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Der sanfte, warme Wind trug die Botschaft durch
die üppige Vegetation des Regenwalds, bis hoch hinauf in das dichte
Blätterdach, das die Geheimnisse des Dschungels hütete. Direkt
unterhalb der Baumkronen, außer Reichweite der meisten anderen
Tiere, bauten wilde Honigbienen an ihren Waben. Hörten sie den Wind
auch wispern, so achteten sie nicht auf das, was er erzählte und
arbeiteten emsig weiter. Doch die unzähligen Vögel, Papageien in
bunt schillerndem Gefieder, Schildschnäbel und Falken griffen die
Kunde auf und verbreiteten sie auf raschen Schwingen
freudekreischend im ganzen Wald. Das wiederum drang durch den Lärm
der langschwänzigen Makaken, Gibbons und blätterkauenden Affen an
deren Ohr. Schnatternd vor Aufregung hüpften sie ausgelassen von
Ast zu Ast. Nur die Orang-Utans, die auf der Suche nach reifen
Früchten und essbaren Blättern und Blumen bedächtig umherstreiften,
bewahrten in all dem Aufruhr die Ruhe. Es dauerte nicht lang, bis
die Nachricht die Runde gemacht hatte, denn hier im Wald hatte man
kaum Geheimnisse voreinander, und auf diesen Augenblick hatten sie
alle gespannt gewartet.
Die Neuigkeit erreichte ihn, lange bevor er ihren
Geruch wittern konnte. Brandt Talbot kauerte sich in das Dickicht,
den ganzen Körper in so angespannter Erwartung
dass ihm plötzlich das Atmen schwerfiel. Endlich war sie da. Auf
seinem Territorium. In seiner Reichweite. Fast wäre es ihm nicht
gelungen, sie aufzuspüren, doch nun wurde seine ausdauernde Jagd
belohnt. Er hatte einen Köder ausgelegt, um sie in sein Reich zu
locken, und sie hatte angebissen. Sie war so nah, dass er sich
eisern beherrschen musste, sich nicht zu rasch zu bewegen und sich
so zu verraten. Er durfte sie nicht verschrecken, sonst merkte sie
womöglich, dass das Netz sich um sie zusammenzog. Hauptsache, es
gab kein Entkommen mehr, sobald sie ins Zentrum seines Reviers
gebracht wurde, musste jeder Fluchtweg abgeschnitten sein.
Er hatte sein Vorgehen über Jahre geplant, dazu
hatte er schließlich reichlich Zeit gehabt. Während er die ganze
Welt nach ihr absuchte und sich dabei auf jeden einzelnen Hinweis
stürzte wie auf eine Beute. Als er sicher war, die richtige Frau
gefunden zu haben, die eine Frau, hatte er
seinen Plan umgesetzt und sie mit Hilfe seines Anwalts in den
Regenwald gelockt, in sein Revier.
Geschmeidig schlich er durch die dichte Flora,
schnell, aber lautlos, und sprang auf seinem Weg zum äußeren Rand
des Dschungels mühelos über die umgestürzten Bäume. In der Nähe
grunzte ein Nashorn. Das Wild ergriff ängstlich die Flucht, als es
ihn witterte. Kam er näher, so liefen die kleineren Tiere hastig
vor ihm fort und die Vögel verstummten. Die Affen zogen sich in die
oberen Bereiche des Blätterdachs zurück, doch auch sie verhielten
sich ruhig, solange er unter ihnen vorbeilief, sie wagten es nicht,
seinen Zorn zu erregen.
Der Wald war sein Reich, und er demonstrierte seine
Macht nur selten, doch dass in diesem Fall keine Einmischung
geduldet wurde, war jedem seiner Bewohner
klar. Ohne seine ständige Wachsamkeit und seine unablässige
Fürsorge war ihre Welt verloren. Er wachte über sie und bot ihnen
Schutz, wofür er kaum eine Gegenleistung forderte. Aber nun
verlangte er absoluten Gehorsam. Wer es wagte, sich ihm zu
widersetzen, würde einen schnellen, lautlosen Tod sterben.
Von dem Augenblick an, in dem Maggie Odessa den
ersten Fuß in den Dschungel setzte, sollte alles anders sein.
Sie war anders. Sie spürte es genau.
Während die Hitze an der Küste drückend, ja erstickend gewesen war, schien die gleiche Hitze im
Wald sie in eine seltsam duftende Welt voller verschiedener Gerüche
einzuhüllen. Mit jedem Schritt, den sie tiefer in den Dschungel
eindrang, wurde ihre Wahrnehmung schärfer. Aufmerksamer. Als ob sie
aus einem Traum erwachte. Sie war viel hellhöriger, konnte
verschiedenste Insektenlaute unterscheiden, das Trillern von Vögeln
und das Kreischen der Affen. Selbst das Wispern des Windes in den
Zweigen und das Rascheln der kleineren Tiere in den Blättern hoch
oben entgingen ihr nicht.
Als Maggie zum ersten Mal von ihrer Erbschaft
erfahren hatte, wollte sie das Haus zunächst verkaufen, ohne es
sich überhaupt anzusehen - aus Respekt vor ihrer Adoptivmutter.
Jayne Odessa hatte Maggie das Versprechen abgenommen, den Regenwald
niemals aufzusuchen. Schon allein die Vorstellung ängstigte Jayne
derart, dass sie Maggie mehrfach gebeten hatte, sich dieser Gefahr
nie auszusetzen. Maggie liebte ihre Adoptivmutter sehr und wollte
sie nicht enttäuschen, doch nach Jaynes Tod hatte sich ein
Rechtsanwalt bei ihr gemeldet und ihr eröffnet, dass ihre
leiblichen Eltern wohlhabend gewesen waren - Naturforscher,
die gewaltsam zu Tode gekommen waren, als Maggie noch klein war -
und dass sie ihr ein Haus tief im Regenwald von Borneo hinterlassen
hatten. Diese Versuchung war zu groß, um ihr zu widerstehen. Trotz
der Versprechen, die Maggie ihrer Adoptivmutter gegeben hatte, war
sie um die halbe Welt gereist, um mehr über ihre Vergangenheit zu
erfahren.
Nach der Landung auf einem kleinen Flughafen hatte
sie sich mit den drei Männern getroffen, die der Rechtsanwalt
geschickt hatte, um sie in Empfang zu nehmen. Zusammen waren sie
eine Stunde lang mit einem allradgetriebenen Geländewagen auf der
Hauptverkehrsstraße geblieben, dann abgebogen und einer Reihe von
unbefestigten Wegen tiefer in den Wald gefolgt. Maggie kam es so
vor, als wären sie dabei über jedes einzelne Schlagloch und jede
Fahrspur gerumpelt. Am Ende hatten sie das Auto abgestellt, weil es
angeblich nur noch zu Fuß weiterging, eine Vorstellung, die Maggie
nicht sonderlich behagte. Da es sehr schwül war, knotete sie ihre
Khakibluse um den Rucksack, ehe sie ihren Führern tiefer in den
Wald folgte.
Die Männer wirkten ausgesprochen kräftig und
schienen auf alles bestens vorbereitet zu sein. Sie waren gut
gebaut, verloren kein Wort während des gesamten Marsches, und waren
stets auf der Hut. Anfangs war Maggie ziemlich nervös, doch das
änderte sich völlig, sobald sie tiefer in den Dschungel gelangten:
Sie hatte das Gefühl, nach Hause zu kommen.
Während sie ihren Führern auf dem gewundenen Pfad
in das dämmrige Waldinnere folgte, nahm sie ganz bewusst jede
Bewegung ihres Körpers wahr. Das Zusammenspiel ihrer Muskeln, die
Geschmeidigkeit und Leichtigkeit bei jedem Schritt, fast im
Rhythmus. Kein Stolpern, kein
unnötiges Geräusch. Ihre Füße schienen auf dem unebenen Boden wie
von allein Halt zu finden.
Maggie fühlte sich plötzlich ganz als Frau. Kleine
Schweißperlen rannen in das Tal zwischen ihren Brüsten und ließen
das T-Shirt feucht auf ihrer Haut kleben. Ihr auffallend langes,
dichtes Haar lag schwer und heiß auf Nacken und Rücken, und als sie
es anhob wirkte diese simple Bewegung mit einem Mal äußerst
sinnlich. Dabei wölbten sich ihre Brüste und die Brustspitzen
drückten sich sanft in das dünne Baumwollshirt. Gekonnt drehte
Maggie sich das Haar zu einem dicken Zopf, den sie mit einer
edelsteingekrönten Nadel am Kopf feststeckte.
Eigenartig, dass sie sich in der Hitze des Urwalds
plötzlich so ihres Körpers bewusst wurde. Die Art, wie sie ging,
wie sie sich in den Hüften wiegte, war beinahe einladend, so als
wüsste sie, dass ihr jemand zusah, jemand, den sie reizen wollte.
Sie hatte nie gern geflirtet oder kokettiert, doch nun konnte sie
der Versuchung kaum widerstehen. Als wäre sie hier, an diesem
düsteren, mit Ranken und Blättern und allen nur vorstellbaren
Pflanzen überwucherten Ort, erst zum Leben erwacht.
Die kleinen Bäume wetteiferten mit den größeren um
das Sonnenlicht. Sie waren von Lianen und Schlingpflanzen in
verschiedensten Grüntönen überwuchert. Wilde Orchideen hingen über
ihrem Kopf und manche Rhododendren waren hoch wie Bäume. Pflanzen
wuchsen in voller Blüte auf den Baumstämmen und reckten sich nach
dem Sonnenlicht, das einen Weg durch das dichte Blätterdach fand.
Farbenprächtige Loris und andere Vögel schwirrten umher. Das
aufreizende Sirren von Insekten erfüllte den Wald mit lautem
Summen. Die Luft war schwer vom betörenden Duft der Blumen. Und
Maggie wusste,
dass sie hierhergehörte, in diese exotische wie erotische
Umgebung.
Mit einem leisen Seufzer legte sie den Kopf in den
Nacken und wischte sich den Schweiß vom Hals. Ihr Unterleib fühlte
sich mit jedem Schritt schwerer an, in Aufruhr versetzt. Voller
Verlangen. Ihre Brüste waren angeschwollen und spannten. Ihre Hände
bebten. Sie war so seltsam erregt, das Leben pulsierte in ihren
Adern. Es war wie ein Erwachen.
Da erst fiel Maggie auf, dass die Männer sie
beobachteten. Ihre brennenden Blicke, die jeder ihrer Bewegungen
folgten: Wie sie ihre Hüften schwang, und wie sich ihre wogenden
Brüste im Auf und Ab unter dem T-Shirt abzeichneten, während sie
den engen Pfad entlanggingen. Normalerweise wäre ihr diese Art der
Aufmerksamkeit peinlich gewesen, doch nun fühlte sie sich
übermütig, fast wie eine Exhibitionistin.
Als sie sich ihrer Gefühle bewusst wurde, war
Maggie schockiert. Sie war geradezu erregt. Dabei hatte sie sich
immer für so etwas wie asexuell gehalten. Nie war sie an Männern
besonders interessiert gewesen, wie etwa ihre Freundinnen, nie
hatte sie sich ernsthaft angezogen gefühlt. Und nachgelaufen waren
ihr die Männer auch nicht gerade. Aber mit einem Mal war sie sich
nicht nur ihrer eigenen Sexualität sehr bewusst, sondern genoss es
sogar, wie aufreizend sie wirkte. Diese Gefühle waren ganz neu und
brachten sie zum Grübeln. Irgendetwas schien nicht zu stimmen. Ihre
Erregung hatte nichts mit den Männern in ihrer Begleitung zu tun,
sondern schien tief aus ihrem Innern zu kommen, aus einer ihr
rätselhaften Quelle.
Maggie marschierte weiter, sie fühlte die
bewundernden Blicke der Männer auf ihrem Körper ruhen, bekam
mit, wie deren Atem immer schwerer wurde, je tiefer sie in den
dunklen Wald eindrangen. Der Dschungel schien sich gleich hinter
ihnen wieder zu schließen, Schlingpflanzen und Sträucher wucherten
über den Weg, sobald sie ihn passiert hatten. Ein Wind kam auf, so
stürmisch, dass er Laub und Zweige abriss. Blütenblätter, Ranken
und sogar ein paar kleinere Äste fielen und bedeckten den Boden, so
dass es aussah, als sei schon seit undenkbarer Zeit niemand mehr
vorbeigekommen.
Maggie sah alles viel deutlicher, entdeckte
kleinste Bewegungen, die sie sonst nie wahrgenommen hätte. Es war
so aufregend. Selbst ihr Geruchssinn schien feiner zu werden. Sie
versuchte, nicht auf jene wunderschönen weißen Pflanzen zu treten,
die sich wohl überall entlangrankten. Sie sonderten einen
stechenden Geruch ab. »Was ist das da am Boden?«, fragte sie
neugierig.
»Eine Art Pilz«, erwiderte einer der Männer knapp.
Er hatte sich nur kurz als Conner vorgestellt. »Die Insekten sind
ganz wild darauf. Sie verbreiten ihre Sporen in alle
Himmelsrichtungen.« Er räusperte sich, schaute zu den anderen
Männern und dann wieder zu Maggie hinüber. »Was machen Sie in der
Stadt, Miss?«
Maggie war überrascht, dass er sie überhaupt etwas
fragte. Bislang hatte keiner der Männer Interesse an einer
Unterhaltung gezeigt. »Ich bin Tierärztin, spezialisiert auf
exotische Tiere, insbesondere Katzen.«
Maggie hatte sich schon immer von der Wildnis
angezogen gefühlt, hatte alles gelesen und studiert, was immer ihr
über den Regenwald und seine Flora und Fauna zwischen die Finger
kam. Sie hatte hart gearbeitet, um sich als Tierärztin auf
exotische Arten zu spezialisieren und dabei gehofft, eines Tages im
Urwald praktizieren zu
können. Doch Jayne hatte nichts davon hören wollen und alles daran
gesetzt, sie in ihrer Nähe zu behalten, so dass Maggie sich
schließlich damit zufriedengegeben hatte, für den Zoo zu arbeiten.
Dies hier war ihre große Chance, jene Welt kennenzulernen, nach der
sie sich immer gesehnt hatte.
Schon als Kind hatte sie vom Regenwald geträumt.
Nie hatte sie wie andere kleine Mädchen mit Puppen gespielt, nur
mit Plastiktieren: mit Löwen, Leoparden, Tigern - eben allen
Großkatzen. Mit den echten Tieren fühlte sie sich irgendwie
verbunden und sie spürte instinktiv, ob die Tiere Schmerzen hatten
oder nur aufgebracht oder vielleicht traurig waren. Und die Katzen
reagierten tatsächlich besonders auf sie, so dass sie schnell in
dem Ruf stand, gut mit Raubkatzen umgehen zu können.
Die Männer wechselten einen schnellen Blick, den
Maggie nicht deuten konnte. Aus irgendeinem Grund machte diese
Reaktion sie nervös, doch da sie nun endlich einen Einstieg
gefunden hatte, versuchte sie beharrlich, die Konversation
fortzuführen. »Ich habe gelesen, dass es hier Nashörner und
Elefanten gibt. Stimmt das?«
Derjenige, der sich Joshua nannte, nickte abrupt
und nahm ihr wortlos den Rucksack ab, als hielte dessen Gewicht sie
auf. Maggie blieb keine Gelegenheit zum Widerspruch, weil der Mann
einfach weitermarschierte. Sie gingen jetzt schneller.
»Kennen Sie sich gut aus? Gibt es in der Nähe
wirklich ein kleines Dorf, das bewohnt ist? Ich möchte nicht gern
allein zurückbleiben, ohne dass mir jemand helfen kann, falls ich
von einer Schlange oder etwas Ähnlichem gebissen werde.« War das
ihre Stimme, die so kehlig und heiser klang? Das hörte sich gar
nicht nach ihr an.
»Ja, Miss. Es gibt da ein Dorf und auch Vorräte«,
erwiderte Conner knapp.
Maggie lief ein Schauer über den Rücken. Sie
bemühte sich, ihre Stimme in den Griff zu bekommen, damit sie
wieder nach ihr klang. »Es gibt doch sicher noch eine andere
Möglichkeit, ins Dorf zu gelangen, als zu Fuß zu gehen, oder? Wie
kommen denn die Vorräte dorthin?«
»Auf Maultieren. Und nein, um ihr Haus und das Dorf
zu erreichen, muss man laufen.«
»Ist es im Wald immer so dunkel?«, bohrte Maggie
weiter. Woran orientierten sich die Männer nur? Es gab so viele
Bäume. Aus Eisen- und Sandelholz, Ebenholz und Teak. Lauter
unterschiedliche Arten. Am äußeren Waldrand waren auch zahlreiche
Obstbäume mit Mangos und Orangen zu sehen gewesen, dazu
Kokosnusspalmen und Bananenstauden. Sie konnte die verschiedenen
Sorten zwar auseinanderhalten, doch wie die Männer ihren Weg
fanden, blieb ihr trotzdem schleierhaft. Wie in aller Welt konnten
sie sagen, welche Richtung sie gerade einschlugen oder wie sie
ihren Weg entsprechend zurückfänden? Maggie war fasziniert - und
gleichzeitig ein bisschen eingeschüchtert.
»Das Sonnenlicht schafft es kaum durch die dicken
Äste und Blätter«, lautete die Antwort. Niemand verlangsamte den
Schritt, niemand sah sie auch nur an.
Maggie begriff, dass die Männer sich nicht
unterhalten wollten. Sie waren zwar nicht unbedingt unhöflich, doch
sie merkte, dass es ihnen unangenehm war, wenn man sie direkt
ansprach. Sie zuckte gleichmütig die Achseln. Egal, sie brauchte
keine Konversation. Stets war sie sich selbst genug gewesen, und im
Wald gab es so viel Interessantes zu sehen. Sie erhaschte einen
Blick auf eine
Schlange, die fast so dick war wie der Arm eines kräftigen Mannes.
Ein kleiner leuchtend bunter Farbtupfer auf einem Baum entpuppte
sich als ein Frosch unbekannter Art. Und Unmengen von Eidechsen.
Eigentlich hätte sie diese Art Kreaturen kaum zu entdecken
vermocht, schließlich verschmolzen sie optisch fast mit ihrer
Umgebung, doch aus irgendeinem Grund fielen sie ihr auf. Es war
eben fast so, als verändere sie der Dschungel, indem er ihre Sinne
schärfte: Sehen, Hören, und auch ihr Geruchssinn waren weitaus
besser als sonst.
Urplötzlich schien der Urwald den Atem anzuhalten.
Die Insekten stoppten ihr endloses Summen, die Vögel brachen ihre
Gesänge ab. Selbst die Affen hörten auf zu zetern. Die Stille
irritierte Maggie und ließ einen Schauer über ihren Rücken rieseln.
Ein einzelner Warnruf erklang hoch oben im Blätterdach. Gefahr
drohte, und zwar ihr, das begriff sie auf der Stelle. Ihre
Nackenhaare sträubten sich, und sie schaute misstrauisch von einer
Seite zur anderen, spähte unablässig in das dichte Grün, an dem sie
vorüberging.
Ihre Anspannung musste sich auf ihre Führer
übertragen haben. Sie rückten näher zusammen und einer ließ sich
ganz zurückfallen, um sie von hinten zur Eile anzutreiben.
Maggie pochte das Herz immer schneller, ihr Mund
wurde trocken. Sie spürte, wie sie zu zittern begann. Tief im
Blattwerk lauerte etwas, etwas Gewaltiges, ein muskulöser Schatten
im Dunkeln. Irgendetwas schlich neben ihnen her. Sie ahnte es mehr,
als dass sie es wirklich sehen konnte. Es musste wohl eine riesige
Raubkatze sein, die auf ihrer Fährte war, ohne einen Laut von sich
zu geben. Sie fühlte, wie der konzentrierte Blick ihr folgte, das
unverwandte
Starren eines Jägers. Irgendetwas hatte sie ins Visier genommen.
Etwas Wildes.
»Sind wir hier sicher?«, fragte sie leise, während
sie näher an ihre Führer heranrückte.
»Natürlich sind wir sicher, Miss«, erwiderte der
dritte Mann, ein großer Blonder mit dunklen Augen, die sie
nachdenklich musterten. »Eine so große Gruppe wird nicht
angegriffen.«
Doch so groß war die Gruppe gar nicht. Sie bestand
aus nur vier Personen, die auf einem eigentlich nicht vorhandenen
Weg mit unbekanntem Ziel unterwegs waren. Allzu sicher fühlte
Maggie sich nicht. Den Namen des dritten Mannes hatte sie
vergessen. Das störte sie mit einem Mal. Und zwar sehr. Was, wenn
der Mann sich im Falle eines Angriffs schützend vor sie stellte,
und sie kannte nicht einmal seinen Namen?
Maggie blickte hinter sich. Der Pfad war beim
besten Willen nicht zu erkennen. Sie reckte das Kinn, als ein
weiterer Schauer sie durchrieselte. Irgendetwas beobachtete sie und
wartete nur auf den geeigneten Augenblick. Liefen sie etwa in einen
Hinterhalt? Sie kannte keinen ihrer Führer. Sie hatte einem Anwalt
vertraut, von dem sie kaum etwas wusste. Selbstverständlich hatte
sie seine Legitimation überprüft, doch das hieß noch lange nichts.
Am Ende hatte man sie reingelegt, und schließlich verschwanden
täglich irgendwo Frauen.
»Miss Odessa?« Das kam von dem großen Blonden.
»Machen Sie nicht so ein ängstliches Gesicht. Ihnen wird nichts
geschehen.«
Maggie brachte ein unsicheres Lächeln zustande.
Seine beruhigenden Worte nahmen ihr zwar nicht die Angst vor dem
Unbekannten, doch sie war dankbar, dass er so aufmerksam
war und es zumindest versucht hatte. »Danke. Der Wald wurde
plötzlich so still, und da dachte ich, wir wären in …« Gefahr. Das Wort spukte in ihrem Kopf herum, doch
sie wollte es nicht laut aussprechen und ihm Raum geben.
Stattdessen passte sie ihre Schrittlänge der des Blonden an. »Bitte
sagen Sie ruhig Maggie zu mir. Ich habe es nicht so mit
Förmlichkeiten. Und wie heißen Sie?«
Der Mann zögerte und spähte seitlich ins Gebüsch.
»Donovon, Miss … äh … Maggie. Drake Donovon.«
»Waren Sie schon oft im Dorf?«
»Ich wohne da«, gab er zu. »Wir alle leben
dort.«
Eine Woge der Erleichterung überrollte Maggie, und
ihre Anspannung ließ ein klein wenig nach. »Wie beruhigend! Ich
dachte schon, ich hätte eine winzige Hütte mitten im Wald geerbt
oder irgendein Baumhaus.« Sie lachte leise. Es klang heiser.
Beinahe verführerisch.
Maggie kniff schockiert die Augen zusammen. Da war
es wieder. Sonst redete sie nie so, doch
nun klang sie schon zum zweiten Mal wie ein Vamp. Sie wollte nicht,
dass Drake Donovon den Eindruck bekam, dass sie mit ihm flirtete.
Was zum Teufel war in sie gefahren? Irgendetwas geschah mit ihr,
etwas, das ihr ganz und gar nicht behagte. Sie wusste, dass etwas
nicht stimmte, alles an ihr stimmte irgendwie nicht, doch
anscheinend gehorchte ihr Körper einem ganz ursprünglichen
Instinkt, einem drängenden Bedürfnis.
Brandt, der ihr in einigen Metern Entfernung durch
das Dickicht folgte, ergötzte sich an ihrem Anblick. Die Frau war
sogar noch schöner, als er erwartet hatte. Nicht sehr groß, aber
das wusste er bereits. Sie hatte eine sinnliche Figur mit vollen
Brüsten und Hüften, eine schmale Taille und kräftige Beine. Ihr
dichtes, üppiges Haar glänzte wie
rotgoldene Seide. Ihre Brauen waren rötlich, die Augen so grün wie
die Blätter an den Bäumen. Die Lippen sündhaft verführerisch.
Es war drückend heiß, und Maggie schwitzte, ihr
durchtränktes T-Shirt klebte V-förmig an ihrem hohen, festen Busen.
Ein feuchter Strich zog sich über ihren Rücken und lenkte Brandts
Aufmerksamkeit auf ihre Rückenlinie und die Rundung ihrer Hüften.
Ihre Jeans saßen so tief, dass verlockend viel Fleisch zu sehen war
und ein Bauchnabel, den er äußerst sexy fand. Er sehnte sich
danach, sie auf der Stelle zu entführen, sie den anderen Männern zu
entreißen und sie für sich zu beanspruchen. Sie zu finden hatte
viel zu lange gedauert, nun stand das Han Vol Don kurz bevor. Das
wusste er. Und die anderen wussten es auch. Sie versuchten, die
Frau, die ihm gehörte, nicht anzusehen, doch sie war so natürlich
sinnlich, so anziehend und faszinierend, dass die Männer den
gleichen wilden Hunger verspürten wie er selbst. Brandt fühlte mit
ihnen. Sie taten ihm einen Gefallen, trotzten der Gefahr, die ihre
schwer zu bändigenden Gefühle für sie alle bedeuteten. Er war bei
ihrer Ankunft hinter Wilderern her gewesen, und die Männer hatten
sich an seiner statt aufgemacht, um Maggie abzuholen.
Der Regen setzte ein, ergoss sich in langen
Schleiern durch das dichte Blattwerk über ihnen und trieb die
Feuchtigkeit weiter nach oben. Der Schauer tauchte den Wald in
schillernde Farben, brach das Licht in sämtliche Spektralfarben und
krönte die grün berankten Bäume mit bunten Regenbögen. Die Frau,
seine Gefährtin, Maggie Odessa, blickte
erfreut auf. Statt zu meckern oder zu stöhnen hob sie in stummer
Dankbarkeit die Arme und ließ das Wasser über ihr Gesicht rinnen.
Sie wurde klatschnass. Die Regentropfen
liefen ihr über Gesicht und Wimpern. Alles, woran Brandt denken
konnte, war, dass er am liebsten jeden einzelnen Tropfen abgeleckt
hätte. Ihre seidenweiche Haut unter dem lebensspendenden Wasser
liebend gern geschmeckt hätte. Plötzlich war er durstig, seine
Kehle wie ausgedörrt. Sein Körper fühlte sich schwer an und
schmerzte, und ein merkwürdiges Rauschen machte sich in seinem Kopf
bemerkbar.
Die plötzliche Sintflut hatte Maggies T-Shirt mit
einem Schlag durchnässt und es beinahe durchsichtig werden lassen.
Ihre üppigen, aufreizenden Brüste waren deutlich zu sehen, prall
und verlockend, und ihre Nippel zeichneten sich dunkler ab, ragten
einladend unter dem Stoff hervor. Die Schönheit ihres kaum
verdeckten Körpers zog Brandt wie magnetisch an. Fesselte seinen
Blick. Hypnotisierte ihn. Sein Mund wurde trocken, und sein Herz
hämmerte wie wild.
Drake warf einen Blick auf Maggie und ließ seine
Augen einen heißen, spannungsgeladenen Augenblick lang auf ihrem
wogenden Busen ruhen.
Ein warnendes Knurren kam tief aus Brandts Kehle.
Es war sehr leise, doch in der Stille des Waldes trug es
meilenweit. Brandt gab das charakteristische, heisere Husten von
sich, wie es seiner Art eigen war. Es war eine Drohung. Ein Befehl.
Drake richtete sich schnell auf, riss den Kopf herum und spähte
nervös um sich ins Gebüsch.
Maggie folgte seinem Blick und versuchte, etwas zu
erkennen. Dem Geräusch nach war eindeutig eine Großkatze in der
Nähe.
Drake warf ihr den Rucksack zu. »Ziehen Sie sich
etwas über.« Sein Ton war knapp, beinahe feindlich.
Überrascht riss Maggie die Augen auf. »Haben Sie
das
nicht gehört?« Sie drückte den Rucksack an sich, um ihre Brüste zu
verdecken, völlig schockiert, dass die Männer offenbar mehr an
ihrem Körper interessiert waren als an der lauernden Gefahr. »Sie
müssen das doch gehört haben. Da ist ein Leopard, ganz nah, wir
sollten sehen, dass wir hier wegkommen.«
»Ja. Da ist ein Leopard, Miss Odessa. Aber
Weglaufen hilft nichts, wenn er sich Sie zum Abendessen ausgesucht
hat.« Er wandte ihr den Rücken zu und fuhr sich mit der Hand durch
das nasse Haar. »Ziehen Sie sich schnell etwas über, dann ist alles
in Ordnung.«
»Stehen Leoparden etwa auf halbnackte Frauen?«,
scherzte Maggie, während sie hastig ihre Khakibluse überstreifte.
Sie musste die Situation ins Lächerliche ziehen, sonst geriet sie
womöglich in Panik.
»Ganz genau. Die sind immer erste Wahl - merken Sie
sich das«, erwiderte Drake. Da lag ein Unterton von Heiterkeit in
seiner Stimme. »Sind Sie jetzt anständig angezogen?«
Maggie knöpfte die Khakibluse über ihrem
klatschnassen T-Shirt bis obenhin zu. Die Luft war drückend, der
Duft der vielen Blumen beinah unerträglich in der feuchten Schwüle.
Maggies Strümpfe waren nass geworden, und ihre Füße taten weh. »Ja,
Sie können wieder herschauen. Sind wir bald da?« Sie wollte sich
nicht beschweren, doch ganz plötzlich wurde ihr alles zu
viel.
Drake drehte sich nicht um. »Ein kleines Stück
müssen wir noch. Brauchen Sie eine Pause?«
Maggie merkte genau, wie ihre Führer das Unterholz
argwöhnisch musterten. Ihr stockte der Atem. Sie hätte schwören
können, dass nur wenige Meter entfernt die schwarze Spitze eines
Schwanzes zuckte, doch einen Wimpernschlag
später sah sie an derselben Stelle nur noch dunkle Schatten und
Farn ohne Ende. Sosehr sie sich auch anstrengte, sie konnte im
tiefen Dickicht nichts weiter ausmachen, doch der Eindruck, in
großer Gefahr zu schweben, wollte einfach nicht weichen.
»Ich würde lieber weitergehen«, gab sie zu. Sie
fühlte sich nicht gut. Gerade wollte sie die Männer noch verführen,
und im nächsten Moment hätte sie sie am liebsten angefaucht und
sich wütend auf sie gestürzt, um sie zu verjagen.
»Dann also weiter.« Drake winkte seinen Leuten, und
sie setzten sich wieder in Marsch. Jeder der drei Männer trug ein
Messer im Gürtel und dazu ein Gewehr, achtlos über die Schulter
gehängt. Keiner von ihnen hatte nach einer Waffe gegriffen, nicht
einmal in dem Augenblick, als die große Raubkatze sich bemerkbar
gemacht hatte.
Die Männer gaben ein mörderisches Tempo vor. Maggie
war müde, durchnässt, verschwitzt und überhitzt, und was noch
schlimmer war, ihr taten die Füße weh. Ihre Wanderschuhe waren von
guter Qualität, doch noch nicht so gut eingelaufen, wie sie es sich
gewünscht hätte. Sie spürte Blasen an ihren Fersen. Vor lauter
Hunger hielt sie es fast nicht mehr aus, doch sie wollte sich nicht
beklagen. Ihr war klar, dass die Männer sie nicht drängten, weil
sie etwa grausam waren oder ihre Ausdauer testen wollten, sondern
um sie in Sicherheit zu bringen. Sie gab sich große Mühe, in der
brütenden Hitze so gut es ging mit ihnen Schritt zu halten. Warum
nur schien ihr der Dschungel immer näher und wohin war überhaupt
der Pfad verschwunden?