Prolog

Sommer 1286

Wehmütig blickte Nicole de Boisy aus dem Fenster der Kutsche. Der Wind zerrte an den langen schwarzen Haarsträhnen, die unter ihrem Schleier hervorschauten und wie duftige Bänder im Wind flatterten. Ihr Gesicht war blass wie eine Lilienblüte, und ihre Augen waren so dunkel wie die feuchte Erde, die auf den Äckern zwischen den Pflanzen schimmerte.

Nach Wochen des Regens, der nicht nur der Ernte der Bauern, sondern auch den Gemütern der Menschen heftig zugesetzt hatte, schien nun endlich wieder die Sonne. Ein herrlicher Duft nach Heu und reifen Früchten hing in der Luft. Vereinzelte Federwolken schmückten das tiefe Blau des Himmels, das mit den strahlend grünen und weizengelben Feldern wetteiferte.

Doch Nicole bemerkte die Schönheit der Natur nicht. In diesem Augenblick wünschte sie sich nur, mit den Vögeln fliegen zu können, die der donnernde Hufschlag der Pferde aus den Bäumen scheuchte. Aber das war unmöglich.

Sie befand sich auf dem Weg zu ihrem zukünftigen Gemahl, dem Baron of Ravencroft, einem Mann, den sie nur von einer Abbildung auf einer Holztafel kannte. Sein Reich lag etliche Meilen von ihrer Heimat entfernt an der Grenze zu Schottland.

Ein gottverlassener Ort, war das Erste, was Nicole in den Sinn gekommen war, als ihr Vater sie vor einigen Wochen davon unterrichtet hatte, dass ihre Ehe mit dem Baron arrangiert worden sei. Als sie vernommen hatte, wie alt ihr Gatte war, hatte sich wilder Zorn in ihr zusammengeballt.

Achtunddreißig Lenze! Das waren mehr als doppelt so viele, wie sie selbst zählte.

Trotz allem blieb ihr nichts anderes übrig, als sich dem Beschluss ihres Vaters zu fügen. Mit ihren achtzehn Lenzen war sie beinahe eine alte Jungfer, außerdem konnte sie als letzte Tochter des Grafen de Boisy froh darüber sein, nicht ins Kloster geschickt zu werden, wie es anderen jungen Frauen in ihrer Situation erging.

Seufzend lehnte sie sich auf dem harten Sitz zurück, den selbst die flauschigen Felle und dick mit Daunen gestopften Kissen, die sie mitgenommen hatte, nicht bequemer machten. Die Wege durch die Baronie Ravencroft waren völlig zerfahren, und so wusste Nicole nicht, ob ihr in diesem Augenblick mehr das Gesäß von der Kutsche oder ihre Seele vor Heimweh schmerzte.

»Ist Euch nicht wohl, Mylady?«, fragte Celeste, ihre Kammerfrau, die ihr bereits seit Kindertagen diente.

Das Mädchen war kaum älter als sie, hatte rotbraunes Haar und Sommersprossen auf dem gesamten Gesicht. Ständig hatte sie ein Auge auf ihre Schutzbefohlene und bemerkte selbst kleinste Veränderungen in ihrem Gemüt. Wahrscheinlich, weil sie von allen am meisten Nicoles Launen ausgesetzt war.

Als die Grafentochter von der bevorstehenden Hochzeit erfahren hatte, hatte sie einen Tobsuchtsanfall bekommen und mehrere Gegenstände nach ihr geworfen. Die Narbe, die eine der Haarbürsten an Celestes Stirn hinterlassen hatte, war noch immer zu sehen.

Dennoch versuchte sie, es ihrer Herrin in allen Dingen so recht wie möglich zu machen.

»Wie soll mir wohl sein?«, fuhr Nicole sie an. »Immerhin werde ich heute ins Joch gespannt!«

Celeste, die spürte, dass ein neuerlicher Wutanfall am Heraufziehen war, senkte schnell den Blick. »Vielleicht ist Euer Gemahl ja doch ein guter Mann«, wisperte sie.

Nicole hob die feingeschwungenen Brauen. »Gewiss ist er das. So gut, dass ich vor Langeweile sterben werde!«

»Er hatte bereits zwei Gemahlinnen«, wandte Manon ein, die der Grafentochter als Zofe diente. »Jedenfalls hat Peter das behauptet. Er wird also wissen, was Frauen Vergnügen bereitet.«

Peter war der Kurier des Barons. Dementsprechend weit kam er im Land herum und schnappte hier dieses und dort jenes auf. Was er berichtete, stimmte meist.

»Vergnügen!«, stieß Nicole spöttisch aus. »Die beiden armen Weiber sind gestorben! Wahrscheinlich vor Langeweile.«

»Ich glaube eher, dass sie im Kindbett verschieden sind«, wandte Celeste ein, doch als sie bemerkte, dass sich die Miene ihrer Herrin verfinsterte, fügte sie schnell hinzu: »Das wird Euch nicht passieren, schließlich kommt Ihr aus einem guten Haus, Mylady. Ihr werdet dem Baron sicher viele kräftige Nachkommen schenken.«

Nicole presste trotzig die Lippen zusammen. Unter einer Ehe hatte sie sich etwas anderes vorgestellt.

Vor Monaten hatte sie einmal heimlich beobachtet, wie es eine der Mägde mit einem Stalljungen getan hatte. Er hatte sich schnell und kräftig zwischen ihren Schenkeln bewegt, und die Laute, die er ausgestoßen hatte, hatten dermaßen tierisch geklungen, dass es Nicole zugleich entsetzt und auf irritierende Weise erregt hatte.

Wie würde es bei Baron of Ravencroft sein? Wie lange würde er brauchen, um sie zu schwängern?

Vielleicht stirbt er ja noch in der Hochzeitsnacht, dachte Nicole lästerlich. So etwas war durchaus schon mal vorgekommen.

Der Wagen rumpelte weiter, und es schien fast, als rüttelte er nicht nur ihre Knochen, sondern auch ihre Gedanken durcheinander. Dass sie sich der Burg näherten, bekam Nicole daher zunächst nicht mit. Erst als die ersten Häuser vor ihnen erschienen, erwachte sie aus ihrer Nachdenklichkeit.

Auf der Straße kreuzten Hunde und Schweine ihren Weg.Letztere stürmten quiekend davon, als die eisenbeschlagenen Räder dicht an ihnen vorüberratterten.

Es dauerte nicht lange, bis sie auf neugierige Zuschauer trafen, die sich am Straßenrand versammelt hatten, um die Braut ihres Herrn zu begrüßen. Lumpen mischten sich hier mit feinen Gewändern, Schweißgeruch und Mistgestank hingen wie eine Wolke über den Massen. Hier und da ertönten Hochrufe, doch die meisten Menschen betrachteten die Kutschen wie fremde Fabelwesen oder reckten die Hälse, um einen Blick auf ihre zukünftige Herrin zu werfen.

Nicole hielt sich angewidert ihr Taschentuch, das mit Rosenwasser getränkt war, vor die Nase, um den Gestank zu lindern, der in die Kutsche drang.

Warum habe ich nicht wie Beatrice nach London heiraten können?, fragte sie sich. Oder wie Isabell nach Oxford?

In den Städten roch es zwar auch nicht besser, aber dort gab es Feste und Vergnügungen, wohingegen sie sich hier in dieser gewiss zugigen Burg langweilen würde. Warum schickt mich mein Vater bloß in Englands rauhen Norden? In die Nähe der schottischen Barbaren!

Während sie ihre aufkommende Wut zu verdrängen versuchte, besah sie sich die Häuser, die nicht gerade ärmlich wirkten. Hier und da hatten sie sogar ein zweites Stockwerk und statt Reisig meist Schindeln auf den Dächern. Große Stallungen erhoben sich hinter den Wohngebäuden, einige Höfe wirkten, als könnten sie sich ebenso gut in der Nähe einer reichen Stadt befinden.

Immerhin hatte der Brautwerber, was das anging, nicht geflunkert. Ein leiser Gedanke schlich sich in ihre Verstimmung. Was, wenn mir dieser Flecken Erde allein gehörte? Hier ließe sich sicher das eine oder andere Goldstück mehr herauspressen. Der Baron hielt die Zügel ganz offensichtlich zu locker. Kaum ein Dorf in der Grafschaft ihres Vaters verfügte über solch einen Wohlstand!

Vielleicht wendet sich ja doch noch alles zu meinem Vorteil, dachte Nicole und malte sich aus, wie sie sich von den erhöhten Einnahmen Pelze und schöne Gewänder kaufte.

Schließlich erreichten sie das Gotteshaus, das sich in der Nähe der Burg befand. Der Turm, den ein paar Tauben umflatterten, ragte hoch und trutzig in den Himmel. Das Krächzen der Raben war das einzig störende Geräusch, das vom Gottesacker herüberwehte.

»Da sind sie!«, flüsterte Celeste und deutete zum Kirchenportal, wo sich bereits eine Gruppe von Menschen versammelt hatte.

Pferde mit bunten Überwürfen säumten den Weg, Blumenschmuck fand sich sowohl im Haar der Damen als auch am Wegesrand, wo zahlreiche Girlanden den Gästen den Weg wiesen. Unter den anwesenden Herren, in der Mitte seiner Gefolgsleute, stand der Bräutigam.

Nicole kniff die Augen zusammen, während sie ihn maß.

Er war hochgewachsen und muskulös, sein langes schwarzes Haar hatte er zu einem Zopf zusammengebunden. Sein Kinn war glatt rasiert, und sein Körper steckte in einem eleganten Hochzeitsgewand, an das ein Myrtenzweig gebunden war.

Im Hintergrund hörte sie ihre Zofen und auch die Kammerfrau schwärmerisch raunen.

»Ihr könnt Euch glücklich schätzen. Trotz seines Alters ist Euer Gemahl wirklich ein Bild von einem Mann«, flüsterte Celeste ihr zu. »Und der Maler hat ihn weder schöner noch jünger gemacht.«

Sie selbst empfand dagegen nichts bei seinem Anblick. Vielmehr richteten sich ihre Gedanken auf die Annehmlichkeiten, die sie sich leisten würde – als Entschädigung für diese Vermählung. Und darauf, dass der Burgherr sie vielleicht nicht lange plagte und frühzeitig starb. Das zauberte immerhin ein Lächeln auf ihr Gesicht.

 

»Sie kommen!«

Der Ruf des Jungen, der auf den Kirchturm geklettert war, um Ausschau nach der Brautkutsche zu halten, hallte über den Kirchenvorplatz, während er sich die Kappe vom Kopf riss und winkte.

Sogleich richteten sich die Augen aller Anwesenden auf die Fuhrwerke, die träge den Weg hinaufgerumpelt kamen. Die stattlichen Pferde zogen ihre Last mühelos auf den Kirchvorplatz. Hufschlag donnerte über das Pflaster und hallte von den Kirchmauern wider und übertönte das vielstimmige Gewisper, das zuvor noch auf dem Platz geherrscht hatte.

»Nun wird es ernst, Mylord«, erlaubte sich Henry Fellows, der neben Ravencroft stand, flüsternd zu bemerken.

Sein Herr, George of Ravencroft, lächelte still in sich hinein. Vorfreude erfüllte ihn und ließ sein Herz schneller schlagen. Allerdings sah man ihm nicht an, was er fühlte, weshalb leicht der Eindruck entstehen konnte, dass er kühl sei.

Das war nicht immer so gewesen. Als er im Jahre 1264 an der Seite von König Eduard aufgebrochen war, um das Heilige Land zu befreien, war er ein ungestümer Bursche gewesen, ein Wildfang, den sein Vater kaum bändigen konnte.

Der Kreuzzug, dessen Bilder ihn zuweilen noch bis in den Schlaf verfolgten, hatte mit der Gefangennahme des Königs geendet. Ravencroft, der mit zahllosen anderen in die Hände der Mamelucken gefallen war, hatten die erlebten Grausamkeiten unter den Gefolgsleuten des Königs verändert. Als er schließlich nach England zurückkehrte, war sein aufbrausendes Temperament abgekühlt. Er übernahm die Grafschaft seines Vaters an der Grenze zu Schottland und regierte sie seither mit sanfter und gerechter Hand.

»Keine Sorge, Henry, dem Alter, in dem man wie ein unreifer Bursche zittert, bin ich entwachsen«, gab er besonnen zurück. »Warte nur, bis es bei dir so weit ist, dann werde ich derjenige sein, der spottet.«

Der große blonde Krieger, der seit einigen Jahren in seinen Diensten stand und sich als fähiger Hauptmann erwiesen hatte, lachte auf. »Die Frau, die mich zähmt, muss erst noch geboren werden.«

»Sag das nicht, Henry, ich bin sicher, dass es sie bereits irgendwo gibt«, hielt Ravencroft dagegen. »Das Schicksal muss dich nur noch zu ihr führen.«

Fellows schüttelte den Kopf. »Mit Verlaub, Mylord, aber daran will ich nicht so recht glauben. Die Mädchen aus dem Dorf sind nett und bezaubernd für eine schöne Stunde im Heu, aber keine von ihnen hat genug Kraft, um mich zu halten. Und so wird es bleiben.«

Inzwischen hatten die Kutscher die Pferde zum Stehen gebracht, und mehrere Pagen sprangen ab, um den Insassen die Türen zu öffnen.

Für einen kurzen Moment tauchte ein verschleiertes Gesicht hinter dem Fenster auf. Die blassen Konturen waren nicht genau zu erkennen, doch George of Ravencroft wusste sofort, dass sie Nicole de Boisy gehörten.

Er hoffte inständig, dass der Maler seine Braut nicht allzu sehr geschönt hatte, wie es zuweilen passierte. Erst vor kurzem hatte ein benachbarter Baron einem Bildnismaler dreißig Streiche verpassen lassen, weil das Mädchen, das sein Sohn heiraten sollte, auf dem Bild wesentlich schöner war als in Wirklichkeit.

Doch selbst wenn es ihm ebenso erging wie besagtem Baron, was konnte er jetzt noch ausrichten? Mehr als dreißig Winter hatte er bereits hinter sich. Das Alter schlich sich wie ein Dieb von hinten an ihn heran und stahl ihm die Zeit. Er brauchte einen Erben für seine Baronie! Träume von Liebe waren mittlerweile so tief in seinem Herzen verschlossen, dass er selbst nicht mehr daran glaubte.

Aber vielleicht belehrte ihn seine junge Braut ja eines Besseren?

Ravencroft zog seinen dunklen Überwurf zurecht, zupfte die Ärmel seines Hemdes ein wenig hervor und strich über seine Handschuhe. Wenn er schon nicht mit Jugend auftrumpfen konnte, wollte er immerhin mit einem gepflegten Äußeren Eindruck auf seine künftige Gemahlin machen.

 

Nicole war heilfroh, als die Kutsche hielt und das Schaukeln ein Ende hatte. Keinen Moment länger hätte sie es in dem engen Kutschenschlag ausgehalten!

Ganze drei Wochen waren sie unterwegs gewesen. Hin und wieder hatten sie ein Lager aufgeschlagen oder an Gasthöfen Rast gemacht, doch die meiste Zeit waren sie dazu verdammt, in der rumpelnden Kutsche auszuharren.

Nicole war sicher, dass die Schaukelei Spuren auf ihrem Leib hinterlassen hatte. Gewiss war ihr Hinterteil grün und blau! Und nicht nur ihr Hintern und ihr Rücken schmerzten, ihr Nacken fühlte sich ebenfalls taub an, und ihre Schläfen spannten.

Eigentlich wäre es Brauch gewesen, die Braut erst auf der Burg zu empfangen und ihr einige Tage Zeit bis zur Vermählung zu geben. Doch es war vereinbart, dass die Vermählung unmittelbar nach ihrem Eintreffen vollzogen werden sollte – so als fürchtete der Baron eine weitere Verzögerung.

Nicole war daher genötigt gewesen, ihr Hochzeitsgewand unter freiem Himmel anzulegen. Das war ganz gewiss nicht der rechte Ort dafür, auch wenn ihre Zofen sie durch große Laken vor den Blicken der mitreisenden Soldaten und Pagen geschützt hatten. Außerdem hatte sie ihre Frisur nur notdürftig herrichten können.

Nachdem sie eine Weile darüber gezürnt hatte, hatte sie aber auch etwas Gutes darin erkannt.

Vielleicht überlegt es sich der Baron noch einmal, hatte sie lästerlich gedacht, aber wenn sie ehrlich war, wollte sie das gar nicht mehr. Der Gedanke an die Reichtümer ihres Gemahls hatte sich in ihr festgebissen wie ein Wolfshund, und sie war wild entschlossen, als zukünftige Baronin mehr Reichtum anzuhäufen, als ihre Schwestern besaßen. Auch wenn das bedeutete, dass sie fortan das Lager mit George of Ravencroft teilen musste.

Als die Tür geöffnet wurde und die Pagen Aufstellung nahmen, um den Damen aus der Kutsche zu helfen, blickte Nicole erneut zu der Hochzeitsgesellschaft hinüber. Ihren zukünftigen Gemahl konnte sie nun noch besser erkennen, was allerdings nicht dazu führte, dass sie ihn sympathischer fand.

Wie eine Krähe sieht er aus, dachte sie angewidert. Die Haare tiefschwarz wie ihr Gefieder.

Als sie den Blick jedoch weiterschweifen ließ, bohrte sich ihr plötzlich der Anblick eines anderen Mannes ins Auge.

Er trug über seinem Waffenrock einen feinen dunkelroten Mantel, sein blondes Haar war im Nacken zusammengebunden, und seine linke Hand ruhte auf dem Schwertgriff, bereit, die Klinge jederzeit zu ziehen. Wachsam wie ein Raubvogel spähte er in die Runde.

Sein Anblick schickte eine warme Welle des Begehrens durch Nicoles Körper. Noch nie zuvor war ihr das bei einem Mann passiert. Der Blonde, gewiss der Leibwächter des Barons, verfügte über eine beinahe animalische Schönheit – und war ein gutes Stück jünger als sein Herr.

Dann berührte Celeste sanft den Arm ihrer Herrin und riss sie aus ihrer Faszination fort. Beinahe hätte Nicole sie wütend angefahren, doch da sagte die Kammerfrau: »Mylady, kommt, Euer Vater wartet bereits.«

Tatsächlich stand Daniel Graf de Boisy schon parat, um seine Tochter vor den Altar zu führen.

Nicole seufzte unwillig und ging auf ihn zu.

»Bist du bereit, mein Kind?«, fragte er streng, worauf Nicole nickte. Der Vater reichte ihr seinen Arm, und gemeinsam wandten sie sich dem Kirchenportal zu.

Der Baron war inzwischen an den Altar getreten und erwartete dort seine Braut, während einige Soldaten im Gang neben den Kirchenbänken Aufstellung genommen hatten. Offenbar waren viele Edle aus der Umgebung der Einladung des Grafen gefolgt, denn überall bemerkte Nicole teure Stoffe und Geschmeide.

Neugierige Blicke trafen sie von allen Seiten, und die Braut straffte die Schultern. Auch wenn sie sich auf dem Feld hatte umziehen müssen, ihr Kleid war aus feinstem reinweißem Leinen gefertigt und an den Ärmeln, dem Saum und dem Ausschnitt mit goldenen Borten verziert. Der Schleier war aus Seide gearbeitet, die ihr Großvater von einem Kreuzzug ins Heilige Land mitgebracht hatte, und gab nur das Nötigste ihres Gesichts preis. Ihren Kopf zierte ein Myrtenkranz, den kostbare Perlenstränge zusammenhielten.

Während sie über den steinernen Boden der Kirche schritt, dachte Nicole an ihre Schwestern. Zur Hochzeit hatten sie nicht anreisen können, der Weg aus London und Oxford war viel zu weit. Darüber war sie allerdings nicht traurig, denn gewiss hätten die beiden sie für ihren Bräutigam und ihre neue Heimat verspottet.

Aber ich werde es euch zeigen, dachte Nicole. Während ihr noch immer unter der Knute eures Gatten steht, werde ich bereits allein herrschen und reicher sein als ihr alle zusammen.

Vor dem Altar angekommen, erblickte sie ihren zukünftigen Gemahl zum ersten Mal von nahem. Sein rabenschwarzes Haar war mit silbrigen Fäden durchzogen, die Augen waren dunkel. Von weitem mochte er ein wenig eisig wirken, doch Nicole erkannte sogleich, dass sie, wenn sie es nur richtig anstellte, leichtes Spiel mit ihm haben würde.

Vielleicht war diese Hochzeit doch kein Fehler, ging es ihr durch den Sinn, während sie ein Lächeln aufsetzte.

»Ich grüße Euch, Mylady«, sagte der Baron förmlich und verneigte sich vor ihr. »Willkommen in Ravencroft.«

Nicole machte einen artigen Knicks.

»Gebt gut auf meine Tochter acht, Mylord, und bedenkt, sie ist von edlem normannischen Blute.«

Mit diesen Worten gab der Count de Boisy seine Tochter dem Baron an die Hand, und umhüllt von Weihrauch knieten die Brautleute auf den Stufen vor dem Altar nieder.

Der Priester, ein beleibter Mann mit rotem Gesicht, graublondem Haar und Augen, die Nicole an die eines Schweins erinnerten, begann die Zeremonie mit den üblichen Formeln und Gebeten. Die Grafentochter hörte jedoch gar nicht richtig hin, denn die Gedanken wirbelten durch ihren Verstand wie Blätter, die der Wind von den Ästen eines Baumes gerissen hatte.

Würde ihr Gatte häufig Reisen unternehmen und sie zurücklassen? Bestand vielleicht sogar die Möglichkeit, dass er zu einem neuerlichen Feldzug aufbrach? Hatte er gar Feinde?

Als der Priester schließlich mit der Segnung des Paares begann, schlug sie ergeben die Augen nieder und hoffte im Stillen auf eine glückliche Fügung.

 

Direkt an die kirchliche Trauung schloss sich das Hochzeitsfest an, zu dem viele Edle der Umgebung geladen waren. Der Baron hatte Musikanten kommen und selbst für seine Bediensteten ein Schwein auf einen Spieß stecken und ein Fass Ale anstechen lassen.

Die Tafeln in der Festhalle bogen sich unter Gebratenem und Schüsseln voller süßer und würziger Grütze. Ergänzt wurden die Speisen von frischen Feldfrüchten, die es zu dieser Jahreszeit im Übermaß gab.

Trotz des Überflusses blickte Nicole ein wenig griesgrämig auf die Speisen, denn sie hatte nicht den geringsten Hunger.

Ein Fest für Bauern ist das, ging es ihr durch den Sinn, die Edlen hier sind nichts weiter als das. Das grobe Auflachen eines der Gäste und das Juchzen der Magd, der er in den Hintern gekniffen hatte, schienen ihre Vorbehalte zu bestätigen.

Nicole seufzte auf und führte ihren Becher zum Mund. Das Ale schmeckte ein wenig fad, aber auch das würde sich ändern, wenn sie erst einmal das Sagen auf der Burg hatte.

Ihr Gemahl schien jedenfalls zufrieden zu sein. Immer wieder prostete er den Gästen zu und riss sich Stücke von dem Spanferkel ab, das vor ihnen auf dem Tisch stand.

Viele Worte hatten sie bislang nicht miteinander gewechselt. Ein paar Höflichkeiten und Komplimente hatten sie ausgetauscht, ansonsten blieb alles streng förmlich.

Recht so, dachte Nicole. Ich habe nicht vor, ihn näher kennenzulernen. Alles, was ich will, ist das Gold in seinen Schatzkammern.

Als sie zur Seite blickte, fiel ihr erneut der blonde Begleiter ihres Gemahls auf. Er saß nicht mit an der Tafel, war allerdings ständig in der Nähe.

Momentan verharrte er neben der weit offen stehenden Pforte, die in den Festsaal führte. Obwohl er sich lediglich mit einem anderen Soldaten unterhielt, strahlte seine Haltung Kraft und Selbstsicherheit aus. Er verkörperte all das, was Nicole sich von einem Mann wünschte. Vielleicht schaffe ich es, ihn eines Tages für mich zu gewinnen, dachte sie, während sie erneut einen Schluck Ale nahm.

Ein Geräusch neben ihr riss sie aus ihrer Betrachtung fort. Ravencroft erhob sich von seinem Platz.

Will er etwa jetzt schon ins Schlafgemach?, fragte Nicole sich und wappnete sich innerlich gegen das, was da auf sie zukommen würde.

Der Baron beugte sich zu seiner frisch angetrauten Gemahlin und sagte dann zu ihrer großen Überraschung: »Entschuldigt mich für einen Moment, meine Liebe, ich möchte mir ein wenig die Beine vertreten.« Ohne eine weitere Erklärung abzugeben, verließ er die Feierhalle.

Der Blonde wollte sich ihm anschließen, doch er bedeutete ihm mit einer Handbewegung, dass er zurückbleiben solle.

Die Gästeschar war darüber verwundert, aber der Baron hatte den Musikanten zuvor aufgetragen, weiter aufzuspielen, und niemand wagte zu fragen, wohin der Herr des Hauses wollte.

 

George of Ravencrofts Ziel war der nahe gelegene Bergfried, den er immer dann bestieg, wenn er mit seinen Gedanken allein sein wollte.

Das hatte er bereits so gehalten, als er von den Schlachtfeldern des Heiligen Landes heimgekehrt war. All die Greuel, die ihm immer wieder in den Sinn kamen, waren für ihn auf der Turmspitze leichter zu ertragen. Es schien, als stünde er hier über allen Dingen – auch über seinen Erinnerungen.

Er ging an den Wachposten vorbei, die augenblicklich Haltung annahmen, auch wenn ihnen das Ale, das man ihnen zugeteilt hatte, sichtlich zu Kopfe gestiegen war.

Die Fackeln flackerten vom Luftzug, den Ravencrofts Gewand verursachte, und malten bizarre Schatten an die Wände, doch er achtete nicht darauf. Hastig ergriff er eine der Fackeln und durchquerte den Durchgang zum Turm. Seine Schritte hallten die Wände hinauf, als er die Stufen der steinernen Wendeltreppe erklomm, die völlig ausgetreten war von den Generationen von Männern, die hier schon hinaufgestiegen waren.

Mit zunehmender Höhe wurde es zugiger, und schließlich schob Ravencroft die Fackel in einen der Halter. Der Wind ließ die Flamme heftig flackern, schaffte es auf dieser Höhe aber nicht, sie zu löschen. Den Rest des Weges legte der Baron zu Fuß zurück. Kurz darauf erreichte er die obere Plattform des Turmes.

Der Wind, der hier an seinem Haar zerrte, trug bereits einen leichten Hauch von Herbst mit sich, aber noch waren die Nächte lau und vom Duft der Wiesenblüten erfüllt. Unzählige Sterne funkelten am Himmel wie Edelsteine auf dem Mantel eines Königs, und der Gesang der Zikaden lag wie ein sehnsuchtsvolles Flüstern in der Luft. Es war eine Schönheit, wie Sänger sie in ihren Weisen kundtaten und wie sie Liebende zu glühenden Schwüren inspirierte.

Die rechte Stimmung für eine Hochzeitsnacht.

Trotzdem überkamen ihn leichte Zweifel.

Seine vorherigen Ehen hatten alle damit geendet, dass seine Frauen gestorben waren. Marianne, die erste, die er aus glühender Liebe heraus gefreit hatte, war der Pest anheimgefallen, während sie schwanger war. Alannah, die es geschafft hatte, ihn über den Schmerz seines Verlustes hinwegzutrösten, starb während der Geburt seines ersten Sohnes – und das Kind mit ihr.

Damals war es ihm so vorgekommen, als laste ein Fluch auf seinem Namen. Ein Fluch, den er von den Mamelucken mitgebracht hatte. Im Heer des Königs hatte man sich erzählt, dass dieses Volk über mächtige Zauberer gebot, seltsame Derwische, die Ungläubigen die schlimmsten Leiden und das größte Unglück anhexen konnten.

Über einen solchen Zauberer hatte auch der Sultan verfügt, der ihn und König Eduard gefangen genommen hatte. Ravencroft war sicher, dass dieser nicht nur ihre Niederlage heraufbeschworen hatte. Der orientalische Herrscher musste ihn, als er seine Flucht bemerkte, auch zur Kinderlosigkeit verflucht haben. Es hatte lange gedauert, bis ihm aufgegangen war, dass sein Unglück daran liegen konnte.

Nach dem Tod seiner zweiten Frau hatte er zunächst nichts von einer weiteren Heirat hören wollen. Aber nach und nach musste er einsehen, dass er noch zu jung war, um allein vor seinem Kamin zu sitzen. Seine Lenden strotzten vor Kraft, mit starken Händen führte er sein Schwert, dass es seinen Gegnern angst und bange wurde, und sein Geist war messerscharf wie eh und je – alles Gaben, die zu schade waren, um sie zu verschwenden.

Also hatte er einen Heiratswerber losgeschickt, um nach passenden jungen Damen zu suchen. Die Liste derjenigen, die bereit waren, einen Witwer seines Alters zum Manne zu nehmen, war nicht besonders lang. Die meisten von ihnen waren nicht schön genug, weshalb ihre Väter sie schon vorsorglich ins Kloster geschickt hatten. Einen Erben mit einer von ihnen zu zeugen wäre ihm zutiefst zuwider gewesen. An Nicole de Boisy, der Tochter des in Salisbury ansässigen Grafen, hatte er dagegen auf Anhieb Gefallen gefunden.

Obgleich sie jung und von ausgesuchter Schönheit war, drohte ihr der Gang ins Kloster. Die Mitgift war überaus bescheiden, aber das war für Ravencroft nebensächlich gewesen. Ein Erbe und ein treues Weib waren wesentlich mehr wert als eine Truhe voller Gold. Natürlich würde sich Nicole an ihn gewöhnen müssen, doch vielleicht würde ihn eines Tages das Band der Liebe mit ihr verbinden.

»Ist alles in Ordnung, Mylord?«

Henry Fellows’ Stimme holte ihn in die Gegenwart zurück.

Der Mond war inzwischen um den Burgturm herumgewandert und zauberte einen fahlen Schein auf den Graben, der die Burg wie ein Halsband aus Wasser umschloss.

Ravencroft wandte sich langsam um. »Ja, keine Sorge. Ich wollte nur ein wenig nachdenken.«

»Worüber, wenn ich fragen darf?«

»Über mein Leben. Und mein Glück, ein so junges Weib an die Hand zu bekommen.«

»Eure Gemahlin ist wahrlich eine Schönheit.«

»Ja, und ich frage mich, ob ich nicht zu alt für sie bin.«

»Das seid Ihr gewiss nicht, Mylord. Ich glaube, dass Euer Weib Euch neue Kraft verleihen wird.« Fellows zwinkerte ihm anzüglich zu.

Ravencrofts Fröhlichkeit kehrte zurück. »Wenn du schon darauf anspielst, dann sollte ich mich wohl jetzt besser mit ihr zurückziehen.«

Damit wandte er sich um, schlug seinem Freund auf die Schulter und ging, von ihm begleitet, wieder nach unten.

Nachdem er die Festgesellschaft beendet hatte, führten die Kammerfrauen und Mädchen Nicole in das eheliche Gemach. Die Männer blieben noch ein Weilchen zurück und begannen nun mit derberen Gesprächen, die sich ausschließlich um Frauen und deren Angewohnheiten beim Beischlaf handelten.

Ravencroft lauschte den Unterhaltungen lächelnd und geduldig, während in seinem Herzen und seinen Lenden die Ungeduld tobte. Es würde noch eine Weile dauern, bis seine Gemahlin bereit für ihn war, aber dann würde er nach so langer Zeit endlich wieder lustvolle Momente auskosten können.

Schließlich erschien das Mädchen, das Nicole zu ihrer ersten Kammerfrau auserkoren hatte. Celeste war ihr Name, so viel hatte der Baron immerhin mitbekommen. Sie war ein kräftig gebautes Frauenzimmer, das unerschrocken dreinblickte und damit wohl selbst den ärgsten Witzbold davon abhielt, ihr an den Hintern zu grapschen.

»Mylord, Eure Gemahlin ist bereit.«

Die Männer quittierten ihre Worte mit einem lauten Johlen, und sogleich begannen sie, dem frischgebackenen Ehemann Ratschläge zu erteilen.

Ravencroft nickte Celeste zu, die sich daraufhin wieder auf den Weg machte. Der Baron schloss sich ihr an, lediglich begleitet von Henry Fellows.

In den Gängen war leises Wispern zu vernehmen, und neben der Tür des Schlafgemachs standen die Mädchen aufgereiht. Es war klar, dass sie versuchen wollten, einen Blick durch das Schlüsselloch zu erhaschen, doch Celeste setzte dem Treiben sogleich ein Ende.

»Was steht ihr hier rum und gafft Löcher in die Luft? Marsch, marsch, setzt euch in Bewegung, die Eheleute sollen ungestört sein!« Sie klatschte in die Hände und scheuchte die Mädchen wie eine Schar Hühner davon. Dann knickste sie vor dem Baron und zog sich ebenfalls zurück.

»Ich wünsche Euch eine gute Nacht, Mylord«, sagte Henry förmlich.

Der Baron wandte sich daraufhin lächelnd um. »Mehr nicht?«, fragte er. »Bin ich dir so wenig wert, dass du mir nicht einmal gute Verrichtung wünschst?«

Fellows feixte breit. »Ich weiß, dass Ihr Euer Bestes geben werdet, Mylord.« Damit verneigte er sich und wandte sich um.

Ravencroft blickte seinem Hauptmann noch einen Moment lang nach, dann stieß er die Tür zu seinem Schlafgemach auf.

 

 

Nicole saß kerzengerade in dem hohen Himmelbett, das Haar fiel ihr offen über die Schultern, die von einem zarten weißen Nachthemd verhüllt waren.

Ihre Kammerfrau und ihre Zofen hatten sich zurückgezogen, und nach einer Weile vernahm sie Schritte vor der Tür.

Nun ist es also so weit, dachte sie und versuchte ihre Nervosität niederzuringen. Gleich bezahle ich den Preis für meinen bevorstehenden Reichtum. Wenn ich den Baron in dieser Nacht zufriedenstelle, wird er mir vielleicht jeden Wunsch erfüllen.

Wenig später erschien Ravencroft im Türgeviert. Der Blick, mit dem er sie bedachte, verriet aufkeimendes Begehren und Lüsternheit.

Nicoles Herz schlug ihr bis zum Hals. Wird er vorsichtig sein oder mich wie ein wildes Tier nehmen?, fragte sie sich ängstlich.

Als er sich neben sie auf das Bett setzte, zuckte sie unwillkürlich zusammen.

»Was ist dir, meine Liebe?«, wollte der Baron wissen, als er ihre Regung bemerkte. Er ließ den Blick über ihr Gesicht und ihre Brüste schweifen, die sich unter ihrem Hemd abzeichneten.

»Nichts«, entgegnete Nicole schüchtern. »Ich bin nur voller Erwartung.«

»Dann hoffe ich, dass ich sie erfüllen kann.«

Mit diesen Worten setzte er sich zu seiner Gemahlin aufs Bett und streckte die Hand nach ihrem Gesicht aus. Ihre Wangen glühten wie vom Fieber befallen, und sie erschauderte unwillkürlich.

»Du sorgst dich um die Schmerzen, nicht wahr?«, raunte er, während er seinen Puls hart in seinem Hals, seinen Schläfen und auch in den Lenden spürte. Sein Glied wuchs sehnsuchtsvoll in seinem Hosenbeutel. »Ich werde vorsichtig mit dir umgehen. Immerhin sollst du die Mutter meiner Kinder werden.«

Sie schlug die Augen unter der Berührung seiner Worte nieder und versuchte, sich das Bild des blonden Soldaten ins Gedächtnis zu rufen. Überraschenderweise ließen sich die Berührungen des Barons damit leichter ertragen.

Nachdem Ravencroft sie noch eine Weile gemustert hatte, begann er, seine Kleider abzulegen. Er knöpfte sein dunkelblaues Wams auf, entledigte sich seines blütenweißen Hemdes und seiner ebenfalls blauen Beinkleider.

Nicole errötete, war aber nicht imstande, den Blick abzuwenden. Der Baron war hochgewachsen, sein Körper straff und muskulös. Sein Gemächt erschien ihr allerdings riesig, und es schien mit jeder verstreichenden Sekunde noch größer zu werden.

Wollte er damit etwa in sie dringen?

Die unvermittelt auf Nicoles Wangen tretende Röte ließ Ravencroft vor Begierde erzittern.

Mit entschlossenem Griff schob er die Bettdecke beiseite. Einen Augenblick lang betrachtete er ihren Körper, der sich unter dem zarten Stoff des Hemdes abzeichnete. Die schlanken Beine, den flachen Bauch, die kleinen, festen Brüste. Dann zog er ihr das Hemd vom Körper, kniete sich neben sie auf das Bett und spreizte mit beiden Händen ihre Beine.

»Keine Sorge, meine Schöne, es wird dir Vergnügen bereiten«, raunte er, als er über sie glitt. »Beim ersten Mal schmerzt es jede Frau, aber danach wirst du nur noch Wonne empfinden.«

Zärtlich küsste er ihre Lippen, bis sie den Mund öffnete und seiner Zunge Einlass gewährte.

Nicole stieß ein leises Stöhnen aus, und das war für Ravencroft das Zeichen, dass sie bereit war, ihn in sich zu empfangen.

Er streichelte sie, während sein Mund von ihren Lippen herab zu ihrem Hals und dann zu den zarten Knospen ihres Busens glitt. Seine Hände wanderten kundig zwischen ihre Schenkel, fanden die geheime Perle und streichelten sie sanft. Gegen ihren Willen wurde Nicole von einem heftigen Lustschauer übermannt. Ihre Glieder fühlten sich schwach und willenlos an, und all ihre Kraft und ihr Gefühl schienen sich an dieser Stelle ihres Körpers zu konzentrieren. Ihr Leib öffnete sich in einer Weise, wie sie es nie zuvor erlebt hatte. Ravencroft führte das allein auf seine Verführungskünste zurück, und selbst wenn sie gekonnt hätte, hätte Nicole ihn nicht darauf aufmerksam gemacht.

Der Baron schob ihr die Schenkel noch ein Stück weiter auseinander, dann drang er in sie ein.

Der ziehende Schmerz zwischen ihren Beinen ließ das Bild des blonden Soldaten jäh verschwinden. Nicole schrie auf, und Tränen stiegen in ihr auf.

Ravencroft hielt einen Moment lang inne. Sein Gesicht schwebte dicht über ihrem, doch er machte keine Anstalten, sie zu küssen. Er wartete darauf, dass sie die Augen öffnete und ihn ansah.

Als Nicole das tat, küsste er ihre Stirn. Eine Woge des Glücks erfasste ihn, diese Frau hier war seine Frau, und er war wirklich ihr erster Mann. Konnte er sich mehr wünschen?

Als er der Meinung war, dass sie den Schmerz verkraftet hatte, begann er, sich in ihr zu bewegen. Seine Stöße führte er vorsichtig aus, denn er wollte ihr nicht noch mehr Schmerzen bereiten und ihr die Freude an der ehelichen Lust verleiden. Immerhin war es möglich, dass sein Same in dieser Nacht noch nicht aufging. Wie ihm eine frühere Hebamme erklärt hatte, konnte die Frau nur an manchen Tagen empfangen. Welche das waren, wussten nur die Frauen selbst.

Nicole drehte den Kopf zur Seite und biss sich auf die Lippen. Die Stelle, an der sie zuvor noch höchste Lust empfunden hatte, brannte höllisch, und die Bewegungen des Mannes in ihr verschlimmerten es nur noch.

Dennoch sagte sie kein Wort und ließ seine Bewegungen ebenso wie seine Küsse stumm über sich ergehen. Die Stöße währten scheinbar endlos, und sein Stöhnen dröhnte ihr wie Sturmgetöse ins Ohr, bis es schließlich in einem lauten Schrei gipfelte. Nicole spürte, wie sein Samen sich in sie ergoss. Sie selbst hatte zwischendurch gemeint, dass die Lust zu ihr zurückkehren würde und damit auch das Bild des Soldaten. Doch das war ein Trugschluss gewesen.

Als der Baron von ihr herunterglitt, glühte sein Gesicht wie die Abendsonne. Das gierige Funkeln in seinen Augen war einem satten Ausdruck der Zufriedenheit gewichen.

Er küsste sie noch einmal, legte sich dann wortlos neben sie, und es dauerte nicht lange, bis er einschlief. Nicole dagegen lag noch lange Zeit wach. Die Schmerzen wichen allmählich einem Brennen, und bald stieg eine heftige Wut in ihr auf. Das hier soll ich allen Ernstes wieder und wieder erdulden? Was haben diese dummen Gänse bloß immer geredet?

Der Körper ihres Gemahls hatte ihr keine Erfüllung gebracht, wie es die Mägde geschildert hatten, wenn sie heimlich miteinander über ihre Treffen tuschelten. Aber vielleicht würde er von ihr ablassen, wenn sie nur schnell genug schwanger wurde.

Als sie sicher war, dass der Baron schlief, zog Nicole die Beine unter der Decke an und verharrte eine Weile so. Celeste hatte ihr dazu geraten, damit der Same ihres Mannes nicht gleich wieder aus ihr herausfloss. Wenn es ihm gelang, sich in ihr festzusetzen, würde Ravencroft sie gewiss in Ruhe lassen.

 

Henry Fellows lag in dieser Nacht ebenfalls lange wach und starrte an die Decke seines kleinen Quartiers. Es befand sich etwas abseits der Schlafhalle, in der seine Männer nächtigten. Viel mehr als eine steinerne Hütte war es nicht, doch sie genügte dem Hauptmann, denn er hatte hier alles, was er brauchte: Tisch, Bett, eine Esse und Platz, um sein Schwert aufzuhängen. Das Einzige, was ihm fehlte, war ein Weib. Bisher hatte er diesen Mangel nicht so sehr gespürt, denn der Dienst an der Seite seines Herrn hatte ihm höchstens mal Zeit gelassen, kurzzeitig Trost in den Armen einer Magd oder einer Hure zu finden.

Aber nun war alles anders.

Er spürte, wie der Wein zusammen mit seinem Blut durch die Adern rauschte, und mit einem Mal war es ihm, dass ihn das Stroh in dem Sack, auf dem er lag, stärker als sonst stach.

Vielleicht war der Wein daran schuld, dass Henry das Bild der jungen Baronin nicht verdrängen konnte. Sie war wunderschön, und ihr Blick hatte ihn sofort angerührt. Was für Augen sie doch besaß! Unter den Frauen, die seinem Herrn dienten, gab es durchaus etliche hübsche, aber keine konnte dem Vergleich mit seiner neuen Herrin standhalten. Wie sollte er je eine Braut finden, ein Weib, das seine Lust stillen würde?

Der Gedanke trieb Henry von seinem Lager hoch und ließ ihn ans Fenster seiner Hütte treten. Von hier aus konnte er das Fenster der Gemächer seines Herrn erkennen. Ein einsamer Lichtschein drang noch immer in die Nacht. Wahrscheinlich lehrte der Baron sein Weib gerade die Geheimnisse der Lust, nahm sich ihren schönen Körper und liebte sie, bis sie glaubte, den Verstand zu verlieren.

Aber je länger er darüber nachdachte, desto mehr zweifelte er daran, dass diese Frau ihren Verstand und auch ihr Herz in dieser Nacht verlieren könnte.

Nicole hatte nicht so gewirkt, als würde sie ihrem Gemahl sonderlich viel Sympathie entgegenbringen. Der Wachmann hatte es bald bemerkt, denn sooft er konnte, hatte er in den Festsaal geblickt und ihre Gestalt gesucht. Beide hatten wie Fremde gewirkt, und ob sich das jemals änderte, nun, darauf wollte Henry lieber nicht wetten. Er hatte nicht erlebt, wie der Baron zu seiner ersten Frau war, die zweite hatte er dagegen mitbekommen, und er hatte auch Ravencrofts Verzweiflung erlebt, als Gott sie zu sich geholt hatte. Nie hätte er geglaubt, dass es je wieder eine Herrin in der Baronie geben würde, dass es nun doch der Fall war, musste an der Furcht seines Herrn liegen, niemandem seinen Besitz vermachen zu können, wenn er starb. Ahnte er vielleicht, dass Gott ihn bald schon zu sich holen würde?

Nein, das war unwahrscheinlich. Immerhin stand er in der Blüte seiner Jahre und war noch weit davon entfernt, ein seniler Greis zu werden.

Allerdings hatte sich in den vergangenen Monaten der Konflikt zwischen ihm und dem Baron of Woodward verschärft. Daher war es durchaus möglich, dass ein Bolzen oder ein Schwertstreich seinem Leben ein Ende bereitete. Umso wichtiger war es für ihn, dass der Same heute oder vielleicht in den kommenden Nächten auf fruchtbaren Boden fiel.

Doch auch wenn dieser Gedanke lästerlich war und keinesfalls von der Loyalität zeugte, die Henry gegenüber seinem Herrn empfand, so konnte er sich seiner nicht erwehren. Er wäre jetzt nur zu gern an der Stelle des Barons und hätte diese Frau die ganze Nacht über begattet. Da dies nicht sein durfte, klemmte er sich die rauhe Decke zwischen die Schenkel und versuchte auf diese Weise, der Enge in seinem Hosenbeutel Herr zu werden.