7
Es klopfte an der Haustür, und Brandt winkte
Drake herein. »Es ist schon spät«, begrüßte er ihn. Er nahm an,
dass es Ärger gab. Drake hätte niemals gestört, wenn es nicht
unbedingt nötig gewesen wäre. Brandt hatte Maggie erst eine Nacht
und einen Tag für sich allein gehabt, das war längst nicht genug
Zeit, um sie fest an sich zu binden.
»Ich weiß.« Drake schaute Maggie an. »Es tut mir
leid, Maggie, wirklich. Ich wäre nicht gekommen, wenn wir Brandt
nicht bräuchten.«
»Wilderer?«, riet Brandt.
»Wir haben das Gebiet überprüft, um das du dir
solche Sorgen gemacht hast, und tatsächlich, einer der Bären fehlt.
Außerdem haben wir eine weitere Falle entdeckt.« Drake schritt den
glänzenden Holzfußboden auf und ab. »Ich weiß, dass der Zeitpunkt
schlecht ist, Brandt, aber es steht zu viel auf dem Spiel. Wir
denken, dass sie heute Nacht kommen, um sich noch mehr zu holen.
Wir haben ein Elternpaar mit Jungen, das wir nicht verlieren
dürfen.«
Brandt schüttelte den Kopf. »Maggies Han Vol Don
steht kurz bevor. Ich lasse sie nicht allein. Du weißt, wie schlimm
das sein kann, Drake.«
»Man weiß nie genau, wann es losgeht«, protestierte
Drake und löste seinen Blick von Maggie. »Du weißt, dass wir dich
heute Nacht brauchen, wenn wir uns nicht
getäuscht haben. Sie werden in voller Stärke kommen, Brandt. Und
es ist ganz in der Nähe. Falls wir entdeckt werden, falls
irgendeiner von uns nicht aufpasst und eine Spur hinterlässt …
Diese Leute sind fast so gute Fährtenleser wie wir.« Unsicher
blickte Drake Maggie an. »Außerdem war James’ Geruch überall im
Camp der Wilderer zu wittern. Wir können ihn nirgends
finden.«
»Natürlich kommt er mit.« Maggie legte eine Hand
auf Brandts Unterarm und strich zärtlich über seine angespannten
Muskeln. »Geh und bring es hinter dich. Mir passiert schon
nichts.«
Brandt schüttelte den Kopf, seine fein
geschwungenen Lippen waren verkniffen, und die goldenen Augen
blickten düster drein. »Es ist zu gefährlich, Maggie.«
»Du musst gehen«, entgegnete sie rasch, als sie
sein Zögern spürte. »Um mich brauchst du dir keine Sorgen zu
machen. Ich bin eine erwachsene Frau, ich komme hier schon
zurecht«, sagte sie selbstsicher. Sie war bisher auch ohne Brandt
Talbot gut durchs Leben gekommen.
»Maggie, es dauert nicht mehr lange bis zu deiner
Verwandlung. Ich spüre es. Ich muss bei dir sein, wenn du das zum
ersten Mal durchmachst«, protestierte er deutlich verunsichert,
weil er zwischen seiner Pflicht und seiner Gefährtin wählen musste.
Er fuhr sich mit der Hand durch das schwarze Haar und musterte ihre
gelassene Miene.
Sie setzte ein selbstsicheres Lächeln auf. »Geh
schon. Ich warte hier auf dich.« Sie schlang die Arme um seinen
Hals und presste sich an seinen muskulösen Körper. »Ich habe keine
Angst, Brandt. Und was du vorhast ist wichtig.«
Brandt nahm sie zögernd in den Arm und drückte ihr
einen harten, entschuldigenden Kuss auf den Mund. »Du bist mein
Alles, Maggie«, flüsterte er leidenschaftlich, »vergiss
das nicht. Mein Ein und Alles. Für dich ist das Ganze zu schnell
gegangen, und du bist noch unsicher. Aber ich, ich habe mein ganzes
Leben lang gewusst, dass du die Hälfte bist, die mir fehlt. Du bist
mein Herz und meine Seele. Zerstör mich nicht. Ich vertraue darauf,
dass du mich nicht zugrunde gehen lässt.«
Maggie hauchte eine Reihe spielerischer Küsse auf
sein unrasiertes Kinn. »Du solltest etwas mehr Vertrauen haben. Geh
jetzt.« Ihr war bewusst, dass ihr vor Freude über seine Worte das
Blut in den Kopf gestiegen war. Insgeheim hatte sie die ganze Zeit
Angst gehabt, seiner erotischen Anziehungskraft zu erliegen und
seiner dunklen Schönheit, dem Dichter mit dem Raubtierblick, nicht
widerstehen zu können. Angst davor, dass er nach ihrem heißen
Liebesspiel und der feurigen Vereinigung einfach davonlaufen würde,
wie die männlichen Leoparden, denen er manchmal so stark ähnelte,
es immer taten.
Brandt küsste sie noch einmal. Hart.
Besitzergreifend. Und lange anhaltend. Seine glühenden Augen
musterten sie eindringlich. »Warte hier auf mich. Geh nicht aus dem
Haus. Wehe, du läufst in den Wald und versuchst, irgendeinem Tier
zu helfen, weil du was schreien gehört hast. Verstanden, Maggie?
Diese Wilderer sind gefährlich. Ich will dich nicht in ihrer Nähe
haben. Und mach niemandem die Tür auf, solange ich weg bin, selbst
wenn es einer von uns sein sollte.«
Die Hand mit der seinen verschränkt, brachte Maggie
ihn bis zur Tür. »Ich habe nicht vor, mich in Gefahr zu begeben,
Brandt.«
Er drehte sich um, um Drake in die Nacht zu folgen,
hielt noch einmal inne, fluchte leise, und nahm ihr Gesicht in
beide Hände. »Maggie, warte hier auf mich. Ich kann
dir kaum beschreiben, wie einsam es war, die ganze Welt nach dir
abzusuchen. Ständig Angst um dich zu haben, weil du allein dort
draußen warst, ohne das Wissen um die Art, der du angehörst, das
dich hätte schützen können. Verlass mich nicht.«
Ihre lebhaften grünen Augen schauten fragend in
seine goldenen. »Was ist los? Sag’s mir.«
Brandt schüttelte den Kopf. »Ich habe ein komisches
Gefühl, eine Vorahnung, wenn man es so nennen will.«
Maggie stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm
einen langen Kuss auf die gerunzelte Stirn zu drücken. »Dann sei
auf der Hut, Brandt. Ich werde im sicheren Haus sitzen, während du
Wilderer jagst. Vielleicht sollte ich mir Sorgen um dich machen.«
»Brandt«, drängte Drake. Diesmal hörte Brandt auf
seinen Freund und lief eilig die Stufen hinab hinter ihm her.
Maggie sah den beiden von der Veranda aus nach, bis
sie außer Sichtweite waren; dann ging sie ins Haus zurück, schloss
die Vordertür und verriegelte sie. Nach und nach löschte sie jedes
einzelne Licht, so dass kein verräterisches Schimmern
irgendjemanden zum Haus locken konnte. Ihre Fähigkeit, bei Nacht zu
sehen, hatte sich weiterentwickelt, war noch ausgeprägter als
zuvor. Sie dachte über die Veränderung nach, die ihr Körper gerade
durchmachte. Es kam ihr so vor, als entdecke sie ständig etwas
Neues, als seien ihre Sinne wesentlich geschärfter als
früher.
Sie war wunderbar wund vom ausgedehnten Liebesfest
und sehnte sich nach einem langen heißen Bad. Obwohl es wie stets
schwül war, konnte sie dem Wunsch nach warmem Wasser nicht
widerstehen. Im Badezimmer zündete sie eine einzelne Kerze an, die
den Raum mit ihrem aromatischen Duft erfüllte. Die flackernde
Flamme ließ
schwache Schatten über die Wände huschen. Langsam entfaltete das
Wasser seine wohltuende Wirkung auf ihren geschundenen Körper. Sie
betrachtete den dunklen Fleck auf ihrer Hüfte, der daran erinnerte,
wie Brandt von Leidenschaft überwältigt zu fest zugegriffen hatte.
Ihre Brüste waren empfindlich und genau wie ihr Kinn etwas angeraut
von Brandts Stoppelbart. Selbst die Innenseiten ihrer Schenkel
trugen sein Brandzeichen. Tief in sich konnte sie ihn immer noch
spüren. Und schon wieder sehnte sie sich nach ihm.
Maggie döste in dem warmen Wasser ein und träumte
davon, wie Brandt seinen wunderbaren Körper mit ihrem vereinte.
Plötzlich zuckte sie zusammen, schlug wild um sich und stieß sich
den Kopf am Wannenrand. Blinzelnd und verträumt erwachte sie und
rieb sich die Beule. Als sie sich mit dem Handtuch abtupfte,
stellte sie fest, dass ihre Haut äußerst empfindlich reagierte. Sie
fühlte sich roh und wund an. Maggie streifte sich Kleider über,
obwohl es ihr unangenehm war, denn sie wollte bereit sein, falls
Brandt sie brauchte.
Unruhig lief sie über den gekachelten Boden. Ihr
war schlecht, und da war ein seltsames Dröhnen in ihrem Kopf. Sie
griff sich an die Schläfen und versuchte, sie zu massieren, doch
die Kopfschmerzen wurden immer schlimmer. Ihre Knochen fühlten sich
zu groß an für ihren schlanken Körper. Und ihr Schädel schien
platzen zu wollen. War es das, worum Brandt sich Sorgen gemacht
hatte? Hatte es etwa angefangen? Sie ließ die Zunge prüfend über
ihre Zähne gleiten, um festzustellen, ob sie schärfer geworden
waren.
Beinah blind vor Schmerz taumelte Maggie ins
Schlafzimmer; sicher ging es ihr besser, wenn sie sich
hinlegte.
Sie versuchte, sich zu entspannen, doch der Druck
der Matratze war nicht auszuhalten. Als sie sich wieder aufsetzte,
spürte sie seltsame Muskelbewegungen an Bauch und Armen. Sie
betrachtete ihre Haut und sah, wie sich irgendetwas darunter
bewegte.
Maggie dachte, sie hätte geschrien. Unter ihren
entsetzten Augen verdrehten und verzerrten sich ihre Muskeln. Sie
sah, wie etwas direkt unter ihrer Haut entlanglief, gleich einem
Parasiten, und deren Oberfläche dabei leicht anhob. Ihr Herz schlug
immer schneller, und ihr Mund wurde trocken. Mit einem Mal
erschienen ihr die Kleider zu eng, zu einschnürend, unerträglich.
Erschrocken riss sie sich die Jeans herunter und warf sie
fort.
Feuer raste durch ihren Bauch, und ihre Knie gaben
nach. Maggie fiel zu Boden. »Brandt!«, schrie sie. Sein Name war
inmitten des Wahnsinns der einzige Hoffnungsschimmer. Ihre Kehle
schwoll so sehr an, veränderte die Form und verengte sich, dass
ihre Stimmbänder nicht mehr funktionierten.
Das Han Vol Don hatte begonnen, und sie war allein
und voller Furcht. Ihr Körper krampfte sich unter dem Schwall von
Adrenalin zusammen, der wie aus einem Vulkan hervorbrach und durch
ihren Körper strömte. Ihre empfindliche Haut reagierte
übersensibel. Selbst die kleinste Berührung schmerzte. Maggie
bemühte sich, ihre Angst zu unterdrücken, nachzudenken, solange sie
es noch konnte. Sie musste ihre Kleider loswerden, solange sie noch
Hände hatte. Tränen strömten ihr über das Gesicht, als sie Bluse
und Unterwäsche auszog. Sie konnte es nicht ertragen, ihren sich
windenden Körper zu sehen. Sie hatte mit einer plötzlichen
Verwandlung gerechnet, nicht mit dieser schmerzhaften Attacke auf
ihre Muskeln.
Sie kroch über den Boden zur Balkontür. Im Haus war
die Luft so drückend, dass sie kaum atmen konnte. Maggie gab sich
alle Mühe, nicht auf ihre Hand zu schauen, als sie nach dem
Türgriff fasste, doch sie konnte nicht anders. Ihre Hand war
verkrampft, verbogen und verknotet. Sie schaffte es, die Tür zu
öffnen und sich auf den Balkon zu ziehen.
Während ihr Rückgrat sich krümmte und knackte,
wuchs Pelz aus ihrer Haut, dichtes rötliches Fell mit zahllosen
Rosetten. Für einen Moment war sie gefangen in einem Zustand
zwischen Mensch und Tier, halb dies, halb das. Sie wunderte sich
gerade noch darüber, wie das, was hier passierte, wohl
vonstattenging, und wie es überhaupt hatte geheim bleiben können -
doch dann kam der Schritt der Verwandlung, bei dem das Tier in ihr
die Kontrolle übernahm.
Sie hörte die Geräusche - das Krachen der Knochen,
das Reißen der Muskeln, das Knacken der Gelenke -, als ihr Körper
eine andere Gestalt annahm. Es klang erschreckend, doch dann
übernahm ihr wilder Teil, der mit den geschärften Sinnen. Die Nacht
hüllte sie ein und nahm Besitz von ihr, sie hatte nicht gewusst,
dass diese Welt existierte.
Es folgte eine lange Stille, in der selbst der Wind
den Atem anhielt. Dann riss der Himmel auf, und Regen tropfte auf
die schwer atmende Katze auf dem Balkon. Maggie hob den Kopf und
sah sich um. Ohne sich zu bewegen, konnte sie in einem Radius von
beinah 280 Grad jede Bewegung in den Bäumen wahrnehmen. Der Schock
war enorm, ihr Hirn war wie benebelt und versagte, als sie
versuchte zu verstehen, was gerade passiert war. Sie konnte klar
denken, war aber in einem Körper gefangen, der ihr
völlig fremd war. Und tief in ihrem Innern versuchte etwas Wildes
und Grausames mit ihr zu verschmelzen.
Die Leopardin erhob sich. Leichtfüßig und anmutig.
Bewegte sich mit vollendeter Grazie. Das Tier war hellwach,
geschmeidig und intelligent. Tief in seinem Innern dachte Maggie
daran, dass sie nur ein Ziel kannte. Aus dem Urwald herauszukommen.
In die Zivilisation zurückzukehren, wo etwas Derartiges nicht
vorkommen konnte. Es war weder lustig noch interessant - es war
einfach nur schrecklich. Maggie Odessa wäre im Regenwald verloren
gewesen, doch die Leopardin hatte weit schärfere Sinne. Maggie
sprang vom Balkon in das Netzwerk der Baumkronen und rannte. Das
einzigartige Radar in den Schnurrhaaren der Leopardin half ihr, den
richtigen Weg zu finden.
Maggie hatte keine Ahnung, wie sie wieder in ihre
eigene Haut, ihre eigene Gestalt zurückkehren sollte. Sie konnte
doch unmöglich in diesem Leopardenkörper bleiben. Und was noch
schlimmer war, während dieses Weibchen vom sicheren Haus zum
Dschungel unterwegs war, setzte es seine lockenden Duftmarken im
ganzen Wald. Die Katze wand sich in den Qualen des Paarungstriebs
und grub ihre Krallen in die Bäume, an denen sie sich rieb.
Entsetzt stellte Maggie fest, dass die Katze sich ebenso sehr nach
einem Mann sehnte wie sie selbst.
Sie rannte schneller, entschlossen, sich sowohl vom
Urwald mit seiner glühenden Hitze wie auch von ihrer überaktiven
Libido zu befreien. Sie rannte sehr weit, setzte in eleganten
Sprüngen über herabgestürzte Äste und steile Böschungen. Nicht
einmal von Flüssen ließ sie sich aufhalten; sie stürzte sich
einfach hinein, schwamm ans andere Ufer und schüttelte sich
trocken. Und während sie so lief, lernte sie, wie ein
Leopardenkörper funktionierte.
Als sie entfernt Rufe hörte, menschliche Stimmen,
die durch den Urwald drangen, wäre ihr fast das Herz
stehengeblieben. Die Schreie waren zwar weit weg, doch ihr war
sofort klar, was sie zu bedeuten hatten. Vielleicht schwebte Brandt
in Gefahr. Vielleicht riskierte er gerade sein Leben, während sie
feige davonlief. Der Gedanke ernüchterte sie. Aber was konnte sie
tun als Gefangene in einem Leopardenkörper? Vor lauter Angst und
Verzweiflung hätte sie am liebsten geheult. Schließlich zwang sie
sich, die Hysterie niederzukämpfen und rational zu denken.
Zuerst hatte sie sich für ein Wesen mit zwei
Identitäten gehalten. Die eine menschlich, die andere animalisch.
Doch sie war weder das eine noch das andere, während dieses
Geschöpf, das so leichtfüßig durch den Wald lief, ganz klar ein
Teil von ihr war. Sie dachte weiter wie Maggie Odessa, sie war
Maggie Odessa, nur in anderer Gestalt, in einer zugegebenermaßen
ungewohnten Gestalt, die sich jedoch gut anfühlte.
Sobald Maggie bewusst wurde, dass sie trotz der
Verwandlung immer noch sie selbst war, wurde sie ruhiger. Sie lief
langsamer und schaute sich schwer atmend mit geschärften Sinnen um.
Mit ihrem Raubtierblick. Sie hatte ihn immer besessen, aber nie
benutzt. Sie holte tief Luft und nahm die Gerüche des Dschungels
auf. Sie war weder Mensch noch Tier. Sie war anders, aber immer
noch Maggie.
Ihre dicken Tatzen erlaubten ihr, sich völlig
geräuschlos zu bewegen. Sie spürte die enorme Kraft des Körpers,
den sie bewohnte. Unfähig, der Versuchung zu widerstehen, musste
sie einfach ihre Möglichkeiten erproben, und so sprang Maggie
ansatzlos auf einen dicken Ast fast zwei Meter über dem Boden. Es
war ein einfacher, leichter Sprung,
und sie landete perfekt ausbalanciert, als hätte sie ihr Leben
lang nichts anderes gemacht.
Maggie kauerte sich in den Baum und dachte an
Brandt. Er hatte ihr also tatsächlich die reine Wahrheit erzählt.
Sie war nicht zwei verschiedene Wesen; sie war und blieb Maggie
Odessa. Sie konnte bloß mehr als eine Gestalt annehmen. Ein
unglaubliches Machtgefühl überkam sie. Was für eine Gabe! Ihre
leiblichen Eltern hatten ihr ein unschätzbares Erbe hinterlassen.
Sie bedachte alles, was Brandt ihr erzählt hatte, und verstand nun,
wie nötig Disziplin war. Sie konnte ihre Gefühle und ihren
Sexualtrieb auch kontrollieren, wenn sie ein Leopard war. Die
Gestalt machte keinen Unterschied. Sie war in dem Fall nicht
gezwungen, sich mehr wie das Tier zu verhalten, nur über das
unbändige, wilde Wesen, das aus ihr ausbrechen wollte, hatte sie
keine Kontrolle.
Die Gefühle, die sie empfand, waren heftig, aber
nicht völlig fremd. Sie hatte mit Brandt zusammen sein wollen,
hatte ihn gereizt und verführt und ihn so heiß umworben, wie sie es
früher nie gewagt hätte. Und die Leopardin fühlte dasselbe, nur
durch ihr natürliches Wesen verstärkt, die Natur, die nun ein Teil
von ihr war. Maggie entspannte sich und erlaubte ihren Gliedern,
sich etwas zu lockern. Sie konnte logisch denken, ihren Verstand
benutzen und zu einem vernünftigen Ergebnis kommen, sie brauchte
nicht wegzulaufen wie ein verängstigtes Kind. Und sie konnte ihre
wilden Triebe in Schach halten. Sie hatte die Macht, und sie konnte
damit tun, was sie wollte.
Brandt hatte befürchtet, dass sie mit der
Verwandlung nicht zurechtkam, hatte bei ihr bleiben wollen, statt
die Wilderer zu jagen. Mit ihrem kindischen Verhalten bewies sie
nur, wie Recht er gehabt hatte. Sie musste zum
Haus zurückkehren und ruhig auf ihn warten, damit er ihr bei der
Rückverwandlung in die menschliche Gestalt behilflich sein konnte.
Sollte er nach einer bestimmten Zeit nicht heimkommen, wollte sie
die Fähigkeiten ihrer augenblicklichen Gestalt nutzen, um ihn zu
suchen und ihm irgendwie zu helfen.
Maggie dachte an Brandts Worte. Dass er die ganze
Welt nach ihr abgesucht habe. Und dabei immer gewusst habe, dass
sie seine Gefährtin sei. Wie er keinen Zweifel daran habe, dass sie
zusammengehörten. Diese Sicherheit, die auf seiner jahrelangen
Erfahrung mit ihrem gemeinsamen Erbe basierte, fehlte ihr. Sie
kannte Brandt erst seit sehr kurzer Zeit, doch tief in ihrem Innern
spürte sie, dass alles seine Richtigkeit
hatte. Er hatte sie gebeten, da zu sein, wenn er nach Hause kam.
Sie wollte und würde ihn nicht enttäuschen. Brandt Talbot war der
Mann, den sie erwählt hatte.
Maggie sprang vom Baum und landete sanft auf dem
Boden. Ihr Leben hier im Regenwald war viel aufregender als ihr
altes. Sie hatte keinerlei Absicht, sich von Ängsten einschüchtern
zu lassen. Oder zu riskieren, Brandt zu verlieren. Alles, was sie
sich jemals gewünscht hatte, war zum Greifen nah in dieser
ursprünglichen, exotischen Umgebung.
Sie fürchtete den Dschungel nicht, sie berauschte
sich an ihm. Anders als bei vielen anderen Menschen wirkten das
Baumkronendach und die reiche Flora und Fauna nicht bedrückend auf
sie. Selbst die Hitze machte ihr nichts aus. Sie liebte den Urwald
mit all seinen Facetten. Und Brandt. Sie liebte den Dichter in ihm
und die unerwarteten Überraschungen seiner sanften Seite. Vor allem
seinetwegen wollte sie bleiben und sich ihrer Veränderung
stellen. Ihrem Schicksal. Sie wollte die Geschichte ihrer Rasse
erforschen und alles tun, um sich ihrem Lebensstil
anzupassen.
Maggie machte sich auf den Heimweg. Die Leopardin
fand mühelos den Weg, sie witterte die Luft, während sie leise
dahinschlich, mit ausgezeichneter Nachtsicht. Doch kaum hatte sie
vertrautes Terrain erreicht, peitschte ein lauter Schuss durch die
Nacht. Eine Gewehrsalve folgte. Tiere kreischten, ein lautes Chaos
brach los. Das Blätterdach erwachte zu hektischem Leben, Flügel
flatterten, Affen zeterten und sprangen von Baum zu Baum. Der Alarm
hallte laut und dringlich durch das Dunkel des Waldes.
Maggie zuckte zusammen, sprang zähnefletschend zur
Seite und versteckte sich in der dichten Vegetation. Ihr Herz raste
vor Angst. Gleich darauf vernahm sie die Antwort ihrer Leute, einen
besonderen Trommelschlag aus uralter Zeit, aber nach wie vor sehr
effektiv, eine Art Morsecode, den sie eigentlich kennen sollte, den
sie jedoch nie gelernt hatte. Sie konnte die Botschaft zwar nicht
entschlüsseln, aber sie wusste gewiss, dass auf diesem Wege
Nachrichten ausgetauscht wurden.
Ihr erster Gedanke galt Brandt. Der bittere
Geschmack der Angst lag ihr auf der Zunge. Nun, da sie ihn gefunden
hatte, wollte sie ihn nicht mehr verlieren. Warum hatte sie sich
nicht an ihn gebunden? Warum hatte sie ihn nicht beruhigt, indem
sie ihm sagte, dass sie bei ihm bleiben wollte? Maggie brach aus
dem Dickicht und eilte in großen Sprüngen nach Hause. Sie wollte
die Fährte von Drake und Brandt aufnehmen, und ihnen dahin folgen,
wo die Wilderer ihre Fallen aufgestellt hatten.
Doch zu ihrer Überraschung strauchelte die
Leopardin, ihre Vorderbeine trugen sie nicht mehr. Sie stürzte über
einen
kleinen Ast und rutschte über den Boden. Maggie lag lang
ausgestreckt auf dem Rücken und hörte das ominöse Krachen und
Knacken, das die Verwandlung begleitete. »Nicht jetzt«, stöhnte
sie, doch aus dem Mund der Leopardin klang es wie ein heiseres
Keuchen.
Es war nicht so schmerzhaft wie zuvor, oder aber es
hatte auch schon beim ersten Mal nicht wirklich besonders wehgetan.
Vielleicht war sie bloß so erschrocken gewesen, dass sie sich die
Schmerzen eingebildet hatte. Ihre Haut, gerade noch von Fell
überzogen, nun aber weich und glatt, juckte unerträglich, und
Maggie fand sich splitterfasernackt auf dem Boden sitzend wieder.
Schnell sprang sie auf, damit sich keine Parasiten in ihre Haut
bohren konnten.
Leise seufzend begann sie, zum Haus zurückzulaufen.
Sie wusste jetzt, welchen Weg sie einschlagen musste - sie besaß
immer noch dieselben Fähigkeiten wie die Leopardin, sie hatte nur
lernen müssen, sie anzuerkennen und richtig einzusetzen. Sie musste
die Arme vor ihrem üppigen Busen verschränken, denn sein Wippen war
beim Rennen ebenso unangenehm wie der Boden unter den bloßen Füßen.
Leoparden waren an das Leben im Dschungel angepasst, ihre
augenblickliche Gestalt dagegen war schrecklich unvorteilhaft. Raue
Blätter und Baumrinden zerkratzten Maggies zarte Haut. Doch da sie
an nichts anderes dachte, als zum Haus zurückzukommen, um Brandts
Fährte aufzunehmen, bemerkte sie die Verletzungen kaum.
Ein Geräusch ließ sie jäh innehalten. Ein hoher
Klagelaut, das Stöhnen eines verletzten Tieres. Ihr war der Klang
wohlbekannt, doch diesmal witterte sie zusätzlich den Geruch von
Blut. Ohne nachzudenken, ging Maggie
in die Richtung, aus der das Stöhnen kam. Sie musste dem
verletzten Tier zu Hilfe kommen - das klagende Geräusch ließ ihr
keine Ruhe.
Der Bär mit dem weichen, pechschwarzen Pelz war
wesentlich kleiner als erwartet. Er hatte eine wunderschöne,
halbmondförmige weiße Zeichnung auf der Brust. Die Zunge hing ihm
weit aus dem Maul. Seine langen, spitzen Krallen, mit der er auf
der Suche nach Insekten und Honig die Rinde von den Bäumen kratzte,
waren nicht zu übersehen. Der Bär wimmerte vor Angst und Schmerz.
Als Maggie zwischen den Bäumen hervortrat, wandte er ihr den Kopf
zu und versuchte, auf die Beine zu kommen, schaffte aber lediglich,
wild um sich zu schlagen. An seiner linken Seite klebte geronnenes
Blut. Der Boden war schwarz davon.
In sicherer Entfernung blieb Maggie still stehen
und hob die Hand. »Ganz ruhig, Kleiner, ich helfe dir.« Sie
brauchte ihren Rucksack, die medizinische Ausrüstung, dann konnte
sie den Bären ruhigstellen und die Wunde versorgen. Doch sie war
sich nicht sicher, ob das Tier überleben würde, wenn sie erst noch
zum Haus rannte. Den kleinen Bären in so großer Not zu sehen,
machte sie wütend. Und sie wusste sehr wohl, dass so ein Exemplar
selbst in der Wildnis eine Rarität war.
Sie bemerkte, dass die Äste etwa viereinhalb Meter
über ihrem Kopf zu einem Nest verschränkt worden waren. Der Bär
hatte wohl versucht, sich auf seinen Ruheplatz zu retten. Von da
aus hatte er einen guten Überblick über den Wald unten. Während der
Malaienbär keuchend dalag und sie aus traurigen Augen ansah, konnte
sie die haarlosen Sohlen seiner Pfoten und seine sichelförmigen
Krallen erkennen.
Plötzlich bäumte der Bär sich auf und versuchte
anzugreifen, doch die schwere Wunde an der Seite machte es ihm
unmöglich, es bis zu ihr zu schaffen. Hilflos fiel er zu Boden,
fletschte dabei aber warnend die Zähne. »Ich helfe dir«, versprach
Maggie. »Ich brauche bloß ein paar Minuten, um meine Sachen zu
holen.« Wie weit war es noch bis zum Haus? Sicher noch eine
ziemliche Strecke.
Maggie wandte sich von dem armen Tier ab, denn das
Beste, was sie tun konnte, war, so schnell wie möglich ihre
Ausrüstung zu holen. Der Bär machte einen zweiten traurigen
Versuch, hochzukommen, und heulte ihr dann nach. Der deutliche
Hilferuf ging Maggie zu Herzen. Ganz offensichtlich hatte er Angst
und versuchte verzweifelt, sich in ein Versteck zu schleppen. Als
sie sich noch einmal zu dem jammernden Bären umdrehte, roch sie ein
anderes Raubtier. Ein Leopard war in der Nähe, ein Männchen, das
auf Beute aus war.
Maggie drehte den Kopf in den Wind, um die
Witterung aufzunehmen, genau wie der aufgeregte Bär. Ihr war auf
der Stelle klar, dass dieser Leopard kein Tier war, sondern einer
von Brandts Dorf. Und er wusste, dass Brandt seine Ansprüche
angemeldet hatte. James. Bei der
Vorstellung, ihm zu begegnen, wurde Maggie nervös. Seltsamerweise
fand sie allein schon seinen Geruch abstoßend.
Kam er womöglich, um zu helfen? Maggie zögerte, ihr
war bewusst, dass sie vollkommen nackt und extrem verletzlich war.
Weder vor den wilden Tieren des Waldes noch vor der Dunkelheit, ja
nicht einmal vor dem verletzten Bären hatte sie Angst gehabt, doch
das Wissen, dass ein anderer Mann, egal, in welcher Gestalt, ihr
nachstellte, erfüllte sie mit Furcht.
Sie wandte sich zur Flucht. Falls James die Absicht
hatte,
dem Malaienbären zu helfen, sollte sie ihm hier nicht begegnen.
Sie konnte zum Haus zurücklaufen und anständig angezogen mit ihrer
Ausrüstung zurückkehren. Doch kaum hatte sie zwei Schritte gemacht,
brach die Raubkatze durch das dichte Unterholz.