6
Am nächsten Morgen wartete Bertha schon auf mich, honigsüß und mit Engelsmiene.
»Donald«, sagte sie, »würdest du wohl zu einer Besprechung zu mir kommen, bevor du mit der Arbeit beginnst?«
Bertha trug ihre schönsten Ringe und ihre besten Manieren zur Schau. Sie setzte sich hinter ihrem Schreibtisch behaglich zurecht, schob in die lange Spitze eine Zigarette, zündete sie an und sagte: »Also, nun paß mal schön auf, Donald: Wir können uns doch nicht von dem falschen Fuffziger für dumm verkaufen lassen.«
Ich blieb still abwartend sitzen.
»Zeitungen haben ja Archive«, setzte sie hinzu.
»Weiter«, forderte ich sie auf.
»Ich habe gestern mal ein bißchen nachgedacht.«
»Na, über was denn?« fragte ich.
»Über diesen Lausekerl aus Texas, Donald. Er hatte beim ersten Gespräch mit mir etwas über den Distrikt San Bernardino gesagt. So habe ich mich mit der Zeitung in der Stadt San Bernardino in Verbindung gesetzt und gebeten, in ihrem Archiv nach dem Namen Wells, Mrs. Drury Wells, zu forschen... Und weißt du, was ich da herausgekriegt habe?«
»Klar«, antwortete ich.
Überrascht fragte sie: »So? Was denn wohl?«
»Du hast etwas ermittelt, was sich nach deiner Ansicht in einen hübschen Profit ummünzen läßt, denn du sitzt da wie eine schnurrende Katze vor einem Napf voll dicker, süßer Sahne.«
Bertha studierte mich grübelnd. »Die Frau von Drury Wells«, sagte sie, »hat ein Stück Land etwa zehn Meilen westlich der kleinen kalifornischen Stadt Yucca geerbt, und zwar von einem Onkel in Texas. Aaron Bedford hieß der Mann.«
»Wann war das?«
»Vor ungefähr zehn Tagen. Da starb Bedford, und nach dem Testament sollten seine gesamten Liegenschaften in Texas an seine Witwe fallen. Den Besitz in Kalifornien plus fünfzehntausend Dollar in bar sollte eine Nichte von ihm namens Yvonne Clymer erben, sofern sie am Leben war. Wäre sie vor ihm gestorben, so hätte eine andere Nichte, Lucille Patton, wohnhaft in Sacramento, das kalifornische Vermögen geerbt. Yvonne Clymer aber heißt jetzt Mrs. Drury Wells. Reporter der Zeitung von San Bernardino haben sie ausfindig gemacht, was nicht ganz leicht war. Sie stellten fest, daß Wells in Banning wohnte. Seine Frau war zu Besuch bei Bekannten in Sacramento, doch als die Reporter bei Wells das Testament erwähnten, stürzte er gleich ans Telefon und veranlaßte seine Frau, per Flugzeug nach Hause zu kommen. Die Zeitung hat dann einen netten Artikel mit Fotos gebracht. Die Frau ist ein hübsches Ding.«
»Wells hat also nicht viel Zeit verloren, um auf die Fünfzehntausend seiner Frau loszugehen. Er verließ sofort Banning und zog in das Haus auf dem Grundstück an der Frostmore Road.«
»Hm, hm«, machte Bertha, »deshalb sind sie sich wahrscheinlich in die Wolle geraten.«
»Hast du den Artikel schon?« fragte ich.
Bertha zog ein Schreibtischfach auf, holte einen Zeitungsausschnitt hervor und gab ihn mir.
Yvonne Clymer-Wells in Rock und Pullover aufgenommen, hatte sich dem Fotografen großzügig gestellt, denn das Bild bestand fast nur aus Beinen.
»Eine leckere Portion«, bemerkte ich.
Bertha Cool furchte die Stirn. »Verflixter Bengel! Hör auf, die Mädchenbeine anzuglotzen, und lies den Artikel. Hier geht's um Geschäfte.«
Ich las den Artikel, der mir nichts Neues sagte.
»In der Gegend von Yucca gibt’s Erdöl«, sagte sie.
Ich schüttelte den Kopf.
»So, du weißt es besser, du Neunmalkluger? Woher denn?«
»Ich kenne einen Geologen.«
»Na und?«
»Der hat mit mir mal über verschiedene vermutlich ölhaltige Gebiete gesprochen, und ich fragte ihn, was er von dem ganzen Tal da in Kalifornien hielte.«
»Und was meinte er?«
»Daß man dort bei allen Bohrungen auf Granit gestoßen sei.«
»Na, wenn schon, du Tropf. Bohrst du tiefer, durch den Granit hindurch, auf was stößt du dann?«
»Diese Frage habe ich ihm auch gestellt.«
Erwartungsvoll beugte Bertha sich vor. »Und seine Antwort?«
»Immerzu Granit.«
Sie lehnte sich wieder in den Sessel zurück, ihre Augen begannen zu glitzern. »Trotz all deinem sonstigen Verstand bist du eigentlich ein furchtbarer Döskopp«, sagte sie.
»Na schön, nur ’raus mit deiner Sensation«, forderte ich sie auf.
»Dieser Corning hat die Absicht, da Geld hineinzustecken und das öl auszubeuten. Und wir werden sofort in das Geschäft einsteigen, indem wir nämlich die besagte Dame aufstöbern und uns die Bohrrechte sichern. Dann kann Mr. Corning mit Bertha Cool verhandeln und soll mal erleben, daß er auch bei einer Frau auf Granit beißt.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das wäre schlechte Geschäftsmoral.«
»Wieso?«
»Der Mann war doch unser Klient und hat uns dies und jenes im Vertrauen erzählt.«
»Nein, hat er nicht. Er hat geschworen, er hätte bei mir keinen Ton von Erdöl erwähnt, auch nichts von Bohrungen oder Bohrrechten. Das hast du ja selbst mitgehört. Im übrigen können wir da fein ’reinrutschen und uns noch angrenzende Ländereien sichern und dann...«
Mein Kopfschütteln wurde energischer.
»Warum denn bloß nicht?« wollte Bertha wissen.
»Berufsmoral«, erwiderte ich.
»Berufsmoral! Moral!« schrie Bertha. »Du mit deinen elenden moralischen Bedenken! Du bist ja...«
Die Tür sprang auf, Leutnant Frank Sellers stand auf der Schwelle und sah die beiden Kampfhähne erstaunt an. »Na, na, na«, sagte er. »Wieder mal ein freundschaftliches Zwiegespräch der Partner, was? Sie müssen an Ihren Blutdruck denken, Bertha. Der steht ja jetzt auf zweihundertdreißig, nach Ihrer Gesichtsfarbe zu urteilen.«
Sellers trat die Tür mit dem Absatz zu, schob den Hut auf den Hinterkopf und die kalte, zerknautschte Zigarre in den anderen Mundwinkel. Von seiner erhabenen Höhe herab lächelte er uns tolerant und doch nicht ohne Mißtrauen an.
»Eines Tages«, sagte Bertha, als sie Luft geholt hatte, »wird Sie mal einer niederknallen, wenn Sie ohne Anmeldung in Privatbüros eindringen, und ohne...«
»Weiß ich, weiß ich«, sagte Frank Sellers, »aber für Sie verkörpere ich hier Ihre Majestät, die Justiz, und die kann nicht warten. Mord will ans Tageslicht. Und wenn ich von euch Herrschaften einen Tip kriege, daß ein Mord passiert ist, dann will ich genau wissen, wo das Feuer brennt, aus dem ich die Kastanien holen soll, und wie heiß es ist.«
»Na, verbrennen Sie sich bloß nicht die Finger«, fauchte Bertha ihn bissig an.
»Nicht meine Absicht«, sagte Sellers trocken.
Er lehnte sich mit der lässigen Gutmütigkeit des überlegenen Mannes, der alle Trümpfe in der Hand hat und das auch genau weiß, gegen die Wand. Sein dichtes, welliges Haar quoll unter dem Rand des aus der Stirn geschobenen Hutes hervor. »Wer von euch gurrenden Turteltauben wird mir denn nun über Mrs. Wells berichten?« fragte er.
»Das haben wir ja bereits getan«, sagte Bertha. »Warum unternehmen Sie denn nicht schleunigst entsprechende Schritte? Menschenskind, wir versuchen, Ihnen einen glühendheißen Tip zu geben, und was tun Sie? Sie schlafen erst mal in aller Ruhe eine ganze Nacht, und dann kommen Sie her, um sich zu erkundigen, was eigentlich los ist.«
»Na, na, na, Bertha, da kränken Sie aber mein Dezernat schwer. Schon eine halbe Stunde nach Erhalt Ihres Hinweises liefen wir auf vollen Touren, und doch kamen wir zu spät.«
»Was meinen Sie mit >zu spät<?« fragte ich ihn.
»Mr. Drury Wells«, erklärte Sellers, »ist gleich, nachdem Sie mir telefonisch den Tip gaben, in seine alte Benzinkutsche gesprungen und in einer dicken Staubwolke abgehauen. Und zurückgekommen ist er nicht. Wir haben seine Bude die ganze Nacht unter Bewachung gehalten. Als er nicht wiederauftauchte, gingen wir mit seinem Haussuchungsbefehl in die Wohnung.«
»Und was fanden Sie?«
»Nichts.«
»Was heißt bei Ihnen >nichts<?«
»Genau, wie ich’s sagte: nichts. Ein paar Kleidungsstücke und einen Riesenstapel von schmutzigem Geschirr als Beweis für einen schlampig geführten Haushalt. Im Garten alles voll Unkraut, eine Hacke, eine Schaufel, aber kein Fingerzeig, daß ein Teppich fehlt.«
»Kein Blut?«
»Auch nicht.«
»Woher wollen Sie wissen, daß kein Teppich fehlt?«
»Das Haus wurde möbliert abgegeben. Wir haben den Makler angerufen, der uns das Inventarverzeichnis brachte. Die Teppiche sind vorhanden wie geliefert. Nicht aber sind vorhanden Mrs. Wells und Drury Wells. Mrs. Raleigh erzählte eine imposante Mordgeschichte. Bloß dumm, daß keine Leiche da ist.« Bertha und ich wechselten Blicke.
»Also könnten Sie mir jetzt wohl mal verraten, worin Ihr Interesse an dem Fall liegt«, sagte Sellers.
»Ich wollte die vermißte Frau für einen Klienten suchen«, antwortete ich.
»Kommen Sie mir nicht mit Geheimniskrämerei. Wie heißt der Kerl, der Ihnen den Auftrag gab?«
Bertha sagte: »Das können Sie von mir erfahren, Frank. Er ist kein Klient von uns, sondern ein ganz schäbiger, falscher...«
»Klient ist er, Bertha«, unterbrach ich sie.
»Und wenn schon! Er war es, meinst du«, sagte sie.
»Es handelt sich um Mord«, ermahnte mich Sellers.
»Woher wissen Sie das, Frank?«
»Das will ich ja gerade jetzt feststellen.«
»Na, dann kommen Sie wieder her, sobald Sie ein bißchen mehr wissen«, empfahl ich ihm.
»Nein, gerade hier - und zwar sofort - will ich das feststellen.«
»Nicht bei uns, Frank. Wir haben uns schon entsprechend geäußert.«
»Ihr wißt doch, Herrschaften, daß ihr, sobald Verbrechen in Frage kommen, mit der Polizei Zusammenarbeiten müßt«, sagte Sellers.
»Der Mann für den wir Mrs. Wells suchen sollten, heißt Lawton C. Corning«, sagte Bertha.
»So ist’s schon besser. Und wo wohnt er, Bertha?«
»Hotel Dartmouth.«
»Sonst noch etwas?«
»Ja«, sagte Bertha. »Er gab uns für einen Tausenddollarjob einen Scheck über hundertfünfzig auf eine Bank in San Antonio. Ein knickriger Kerl war das.«
»Noch besser, Bertha«, lobte Sellers. »Nun sind Sie wieder ganz in Ihrer liebenswürdigen Form. Wie sieht der Mann übrigens aus?«
»Wie eine Reklamefigur für Texas.«
Sellers wandte sich wieder an mich. »Als Sie mit mir telefonierten, Donald, meinte ich, einen kleinen Tumult gehört zu haben.«
»Stimmt«, sagte Bertha.
Sellers behielt mich scharf im Auge. »Und was war’s?«
»Corning wollte nicht, daß die Polizei etwas erfuhr.«
»Er riß das Telefonkabel ab«, ergänzte Bertha.
»Warum das denn?« fragte Sellers.
»Ach«, sagte ich, »nur Bertha ist hier so redselig, Frank. Für mich ist der Mann ein Klient, verstehen Sie.«
»Dem lag nichts an der Aufdeckung eines Verbrechens«, sagte Bertha, »er wollte die Frau doch lebendig haben, weil sie ihm Dokumente unterschreiben sollte oder so etwas.«
»Kam ihm auf ein paar Morde nicht an, was?« fragte Sellers.
»Nicht die Bohne.«
»Fotos da?«
»Wovon?« gab Bertha zurück.
»Keine Fisimatenten, Bertha. Von der Dame natürlich.«
Ich blickte Bertha an. Sie zögerte.
»Nun?« fragte Sellers.
»Nur privatim«, sagte Bertha. »Was ich so in San Bernardino aufgestöbert habe. Gibt immerhin einen Fingerzeig. Allerdings wünschen wir, daß diese Information streng vertraulich behandelt wird und Sie nicht etwa darüber quatschen und —«
»Los jetzt, ’raus mit der Sprache«, schnitt ihr Sellers ungeduldig das Wort ab. »Über alles weitere reden wir nachher.«
Bertha nahm aus ihrem Schubfach den Ausschnitt aus der Zeitung in San Bernardino.
Sellers überflog rasch den Text des Artikels und studierte das Bild der jungen Frau. »Saubere Puppe. Bei der müßte Donald eigentlich Feuer fangen, wie?«
»Hat er schon«, sagte Bertha.
»Tut er noch«, korrigierte ich.
»Sie sind doch gewiß zum Katasteramt gefahren und haben sich eine Beschreibung des Grundstücks besorgt?« fragte mich Sellers.
Bertha blieb still.
»Was gibt’s da von Bedeutung?«
»Granit«, sagte ich.
Das Telefon klingelte. Bertha nahm den Hörer, sagte: »Hallo... Wer?.. Ja, ist hier. Bleiben Sie am Apparat.« Sie hielt die Sprechmuschel mit der Hand zu. »Für Sie, Frank. Wollen Sie das Gespräch annehmen?«
»Klar«, sagte Sellers. »Außer meinen Leuten da draußen beim Hause von Wells weiß ja keiner, wohin ich gefahren bin. Also wird das jetzt wohl die Meldung sein, daß Drury Wells zurückgekommen ist. Dann fahre ich gleich hin und knöpfe mir den Burschen gründlich vor.« Er nahm den Hörer von Bertha entgegen und sagte: »Ja, hier Sellers... Wann?.. Ist noch dort?.. Fein. Scharf absperren den ganzen Laden. Wenn nötig, Zunder geben, aber niemand darf ’raus, klar? Ich komme sofort hin.« Er hieb den Hörer in die Gabel, winkte mir kurz mit dem Kopf und sagte: »Los, mitfahren, Superdetektiv.«
»Wohin?« fragte ich.
»Mit mir.«
»Zu Wells?«
»Richtig kombiniert.«
»Ist der aufgetaucht?«
»Sie haben mich in die Sache ’reingeritten«, sagte Sellers, »jetzt sollen Sie das helle Köpfchen, das Bertha Ihnen immer andichtet, dazu benutzen, mich wieder ’rauszureiten. Stecken Sie den Zeitungsartikel in die Tasche und kommen Sie mit.«
»Den Presseausschnitt können Sie hierlassen«, sagte Bertha bestimmt. »Das ist reine Privatsache und...«
Sellers fixierte sie eiskalt. »Soll Donald den Zeitungsartikel in die Tasche stecken oder ich?« fragte er.
Eine Sekunde rang Bertha noch mit sich, dann sagte sie: »Donald.«
»Hatte ich mir auch so gedacht«, sagte Sellers. »Kommen Sie, Donald, wir wollen los.«
Sellers hatte seinen Dienstwagen direkt vor unserem Hause geparkt. Er fuhr, ohne von Rotlicht oder Sirene Gebrauch zu machen, kümmerte sich aber trotzdem, wie üblich, kaum Um Verkehrszeichen und Geschwindigkeitsgrenzen.
»Klären Sie mich bitte auf, was inzwischen geschehen ist«, sagte ich.
»Ich bekam eine telefonische Meldung«, gab Sellers kurz zurück.
»Weiß ich ja. Ich meinte den Inhalt der Meldung.«
»Das werden wir sehen, wenn wir hinkommen.«
»Ist Wells denn da?«
»Ich sagte soeben: Das werden wir sehen.«
Da ich merkte, daß er mir doch nichts weiter erklären würde, versank ich in Schweigen und grübelte darüber nach, was geschehen sein konnte. Da gab es verschiedene Möglichkeiten. Wenn ich bedachte, wie energisch er die Mitnahme des Zeitungsausschnitts verlangt hatte, bedrängten mich höchst unbehagliche Visionen.
In hohem Tempo ging es über die Chaussee, dann bog Sellers ab, und wir sausten sieben bis acht Kilometer über eine Landstraße zweiter Güte, die in die Frostmore Road mündete. Ein paar Häuser vor dem Grundstück von Wells stand ein Auto. Sellers stoppte seinen Dienstwagen daneben.
»Noch da?« fragte er den Beamten in dem anderen Wagen. Der nickte stumm.
»Okay«, sagte Sellers, »Sie brauchen das Grundstück nicht mehr zu bewachen, aber bleiben Sie in der Nähe und lassen Sie Ihr Funkgerät eingeschaltet. Etwaige Instruktionen gebe ich über unsere Welle durch Funktelefon.«
Er fuhr weiter bis vor das Tor von Wells. »Kommen Sie, Donald«, sagte er.
Ich folgte ihm zur Haustür, wo er mit dem Daumen auf den Klingelknopf drückte.
Ein betörend hübsches Weib in Pullover und sehr kurzen Shorts, rothaarig und blauäugig, mit prachtvoller Figur, öffnete die Tür.
»Hallo, guten Tag«, sagte sie. »Na, was betreibt ihr Knaben? Seid ihr Werkstudenten, die Abonnenten für Zeitschriften suchen, oder wollt ihr Staubsauger vorführen? Meinen Aufzug müssen Sie schon entschuldigen, denn ich will unbedingt putzen und aufräumen. Komme nach Hause und finde das ganze Geschirr schmutzig vor und an der Badewanne einen breiten, dunklen Streifen.. Die vielbeschäftigte kleine Hausfrau, wie sie im Buche steht.«
Sellers klappte seinen Rockaufschlag um, zeigte ihr sein Messingschildchen und sagte: »Kriminalpolizei.«
»Oh - oh, was soll ich denn jetzt verbrochen haben?« rief sie aus.
»Nun, was haben Sie tatsächlich verbrochen?«
Sie sah ihn lächelnd von unten herauf an. »So ziemlich alles, was möglich ist«, sagte sie frech.
»Dann berichten Sie uns mal.«
»Wollen Sie hereinkommen oder da stehen bleiben? Ich war gerade beim Geschirrspülen, und wenn ich mich länger mit Ihnen unterhalten soll, möchte ich mir erst die Hände einkremen. Als Frau muß man seine Haut pflegen.«
»Scheint Ihnen bisher fein gelungen zu sein«, sagte Sellers.
»Gebe mir alle Mühe«, erwiderte sie. »Bitte treten Sie näher.«
Wir gingen in das Puppenhaus-Wohnzimmer. Die Wohnung roch noch nach kaltem Tabaksqualm, doch die Aschenbecher waren schon alle gesäubert, und in der Küche sah ich einen Stapel abgewaschenes Geschirr auf dem Tisch und neben dem Spülbecken noch einen Berg schmutziges. Über dem heißen Wasser im Becken wallte in Wölkchen der Dampf.
Sie summte eine kleine Melodie, während sie ins Schlafzimmer ging. Als sie zurückkam, duftete sie nach Schönheitswasser. »All right, Jungens, was habt ihr nun auf dem Herzen?« sagte sie.
»Sie sind doch Mrs. Drury Wells, ja?« fragte Sellers.
»Die bin ich.«
»Vorname?«
»Yvonne.«
»Wo sind Sie gewesen?«
»Hier und dort.«
»Wie kam es, daß Sie fortgingen?«
»Ist dies ein amtliches Verhör?«
»So dürfen Sie es nennen. Ich bekomme mein Gehalt nicht, um vormittags mit schönen, rothaarigen Frauen über versäumte Wochenenden zu plaudern.«
»Das ist jammerschade, denn das könnten Sie sicher gut«, sagte sie schnippisch.
»Stimmt, aber jetzt wollen wir hören, wo Sie sich aufgehalten haben«, sagte Sellers in dienstlichem Ton.
»Na schön«, gab sie resigniert nach. »Mein Mann hat mit mir Krach angefangen. Er ist sonst ein netter Kerl, kann aber scheußlich jähzornig werden, und ich gebe ihm vielleicht manchmal Anlaß, sich aufzuregen. Jedesmal, wenn ihn die Wut packt, bringt er den Haushalt aus den Fugen. Dann rollte er ein paar Decken zusammen, wirft sie ins Auto, fährt los und kampiert unter den Sternen. Manchmal kommt er schon nach ein paar Stunden abgekühlt zurück, und manchmal bleibt er eine ganze Woche weg. Na, nach unserem letzten Streit packte er sich wie gewöhnlich seine Decken auf die Schulter und türmte. Und diesmal kam auch ich so richtig in Rage. Ich wartete, bis er verschwunden war, und beschloß, ebenfalls zu türmen. Er sollte mich nicht vorfinden, wenn er zurückkam. Nicht mal einen Koffer habe ich mir gepackt, nahm bloß eine Zahnbürste, etwas Unterwäsche und eine Dose Hautkrem mit.«
»Wie sind Sie gereist?«
»Zu Fuß.«
»Zur Bushaltestelle?«
»Der letzte Bus war schon fort. Ich ging zum Boulevard.«
»Und dann?«
»Fuhr ich per Anhalter.«
$War das nicht gefährlich, allein mitten ,in der Nacht, eine hübsche Frau wie Sie?«
»Kommt darauf an, was Sie gefährlich nennen. Im ersten Wagen hatte der Mann seine Frau bei sich und verdrehte trotzdem so den Hals nach mir, daß er beinahe in den Graben fuhr. Aber er hielt nicht an. Im zweiten Wagen saßen zwei jüngere Männer, und der am Steuer bremste gleich, daß die Reifen qualmten.«
»Und dann?« fragte Sellers.
»Darf ich mal um Ihren Namen bitten?«
»Leutnant Sellers.«
»Und Ihren Vornamen?«
»Frank.«
In ihren Augen blinkte das Lachen, während sie mit ernster Miene sagte: »Frank, es war entsetzlich! Können Sie ahnen, was diese bösen Männer getan haben? Sie machten mir gewisse Anträge ¡Aber jetzt möchte ich, nachdem Sie alles erfahren haben, Was Sie wissen wollten, gern das übrige Geschirr abwaschen.«
»Zu rück gekommen sind Sie heute früh?«
»Ganz recht.«
»Und warum?«
»Weil ich meinen Zorn abreagiert hatte. Ich war Drury nicht mehr böse und sagte mir: Sei ein braves kleines Frauchen, kehre schön heim und säubere das Geschirr, wie sich’s gehört.«
»Ihr Mann ist älter als Sie?«
»Ja, ist er.«
»Sie vertragen sich nicht besonders gut, wie?«
»Nicht immer.«
Sellers streifte mich mit einem Blick.
»Was zieht Sie denn so zu ihm hin?« warf ich ein.
»Diese Frage habe ich mir selbst schon öfters gestellt«, antwortete sie, musterte mich von oben bis unten und setzte geringschätzig hinzu: »Ausgerechnet Sie haben’s nötig, so großspurig zu fragen, wie?«
»Die Frage war ganz angebracht«, erklärte Sellers.
»Mir persönlich ist sie sogar entscheidend wichtig, aber die Antwort werden Sie sich selbst ausknobeln müssen«, sagte Yvonne. »Ich gehe jetzt wieder abwaschen.«
Sie stand auf, schritt zur Küche, wobei sie sich ein bißchen übertrieben in den Hüften wiegte, und ließ heißes Wasser Ins Spülbecken zulaufen. »Wollen Sie noch hierbleiben und mir das Geschirr abtrocknen helfen?« rief sie uns zu.
Sellers ging zur Küche und lehnte sich gegen den Türpfosten. »Wo befindet Ihr Mann sich jetzt?« fragte er.
Sie erwiderte lachend: »Nach den Angaben der Schnüfflerin da im Nebenhaus ist er ja >ganz plötzliche abgefahren, aber ich vermute, er hatte es satt, auf mich zu warten. Ich werde die Wohnung schön aufräumen, wie eine pflichtgetreue Gattin es tun soll. Wenn er zurückkommt, werden wir uns gegenseitig verzeihen und glücklich sein - bis zum nächsten Krakeel. Kommt er nicht zurück, so werde ich feststellen, wann wieder Miete fällig ist, und dann das ganze Haus für den nächsten Mieter reinigen. Also wissen Sie, wie Männer eine Wohnung verlottern lassen können, das ist nicht zu beschreiben! Er hat das jedenfalls gründlich besorgt.«
Sie zog eifrig ein Stück Geschirr nach dem andern durchs
Spülbecken, legte alle in die große Schale mit dem Abtropf- sieb und goß heißes Wasser darüber. »Ein Trockentuch finden Sie da drüben auf dem Gestell«, sagte sie.
»Ich fühle mich nicht getroffen«, sagte Sellers. »Man würde mich ja glatt entlassen wegen unwürdigen Benehmens im Dienst!«
»Na, wenigstens können Sie mir das Tuch herholen«, sagte sie. »Meine Hände sind doch naß, und ich möchte nicht den ganzen Fußboden betropfen.«
Sellers ging an das Gestell und holte das Trockentuch. »Wohin wollen Sie’s haben?« fragte er.
»Legen Sie’s mir über die Schulter.« Sie wackelte aufreizend mit ihrer hübschen Schulter und lachte.
Sellers ließ ihr das Tuch auf die linke Schulter fallen.
»Falten Sie’s ein bißchen, damit’s nicht herunterrutscht.«
Auch das tat er.
»Danke schön, Ihnen fehlt nur etwas Übung«, sagte sie.
»Na, dann kommen Sie«, wandte Sellers sich zu mir, »wir wollen gehen. Lassen Sie mich doch den Artikel mal sehen, ja?«
Ich gab ihm den Zeitungsausschnitt.
»Was ist das denn?« fragte Mrs. Wells, die jetzt von ihrem Geschirr aufblickte.
»Prüfe nur was nach«, sagte Sellers.
»Oh, ich weiß schon, es ist der Bildartikel aus San Bernardino«, gab sie zurück.
»Wie ist es zu erklären, daß Sie nicht zum Film gegangen
sind?« fragte Sellers.
»Man hat mich nie aufgefordert«, erwiderte sie, »und ich dachte, durch jein paar Bilder in der Zeitung könnte es glücken.«
»Sind Sie deshalb Ihrem Mann weggelaufen?« fragte Sellers, »War das der wirkliche Grund?«
»Ihr könnt einem aber auch die tollsten Fragen stellen, Leute,« sagte sie. »Wollen Sie nicht lieber jetzt mal nebenan mit der großen Schnüfflerin reden? Ich weiß doch, daß Sie’s nicht mehr abwarten können, und der drüben platzt bestimmt schon ein Blutgefäß vor Neugier, was hier los sein mag.«
Sellers gab mir seufzend den Artikel zurück und ging stumm zur Haustür.
»Kommen Sie gelegentlich mal wieder vorbei«, lud Mrs. Wells ihn ein.
Wir gingen hinaus und die Vortreppe hinunter.
»Verdammte Kiste!« schimpfte Sellers. »Hineingetapst bin ich durch Sie, Lam, aber ordentlich.«
»In was?«
»In diesen sogenannten Mordfall, bei dem die Tote frisch und munter wieder zum Vorschein kommt.«
»Angefangen damit hat Mrs. Raleigh«, klärte ich ihn auf.
»Aber bei mir war es die nicht«, sagte er gereizt. »Immerhin werden wir mal mit ihr ein Wörtchen reden.«
Und jetzt brauchten wir noch nicht einmal auf die Klingel zu drücken. Mrs. Raleigh verzichtete darauf, uns vorzutäuschen, daß sie uns nicht beobachtet und nicht erwartet hätte. Sie riß die Tür schon auf, als wir gerade die Stufen betraten.
»Schönen guten Morgen, guten Morgen!« begrüßte sie uns lebhaft. »Bitte treten Sie näher. Ich brenne schon darauf, zu erfahren, was drüben passiert ist.«
Sellers blieb in der Tür stehen. »Eine Frage bloß«, sagte er. »Sie haben die Frau da drüben gesehen, ja?«
»Das habe ich.«
»Ist das Mrs. Wells?«
»Ja.«
»Also die Frau, von der Sie glaubten, sie sei umgebracht worden?«
»Nanu, wie reden Sie mit mir, Leutnant? Ich habe nicht gesagt, daß ich das glaubte, sondern nur, daß ich das Gefühl gehabt hätte, drüben ginge etwas Verdächtiges vor sich. Ich hatte Streit gehört und dann ihren Aufschrei, und dann sah ich den Mann draußen etwas tragen.«
»Was war denn dieses Etwas?«
»Nach dem, was ich jetzt weiß, muß ich annehmen, daß es nur ein paar Decken gewesen sind.«
»Geschildert hatten Sie die Sache aber so, als ob es eine in einen Teppich gewickelte Leiche gewesen sei. Daß die Last schwer war und schwankte...«
»Nun, man kann ja, wenn man jemanden etwas tragen sieht, nicht sagen, wie schwer es ist.«
»Aber am Gang eines Menschen läßt sich erkennen, ob das, was er trägt, schwer ist«, sagte Sellers.
»Nun ja, ich.. Es war doch nachts. Ich habe mich nur bemüht, zu erzählen, was geschehen war. Das ist alles. Habe bloß meine Pflicht getan, Leutnant.«
»Mir sagten Sie doch, Sie hätten deutlich das Geräusch eines Schlages gehört?« sagte ich.
»Na, und wenn?«
»Ich wollte das nur bestätigt wissen.«
»Das kann man doch ganz verschieden deuten. Jeder Mann könnte seine Frau schlagen, aber ich habe nicht behauptet, ich hätte das Geräusch eines Schlages gehört. Gesagt habe ich nur, ich hätte ein Geräusch vernommen, das vielleicht von einem Schlag herrühren konnte.«
»Haben Sie über diesen Punkt mit Mrs. Wells gesprochen?« fragte Sellers.
»Nein, das habe ich nicht. Und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie meinen Namen aus der Sache herauslassen würden.«
»Ja, das kann ich mir denken - jetzt«, sagte Sellers trocken.
»Es besteht also kein Zweifel, daß die Frau, die sich jetzt drüben befindet, Mrs. Wells ist?« fragte ich. »Daß es die Frau ist, die...?«
»Glauben Sie vielleicht, bei der Frau könnte ich mich irren?« gab sie zurück.
»Na, ich denke, das reicht -uns«, sagte Sellers zu ihr. »Kommen Sie, Lam, wir gehen!«
Wir begaben uns wieder zu seinem Dienstwagen. Mrs. Raleigh blieb in der Tür stehen und rief uns nach: »Ich verlasse mich darauf, daß Sie meinen Namen in der Sache nicht erwähnen.«
Sellers würdigte sie keines Blickes und keiner Antwort.
»So, Sie Superdetektiv«, sagte er zu mir, als wir ins Auto stiegen. »Durch Sie bin ich hier ’reingeschliddert, also bringen Sie mich auch wieder ’raus.«
»Was gibt’s denn da herauszubringen?« fragte ich.
»Oh nichts, nicht das geringste«, erwiderte er sarkastisch. »Nur, daß ich einen Mord melden muß, der gar nicht passiert ist. Daß ich mich aufgeregt habe über ein Gerücht und Geschwätz
von einer toten Frau und dann sehen muß, daß die Tote lebendig und gesund wieder auftritt.«
»Sehr lebendig sogar«, bekräftigte ich.
»Das dürfen Sie noch mal sagen, aber es ändert nichts. Ich habe meine Leute für vierundzwanzig Stunden in drei Schichten angesetzt, um das Haus zu überwachen, damit wir Wells bei seinem Auftauchen verhören konnten. Und darüber muß ich genaue Meldung machen. Da soll ich keinen roten Kopf kriegen!«
»Wenn Sie nun schon soweit gegangen sind«, sagte ich, »wollen Sie dann nicht lieber das Haus noch so lange bewachen lassen, bis Wells tatsächlich kommt, und ihn dann verhören?«
»Über was?« fragte Sellers verächtlich. »Etwa, warum er sich mit seiner Frau gezankt hat?« Er zerrte seine zerkaute Zigarre aus den Zähnen und schleuderte sie auf die Straße.
»Falls Sie mir wieder mal einen Tip geben, Donald Lam«, sagte er, »dann werden Sie nicht böse, wenn ich den Hörer mitten in Ihrer Rede auflege.«
»Und Sie dürfen nicht böse sein, wenn ich, sollte ich wieder einem Mord auf die Spur kommen, ganz einfach vergesse, Ihnen das zu melden.«
Er sah mich grübelnd an und sagte: »Ein unglaublicher Knabe! Benutzt meine eigenen Worte, um mir später einen überbraten zu können! Aber davon wollen wir jetzt nicht reden. Im Augenblick ist für mich nur eins wichtig: Ob Sie einen Rat wissen, wie ich aus dieser peinlichen Lage herauskomme!«
»Vielleicht.«
»Schon besser.« Sellers’ Gesicht hellte sich etwas auf. »Und was meint das kluge Köpfchen?«
»Wir werden noch etwas mehr über Corning in Erfahrung bringen, ehe wir diese Akten schließen«, sagte ich. »Halten Sie die Sache hin, solange Sie können. Der Mann muß Wells den Tip gegeben haben, zu verduften.«
»Nun hören Sie mal zu, Sie Falkenauge«, sagte Sellers. »Ich bin vom Morddezernat, vergessen Sie das nicht! Sie glauben doch wohl nicht, daß ich mich mit einem dummen Schwindel aus der Affäre ziehen kann — als Beamter des Morddezernats!«
»Wollen Sie damit sagen, daß Sie unbedingt eine Leiche haben müssen?«
»Einen guten Ausweg will ich. Wissen Sie einen?«
»Bisher noch nicht«, erwiderte ich.
»Schwebt Ihnen wenigstens einer vor?«
»So halb und halb erst.«
»Na ja«, verkündete er kummervoll, »Einfälle haben Sie ja immer ’ne Menge mehr als ich. Sehen Sie bloß zu, daß der halbe, den Sie jetzt haben, bald ausreift. Und wenn er Hand und Fuß hat, rufen Sie mich an.«