5. Kapitel
Zwei Wochen gingen ins Land. Wochen voller Glück und Hoffnung auf Burg Ravencroft.
Obwohl die Baronin noch immer etwas schwach war, schien gesichert, dass sie die Geburt gut überstanden hatte. Es hatte sich kein Fieber eingestellt, und nach und nach hatten sich ihre bleichen Wangen wieder gerötet.
Täglich hatte Aimee nach ihr und dem Kind gesehen. Die kleine Baroness entwickelte sich prächtig, und allem Anschein nach hatte sie die Schönheit ihrer Mutter geerbt.
Nicole hätte sich darüber freuen können, doch ihr Gemüt wirkte wie von einer Wolke verdunkelt. Sie empfing ihren Gemahl nur selten und wollte lieber allein bleiben.
Aimee reichte ihr Kräuter gegen die Melancholie und sorgte dafür, dass viel Licht in die Kemenate der Wöchnerin strömte. Nach und nach hatte sich ihr Gemüt wieder etwas erhellt, und auch ihre Kraft hatte zugenommen, so dass sie sich schon bald von ihrem Lager erheben konnte.
Nun war der Tag des Tauffestes gekommen.
Patin der kleinen Baronin zu werden erfüllte Aimee mit heftiger Unruhe. Auch jetzt, da sie durch das Tor ritt und die Wachen dabei mit einem Nicken grüßte. Das Herz schlug ihr bis zum Halse, als sie zur Burg aufblickte.
Sie war schon einige Male bei der Taufe jener Kinder, die sie auf die Welt geholt hatte, zugegen gewesen, doch meist waren die Eltern einfache Leute gewesen. Obwohl die Feier hier sicher nicht weniger groß oder fröhlich werden würde, so war doch ein Bauer ein Bauer und ein Baron ein Baron. Außerdem war sie noch nie zuvor Patin gewesen.
In der Hofmitte angekommen, stieg sie von ihrem Rappen und band das Bündel los, das sie am Sattel befestigt hatte. Es handelte sich dabei um einen in ein Leinentuch gewickelten Tontopf, in dem ein Zweig zu stecken schien. Dies war das Geschenk, das Aimee ihrem zukünftigen Patenkind machen wollte.
Damit stapfte sie jetzt in die Burg.
In der Annahme, dass sie wieder in den Kammern der Mägde untergebracht war, ging sie grüßend an der Küche vorbei, in der es nur so vor Leuten wimmelte und aus der ihr ein betörender Duft entgegenwaberte. Aimee sog ihn tief in ihre Lungen, entdeckte das Aroma von Kräutern und die Süße von Honig, die ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen.
Auf halbem Wege zu der Mägdekammer kam ihr die Kammerfrau der Baronin entgegen. Sie hatte sich offenbar schon dem Anlass entsprechend umgezogen, denn sie raffte sorgfältig ihren Rock aus feinem blauen Leinenstoff, damit er auch ja nicht mit den schmutzigen Steinen am Boden in Berührung kam.
»Sei gegrüßt, Celeste«, rief Aimee fröhlich, während sie das Gewand bewunderte. Es war mit gewebten Bordüren verziert und an den Enden der Bänder, die die seitlichen Schnürungen zusammenhielten, glitzerten kleine Glasperlen.
»Endlich bist du da!«, entgegnete die Kammerfrau aufgeregt, ohne ihren Gruß zu erwidern. »Wo willst du denn hin?«
»In mein Quartier«, entgegnete die Schäferin verwundert. »Ich wollte mich auf die Taufe vorbereiten.«
»Du kannst doch nicht in die Mägdekammer!«, rief Celeste und schlug die Hände vor der Brust zusammen. »Der Baron hat befohlen, dich in den oberen Gemächern unterzubringen.«
Aimee raffte ihr Bündel an sich, als sei es ein Schild. »Ich gehöre nicht nach dort, Celeste, das weißt du.«
»Mag sein, aber der Baron hat es so angeordnet. Und jetzt komm, du willst Mylord doch nicht erzürnen!«
Das wollte sie wirklich nicht, also schloss sie sich der Kammerfrau an.
»Es wird dir da oben gefallen«, sagte Celeste, nachdem sie die erste Treppe erklommen hatten. Auch in den Gängen der Burg herrschte reges Treiben. Mägde schleppten Weißzeug für den Tisch in schweren Körben, einige Burschen trugen ihnen schwere Kerzenhalter und Stühle hinterher. Sie alle strebten der großen Halle zu, und es schien, als wollte man einen Großteil des Mobiliars der Burg dort hineinzwängen.
Neugierde erwachte in Aimee, weshalb sie nicht auf Celestes Bemerkung einging.
Die Kammerfrau schien das nicht weiter zu kümmern, denn sie schritt forsch und noch immer auf die Sauberkeit ihres Kleides bedacht voraus.
»Warst du schon einmal Patin, Celeste?«, fragte Aimee, als sie die Treppe erklommen hatten und in einen dunklen Gang einbogen. Ein Schauder überlief sie.
Trotz des Maiwetters war es in der Burg kalt wie im Winter. Die Schäferin fragte sich, wie sich ein Mensch in solch einer Kühle und Dunkelheit wohl fühlen konnte.
»Mein Bruder hat mich einst zur Patin seines Sohnes gebeten«, antwortete Celeste, während sie stehen blieb und eine schwere Tür vor sich aufstieß. »Es ist nicht schwer, Patin zu werden, Aimee. Tu einfach nur das, was die anderen tun, und sprich die Gebete fleißig mit.«
Die Schäferin nickte. »Das wird zu schaffen sein.«
Das Zimmer, in das Celeste sie führte, hatte drei hohe bleiverglaste Fenster, durch die das junge Grün der umstehenden Bäume gebrochen wie in einem Mosaik hereindrang. Hell und warm war es hier, was Aimee angesichts der Dunkelheit der Gänge nicht erwartet hätte. Das Morgenlicht fiel auf eine große Kleidertruhe, einen Waschzuber und ein breites, sehr weich anmutendes Bett, das ringsherum Vorhänge hatte.
»Wie ist der Baron denn so?«, fragte sie vorsichtig, als sie sich genug umgesehen hatte. »Ich habe ihn bisher nur ein paar Mal gesehen und weiß bloß das, was die Menschen im Dorf sich über ihn erzählen.«
»Na ja, der Baron soll in den Kreuzzügen mitgezogen sein, aber das weißt du sicher schon.«
Aimee nickte. Die Geschichte, dass Ravencroft im Morgenland gegen die Mamelucken gekämpft hatte, machte immer noch die Runde.
»Er soll lange Zeit griesgrämig gewesen sein, weil ihm die Frau fehlte«, fuhr Celeste fort, während sie die Bettvorhänge öffnete. Das Bettzeug, das sich dahinter verbarg, war frisch und roch nach getrocknetem Lavendel, von dem ein kleiner Strauß an einem der Bettpfosten hing. »Aber das hat sich mit seiner Vermählung geändert. Und seit das Kind da ist, erst recht. Einige Mägde behaupten sogar, dass sie ihn eines Morgens singend im Gang angetroffen hätten, als er auf dem Weg zu seinen Fechtübungen war.«
»Ja, die Liebe kann einen Mann verändern«, entgegnete Aimee und stellte den Tontopf vor das Fenster, genau in den Lichtfleck, der sich auf dem Boden abzeichnete. »Seine Frau ist jung und schön. Was will er mehr?«
Die Kammerfrau lachte auf. »Ja, Aimee, du magst recht haben. Doch sei’s drum. Ich sage dir, dass der Baron dich ausgewählt hat, ist eine Ehre, die sicher keinem zweiten seiner Untertanen zuteilwerden wird. Sei also dankbar dafür und benimm dich anständig.«
Die Schäferin nickte.
»Nun werde ich dir Wasser bringen lassen, damit du dich baden kannst. Dort in dem Schrank hängen ein paar Gewänder. Das schwarze ist für die Kirche, unter den anderen kannst du dir eines für die Feier aussuchen.«
Mit diesen Worten verschwand sie, und Aimee blieb allein in dem Gemach zurück.
Ein wenig ratlos blickte sie sich darin um. Die Einrichtung war wirklich prächtig. Das Bett verfügte ebenfalls über einen Baldachin, den mehrere schlanke, mit filigranen Schnitzereien verzierte Säulen trugen. Auch einen Kleiderschrank und ein Schreibpult gab es hier, und unterhalb eines Silberspiegels stand eine Truhe, wie Aimee sie noch nie zuvor zu Gesicht bekommen hatte.
Andererseits wirkten die vielen Gegenstände in diesem Raum beengend. In meinem Turm habe ich mehr Platz, dachte die Schäferin. Wenn ich mich hier im Kreis drehe, muss ich fürchten, irgendwo anzuschlagen.
Erst jetzt wurde sie sich der Stille bewusst, die sie hier einhüllte. In den Quartieren der Dienstboten konnte man das Gewimmel auf dem Hof hören, hier hinauf drang dagegen kein Laut.
Aimee legte ihr kleines Bündel auf das Bett und ging zum Fenster. Sie lehnte sich über den Sims, um die klare Morgenluft einzuatmen. Die aufgehende Sonne malte Feuer auf ihr blondes Haar, doch der rote Schein verging wieder, je mehr das Licht an Kraft gewann.
Das Treiben auf dem Burghof war interessant. Aimee beobachtete die Küchenjungen, die mit Körben voller Hirse, Kohl und Gemüse zum Küchenhaus liefen, und sah Mägde, die zu zweit eine Holzstange trugen, auf der gerupfte Täubchen aufgereiht waren. Selten hatte sie so viele Menschen auf einem Haufen gesehen. Das Tauffest würde prächtig werden, vielleicht das prächtigste Fest, das Aimee jemals miterleben sollte.
Schließlich war es Zeit, sich für den Kirchgang vorzubereiten.
Aimee badete zunächst in dem kleinen Zuber, was ungewohnt für sie war, denn für gewöhnlich sprang sie in den See gleich neben ihrem Haus. Danach kleidete sie sich in Ruhe an.
Das Unterhemd war aus einem feinen Gewebe, und im ersten Moment fühlte es sich seltsam kühl auf ihrer Haut an. Dann nahm sie das Kleid aus dem Schrank. Es war im Gegensatz zu jenen, die daneben hingen, recht einfach geschnitten, bestand jedoch aus einem glänzenden Gewebe, dessen Namen sie nicht kannte. Aimee hielt es gegen ihren Körper und betrachtete sich in dem Silberspiegel, der neben dem Bett angebracht war. Ein wenig verzerrte er ihr Bild, doch sie konnte sich darin gut erkennen. Irgendwie wirkte sie auf einmal ganz anders, gar nicht mehr wie Aimee die Schäferin. Aus dem Spiegel heraus blickte sie vielmehr eine Dame an. Ich gehöre nicht hierher, dachte sie. Dies hier ist nicht meine Welt.
Auch die Schnürung des Kleides, das sie schließlich überwarf, schien nicht ihre Welt zu sein. Sie war es gewohnt, ihr Mieder vor der Brust zu schnüren, dieses Kleid dagegen wurde auf dem Rücken verschlossen. Auf den Gedanken, eine der Mägde zu rufen, kam Aimee nicht. Sie war doch keine Baronin! Mit verrenkten Armen nestelte sie an den Bändern.
Als sie endlich fertig war, öffnete sie ihr Bündel. Es enthielt einen Kamm aus gebleichten Knochen, einige kleine Spangen, die ihr einst ein fahrender Händler geschenkt hatte, und ein kleines Fläschchen – die einzige Kostbarkeit in ihrem Reisegepäck. Sie öffnete den Stöpsel und atmete den entströmenden Duft tief ein.
Das Öl hatte sie aus den Blütenblättern ihrer eigenen Rosen gewonnen und mit etwas Rosmarin und wildwachsendem Lavendel versetzt. Wenn sie daran roch, sah sie die Wiese vor sich und die Rosen, die ihrem Turm umrankten. Der vertraute Duft gab ihr das Selbstvertrauen zurück.
Gerade als sie versuchte, ihre Locken zu bändigen, öffnete sich hinter ihr die Tür.
Aimee war derart in die Beschäftigung versunken, dass sie zunächst nicht mitbekam, wie jemand hinter sie trat.
»Lass dein Haar doch so, wie es ist, Aimee«, sagte eine Männerstimme.
Der Baron!
Die Schäferin wirbelte herum und wurde abwechselnd bleich und rot. Mit einem ihrer weiten Ärmel warf sie das kleine Fläschchen mit dem Rosenöl von dem Tisch, doch die Hand des Barons schoss vor und fing es, bevor es auf den Boden fallen konnte.
»Mylord, verzeiht, ich habe Euch nicht bemerkt«, sagte sie und verneigte sich.
Als er ihr bedeutete, dass sie sich wieder erheben konnte, blickte Aimee ihm direkt ins Gesicht und musste zugeben, dass Celeste recht gehabt hatte.
Er hatte sich verändert! Die hageren Wangen hatten sich gerundet, und es schien gar, als habe sich der Blick seiner grauen Augen ein wenig erwärmt. Sein Haar war kürzer, es reichte jetzt nur noch bis auf seine Schultern.
Ravencroft war bereits angekleidet. Unter seinem langen Wams trug er ein weißes Hemd, seine roten Beinkleider schmiegten sich eng an seine wohlgeformten Beine, und am Leibgurt trug er einen edelsteinverzierten Dolch. Seine Füße steckten in Schuhen aus feinem braunem Leder, deren Spitzen sich leicht nach oben bogen.
George of Ravencroft bedachte die Schäferin mit einem Lächeln und betrachtete dann das Fläschchen in seiner Hand. Ein paar Tropfen der duftenden Flüssigkeit waren über seine Haut geflossen, und unter der Wärme des darunter pulsierenden Blutes entfaltete sich der Duft.
Er hielt sich die Flasche unter die Nase, schloss die Augen und roch daran.
»Woher hast du das?«, fragte er dann.
»Ich habe es aus den Blütenblättern meiner Rose gewonnen«, antwortete Aimee und senkte den Blick. Das Blut pochte heftig in ihren Schläfen und Wangen.
Ein bewundernder Ausdruck schlich auf sein Gesicht. »Und wie?«
»Ich sammle die Blüten, nehme das Fett jenes Schafes, das mir für meine Hirtendienste zusteht, und bestreiche sie damit. Nach einer Weile ist der Duft der Blüten in das Fett eingezogen, und ich kann es durch Tücher pressen. Viel Öl bekommt man nicht, aber wenn man es sachte verdünnt, hat man lange etwas davon.«
Das Lächeln des Barons verbreiterte sich.
Erst jetzt fragte sich Aimee, was er überhaupt hier wollte. War sie bereits zu spät?
»Wer hat dir dieses Wissen vermittelt?«, wollte Ravencroft wissen.
»Mein Vater«, antwortete sie. »Bevor er nach Ravencroft kam, zog er als wandernder Geselle durch das Normannenreich bis nach Messina, der Kreuzfahrerstadt. Von einem Muselmanen lernte er das Erzeugen von duftenden Ölen. Dieses Wissen nutzte er, um Öle für meine Mutter herzustellen. Wenn man den Duft von Minze in Öl bannt, kann man damit gebärenden Frauen helfen.«
Ravencroft war beeindruckt. Aimee war eine gute Hebamme und für eine Schäferin ungewöhnlich klug. Dass sie sogar Künste aus dem Land der Muselmanen kannte, hätte er nicht erwartet.
»Mir scheint, du bist eine gescheite Frau, Aimee«, sagte er und stellte die Flasche zurück auf das Tischchen. »Eigentlich bin ich gekommen, um dich zu meiner Gemahlin zu bitten. Ich hätte einen Diener schicken können, aber ich wollte es mir nicht nehmen lassen, vor der Taufe noch einmal mit dir zu sprechen. Es hat sich gelohnt, sonst hätte ich all das nicht über dich erfahren.« Er stellte sich neben den Spiegel und betrachtete sie.
Aimee fühlte sich beklommen. Noch nie hatte ein Mann so viel Interesse für sie gezeigt.
»Fahre fort mit deinem Haar.«
Mit zitternden Händen löste die junge Frau die Spangen aus ihrem Haar und ließ es offen über ihre Schultern fallen.
Der Baron nickte zustimmend. »So ist es besser, Aimee, lass es so.«
Er ging einige Schritte und stellte sich hinter sie, um sie im Spiegel betrachten zu können. »Wenn du erlaubst, werde ich deine Schönheit vervollkommnen.«
Aimee nickte zwar, aber ihr Körper spannte sich, als sie sah, dass er das Fläschchen ergriff und sich damit ihrem Hals näherte.
Bevor es ihr eingefallen wäre zurückzuweichen, strich er ihr Haar nach hinten und tropfte etwas Öl auf ihren Hals. Dabei neigte er den Kopf leicht vor, und sein Haar berührte ihre Wange und ihre Schulter.
Aimee erstarrte, als sein Atem über ihre Brüste strich. Ein unbekannter Schauer durchzog ihren Leib und bündelte sich pochend in ihrem Schoß.
Der Baron bemerkte es sofort. Gewiss hätte ihn nichts davon abhalten können, sie aufs Bett zu ziehen und sie dort zu nehmen. Trotzdem stellte er die Flasche wieder ab und bedeutete ihr mitzukommen.
»Die Baronin erwartet dich.«
Nicole stand vor dem Fenster ihrer Kemenate und blickte missmutig auf den Hof. Sie hatte das Kindbett hinter sich, aber die schwere Geburt hatte ihre Spuren hinterlassen.
Seit Tagen hatte sie es vermieden, sich im Spiegel oder in der Fensterscheibe zu betrachten, weil sie dann die dunklen Schatten um ihre Augen und die eingefallenen Wangen sah.
Und das alles nur wegen des Balges!, ging es ihr durch den Sinn. Nur gut, dass die Amme es stillt, sonst würden meine Brüste ebenfalls die Form verlieren und herunterhängen wie bei einem alten Weib.
Enttäuschung hatte sich in ihr breitgemacht, als sie erfahren hatte, dass es nur ein Mädchen war. Sie wusste, was das bedeutete. Sobald sie wieder zu Kräften gekommen war, würde Ravencroft erneut das Bett mit ihr teilen.
Dabei war dies das Letzte, was sie sich wünschte. Sie wollte Ruhe vor ihm, zumal ihr seine Fürsorge auf die Nerven fiel.
In den vergangenen Wochen, die sie meist im Bett ihrer abgedunkelten Kemenate verbracht hatte, hatte sie sich Gedanken darüber gemacht, was sie wollte.
Auf keinen Fall noch einmal durchleiden, was ich wegen Ravencroft durchlitten habe!, war die erste klare Antwort gewesen. Dass sie bei der Geburt beinahe gestorben wäre, konnte sie ihrem Gemahl einfach nicht verzeihen. Ihre Abneigung gegen ihn war stetig gewachsen, so dass sie sich sehnlichst wünschte, er möge weit fortziehen und für mehrere Jahre nicht zurückkehren.
Den Gefallen würde er ihr allerdings gewiss nicht tun.
Seufzend richtete Nicole den Blick auf den Hof. Sie hoffte, Henry Fellows zu sehen, denn immer wenn sie seine Gestalt erblickte, fühlte sie sich besser. Doch er war nirgends zu entdecken. Stattdessen erblickte sie die ersten Edlen, die sich auf den Kirchgang vorbereiteten, darunter auch ihren Vater. Er hatte darauf verzichtet, seine Mätresse mitzubringen, worüber Nicole ganz froh war, denn sie hasste dieses Weib aus vollem Herzen.
Da sie nun schon bei der Gespielin ihres Vaters war, kam ihr der Gedanke, dass sich ihr Gemahl vielleicht auch eine Mätresse zulegen sollte. Bevor sie ihn jedoch weiterführen konnte, ertönte hinter ihr ein leises Kratzen an der Tür.
»Komm rein!«, rief sie unwirsch und löschte sich vom Fenster. Sie rechnete damit, dass es Celeste war, die sich wieder einmal nach ihren Wünschen erkundigen wollte.
Doch es war Aimee, die wenig später die Kemenate betrat.
»Verzeiht, Mylady. Euer Gemahl bat mich, nach Euch zu schauen.«
Nicole sagte dazu zunächst nichts, sondern betrachtete Aimee nur. Wie hübsch sie ist, ging es ihr durch den Sinn. Mein Vater hätte sie gewiss zu seinem Liebchen gemacht.
Neid auf die Schönheit der Schäferin regte sich in ihr, doch da sie wusste, dass es allein dieser Frau zu verdanken war, dass sie noch lebte, drängte sie ihn zurück.
»Das war sehr freundlich von meinem Gatten«, entgegnete sie und zwang sich zu einem Lächeln. »Tritt näher!«
»Wie geht es Euch, Mylady?«, fragte Aimee, während sie den Blick über das kostbare grüne Brokatgewand schweifen ließ, das die Baronin für die Tauffeier trug.
»Wie es einem Weib geht, dem man ein Kind aus dem Leib gerissen hat«, entgegnete Nicole seufzend.
»Habt Ihr noch Schmerzen?«, fragte die Schäferin weiter.
»Nein, nicht mehr. Dennoch weiß ich nicht, ob ich diese Qual noch einmal durchzustehen vermag.«
»Es ist das Los des Weibes …«, begann Aimee vorsichtig.
Sogleich brauste Nicole auf. »Ein schlimmes Los! Eines, das mich fast umgebracht hätte!« Noch während sie die Worte herausschleuderte, kam ihr eine Idee. Wie wäre es, wenn ich das Mitleid der Hebamme nutzte, damit sie mir hilft, Ravencroft aus meinem Bett fernzuhalten?
Bevor Aimee es verhindern konnte, griff Nicole mit eisigen Händen nach ihr. »Sag mir, wird es bei allen anderen Geburten ebenso sein? Ist es möglich, dass bereits die nächste mich umbringt?«
Aimee senkte den Blick. Natürlich war das möglich! Manche Frauen überstanden zehn und mehr Geburten bei völliger Gesundheit und wurden danach sogar älter als ihre Männer. Andere dagegen starben bereits beim ersten Mal. Auch die Baronin hätte dazugehört, wenn das Glück nicht auf meiner Seite gewesen wäre, dachte Aimee.
»Die ersten Geburten sind immer schwer«, antwortete sie ausweichend. »Aber ich habe es auch schon erlebt, dass die zweite Geburt glücklicher war als die erste.«
Bevor Nicole etwas darauf entgegnen konnte, trat der Baron durch die Tür.
Die Miene seiner Gemahlin verfinsterte sich für einen kurzen Moment, aber weder Aimee noch Ravencroft sollten mitbekommen, wie es in ihrem Herzen aussah. Daher riss sie sich mühsam zusammen.
»Wie ich sehe, unterhaltet ihr euch prächtig«, sagte er und bedachte die Baronin mit einem freudigen Lächeln. Dann wanderte sein Blick zu Aimee.
Sie erwiderte ihn einen kurzen Augenblick, dann senkte sie die Lider.
Nicole hoffte, ihr Lächeln möge echt genug wirken, damit Ravencroft nicht etwas darin las, das ihn zu weiteren Bekundungen von Besorgnis und Fürsorge anstiftete.
»In der Tat, wir haben uns gut unterhalten.« Nicole warf Aimee einen kurzen, verschwörerischen Blick zu.
»Ich hoffe, ihr habt alles besprochen, was ihr zu besprechen hattet?«, fuhr der Baron fort, und auch er wandte sich erneut der Schäferin zu.
Nicole zog angesichts des Ausdrucks auf seinem Gesicht verwundert die Augenbrauen hoch. Seit wann schenkte ihr Gemahl einer Bediensteten derart viel Aufmerksamkeit? Sicher, die Schäferin sollte die Patin ihres Kindes werden, eine Entscheidung, die sie noch immer nicht verstand, denn Aimee war nichts weiter als eine Untertanin. Dieser Blick war dennoch viel mehr, als es angemessen gewesen wäre.
»Ja, das haben wir«, antwortete sie, während ihre Gedanken in Bewegung gerieten. Sollte es möglich sein, dass mein Gemahl Gefallen an Aimee findet?, fragte sie sich. Und wenn, wie kann ich das zu meinem Vorteil nutzen?
»Gut, dann sollten wir uns für den Kirchgang bereitmachen.« Mit diesen Worten bedeutete Ravencroft Aimee zu gehen.
Nachdem die Schäferin das Gemach der Baronin verlassen hatte, erschauderte sie. Wieder hatte sie daran denken müssen, wie Ravencrofts Atem ihre Brüste gestreift hatte. Da ihr niemand ansehen sollte, welche Verwirrung sie angesichts seiner Blicke ergriffen hatte, folgte sie ein Stück weit dem Gang und lehnte sich an eine der Säulen. Ihr Gesicht brannte wie Feuer. Was hatte das zu bedeuten? Warum fühlte sie so?
»Ist dir nicht wohl?«, ertönte plötzlich eine Stimme von der Seite.
Ohne dass sie ihn wahrgenommen hätte, war Henry Fellows neben ihr aufgetaucht. Der Hauptmann lächelte sie freundlich an, und Aimee bemerkte, dass auch er eine Wandlung durchgemacht zu haben schien.
Am Tage der Niederkunft seiner Herrin hatte er angespannt gewirkt, jetzt wirkte er zufrieden, als sei er selbst Vater geworden. Oder hatte er sich gar verliebt? Auf der Burg und auch im Dorf gab es so manches hübsche Mädchen, das sich gefreut hätte, sich einen Mann wie ihn zu angeln.
»Doch, doch, mir ist wohl«, antwortete Aimee und zwang sich zu einem Lächeln. »Ich bin nur ein wenig aufgeregt. Das Leben auf der Burg ist neu für mich, wie Ihr vielleicht wisst, bin ich lieber in meinem Turm.«
»Du wirst dich an das Leben hier gewöhnen müssen«, entgegnete Henry Fellows freundlich. »Der Baron ist ein sehr fordernder Herr. Er liebt seine Tochter über alles und wird ein strenges Auge auf dich haben. Du solltest niemals nachlässig sein.«
»Das werde ich ganz gewiss nicht.« Aimee straffte sich. Das Gespräch mit dem Soldaten vertrieb das irritierende Herzklopfen. »So gewissenhaft, wie ich meine Schafe hüte, werde ich auch auf das Kind achtgeben.«
»Dass deine Schafe keine Not leiden, habe ich gesehen. Ein Menschenkind ist da schon etwas anderes.«
»Als ob Ihr Ahnung davon hättet, Henry Fellows!«, entgegnete Aimee lachend. »Ich habe schon viele Kinder auf die Welt geholt, da werde ich mich auch darauf verstehen, über sie zu wachen.«
Henry musste zugeben, dass sie recht hatte. Er war ein Mann des Schwertes, während sie sich auf die Kinder verstand. Außerdem war er ihr noch immer dankbar, dass sie seine Herrin gerettet hatte.
»Was die Taufe angeht, brauchst du dich nicht zu beunruhigen«, sagte er freundlich. »Die Anwesenden mögen zwar adlig sein, aber letztlich waschen sie sich auch nur mit Wasser.«
Damit bot er ihr galant seinen Arm an und führte sie auf den Burghof.
Die Burgkapelle übertraf bei weitem alles, was Aimee bislang gesehen hatte. Ein paar Mal war sie mit ihrer Schafherde hier vorbeigezogen, doch das Innere war ihr stets verborgen geblieben.
Jetzt tönte ihr der helle Klang der Glocken entgegen, während sie staunend die Inneneinrichtung betrachtete. Die Bänke waren aus teurem Holz gefertigt, das Altarbild bestand aus purem Gold und kunstvollen Schnitzereien. Durch die prächtigen Bleiglasfenster, die in das Kirchenschiff eingelassen waren, fiel das Licht in einer Vielzahl leuchtender Farben herein. Die Bilder zeigten Szenen aus der Bibel, die Aimee aus den Erzählungen ihrer Mutter kannte.
Im ersten Moment war sie dermaßen fasziniert von dem Anblick, dass sie ganz vergaß, dass sie hier nicht allein war. Sie waren insgesamt vier Paten, zwei Frauen und zwei Männer. Zwischen zwei adligen Herren und einer adligen Dame, die der Baronin ungemein ähnlich sah, stand die Hebamme.
Verhaltenes Flüstern hallte durch das Kirchenschiff. Wahrscheinlich fragten die Anwesenden sich, wer die Fremde mit dem seltsamen Haar sei. Aimee starrte nervös auf ihre Schuhe. Zwar kämpfe ich tagtäglich mit Wölfen, dachte sie, aber das ist nichts gegen die Taufe der Tochter des Lehnsherrn.
Nachdem der Baron und die Baronin mit dem Kind auf dem Arm die Kirche betreten hatten, begann Pater Romuald mit der Zeremonie. Er sprach in Latein, wovon Aimee nur wenige Silben verstand, und der Singsang seiner Stimme wirkte auf die meisten Gäste so einschläfernd, dass sie Mühe hatten, die Augen offen zu halten. Schließlich fragte er die Paten nach ihrem Namen und ob sie bereit seien, dem Bösen zu entsagen.
Während alle anderen klangvolle Namen aufzuweisen hatten, antwortete die Schäferin nur mit »Aimee« und: »Ja, ich entsage dem Bösen, so wahr Gott mir helfe.«
Wieder tuschelten ein paar Leute. Anscheinend fragten sie sich, was den Baron wohl dazu getrieben hatte, eine Frau aus dem Volk zur Patin seines Kindes zu machen.
Höhepunkt der Zeremonie war, dass der Pater das Kind über das silberne Taufbecken hielt und unter den Formeln, welche den bösen Geist aus dem Körper des Mädchens treiben sollten, das geweihte Wasser auf den kleinen Kopf schöpfte. Wie alle kleinen Kinder war auch die kleine Baroness nicht besonders entzückt von dem kalten Nass, daher begann sie zu schreien, und zwar so laut, dass es selbst die Kirchenglocken und die Stimme des Mannes, der nun ihren Namen verkündete, fast übertönt hätte.
»Ich taufe dich, Mary Nicolette Christine Isabell Aimee of Ravencroft, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.«
Es war Brauch, dem Kind je nach Geschlecht die ersten Vornamen der Paten oder Patinnen zu geben. Diese stellten sich um das Kind auf und sprachen gemeinsam mit dem Pater das Gebet.
Aimee dachte, dass sich die Tochter eines Barons nicht von der eines einfachen Mannes unterschied. Beide schrien und strampelten wie junge Katzen, sobald ihnen der Priester das Weihwasser über die spärlichen Haare goss. Der Vergleich ließ die Schäferin lächeln, und als sie aufblickte, bemerkte sie, dass der Baron es gesehen hatte.
Er erwiderte ihr Lächeln und übergab das getaufte Kind der Mutter. Erneut stimmten die Anwesenden ein Gebet und schließlich einen Gesang an. Während dieser Zeit wanderten die Augen des Barons immer wieder zu Aimee hinüber.
Wie schön sie doch ist, dachte er. So rein wie eine jungfräuliche Quelle. Warum hatte er diese wunderbare Frau nicht schon vorher ausgemacht?
Noch nie zuvor hatte ihm der Sinn nach Mätressen gestanden, und selbst mit den Mägden war er nicht ins Heu verschwunden. Die Einsamkeit der vergangenen Jahre hatte er durch Arbeit und Kämpfe wettzumachen versucht. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass dies ein Fehler gewesen war.
Ob Aimee spürte, was in ihm vorging? Sittsam hielt sie die Augen gesenkt, nur hin und wieder erlaubte sie sich einen verstohlenen Blick.
Just in diesem Moment, auch wenn seine Gemahlin neben ihm stand, ging ihm nur ein Gedanke durch den Kopf:
Wenn einer dieses Weib bekommt, dann ich.
Als die Zeremonie zu Ende war, verließen die Gäste die Kirche und begaben sich zurück in die Burg. Bis zum Beginn der Feier dauerte es noch ein wenig, und der Baron hatte geboten, dass sich die Paten und anderen Anwesenden noch ein wenig ausruhen sollten.
Dasselbe galt auch für Nicole. Wie es ihr befohlen worden war, zog sie sich in ihre Kemenate zurück und schicke Celeste und die anderen Mädchen fort.
Nach Ruhe war ihr allerdings nicht zumute. In ihrem Geist tobte ein Sturm, der zum Einen mit Henry Fellows zu tun hatte. Während der Taufe hatte sie ihn immer wieder betrachtet und war von einer seltsamen Unruhe übermannt worden. Zum Zweiten waren da die Blicke, die ihr Gemahl der Schäferin zugeworfen hatte.
Wollte er sie etwa zu seiner Mätresse machen?
Nicht, dass Nicole sonderlich großen Wert darauf legte, ihn wieder in ihrem Bett zu haben. Aber sie fand sein Interesse an Aimee schon bemerkenswert, und erneut fragte sie sich, in welcher Hinsicht sie es zu ihrem Vorteil nutzen konnte.
Eine Idee wollte ihr nicht in den Sinn kommen, und bevor sie dazu entschlossen war, in den Bogengang zu treten, in der Hoffnung, Henry zu sehen oder ihm vielleicht zu begegnen, betrat ihr Gemahl das Gemach.
»Wie geht es Euch, meine Liebe?«, fragte er, die Hände auf dem Rücken verschränkt.
Er wirkt wie ein Hofmarschall, der einen Gast ankündigen will, dachte Nicole spöttisch bei sich und antwortete dann: »Ich befinde mich wohl, danke der Nachfrage, Mylord.«
»Ihr wirkt irgendwie angespannt«, entgegnete er und trat näher. »Hat das einen bestimmten Grund?«
In der Baronin wuchs der Widerwille. Sie wollte Ravencroft jetzt nicht um sich haben. Aber was sollte sie dagegen tun? Dies war seine Burg, und sie war sein Weib.
»Nein, Mylord. Die Taufe hat mich nur ein wenig angestrengt. Wie Ihr wisst, bin ich noch immer etwas schwach.« Sie hoffte, dass er sie in Frieden lassen würde, wenn sie ihre angeschlagene Gesundheit vorschützte.
Anstatt einfach wieder zu gehen, wirkte der Baron entsetzt, und ein besorgter Ausdruck schlich sich auf sein Gesicht.
»Soll ich den Medikus kommen lassen? Oder Aimee?«
»Nein, ich …« Bevor Nicole weitersprechen konnte, donnerte plötzlich mit großem Getöse eine Kutsche auf den Hof.
Ravencroft unterbrach sogleich die Unterhaltung und eilte ans Fenster. Als er den schweren eisenbeschlagenen Kasten sah, wusste er, wer da gerade das Tor zu seiner Burg durchquert hatte.
Sein alter Feind Woodward!
Er beobachtete, wie die Lakaien von der Kutsche sprangen und die Tür öffneten. Wenig später erschien der Baron.
Wie feist er doch mittlerweile geworden ist, ging es Ravencroft durch den Sinn. Wie ein Schwein, das man in prächtige Gewänder gesteckt hat.
Eigentlich sah er ihn und sein Weib am liebsten von weitem oder gar nicht, aber in diesem Falle war es etwas anderes. Er hatte seinen Nachbarn eingeladen, um ihm zu zeigen, dass er nicht länger erbenlos war. Und um ihm damit zu sagen, dass Woodward sich keine Hoffnung zu machen brauchte, jemals seine Baronie in die Finger zu bekommen.
»Komm, meine Liebe, sieh dir unseren neuen Gast an«, wandte er sich an seine Gemahlin.
Nicole musterte ihn einen Moment lang verwundert, denn eigentlich sollten alle Gäste bereits in der Kirche gewesen sein.
Am Fenster angekommen, erblickte sie einen untersetzten grauhaarigen Mann und eine Frau, die das komplette Gegenteil von ihm war. Schwarzhaarig und so hager, dass ihr Kleid wie eine Fahne um ihren Leib flatterte.
»Der Baron of Woodward und seine Gemahlin«, stellte Ravencroft vor. »Einer der ärgsten Feinde, die ich habe.«
Bei dem Wort Feind horchte Nicole auf. Bislang hatte ihr Gemahl mit keinem Wort erwähnt, dass es da jemanden gab, mit dem er in Fehde lag. Vielleicht würde er irgendwann gegen seinen Feind zu Felde ziehen – wenn es denn einen triftigen Anlass dazu gab …
»Warum hast du diesen Mann eingeladen, wenn er dein Feind ist?«, erkundigte sich Nicole beiläufig.
Ravencroft seufzte. »Es gibt einen alten Streit zwischen unseren Familien. Es ging schon immer um Land und das Vorrecht in diesem Landstrich. Woodwards Vorfahren waren bereits mit meiner Familie verfeindet, als mein Vater noch regierte. Als ich damals mit dem König ins Heilige Land zog, hoffte der alte Woodward darauf, dass ich nicht wiederkehren würde. Als ich es doch tat, griff er unsere Baronie an. Obwohl ich mir geschworen hatte, nicht so schnell wieder in den Krieg zu ziehen, musste ich noch einmal kämpfen – und siegte. Seit Woodwards Sohn regiert, herrscht ein unsicherer Friede zwischen uns. Unser Wettstreit ging vorrangig darum, wer als Erster einen Nachkommen bekommt. Dank dir, meine Liebe, habe ich erneut gewonnen.« Er wandte sich um, ergriff ihre Hand und drückte einen Kuss darauf.
Nicole zwang sich zu einem Lächeln, um die Gedanken hinter ihrer Stirn zu verschleiern.
Obwohl der Baron die Worte ganz leicht und fast beiläufig gesprochen hatte, schnürten sie Nicole die Kehle zu. Sie war Teil einer Wette gewesen. Natürlich nicht direkt, aber indirekt schon. Indem sie beinahe ihr Leben geopfert hatte, um dieses vermaledeite Kind zu bekommen, hatte sie die Woodwards übertrumpft. Das machte sie zur Zielscheibe des Hasses dieses anderen Barons. Wahrscheinlich musste ihr Gemahl jedes Mal daran denken, wenn er sie und das Kind ansah. Vielleicht freute er sich auch nur deswegen über die Geburt.
Nicole verbarg ihre Enttäuschung darüber und zog sich vom Fenster zurück. Ihr Gemahl blieb noch eine Weile dort stehen und beobachtete seinen Feind. Seine Miene wirkte, als würde er sich gerade eine Strategie zu einem Feldzug zurechtlegen. Der Baronin war es egal.
Sie legte sich auf das Bett und schützte vor, sich ausruhen zu wollen. Sie schloss die Augen und dachte an Henry. Wie sollte sie an ihn herankommen und herausfinden, ob er halten konnte, was sein Anblick versprach? Und waren seine Blicke überhaupt etwas anderes als reine Loyalität seiner Herrin gegenüber?
Nach einer Weile ging die Tür, und sie spürte, dass der Baron fort war. Unendliche Erleichterung machte sich in ihr breit. Vielleicht ergibt sich heute Abend eine Möglichkeit, dachte sie seufzend und erhob sich wieder, um am Fenster zu beobachten, wie Ravencroft seinen Nachbarn in Empfang nahm.
»Geehrte Nachbarn, es freut und ehrt mich, Euch hier begrüßen zu dürfen!«
Bei einer anderen Person wäre Ravencroft mit diesen Worten und mit offenen Armen zu seinem Besucher und seiner Gemahlin getreten. Da es aber der Baron und die Baronin of Woodward waren, blieb es bei den Worten, und er hielt Abstand.
Woodward setzte ein derart gequältes Lächeln auf, als sei ihm soeben eine schwärende Wunde aufgesprungen. Der Mann, dem er gegenüberstand, war nicht mehr derjenige, den er vor einigen Jahren im Kampf erlebt hatte. Dieser Mann sah deutlich besser aus, gesetzter, ausgeglichener und glücklicher.
Dass eine junge Frau eine belebende Wirkung auf einen Mann haben konnte, war ihm bereits bekannt, schließlich erlebte er es selbst jedes Mal, wenn er zu Janet ging.
Doch das Bild, das Ravencroft abgab, war einfach nur beneidenswert. Sein Weib musste ihn wirklich glücklich machen.
Ganz im Gegensatz zu seiner eigenen Gemahlin, die mit schmalen Lippen und stumpfem Blick neben ihm stand und versuchte, ihre Gesichtszüge im Zaum zu halten.
Zum Glück habe ich Janet und das Kind, das in ihrem Leib heranwächst, tröstete sich Woodward. Mit etwas Fortune werde ich einen Sohn haben und nicht wie Ravencroft eine schwache Tochter.
Natürlich könnte auch eine Tochter seinen Titel erben, doch diese Erbfolge war schwach, denn wenn sie heiratete, würde ihr Gemahl über den Besitz bestimmen und nicht sie. Das wollte er auf jeden Fall vermeiden.
Aber jetzt war es nicht die Zeit, solche Überlegungen anzustellen.
»Ich hoffe, Ihr nehmt es uns nicht übel, dass wir so spät ankommen«, sagte Woodward laut. »Wir wären gern bei der Taufe dabei gewesen, doch unterwegs haben sich Schwierigkeiten mit unserem Gefährt ergeben.«
»Macht Euch keine Gedanken, ich freue mich dennoch über Euren Besuch und hoffe, dass es uns gelingt, unsere Spannungen ein wenig zu vergessen.«
Ravencroft war davon überzeugt, dass Woodward gelogen hatte, was seine Kutsche anging. Sein waches Auge konnte keinen Schaden entdecken, und auch die Pferde waren in Ordnung.
Gleichwohl war er sich dessen bewusst, dass die Spannungen zwischen ihm und Woodward wohl nie verschwinden würden, solange nicht einer von ihnen erbenlos blieb und die Linie ausstarb. Durch die Geburt von Mary hatte sich ihm das Glück immerhin schon ein wenig entgegengeneigt.
»Wo ist eigentlich Eure reizende Gemahlin?« Woodward blickte zu dem Turm auf, in dem er die Gemächer der Baronin vermutete. Nicole hatte sich allerdings schon vom Fenster zurückgezogen. »Man hört, dass die Geburt nicht ganz einfach gewesen sein soll.«
Ravencroft überraschte es nicht, dass sein Widersacher so gut informiert war. Es war eine Tatsache, dass sein Nachbar herumspionierte, und um zu erfahren, was sich bei der Geburt ereignet hatte, brauchten seine Leute nur in eines der umliegenden Dörfer zu gehen.
»Das ist richtig, aber welche Geburt ist schon leicht? Dank unserer Gebete zu Gott und der Heiligen Jungfrau ist alles glücklich verlaufen, und meine Gemahlin wie auch meine Tochter sind wohlauf. Die Baronin bereitet sich momentan auf die Feierlichkeiten vor, wird es sich aber nicht nehmen lassen, Euch persönlich zu begrüßen.«
Mit diesen Worten winkte er einen Diener heran. »Geleite die Lordschaften zu ihrem Quartier.«
Der Diener verneigte sich vor seinem Herrn, dann verneigten sich die Barone voreinander, und schließlich gingen sie gemeinschaftlich in die Burg.