigh, nichts zu unterschreiben. Mrs. Wells ist also wieder fortgefahren, nicht wahr?«
»Davon habe ich aber auch nicht die leiseste Ahnung! Ich mische mich doch nicht in die Angelegenheiten fremder Leute. Habe gerade genug zu tun, als daß ich fortwährend am Fenster sitzen könnte, um neugierig zu beobachten, was nebenan vor sich geht.«
»Ja, ja, ja«, meinte Corning. »Ich hab’s Mr. Lam schon gesagt, daß ich es für verkehrt hielt, die Kriminalpolizei zu benachrichtigen.«
»Passen Sie mal auf, Mrs. Raleigh«, sagte ich. »Als Mrs. Wells nach Hause kam, wie kam sie da an? Hat jemand sie im Auto hergebracht? Ist sie mit dem Bus gekommen, oder..?«
»Nun, das habe ich zufällig gesehen, als sie zurückkehrte. Sie ging zu Fuß und muß wohl vom Bus gekommen sein.«
»Trug sie einen Handkoffer?«
»Nein, eine Reisetasche, keinen Koffer, bloß eine Handtasche, so von mittlerer Größe. Sie kam mir nicht sehr schwer vor.«
»Hatte sie denn dieselbe Tasche bei sich, als sie fortging?«
»Das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen, Mr. Lam, denn ich sah sie nicht fortgehen. Habe mich nicht im geringsten um sie gekümmert. Es war reiner Zufall, daß ich sie draußen im Garten wie gewöhnlich arbeiten sah. Ich rief ihr >Guten Tag< zu, und das war alles!«
»Haben Sie sie gefragt, ob sie verreist war?«
»Na, es ist möglich, daß ich erwähnt habe, ich hätte sie schon vermißt oder so ähnlich. Aber sie hatte ja ihre Arbeit und ich die meine. Viel haben wir nicht gesprochen.«
Ich drehte mich zu Corning um. »Sie haben gewiß noch verschiedenes zu erledigen«, sagte ich, »und ich möchte noch eine Weile bei Mrs. Raleigh bleiben. Wenn Sie also schon fahren wollen, nehme ich mir für den Rückweg ein Taxi.«
Er feixte. »Ich werde schön hierbleiben, Lam. Habe durchaus keine Eile und möchte gern hören, was Mrs. Raleigh noch zu sagen hat. Schließlich bin ich doch auch an dieser Geschichte interessiert.«
Nun, da war nichts zu machen. Ich wandte mich wieder an Mrs. Raleigh: »Sie erinnern sich doch an Leutnant Sellers, den Kriminalbeamten, der hier war? Also gewiß auch daran, daß der Leutnant und ich Mrs. Wells besuchten, kurz bevor wir zu Ihnen herüberkamen?«
»Ich weiß gar nicht, wovon Sie reden«, antwortete sie.
»Heißt das, daß Sie uns da drüben überhaupt nicht bemerkt haben?«
»Doch, ich sah Sie beide dort, aber ich weiß nicht, ob Sie mit ihr gesprochen haben oder nicht. Ich erkläre ein für allemal, Mr. Lam, daß ich zuviel in meinem Haushalt zu tun habe, um dauernd meine Nachbarn beobachten zu können.«
»Das ist die richtige Einstellung!« sagte Corning. »Und im übrigen, Mrs. Raleigh, wenn Sie einen Rat von einem Mann annehmen wollen, der viel herumgekommen ist: Da Sie eine beeidigte Aussage unterschrieben, diese einem Rechtsanwalt übergeben und selbst keine Kopie davon bekommen haben, würde ich mich an Ihrer Stelle sehr vorsehen, irgend jemandem jetzt auch nur das mindeste zu sagen. Sie könnten sich, ohne es zu merken, in Widersprüche verwickeln.«
»Ich verwickle mich nicht in Widersprüche, aber ich wünschte, ich hätte wenigstens eine Kopie von dem, was ich unterschrieben habe. Und ich glaube, Mr. Corning hat recht. Nach allem, was ich gesagt habe, nun kein Wort mehr.«
»Prominente gebrauchen, wenn sie interviewt werden, einen ganz bestimmten Ausdruck, wenn sie nicht reden wollen«, dozierte Mr. Corning. »Die sagen bloß: >Kein Kommentar.< Daran ist nichts mißzuverstehen, nichts zu verdrehen oder zu entstellen.«
Mit ihren scharfen Augen musterte sie sein breit lächelndes Gesicht und sagte: »Das ist wirklich eine gute Idee. Ich hatte bloß noch erklären wollen...«
»Erklärungen kann man verdrehen«, meinte Corning.
»Ja, das kann man wohl.«
»Ich versuche nur, eine klare Linie in die Sache zu bringen, Mrs. Raleigh«, mischte ich mich wieder ein. »Sie wissen doch noch, daß Sie mir sagten, nach Ihrer Überzeugung habe Wells seine Frau ermordet?«
»Kein Kommentar.«
»Nun, und was haben Sie dem Leutnant Sellers über den Streit da drüben gesagt?«
»Kein Kommentar.«
Corning grinste sich eins. »Sie haben’s erfaßt, Mrs. Raleigh. Ich möchte ja dem Mr. Donald Lam hier in keiner Weise das Leben schwer machen, aber Sie könnten bei dieser Sache in eine schöne Zwickmühle geraten. Der Rechtsanwalt sammelt Beweismaterial für einen Prozeß, nicht wahr?«
»Ich glaube, er will hundertfünfzigtausend Dollar einklagen.«
»Ja, ja, ja«, zischte Corning bedenklich durch die Zähne, »in so einer Situation, Mrs. Raleigh, wären Sie meiner Meinung nach sehr schlecht beraten, wenn Sie sich auch jetzt noch in Gespräche mit Mr. Lam oder sonst wem einließen. Am besten, Sie sagen bloß >Kein Kommentar«, und damit basta.«
»Sie unterstützen mich ja gewaltig«, sagte ich zu Corning.
Er richtete sich Zu voller Größe auf. »Ich versuche hier, absolut und unbedingt fair zu sein. Wie ich bemerke, ist Mrs. Raleigh über ihre Rechte in dieser Sache nicht ganz orientiert und hat sich anscheinend noch nie klargemacht, wieviel Verantwortung sie vielleicht auf sich geladen hat.«
»Verantwortung?« erkundigte sich Mrs. Raleigh. »Verantwortung, die ich mir aufgeladen hätte?«
»Nun, das hängt natürlich von dem ab, was Sie ausgesagt haben«, antwortete Corning, »aber man könnte Sie mit in den Prozeß hineinziehen.«
»Na, dazu haben die wahrhaftig keinen Grund. Ich habe nie und niemandem etwas in diesem Sinne gesagt.«
Ich ging zur Tür. »Vielleicht besuche ich Sie noch einmal, Mrs. Raleigh«, sagte ich.
Corning fragte: »Haben denn Sie selbst einen Anwalt, Mrs. Raleigh?«
»Einen Anwalt?« fragte sie. »Wozu sollte ich denn einen Anwalt brauchen? Nein, den habe ich nicht.«
»Ich weiß sehr gute Rechtsanwälte hier in der Stadt, die mich geschäftlich vertreten«, sagte Corning, »mit denen würde ich gern mal sprechen, falls Sie eine Konsultation wünschen.«
»Was soll ich denn mit einem Anwalt? Wozu brauche ich eine Konsultation?«
»Die könnte ganz nützlich sein. Ich bin überzeugt, ein Rechtsanwalt würde Ihnen empfehlen, mit keinem Menschen zu reden und keinerlei Erklärungen abzugeben, es sei denn in seiner Gegenwart.«
»Ich werde zu keinem Rechtsanwalt gehen, werde aber auch keine Aussagen mehr machen. Ich glaube, ich habe schon genug geredet. «
»Gut, dann lassen Sie uns gehen«, sagte ich zu Corning. »Vielleicht kann auch ich Ihnen mal einen Dienst erweisen.«
»Reden wir davon nicht«, sagte er. »Wenn Sie mir einen Dienst erweisen wollten, hätten Sie das schon vor zwei Tagen tun können, als Sie feststellten, daß Mrs. Wells zu Hause war. Da haben Sie mir nichts mitgeteilt. Ich glaube beinah, Sie haben das Haus unter Bewachung gehalten und extra gewartet, bis sie fort war, ehe Sie mir berichteten, daß sie dagewesen ist.«
»Ich sagte Ihnen doch, daß mich gestern andere Aufgaben in
Anspruch nahmen. Die Mitteilung habe ich Ihnen gemacht, sobald ich wieder zur Stelle war.«
»Sie hätten mich aber anrufen können.«
»Behalten Sie doch bitte im Gedächtnis, daß das Engagement gekündigt war.«
»Das stimmt«, sagte er, »das Engagement war gekündigt. Sie schulden mir nichts und ich Ihnen auch nichts. Aber ich fühle mich Mrs. Raleigh verpflichtet, weil sie, als ich herkam und mit ihr sprach, sehr freundlich zu mir war. Und wenn ich an Ihrer Stelle wäre, Mrs. Raleigh, würde ich auf jede mit dem Fall Wells zusammenhängende Frage, einerlei, wer sie stellt, nur antworten: »Kein Kommentar«. Eins weiß ich bestimmt: daß Sie zu mir niemals etwas von Mord oder von einem Mordverdacht den Sie gehabt haben könnten, gesagt haben. Sie waren wirklich sehr verschlossen.«
»Schönen Dank, Mr. Corning. Recht vielen Dank.«
»Keine Ursache. Ich weise nur Mr. Lam darauf hin, daß ich aus meinen Erfahrungen mit Ihnen durchaus nicht den Eindruck gewonnen habe, sie neigten zum Klatsch über Ihre Mitmenschen. Und ich habe von Ihnen nie auch nur andeutungsweise gehört, daß Sie an einen Mord gedacht hätten.«
»Danke schön, Mr. Corning. Je länger ich nachdenke, um so mehr muß ich anerkennen, daß Sie sehr für meine Interessen eintreten.«
Wir standen auf und gingen hinaus, nachdem wir ihr beide die Hand geschüttelt und gesagt hatten, wieviel Freude uns dieser Besuch bei ihr bereitet habe.
Als wir wieder in Cornings Wagen saßen und er auf den Starterknopf drückte, sagte er: »So, Sie infamer Bursche, jetzt weiß ich auch, warum Sie so >nett< waren, zu mir zu kommen mit der Meldung, Mrs. Wells sei zu Hause, und warum Sie diese Information strikt für sich behielten, so daß mir das Geschäft durch die Lappen ging! Nun sind wir quitt, Sie schulden mir nichts und ich Ihnen nichts.«
»Das dürfte nicht ganz stimmen«, sagte ich.
»Wieso denn nicht?«
»Ich jedenfalls schulde Ihnen etwas«, erwiderte ich, »und ich werde dafür sorgen, daß es Ihnen ausgezahlt wird . An der
Ecke dort möchte ich aussteigen und mit dem Bus zum Büro zurückfahren.«
Corning lächelte mich schief an. »Sie wollen bloß kurz kehrtmachen und wieder zu Mrs. Raleigh sausen, um ihr noch das Protokoll aus der Nase zu ziehen«, sagte er. »Sie können mir den Buckel ’runterrutschen, Lam! Wenn Sie aus diesem Wagen steigen, dann nicht an der Bushaltestelle. Wir fahren jetzt auf einem Umweg in die Stadt zurück.«
Ich setzte mich gemütlicher hin, denn dagegen war ja nichts zu machen.
Corning sprach kein Wort mehr, bis wir vor seinem Hotel hielten. Dort parkte er den Wagen, machte die Tür auf und sagte: »Sie wollen Detektiv sein? Mensch, da muß ich laut lachen!«
Ich stieg aus. »Dann können Sie lachend sterben«, sagte ich und entfernte mich.
Ein Stückchen weiter hatte ich unsre Geschäftskutsche abgestellt, in der ich jetzt zur Dienststelle des Sheriffs fuhr. Einer seiner Beamten, der mir wohlgesinnt war, ließ mich im Büro ein Ferngespräch nach Texas machen, durch das ich ermittelte, daß die Kennzeichen und die Nummer von Cornings Wagen stimmten, er also der rechtmäßige Besitzer des Wagens war. Wohnsitz: San Antonio. Der Beamte ließ sich mit dem dortigen Sheriff verbinden. Ja, man kannte Corning in San Antonio gut als schnell entschlossenen Spekulanten, der mit Bohrrechten in ölhaltigen Gebieten ein Vermögen gemacht hatte. Er galt als rücksichtsloser Draufgänger, dem in die Quere zu kommen nicht ratsam war, und von seiner Gerissenheit erzählte man sich interessante Beispiele.
Ich fuhr jetzt nach San Bernardino.
Bei der Zeitung konnten sie mir nur bescheidene Auskünfte geben. Sie hatten von einem Blatt in San Antonio einen Artikel bekommen, in dem Aaron Bedfords Tod gemeldet und berichtet wurde, daß seine Witwe die Testamentseröffnung beantragt habe; daß sein ganzes bewegliches Vermögen der Witwe, ein Legat von fünfzehntausend Dollar sowie ein Stück Land im Bezirk San Bernardino aber seiner Nichte Yvonne Clymer zufallen sollte..
Ein Reporter, der der Sache nachgegangen war, hatte festgestellt, daß Yvonne Clymer, früher in Burbank ansässig, jetzt die Frau von Drury Wells war und daß sie einer Freundin telefonisch mitgeteilt hatte, sie werde mit ihrem Mann in Banning wohnen. Der Chefredakteur dieser Zeitung, der guten Stoff für einen lokalen Bericht witterte, hatte einen Korrespondenten in Banning beauftragt, weitere Einzelheiten zu ermitteln. Als dieser Korrespondent ihm meldete, daß Mrs. Wells eine auffallend hübsche Person sei, wurde ein Bildreporter zu ihr geschickt und zu einem kurzen Artikel über sie ein Foto veröffentlicht, das ihre besonderen Reize großzügig zur Schau stellte.
Ich ließ mir den Namen des Korrespondenten in Banning geben und fuhr gleich in das Städtchen. Als ich ankam, begann es schon dunkel zu werden, doch ich fand den Mann bald und lud ihn auf ein Glas ein.
Er erinnerte sich genau an die Abwicklung jener Reportage. Er hatte damals sofort Wells aufgesucht und ihm als erster die Nachricht von der Erbschaft seiner Frau überbracht. Mrs. Wells war gerade auswärts zu Besuch bei Verwandten, sollte aber in Kürze zurückkommen. Wells erklärte, er werde sie gleich anrufen und sie veranlassen, sofort heimzukommen. Er ließ sich die Telefonnummer des Korrespondenten geben und versprach, ihn gleich zu benachrichtigen, wenn sie wieder zu Hause sei. Am nächsten Morgen habe er angerufen und...
»Am nächsten Morgen schon?« fragte ich dazwischen.
»Ganz recht.«
»Nicht erst abends?«
»Nein. Sie war in Sacramento und kam sofort im Flugzeug zurück.«
»Ach so. Als er Sie anrief, fuhren Sie gewiß wieder hin?«
»Richtig.«
»Und weiter?«
»Sobald ich dieses tolle Weib sah, wußte ich, daß wir aus dem Bericht einen kleinen Schlager machen konnten. Also rief ich bei meiner Zeitung in San Bernardino an, um zu hören, wie sie die Sache aufziehen wollten. Der Chef war sehr für einen illustrierten Bericht. >Ich schicke sofort einen Fotografen und einen Spezialreporter<, sagte er. >Wir werden das fein herausbringen, auch ein Foto von der Frau mit viel Sex-Appeal.<«
»Ärgerte es Sie denn nicht, daß er einen anderen Reporter dabei einsetzte?« fragte ich.
»Nein. Mir genügte es, wenn der Chef erkannte, daß ich für seine Zeitung wieder einmal ein lohnendes Thema entdeckt hatte. Ich bin nur nebenbei Korrespondent, wissen Sie, in freier Mitarbeit, denn ich habe eine feste Stellung.«
»Ist Ihnen etwas über das im Testament erwähnte Stück Land bekannt?«
»Keine Ahnung. Mit der Beschreibung eines Grundstücks in der Einöde hätten wir unsere Leser kaum begeistern können, aber mit dem, was diese Mrs. Wells bildlich zu bieten hat, konnten wir in der kleinen Stadt eine Sensation hervorrufen.«
»Können Sie mir die Adresse der früheren Wohnung von Wells geben?«
»Die steht in dem Artikel. Sie haben doch ein Exemplar davon, ja?« sagte er.
»Stimmt.«
»Es war ein gemietetes Haus, wo sie nicht sehr lange geblieben sind. Über Wells selbst habe ich nicht gerade viel in Erfahrung gebracht. Nach meinem Eindruck ist der Mann unstet und - unter uns gesagt, Mr. Lam: Mich würde es nicht überraschen, wenn an der Hochzeitszeremonie irgend etwas faul war.«
»Wie kommen Sie denn auf diese Idee?«
»Ach, wenn man dauernd überall Leute interviewt, fällt einem leicht dies und jenes auf. Der Wohnung fehlte ganz die Atmosphäre eines richtigen Haushalts, wissen Sie, und eine Frau wie die - na, ich weiß nicht recht. Sie benahm sich, als sei sie leicht zu haben, wenn man’s darauf anlegte. Ich bin selbst verheiratet und habe gar nicht erst versucht, mit ihr anzubändeln, aber diesen Eindruck nahm ich mit, wie gesagt. Na, Sie kennen sich doch auch in so was aus.
Mir ging es nur um den Bericht über die Hausfrau Soundso in der engeren Heimat, die von einem reichen Verwandten in Texas fünfzehntausend Piepen und ein Stück Land geerbt hatte. Es wäre bloß einer der üblichen Artikel geworden, wenn die Frau spießig ausgesehen, arbeitsschwielige Hände und unbezahlte Rechnungen gehabt hätte. Als aber Mrs. Wells vor mir stand, wußte ich gleich, daß sich mit so einer Figur ein Knüller machen ließ. Und das ist es ja dann auch geworden.«
»Mit Nachbarn speziell haben Sie sich wohl nicht unterhalten?«
»Nein, gar nicht. Ich notierte mir die Tatsachen als Umriß für einen Bericht, die knallige Aufmachung war Sache der Redaktion. Aber nun sagen Sie mir mal, warum Sie so einen großen Wirbel um die Geschichte machen.«
»Mir liegt viel daran, Mrs. Wells zu finden«, erwiderte ich.
»Aus welchem Grunde?«
»Gewisse Dokumente bedürfen noch ihrer Unterschrift.«
»Die Wells wohnen irgendwo im Bezirk Los Angeles«, sagte er. »Um was geht es denn bei den Dokumenten? Ergäbe sich daraus ein neuer guter Zeitungsartikel?«
»Jemand interessiert sich für das Land und möchte ein Angebot machen«, sagte ich.
»Warum?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Seien Sie doch so nett und benachrichtigen Sie mich, wenn ein Verkauf zustande kommt oder Sie noch mehr Einzelheiten erfahren, ja? Wir bringen immer gern Fortsetzungen von solchen lokalen Nachrichten. In der Gegend da bei Yucca, wo die Wells jetzt wohnen, ist sowieso dauernd toller Betrieb. Es sieht aus, als wenn halb Los Angeles sich plötzlich dort ansiedeln will.«
»Wird gemacht«, sagte ich. »Wenn wir auf etwas besonders Interessantes stoßen sollten, gebe ich Ihnen Nachricht. Vielen Dank einstweilen für die Auskünfte.«
»Es muß ja da einer verflixt scharf auf das Land sein«, meinte er nachdenklich.
»Das glaube ich kaum«, gab ich zurück. »Vielleicht ist einer darauf scharf, es zu stehlen, aber daß jemand einen hohen Preis dafür bezahlen will, ist unwahrscheinlich.«
»Aber finden wollen Sie die Frau jedenfalls?«
»Sehr richtig.«
»Das könnte doch eine Story für meine Zeitung geben.«
»Nein, jetzt noch nicht, aber vielleicht später.«
»Sind Sie bereit, wenn ich vorläufig gar nichts berichte, mir später alles Wichtige, das sich noch ergibt, mitzuteilen?«
»Machen wir«, sagte ich, »vorausgesetzt, daß überhaupt entsprechende Informationen für die Presse freigegeben werden. Dann gebe ich sie Ihnen aber mit Vorsprung.«
»Fein«, sagte er, »das ist mir was wert.«