6
 
 
Rio erwachte, noch ehe der Morgen graute. Er liebte diese Tageszeit. Liebte es, sein Gesicht auf Rachaels warme Brust zu legen und einfach nur den leisen Rufen der ersten Vögel und der ewigen Melodie des Urwalds zu lauschen, während er sie fest umarmt hielt. In diesen Augenblicken kurz vor der Dämmerung, bevor der Haushalt erwachte und er seinen täglichen Pflichten nachkommen musste, fühlte er sich am lebendigsten, eins mit sich und der Welt. Rachael atmete sacht ein und aus, ihr warmes, weiches Fleisch war verlockend, eine Einladung ins Paradies. Jede Linie ihres Körpers, jedes einzelne Grübchen hatte sich ihm unauslöschlich eingeprägt. Er kannte sie besser als sie ahnte, und wie er ihr Freude bereiten konnte, wusste er auch ganz genau.
Lächelnd vergrub Rio das Gesicht im Tal zwischen Rachaels Brüsten, nur um ihren Duft zu schnuppern. Sie roch immer nach Blumen. Das lag bestimmt an den Seifen und Shampoos, die sie aus den Blüten und Kräutern des Waldes herstellte. Träge und genüsslich ließ er die Zunge um ihren Nippel kreisen. Am frühen Morgen war das Leben einfach perfekt. Er atmete sie ein. Seine Rachael. Seine Welt. Hier, in ihrem geheimen Zuhause, im Licht der Dämmerung, das durch die hohen Baumkronen fiel, fand Rio Kraft und Freude, einfach alles, was er fürs Leben brauchte.
Er küsste sie auf die Brust, ließ die Zunge ein zweites Mal um ihren Nippel kreisen und saugte sanft an ihrem weichen Fleisch. Rachael regte sich, schmiegte sich enger an, bog den Rücken ein wenig durch, um ihm ihre Brüste anzubieten, und zog seinen Kopf näher an sich. Wenn er einen Finger tief in sie hineinsteckte, um ihre Bereitschaft zu prüfen, würde sie längst heiß, feucht und bereit sein, dass wusste er.
Rachael zu lieben war stets ein Abenteuer. Mal waren sie so sanft zueinander, dass ihm Tränen in die Augen traten, ein anderes Mal liebten sie sich stürmisch, wild und völlig hemmungslos. Dann grub ihm Rachael ihre Nägel ins Fleisch und zerkratzte seinen Rücken oder ritt ihn zügellos. Manchmal schwelgte er eine ganze Stunde darin, sie nur zärtlich zu liebkosen. Ihr Körper war ihm so innig vertraut, und doch hatte er eine dicke Erektion und konnte es gar nicht abwarten, wieder in ihr zu sein. Sein Körper schmerzte förmlich vor Verlangen. Wie beim ersten Mal. Wie stets, wenn er sie berührte.
Seine Hände glitten über Rachaels Körper; ihr warmes, weiches Fleisch war aufreizend und verführerisch schön, er konnte kaum glauben, dass er es genießen durfte. Rio hob den Kopf und küsste sie auf den Mund, hart und so besitzergreifend, dass sie keine Luft mehr bekamen und nach Atem ringen mussten, während die Welt um sie herum versank. Ihr Mund war warm und süß, so vertraut, dass es wehtat.
Nur ein paar Minuten am Tag, in der Morgendämmerung, wenn es keine Rolle spielte, dass er die dünne Haut der Zivilisation abstreifte, erlaubte er seiner wilden Natur, die Herrschaft zu übernehmen. Dann erwachten der eifersüchtige Besitzanspruch und der dunkle Trieb, Rachael als seine Gefährtin zu brandmarken. Und das Tier, das stets nah unter der Oberfläche lauerte, erhob sich mit diesen Instinkten, verlangte ungestüm und unmissverständlich nach ihr, mit jeder Faser seines Wesens nur auf sie konzentriert. Seine Haut prickelte, als er ihre Bereitschaft spürte, und während er sich auf sie schob und mit den Hüften aufs Bett drückte, verhärteten sich seine Muskeln. Es machte ihr nichts aus, wenn sie das Tier darunter spürte, nicht einmal wenn sie fühlen konnte, wie Fell über ihre sensibilisierte Haut glitt. Sie war immer für ihn da, akzeptierte ihn wie er war, stets voller Begehren.
Rachael lachte leise, als er ihren Mund eroberte, sich hemmungslos an ihr labte und sie über und über mit Küssen bedeckte. Er begehrte sie so sehr, dass er tief in ihr begraben sein wollte, dort, wo er hingehörte, wo die Welt immer in Ordnung war. Er schloss sie in die Arme, während ihre Hände seine Brust erforschten, jeden einzelnen Muskel darunter. Dann ließ sie eine Hand zielstrebig über seinen Bauch gleiten, umfasste sein steifes Glied und drückte so fest zu, dass er vor Qual und Freude aufstöhnte.
»Heute Morgen möchte ich dich ganz vernaschen«, flüsterte er. »Ich kann es gar nicht erwarten, bis du dich in meinen Armen windest, wie du es immer tust, mich am Haar ziehst und mir sagst, ich soll mich beeilen, jetzt, schnell.« Er hauchte Küsse auf ihr Gesicht, ihren Hals und die sanfte Rundung ihrer Brust.
»Tatsächlich?«, raunte Rachael spöttisch. »Dabei hatte ich mir für heute vorgenommen, dich verrückt zu machen. Möchtest du nicht lieber ganz in meinem Mund sein? Ich glaube nämlich, ich bin dran, letztes Mal sind wir so rüde unterbrochen worden.«
Ihre Finger spielten mit ihm, wie nur Rachael es konnte, aufreizend, mit ganz kleinen Bewegungen, die ihn um den Verstand brachten. Wenn sie ihn in den Mund nahm, würde er explodieren, so schnell und heftig, dass sie vermutlich lachen und Befriedigung verlangen würde. Er kannte sie so gut und doch auch wieder gar nicht. Rachael - seine Frau, sein Ein und Alles.
Rio verlagerte sein Gewicht, zog sie an sich und schob ihr geschickt das Knie zwischen die Beine, um ihren einladenden Schoß zu öffnen. Dann kniete er sich hin, drückte sein Glied an ihre enge Öffnung und freute sich auf das Vergnügen, das er ihr bereiten würde. Doch zunächst widerstand er der Versuchung, beugte sich herab, ließ seine Zunge in ihrem sexy Nabel kreisen und knabberte an ihrem flachen Bauch. Sein Oberschenkel drückte sich fordernd an sie und schob ihr Bein zur Seite.
Rachael schrie vor Schmerzen laut auf, stieß ihn von sich und rollte sich wie ein Fötus zusammen. Ihr Schreien brachte die Affen in den Bäumen zum Zetern und die Vögel zum Kreischen, deshalb erstickte sie es hastig und atmete tief ein und aus, um die Beherrschung wiederzuerlangen.
Rios perfekte Welt zerbrach. »Was zum Teufel hab ich gemacht! Verdammt, oh verdammt!« Stöhnend rollte er sich auf den Rücken und hielt sich beide Hände vors Gesicht. »Es tut mir leid, Rachael, verflucht, es tut mir wirklich leid. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte. Ich schwöre, für eine Minute war ich jemand anders. Oder du warst jemand anders oder wir waren zwar wir, aber irgendwie anders. Ach, zum Teufel! Ich weiß nicht mehr, was ich sage.« Rio nahm die Hände vom Gesicht und schaute sie an. Sein Gesichtsausdruck war finster. »Bist du in Ordnung?«
Zu seinem Erstaunen drehte Rachael sich ganz vorsichtig um und vergrub die Finger in seinem Haar. »Ich bin ja nicht aus Glas, Rio. Ich hätte doch Nein sagen können. Für einen Augenblick war ich auch jemand anders. Ich kannte dich ganz intim, und wir gehörten zusammen, und das schon seit Langem. Es war ein so angenehmes Gefühl, einfach perfekt. Ich denke, ich wäre sehr gern diese andere Person geblieben, doch mein Bein hat mich nicht gelassen. Mir tut es leid.«
»Ich habe dir Angst gemacht.«
Rachael zog ihn an den Haaren, eine Geste, die seltsam vertraut wirkte. »Habe ich etwa ängstlich auf dich gewirkt? Meiner Meinung nach war ich eher ganz auf deiner Linie. Leider tut mein Bein bei der kleinsten Bewegung höllisch weh, sonst hätte ich mich wie eine Klette an dich gehängt.«
Rio wälzte sich auf die Seite und stützte den Kopf in die Hand. »Warum, Rachael? Hast du Angst, mich abzuweisen?« Er hatte seinen Atem noch nicht wieder unter Kontrolle, und sein angespannter Körper schmerzte. Mehr als alles andere wünschte er sich, sie weiter zu küssen, ihren Körper ganz zu erobern. Er wollte, dass sie ihm gehörte. »Du fühlst dich sicher angreifbar, so allein mit mir und noch dazu verletzt, aber ich dränge mich Frauen nicht auf, das schwöre ich.«
»Rio, sei nicht dumm. Da ist eine starke Anziehungskraft zwischen uns. Ich starre dich doch schon tagelang an. Wie könnte ich dich nicht attraktiv finden? Wenn du dich mir gegen meinen Willen aufgedrängt hättest, hätte ich dir etwas an den Kopf geknallt.« Rachael grinste ihn an. »Du weißt ja, dass ich dazu imstande bin. Im Moment bin ich zwar am Bein verletzt und nicht ganz auf der Höhe, aber ich habe ein wenig Selbstverteidigung gelernt. In deinem … äh … erregten Zustand warst du eine ganze Weile sehr angreifbar. Schlimmes Bein hin oder her, ich hätte es schon geschafft, mich zu wehren.«
»Wenn ich bei dir bin …« Rio suchte nach den richtigen Worten. »Es kommt mir so vor, als wäre ich schon immer mit dir zusammen gewesen, als würde ich dich schon seit Ewigkeiten kennen und als hätte ich dich stets geliebt. Ich schwöre, manchmal fällt es mir schwer zu unterscheiden, was Wirklichkeit ist und was nur in meiner Fantasie existiert. Völlig verrückt.«
Rio beugte sich ganz nah zu Rachael hinüber, so dass ihre Brustspitzen seinen Brustkorb berührten. Sofort überkam ihn ein vertrautes Gefühl, alles war perfekt - es war wie Heimkommen. Er seufzte tief. »Ich bin es nicht gewöhnt, längere Zeit mit anderen Menschen zusammen zu sein, es ist mir unangenehm, aber bei dir kann ich mir gar nicht vorstellen, dass du nicht mehr bei mir bist.« Er nahm ihr Gesicht in beide Hände. »Ich bin so wild auf dich, dass ich sogar deinen Geschmack im Mund habe. Und ich weiß ganz genau, wie du dich anfühlst, wenn ich in dir bin.« Seine Fingerkuppen glitten an ihrem Hals entlang über die Schultern hinunter zu ihren Brüsten. »Ich kenne deinen Körper, jede einzelne Rundung, als hätte ich eine genaue Karte von dir im Kopf.«
Wenn Rio sie berührte, konnte sie nicht mehr klar denken. Als er ihre Brust umfasste und seine Daumen ihre erregten Nippel streichelten, durchzuckten sie kleine Blitze. Doch sie war keine gewöhnliche Frau, ihr war es nicht vergönnt zu lieben. Eine kurze Affäre, ja, das war möglich, aber dann musste sie weiter und ihn musste sie zurücklassen. Jede Minute, die sie bei ihm blieb, brachte ihn in größere Gefahr.
Mit den Wimpern verbarg sie den Ausdruck ihrer Augen vor Rio, denn sie wollte ihn nicht sehen lassen, wie viel Glut und Feuer seine Berührung in ihr entfachte. »Ich fühle mich irgendwie so anders, und zwar seit ich zum ersten Mal hier in den Regenwald gekommen bin. Richtig lebendig, so als ob irgendetwas in mir nach außen drängt, sich befreien will.« Außerdem fühlte sie sich so unglaublich sinnlich. Seit dem Augenblick, in dem sie in dieses Haus gekommen war, an diesen Ort, zu diesem Mann, befand sie sich fortwährend in einem Zustand erhöhter Erregung. Sie verlangte nach ihm, dachte Tag und Nacht an nichts anderes, er war sogar in ihren Träumen.
»Weißt du, Rachael, das mit dem Muttermal an deiner Hüfte? Ich habe schon gewusst, dass es da ist, bevor ich es gesehen habe. Und ich weiß ganz genau, wie du gern angefasst werden willst.« Rio setzte sich hin und fuhr sich aufgeregt mit der Hand durchs Haar, so dass es zerzaust nach allen Seiten hin abstand, ebenso unbezähmbar wie sein Charakter. »Woher weiß ich all diese Sachen?«
Auch Rachael wusste genau, was er mochte und was nicht. Manchmal juckte es sie in den Fingern, ihm aufreizend sanft über Brust und Bauch zu streichen und die Zunge den Fingern folgen zu lassen, bis er um Gnade flehte. Selbst den exakten Tonfall, den seine Stimme dann hatte, kannte sie, heiser und wie unter Qualen. Allein der Gedanke an das Begehren und den Hunger in seiner Stimme ließ sie wohlig erschauern.
Rio seufzte. »Lass mich dein Bein ansehen. Nachdem nicht nur die Katze draufgesprungen ist, müssen wir es vielleicht neu verarzten.« Er schaute Rachael an, ihr dunkles lockiges Haar fiel ihr ins Gesicht, und ihre Lippen waren leicht geöffnet, geradezu einladend. Als sie langsam die langen Wimpern hob und er ihr in die Augen sehen konnte, las Rio darin, wie sehr sie ihn wollte. Dass sie das gleiche glühende Verlangen in sich spürte, das ihn verzehrte. Leise fluchend griff er unter der Decke nach ihrem Knöchel und zog ihr Bein hervor.
Rachael spürte seine Finger auf der Haut. In der Art, wie er sie anfasste, lag etwas Anmaßendes, als greife er nach etwas, was ihm gehörte. Doch mit dem Daumen streichelte er zart über ihren Knöchel und bei jeder Bewegung spürte sie Flammen an ihrem Bein emporlodern. Dann ließ Rio die Hand tiefer wandern und begann mit einer langsamen, atemberaubenden Fußmassage.
»Es sieht schon viel besser aus heute Morgen, Rachael. Die roten Striemen sind weg. Aber das Bein ist immer noch sehr dick, und die beiden Bisswunden nässen. Ich nehme den Verband ab, damit sie trocknen können.«
Rachael schnitt eine Grimasse. »Na toll. Dann wird das Laken schmutzig.«
»Ich hole ein paar Handtücher zum Unterlegen.« Seine Finger schlossen sich um ihren Fuß. »Das Schlimmste ist wohl überstanden, Rachael, das Bein ist gerettet, aber die Narben wirst du behalten. Ich habe versucht, den Schaden zu beheben, aber …« Er brach ab, doch sein harter Griff zeigte deutlicher als alle Worte, wie sehr er seine Unzulänglichkeit bedauerte.
Rachael zuckte die Achseln. »Über die Narben mache ich mir keine Gedanken, Rio. Danke für alles, was du getan hast. Die paar Kratzer machen mir nichts aus.«
»Im Moment nicht, aber wenn du wieder in deiner Welt bist und in einem kurzen Kleid tanzen gehen willst, vielleicht doch.« Er zwang sich dazu, das zu denken und zu sagen. Und schon erwachte wieder das Tier in ihm und wollte Oberhand gewinnen. Fell drohte aus seiner Haut zu platzen, messerscharfe Zähne beanspruchten ihren Platz, und seine Finger verbogen sich, wollten ihre spitzen Krallen gerade ausgefahren.
»Ich kann niemals zurück, Rio«, sagte Rachael fest. »Und ich will auch gar nicht. Draußen in der Welt wartet nur der Tod auf mich. Dort bin ich nie glücklich gewesen. Ich würde es gern hier versuchen, wo ich mich lebendig fühle und meiner Mutter nah. Ihre Geschichten waren es, die mich hergeführt haben. Wenn sie vom Regenwald erzählte, gab sie mir das Gefühl, ich wäre mitten drin und erlebte alles direkt, seine Klänge und Gerüche und seine ganze Schönheit. Schon lange bevor ich den ersten Fuß in diesen Wald gesetzt habe, war mir, als wäre ich bereits darin herumgelaufen.«
»Das Leben hier ist nichts für eine verwöhnte reiche Frau«, sagte Rio, stand abrupt auf und zog sich unverschämt lässig die Jeans über. »Hier gibt’s keine Geschäfte, Rachael. Nur Kobras und wilde Tiere, die dich jagen und fressen wollen.«
»Irgendjemand hat es geschafft, mir eine Kobra ins Zimmer zu schmuggeln, bevor wir zu unserer Flussfahrt aufgebrochen sind«, erwiderte sie. So wie die Muskeln unter Rios Haut spielten, fiel es ihr schwer, den Blick abzuwenden. Sie stellte fest, dass sein ganzer Körper mit Narben übersät war. Viele stammten offensichtlich von Großkatzen. Doch manche auch von Messern und Kugeln und anderen Waffen, die sie nicht näher identifizieren konnte.
Rio, der sich gerade die Hose zuknöpfte, wandte ruckartig den Kopf. »Kann das Ding nicht von allein ins Zimmer gekommen sein, Rachael?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, alles war fest verschlossen. Ich habe mich extra vergewissert. Auf diese Reise war ich wirklich gut vorbereitet, Rio. Ich wusste Bescheid über Schlangen und all die ekligen, giftigen Krabbeltiere. Ich hatte entsprechende Vorkehrungen getroffen.«
Rio kam zu ihr herüber. »Ich helfe dir ins Bad.«
»Ich denke, das schaffe ich schon«, erwiderte Rachael.
Ohne auf ihren Einwand zu achten beugte er sich herab, hob sie einfach auf seine Arme und trug sie zu der winzigen Kammer, die als Badezimmer diente. Es war recht primitiv, doch zumindest war sie dort ungestört. Rio ließ sie allein, um Wasser für den Kaffee aufzusetzen.
Rachael lehnte sich an die Wand und stützte sich ab, um nicht umzufallen. Sie war überrascht, wie schwach sie sich fühlte. Nach dem hohen Fieber war sie ganz wacklig auf den Beinen. Wahrscheinlich schaffte sie es nicht einmal, zum Bett zurückzuhumpeln, geschweige denn, bis hinaus auf die Veranda, so wie sie es geplant hatte. Sie brauchte Abstand von Rios überwältigender männlicher Anziehungskraft. Wenn sie nah bei ihm war, hatte sie keine Chance, dem Zauber zu widerstehen, es war einfach Magnetismus. Sie war wie hypnotisiert von der Geschmeidigkeit seines Gangs, dem Spiel der kräftigen Muskeln, dem verführerischen Mund und dem intensiven, leuchtenden Blick, der oft so verlangend und heißhungrig auf ihr ruhte.
Als Rachael den Vorhang beiseitezog und feststellte, dass Rio davor auf sie wartete, seufzte sie. Sie hätte wissen müssen, dass er da sein würde, wenn sie ihn brauchte. Egal, was er tat, er sah und hörte alles, ihm konnte nichts entgehen.
Als er sich herabbeugte, um sie auf die Arme zu nehmen, streifte sein Gesicht ihre widerspenstigen Locken. Sie spürte die Wärme seines Atems, die Hitze seiner Haut und seine Lippen, die hauchzart ihre Schläfe streiften. Von Leidenschaft übermannt schloss Rachael die Augen. »Das kannst du doch nicht machen, Rio. So stark bin ich nicht.«
»Ich kann nicht anders, Rachael.« Er zog sie an seine nackte Brust und legte sein Kinn auf ihr Haar. »Wenn ich so nah bei dir bin, wissen Körper und Herz ganz genau, dass du mir gehörst. Ich glaube, mein Verstand setzt dann einfach aus.«
Rachael schlang die Arme um seinen Nacken und dachte sich, dass es ihr wohl ähnlich erging. »Ich schätze, das ist eine gute Entschuldigung. Die nehm ich auch.« Damit hob sie angriffslustig den Mund und knabberte so lange an seiner Unterlippe, bis er den Mund öffnete. Ihre Zunge traf seine, tanzte mit ihr, umkreiste, lockte und streichelte. Die Übereinstimmung war perfekt.
Die Welt um Rachael versank, sie spürte nur noch seinen seidenweichen, heißen Mund, die Stärke seiner Arme und seine nackte Brust, die sich an sie presste. Sie vergrub die Hände in seinem Haar und hielt seinen Kopf fest, damit er ihn nicht zurückziehen konnte. Dann genossen sie einander, Kuss um Kuss, so begierig, dass sie nicht mehr aufhören konnten.
Da jaulte Franz. Nur ein einziges Mal, doch das genügte. Abrupt versteifte sich Rios ganzer Körper, er hob den Kopf und lauschte den Geräuschen draußen. Dann fluchte er leise, legte seine Stirn an Rachaels und holte tief Luft, um seine Beherrschung zurückzugewinnen.
Rachael fasste ihm fester ins Haar. »Was ist los? Was gibt’s?« Ihr war egal, dass sie kaum Luft bekam. Sie wollte nicht, dass er aufhörte, sie zu küssen, nicht jetzt und überhaupt nie mehr. Im Innern war sie schon ganz aufgelöst, und nun sehnte sie sich nach Erlösung.
»Horch! Hörst du sie? Die Vögel? Die Affen? Selbst die Insekten warnen uns.«
Rachael bemühte sich, ihr Herzklopfen und ihr Keuchen zu unterdrücken, um zu lauschen. Sie brauchte einige Minuten, ehe sie die verschiedenen Tierlaute unterscheiden konnte. Seltsamerweise hörte sie sogar einzelne Stimmen heraus, die offenbar Nachrichten austauschten. »Was hat das zu bedeuten?«
»Wir bekommen Besuch.«
»Von dem Leoparden?« Rachaels Mund wurde trocken. Rio war sehr ernst. Sie hörte wieder hin, diesmal noch genauer, und war selbst überrascht, dass sie einen Unterschied heraushörte. Die Vögel sangen, und die Insekten summten nun anders - in drängenderem Ton. Und die Affen kreischten einander etwas zu. Es brauchte einen Augenblick, bis sie begriff, dass damit auch Rio verständigt wurde. »Sie warnen dich tatsächlich.«
Rio platzierte Rachael in dem gut gepolsterten Sessel, der nun ein Stück von der Tür entfernt stand. »Ich tu ihnen den ein oder anderen Gefallen und sie mir. Es ist kein Leopard, sondern ein Mensch. Einer den sie kennen, er muss schon öfter hier gewesen sein.« Er hatte die Hände auf ihre Schultern gelegt und massierte ihr geistesabwesend den Nacken.
Rachael wollte das Hemd, das sie trug, zurechtziehen, und stellte dabei überrascht fest, dass alle Knöpfe offen standen. Sie war schon genauso schamlos wie Rio. Sie gestattete es sich, den Kopf gegen die Sessellehne sinken zu lassen. Dann bog sie den Rücken durch und räkelte sich wie eine träge Katze, um den zunehmenden inneren Druck ein wenig zu lindern. Sie erschauerte in der kühlen Morgenluft. Rachael schaute auf ihre Arme hinab und hatte für einen kurzen Moment den Eindruck, dass die Haut sich kaum merklich anhob und sich unter ihr etwas regte. Doch dann war der Moment auch schon wieder vorüber, und sie fragte sich, ob sie etwa so nach einem Mann lechzte, dass sie schon Halluzinationen hatte.
»Rachael, woher wusste deine Mutter von den Leopardenmenschen und diesem Ort?« Widerstrebend nahm Rio die Hände von ihren Schultern, ging zum Fenster und schob den Vorhang beiseite, um hinauszuspähen.
»Keine Ahnung. Für mich waren das einfach nur Geschichten. Ich kann nicht einmal sagen, ob ich mich richtig erinnere, Rio. Vielleicht habe ich die Lücken in den Geschichten selbst ausgeschmückt. Ist das denn wichtig? Glaubst du wirklich, dass es solche Sachen geben könnte? Bei Tageslicht betrachtet kommt es einem reichlich dumm vor zu glauben, dass ein Mann gleichzeitig Tier und Mensch sein könnte. Oder von mir aus auch eine Mischung von beidem. Wie soll das aussehen? Sind dann Kopf und Oberkörper menschlich und alle restlichen Teile von einem Leoparden?« Sie konnte ihn nicht anschauen, ohne sich einzubilden, einer gefährlichen Wildkatze gegenüberzustehen. Oder sich daran zu erinnern, wie sein Gesicht sich von dem eines menschlichen Kriegers in das eines wilden Tieres verwandelt hatte.
»Du hältst das für dumm? Hier im Wald ist alles möglich. Wenn du wirklich hier leben willst, musst du für alles aufgeschlossen sein.« Er stand mit dem Rücken zu ihr und fragte sich, wie er es schaffen sollte, sie gehen zu lassen.
Ein leiser Doppeltriller, ganz wie der eines Singvogels erreichte seine Ohren. Er wandte sich um. »Rachael, Kim Pang nähert sich dem Haus.«
»Das ist nicht möglich, er war am anderen Ufer. Der Fluss führte bereits Hochwasser, und bei all dem Sturm und Regen kann er noch nicht wieder abgeschwollen sein.« Mit einem Schlag lag ihre Welt wieder in Trümmern, und alles fing von vorn an. Das Weglaufen. Die Lügen. Rachael wandte den Kopf ab, damit Rio nicht sah, dass in ihren Augen Tränen brannten. Sie hatte doch gewusst, der Tag würde kommen. Es machte sie wütend, dass sie diese Tatsache nie hatte akzeptieren wollen, sich immer weiter vorgemacht hatte, sie würde ein neues Zuhause finden.
»Kim schafft es genauso über den Fluss wie ich auch.« Rio suchte nach den richtigen Worten. »Außerhalb meines Teams ist er wohl der beste Freund, den ich habe.«
Rachael zuckte die Schultern. »Ist mir egal. Gib mir nur etwas Zeit, mich anzuziehen und zu verschwinden. Fang ihn ab, bevor er kommt.«
Da regte sich etwas in ihm, etwas Gefährliches. »Nein, Rachael. Mit dem Bein kannst du nicht weg. Wenn du mit diesen Bisswunden im Dschungel herumläufst, ziehst du dir umgehend eine neue Entzündung zu. Bleib einfach hier sitzen und überlass alles mir.«
Rios Augen hatten sich verengt und den glasigen, unverwandten Blick angenommen, den Rachael von Raubtieren kannte. Sein Tonfall klang wie ein unterdrücktes Knurren, ein Schauer jagte ihr über den Rücken, und ihre Nackenhaare sträubten sich. Rachael wandte den Kopf ab und biss sich fest auf die Lippen, um ihn nicht anzufahren. Sie war gut darin, selbst unter den schlimmsten Bedingungen noch eine heitere Miene aufzusetzen, doch ihre spitze Zunge hatte sie weniger gut unter Kontrolle. Dass er ihre Probleme löste, wollte und brauchte sie nicht. Die Menschen, die in ihr Leben traten, neigten alle dazu, vor der Zeit zu sterben. Und sie wollte keinesfalls schuld an einem weiteren Todesfall sein, nein danke. In ihr brodelte eine Mischung aus Wut und Angst, und mit der Wunde am Bein fühlte sie sich verletzlich und hilflos.
Die Intensität ihrer Gefühle überraschte sie. Ihre Finger verbogen sich wie von selbst zu Krallen, so als ob sie irgendetwas zerkratzen und zerfetzen wollte. Oder aber irgendjemanden. Sie konnte sich kaum beherrschen; eine erschreckende Feststellung, auf die sie nicht sonderlich stolz war. Was geschah nur mit ihr? Manchmal, wenn sie mit pochendem Bein in ihrem Bett lag, regte sich in ihr ein hitziges Verlangen, das sie ihrer Bewunderung für Rios Körperbau zuschrieb.
Rachael fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Sie hatte immer einen normalen, gesunden Sextrieb gehabt, doch seit sie Rio kannte, hatte sich trotz ihrer schrecklichen Verletzung eine Begierde in ihren Körper geschlichen, eine allgegenwärtige, unablässige Sehnsucht, die einfach nicht mehr weggehen wollte. Sie schämte sich, dass sie diesen Drang inmitten von Schmerz und Todeskampf einfach nicht kontrollieren konnte. Und noch schlimmer waren diese fürchterlichen jähen Stimmungsschwankungen, bei denen sie Rio abwechselnd schlagen und ihm die Kleider vom Leib reißen wollte.
»Rachael? Wo bist du?«
»Immer noch da.«
»Ich werde Kim Bescheid sagen, dass er herein kann.«
»Was soll das heißen?«
»Er ist ein Einheimischer, Rachael. Er weiß, dass ich bei den Banditen auf der Abschussliste stehe. Er hat mir sein Kommen angekündigt und wartet nun darauf, dass ich ihm das Okay gebe. Dann kommt er.«
»Muss das sein?«
»Wenn ich mich nicht melde, wird er kampfbereit nach dem Rechten sehen. Ich habe dir ja gesagt, dass er mein Freund ist.«
»Falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte, ich brauche etwas zum Anziehen. Ich möchte nicht bloß mit einem Oberteil bekleidet vor deinem Freund sitzen.« Hastig knöpfte Rachael sich das Hemd zu, um ihre üppige Brust zu verbergen.
Rio ging nicht auf ihren streitsüchtigen Ton ein. Er nahm einfach die Decke vom Bett und legte sie um Rachaels Beine. »Kims Vater ist Medizinmann und versteht sehr viel von Kräutern. Er hat mir einiges beigebracht, aber Kim weiß noch viel mehr als ich. Vielleicht kann er dir und Fritz helfen.«
Als Rachael nicht aufsah, hockte Rio sich neben sie. »Rachael, schau mich an.« Da sie nicht reagierte, legte er ihr die Hand unters Kinn und hob ihren Kopf. Das Letzte, was er zu sehen erwartet hatte, war das glühende Feuer, das in ihren dunklen Augen funkelte. Das nackte Verlangen, das aus ihrem Blick sprach, ließ ihn aufstöhnen. Er legte seine Stirn an ihre. »Tu das nicht. Wirklich, Rachael. Wenn du mich so ansiehst, weiß ich nicht mehr, was ich machen soll.«
Ohne Not hatte sie den verrückten Impuls, sich wie eine Katze zu winden und an Rio zu reiben. Eine Hitzewelle, die ihr Selbstvertrauen vollends erschütterte, jagte durch sie hindurch. »Glaubst du etwa, ich würde mich derart lächerlich machen, wenn ich etwas dagegen tun könnte?« Gerade war ihr allerdings eher danach zumute, ihm die Augen auszukratzen. Auch diesen Sinneswandel ließ sie ihn merken.
Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Die Atmosphäre zwischen ihnen war so elektrisch aufgeladen, dass er glaubte, es müssten Funken sprühen, wenn er sie anfasste. Doch sie schaute ihn so herausfordernd an, dass er nicht widerstehen konnte. Rio fasste sie am Hinterkopf und zog ihren Mund an seinen. Ohne jede Gegenwehr verschmolz sie augenblicklich mit ihm. Heiß. Erregt. Gierig. Sie stahl sich in sein Innerstes, packte einfach sein Herz und raubte es ihm. Verschlang ihn mit Haut und Haaren, so wie er es mit ihr tat.
Nur weil sie zwischendurch Luft schnappen mussten, fand Rio die Kraft, den Kopf zu heben. Rachael barg ihr Gesicht an seinem Hals. »Diesmal war ich schuld.« Sie küsste ihn in den Nacken, und er schloss die Augen, denn ihr zärtlicher Mund jagte glühende Lava durch seine Adern. Er musste einen Weg finden, weiterzuatmen. Doch er bezweifelte, dass Luft allein sein Hirn wieder in Gang setzen konnte.
Der leise Doppeltriller kam jetzt ganz aus der Nähe. »Ich hatte Kim völlig vergessen, Rachael.« Er rieb sein Gesicht an ihrem dichten Lockenschopf.
»Du kannst erstaunlich gut küssen.«
Rio konnte ein verlegenes Grinsen nicht vermeiden. »Nicht wahr? Ich bin selbst überrascht.« Sein Lächeln verschwand, und er fasste sie abermals am Kinn. »Ich gebe dich nicht auf, und ich verrate dich nicht, Rachael. Ich kenne Kim. Er wird dein Leben nicht in Gefahr bringen, unter gar keinen Umständen.«
»Auch nicht, wenn ihm genug Geld geboten wird, Rio? Fast jeder hat seinen Preis.«
»Kim lebt sehr bescheiden, aber was noch viel wichtiger ist, er lebt nach einem Ehrenkodex.«
Rachael nickte nur. Viel mehr blieb ihr ja nicht übrig. Er hatte ja Recht, mit einem zerfetzten Bein konnte sie nicht weglaufen. »Na, dann gib ihm das Okay.«
Ohne sie aus den Augen zu lassen, gab Rio das Zeichen, ein melodisches Trillern, das sich fast genauso anhörte wie das Lied der Vögel rund ums Haus. Sie strich ihm das widerspenstige, zerzauste Haar hinters Ohr, ließ ihren Finger an seinem Kinn entlangfahren und über seine Lippen streichen. »Ich habe Angst.«
»Ich weiß. Ich höre dein Herz klopfen.« Er umfasste ihr Handgelenk und fühlte mit dem Daumen den Puls. »Du brauchst keine Angst zu haben.«
»Er wird einen Haufen Geld bezahlen, um mich zurückzubekommen.«
»Dein Mann?«
Rachael schüttelte den Kopf. »Mein Bruder.«
Mit einer jähen Bewegung legte Rio die Hand auf die Brust, als hätte sie ihm ein Messer ins Herz gestoßen. Fast gleichzeitig setzte er eine undurchdringliche Miene auf. Er atmete tief ein und aus. Sein Blick war wachsam und misstrauisch geworden. »Dein Bruder.«
»Du brauchst mir nicht zu glauben.« Rachael machte sich von ihm frei, ließ sich in den Sessel sinken und zog die Decke enger um sich. Trotz des Windes war die Luftfeuchtigkeit hoch. Da, wo Rio den Vorhang beiseitegezogen hatte, konnte sie den dichten Nebel in den Blättern und Schlingpflanzen vor dem Haus sehen. »Ich hätte es dir nicht sagen sollen.«
»Warum sollte dein Bruder dich umbringen wollen, Rachael.«
»Das wird langsam langweilig. So etwas kommt eben vor, Rio. Vielleicht nicht in deiner Welt, aber in meiner ganz sicher.«
Rio musterte ihr abgewandtes Gesicht und versuchte, die Maske, die sie aufgesetzt hatte, zu durchdringen und ihre Gedanken zu lesen. Im Kopf ging er verschiedene Möglichkeiten durch. Hatte sie sein Haus durch Zufall gefunden oder war sie etwa doch geschickt worden, um ihn zu töten? Dazu hätte sie schon mehrfach Gelegenheiten gehabt. Schließlich hatte er ihr eine Pistole gegeben. Die immer noch unter ihrem Kopfkissen lag. Vielleicht hatte sie den Auftrag nur bislang nicht erledigt, weil sie ihn brauchte, solange ihr Bein noch nicht verheilt war.
Rio richtete sich langsam auf und ging hinüber zu dem Waffenarsenal an der Wand. Ein Messer schnallte er sich ans Bein und versteckte es unter der Hose, ein zweites kam zwischen die Schulterblätter. Dann zog er ein Hemd über und steckte eine Pistole in den Hosenbund.
»Erwartest du Ärger? Ich dachte, Kim Pang wäre dein Freund?«
»Man sollte immer vorbereitet sein. Ich mag keine Überraschungen.«
»Das ist mir bereits aufgefallen«, erwiderte Rachael trocken, seine rüde Reaktion auf ihr Geständnis machte sie wütend. Es war, als hätte er ihr ins Gesicht geschlagen. Da vertraute sie ihm etwas an, was sie noch keiner Menschenseele verraten hatte, und er glaubte ihr einfach nicht. Sie merkte das daran, wie er sofort eingeschnappt war.
Rio hockte sich neben die verwundete Katze und untersuchte den Nebelparder mit so unglaublich sanften Händen, dass ihr das Herz aufging. Sein Kopf war Fritz zugeneigt, und sein Gesicht hatte einen fast zärtlichen Ausdruck, als er leise mit dem kleinen Leoparden sprach. Plötzlich sah sie ihn vor sich, wie er sein Kind im Arm hielt und es liebevoll ansah, den Daumen in der winzigen Hand des Babys. Plötzlich hob er den Kopf, schaute sie an und lächelte.
Wenn es physikalisch möglich wäre, tatsächlich auf der Stelle dahinzuschmelzen, hätte Rachael es wohl getan. Rio hob eine Augenbraue. »Was? Warum schaust du mich so an?«
»Ich versuche herauszufinden, was du eigentlich an dir hast«, antwortete sie wahrheitsgemäß. Er hatte kein liebes Jungengesicht. Seine Züge waren hart und kantig. Und die Augen konnten eiskalt sein, sogar furchterregend, doch manchmal bekam Rachael kaum Luft, wenn sie ihn ansah, so sehr begehrte sie ihn.
Rios Hand hielt mitten im Streicheln des kleinen Leoparden inne. Ein einziger kleiner Satz von ihr genügte, um ihn aus dem Gleichgewicht bringen. Es war erschreckend, wie viel Macht sie bereits über ihn hatte, insbesondere da er schon vor langer Zeit beschlossen hatte, allein zu bleiben. Er wollte im Regenwald leben. Dahin gehörte er, die Gesetze des Dschungels verstand und achtete er. Rio musterte Rachael, die geheimnisvolle Frau mit dem lächerlichen falschen Namen.
Die Bestie in ihm erhob das Haupt, und Rio kam die unbändige Leidenschaft gerade recht. Er wollte diesen Ausdruck in Rachaels Gesicht nicht sehen, wie sie ihn eingehend betrachtete, mit einer Mischung von Gefühlen, sehr weiblich und gleichzeitig verstört, und mit einer Zärtlichkeit, die er nicht zulassen konnte. »Hier im Regenwald sind die Regeln anders, Rachael. Sei bloß vorsichtig.«
Doch wie immer überrumpelte sie ihn, und ihr Lachen zerrte an seinen Nerven und seinem Herzen. »Falls du mir Angst machen möchtest, Rio, muss ich dir leider sagen, dass du mir nichts antun kannst, was ich nicht schon erlebt hätte. Ich bin nicht leicht zu schockieren oder einzuschüchtern. Seit dem Tag, an dem meine Mutter starb, seit ich neun bin, weiß ich, dass die Welt kein sicherer Ort ist und dass es böse Menschen in ihr gibt.« Sie machte eine herablassende Handbewegung, so als wäre sie eine Prinzessin, die mit einem Untergebenen sprach. »Spar dir deine Einschüchterungsmethoden für Kim Pang oder die, die du sonst noch beeindrucken möchtest.«
Rio gab dem kleinen Leoparden einen letzten Klaps, kraulte noch kurz Franz die Ohren, richtete sich dann zu seiner vollen Größe auf und füllte den Raum mit seiner außerordentlichen Gegenwart. Er sah barbarisch aus, wirkte völlig ungezähmt und in der Wildnis ganz zu Hause. Wenn er sich bewegte, geschah es mit so vollendeter Grazie, wie Rachael es bislang nur bei Raubtieren gesehen hatte. Und wenn er sich nicht bewegte, regte sich an ihm kein einziger Muskel. Es war furchterregend, doch das hätte Rachael nie zugegeben.
»Du wärst überrascht, was ich alles tun kann.« Er sagte das ganz ruhig, mit einem leisen, unterdrückten Drohen in der Stimme.
Rachaels Herz setzte einen Schlag aus, doch sie ließ sich nichts anmerken, hob nur eine Braue, eine Geste, die sie perfekt einstudiert hatte. »Weißt du, was ich glaube, Rio? Ich glaube, du hast Angst vor mir. Ich glaube, du weißt nicht so richtig, was du mit mir anfangen sollst.«
»Oh, ich weiß schon, was ich mit dir anfangen möchte.« Jetzt klang seine Stimme barsch.
»Was habe ich denn falsch gemacht?«
Rio stand vor ihr und fühlte sich, als hätte man ihm einen gewaltigen Schlag versetzt. Diese Tür hatte er schon vor langer Zeit geschlossen, tief verletzt und mit blutendem Herzen, und er würde sie für nichts und niemanden jemals wieder öffnen. Er konnte nicht glauben, dass sie ihn immer noch derart erschütterte, diese gelegentliche Erinnerung an eine Vergangenheit, an die er nicht mehr denken wollte. Genauso wenig wie an jenes andere Leben. Jene andere Person.
Rachael sah, wie seine Hände sich zu Fäusten ballten, das einzige Anzeichen dafür, wie aufgebracht er war. Ohne es zu wollen, hatte sie einen Nerv getroffen, und sie wusste nicht, womit. Sie zuckte die Achseln. »Ich habe meine Vergangenheit und du hast deine, und beide wollen wir ein anderes Leben. Also vergessen wir’s, ja? Du musst mir nichts erklären, Rio. Ich mag dich so, wie du bist.«
»Ist das deine Art, mir vorsichtig zu verstehen zu geben, dass ich mich aus deinen Angelegenheiten heraushalten soll?«
Rachael zog an dem Haar in ihrem Nacken, offenbar war sie es gewohnt, es wesentlich länger zu tragen. »Ich sagte, vergessen wir’s. Und nein, ich möchte nicht, dass du in meiner Vergangenheit herumschnüffelst. Ich hätte den Mund halten sollen.« Wider Willen lächelte sie ihn an. Dinge auszusprechen, die besser ungesagt blieben, war sonst gar nicht ihre Art. Sie hätte ihn nicht anblaffen dürfen, nur weil er sein Leben nicht vor ihr ausbreiten wollte. Wahrscheinlich suchte er ja im Regenwald deshalb Zuflucht, weil er etwas Schlimmes erlebt hatte. Dabei hätte sie ihm am liebsten alles erzählt. »Entschuldige, dass ich dir zu nahegetreten bin, Rio. Es wird nicht wieder vorkommen.«
»Verdammt, Rachael. Wie schaffst du das bloß?« Erst machte sie ihn wütend, und im nächsten Moment entwaffnete sie ihn komplett. »Und nebenbei, wie kommt es eigentlich, dass die Moskitos dich in Ruhe lassen? Ich benutze das Netz nur, weil mich ihr Umherschwirren stört, aber du müsstest eigentlich ganz zerstochen sein.«
»Die Moskitos finden mich nicht halb so attraktiv wie du. Mir war schon aufgefallen, dass alle anderen aus unserer Gruppe sich ständig mit Insektenschutzmittel einreiben mussten. Ich schätze, ich schmecke den Moskitos nicht. Wundert es dich, dass sie mich nicht behelligen?«
Rio nickte. »Das ist ein seltenes Phänomen. Die Moskitos lassen nur Einheimische in Ruhe. Deine Mutter kannte also die Geschichte von den Leopardenmenschen. Bist du etwa hier geboren? Stammt deine Mutter von hier?«
Rachael lachte wieder. »Ich dachte, wir hätten uns gerade darauf geeinigt, dass wir uns nicht gegenseitig aushorchen, und kaum drei Sekunden später löcherst du mich mit Fragen. Allmählich beschleicht mich der Verdacht, du misst mit zweierlei Maß, Rio.«
Ein nachdenkliches Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »Das könnte sein. So habe ich es noch nie gesehen.«
»Und ich hab die ganze Zeit gedacht, du wärst ein moderner, feinfühliger Mann«, scherzte Rachael.
Franz sprang knurrend auf die Füße. Gleichzeitig war Rio mit einem Satz neben der Tür in Position, wieder auf diese eigentlich unmögliche Art, mit der er große Entfernungen überbrückte. Mit einer Handbewegung bedeutete er der Katze, still zu sein, zog die Pistole und wartete ruhig.