13. Kapitel

Bereits am nächsten Morgen kehrte Aimee zu früher Stunde in die Burg zurück. Ihre Herde war unversehrt gewesen, John hatte sich lediglich den Kopf an einem tiefhängenden Ast angestoßen, als er hinter einem der Lämmer hergerannt war. Die Beule hatte rot und blau geleuchtet, aber keiner weiteren Behandlung bedurft.

Die Schäferin kannte den Grund, der sie so bald in die Burg zurückzog. Es war Ravencroft. Sie hatte festgestellt, dass sie nicht sein konnte, ohne ihn einmal am Tag gesehen zu haben.

Während des Ritts wanderten ihre Gedanken immer wieder zu ihm. Seine Besorgtheit und Wärme hatten sie gerührt, und mittlerweile stellte sie sich vor, wie es wäre, in seinen Armen zu liegen und von ihm liebkost zu werden.

Ob sie ihm widerstehen konnte, wenn er sie erneut in seine Arme zog, wusste sie nicht. Wahrscheinlich würde sie sich ihm mit Haut und Haaren hingeben und nicht weiter auf die Stimme ihres Gewissens achten, denn dieses lag offensichtlich falsch. George of Ravencroft war kein rücksichtsloser Mann.

Vor dem verschlossenen Tor machte sie halt.

Es war noch sehr früh am Morgen, Aimee schätzte anhand der langsam heraufziehenden Helligkeit, dass es die dritte oder vierte Stunde nach Mitternacht war.

Eigentlich hätte sie auch später kommen können, aber seit den Abendstunden hatte sie etwas gedrängt, endlich zurückzureiten. Sie hatte John von seinem Strohsack gezerrt, ihn zur Weide geschickt und sich dann auf den Weg gemacht.

Nach einer Weile traten ihr die Torwächter entgegen. Der Baron hielt seine Männer zu ständiger Wachsamkeit an, dennoch passierte es hin und wieder, dass sie sich dem Schlaf ergaben.

So wie sie aussahen, musste das bis eben noch der Fall gewesen sein. Sie blickten die junge Frau aus verschlafenen Augen an, erkannten sie aber glücklicherweise sofort.

»Gott zum Gruße, Aimee, du bist wieder zurück?«

Offenbar hatte ihre Abreise nicht nur den Baron erstaunt. Sie war gespannt darauf, was sich die Mägde mittlerweile zuraunten. Ob Celeste etwas erzählt hatte?

»Ja, das bin ich«, entgegnete sie lächelnd. »Das heißt, wenn ich hier immer noch willkommen bin.«

»Uns ist nichts Gegenteiliges zu Ohren gekommen.«

Damit gab einer der Wächter das Zeichen, dass das Gitter hochgezogen werden sollte.

Die Schäferin bedankte sich und ritt durch das Tor. Ein paar Hühner stoben gackernd vor ihr auseinander, während die Schweine, die ihre Nasen in den Schlamm steckten, sich nicht weiter stören ließen. Ein paar Feuerstellen, die den Wachen als Wärmequelle gedient hatten, rauchten vor sich hin, doch niemand war zu sehen. Auch in den Nebengebäuden der Burg war noch alles still. Nicht mal die Hunde waren wach.

Aimee saß ab und blickte sich um. Die meisten Fensterläden der Burg waren geschlossen. In den wenigen Scheiben, die nicht abgedeckt waren, spiegelte sich das erste Morgenlicht.

Da auch die Stallburschen gewiss noch im Stroh lagen und von den Dorfmädchen träumten, führte Aimee den Rappen selbst zu den Ställen.

Als sie das Tor öffnete, nahm ihr der intensive Stalldunst für einen Moment den Atem. Sobald sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, brachte sie den Rappen an seinen Platz im hinteren Teil des Gebäudes. Sie nahm ihm Sattel und Decke ab und rieb sein Fell mit etwas Stroh trocken. Der Rappe steckte unterdessen den Kopf in die Futterkrippe.

Ein Geräusch ließ sie plötzlich innehalten.

Es war das Rasseln des Tores. Aimee dachte zunächst, dass das laute Rumpeln von den Wachen herrührte, die dabei waren, das Tor wieder zu schließen, aber dann hörte sie donnerndes Hufgetrappel.

So früh am Morgen ritt eigentlich niemand aus, auch der Baron nicht. Wer trabte da wohl über den Burghof?

Eigentlich war keine Gefahr zu erwarten, die Wächter auf den Türmen versahen ihren Dienst gut. Dennoch schlich sich Aimee zum Stalltor und spähte hinter dem Pfosten hervor. Der Reiter parierte sein Pferd durch und sprang aus dem Sattel.

Sie erkannte Henry Fellows sofort.

War er etwa schon wieder zurück von seinem Vater? Celeste hatte ihr erzählt, dass der Hauptmann nach Hause geritten sei, weil es seinem alten Herrn sehr schlechtging. Unglücklicherweise war er jedoch schon fort gewesen, sonst hätte Aimee ihm noch ein paar Kräuter mitgegeben.

Bedeutete seine frühe Rückkehrt etwa, dass sein Vater wieder gesundet war? Oder war er am Ende gestorben?

Die Schäferin beobachtete, wie sich Henry seinen Waffenrock aufriss und dann sein Pferd beim Zügel nahm. Auch er schien nicht auf die Stallburschen warten zu wollen.

Um von Fellows nicht gefragt zu werden, was sie zu dieser Stunde hier tat, versteckte sie sich im hintersten Winkel des Stalls. Im selben Moment stieß der Hauptmann das Tor auf, das sich hinter ihr geschlossen hatte. Er blickte sich suchend um, als hinter ihm plötzlich eine Gestalt auftauchte.

Aimee konnte nicht erkennen, wer es war, aber die Konturen, die sich unter dem dunklen Gewand abzeichneten, waren eindeutig weiblich. Dann bemerkte sie, dass ein helles Nachthemd unter dem schweren Mantel hervorblitzte.

Offenbar wollte die Frau nicht, dass jemand sie sah, denn sie hielt die Kapuze fest vor ihrem Gesicht zusammen.

Schweigend trat sie zu Henry und fragte dann: »Hast du es überbracht?«

Der Hauptmann, der nicht so wirkte, als sei er von ihrem Auftauchen überrascht, nickte mehrmals. »Ja, und er hat mir mitgeteilt, dass er die Angelegenheit prüfen will. Er wird einen Boten schicken.«

Mit dieser Antwort schien die Frau zufrieden zu sein. Sie kehrte um und verließ den Stall, ohne noch etwas zu dem Hauptmann zu sagen.

Aimee war verwirrt. Irgendwie meinte sie, die Stimme erkannt zu haben. Obwohl die Frau sehr leise gesprochen hatte, hätte sie schwören können, dass es die Stimme der Baronin war. Hatte sie Fellows mit einem Auftrag betraut, bevor er zu seinem Vater geritten war?

Diese Frage beschäftigte die Schäferin so sehr, dass sie nicht daran dachte, durch die Hintertür zu verschwinden. Da war es auch schon zu spät, und Fellows kam mit seinem Pferd tiefer in den Stall. Hektisch begann Aimee, mit dem Striegel über den Rücken ihres Rappen zu fahren und versuchte, möglichst unbeteiligt dreinzublicken.

»Aimee!« Die Überraschung stand Henry ins Gesicht geschrieben. Gleichzeitig entdeckte die Schäferin in seiner Miene noch etwas anderes: die Angst davor, dass sie ihn und die Unbekannte im Mantel belauscht haben könnte.

»Hauptmann Fellows«, entgegnete sie mindestens ebenso erstaunt, »wie geht es Eurem Vater?«

»Es geht ihm wieder besser«, antwortete er unsicher. »Was ist mit Ravencrofts Tochter?«

»Sie ist genesen, worauf mich der Baron losgeschickt hat, um mich ein wenig zu erholen und nach meiner Herde zu schauen.«

»Das ist gut, ich meine, die Genesung des Mädchens«, brachte Fellows schließlich hervor und verstummte dann wieder verlegen.

Aimee nickte ihm zu und verabschiedete sich mit einem fröhlichen Lächeln von ihm.

Draußen vor der Stalltür fragte sie sich, wer die geheimnisvolle Frau gewesen sein könnte. Wirklich die Baronin? Wenn ja, dann ging es sie gewiss nichts an. Sie drängte ihre Gedanken energisch zurück und begab sich in ihr Quartier.

 

Nicole wirkte an diesem Morgen so frisch wie schon lange nicht mehr. Aimee blickte in das Gesicht einer Frau, die dabei war, dieselbe Schönheit zu erlangen, die sie vor ihrer Schwangerschaft besessen hatte.

»Aimee, wie gut, dass du wieder da bist!«, begrüßte die Baronin sie überschwenglich, als sie in ihre Gemächer trat.

Celeste und die anderen waren gerade dabei, sie anzukleiden. Das Gewand, das sie sich hatte bringen lassen, war Aimee noch unbekannt. Offenbar hatte sie es erst vor kurzem erworben. Der dunkelrote Brokat war über und über durchwirkt mit feinen Ranken und wetteiferte in seinem Leuchten mit dem Strahlen auf dem Gesicht der Baronin.

Kein Wunder, dass ihr nach Feiern zumute ist, immerhin ist ihre Tochter außer Gefahr, dachte die junge Schäferin.

»Wie ich sehe, befindet Ihr Euch wohl, Mylady«, sagte Aimee, nachdem sie sich verbeugt hatte.

Nicole lächelte sie huldvoll an. »Ja, das stimmt. Mir geht es so gut wie lange nicht mehr. Der Sonnenschein erhellt mein Gemüt.«

Wohl nicht nur der Sonnenschein, dachte Aimee, als sie sich erhob. Die Baronin wirkte, als sei sie verliebt. Hatte sie sich etwa mit ihrem Gemahl versöhnt?

»Meiner Tochter geht es bestens. Du solltest nach Mary schauen und anschließend zu mir kommen.«

Was kann sie von mir wollen?, fragte sich Aimee, entgegnete aber: »Sehr wohl, Mylady«, und verließ dann den Raum.

In der Kinderstube der Baroness fand sie die Amme vor, die dem kleinen Mädchen gerade die Brust gab.

»Aimee!«, rief die junge Frau aus, als sie durch die Tür trat. »Gott sei Dank bist du wieder da. Die Tinktur für meine Brust geht aus, und die kleine Lady beißt mich so stark wie vor ihrer Krankheit.«

Mary stieß ein schelmisches Glucksen aus, als hätte sie die Worte der Amme verstanden.

Aimee lächelte und hockte sich vor die Frau, um das Kind zu betrachten. Jegliches Anzeichen von Krankheit war verschwunden, und auch ihre Temperatur war wieder normal.

»Ich werde dir gleich heute eine neue Tinktur zubereiten«, entgegnete sie schließlich, und nachdem sie eine Weile nachgedacht hatte, fragte sie: »Ist dir aufgefallen, wie gut gelaunt die Baronin ist?«

Die Amme nickte. »Ja, das ist sie schon seit gestern. Sie scheint wirklich sehr erleichtert zu sein über die Genesung ihres Kindes.«

»Welche Mutter wäre das nicht?«, entgegnete Aimee nachdenklich und konnte sich eines schalen Gefühls nicht erwehren. Vielleicht gehörte die Baronin zu den Frauen, die ihren Kummer still ertrugen. Allerdings stand die jetzt zur Schau gestellte Freude in keinem Verhältnis zu der Besorgnis, die sie während Marys Krankheit gezeigt hatte.

Die Schäferin wusste nicht, was sie davon halten sollte. Erst Henrys Treffen mit der Fremden, dann das Festkleid der Baronin …

»Ich werde dir ein wenig Milch mit Honig zur Stärkung holen«, sagte Aimee, nachdem sie Mary noch einmal sanft über das Köpfchen gestreichelt hatte. »Und gleich mal nachsehen, ob ich noch genügend Zutaten für deine Tinktur habe.«

Auf dem Weg zur Küche traf die Hebamme auf den Baron und ein paar seiner Männer. Henry Fellows war ebenfalls dabei, und wieder bemerkte sie in ihrem Blick dieselbe Unsicherheit wie am frühen Morgen.

Lächelnd sank sie in eine tiefe Verbeugung.

Der Baron, der in seinen wattierten Fechtrock gekleidet war und sein Schwert unter dem Arm trug, lächelte breit.

»Schön, dass du wieder zurück bist. Wie geht es deiner Herde?«

»Bestens, Mylord. John versieht seine Arbeit sehr gründlich. Bis jetzt ist keines der Lämmer von Wölfen gerissen worden.«

»Das freut mich zu hören!«, gab Ravencroft zurück. »Hast du schon nach meiner Tochter gesehen?«

»Ja, Mylord, und es freut mich sehr, dass sie wieder gesund ist.«

Aimees Wangen glühten unter den Blicken des Barons. Ihr Herz raste, und ihre Brust wurde von Sehnsucht beinahe zerfetzt. Wie kommt es nur, dass er solch eine Macht über mich hat?, fragte sie sich erneut.

Er schien zu ahnen, was sie fühlte, denn sein Lächeln wirkte zufrieden.

»Weil du gerade die Wölfe erwähnst«, fuhr Ravencroft fort, nachdem er sie noch eine Weile betrachtet hatte. »Ich habe vor, eine Jagd zu veranstalten. Zum einen, um Marys Genesung zu feiern, und zum anderen, um deine Herde vor Ungemach zu bewahren.«

Aimees Wangen begannen zu glühen. Dass er sie erwähnte und gleichzeitig versprach, etwas für sie zu tun, war ihr angesichts seiner Begleiter ein wenig peinlich.

»Ihr ehrt mich sehr, Mylord«, entgegnete sie demütig und senkte den Blick.

Wenig später fühlte sie seine Hand unter ihrem Kinn. Er hob ihren Kopf, so dass sie ihm direkt in die Augen blicken musste.

»Es ist der geringste Dank, den ich dir für Marys Heilung zukommen lassen kann. Ich weiß ja, dass du dir aus schönen Kleidern und Geschmeide nichts machst.«

»Sie würden mir weder in der Kinderstube noch auf der Weide von Nutzen sein, Mylord«, entgegnete Aimee und spürte, wie sich ihr gesamter Körper danach zu verzehren begann, seine Hand nicht nur an ihrem Kinn zu spüren.

Just in dem Moment zog er sich wieder zurück.

»Nun denn, veranstalten wir eine Wolfsjagd!«, rief er in die Runde und erntete zustimmendes Murmeln seitens seiner Männer. »Es wird gut sein, dass wir die Mauern dieser Burg verlassen und unsere Augen bei der Jagd schärfen. Immerhin könnten schon bald andere Wölfe unser Land unsicher machen.«

Meinte er damit den Baron of Woodward? Hatte es von dessen Seite etwa eine Kriegserklärung gegeben?, überlegte die Schäferin. Wieder fiel ihr Henrys merkwürdiger Satz ein.

»Du könntest uns begleiten!«, fügte der Baron unvermittelt hinzu und wischte damit ihren aufkeimenden Gedanken hinfort. »Zumindest bis zum Waldrand, denn das Jagen sollte uns Männern überlassen bleiben.«

Aimee wollte erst einwenden, dass sie selbst schon mehrfach mit einem Wolf gekämpft hatte, da hörte sie Henry Fellows sagen: »Mylord, findet Ihr das ratsam? Aimee mag vielleicht gut auf einem Pferd sitzen und tapfer sein, aber wenn die Wölfe aus dem Wald laufen und sie angreifen …«

»Ich weiß sehr wohl, wie es ist, wenn ein Wolf angreift«, entgegnete Aimee entschlossen. »Und ich habe auch schon einige in die Flucht geschlagen. Mit meinem Hirtenstock kann ich natürlich keinen von ihnen töten, aber es hat mich auch noch nie einer gebissen.«

»Da hörst du es, Henry!«, entgegnete der Baron lachend. »Sie hat Courage! Zudem gedenke ich, die Wölfe zu schießen, bevor sie aus dem Wald kommen. Aimee könnte inzwischen alles für eine Siegesfeier vorbereiten.«

Fellows senkte nun untertänig den Kopf. »Wie Ihr wünscht, Mylord.«

»Was sagst du dazu, Aimee?«

»Ich würde mich sehr freuen.«

»Gut, dann schlage ich vor, dass die Jagd nach dem Gerichtstag in einer Woche stattfinden soll. Bis dahin soll der Jagdmeister den Hunden nur noch wenig zu fressen geben.«

Fellows war anzusehen, dass er noch ein paar Einwände hatte, doch er sprach sie nicht mehr aus. Stattdessen verneigte er sich und entgegnete: »Ich werde die entsprechenden Vorkehrungen treffen.«

»Gut, dann lass uns nun auf den Turnierplatz gehen. Mein Arm strotzt heute vor Kraft, du solltest dich vorsehen.«

Das Lächeln, mit dem er Aimee bei diesen Worten bedachte, war unverschämt wie noch nie.

Die Schäferin erwiderte es mit pochendem Herzen.

 

Fellows hetzte über den Hof und dann in Richtung Bogengang. Er war sich der Gefahr, in die er sich begab, durchaus bewusst. Trotzdem: Er musste sofort mit Nicole sprechen! Sie sollte wissen, was Woodward zu ihrem Vorschlag gesagt hat-te – und sie sollte auch von den neuesten Entwicklungen erfahren.

Als die Baronin sich auf ihren täglichen Spaziergang durch den Bogengang begab, trat er ihr entgegen.

Die Nacht mit ihm schien sie verändert zu haben. Eine zarte Röte spielte auf ihren Wangen, und ihre Augen hatten den alten Glanz wiedergefunden. Sie trug ein dunkelrotes Kleid, das wunderbar zu ihren langen schwarzen Flechten passte, die unter einem zarten Schleier verborgen waren. Ein goldener Reif hielt das Gebilde auf ihrem Kopf. In ihrer Hand trug sie eine Rosenblüte, offenbar war sie bereits im Garten gewesen oder hatte eine Magd geschickt, die ihr die Blume gebracht hatte.

Die Anmut, mit der sie die Blüte vors Gesicht hob und den süßen Duft einsog, ließ ein qualvolles Brennen durch Henrys Lenden ziehen. Nur zu gern wollte er sie noch einmal nehmen, wie damals! Das alles wird geschehen, wenn Ravencroft erst einmal tot ist, dachte er bei sich und vernahm die Stimme seines Gewissens nur noch leise. Die Aussicht, Nicole ganz zu besitzen, erfasste ihn immer mehr, wie ein Rausch, von dem er nicht mehr loskam. Doch vielleicht war dieses Ziel näher, als sie beide dachten?

Während das Getuschel der Mägde an sein Ohr drang, verneigte er sich tief und sagte: »Mylady, verzeiht, wenn ich Euch bei Eurem Spaziergang störe, aber ich muss Euch dringend sprechen.«

Nicole lächelte ihn an, und in ihren Augen tanzte der Schalk. Sie hätte seiner Bitte sogleich stattgeben können, stattdessen zog sie es vor, noch ein wenig mit ihm zu spielen.

»In welcher Angelegenheit denn?«, fragte sie, obwohl sie genau wusste, dass er ihr den wahren Grund nicht vor ihren Begleiterinnen offenbaren durfte.

»Es geht um Euren Gemahl. Er schickt mich, um Euch etwas auszurichten.«

»Mein Gemahl schickt neuerdings einen Boten? Warum sucht er mich nicht selbst auf?«

Nicole bereitete es offenbar diebisches Vergnügen, ihn so in die Enge zu treiben.

»Er ist im Moment beschäftigt, und die Nachricht ist von größter Dringlichkeit.«

Einen kurzen Moment lang überlegte die Baronin, ob sie das Spiel noch weiter treiben sollte, aber dann entschied sie sich, Henry zu erlösen.

»Lasst mich allein«, sagte sie zu Celeste und den anderen Frauen, die daraufhin knicksten und von dannen zogen.

Als sie verschwunden waren, wandte sie sich Henry zu. »Es verlangt schon einige Kühnheit, mir in Anwesenheit meiner Kammerfrau und der Zofen entgegenzutreten und mir ein Gespräch abzuringen.«

Fellows lächelte. Obwohl er weiterhin wachsam war, fiel ein Teil seiner Anspannung von ihm ab.

»Ich habe wirklich wichtige Nachrichten für dich. Heute Morgen konnte ich dir ja nur wenig sagen. Zum Glück, möchte man meinen.«

»Weshalb zum Glück?«

»Zu der Zeit war Aimee gerade zurückgekehrt. Sie hat uns gewiss belauscht.«

»Und wenn schon«, winkte Nicole ab. »Ich habe nichts gesagt, was mich in Teufels Küche bringen könnte. Gewiss hat sie mich auch nicht erkannt.«

»Schon möglich, deshalb danke ich Gott, dass du nicht mehr von mir wissen wolltest. Dennoch sollten wir die Schäferin im Auge behalten. Sie wird sich sicher fragen, was das alles zu bedeuten hat.«

»Glaubst du wirklich, sie hat so viel Verstand?«

Henry nickte. »O ja, das glaube ich! Diese Frau ist beileibe nicht dumm. Auch wenn sie bloß eine Schäferin ist, hat sie einen hellen Kopf. Sie darf uns auf keinen Fall auf die Schliche kommen.«

Nicole verschloss ihm den Mund mit einer sanften Berührung ihres Fingers. »Das wird sie nicht. Sie hat mit meiner Tochter zu tun, und ich werde ihr ein paar Aufträge geben, die sie beschäftigen. Außerdem ist da noch immer mein Gemahl. Ich nehme nicht an, dass er ihr weiterhin zürnt, oder?«

»Das tut er in der Tat nicht, jedenfalls nicht nach dem, was ich heute gesehen habe, als wir ihr begegneten. Ravencroft hat sogar eine Wolfsjagd angeordnet, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Wahrscheinlich auch, um sie ständig bei sich zu haben.«

»Siehst du, es gibt also keinen Grund zur Beunruhigung.«

»Die Wolfsjagd eröffnet uns natürlich ungeahnte Möglichkeiten.«

»Inwiefern?«

Henry warf einen prüfenden Blick in die Runde, um sicherzustellen, dass sich ihnen niemand genähert hatte. Dann flüsterte er: »Ich soll mich in ein paar Tagen mit einem Boten von Woodward treffen. Wenn du einverstanden bist, werde ich ihm mitteilen, dass die Wolfsjagd eine günstige Gelegenheit ist, Ravencroft zu töten.«

Nicole sah ihn mit starrer Miene an. Als er schon fürchten wollte, dass sie mit seinem Vorschlag nicht einverstanden war, flammte ihr Lächeln wieder auf.

»Vielleicht sollten wir uns nicht ausschließlich auf Woodward verlassen«, fügte sie hinzu. »Gibt es keine Burschen, die wir dafür bezahlen könnten, den Baron zu erledigen, falls Woodwards Männer versagen?«

»Ich glaube kaum, dass seine eigenen Leute …«

Nicole legte ihm einen Finger auf die Lippen. »Woodwards Leute mögen gut sein, aber das reicht mir nicht. Bedenke, er könnte sein Wort auch zurücknehmen. Ich brauche eine Sicherheit. Wenn du schon auf dem Weg bist, dann schau doch, ob du vielleicht ein paar Männer auftreiben kannst, die für Geld ebenfalls auf meinen Gemahl schießen würden. Du willst doch sicher nicht, dass er den Anschlag überlebt und dann Nachforschungen anstellt?«

Sie blickte Fellows lange an, und schließlich verstand er. Wenn der Baron nicht starb, schwebten sie in der Gefahr, entdeckt zu werden.

»Ich werde mich umhören, wenn nicht hier, dann in den Schenken von Woodwards Dörfern.«

Nicole nickte ihm zu, worauf er sich förmlich verneigte und sie wieder ihren Frauen überließ, die an der Tür zum Bogengang warteten.

 

Abendrot umhüllte die Burg und ihren Garten, als Aimee der Rose zustrebte, die das Taufgeschenk für die Baroness war. Sie hatte ihren Platz hinter der Burg gefunden, nahe dem Weg, der zur Wäschewiese führte. Der Mann, der sich um den Garten kümmerte, war angehalten worden, ihr nur das klarste Wasser zu geben und sie zu hüten, als wäre sie die Tochter des Barons selbst.

Aimee hatte der Pflanze zwischendurch immer wieder einen Besuch abgestattet, denn als Teil der großen Rose an ihrem Turm war sie auch ein Stück Heimat für die Schäferin.

Als sie den Rosenstock erreicht hatte, sah sie, dass die Rose bereits eine Blüte ausgebildet hatte. Die rosafarbenen Blütenblätter leuchteten über dem satten Grün.

Schon bald werden es mehr sein, dachte Aimee zufrieden und strich sanft über die zarte Knospe. Vielleicht wird sie eines Tages diese Burg einhüllen mit einem Teppich aus Blüten. Es würde ihr gewiss gut zu Gesicht stehen …

Da schreckte ein Geräusch sie aus ihren Gedanken und ließ sie herumwirbeln.

Nicht weit von ihr entfernt schritt der Baron über den Weg. Er hatte seinen Waffenrock abgelegt und gegen ein blaues Wams ausgetauscht.

Er war nicht in Begleitung, was bei Aimee die Frage aufwarf, ob seine Anwesenheit hier bloßer Zufall war.

»Siehst du nach der Rose?«, fragte er, als er vor sie trat.

»Ja, Mylord, und ich freue mich, dass sie so gut gedeiht.«

Die Schäferin wollte zu einem Knicks ansetzen, doch der Baron bedeutete ihr, dass es nicht nötig sei.

Im nächsten Augenblick fand sie sich in seinen Armen wieder.

»Mylord, wenn uns jemand sieht …«, setzte Aimee an.

Ravencroft schüttelte lächelnd den Kopf. »Wer sollte uns schon sehen? Und selbst wenn, es wäre mir egal. Ich bin der Herr über diese Ländereien hier. Niemand wird mir die Frau, die ich begehre, aus den Armen reißen.«

Wenn Aimee ehrlich war, war dies seit einigen Tagen ihr geheimer Wunsch. Aber der Mann, den sie begehrte, war immer noch der Gemahl der Baronin und die Ehe ein heiliges Sakrament.

»Bitte, lasst mich gehen«, flehte sie, allerdings klang ihre Stimme nicht so fest, wie sie es gern gehabt hätte. Die Nähe seines Körpers, die Wärme und der Geruch seines Haars erregten sie.

Er bemerkte dies und umklammerte sie nur umso fester. »Ich glaube, ich schulde dir noch einen Dank, Aimee«, flüsterte er, und weil sein Gesicht das ihre beinahe berührte, strichen die Worte im sanften Hauch seines Atems über ihre Lippen. »Immerhin hast du meine Tochter gerettet.«

»Dafür habt Ihr Euch doch schon so oft bedankt, Mylord.«

»Aber nicht so, wie ich es gern getan hätte«, gab er zurück, und während er ihr tief in die Augen blickte, meinte er wieder zu spüren, was er damals bei seinem ersten Weib empfunden hatte. Diese Frau war so wunderschön, dass er es kaum fassen konnte, sie nicht eher entdeckt zu haben.

»An welche Belohnung dachtet Ihr da?« Die Stimme der Schäferin zitterte voller Vorahnung.

Als Aimee glaubte, in der Nähe die Mägde zu hören, wandte sie den Blick zur Seite. Es war gut möglich, dass die Mädchen Wäsche auf den Bleichplatz brachten, und dazu mussten sie den Garten durchqueren.

In dem Moment, als Aimee George of Ravencroft wieder ansah, beugte er sich kurzerhand vor und küsste sie.

Für einen Augenblick versuchte sie noch, ihm zu widerstehen, doch als er ihre Lippen öffnete und seine Zunge mit der ihren zu spielen begann, war es um sie geschehen. Mit beiden Händen, die sie so lange gegen seine Schultern gedrückt hatte, umfasste sie sanft seinen Hals und ergab sich mit einem wonnigen Seufzen in seine Berührung.

Wie lange die beiden so verharrten, wussten sie nicht, denn die Zeit schien unter ihren Liebkosungen bedeutungslos zu werden. Als sie ihre Lippen voneinander lösten, um Atem zu schöpfen, trafen sich ihre Blicke.

Ravencroft erkannte Aimees Begehren in ihren Augen, doch er wusste, dass dies nicht der richtige Ort war, sie zu lieben.

In seinem Waffensaal warteten ein paar Gesandte aus Schottland, die er am Morgen empfangen hatte und die mit ihm über König Eduard und seine vermeintlichen Eroberungspläne reden wollten. Er hatte sich lediglich davongestohlen, um ein wenig Luft zu schnappen, da war ihm hier im Burggarten Aimee begegnet.

Der Baron war nicht auf schnelle Befriedigung aus, vielmehr wollte er dieser wunderbaren Frau die ganze Nacht über die köstlichsten Wonnen bescheren. Also ließ er sie wieder los, wenn auch widerstrebend.

»Noch nicht«, flüsterte er ihr zu, küsste sie noch einmal und verschwand.

Aimee blieb allein zurück. Sie fühlte sich, als sei ihr ein wertvoller Teil ihres Körpers entrissen worden. Während sie Ravencroft nachsah, tauchten die Mägde mit ihrer Wäsche auf. Sie riefen ihr etwas zu, winkten heftig, und Aimee erwachte aus ihrer verträumten Starre. Sie erwiderte die Geste, und während die Mädchen an ihr vorbeiliefen, blickte sie noch einmal auf die Rose. Wie deren zartrosa Knospen aufbrachen, Stück um Stück ihr Innerstes preisgebend, so fühlte sie ihre Sehnsucht erblühen. Eine verbotene Sehnsucht, aber eine, die sie sich nicht länger versagen konnte.

 

Auf dem Weg zurück in die Burg traf Aimee auf Henry. Er war dermaßen in seine Gedanken versunken, dass er beinahe mit ihr zusammengestoßen wäre.

Als die Schäferin mit einem kurzen Aufschrei zurückwich, schreckte er auf.

»Oh, verzeih, ich habe dich nicht kommen gehört.«

Aimee atmete tief durch. »Ist ja nichts passiert.«

Der Leibwächter wollte schon weitereilen, doch sie hielt ihn zurück.

»Ihr wirkt bekümmert, Henry, ist mit Eurem Vater wirklich alles in Ordnung?«

Prüfend blickte ihm Aimee ins Gesicht. Da war noch immer etwas Unstetes, Gehetztes in seinen Augen. Seit dem Morgen schien es nur noch schlimmer geworden zu sein.

»Ja, es geht ihm wieder einigermaßen gut.«

Die junge Schäferin wusste nicht, ob sie ihn darauf ansprechen sollte, doch dann wagte sie einen Vorstoß. »Die Frauen in der Küche haben erzählt, dass Ihr Euch mit ihm aussöhnen wolltet. Weshalb habt Ihr Euch verstritten?«

Henry zog überrascht die Augenbrauen hoch. Einen Moment schwieg er irritiert, dann antwortete er: »Es ging darum, dass ich in die Dienste des Barons getreten bin. Für jeden anderen Vater wäre das eine große Ehre gewesen, mein Vater hätte es dagegen lieber gesehen, wenn ich seinen Hof übernommen hätte. Aber die Plackerei auf dem Feld war nichts für mich. Ich habe lieber Stahl in der Hand und verteidige meinen Herrn.«

»Das ist alles?«, hakte Aimee nach.

»Nun ja, wir haben uns gestritten, ein Wort gab das andere, dann jagte er mich aus dem Haus. In meinem Stolz habe ich nicht mehr mit ihm reden wollen.«

»Aber das ist jetzt bereinigt?«

Henry nickte. »Ich denke schon. Jedenfalls hat er mich diesmal nicht davongejagt.«

Wiederum klang er unsicher. Offenbar war doch noch nicht alles bereinigt. Aber das ging sie eigentlich gar nichts an.

Aimee band den Beutel los, den sie zuvor an ihrem Kleid befestigt hatte für den Fall, dass sie noch einmal auf Henry traf.

»Auch wenn Euer Vater auf dem Wege der Besserung ist, solltet Ihr ihm vielleicht diese Kräuter hier bringen. Ich wollte sie Euch schon beim ersten Mal mitgeben, aber als ich davon erfahren habe, wart Ihr schon weg.«

Henry blickte verwirrt auf den Beutel.

»Nehmt ihn ruhig«, ermutigte ihn Aimee. »Euer Vater freut sich bestimmt, wenn Ihr ihn erneut besucht.«

Nach kurzem Zögern nahm der Hauptmann die Gabe endlich an.

»Hab Dank, Aimee.«

»Richtet ihm meine Grüße aus und dass er jederzeit mehr bekommen kann, wenn sie ihm guttun.«

Damit wandte sich die Schäferin um.

Henry blickte ihr hinterher. Was hat sie nur mit diesem Gespräch bezweckt?, fragte er sich misstrauisch und zog dann den Beutel auf. Er enthielt tatsächlich nur Kräuter. Kleine Sträußchen, die feinsäuberlich mit Nähgarn zusammengebunden waren. Dann fiel ihm ein, dass dies der ideale Vorwand war, ein zweites Mal aus der Burg zu reiten und sich mit dem Boten zu treffen.

 

Von brennendem Verlangen geplagt, lag Aimee nachts auf ihrer Schlafstätte und blickte zum Fenster hinaus, wo der Mond stumm seine Bahn um die Burg zog.

Zu gern hätte sie den Baron noch einmal gesehen, ja, sie wünschte sich in diesem Augenblick, dass er durch die Tür kommen und sie einfach lieben würde.

Aber die Tür blieb verschlossen, und die Geräusche in der Burg verebbten zusehends.

Nach der Wachablösung um Mitternacht wurde es still, nur das Rufen der Käuzchen, die auf die Jagd gingen, hallte über den Burghof.

Gerade als Aimee ins Reich der Träume hinüberdämmern wollte, ertönte Hufschlag.

Das wird Henry sein. Sicher bringt er seinem Vater die Kräuter.

Doch dieser harmlose Gedanke wurde sofort von einem anderen verdrängt, als ihr wieder die Begegnung zwischen Henry und der geheimnisvollen Frau in den Sinn kam.

Vielleicht will er auch den Boten treffen, von dem er gesprochen hat. Nur, was für ein Bote soll das sein? Einer, der Kunde aus Woodward bringt? Nicht umsonst hat der Baron die Bemerkung mit den Wölfen fallenlassen. Gab es etwa einen berechtigten Grund zur Unruhe?

Noch eine ganze Weile lauschte sie dem Hufschlag, ohne eine Antwort zu finden.

Als das Geräusch verklungen war, drängte sie ihre Gedanken beiseite und versank in einen tiefen Traum, in dem nicht nur Ravencrofts Küsse vorkamen, sondern noch andere sündige Dinge, die ihren Körper in Lust verglühen ließen.

 

Der Grenzstein zwischen Woodward und Ravencroft lag im morgendlichen Nebel. Henry sah taubenetztes Gras und Büsche an sich vorbeiziehen, während ein paar Vögel in den Baumkronen zwitscherten.

Das Stampfen der Pferdehufe unter ihm erschien Henry überlaut, und er blickte sich immer wieder um, um sicherzugehen, dass ihm niemand gefolgt war.

Aimees Beutel hatte er in der Burg gelassen, denn die Kräuter waren nur der nötige Vorwand gewesen. Der Baron hatte es ihm sofort erlaubt, sie seinem Vater zu bringen. Der Wachmann war sicher, dass niemand Verdacht schöpfte.

Am Treffpunkt angekommen, brachte er sein Pferd zum Stehen und stieg ab. Noch war von Woodwards Mann nichts zu sehen.

Hatte es sich der Baron am Ende anders überlegt?

Fellows begann unruhig auf und ab zu gehen, wobei sein Blick immer wieder auf den Grenzstein fiel. Seit über hundert Jahren befand er sich hier, und seit über hundert Jahren standen die Grenzen zwischen den Ländereien fest.

Es hieß, dass dieses Land einst keltischen Herrschern gehörte, die mit ihrer Tapferkeit sogar den römischen Invasoren die Stirn geboten hatten. Aus diesen Herrschern waren unter anderem die Familien Ravencroft und Woodward hervorgegangen. Es hieß auch, dass diese beiden Familien früher Seite an Seite gekämpft hatten, als die Normannen das Land überfielen.

Doch etwas, um das wohl nicht einmal mehr die jetzigen Nachkommen der Familie wussten, hatte die einstigen Verbündeten entzweit.

Vielleicht eine Frau?, fragte sich Henry, denn er wusste nun zu gut, wie ein Weib zwei Männer, die sich einst verbunden waren, entzweien konnte.

Doch diese Zeiten waren vergangen, und kaum jemand erinnerte sich noch an die alten Geschichten.

Lautes Hufgetrappel holte Henry in die Gegenwart zurück. Er blickte in die Richtung, aus welcher der Lärm zu ihm herüberdrang, und sah einen Reiter aus den Nebelschleiern auftauchen.

Der Mann trug die Uniform von Woodwards Garde, und als er näher kam, erkannte Henry, dass es sich um Abernathy handelte.

Hoffnung keimte in ihm auf. Woodward würde sicher nicht seinen Hauptmann schicken, um ihm eine Absage zu erteilen.

Abernathys Brauner tänzelte einen Moment lang auf der Stelle, bis er schließlich zum Stehen kam. Der Hauptmann machte sich gar nicht erst die Mühe abzusitzen. Er grinste Henry breit an.

»Offenbar bist du ein größerer Verräter, als ich gedacht habe.«

»Vergeude meine Zeit nicht, Abernathy!«, forderte Fellows, denn er hatte keine Lust, sich auf ein Gespräch mit ihm einzulassen.

»Oh, wirst du etwa zurückerwartet?«, spottete der Hauptmann. »Von deinem Herrn? Oder will deine Herrin dich zwischen ihren Schenkeln haben?«

Fellows’ Hand schnellte an seinen Schwertknauf. Abernathy lachte auf, als er es gewahrte.

»Offenbar hat es dich ziemlich heftig erwischt. Ich glaube nicht, dass du Ravencrofts Ehre noch verteidigen willst.«

Henry zwang sich zur Ruhe. Am liebsten hätte er sein Gegenüber aus dem Sattel geholt, aber wenn er sich auf einen Streit mit ihm einließ, würde er am Abend noch immer nicht zurück sein.

»Sag mir, was dein Herr mir mitzuteilen hat«, verlangte er, ohne auf die Worte des anderen einzugehen.

»Nun gut, ich will ja nicht, dass du Schwierigkeiten bekommst. Das Weib wird sie dir früh genug machen.«

Abernathy kostete Fellows’ Ungeduld noch einen Moment aus, dann fuhr er fort: »Mein Herr ist mit der Übereinkunft einverstanden.«

Henry nahm die Nachricht mit einem Nicken hin, und gleichzeitig ging ihm wieder durch den Sinn, was Nicole gesagt hatte. Woodward könnte sein Wort jederzeit zurücknehmen … Es war ein Spiel mit dem Feuer, auf das sie sich eingelassen hatten, aber sollte es Woodward tatsächlich einfallen, sein Wort nach dem Tod des Barons zu brechen, würde er schon dafür sorgen, dass seine Leute nicht in Ravencroft einfielen.

Während des Ritts hatte Henry genügend Zeit gehabt, um nachzudenken, und das, was er sich dabei zurechtgelegt hatte, gefiel ihm sehr. »Ich habe auch etwas für den Baron. Richte ihm aus, dass bald eine Wolfsjagd stattfinden wird, und zwar in dem Wald hinter dem Grünen See.«

»Wann?«

»Drei Wochen von jetzt an. Zunächst wird der Baron den Gerichtstag abhalten, und danach soll die Jagd stattfinden. Das wäre die ideale Gelegenheit, um Ravencroft zu töten. Durch einen Bolzen aus dem Hinterhalt vielleicht.«

Abernathys Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Ich muss zugeben, dass ich dich unterschätzt habe.«

»Wir haben nicht die Zeit, Komplimente auszutauschen. Überbringe deinem Herrn die Nachricht, und wenn er mit dem Vorschlag einverstanden ist, möge er jemanden schicken, der die Sache erledigt.«

Abernathy nickte und zog dann sein Pferd herum.

»Wir sehen uns wieder! Treib es nicht zu schlimm derweil, du willst doch deinen Sieg auskosten!«

Bevor Henry etwas dazu sagen konnte, trieb Woodwards Mann sein Pferd mit einem Zungeschnalzen an und ritt davon.

Fellows beobachtete, wie der Reiter im Nebel verschwand, dann stieg er ebenfalls wieder in den Sattel und strebte dem Dorf zu, das er auf dem Weg hierher passiert hatte. Dort gab es sicher ein paar Burschen, die keine Skrupel hatten, den Feind ihres Herrn zu töten.