Die Reportage über die tote Nonne in der ,Beauty Oasis“ wird so harmlos, dass nicht einmal Grünwald etwas dagegen haben kann. Mein Gespräch mit der Genetikerin lasse ich ganz weg. Vesna schicke ich per SMS in Stichworten die Infos, die ich von Oskar und Droch bekommen habe. Am späten Nachmittag soll ich mich mit Chefinspektor Knobloch treffen. Ich werde ihm vom Geheimlabor erzählen. Zumindest habe ich es vor. Vesna will, dass wir damit noch warten.
Es ist kurz vor halb vier, als ich von der Autobahn ins Oststeirische Hügelland abbiege: Mittelamerikanische Guerillas, wie absurd in dieser Gegend. Irgendwann einmal hat es hier viele aktive Vulkane gegeben. Sie sind zu grünen Hügeln geworden. Jetzt bei Tag werde ich über meine Panik lachen, dass da beim Weingartenhäuschen einer auf mich lauern könnte. Ich finde den Weg diesmal sofort, fahre die schmale Schotterstraße hinauf, sehe das Wäldchen, das eigentlich nur aus einigen Büschen und Bäumen besteht, kein Auto weit und breit. Ich nehme den Schlüssel aus der Tasche, sperre auf. Ein Knall. Ich stürze nach draußen. Stopp, Mira. Der Wind bläst, du hast die Eingangstür geöffnet, eine Innentür ist zugefallen. Du rennst nicht wieder davon. Vorsichtig lauschend gehe ich nach drin. Das Fenster in der kleinen Küche steht halb offen. Die Tür zum Badezimmer ist zu. Die zum Schlafzimmer im Parterre auch. Gerade wie ich mit meinem Rundgang fertig bin und mich nicht nur mutig, sondern auch erleichtert fühle, höre ich ein Auto kommen. Ich kann nicht anders. Ich ducke mich unters Küchenfenster, spähe vorsichtig hinaus. Ich atme auf. Vesna. Warum hat sie nicht angerufen?
„Wollte ich dir lieber live erzählen“, erklärt sie eine Minute später. „Ich habe Peter Schilling überredet, dass er mit uns spricht.“
„Und wer ist das jetzt?“ Um fünf habe ich meinen Termin mit Inspektor Knobloch.
„Chef von Labor von Grünwald. Ich bin Gast in ,Beauty Oasis'. Habe mit ihm geredet über Tests von Schönheitsmitteln. Und dann ich habe gesagt, dass ich habe gehört, Journalistin, die ich zufällig getroffen habe, interessiert sich sehr für das Labor. Weil auch Nonne in Labor gearbeitet hat oder so.“
„Von welchem Labor hast du gesprochen?“, will ich wissen.
„Natürlich einfach von Labor. Er kann nicht wissen, dass ich zweites auch kenne. Aber ich habe mir gedacht, er will sicher nicht, dass irgendwas über Labor in ,Magazin' steht. Muss Grund haben, warum der Professor darüber nichts auf Homepage hat. Komm. Er wartet auf Bank bei Weg rund um Burg. Habe gesagt, hoffentlich ich kann dich überzeugen und du kommst und hörst ihm zu.“
Ich fahre hinter Vesna her, sie startet so schwungvoll, dass ich ihr kaum folgen kann. Schotterstraße nach unten, Bundesstraße. Sie biegt ein, hält auf einem kleinen Parkplatz, steigt aus. „Da hinauf“, sagt sie und deutet auf einen steil ansteigenden Weg Richtung Burg.
„Nicht wirklich!“, protestiere ich.
„Du willst nicht, dass man uns sieht, oder?“ Und schon geht sie voraus. Als ich sie eingeholt habe, keuche ich.
„Noch etwas“, sagt sie, den Blick auf den Weg gerichtet. „Ich habe Dr. Peter Schilling gegoogelt. Er hat Gemeinsames mit Biografie von Dr. Natalie Veith. War auch bei diesem Genomprojekt. Und war auch in Kiel. Ist Forschungsdirektor der ,Grünwald-Group‘, angeblich seit ,Oasis‘ 2005 eröffnet wurde.“
„Die Genetikerin hat mir nichts von ihm erzählt“, sage ich nachdenklich und schnaufe. Genau betrachtet hat sie mir überhaupt wenig erzählt. Dass sie Grünwald nicht mag, ist allerdings klar. Aber wie steht sie zu ihrem früheren Kollegen?
Dr. Schilling sitzt tatsächlich schon auf der Bank. Er ist höchstens so alt wie die Genetikerin. Wo züchten sie bloß all diese jungen Wissenschaftler? Wir geben einander die Hand, betont freundliches Begrüßungsritual. Hat er Grünwald erzählt, dass er mich hier trifft?
„Glauben Sie mir, an unserem Labor ist gar nichts Geheimnisvolles“, kommt er zur Sache. „Frau Krajner hat mir berichtet, Sie finden es seltsam, dass es Professor Grünwald in der Öffentlichkeit kaum erwähnt. Das ist ganz einfach zu erklären: Wir kontrollieren und wir forschen, das hat mit seinem Kerngeschäft nichts zu tun.“ Ich nicke friedlich. „Ich soll Ihnen schöne Grüße von Natalie Veith ausrichten.“
Er springt auf. „Daher weht also der Wind! Hat sie Ihnen auch erzählt, dass das Gerichtsverfahren eingestellt wurde? Dass keiner Grund zur Annahme sah, man habe ihr irgendwelche Forschungsergebnisse geklaut? Dass wir gemeinsam, und das im Auftrag der ,Grünwald-Group‘, geforscht haben? Die ist doch paranoid! Ganz abgesehen davon, dass sie sich über Schönheitsoperationen und die Leute, die sie durchführen, lustig macht! Eine überhebliche Zynikerin ist sie! Sie hätte nie ...“ Er holt tief Luft und setzt sich wieder. „Tut mir leid“, sagt er dann. „Ich dachte, ich rege mich nicht mehr über sie auf. Aber sie hat ausgiebig versucht, uns zu schaden ... Und das alles bloß, weil ich sie habe sitzen lassen.“
Wird ja immer besser. Melodram, zweiter Teil. Liebesaffären und Todesfälle ohne Hochzeiten rund um die Schönheitsklinik.
„Frauen da können sehr nachtragend sein“, ergänzt Vesna und nickt mit dem Kopf.
„Nachtragend? Sie hat mich verfolgt. Sie hat unser Labor verlassen und alles getan, um mich und unsere ,Beauty Oasis' schlechtzumachen. Bitte!“ Er sieht mich mit beinahe flehendem Blick an. „Glauben Sie ihr nichts! Prüfen Sie in Ihrem eigenen Interesse nach, was sie sagt!“
„Das Ende Ihrer Beziehung ist jetzt wohl fast fünf Jahre her“, werfe ich ein. Natalie Veith hat auf mich nicht gerade den Eindruck der ewig leidenden verlassenen Geliebten gemacht.
„Sie ist Wissenschaftlerin“, antwortet er bitter. „Ihr Liebesieben ist immer zu kurz gekommen. Bis ich kam.“
Oh du meine Güte, ein Frauenbeglücker. Okay, er sieht ganz nett aus, schlank, groß, dunkelhaarig. Ein wenig zu adrett für meinen Geschmack. „Und warum haben Sie sie verlassen?“
„Ich ... ich bin einige Monate jünger als sie. Wir haben uns über die Genforschung kennengelernt. Ich wollte mehr im Leben. Nicht dass Sie glauben, ich bin kein ernsthafter Wissenschaftler. Aber ich weiß, dass es auch ein Leben außer dem unter dem Elektronenmikroskop sichtbaren gibt.“
Klingt nach heimlichen Beziehungen zu jungen Krankenschwestern und so. Ich sehe auf die Uhr. Viel Zeit habe ich nicht mehr, wenn ich pünktlich bei Inspektor Knobloch sein will.
„Was glaubt Dr. Veith denn, dass Sie ihr gestohlen haben?“
„Das ist für Außenstehende etwas kompliziert. Außerdem ist das Verfahren eingestellt.“
„Dr. Veiths Spezialgebiet ist die genetische Alternsforschung. Hat es damit zu tun? Forschen Sie auch in diese Richtung?“
Der junge Wissenschaftler seufzt und wirft mir einen Blick zu, der wohl verführerisch wirken soll. „Kein Thema, mit dem Sie sich schon beschäftigen müssten.“
„Ich tue es trotzdem“, sage ich trocken.
„Also: Der Schwerpunkt unserer Forschungen liegt woanders, wir haben fantastische Anti-Aging-Cremes entwickelt, wir optimieren Präparate, die den Körper dabei unterstützen, jung und fit zu bleiben. Das geht hin bis zu Tests zur Verträglichkeit von Implantaten. Wir haben Programme entwickelt, um für jede Person das individuell geeignetste Produkt herauszufinden. Etwas, mit dem sich herkömmliche Schönheitskliniken viel zu wenig beschäftigen.“ „Seltsam“, erwidere ich. „Frau Dr. Veith hat über etwas ganz anderes gesprochen. Jetzt erinnere ich mich. Sie hat Sie schön grüßen lassen und gemeint, sie sei auf sehr interessante Ergebnisse bei diesem Wurm, dem ,Elegans‘ oder so, gestoßen. Dinge, die weit über das hinausgingen, was sie gemeinsam im Grünwald-Labor herausgefunden hätten.“
Dr. Schilling lacht spöttisch. „Die mit ihrem Fadenwurm! Natürlich ist das ein interessantes Versuchstier, aber ... um wirklich damit einen Durchbruch zu erreichen, ist es zu klein, zu wenig komplex.“
„Mäuse sind da besser?“, frage ich so harmlos wie möglich.
Er sieht mich scharf an.
„Na ja, heißt es immer. - Sie betreiben also doch auch Genforschung“, fordere ich ihn heraus.
„Mäuse sind uns schon etwas näher. Und die Genforschung ist ein sehr weites Feld, Frau Valensky. Es stimmt schon, dass wir auch in Richtung Lebensverlängerung forschen. Quasi nebenbei. Aber darüber würde ich Sie bitten nichts zu schreiben. Seit den dummen Aktionen einiger Aktivisten haben Menschen sogar etwas gegen Gene an sich. - Sie kennen doch sicher die Aussprüche von den ,genfreien Lebensmitteln'? So etwas Lächerliches! Ohne Gene gibt es gar nichts. Wissen Sie, dass unser Genom nur sehr geringfügig von dem von Pflanzen oder Tieren abweicht? Der Bauplan der Natur ist in allen Lebewesen von Grund auf gleich. Wir alle haben uns gleichsam aus einem Urgenom heraus entwickelt und sind nur Modifizierungen ein und derselben Lebensinformation. - Wie nennt man das noch?“ Er sieht uns fragend an. Super, jetzt spielt er auch noch Oberlehrer.
„Mutation“, sage ich ungeduldig.
„Richtig. Ohne zufällige Mutationen würden wir noch immer alle in der gleichen einförmigen Ursuppe schwimmen. Mutationen sind daher gar nichts Schlimmes, ganz im Gegenteil: Sie sind die Voraussetzung für die Vielfalt von Lebewesen.“
„Sie arbeiten an Genmutationen?“, frage ich.
Schilling schüttelt den Kopf. „Dazu ist unsere Einrichtung zu klein. Und gezielte Mutationen sind bei höheren Lebewesen auch sehr schwierig zu machen. Woran weltweit geforscht wird, sind Substanzen, die die Aktivität von bestimmten Genen beeinflussen können, sodass man damit vielschichtige biologische Prozesse steuern kann. Wie zum Beispiel den Alterungsprozess. Es handelt sich dabei um Moleküle, die klein sein sollen, kleine Moleküle können besser durch Zellwände ins Innere gelangen.“
„Und damit Menschen könnten länger leben?“, will Vesna wissen.
„Unter anderem. In erster Linie geht es aber um die Bekämpfung von Krankheiten.“
Ich weiß nicht, warum ich Dr. Schilling nicht nach dem geheimen Labor frage. Er scheint relativ offen mit uns zu sprechen, sogar in Kauf zu nehmen, dass ich ihn in Zusammenhang mit genetischen Forschungen bringe. Wer tatsächlich etwas findet, das lebensverlängernd wirkt, kriegt wohl nicht nur den Nobelpreis, sondern verdient damit auch sehr, sehr viel Geld. Es ist anzunehmen, dass hinter diesem nahezu alchemistischen Wunder viele her sind. Was hat Dr. Veith gesagt? Wer daran forscht, macht es besser im Stillen. Vielleicht ist das wirklich alles, was hinter dem geheimen Labor und der eigenartigen Firma „Research on Life Limited“ steckt. Außerdem: Bei Schönheitsoperationen und dem ganzen Brimborium blicke ich durch, aber wenn es um Genetik und Minimoleküle geht, die irgendwelche Prozesse steuern sollen, kann man mir viel erzählen. Und es ist höchste Zeit, aufzubrechen, wenn ich meinen Termin mit Knobloch einhalten will. Zehn vor fünf. Also danke ich, verabschiede mich und renne den Spazierweg hinunter, Vesna kommt mir kaum nach. Bergab und wenn ich es eilig habe, bin ich beinahe unschlagbar. Ich verspreche meiner Freundin, mich nach meiner Einvernahme, oder was immer das sein soll, bei ihr zu melden. Huhn mit Mole geht sich heute sicher nicht mehr aus, dafür vielleicht eine selbst zusammengestellte Winzerjause vor dem Häuschen in den Weingärten.
Ich werde versuchen aus Knobloch herauszubekommen, was es da für ein Gerichtsverfahren zwischen Veith und Schilling gegeben hat und ob die „Grünwald-Group“, deren Forschungsdirektor Schilling zu sein behauptet, die es allerdings offenbar als eingetragene Firma gar nicht gibt, daran beteiligt war. Und ich habe mich entschieden: Ich werde dem Chefinspektor vom Geheimlabor erzählen. Eigentlich ist es der einzige Weg, in irgendeiner Form auch im ,Magazin‘ darüber berichten zu können. Sieht ohnehin nicht danach aus, als hätten andere Journalisten über das Dornenvögel-Syndrom hinaus Interesse an dem Fall der toten Nonne. Außerdem habe ich es Oskar versprochen.
Ich hocke mit Inspektor Knobloch in einem der Polizei-Büroräume, in denen man vermutlich alles gesteht, nur um sie so rasch wie möglich wieder verlassen zu können. Lieber kurz in den Häfen als mehr als eine halbe Stunde hier drin. Mein Verdacht ist ja, dass der unausgeglichene Gemütszustand gewisser Exekutivbeamter mit solchen Räumen zu tun hat. Neben uns sitzt eine von Knoblochs Kolleginnen in Uniform und schaut in die Luft. Ihr bisher einziger aktiver Beitrag zu unserem Treffen war, dass sie das Aufnahmegerät eingeschaltet hat. Ob Knobloch das nicht kann? Ob es gegen die Dienstvorschriften verstößt, wenn er es macht?
Knobloch hat mir Vorhaltungen gemacht, dass ich ihn nicht von meiner Abreise in Kenntnis gesetzt habe, er hat durchklingen lassen, dass das zum Verdacht führen könnte, ich hätte etwas mit dem Tod der Nonne zu tun. Der Rekorder schneidet alles mit, auch den größten Blödsinn. Was hätte ich für ein Interesse ...
„Jedenfalls sind Sie gemeinsam mit Schwester Gabriela am Tatort gewesen.“
„Das war allerdings drei Tage nach der Tat“, erinnere ich ihn. „Und ich bin nachweislich erst an diesem Tag angekommen. Ich war beim ,Professors Dinner'. Da haben mich rund hundert Leute gesehen. - Wissen Sie eigentlich, dass er sich den Titel an einer Universität in Kaliningrad gekauft hat?“
Er fahrt sich durch sein militärisch kurz geschnittenes Haar und sieht mich eine Spur amüsiert an. „Es ist ein legaler Titel.“
„Er müsste sich ,Honorarprofessor' nennen“, erwidere ich.
„Soll ich ihn deswegen verhaften?“, spottet der Chefinspektor. „Zu mir sagen die meisten Leute ,Kommissar' und ich unternehme auch nichts dagegen.“
Danach will er sehr genau von mir wissen, was die Nonne, als sie ihre junge Mitschwester gefunden hat und mir begegnet ist, getan hat, gesagt hat, wie sie dabei dreingesehen hat.
„Sie steht unter Verdacht?“, frage ich verblüfft.
„Wie heißt das so schön? Wir ermitteln rundum.“
Ich bemühe mich, ihm alles so zu schildern, wie ich es erlebt habe. Ist meines Erachtens auch nichts Belastendes dabei für Schwester Gabriela. - Oder doch? Habe ich da irgendetwas übersehen?
„Morgen können Sie kommen und das Protokoll unterschreiben“, sagt er dann.
Ich zögere.
„Noch etwas?“
Ich nicke und hole Luft. „Ich habe von einem Labor erfahren, von dem seltsamerweise auf der Homepage keine Rede ist. Und ich habe erfahren, dass Schwester Cordula Biologin war.“
„Woher?“, sagt Knobloch und wirkt mit einem Mal wieder gespannt.
„Ich bin Journalistin. So etwas lässt sich recherchieren. Man redet mit Leuten.“
Er nickt. „Informantenschutz?“
Ich nicke auch. Ist doch fein, dass wir uns immer besser verstehen. „Könnten wir den Rekorder ausschalten?“, bitte ich.
Knobloch stellt ihn wortlos ab.
Ich versuche, unseren Einbruch möglich harmlos erscheinen zu lassen. „Eine weitläufig Bekannte ist per Zufall auf dem Hügel, in den die ,Beauty Oasis' hineingebaut ist, spazieren gegangen. Und sie hat mir erzählt, dass es vor der untersten Etage eine Art von Schacht gebe. Ich habe mir gedacht, es wäre doch gut möglich, dass das Labor im stillgelegten Teil der Schönheitsklinik ist. Ich wollte einfach nachsehen, ob es stimmt, was mir erzählt worden war. Ob es tatsächlich ein Labor gibt.“
„Das heißt, Sie sind illegal ins Gebäude eingedrungen?“, sagt Knobloch scharf und seine uniformierte Kollegin hört auf, sich mit dem Daumen die Fingernägel zu polieren.
„Ich hätte über die Lobby jederzeit ins Haus gekonnt, also kann von einem illegalen Eindringen wohl kaum die Rede sein.“
„Ich weiß, dass Sie Juristin sind. Lassen wir die Spitzfindigkeiten.“ „Der Schacht führt zu einer Tür, die nicht versperrt war. Ich bin dann durch einige Räume und habe im Keller der ,Beauty Oasis' tatsächlich ein groß angelegtes, offenbar geheimes Labor entdeckt: samt einem Raum mit sicher über hundert Versuchsmäusen, einem voll ausgestatteten Operationssaal und jeder Menge moderner technischer Einrichtungen, wie man sie für Genforschung braucht. Das wollte ich Ihnen nur erzählen.“
Knobloch schüttelt den Kopf. „Was soll das für ein Unsinn sein? Was wollen Sie damit erreichen? Wir haben alles gründlich durchsucht. Wir waren natürlich auch im Labor. Es ist im Untergeschoß drei. Wo Sie Mäuse gesehen haben, weiß ich nicht. Operationsräume gibt es gleich mehrere.“
„Es ist eine Etage unter dem offiziellen Labor“, mache ich ihm klar. Darauf, dass er mir einfach nicht glauben könnte, wäre ich nie gekommen.
„Es ist richtig, dass es ein Kellergeschoß gibt. Es wurde baupolizeilich gesperrt, der Abgang zugemauert. Grünwald hat beim Umbau angegeben, es nicht zu brauchen, es einfach abzusperren war der kostengünstigste Weg. Der Hang war dort in Bewegung gekommen, auch Wasser war laut Gutachten eingedrungen, man hätte viel investieren müssen, um es zu sanieren.“
„Es gibt nicht nur den Schacht, es gibt auch einen Lift in den Keller“, kläre ich ihn auf.
„Gibt es nicht.“
„Er geht von einem kleinen Raum hinter dem offiziellen Labor einen Stock nach unten.“ Als ich es sage, merke ich selbst, wie unwahrscheinlich das alles klingt. Und tatsächlich wirkt Knobloch, als würde er gleich den Psychiater holen lassen.
„Wissen Sie, was?“, sage ich. „Wir schauen uns das Ganze einfach an. Und damit Grünwald nicht gewarnt wird, kommen wir wieder durch den Schacht, von der Hangseite her.“
„Und warum ,wir‘? Was hätte ich für einen Grund, Sie mitzunehmen?“
„Ich weiß, wo der versteckte Eingang ist. Und ich weiß, hinter welchem Raum das Labor ..."
Die Tür geht auf und Karl Simatschek steht im Raum. „Oh, hallo“, sagt er etwas zögerlich zu mir. Offenbar ist ihm auch nicht ganz klar, wie Knobloch darauf reagieren wird, dass wir per Du sind.
„Du bist nicht zufällig auch Psychiater?“, fragt ihn der Chefinspektor. „Unsere Frau Journalistin scheint sich da äußerst Seltsames zusammenzufantasieren.“
„Nehmen wir ihn doch mit“, schlage ich vor. „Immerhin ist Dr. Simatschek Mediziner, er kennt sich aus mit Labors.“
„Könnte man so sagen. Und wohin soll die Reise gehen?“
Ich habe es in erster Linie dem Gerichtsmediziner zu verdanken, dass wir im späten Nachmittagslicht am Hügelgrund vor der ,Beauty Oasis' stehen. Ohne auffälligen Polizeiwagen, ohne dass Knobloch Grünwald benachrichtigt hätte. Bei Tag ist der Schacht ganz leicht zu finden. Ich wundere mich ein wenig, dass Vesna den Deckel nicht exakt auf die Öffnung gelegt hat. Aber vorgestern war es doch schon ziemlich spät. Wir waren aufgeregt und müde zugleich. Die beiden Männer schieben die Eisenplatte vollends neben die Öffnung. Knobloch leuchtet nach unten. Die Kröte muss sich anderswohin verzogen haben.
„Da ist die Leiter“, sage ich mit einiger Genugtuung in der Stimme. Gleich werden die beiden Augen machen. Ich klettere vor ihnen in die Tiefe, heute ist die Erde fest. Zwei Tage mehr, an denen es nicht geregnet hat. Ich gehe in den kurzen Gang, die beiden folgen mir, jeder eine Taschenlampe in der Hand. Heute habe auch ich eine leistungsstarke dabei. Als ich gewartet habe, ob Vesna mit dem Lift zurückkommt ... was hätte ich da für eine gute Taschenlampe gegeben.
Die Tür ist auch heute offen, ich gehe voraus in den Kellergang, biege in den breiteren. Ich suche nach der Eisentür, hinter der die Kartons und Kisten gelagert waren. Hier ist sie. Ich spiele Fremdenführerin: „Hinter dem Verpackungsmaterial ist noch eine Tür. Und dort ist dann der erste Raum des Labors. Und daneben eine Art Panzertür, hinter der die Versuchsmäuse sind.“
„Klingt wirklich unglaublich“, murmelt Simatschek.
Wir bahnen uns einen Weg durch die Kartons und Kisten. Die Tür dahinter wird sichtbar. Ich kann nicht anders, ich drehe mich triumphierend zu den beiden um. Ich drücke die Klinke und öffne die Tür. Ich wende mich schwungvoll dem Raum zu, mache den Mund auf, um etwas zu sagen, sage dann nichts. Keine grauen Plastikbehälter. Ich schnuppere. Der Gestank ist noch da, aber er ist schwächer. Die Panzertür steht offen. Ich tappe voran, spähe durch die Tür. Da sind keine Regale mit Mäusen in Kunststoffbehältern. Da ist nicht einmal ein Edelstahltisch. Aber ...
Ich spüre die beiden Männer hinter mir, drehe mich langsam zu ihnen um. Der Gerichtsmediziner sieht mich an, als wäre ich sein nächster Fall.
Knoblochs Stimme ist schneidend. „Ich würde zu gerne wissen, warum Sie uns hergelockt haben.“
„Da ...“, setze ich an, „... da waren die Mäuse. Ich schwöre es. Man riecht sie noch.“ Ohne den Geruch würde ich vielleicht auch schon an meiner Zurechnungsfähigkeit zweifeln.
„Schon einmal davon gehört, dass im Keller Mäuse sind?“, fragt Knobloch.
„Und was ist mit der Panzertür, hinter der die Mäuse versteckt waren? Wer versteckt Kellermäuse in einem Tresorraum?“, krächze ich.
„Was immer Grünwald oder seine Vorgänger hier gelagert haben: Mäuse, Kohlen oder Diamanten. Es gibt sie jedenfalls nicht mehr“, spottet der Chefinspektor. Und zu Simatschek gewandt meint er: „Komm, vergessen wir den Quatsch. Wir gehen.“
„Nein!“, rufe ich und renne durch den verlassenen Raum, durch einen verlassenen Vorraum, durch einen komplett ausgeräumten Operationsraum, hinein ins eigentliche Labor. Da stehen zumindest noch einige Schränke und Sessel, alles zusammengeschoben an der Wand. Wer hat das Labor ausgeräumt? Jemand muss davon erfahren haben, dass Vesna und ich hier waren. Ich habe Schilling nichts davon erzählt, Vesna hat es auch nicht getan. Wenn sie das sagt, kann ich mich darauf verlassen. Natürlich hat Schilling sich etwas zusammenreimen können ... Oder vielleicht gab es irgendwelche Kameras? Vesna hat sich die Räume angesehen. Es war finster, aber ... „Da ist ein Teil der Einrichtung des Labors“, sage ich, als ich sehe, dass der Chefinspektor und sein Begleiter mir doch gefolgt sind. Es ist wie in einem Albtraum. Ein leerer Raum nach dem anderen, taschenlampenbeleuchtet. Der Lift. Dass ich daran nicht früher gedacht habe. Der Lift beweist, dass ich nicht spinne. Den können sie so schnell weder abtransportiert noch zugemauert haben. Ich öffne die nächste Tür. Da ist er. Ich atme hörbar auf. „Sehen Sie“, sage ich mit beinahe überschnappender Stimme. „Der Lift, den keiner kennt. Er geht in den Raum, der hinter dem offiziellen Labor liegt.“
„Und warum habe ich ihn dann dort nicht gesehen?“, fragt Knobloch.
„Weil ein Regal vor dem Durchgang zu dem Raum steht. Es hat einen Mechanismus, der es zur Seite gleiten lässt.“ Hört sich idiotisch an, ich weiß. Aber immerhin: Der Lift ist da. Alles einsteigen. Wir drängen uns in der engen und im Vergleich zu jener im Gästetrakt gänzlich unelegant verkleideten Kabine zusammen, ich drücke den Knopf. Nichts. Ich probiere es noch einmal. Nichts. Sie haben ihn abgeschaltet, vom Stromnetz getrennt.
„Es gibt ihn jedenfalls“, murmelt Karl Simatschek und ich weiß nicht, ob er mich damit beruhigen möchte.
„Ich zeige Ihnen den Zugang vom offiziellen Labor aus“, schlage ich vor. Nur nicht aufgeben. Es ist unwahrscheinlich, dass beim Abtransport des Labors keine Spuren zurückgeblieben sind. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob es jemanden geben wird, der diesen Spuren nachgehen will.
„Danke, wir brauchen Sie nicht mehr“, erwidert Chefinspektor Knobloch.
„Wenn wir schon da sind, sollten wir dann nicht doch ...“, überlegt Simatschek.
„Wahrscheinlich hat Frau Valensky das alles nur inszeniert, damit wir mit ihr ins Labor gehen. Warum auch immer. Wir werden uns das ominöse Geheimregal ansehen. Und ich werde mir überlegen, ob wir über dieses absurde Täuschungsmanöver so einfach hinwegsehen können.“
„Ich habe niemanden getäuscht“, sage ich mit eisiger Stimme. Jetzt reicht es. „Ich habe versucht, bestmöglich mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Suchen Sie Spuren, Sie werden Hinweise auf alles finden, was ich Ihnen erzählt habe.“ Fotos. Vesna hat doch Fotos gemacht, fällt mir plötzlich ein. Aber stopp. Besser, sie erfahren nicht, dass Vesna Krajner auch hier war, dass wir befreundet sind. Sonst wird Grünwald wohl sehr bald kein Zimmer mehr für sie haben. Jedenfalls: Wegen irgendeines Paragrafen, der sich mit Täuschung oder Störung von Ermittlungen beschäftigt, wird mich Knobloch nicht so schnell drankriegen. Die Fotos sind der Beweis, dass das Labor da war. Ich werde mir die Speicherkarte besorgen und die Fotos auf den Laptop spielen. „Unglaublich, dass du ganz alleine in der Nacht hier warst“, sagt Karl Simatschek beinahe bewundernd.
Ich grunze etwas Undifferenziertes. Auf dem Weg zurück leuchtet Knobloch immer wieder in die Ecken, greift sogar auf den Boden. „Staub“, sagt er dann. „Ein Labor hätte wohl klinisch sauber sein müssen. Ein Operationssaal auch.“
Ich sehe nach unten. Das stimmt. Hier ist Staub. Kann es sein, dass es zwei spiegelgleiche Raumachsen gibt? Dass in der einen das Labor ist und in der anderen nichts? Dass ich mich in der Tür geirrt habe? Dass sie die Tür verschoben haben? Wie verschiebt man eine Tür? Und wer sind „sie“? Mein Orientierungssinn ist nicht besonders gut. Finsterer Keller. Nein, aber die Kisten und Kartons waren auch vor zwei Tagen da. Der Weg war derselbe. Vielleicht hat sich das ganze Haus gedreht? Wenn die kolumbianischen und salvado-rianischen Todesschwadronen ...
Diesmal klettert Chefinspektor Knobloch als Erster durch den Schacht. Ich folge und dann ist auch der Gerichtsmediziner oben angelangt. „Trotzdem, das Labor war da“, sage ich. Es ist dämmrig geworden, als ich hinter den beiden durch das Maisfeld gehe. Heute kommt mir der Weg viel kürzer vor.
Ich sitze mit Vesna am Tisch vor dem Weingartenhäuschen. Die Fotos vom Labor sind leider miserabel geworden. Trotzdem hat es mich beruhigt, Bilder von den Mäusen, vom Operationssaal, vom Labor samt Mikroskopen und Computern zu sehen. Der Beweis, dass wir nicht verrückt sind. Ich habe in einem Laden jede Menge luftgetrockneten Vulcano-Schinken eingekauft. Sozusagen der Prosciutto dieser Gegend, er kann mit dem aus Italien locker mithalten. Dazu essen wir Weißbrot, Trüffelschmalz aus dem Glas und trinken Gelben Muskateller. Das ist ein Typ Weißwein, der auch Vesna schmeckt. Mein einziger Beitrag zum Abendessen ist eine Brotsauce aus Weißbrotkrume, viel Knoblauch, den ich zwischen den Rebstöcken entdeckt habe, Kernöl, das in der Küche stand und noch nicht ranzig war, Salz, Wein und einigen Tropfen Hot Sauce. Meine scharfe Sauce ist immer in der Handtasche, für alle Fälle. Vesna ist ziemlich sicher: Kameras hat es im geheimen Labor keine gegeben. Vielleicht haben wir doch Spuren hinterlassen? Welchen Fehler haben wir gemacht? Bis zur nächsten Ausgabe des ,Magazin‘ muss ich entscheiden, ob ich die schlechten Fotos vom Labor verwende und über diesen Ort, an dem über ich weiß nicht was geforscht wurde, berichte. Die Unterstützung der ,Magazin‘-Geschäftsführung werde ich, solange ich nicht mehr finde, allerdings kaum haben.
„Wie gelingt uns, dass Schilling redet?“, fragt Vesna und schaut in die nächtlichen Weingärten.
„Wenn sie das Labor so plötzlich abtransportieren, dann ist klar, dass dort nicht hauptsächlich zu Anti-Aging-Cremes und der Verträglichkeit von künstlichen Nasen und Brüsten geforscht wurde“, füge ich an. „Ob Knobloch Spuren suchen wird?“
„Denke ich doch“, erwidert Vesna. „Ich kapiere nicht, dass ich nicht gemerkt habe, sie haben Labor abtransportiert.“
Ich zucke mit den Schultern. „Es gibt einen Lieferantenausgang. Es ist dauernd Betrieb. Und was die Operationseinrichtungen angeht, so ist ja auch gut möglich, dass sie die in einem Saal untergebracht haben. Die Zwergeinrichtung, die für Mäuse ...“
„... die geht leicht in große Schachtel.“
Da fällt mir etwas ein. Vielleicht haben wir eine Chance. „Meine Fotografin hat in der Morgendämmerung Bilder von der ,Beauty Oasis' gemacht. Sie hat mir erzählt, dass schon in aller Früh erstaunlich viel Betrieb war. Und ich bin sicher: Auf einigen Fotos waren im Hintergrund Lkw zu sehen. Wir könnten sie vergrößern. Vielleicht können wir herausfinden, wohin sie die Sachen gebracht haben.“
Vesna sieht mich interessiert an. „Das machen wir. Kann nicht sein, dass sie so teure Apparate wegwerfen oder vergraben im Wald.“
Ein Geräusch. Etwas zwischen Rascheln und Schritten. Es kommt von den Rebzeilen hinter uns. Mira. Nicht schon wieder. Kein Grund für das geringste mulmige Gefühl. Wenn wir Glück haben, können wir Rehe beobachten. Ich merke, dass auch Vesna etwas gehört hat. Sie fährt sich mit dem Zeigefinger an die Lippen. Ich nicke und lächle. Gleich kommen sie, die Rehe. Heute kriegen sie mich nicht, heute krieg ich mich nicht selbst dran. Vesna greift vorsichtig in ihre Jackentasche. Fotoapparat. Rehe zwischen den Rebzeilen, sehr hübsch. Allerdings werden sie nach dem ersten Blitz wohl panisch verschwinden. Ich schüttle den Kopf. Vesna nickt, etwas heftig, scheint mir. „Doch!“, formt sie mit den Lippen und starrt mich an. Kann es sein, dass sie gar nicht an Rehe denkt? Ich atme vorsichtiger. Das Rascheln kommt näher. Ich sehe, dass Vesna aus ihrer Tasche eine kleine Pistole zieht. Ich muss mich täuschen. Ich würde es wissen, wenn sie so etwas besäße. Es muss eine Spritzpistole oder ein Feuerzeug sein. Aber warum legt sie dann das Ding auf den Tisch und ist so angespannt? Jetzt sehe ich einen Schatten zwischen den Reben. Zu groß für ein Reh. - Ist es derselbe, der hier vorgestern gewartet hat? Warum geht er nicht in Deckung? Vesna nimmt die Waffe langsam in die Hand, steht auf, hält sie halb versteckt hinter der Hüfte. „Hallo?“, ruft sie plötzlich. Ist sie verrückt geworden?
„Hallo!“, ruft es zurück und ich kenne die Stimme. Es ist die des Gerichtsmediziners.
„Hallo!“, rufe jetzt auch ich, nein, ich juble es beinahe.
Der große Schatten bewegt sich schneller, bekommt Konturen, wird zu Karl Simatschek. „Oh, Entschuldigung. Ich wusste nicht, dass du nicht allein bist“, sagt er zu mir.
„Meine Freundin Vesna“, antworte ich irritiert.
Er gibt ihr die Hand und sieht sie aufmerksam an. „Habe ich Sie nicht in der ,Beauty Oasis' gesehen?“
„Ist Zufall. Fast“, erwidert Vesna. Sie versucht, so unauffällig wie möglich ihre Waffe wieder einzustecken. Über dieses Ding werden wir noch ein Wörtchen miteinander reden. Kann ja sein, dass ich spinne. Aber ich fühle mich ohne Schießeisen in meiner Umgebung deutlich sicherer.
„Sehr spannend, so ein Auftritt aus den Rebzeilen“, lächle ich und versuche ihn von Vesnas Pistole abzulenken. „Warum hast du nicht angerufen?“
„Hab ich viermal probiert. Nie ist jemand drangegangen. Das ist mir ein wenig seltsam vorgekommen und ich hab gedacht, ich schaue besser vorbei.“
Mein Telefon ... tatsächlich, es hängt nicht an meinen Jeans. Ich hab nicht darauf geachtet. Hoffentlich habe ich es bloß irgendwo im Auto verloren. Vesna hat die Waffe inzwischen wieder in ihrer Jackentasche verstaut. Ich hoffe, sie weiß, wie man so etwas sichert. Ich stehe auf, hole Glas, Teller, Besteck, Serviette. Und da ist das Telefon: in der Küche. Hat sich Simatschek tatsächlich Sorgen gemacht, weil ich nicht ans Telefon gegangen bin, oder hat ihn Knobloch geschickt, um mich auszuhorchen?
„Na gut, nachdem Mira gesagt hat, da ist nichts mehr im Keller, ich wollte sehen, ob Sie wirklich gehen ins Labor“, erzählt Vesna gerade, als ich wieder zurückkomme. „Wollte allerdings nicht, dass Sie mich bemerken.“
Karl Simatschek grinst und lässt sich von mir Wein einschenken. „Bin schließlich doch irgendwie vom Fach.“
Die beiden scheinen sich auf Anhieb zu verstehen. Besser, ich unterbreche zu frühe Vertraulichkeiten. „Und? Der Aufzug ist hinter dem offiziellen Labor, nicht wahr?“
„Da du ihn ja kennst, erzähle ich dir nichts Neues. Die Sache mit dem Regal ..."
Ich nicke zufrieden. „Wenn das nicht verdächtig ist..."
„Da war kein Knopf und auch kein Mechanismus. Nur ein Regal. Wir haben es mühsam vorziehen müssen, um in den Nebenraum zu kommen.“
„Sie haben abgebaut!“, ruft Vesna. „Mechanismus war da! Wir sind nicht Idiotinnen!“
„Weiß ich“, antwortet der Gerichtsmediziner. „Genau das gibt mir ja zu denken. Entweder ihr habt recht, dann steckt um einiges mehr hinter dem Fall, als es den Anschein hat. Oder ihr führt irgendetwas im Schilde.“
Ich seufze. „Knobloch glaubt Letzteres. — Und du?“
„Offiziell glaube ich gar nichts. Da sammle ich Fakten.“
„Ja, aber an Toten. Wir sind lebendig“, kontert Vesna.
„Und inoffiziell?“, frage ich.
„Tendiere ich aus irgendeinem Grund dazu, euch zu glauben.“ „Hat Grünwald eigentlich etwas zu dem versteckten Aufzug gesagt?“
„Darf ich nicht sagen. Polizeiliche Ermittlungen.“
„Und wenn wir raten und es kommt zufällig Nicken mit Kopf?“, fragt Vesna.
„Grünwald sagt, er hat nichts von dem Aufzug gewusst“, probiere ich es.
Ganz zufällig nickt Karl Simatschek. Ich schenke ihm Wein nach. „Er ist immer wieder auf Auslandsreisen“, überlege ich. „Er ist an Schönheitskliniken zwischen Taiwan und Tschechien beteiligt. Was, wenn er wirklich hintergangen wurde?“
„Ich kann mir das nicht vorstellen“, erwidert Vesna. Und zum Gerichtsmediziner gerichtet: „Er hat Verdacht geäußert?“
Ein Kopfschütteln.
„Eigentlich kann es sonst nur dieser Dr. Schilling gewesen sein“, überlegt Vesna weiter.
„Natalie Veith hat das Labor auch gekannt. Was sie mir erzählt hat, klingt einleuchtend: Sie hätten an genetischen Methoden zur Lebensverlängerung geforscht, das sei legal, aber es sei besser, man mache es im Verborgenen. Offenbar sowohl wegen der Konkurrenz als auch wegen der Gäste der Schönheitsklinik. Sich das Fett wegmachen zu lassen ist inzwischen durchaus angesagt, aber genetische Manipulation ... Klar hat Grünwald das Labor gekannt. Die Frage ist eine andere: Aus welchem Grund musste es jetzt sofort verschwinden?“
„Natalie Veith?“, fragt Karl Simatschek nach.
„Eine Genetikerin, die vor fünf Jahren bei Grünwald beschäftigt war. — Kennst du sie?“
Er schüttelt den Kopf. „Ich war nur zwei-, dreimal in dieser ,Beauty Oasis'. Irgendwie nicht ganz meine Welt.“
„Es hat Streitigkeiten zwischen ihr und dem Leiter des Labors, Dr. Schilling, gegeben, die bis zu einem Gerichtsverfahren geführt haben.“
„Ohne Tote, vermute ich. Also weiß ich auch nichts davon. Prozesse gibt’s hier jede Menge. Wie auch sonst überall. - Ich nehme an, du hast Knobloch davon erzählt?“
„Ich dachte mir, das hat er ohnehin in den Akten“, antworte ich mit möglichst ausdruckslosem Gesicht.
„In den Akten sicher, aber ob er davon weiß? Er ist erst seit drei Jahren in Feldbach.“
„Knobloch scheint mir sowieso nicht zu glauben“, kontere ich.
Der Gerichtsmediziner grinst und lobt meinen Knoblauchbrotaufstrich. Vielleicht ohnehin besser, wir wenden uns erst morgen wieder der Welt der Schönheitsdoktoren und ihrer seltsamen Manipulationen zu. Ich bin gerade dabei, eine Flasche Rotwein zu öffnen, als Simatscheks Telefon läutet.
„Was? Nein, nicht daheim. - Bei Freunden. — Ja, natürlich. — Ich komme sofort. — Wo? — Ich bin mit meinem Allrad-Fiat da.“
Wir starren ihn an.
Er schüttelt den Kopf. Betroffen. Irritiert. Dann mustert er mich lange. „Du kommst bitte mit.“
„Dann ich komme auch“, sagt Vesna.
„Sie fahren in die ,Beauty Oasis' zurück. Sie bleiben auf keinen Fall hier.“ Es klingt nach Amtsperson.
„Ich fahre mit. Aber ich will wissen, was los ist.“ Ich sage es so bestimmt wie möglich. Doch eigentlich ist mir klar: Es kann nur bedeuten: Ein zweiter Mord.
„Du wirst es erfahren.“
„Wer?“
„Dr. Schilling.“
Wortlos gehen wir durch die Rebzeilen, Lichtstreifen im Grün dort, wo die Taschenlampe hinleuchtet. Wortlos klettere ich in den kleinen Fiat des Gerichtsmediziners. Wortlos fährt er an. Eine Buschenschank, Einfamilienhäuser, Bauernhöfe, Straßenschilder, zwei nächtliche Radfahrer, eine Weide, Felder. Er wird langsamer, scheint etwas zu suchen. Ich bin nicht in der Lage, klare Gedanken zu fassen. Warum Schilling? Er hat das Labor geleitet. Wir haben mit ihm geredet. Am Nachmittag.
Der Gerichtsmediziner biegt abrupt ab. Schotterstraße, einen Hügel hinauf. Weit entfernt sehe ich Lichter. Blaulicht.
„Wir haben ihn heute getroffen“, sage ich dann.
Simatschek sieht mich an. „Und was, wenn ihr auch dafür gesorgt habt, dass wir lange genug abgelenkt waren?“
Ganz heiß steigt es in mir auf. Das da, das kann alles nicht wahr sein. Atme durch. Überlege. Du brauchst jetzt deinen ganzen Verstand. Deinen ganzen Mut. „Welches Motiv sollte ich haben?“
Der Fiat rumpelt über die immer mieser werdende Straße. Plötzlich bleibt der Gerichtsmediziner stehen. „Vielleicht stehst du in einem anderen Verhältnis zu Grünwald, als wir angenommen haben, meint Knobloch.“
Ich lache auf. Es klingt gar nicht lustig. „Sehe ich aus wie die Geliebte von Grünwald?“
„Nein, eigentlich nicht“, sagt er dann leise. „Aber du musst ihn verstehen: Zuerst bist du dabei, als die tote Nonne gefunden wird. Dann bringst du überall Unruhe. Schleust eine Freundin in die Schönheitsklinik ein. Redest von Schilling und seinem Prozess gegen eine Kollegin.“
„Umgekehrt“, werfe ich ein. „Sie hat ihm vorgeworfen, Forschungsergebnisse gestohlen zu haben. Er sagt, es war Rache. Sie sei damit nicht fertig geworden, dass er sie verlassen habe. Das ist allerdings schon fünf Jahre her. Und Dr. Veith scheint mir nicht gerade der Typ zu sein, der einem Mann so lange nachweint.“ Wir hätten das Gespräch mit Schilling aufnehmen sollen. Was hat er uns erzählt? Warum haben wir ihn nicht auf das geheime Labor angesprochen? Er war loyal gegenüber Grünwald. Okay, er war sein Forschungschef. Er hat jedenfalls zugegeben, dass er, so nebenbei, auch über genetische Methoden zur Lebensverlängerung geforscht hat. Und er hat etwas über den Wurm seiner Kollegin gesagt. Ja, dass er zu klein sei, eine zu einfache Lebensform, um damit einen Durchbruch zu erzielen. Mäuse seien besser. Aber die sind verschwunden. Hat er davon gewusst? Hat er den Abtransport begleitet? Wem ist er gefährlich geworden?
Karl Simatschek fährt wieder los. Als wir über ein Schlagloch holpern, stoße ich mit dem Kopf ans Autodach. Wir nähern uns den Lichtern. Drei Polizeiwagen. Ein Rettungswagen. — Ist Schilling womöglich gar nicht tot? Quatsch, dann hätten sie wohl kaum den Gerichtsmediziner angerufen. Hoffentlich hat Vesna daran gedacht, meinen Laptop mit den Fotos mitzunehmen. Warum wollte Simatschek nicht, dass sie im Weingartenhaus bleibt? Glaubt er, dass wir in Gefahr sind? Unsinn. Ob auch er mich verdächtigt? Ich weiß es nicht. Ich hab ihn so sympathisch gefunden. Sollte mir die dumme Emotionalität endlich abgewöhnen. Er gehört zum Polizeiapparat und genau so wird er sich ab jetzt benehmen. Ist bloß professionell. Trotzdem. Ich sehe ihn verstohlen von der Seite an. Seine halblangen braun-grauen Locken, das markante Gesicht, das sonst meist diesen freundlich-ironischen Ausdruck trägt. Er ist einer, der nicht nur über andere, sondern auch über sich selbst lachen kann. Von Lachen ist momentan allerdings keine Rede. Von Freundlichkeit auch nicht. Sollten Schwule nicht ein wenig einfühlsamer sein? Er müsste merken, dass ich mit dem Fall nichts zu tun habe. Idiotisches Vorurteil: Warum sollten Schwule einfühlsamer sein?
Die letzten Meter ist der Wagen eher den Weg hinaufgeklettert als -gefahren. „Warum schaust du so?“, sagt Simatschek und sieht weiter konzentriert geradeaus.
„Ich dachte, ich mag dich“, sage ich und es klingt einfach idiotisch. Zum Glück steht er wenigstens nicht auf Frauen.
Ich sitze im kleinen Fiat und starre nach draußen. Simatschek hat mir befohlen, sitzen zu bleiben und ja nicht zu fotografieren. Er hat kurz überlegt, mich im Auto einzusperren, dann aber doch gesagt: „Wirst schon nicht davonlaufen.“ Ich sehe die Rücken von Spurensicherern in weißen Overalls, eigenartig beleuchtet von den Scheinwerfern der Polizeiautos. Flaches helles Licht. Ich bin gute zwanzig Meter vom Tatort entfernt. Ich sehe den Gerichtsmediziner mit Knobloch reden. Dann schauen beide zu mir herüber. Dann sehen sie wieder weg. Keine Chance, ihren Gesichtsausdruck zu deuten. Wenig später beugt sich Simatschek über den Toten. Ich kann nur den Umriss von Schilling erkennen. Er liegt am Rand einer kleinen Wiese, hinter ihm ein altes Kreuz mit einer Inschrift, die ich von hier aus nicht entziffern kann. Zeichen der Volksfrömmigkeit vergangener Jahrhunderte. Wie passend. Er muss sich hier mit jemandem getroffen haben. Natalie Veith. Ich habe keine Telefonnummer von ihr. Ich bräuchte meinen Laptop. Das Mobiltelefon habe ich allerdings. Hat der Gerichtsmediziner nur vergessen, es mir abzunehmen? Oder wollte er mir eine Chance geben? Ich schicke Vesna eine SMS.
„Fahr bitte nach Wien. Versuch zu klären, wo Natalie Veith ist. Institut heißt Genetic Research Austria GRA. Erzähl ihr, was Schilling heute über sie gesagt hat. Danach, dass er tot ist. Oder nicht? Entscheide du. Sitze im Auto, darf nicht raus, muss warten.“
Draußen leuchten ein paar zusätzliche Scheinwerfer auf. Die Spurensicherer in ihren weißen Overalls wirken wie fette Maden. Da kommt Vesnas Antwort: „Okay.“ Manchmal nervt mich ihre knappe Art schon. Ich hatte gehofft, sie würde mir etwas Mut zusprechen.
Es vergeht eine gute halbe Stunde, in der meine Gedanken Abfangen spielen. Uber Genforschung weiß ich mehr als Vesna, es wäre besser, ich rede mit Natalie Veith. Doch ich darf nicht weg. Eigentlich ist doch klar, dass ich nicht wirklich unter Verdacht stehen kann. Knobloch hat die Fotos vom Kellerlabor noch nicht gesehen. Jetzt liegt es auf der Hand, dass sie in die nächste ,Magazin‘-Story kommen. Der Leiter des Labors ist ermordet worden. Dumm, dass die nächste Ausgabe erst in einer Woche erscheint. - Was, wenn sein Tod mit unserem Treffen zu tun hat? Wie könnte das Zusammenhängen? So viele lose Fäden ... Wenn jemand glaubt, dass Schilling uns etwas erzählt hat, etwas verraten hat oder vorgehabt hat, es noch zu tun ... Wir waren viel zu leichtsinnig. Haben nicht erkannt, dass die tote Nonne nur ein kleiner Teil der Geschichte ist. Oder ist es genau umgekehrt? Ist alles viel simpler und der Rest herum nur Staffage? Mir wird kalt. Ich habe keinen Grund, hier sitzen zu bleiben. Karl Simatschek ist bloß Gerichtsmediziner, kein Polizeibeamter, der mir irgendwas befehlen kann. Und was dann? Wo sollte ich hin? Den Weg hinunter. Und sehen ... Ich drehe mich um, versuche abzuschätzen, wie weit es von hier ins Dorf ist. Traue ich mich zum Weingartenhäuschen? Warum hat Simatschek zu Vesna gesagt, dass sie weg soll von dort? Weiß er mehr? Ich schrecke zusammen, als die Autotür aufgeht. Nicht der Gerichtsmediziner, sondern Knobloch sieht mich an. Dann seufzt er und nimmt auf dem Fahrersitz Platz.
„Sie haben Dr. Peter Schilling also heute Nachmittag getroffen?“
Ich nicke und erzähle so detailgetreu wie möglich. Knobloch schreibt nicht mit, er scheint auch kein Aufnahmegerät laufen zu haben. Es sieht fast so aus, als würde es ihn nicht besonders interessieren, was ich ihm sage.
„Haben Sie mit der Nonne über dieses Treffen gesprochen?“
Ich schüttle den Kopf. Ich weiß nicht, was er immer mit Schwester Gabriela hat.
„Wann haben Sie die Nonne zum letzten Mal gesehen?“ Vorgestern Nacht, als Vesna sie im Labor überrascht hat. Soll ich Knobloch davon berichten? Eigentlich ist es schon seltsam: Was hat sie wirklich dort gemacht? Kann es sein, dass sie uns an der Nase herumgeführt hat? Wer traut alten Nonnen schon etwas Böses zu?
„Sie wissen es nicht mehr oder wollen Sie es nicht sagen?“, stößt Knobloch nach.
„Ich habe nachdenken müssen. Es war vorgestern am Vormittag. Ich bin zu ihr gegangen, um mit ihr über den Tod ihrer Mitschwester zu reden.“
„Sie sind sicher?“
„Ja.“ Selbst wenn die Nonne mehr über den Fall wissen sollte, als wir vermuten: Gefährlich wird sie uns wohl kaum. Schilling ist tot. Vielleicht erzählt sie mir ja jetzt, was sie wirklich im Labor wollte. „Warum ist diese Nonne so wichtig?“
„Warten Sie auf unsere Presseerklärung. Und halten Sie sich von dieser Schwester Gabriela fern.“
„Kann doch nicht sein, dass Sie allen Ernstes eine fast achtzigjährige Klosterfrau des Doppelmords verdächtigen! Sie wollte herausfinden, wer Schwester Cordula ermordet hat.“
„Tatsächlich?“
„Sie hat uns sogar einen Hinweis gegeben. Bei Schwester Cordulas Sachen war ein Zettel mit Namen und Telefonnummer der Genetikerin Natalie Veith. Sie hat vor fünf Jahren in der ,Beauty Oasis‘ gearbeitet. Sie war damals die Geliebte von Schilling.“
„Und wo soll der Zettel gewesen sein? Wir haben alles spurentechnisch behandelt.“
„Wo sie eben nicht nachgesehen haben. Sie hatte ihn in einer angebrochenen Schachtel mit Tampons versteckt.“
Chefinspektor Knobloch sieht mich spöttisch an. „Mit Tampons also, was Besseres ist ihr nicht eingefallen?“
„Auch Klosterschwestern sind Frauen“, fauche ich. „Sie sollten sich lieber um das verschwundene Labor kümmern, dort ...“
„Fein, dass Sie mir erklären, wie ich meine Arbeit machen soll. Und, Frau Kollegin: Was ist denn Ihre Theorie? Der Karl scheint ja ganz begeistert von Ihnen zu sein, er hat gesagt, ich soll Sie bloß nicht zu hart anfassen und Ihnen gut zuhören. In einem anderen Fall würde ich schon vermuten ...“
Endlich ein gutes Gefühl. Hat zwar nicht so gewirkt, als hätte der Gerichtsmediziner noch viel für mich übrig, aber ... wenn Knobloch es sagt ... — Was soll ich ihm erzählen? Was weiß er schon? Wie viel weiß ich? Warum musste Schilling sterben? Weil wir uns eingemischt haben? Ich hole tief Luft und beginne mit Grünwalds internationalen Firmenverflechtungen, seinem Schönheitskonzern inklusive Kliniken und Patenten auf Nasen und Wangen und davon, dass man mit einem wirksamen Mittel zur Lebensverlängerung Millionen und Milliarden machen könnte. Ich erzähle von der Nonne Cordula, die vielleicht weg wollte, weil sie Grünwalds Methoden nicht mochte. Die möglicherweise etwas gesehen hat und deshalb aus dem Weg geräumt wurde. Davon, dass ich nicht weiß, ob Grünwald hinter allem steckt oder ob es vielleicht andere, mächtigere Hintermänner gibt. „Jedenfalls hat mir jemand noch in der Nacht, in der wir im Kellerlabor gewesen sind, vor dem Weingartenhaus aufgelauert. Ich bin davongefahren. In der gleichen Nacht haben sie das Labor geräumt. Weil dort etwas vorgeht, das der Schlüssel zu allem ist. Gut möglich, dass dort auch illegale Gesichtsoperationen gemacht werden.“
„Sie haben wirklich eine blühende Fantasie. Sie meinen, Grünwald arbeitet nebenher schwarz, um die Steuer zu betrügen?“
„Nein. Wie Sie wissen, gibt es Menschen, die ein neues Gesicht brauchen. Einen neuen Pass. Weil sie gesucht werden. Weil sie untertauchen wollen. - Es gibt übrigens Fotos von dem Geheimlabor. Ich war nicht sicher, ob die Kamera im beinahe Finstern funktioniert hat. Die Bilder sind tatsächlich nicht besonders gut, aber man kann die Mäuse erkennen. Und den Operationssaal. Ich habe sie auf meinem Laptop.“
Knobloch sieht mich seltsam entspannt an. „Und jetzt sagen Sie mir noch, warum Sie sagen: ,In der Nacht, in der WIR im Kellerlabor waren.' Wer war dabei?“
„Also glauben Sie inzwischen nicht mehr, dass ich Unsinn erzählt habe?“
„Ich glaube, dass es nicht so wichtig ist.“
„Ihr Gerichtsmediziner kennt Vesna Krajner. Sie ist eine Freundin von mir. Ich wollte nicht allein in der Nacht ...“
Knobloch nickt. „Das ist das Erste, was mir einleuchtet.“
„Und warum ist das alles nicht mehr so wichtig?“
Der Chefinspektor seufzt. „Ich muss es morgen ohnehin an die Medien geben. Bei der großen Truppe, die da heute für uns unterwegs ist, sickert es sowieso bald durch. Es gibt Hinweise darauf, dass Schwester Cordula und Dr. Schilling ein Verhältnis hatten. Wir haben bei ihren Sachen so einiges gefunden. Wenn auch nicht den ominösen Zettel mit der Telefonnummer einer früheren Mitarbeiterin von Grünwald.“
„Weil Sie eben doch nicht überall nachgesehen haben.“
„Weil es keine Schachtel mit Tampons gab.“
„Und ich sage Ihnen: Auch Nonnen gehen mit der Zeit!“ Knobloch nickt langsam. „Kann schon sein. Hat Ihnen diese Schwester Gabriela den Zettel eigentlich gegeben?“
„Nein, sie muss ihn noch haben.“
„Sie hat ihn nicht. Es ist ein Mosaiksteinchen mehr. Schwester Cordula hat keine Tampons gebraucht, weil sie verkümmerte Eierstöcke hatte.“
„Und woher ...“, fahre ich auf.
„Von unserem gemeinsamen Freund. Es ist ein Routinecheck: War die Tote schwanger? Verkümmerte Eierstöcke lassen sich auch in gegartem Zustand nachweisen. Nur damit Sie Ihre internationalen Verschwörungstheorien nicht allzu wild wuchern lassen: Kommen Sie mit!“
Ich steige aus. Bin nach der Sitzerei im kleinen Fiat richtig steif. Der Gerichtsmediziner sieht uns erstaunt an.
„Ist vielleicht pädagogisch heilsam“, erklärt ihm der Chefinspektor und fügt hinzu: „Ist es wahrscheinlich, dass Schwester Cordula Tampons besaß?“
Simatschek sieht uns irritiert an. „Sicher nicht, ihre Eierstöcke waren verkümmert. Warum
Knobloch packt mich am Ellbogen und geht mit mir in Richtung der Gestalt am Boden. Am Nachmittag war Schilling in einem adretten hellblauen Hemd unterwegs. Jetzt trägt er ein schwarzes T-Shirt. Auf der Brust hat es einen großen dunkelroten Fleck, sieht auf den ersten Blick aus wie eines dieser schrägen T-Shirts, die man im Internet bestellen kann. Nur das Messer stört. Es steckt dort, wo das Herz sitzt. Langsam sehe ich weiter nach oben, in sein Gesicht. Zwischen Nasen- und Haaransatz ist etwas. Im ersten Moment denke ich an ein missglücktes Facelifting. Dann schaue ich genauer hin. In seine Stirn hat jemand ein Kreuz geritzt. Blut.
„Ritualmord“, flüstere ich.
„Wir werden keine voreiligen Schlüsse ziehen“, murmelt Knobloch.
„Aber wie hätte es der alten Nonne gelingen können, den viel kräftigeren Schilling zu erstechen?“
„Das herauszufinden ist in erster Linie seine Aufgabe“, erwidert der Chefinspektor und deutet auf den Gerichtsmediziner hinter uns. „Die meisten Kapitalverbrechen werden im Kreis der Familie begangen. Könnte sein, dass das hier, sozusagen im erweiterten Sinn, nicht anders gewesen ist.“
„Brauchen Sie mich noch?“, frage ich.
Der Chefinspektor schüttelt den Kopf. „Ich kann Sie ja erreichen. - Und nur falls Sie auf die Idee kommen, noch heute Nacht mit der Nonne ein Interview zu machen: Zwei von unseren Leuten sind bei ihr.“
Natalie Veith. Warum ist er an ihr so gar nicht interessiert? Immerhin war sie vor fünf Jahren die Geliebte von Schilling. Immerhin gab es diesen Prozess. Immerhin haben sie gemeinsam zu genetischen Möglichkeiten der Lebensverlängerung geforscht, auch in diesem plötzlich verschwundenen Geheimlabor. Andererseits: Ich kann mir sehr schwer vorstellen, dass die Genetikerin kommt, Schilling ersticht und ihm ein Kreuz in die Stirn ritzt. Doch abgesehen davon: Befragen wird man sie jedenfalls, da bin ich sicher. Warum hat Schwester Gabriela uns die Sache mit dem Zettel erzählt? Wo hat sie ihn wirklich gefunden? Oder gab es ihn nie? Sollten wir auf die falsche Spur ... Ich werde es heute Nacht nicht mehr klären.
„Und wie soll ich jetzt heim?“, frage ich.
„Wenn du noch ein wenig wartest, nehme ich dich mit. Die Leute mit dem Sarg sind schon unterwegs. Dann reicht es, wenn ich morgen weitermache“, murmelt Simatschek.
Knobloch sieht uns belustigt an. „So gut kennt ihr euch also schon?“
Simatschek nimmt die weiße Haube ab, sieht mit einem Mal viel netter aus. „War ich andersrum, ich könnte mich in sie verlieben.“ Er grinst.
Und diesmal übernachte ich tatsächlich im Gästezimmer des Gerichtsmediziners. Ich bin heilfroh, nicht im Winzerhaus schlafen zu müssen. Auch wenn alles darauf hindeutet, dass anstelle eines nächtlichen Besuchers nur der Sonnenschirm auf mich gewartet hat. Als ich in der Früh aufwache, riecht es nach Speck. Ich brauche einige Momente, um zu begreifen, wo ich bin. Der Laborchef mit dem Kreuz am Hirn. Warum kann ich trotzdem nicht glauben, dass Schwester Gabriela ihn auf dem Gewissen hat? Eigentlich aus einem ganz einfachen Grund: Sie hat nicht so gewirkt, als hielte sie allzu viel von unverrückbaren Dogmen. Sie ist nicht der Typ „Nonne als Racheengel“. Ich suche nach etwas, das ich mir Überwerfen kann, und überlege, wo das Badezimmer ist. Es klopft. „Badezimmer links, zweite Tür, du hast eine Viertelstunde Zeit, dann gibt’s Frühstück. Um neun muss ich fort.“
Klingt nach fröhlichem Urlaubstag. Dabei weiß ich, was auf Karl Simatschek wartet. — Ob das Messer noch immer in der Brust von Schilling steckt?
Der Gerichtsmediziner ist ein Morgenmensch. Er sei schon laufen gewesen, erzählt er mir. Das putze den Kopf durch. Und: Ein kräftiges Frühstück sei nicht nur gut für den Magen, sondern auch fürs Gemüt.
An sich ist Speck mit Ei nicht das, was ich in der Früh brauche. Extrastarker Kaffee hat mir immer gereicht, zumindest solange ich allein gelebt habe. Inzwischen hat mir Oskar, was Frühstücken angeht, allerdings einiges beigebracht.
Der Tisch auf der Terrasse ist schon gedeckt. Wir sehen auf ein Maisfeld, dahinter Weinhügel. Lebt nicht schlecht, dieser Gerichtsmediziner.
„Wir reden nicht über den Fall, okay?“, hat er gesagt, als ich geduscht heruntergetapst bin. Heute hat es sich nach langer Zeit wieder einmal bewährt, dass ich in meiner Handtasche immer Zahnbürste, Zahnpasta und Ersatzunterwäsche habe. - Ist mir eigentlich auch lieber so, dass wir nicht darüber reden, was gestern passiert ist.
Ich esse viel zu viel und weiß bald nicht mehr, was ich sagen soll. Es gäbe Gesprächsthemen genug, aber mir spukt nur eines im Kopf herum. Ihm offenbar auch.
„Da fährst zurück nach Wien?“, fragt er dann.
„Ich weiß noch nicht. Ich will Knobloch jedenfalls die Fotos vom geheimen Labor geben, aber die kann ich auch mailen.“
„Wird nicht schaden“, ist die Antwort. Es ist kurz vor neun, der Gerichtsmediziner beginnt den Tisch abzuräumen.
„Besonders scheinen sie ihn allerdings nicht mehr zu interessieren. - Kann es sein, dass er versucht, Grünwald und seine ,Beauty Oasis‘ zu schützen? Kriegt er von irgendeiner Seite Druck?“
Karl Simatschek stellt das Tablett wieder ab und sieht mich an. „Ich hab mich das auch schon gefragt. Aber ich hab bis jetzt nie erlebt, dass er auch nur im Ansatz korrupt gewesen wäre. Vielleicht hat es sich bei unseren bisherigen gemeinsamen Fällen aber bloß nicht ergeben. — Nein. Ich glaube, er ist einer, der sich einfach an das Näherliegende hält.“
„Und du?“
„Ich hoffe, dass er recht hat.“
„Bevor du die Leiche gesehen hast, hast du eine andere Theorie gehabt. Sonst hättest du nicht gesagt, dass Vesna nicht allein im Winzerhaus übernachten soll.“
„Ihr habt mich eben mit euren Geheimlabortheorien schon ganz verrückt gemacht. Ich werde mir diesen Dr. Schilling heute ansehen. Danach weiß ich wohl eher, was ich glauben soll.“
„Kannst du dir vorstellen, dass er in der Einschicht von einer weit über siebzigjährigen Nonne überfallen wurde und sich hat erstechen lassen?“
„Ich werde aufschneiden und analysieren und messen. Das ist mein Job. Und dann überlege ich, wie es gewesen sein könnte.“
Karl fährt mich zum Häuschen im Weingarten. Er bleibt, obwohl es schon nach neun ist, neben mir, während ich die Tasche packe, er verabschiedet sich erst, als ich bei meinem Auto stehe. „Danke“, sage ich und drücke ihm einen Kuss auf die Wange. Er riecht gut, nach Speck und einem Hauch Eau de Toilette.
„Sei vorsichtig“, antwortet er. „Und wenn dir etwas seltsam vorkommt, dann melde dich. Es ist nicht so, dass ich Knobloch automatisch alles erzähle. Wenn du eine SMS schickst, in der ,Mole“ steht, dann weiß ich, dass es ernst ist.“
„Meinst du, dass noch etwas passieren kann?“
Er lacht. „Glaub ich eigentlich nicht, ich wollte dich nur daran erinnern, dass du mir noch eine echte mexikanische Schokosauce schuldest.“