1
 
 
Der sanfte, warme Wind trug die Botschaft durch die üppige Vegetation des Regenwalds, bis hoch hinauf in das dichte Blätterdach, das die Geheimnisse des Dschungels hütete. Direkt unterhalb der Baumkronen, außer Reichweite der meisten anderen Tiere, bauten wilde Honigbienen an ihren Waben. Hörten sie den Wind auch wispern, so achteten sie nicht auf das, was er erzählte und arbeiteten emsig weiter. Doch die unzähligen Vögel, Papageien in bunt schillerndem Gefieder, Schildschnäbel und Falken griffen die Kunde auf und verbreiteten sie auf raschen Schwingen freudekreischend im ganzen Wald. Das wiederum drang durch den Lärm der langschwänzigen Makaken, Gibbons und blätterkauenden Affen an deren Ohr. Schnatternd vor Aufregung hüpften sie ausgelassen von Ast zu Ast. Nur die Orang-Utans, die auf der Suche nach reifen Früchten und essbaren Blättern und Blumen bedächtig umherstreiften, bewahrten in all dem Aufruhr die Ruhe. Es dauerte nicht lang, bis die Nachricht die Runde gemacht hatte, denn hier im Wald hatte man kaum Geheimnisse voreinander, und auf diesen Augenblick hatten sie alle gespannt gewartet.
Die Neuigkeit erreichte ihn, lange bevor er ihren Geruch wittern konnte. Brandt Talbot kauerte sich in das Dickicht, den ganzen Körper in so angespannter Erwartung dass ihm plötzlich das Atmen schwerfiel. Endlich war sie da. Auf seinem Territorium. In seiner Reichweite. Fast wäre es ihm nicht gelungen, sie aufzuspüren, doch nun wurde seine ausdauernde Jagd belohnt. Er hatte einen Köder ausgelegt, um sie in sein Reich zu locken, und sie hatte angebissen. Sie war so nah, dass er sich eisern beherrschen musste, sich nicht zu rasch zu bewegen und sich so zu verraten. Er durfte sie nicht verschrecken, sonst merkte sie womöglich, dass das Netz sich um sie zusammenzog. Hauptsache, es gab kein Entkommen mehr, sobald sie ins Zentrum seines Reviers gebracht wurde, musste jeder Fluchtweg abgeschnitten sein.
Er hatte sein Vorgehen über Jahre geplant, dazu hatte er schließlich reichlich Zeit gehabt. Während er die ganze Welt nach ihr absuchte und sich dabei auf jeden einzelnen Hinweis stürzte wie auf eine Beute. Als er sicher war, die richtige Frau gefunden zu haben, die eine Frau, hatte er seinen Plan umgesetzt und sie mit Hilfe seines Anwalts in den Regenwald gelockt, in sein Revier.
Geschmeidig schlich er durch die dichte Flora, schnell, aber lautlos, und sprang auf seinem Weg zum äußeren Rand des Dschungels mühelos über die umgestürzten Bäume. In der Nähe grunzte ein Nashorn. Das Wild ergriff ängstlich die Flucht, als es ihn witterte. Kam er näher, so liefen die kleineren Tiere hastig vor ihm fort und die Vögel verstummten. Die Affen zogen sich in die oberen Bereiche des Blätterdachs zurück, doch auch sie verhielten sich ruhig, solange er unter ihnen vorbeilief, sie wagten es nicht, seinen Zorn zu erregen.
Der Wald war sein Reich, und er demonstrierte seine Macht nur selten, doch dass in diesem Fall keine Einmischung geduldet wurde, war jedem seiner Bewohner klar. Ohne seine ständige Wachsamkeit und seine unablässige Fürsorge war ihre Welt verloren. Er wachte über sie und bot ihnen Schutz, wofür er kaum eine Gegenleistung forderte. Aber nun verlangte er absoluten Gehorsam. Wer es wagte, sich ihm zu widersetzen, würde einen schnellen, lautlosen Tod sterben.
 
Von dem Augenblick an, in dem Maggie Odessa den ersten Fuß in den Dschungel setzte, sollte alles anders sein. Sie war anders. Sie spürte es genau. Während die Hitze an der Küste drückend, ja erstickend gewesen war, schien die gleiche Hitze im Wald sie in eine seltsam duftende Welt voller verschiedener Gerüche einzuhüllen. Mit jedem Schritt, den sie tiefer in den Dschungel eindrang, wurde ihre Wahrnehmung schärfer. Aufmerksamer. Als ob sie aus einem Traum erwachte. Sie war viel hellhöriger, konnte verschiedenste Insektenlaute unterscheiden, das Trillern von Vögeln und das Kreischen der Affen. Selbst das Wispern des Windes in den Zweigen und das Rascheln der kleineren Tiere in den Blättern hoch oben entgingen ihr nicht.
Als Maggie zum ersten Mal von ihrer Erbschaft erfahren hatte, wollte sie das Haus zunächst verkaufen, ohne es sich überhaupt anzusehen - aus Respekt vor ihrer Adoptivmutter. Jayne Odessa hatte Maggie das Versprechen abgenommen, den Regenwald niemals aufzusuchen. Schon allein die Vorstellung ängstigte Jayne derart, dass sie Maggie mehrfach gebeten hatte, sich dieser Gefahr nie auszusetzen. Maggie liebte ihre Adoptivmutter sehr und wollte sie nicht enttäuschen, doch nach Jaynes Tod hatte sich ein Rechtsanwalt bei ihr gemeldet und ihr eröffnet, dass ihre leiblichen Eltern wohlhabend gewesen waren - Naturforscher, die gewaltsam zu Tode gekommen waren, als Maggie noch klein war - und dass sie ihr ein Haus tief im Regenwald von Borneo hinterlassen hatten. Diese Versuchung war zu groß, um ihr zu widerstehen. Trotz der Versprechen, die Maggie ihrer Adoptivmutter gegeben hatte, war sie um die halbe Welt gereist, um mehr über ihre Vergangenheit zu erfahren.
Nach der Landung auf einem kleinen Flughafen hatte sie sich mit den drei Männern getroffen, die der Rechtsanwalt geschickt hatte, um sie in Empfang zu nehmen. Zusammen waren sie eine Stunde lang mit einem allradgetriebenen Geländewagen auf der Hauptverkehrsstraße geblieben, dann abgebogen und einer Reihe von unbefestigten Wegen tiefer in den Wald gefolgt. Maggie kam es so vor, als wären sie dabei über jedes einzelne Schlagloch und jede Fahrspur gerumpelt. Am Ende hatten sie das Auto abgestellt, weil es angeblich nur noch zu Fuß weiterging, eine Vorstellung, die Maggie nicht sonderlich behagte. Da es sehr schwül war, knotete sie ihre Khakibluse um den Rucksack, ehe sie ihren Führern tiefer in den Wald folgte.
Die Männer wirkten ausgesprochen kräftig und schienen auf alles bestens vorbereitet zu sein. Sie waren gut gebaut, verloren kein Wort während des gesamten Marsches, und waren stets auf der Hut. Anfangs war Maggie ziemlich nervös, doch das änderte sich völlig, sobald sie tiefer in den Dschungel gelangten: Sie hatte das Gefühl, nach Hause zu kommen.
Während sie ihren Führern auf dem gewundenen Pfad in das dämmrige Waldinnere folgte, nahm sie ganz bewusst jede Bewegung ihres Körpers wahr. Das Zusammenspiel ihrer Muskeln, die Geschmeidigkeit und Leichtigkeit bei jedem Schritt, fast im Rhythmus. Kein Stolpern, kein unnötiges Geräusch. Ihre Füße schienen auf dem unebenen Boden wie von allein Halt zu finden.
Maggie fühlte sich plötzlich ganz als Frau. Kleine Schweißperlen rannen in das Tal zwischen ihren Brüsten und ließen das T-Shirt feucht auf ihrer Haut kleben. Ihr auffallend langes, dichtes Haar lag schwer und heiß auf Nacken und Rücken, und als sie es anhob wirkte diese simple Bewegung mit einem Mal äußerst sinnlich. Dabei wölbten sich ihre Brüste und die Brustspitzen drückten sich sanft in das dünne Baumwollshirt. Gekonnt drehte Maggie sich das Haar zu einem dicken Zopf, den sie mit einer edelsteingekrönten Nadel am Kopf feststeckte.
Eigenartig, dass sie sich in der Hitze des Urwalds plötzlich so ihres Körpers bewusst wurde. Die Art, wie sie ging, wie sie sich in den Hüften wiegte, war beinahe einladend, so als wüsste sie, dass ihr jemand zusah, jemand, den sie reizen wollte. Sie hatte nie gern geflirtet oder kokettiert, doch nun konnte sie der Versuchung kaum widerstehen. Als wäre sie hier, an diesem düsteren, mit Ranken und Blättern und allen nur vorstellbaren Pflanzen überwucherten Ort, erst zum Leben erwacht.
Die kleinen Bäume wetteiferten mit den größeren um das Sonnenlicht. Sie waren von Lianen und Schlingpflanzen in verschiedensten Grüntönen überwuchert. Wilde Orchideen hingen über ihrem Kopf und manche Rhododendren waren hoch wie Bäume. Pflanzen wuchsen in voller Blüte auf den Baumstämmen und reckten sich nach dem Sonnenlicht, das einen Weg durch das dichte Blätterdach fand. Farbenprächtige Loris und andere Vögel schwirrten umher. Das aufreizende Sirren von Insekten erfüllte den Wald mit lautem Summen. Die Luft war schwer vom betörenden Duft der Blumen. Und Maggie wusste, dass sie hierhergehörte, in diese exotische wie erotische Umgebung.
Mit einem leisen Seufzer legte sie den Kopf in den Nacken und wischte sich den Schweiß vom Hals. Ihr Unterleib fühlte sich mit jedem Schritt schwerer an, in Aufruhr versetzt. Voller Verlangen. Ihre Brüste waren angeschwollen und spannten. Ihre Hände bebten. Sie war so seltsam erregt, das Leben pulsierte in ihren Adern. Es war wie ein Erwachen.
Da erst fiel Maggie auf, dass die Männer sie beobachteten. Ihre brennenden Blicke, die jeder ihrer Bewegungen folgten: Wie sie ihre Hüften schwang, und wie sich ihre wogenden Brüste im Auf und Ab unter dem T-Shirt abzeichneten, während sie den engen Pfad entlanggingen. Normalerweise wäre ihr diese Art der Aufmerksamkeit peinlich gewesen, doch nun fühlte sie sich übermütig, fast wie eine Exhibitionistin.
Als sie sich ihrer Gefühle bewusst wurde, war Maggie schockiert. Sie war geradezu erregt. Dabei hatte sie sich immer für so etwas wie asexuell gehalten. Nie war sie an Männern besonders interessiert gewesen, wie etwa ihre Freundinnen, nie hatte sie sich ernsthaft angezogen gefühlt. Und nachgelaufen waren ihr die Männer auch nicht gerade. Aber mit einem Mal war sie sich nicht nur ihrer eigenen Sexualität sehr bewusst, sondern genoss es sogar, wie aufreizend sie wirkte. Diese Gefühle waren ganz neu und brachten sie zum Grübeln. Irgendetwas schien nicht zu stimmen. Ihre Erregung hatte nichts mit den Männern in ihrer Begleitung zu tun, sondern schien tief aus ihrem Innern zu kommen, aus einer ihr rätselhaften Quelle.
Maggie marschierte weiter, sie fühlte die bewundernden Blicke der Männer auf ihrem Körper ruhen, bekam mit, wie deren Atem immer schwerer wurde, je tiefer sie in den dunklen Wald eindrangen. Der Dschungel schien sich gleich hinter ihnen wieder zu schließen, Schlingpflanzen und Sträucher wucherten über den Weg, sobald sie ihn passiert hatten. Ein Wind kam auf, so stürmisch, dass er Laub und Zweige abriss. Blütenblätter, Ranken und sogar ein paar kleinere Äste fielen und bedeckten den Boden, so dass es aussah, als sei schon seit undenkbarer Zeit niemand mehr vorbeigekommen.
Maggie sah alles viel deutlicher, entdeckte kleinste Bewegungen, die sie sonst nie wahrgenommen hätte. Es war so aufregend. Selbst ihr Geruchssinn schien feiner zu werden. Sie versuchte, nicht auf jene wunderschönen weißen Pflanzen zu treten, die sich wohl überall entlangrankten. Sie sonderten einen stechenden Geruch ab. »Was ist das da am Boden?«, fragte sie neugierig.
»Eine Art Pilz«, erwiderte einer der Männer knapp. Er hatte sich nur kurz als Conner vorgestellt. »Die Insekten sind ganz wild darauf. Sie verbreiten ihre Sporen in alle Himmelsrichtungen.« Er räusperte sich, schaute zu den anderen Männern und dann wieder zu Maggie hinüber. »Was machen Sie in der Stadt, Miss?«
Maggie war überrascht, dass er sie überhaupt etwas fragte. Bislang hatte keiner der Männer Interesse an einer Unterhaltung gezeigt. »Ich bin Tierärztin, spezialisiert auf exotische Tiere, insbesondere Katzen.«
Maggie hatte sich schon immer von der Wildnis angezogen gefühlt, hatte alles gelesen und studiert, was immer ihr über den Regenwald und seine Flora und Fauna zwischen die Finger kam. Sie hatte hart gearbeitet, um sich als Tierärztin auf exotische Arten zu spezialisieren und dabei gehofft, eines Tages im Urwald praktizieren zu können. Doch Jayne hatte nichts davon hören wollen und alles daran gesetzt, sie in ihrer Nähe zu behalten, so dass Maggie sich schließlich damit zufriedengegeben hatte, für den Zoo zu arbeiten. Dies hier war ihre große Chance, jene Welt kennenzulernen, nach der sie sich immer gesehnt hatte.
Schon als Kind hatte sie vom Regenwald geträumt. Nie hatte sie wie andere kleine Mädchen mit Puppen gespielt, nur mit Plastiktieren: mit Löwen, Leoparden, Tigern - eben allen Großkatzen. Mit den echten Tieren fühlte sie sich irgendwie verbunden und sie spürte instinktiv, ob die Tiere Schmerzen hatten oder nur aufgebracht oder vielleicht traurig waren. Und die Katzen reagierten tatsächlich besonders auf sie, so dass sie schnell in dem Ruf stand, gut mit Raubkatzen umgehen zu können.
Die Männer wechselten einen schnellen Blick, den Maggie nicht deuten konnte. Aus irgendeinem Grund machte diese Reaktion sie nervös, doch da sie nun endlich einen Einstieg gefunden hatte, versuchte sie beharrlich, die Konversation fortzuführen. »Ich habe gelesen, dass es hier Nashörner und Elefanten gibt. Stimmt das?«
Derjenige, der sich Joshua nannte, nickte abrupt und nahm ihr wortlos den Rucksack ab, als hielte dessen Gewicht sie auf. Maggie blieb keine Gelegenheit zum Widerspruch, weil der Mann einfach weitermarschierte. Sie gingen jetzt schneller.
»Kennen Sie sich gut aus? Gibt es in der Nähe wirklich ein kleines Dorf, das bewohnt ist? Ich möchte nicht gern allein zurückbleiben, ohne dass mir jemand helfen kann, falls ich von einer Schlange oder etwas Ähnlichem gebissen werde.« War das ihre Stimme, die so kehlig und heiser klang? Das hörte sich gar nicht nach ihr an.
»Ja, Miss. Es gibt da ein Dorf und auch Vorräte«, erwiderte Conner knapp.
Maggie lief ein Schauer über den Rücken. Sie bemühte sich, ihre Stimme in den Griff zu bekommen, damit sie wieder nach ihr klang. »Es gibt doch sicher noch eine andere Möglichkeit, ins Dorf zu gelangen, als zu Fuß zu gehen, oder? Wie kommen denn die Vorräte dorthin?«
»Auf Maultieren. Und nein, um ihr Haus und das Dorf zu erreichen, muss man laufen.«
»Ist es im Wald immer so dunkel?«, bohrte Maggie weiter. Woran orientierten sich die Männer nur? Es gab so viele Bäume. Aus Eisen- und Sandelholz, Ebenholz und Teak. Lauter unterschiedliche Arten. Am äußeren Waldrand waren auch zahlreiche Obstbäume mit Mangos und Orangen zu sehen gewesen, dazu Kokosnusspalmen und Bananenstauden. Sie konnte die verschiedenen Sorten zwar auseinanderhalten, doch wie die Männer ihren Weg fanden, blieb ihr trotzdem schleierhaft. Wie in aller Welt konnten sie sagen, welche Richtung sie gerade einschlugen oder wie sie ihren Weg entsprechend zurückfänden? Maggie war fasziniert - und gleichzeitig ein bisschen eingeschüchtert.
»Das Sonnenlicht schafft es kaum durch die dicken Äste und Blätter«, lautete die Antwort. Niemand verlangsamte den Schritt, niemand sah sie auch nur an.
Maggie begriff, dass die Männer sich nicht unterhalten wollten. Sie waren zwar nicht unbedingt unhöflich, doch sie merkte, dass es ihnen unangenehm war, wenn man sie direkt ansprach. Sie zuckte gleichmütig die Achseln. Egal, sie brauchte keine Konversation. Stets war sie sich selbst genug gewesen, und im Wald gab es so viel Interessantes zu sehen. Sie erhaschte einen Blick auf eine Schlange, die fast so dick war wie der Arm eines kräftigen Mannes. Ein kleiner leuchtend bunter Farbtupfer auf einem Baum entpuppte sich als ein Frosch unbekannter Art. Und Unmengen von Eidechsen. Eigentlich hätte sie diese Art Kreaturen kaum zu entdecken vermocht, schließlich verschmolzen sie optisch fast mit ihrer Umgebung, doch aus irgendeinem Grund fielen sie ihr auf. Es war eben fast so, als verändere sie der Dschungel, indem er ihre Sinne schärfte: Sehen, Hören, und auch ihr Geruchssinn waren weitaus besser als sonst.
Urplötzlich schien der Urwald den Atem anzuhalten. Die Insekten stoppten ihr endloses Summen, die Vögel brachen ihre Gesänge ab. Selbst die Affen hörten auf zu zetern. Die Stille irritierte Maggie und ließ einen Schauer über ihren Rücken rieseln. Ein einzelner Warnruf erklang hoch oben im Blätterdach. Gefahr drohte, und zwar ihr, das begriff sie auf der Stelle. Ihre Nackenhaare sträubten sich, und sie schaute misstrauisch von einer Seite zur anderen, spähte unablässig in das dichte Grün, an dem sie vorüberging.
Ihre Anspannung musste sich auf ihre Führer übertragen haben. Sie rückten näher zusammen und einer ließ sich ganz zurückfallen, um sie von hinten zur Eile anzutreiben.
Maggie pochte das Herz immer schneller, ihr Mund wurde trocken. Sie spürte, wie sie zu zittern begann. Tief im Blattwerk lauerte etwas, etwas Gewaltiges, ein muskulöser Schatten im Dunkeln. Irgendetwas schlich neben ihnen her. Sie ahnte es mehr, als dass sie es wirklich sehen konnte. Es musste wohl eine riesige Raubkatze sein, die auf ihrer Fährte war, ohne einen Laut von sich zu geben. Sie fühlte, wie der konzentrierte Blick ihr folgte, das unverwandte Starren eines Jägers. Irgendetwas hatte sie ins Visier genommen. Etwas Wildes.
»Sind wir hier sicher?«, fragte sie leise, während sie näher an ihre Führer heranrückte.
»Natürlich sind wir sicher, Miss«, erwiderte der dritte Mann, ein großer Blonder mit dunklen Augen, die sie nachdenklich musterten. »Eine so große Gruppe wird nicht angegriffen.«
Doch so groß war die Gruppe gar nicht. Sie bestand aus nur vier Personen, die auf einem eigentlich nicht vorhandenen Weg mit unbekanntem Ziel unterwegs waren. Allzu sicher fühlte Maggie sich nicht. Den Namen des dritten Mannes hatte sie vergessen. Das störte sie mit einem Mal. Und zwar sehr. Was, wenn der Mann sich im Falle eines Angriffs schützend vor sie stellte, und sie kannte nicht einmal seinen Namen?
Maggie blickte hinter sich. Der Pfad war beim besten Willen nicht zu erkennen. Sie reckte das Kinn, als ein weiterer Schauer sie durchrieselte. Irgendetwas beobachtete sie und wartete nur auf den geeigneten Augenblick. Liefen sie etwa in einen Hinterhalt? Sie kannte keinen ihrer Führer. Sie hatte einem Anwalt vertraut, von dem sie kaum etwas wusste. Selbstverständlich hatte sie seine Legitimation überprüft, doch das hieß noch lange nichts. Am Ende hatte man sie reingelegt, und schließlich verschwanden täglich irgendwo Frauen.
»Miss Odessa?« Das kam von dem großen Blonden. »Machen Sie nicht so ein ängstliches Gesicht. Ihnen wird nichts geschehen.«
Maggie brachte ein unsicheres Lächeln zustande. Seine beruhigenden Worte nahmen ihr zwar nicht die Angst vor dem Unbekannten, doch sie war dankbar, dass er so aufmerksam war und es zumindest versucht hatte. »Danke. Der Wald wurde plötzlich so still, und da dachte ich, wir wären in …« Gefahr. Das Wort spukte in ihrem Kopf herum, doch sie wollte es nicht laut aussprechen und ihm Raum geben. Stattdessen passte sie ihre Schrittlänge der des Blonden an. »Bitte sagen Sie ruhig Maggie zu mir. Ich habe es nicht so mit Förmlichkeiten. Und wie heißen Sie?«
Der Mann zögerte und spähte seitlich ins Gebüsch. »Donovon, Miss … äh … Maggie. Drake Donovon.«
»Waren Sie schon oft im Dorf?«
»Ich wohne da«, gab er zu. »Wir alle leben dort.«
Eine Woge der Erleichterung überrollte Maggie, und ihre Anspannung ließ ein klein wenig nach. »Wie beruhigend! Ich dachte schon, ich hätte eine winzige Hütte mitten im Wald geerbt oder irgendein Baumhaus.« Sie lachte leise. Es klang heiser. Beinahe verführerisch.
Maggie kniff schockiert die Augen zusammen. Da war es wieder. Sonst redete sie nie so, doch nun klang sie schon zum zweiten Mal wie ein Vamp. Sie wollte nicht, dass Drake Donovon den Eindruck bekam, dass sie mit ihm flirtete. Was zum Teufel war in sie gefahren? Irgendetwas geschah mit ihr, etwas, das ihr ganz und gar nicht behagte. Sie wusste, dass etwas nicht stimmte, alles an ihr stimmte irgendwie nicht, doch anscheinend gehorchte ihr Körper einem ganz ursprünglichen Instinkt, einem drängenden Bedürfnis.
Brandt, der ihr in einigen Metern Entfernung durch das Dickicht folgte, ergötzte sich an ihrem Anblick. Die Frau war sogar noch schöner, als er erwartet hatte. Nicht sehr groß, aber das wusste er bereits. Sie hatte eine sinnliche Figur mit vollen Brüsten und Hüften, eine schmale Taille und kräftige Beine. Ihr dichtes, üppiges Haar glänzte wie rotgoldene Seide. Ihre Brauen waren rötlich, die Augen so grün wie die Blätter an den Bäumen. Die Lippen sündhaft verführerisch.
Es war drückend heiß, und Maggie schwitzte, ihr durchtränktes T-Shirt klebte V-förmig an ihrem hohen, festen Busen. Ein feuchter Strich zog sich über ihren Rücken und lenkte Brandts Aufmerksamkeit auf ihre Rückenlinie und die Rundung ihrer Hüften. Ihre Jeans saßen so tief, dass verlockend viel Fleisch zu sehen war und ein Bauchnabel, den er äußerst sexy fand. Er sehnte sich danach, sie auf der Stelle zu entführen, sie den anderen Männern zu entreißen und sie für sich zu beanspruchen. Sie zu finden hatte viel zu lange gedauert, nun stand das Han Vol Don kurz bevor. Das wusste er. Und die anderen wussten es auch. Sie versuchten, die Frau, die ihm gehörte, nicht anzusehen, doch sie war so natürlich sinnlich, so anziehend und faszinierend, dass die Männer den gleichen wilden Hunger verspürten wie er selbst. Brandt fühlte mit ihnen. Sie taten ihm einen Gefallen, trotzten der Gefahr, die ihre schwer zu bändigenden Gefühle für sie alle bedeuteten. Er war bei ihrer Ankunft hinter Wilderern her gewesen, und die Männer hatten sich an seiner statt aufgemacht, um Maggie abzuholen.
Der Regen setzte ein, ergoss sich in langen Schleiern durch das dichte Blattwerk über ihnen und trieb die Feuchtigkeit weiter nach oben. Der Schauer tauchte den Wald in schillernde Farben, brach das Licht in sämtliche Spektralfarben und krönte die grün berankten Bäume mit bunten Regenbögen. Die Frau, seine Gefährtin, Maggie Odessa, blickte erfreut auf. Statt zu meckern oder zu stöhnen hob sie in stummer Dankbarkeit die Arme und ließ das Wasser über ihr Gesicht rinnen. Sie wurde klatschnass. Die Regentropfen liefen ihr über Gesicht und Wimpern. Alles, woran Brandt denken konnte, war, dass er am liebsten jeden einzelnen Tropfen abgeleckt hätte. Ihre seidenweiche Haut unter dem lebensspendenden Wasser liebend gern geschmeckt hätte. Plötzlich war er durstig, seine Kehle wie ausgedörrt. Sein Körper fühlte sich schwer an und schmerzte, und ein merkwürdiges Rauschen machte sich in seinem Kopf bemerkbar.
Die plötzliche Sintflut hatte Maggies T-Shirt mit einem Schlag durchnässt und es beinahe durchsichtig werden lassen. Ihre üppigen, aufreizenden Brüste waren deutlich zu sehen, prall und verlockend, und ihre Nippel zeichneten sich dunkler ab, ragten einladend unter dem Stoff hervor. Die Schönheit ihres kaum verdeckten Körpers zog Brandt wie magnetisch an. Fesselte seinen Blick. Hypnotisierte ihn. Sein Mund wurde trocken, und sein Herz hämmerte wie wild.
Drake warf einen Blick auf Maggie und ließ seine Augen einen heißen, spannungsgeladenen Augenblick lang auf ihrem wogenden Busen ruhen.
Ein warnendes Knurren kam tief aus Brandts Kehle. Es war sehr leise, doch in der Stille des Waldes trug es meilenweit. Brandt gab das charakteristische, heisere Husten von sich, wie es seiner Art eigen war. Es war eine Drohung. Ein Befehl. Drake richtete sich schnell auf, riss den Kopf herum und spähte nervös um sich ins Gebüsch.
Maggie folgte seinem Blick und versuchte, etwas zu erkennen. Dem Geräusch nach war eindeutig eine Großkatze in der Nähe.
Drake warf ihr den Rucksack zu. »Ziehen Sie sich etwas über.« Sein Ton war knapp, beinahe feindlich.
Überrascht riss Maggie die Augen auf. »Haben Sie das nicht gehört?« Sie drückte den Rucksack an sich, um ihre Brüste zu verdecken, völlig schockiert, dass die Männer offenbar mehr an ihrem Körper interessiert waren als an der lauernden Gefahr. »Sie müssen das doch gehört haben. Da ist ein Leopard, ganz nah, wir sollten sehen, dass wir hier wegkommen.«
»Ja. Da ist ein Leopard, Miss Odessa. Aber Weglaufen hilft nichts, wenn er sich Sie zum Abendessen ausgesucht hat.« Er wandte ihr den Rücken zu und fuhr sich mit der Hand durch das nasse Haar. »Ziehen Sie sich schnell etwas über, dann ist alles in Ordnung.«
»Stehen Leoparden etwa auf halbnackte Frauen?«, scherzte Maggie, während sie hastig ihre Khakibluse überstreifte. Sie musste die Situation ins Lächerliche ziehen, sonst geriet sie womöglich in Panik.
»Ganz genau. Die sind immer erste Wahl - merken Sie sich das«, erwiderte Drake. Da lag ein Unterton von Heiterkeit in seiner Stimme. »Sind Sie jetzt anständig angezogen?«
Maggie knöpfte die Khakibluse über ihrem klatschnassen T-Shirt bis obenhin zu. Die Luft war drückend, der Duft der vielen Blumen beinah unerträglich in der feuchten Schwüle. Maggies Strümpfe waren nass geworden, und ihre Füße taten weh. »Ja, Sie können wieder herschauen. Sind wir bald da?« Sie wollte sich nicht beschweren, doch ganz plötzlich wurde ihr alles zu viel.
Drake drehte sich nicht um. »Ein kleines Stück müssen wir noch. Brauchen Sie eine Pause?«
Maggie merkte genau, wie ihre Führer das Unterholz argwöhnisch musterten. Ihr stockte der Atem. Sie hätte schwören können, dass nur wenige Meter entfernt die schwarze Spitze eines Schwanzes zuckte, doch einen Wimpernschlag später sah sie an derselben Stelle nur noch dunkle Schatten und Farn ohne Ende. Sosehr sie sich auch anstrengte, sie konnte im tiefen Dickicht nichts weiter ausmachen, doch der Eindruck, in großer Gefahr zu schweben, wollte einfach nicht weichen.
»Ich würde lieber weitergehen«, gab sie zu. Sie fühlte sich nicht gut. Gerade wollte sie die Männer noch verführen, und im nächsten Moment hätte sie sie am liebsten angefaucht und sich wütend auf sie gestürzt, um sie zu verjagen.
»Dann also weiter.« Drake winkte seinen Leuten, und sie setzten sich wieder in Marsch. Jeder der drei Männer trug ein Messer im Gürtel und dazu ein Gewehr, achtlos über die Schulter gehängt. Keiner von ihnen hatte nach einer Waffe gegriffen, nicht einmal in dem Augenblick, als die große Raubkatze sich bemerkbar gemacht hatte.
Die Männer gaben ein mörderisches Tempo vor. Maggie war müde, durchnässt, verschwitzt und überhitzt, und was noch schlimmer war, ihr taten die Füße weh. Ihre Wanderschuhe waren von guter Qualität, doch noch nicht so gut eingelaufen, wie sie es sich gewünscht hätte. Sie spürte Blasen an ihren Fersen. Vor lauter Hunger hielt sie es fast nicht mehr aus, doch sie wollte sich nicht beklagen. Ihr war klar, dass die Männer sie nicht drängten, weil sie etwa grausam waren oder ihre Ausdauer testen wollten, sondern um sie in Sicherheit zu bringen. Sie gab sich große Mühe, in der brütenden Hitze so gut es ging mit ihnen Schritt zu halten. Warum nur schien ihr der Dschungel immer näher und wohin war überhaupt der Pfad verschwunden?