[ 6. ]

Ich sitze am Besprechungstisch unseres Chefredakteurs. Leider sind wir nicht allein. Da ist auch der Anzeigenleiter. Und der Geschäftsführer des ,Magazin‘. Die beiden sind hereingekommen, noch bevor ich mit Klaus über die „Beauty-Oasis“-Reportage beratschlagen konnte. Irgendjemand hat ihnen von unserem Termin erzählt. Klaus war es sicher nicht. Vielleicht die neue Sekretärin. Sieht ohnehin aus wie eine Spionin. Immer dieser knallenge Rock und die gefährlichen Fingernägel. - Moment mal, Mira. Sie hat eine Topfigur und ist Mitte zwanzig. - Aber sie ist eine schreckliche, sich bei den Männern anbiedernde Tratsche. Die gibt es in jedem Lebensalter.

Ich versuche noch einmal zusammenzufassen: „Über die Sache mit der toten Nonne in der ,Beauty Oasis‘ haben natürlich alle berichtet. Das ,Blatt' hat sogar fantasiert, dass sie die Geliebte von Grünwald gewesen sei. Oder Teil eines Callgirlringes. Aber ich habe mehr. Ich kann beschreiben, wie sie ausgesehen hat, als wir sie in der Sauna gefunden haben. Ich habe ein Interview mit der Leiterin des Hildegard-Klosters. Ich weiß, dass die Tote Biologin war und immer wieder im Labor der Schönheitsklinik gearbeitet hat. Ich kann zumindest vermuten, dass im Labor nicht nur über die Zusammensetzung irgendwelcher Cremes geforscht wird, sondern dass es dort auch um genetische Methoden zur Lebensverlängerung geht. Mit gewissen Substanzen lassen sich ganze Genabschnitte ruhigstellen oder aktivieren. Und so könnten auch Programme gegen die Zellalterung gesteuert werden. Wenn das keine Aufmacherstory ist... “

„Woher haben Sie denn das?“, sagt der Geschäftsführer und er wirkt, als ob er eigentlich „den Blödsinn“ hätte sagen wollen.

„An so etwas wird momentan geforscht“, beharre ich. „Und wenn Grünwald ...“

Der Anzeigenleiter schüttelt den Kopf. „Sind wir jetzt eine Wissenschaftszeitung oder was?“

„Aber für Beauty interessieren wir uns im Allgemeinen. Und für Lifestyle. Und für spannende Mordfälle. In Grünwalds ,Oasis‘ haben wir alles...“

„Nichts, was nicht schon die Tagesmedien vor uns gehabt hätten. Das ist keine Aufmacherstory. Und nur falls Ihnen das in den Sinn kommt: Es hat nichts damit zu tun, dass Professor Grünwald bei uns bisweilen Anzeigen schaltet“, ergänzt der Geschäftsführer.

„Seinen Professortitel hat er übrigens an einer Universität in Kaliningrad gekauft.“

„Also hat er ihn jedenfalls nicht gestohlen. Worum es mir geht, ist der Schutz unbescholtener Menschen vor Unterstellungen, Ehrenbeleidigung und Kreditschädigung. Aber abgesehen von der moralischen Seite: Mit so etwas könnten auch schwer abschätzbare finanzielle Risiken durch Klagen gegen das ,Magazin' einhergehen.“

„Glauben Sie, ich weiß nicht, dass Grünwald gerade jede Menge Anzeigen für seine ,Oasis‘ und seine komischen Produkte bei uns schaltet? Glauben Sie wirklich, ich weiß nicht, warum ich ausgerechnet jetzt zu ihm geschickt wurde? Aber ich schwöre: Wo ich bin, gibt es keine Gefälligkeitsberichterstattung! Und: Richten Sie Ihrem Professor einen schönen Gruß aus“, fauche ich. „Alles, was ich schreibe, ist belegt und nachweisbar.“

„Auch das mit den Genforschungen in der ,Beauty Oasis'?“, fragt Klaus trocken.

Ich packe es nicht — jetzt fällt der mir auch noch in den Rücken. „Ich habe Kontakt zu einer Topgenetikerin, sie hat einige Monate bei ihm gearbeitet.“

„Na so top scheint sie wohl doch nicht zu sein, nach dem, was du von Grünwald erzählst“, erwidert mein Chefredakteur. Und den habe ich für einen Kollegen, fast schon für einen Freund gehalten.

„Es ist besser, Sie bremsen Ihre unprofessionelle Emotionalität“, mischt sich der ,Magazin‘-Geschäftsführer ein. „Es ist klar, dass die Story über die tote Nonne sehr okay ist. Bloß: Sie hat nur zufällig mit dieser Schönheitseinrichtung zu tun. Es geht um die Sehnsüchte einer jungen Klosterfrau, vermutlich darum, dass sie eindeutig den falschen Mann kennengelernt hat. Sie können auch gerne über ihre Arbeit mit den Hildegard-Produkten schreiben. Und was Grünwald angeht, so glaube ich ihm, dass er jedes Interesse an der Aufklärung dieses Mordfalles hat. Er ist mit der Sache gestraft: genug. Nicht wirklich gut für das Image seiner Beauty-Klinik. Das können Sie natürlich schreiben. Aufmacher wird, wie vorgesehen, unsere Reportage über die Freimaurer in Österreich.“

Ich stöhne auf. „Wie jeden August. Fällt es eigentlich irgendjemandem auf, dass wir jedes Jahr im August eine große Story über Freimaurer oder ähnliche vorgestrige Geheimbünde haben?“

„Sollen wir vielleicht eine über den Cartellverband machen?“ „Das wäre wenigstens ein aktuelleres ...“ Ich sehe auf und merke, dass unser Anzeigenleiter gescherzt hat. Super, eh klar. Ist ja selber bei dem Männerklüngel der österreichischen Extrahabererwirtschaft dabei. Natürlich könnte ich ihnen noch einiges erzählen. Sie wissen nichts von dem Zettel der Nonne, auf dem der Name der Genetikerin steht. Sie wissen nichts über unsere nächtliche Expedition und das Geheimlabor samt Mäusen. Sie wissen nicht, was der Lavendelduft in der Sauna bedeuten könnte. Weiß ich eigentlich auch nach wie vor nicht. Sie wissen nichts von dem Plättchen, mit dem man mich im Zimmer eingesperrt hat, und dass es haargenau gleiche Plättchen im Labor der Frau Dr. Veith gibt. Ich muss noch klären, wo sie wirklich auf Urlaub war. Mir hat sie erzählt, dass sie im Waldviertel war, im Haus einer Freundin, zu dem sie einen Schlüssel hat. Sie habe ein paar Tage totale Ruhe gewollt. Trotzdem seltsam, dass sie niemanden nennen kann, der sie dort gesehen haben könnte. Vielleicht gibt es ja wen, der ihr in diesen Tagen im Steirischen Vulkanland begegnet ist. Jedenfalls: Grünwald zuliebe werde ich sicher nicht klein beigeben.

„Schauen Sie doch nicht so grimmig“, lächelt der Geschäftsführer. „Es ist Ihnen wieder einmal gelungen, an einer spannenden Story ganz nah dran zu sein. Aber glauben Sie mir, die Leute wollen lieber Dornenvögel als Gentechnik.“

Ich lächle möglichst harmlos zurück. „Wahrscheinlich haben Sie ja recht. Kitsch zieht eben mehr als Wissenschaft.“ Ich versuche mich damit zu trösten, dass die Story ohnehin noch sehr unausgegoren ist. Und dass ich nächste Woche vielleicht schon etwas ganz anderes liefern kann, etwas, von dem meine Kollegen in den Konkurrenzblättern keine Ahnung haben.

Ich sitze in meiner zugedschungelten Ecke des Großraumbüros vor dem Laptop und überlege, wie ich die Story harmlos, rührselig und trotzdem nicht peinlich hinbekomme. Meine Fotografin hat zum Glück sehr schöne Bilder geliefert. Vor allem die von der Vorderfront der ,Beauty Oasis‘ in der Morgendämmerung und eines, das die Schönheitsklinik und dahinter, wie mahnend, das alte schmucklose Kloster zeigt, sind sehr gut geworden.

Ich tippe: „Dort, wo sich Schöne und solche, die schön werden wollen, die Klinke in die Hand geben ...“ Die Blätter meines Riesenphilodendrons geraten in Unruhe, ein Fluch über „das dumme Grünzeug“ und dann ist Droch neben meinem Schreibtisch. Er ist Chefkommentator im ,Magazin‘, einer der ganz wenigen ernst zu nehmenden Journalisten unserer Zeitung. Seit Jahrzehnten im Rollstuhl. Das hat mit einer, gelinde gesagt, übermütigen Aktion als junger Kriegsberichterstatter zu tun. Droch ist der einzige echte Freund, den ich in der Redaktion habe. Da bin ich mir heute, nach dem Umfaller meines Chefredakteurs, wieder einmal besonders sicher. Beinahe wäre er einmal mehr als ein Freund geworden, aber das ist über ein Jahrzehnt her. Kann das sein? Ich rechne nach: Ist es.

„Du willst was über den Lover der Nonne wissen, nicht wahr?“, spöttle ich. Ist ohnehin der bessere Zugang. Ich sollte das Ganze nicht so ernst nehmen.

„Unser Geschäftsführer hat dich davon überzeugt, dass der arme Grünwald das eigentliche Opfer beim Mord in seiner Klinik war, oder?“ Er grinst. „Hat er zumindest gesagt.“

„Soll er es nur glauben“, kontere ich.

Droch sieht mich besorgt an. „Du wirst nicht versuchen, eine ganz andere Story in die nächste Ausgabe zu bringen?“

Ich schüttle den Kopf. „In die nächste Ausgabe nicht, versprochen.“

„Das heißt, du weißt mehr, als du ihnen präsentiert hast.“

„Nicht viel mehr“, seufze ich und habe endlich eine vernünftige Idee. Wenn ich einen wirklich analytischen Geist kenne, dann ist es Droch. Vielleicht gelingt es ihm, aus unserem Durcheinander von Fakten und Vermutungen eine halbwegs geordnete Theorie zu entwickeln. Ich fange an zu reden und beginne beim Kloster, springe zu den Lateinamerikanern, erinnere mich an die Mäuse. Droch sieht mich etwas belustigt an.

„Wie wäre es mit Abendessen?“, schlage ich vor. „Ich koche und erzähle alles der Reihe nach.“

Droch lächelt immer noch. „Ganz dunkel kann ich mich erinnern: Als sie noch ein junges Mädchen war und er noch kein Greis, da haben sich die beiden in einer kleinen Hütte am Fluss getroffen ...“

Ich werde tatsächlich rot. Scheint mir in letzter Zeit öfter zu passieren. „Meine Güte, ist das lange her“, rufe ich etwas zu laut.

„Meine Frau ist heute mit einer Freundin in einem Konzert“, überlegt Droch. „Der Zeitpunkt wäre günstig ...“

Wie meint er das?

„... aber Oskar sollten wir nicht ausbooten, oder?“, fährt er fort.

„Sollten wir nicht“, sage ich, doch irgendwie beruhigt.

„Und Vesna, die hat doch sicher auch eine Menge beizutragen?“

„Die ist noch in der ,Beauty Oasis', erkläre ich.

„Oho, es geht also weiter.“

„Davon kannst du ausgehen.“

„Ich soll übrigens deine Story lesen, bevor sie in Druck geht“, gesteht Droch. „Sie haben gemeint, mir springst du am wenigsten an die Gurgel.“

Entzückend formuliert. Als ob ich eine Furie wäre. „Ich bevorzuge die Gurgeln derer, die ihren Kopf besonders hoch tragen“, sage ich zu meinem Freund im Rollstuhl. Er nickt gespielt feierlich. „Pass auf, unsere Oberverkäufer lieben ihre ,höchsten Kreise' - vor allem, wenn diese Inserate schalten.“

„Man sollte sie zu den obersten Schaltkreisen ernennen“, witzle ich und Droch drückt mir einen Kuss auf die Wange.

Wir haben uns entschieden, in Oskars Wohnung zu essen. Sie ist — im Gegensatz zu meiner alten Wohnung — barrierefrei erreichbar. Droch nimmt einfach den Lift und schon ist er unter dem Dach. Bei mir gab es fünf Stockwerke zu erklimmen. Unmöglich für einen Menschen im Rollstuhl. Jetzt wohnt Oskars Tochter in meiner Wohnung, allerdings ist sie momentan noch in den Sommerferien.

Wäre auch eine Idee, sie in die „Beauty Oasis' einzuschleusen. Eine achtundzwanzigjährige attraktive junge Frau mit Schweizer Pass. Keiner käme auf den Gedanken, dass die irgendetwas mit mir zu tun hat. Viel Zeit habe ich nicht, etwas zu kochen. Auf dem Weg in die Wohnung bin ich nur rasch beim türkischen Supermarkt stehen geblieben. Ein paar Dinge werden sich schon auch im Kühlschrank und im Gefrierschrank finden. Ich sollte wieder mehr daheim sein. Wenn ich nicht einmal mehr weiß, was im Kühlschrank ist ... Was ich außerdem noch unterwegs erledigt habe: Ich habe Oskar gebeten, etwas über die Firmenstruktur von Grünwald herauszufmden. Ich möchte zum Beispiel wissen, ob die Fabrik, in der seine Cremes hergestellt werden, auch ihm gehört.

Ich stehe sinnend vor dem Kühlschrank. Ich werde einen lauwarmen Zucchinisalat mit Pasturma und viel Knoblauch machen. Danach meine blitzschnelle Curry-Garnelen-Suppe. Und dann ... Warum hat Oskar eine Großpackung Faschiertes eingekauft? Ich habe wunderschöne große Paradeiser mitgebracht. Gefüllte Paradeiser. Wer sagt, dass man immer Paprika füllen muss? Als Nachtisch gibt es einfach Schokolade. Irgendetwas sollte ich noch zu den gefüllten Paradeisern geben. Fleisch ist schon drinnen. Eine Sauce. Alles viel zu aufwendig. Ich hab nicht einmal mehr eine Stunde Zeit. Brot ist genug da. Ich könnte auch ein besonders feines Olivenöl ... Das Telefon läutet. Vesna. Sie hat mir am Nachmittag bloß zwei SMS geschickt. Besonders viel scheint sich heute im Vulkanland nicht getan zu haben. Mein Gerichtsmediziner hat sich auch nicht mehr gemeldet. Wahrscheinlich hält er mich seit dem nächtlichen oder eigentlich frühmorgendlichen Anruf für verrückt.

„War ich in dem Weingartenhaus“, berichtet Vesna, während ich mit zwischen Kinn und Schulter eingeklemmtem Mobiltelefon im Gefrierschrank nach Garnelen suche. „Was Besuch angeht, so kann ich nur sagen: Über Sessel vor Haus ist deine Jacke gewesen. Und hinter dem Sessel es steht ein niedriger Sonnenschirm. Wenn es Nacht ist, und in so einer Nacht überhaupt, das kann man sehr leicht für einen Mensch halten. Kann sogar mir passieren.“

Ich versuche mich zu erinnern. Ist es wirklich möglich ... ?

„Auto habe ich keines gesehen, aber Spuren von Reifen. Sind aber vielleicht deine gewesen, waren nicht deutlich. Allerdings mir hat Bauer von unterhalb erzählt, das ist guter Platz für Liebespaare.

Schöner Ort, keiner da. Habe ich deine Tasche gepackt und zu mir getan, für alle Fälle. Mit Winzer ich habe nicht geredet, vielleicht du kommst ja wieder, oder?“

„Morgen muss ich meine Story schreiben. Bis Mittag“, murmle ich. Kann ich wirklich derart auf meine Fantasie hereingefallen sein? Oh ja. Ich kann. Da. Die Garnelen. Ich zerre, der Gefrierschrank ist zu voll, alles nur noch hineingequetscht. Das Telefon fällt zu Boden, der Sack mit den Garnelen fällt zu Boden. Ich lege ihn ins Waschbecken, hebe das Telefon wieder auf.

„Was ist?“, ruft Vesna. „Was ist passiert?“

Gar so cool, wie sie tut, scheint sie also doch nicht zu sein. Und auch wenn ich mich bei meinem nächtlichen Besucher getäuscht haben sollte: An der Sache ist einiges ziemlich explosiv. Hat vielleicht mit dem Vulkanland zu tun. Ich erzähle meiner Freundin von der Genetikerin und dass sie genau solche Plättchen verwendet, wie mir eines ins Türschloss gesteckt worden ist.

„Ich sehe ihr Bild im Internet an. Vielleicht sie war in Wirklichkeit in der Steiermark. Sie hat sich mit Nonne getroffen. Wenn sie so wütend ist auf Grünwald und sein Geschäft: Vielleicht gibt es was, das niemand darf wissen, wo sie mit dabei war. Wenn Nonne das herausgekriegt hat

„Wir sind gerade wieder dabei, uns zu verrennen, Vesna“, stöhne ich.

„Aber seltsam schon: Sie macht ausgerechnet dann ganz allein Urlaub, wenn bei Grünwald Mord passiert. Und sie hat Geheimlabor gekannt. Ich habe Professor übrigens gefragt, ob seine Creme gut untersucht wird und seine Faltenmittel auch.“ Vesna macht eine Kunstpause.

Erzähl schon, ich hab keine Zeit! Aber ich weiß, wenn ich Vesna dränge, geht gar nichts.

„Also: Er hat gesagt, dass das alles mit besten Wissenschaftlern wird getestet. Ich habe gefragt, ob er dafür auch Labor hat. Da hat er mich komisch angeschaut. Und dann er hat gesagt, natürlich hat er ein Labor, das ist er Gästen schuldig. Nur das Beste und so weiter.“ „Trotzdem seltsam, dass er in der Öffentlichkeit nicht mit dem Labor wirbt. Auch auf seiner Homepage kommt es nicht vor.“

„Vielleicht um keinen auf Idee zu bringen, nachzuschauen“, mutmaßt Vesna. „Aber du hast recht. Seltsam ist es schon.“

Irgendwie sollte ich dieses Faschierte aus Schweine- und Rindfleisch aufpeppen. Vieles ist momentan seltsam, auch dass Oskar so etwas einkauft. Auf der Terrasse habe ich in großen Töpfen Kräuter gezogen. Allerdings sehen sie bemitleidenswert aus. Bei diesen Temperaturen müssten sie jeden Tag ausgiebig gegossen werden. Aber wenn ich mich in einer Schönheitsklinik herumtreibe ... Oskar hat nicht eben das, was man einen grünen Daumen nennt. Okay, nobody is perfect. Ohnehin ganz beruhigend bei seinen vielen Talenten. Die Gießkanne ist voll, ich rette meine Kräuter und zupfe dafür Spitzen von Rosmarin, Thymian, Oregano ab.

Die Paradeiser habe ich ausgehöhlt, das Innere etwas zerkleinert und in eine Schüssel gegeben. Jetzt die grob geschnittenen Kräuter und vier zerdrückte Knoblauchzehen dazu, reichlich Pfeffer aus der Mühle, das Faschierte, Salz. Was, wenn Vesna und ich uns tatsächlich in etwas verrannt haben? Mein nächtlicher Gast war die eigene Jacke und ein geschlossener Sonnenschirm. Das Labor samt Mäusen ist nur geheim, weil das Lebensgefühl der Schönheit Heischenden nicht gestört werden soll. Die Nonne wollte mit ihrem Liebhaber einen selbst hergestellten Lavendelaufguss genießen, nur er wollte das offenbar nicht. Unsere nächtlichen Angreifer aus den Büschen waren vier Rehe. Die Genetikerin ist in erster Linie auf sich selbst sauer, weil sie bei Grünwald, wahrscheinlich für viel Geld, gearbeitet und damit ihrer beeindruckenden Biografie geschadet hat.

Gismo steht mit hoch aufgerichtetem Schwanz neben mir. Ich knete das Faschierte durch. Zwei Eier dazu. Kein Brot, keine Brösel, pur. Das ist der Vorteil, wenn man eine Masse in Paradeiser füllt: Sie muss nicht von sich aus halten. Gismo drischt mir ihren runden Kopf gegen die Wade. Wie kann ich es auch wagen, sie nicht zu beachten! Nur weil sie heute schon zweimal gefressen hat! Ich gehe zum Kühlschrank und hole das Glas mit den Oliven heraus. Gismo gibt einen markerschütternden Kampfschrei von sich und wieder einmal frage ich mich, woher sie weiß, dass Oliven, ihre absolute Lieblingsspeise, in diesem verschlossenen Glas sind. Ich öffne es, Gismo tanzt herum. Ich nehme drei Oliven, lege sie vorsichtig auf den Boden und ziehe meine Hand rasch weg. Ist schon vorgekommen, dass meine Katze in der Aufregung einen Finger gleich mitessen wollte.

Jetzt ist sie wenigstens von den Garnelen abgelenkt. Auf dem Herd steht ein Topf mit wenig kochendem Wasser, ich habe nur etwas biologische vegetarische Suppenwürze und Salz dazugegeben. Die nicht so schönen Garnelen hacke ich, zusammen mit zwei Knoblauchzehen, ganz fein, gebe sie in das Kochwasser und drehe auf kleine Flamme zurück.

Ich schneide drei dicke Scheiben vom großen Laib Vorschussbrot. Die lege ich auf ein Backblech, beträufle sie mit etwas Olivenöl, streue grobes Salz darüber. Etwas Chili kann auch nie schaden. Zum Glück gibt es jetzt endlich eine Mühle, die getrocknete Chilischoten mahlen kann.

Es läutet und ich weiß, das kann nur Oskar, der Rücksichtsvolle, sein. Er kündigt sich an, bevor er den Schlüssel im Schloss dreht. Ich mache es auch so. Gemeinsam gut leben bedeutet auch, den anderen nicht zu überfallen. Ich fülle die Paradeiser mit dem Faschierten, das Backrohr ist bereits auf zweihundert Grad vorgeheizt. Ich höre, wie Oskar seine Tasche beim Schreibtisch abstellt. Er kommt durch den großen Raum in die Nische, in der die Küchenzeile ist, und küsst mich von hinten aufs Ohr. Das sind die Momente, wo mir niemand etwas von den Vorzügen eines Lebens ohne Männer, ohne andere Menschen erzählen kann. Ich drehe mich um und küsse ihn auf den Mund.

„Droch ist noch nicht da?“, fragt er und schaut gleichzeitig neugierig, was ich vorbereite.

Ich schüttle den Kopf. „Warum hast du Faschiertes gekauft?“

„Ich habe ja nicht gewusst, wann du wiederkommst. Ich dachte, ich mache Fleischlaibchen, die kann ich die nächsten Tage über dann auch kalt essen. Und hätte ich doch auswärts gegessen, dann hätte ich das Faschierte an Gismo verfüttert.“

Die steht zwischen uns und sieht mich an, als hätte ich ihr die Abendmahlzeit geklaut. Mit ein paar weiteren Oliven kann ich sie besänftigen.

Ich schiebe die großen Brotscheiben ganz unten ein, die gefüllten Paradeiser setze ich in eine Glaspfanne, beträufle sie mit Olivenöl und gebe sie dann ebenfalls ins Rohr. Ich stelle die Zeitschaltuhr. In zehn Minuten werde ich auf 140 Grad zurückdrehen.

„Ich hoffe, du hast nichts gegen einen Weinviertel DAC“, sagt Oskar und hält mir ein Glas hin. Ich schüttle lächelnd den Kopf.

Weinviertel ... das ist meine Weinheimat, die Gegend, in der ich viel über Wein und Winzerleben gelernt habe. Ich nehme einen Schluck. Würzig, pfeffrig, feine Säure. Eigentlich habe ich gar keine Lust, mich heute Abend mit dem explosiven Gemisch aus Schönheitsindustrie, Eitelkeiten, Genforschung und einem aussterbenden Orden in der Oststeiermark zu beschäftigen. Klar gibt es auch anderswo gute Weine, der Gelbe Muskateller aus dem Vulkanland war großartig, aber ...

Es läutet an der Gegensprechanlage. Oskar fährt nach unten und holt Droch ab.

Ich programmiere die Induktionsplatte auf Maximum und stelle den Wok darauf. Für Gerichte, die große Hitze brauchen, ist Induktion wirklich spitze. Etwas Olivenöl, die blättrig geschnittenen Zucchini dazu, salzen, pfeffern. Knoblauchzehen feinblättrig schneiden. Wok schwingen. Schon färben sich die ersten Zucchini golden. Knoblauch dazu, nur kurz schwenken, damit er nicht braun und bitter wird, dann die Platte ausschalten und die Pfanne stehen lassen. Ich höre, wie die Eingangstür geöffnet wird. Ich habe mit meiner Vorspeise exakt so lange gebraucht wie die beiden, um ins Dachgeschoß zu kommen.

„Anstelle eines Mitbringsels habe ich ein paar Informationen recherchiert“, ruft Droch zu mir herüber. Ich gehe um die Küchenzeile herum und küsse ihn auf die Wange. „Später!“

„Informationen habe ich auch“, ergänzt Oskar.

Ist doch nett, wenn einem gleich zwei intelligente Männer zuarbeiten.

Ich schneide das Pasturma so fein wie möglich auf, verteile die warmen Zucchini auf drei große Teller, sprühe reichlich Balsamicoessig darüber, belege sie mit dem Rinderschinken und beträufle alles mit Olivenöl. Vielleicht auch etwas Chili aus der Mühle? Droch mag es nicht ganz so scharf wie wir, außerdem sollte ich trotz meiner Vorliebe nicht jedes Gericht mit Chili würzen. Ich stelle die Mühle also bloß auf den Tisch und richte an.

„Ich kapier nicht, warum du etwas anderes machst außer kochen“, lobt Droch die Vorspeise.

„Tja, heutzutage mischen sich Frauen eben trotz ihrer eigentlichen Talente in alles Mögliche ein“, kontere ich.

Oskar kennt unsere Geplänkel und grinst.

„Und ich hab mich sogar noch umgehört, um dir bei deinen Einmischereien zu helfen ...“, stöhnt Droch theatralisch.

Ich springe auf, der nächste Gang. Endlich fühle ich mich sicher und wohl. Essen. Essen mit Menschen, die ich sehr mag. Was gibt es Schöneres? Okay ... — Da fällt mir ein: Weiß der Gerichtsmediziner schon, ob die Nonne kurz vor ihrem Tod Sex gehabt hat?

Ich öffne eine Dose mit ungesüßter Kokosmilch, gieße den Inhalt in die Garnelensuppe, programmiere die Induktion auf Maximum, gebe einen Teelöffel Madras Curry dazu, warte, bis alles aufkocht. Jetzt nur mit dem Stabmixer durchfahren, abschmecken, Garnelen einlegen und in dem Moment, wo die Suppe kocht, die Platte auf achtzig Grad und wenig Watt stellen. Irgendwo muss der Kokosrum sein ...

„Grünwalds Firmenverflechtungen sind übrigens eindrucksvoll“, ruft Oskar zu mir herüber.

Üblicherweise bin ich es, die mehr wissen will, und er blockt während des Essens ab. Aber heute steht er eindeutig im Informationskonkurrenzkampf mit Droch. Ich bin ohnehin schon gespannt, was der als sein Mitbringsel auspacken wird. Ich habe im Küchenschrank unter den Flüssigkeiten, die sich besser zum Kochen als zum Trinken eignen, nun doch den Kokosrum gefunden, gebe einen kräftigen Schuss davon in die Suppe. Drei große Teller für den Hauptgang ins Rohr schieben. Die Garnelen sind inzwischen glasig gezogen und ich kann den zweiten Gang anrichten.

„Deine Freundin lässt sich in der Steiermark die Haare von den Zähnen operieren, habe ich gehört?“, spöttelt Droch.

„Von Busenvergrößerung, nur weil Männer besser schauen als denken können, hält sie nichts“, gebe ich zurück.

„Du solltest vielleicht an eine Mundwerkkorrektur denken“, pariert Droch.

„Gegen ihre Lippen kann man gar nichts sagen“, mischt sich Oskar ein. „Mhm, und gegen diese Suppe auch nicht.“

„Gegen die Suppe wirklich nicht“, pflichtet ihm Droch bei. „Ich dachte allerdings weniger an eine Lippenkorrektur ...“

Den Weinviertel DAC haben wir ausgetrunken. „Sollen wir zum Hauptgang Rotwein nehmen?“, wechselt Oskar zu einem wichtigen Thema.

Ich nicke. „Wisst ihr übrigens, dass in Rotwein ein Stoff enthalten ist, der lebensverlängernd wirkt?“

Oskar steht auf. „Du meinst Resveratrol?“

„Woher weißt du denn das?“, frage ich verblüfft.

„Grünwald verkauft es in Kapseln. Außerdem habe ich vor Kurzem erst über Forschungen an diesem Stoff gelesen. Als Liebhaber von Rotwein ...“

„Na dann sollte ich nicht länger warten“, spottet Droch und hält ihm das leere Glas hin. „Zu gern möchte ich vom alten Mann noch einmal zum Jüngling werden.“

„Alter Mann ... so ein Quatsch. Du bist gerade fünfundsechzig geworden“, lache ich.

„Na gut, widersprechen musst du immer und überall. Wirst schon sehen, wie sich das anfühlt ...“

Oskar schenkt uns ein. Cabernet Sauvignon, traditionell ausgebaut, duftig und voll und mit einem wunderschönen Vanilleton. „Auf unsere Gesundheit!“, sage ich.

Wir stoßen an. Droch runzelt ein wenig die Stirn. „Apropos Gesundheit: Wäre besser, du hältst dich in der nächsten Zeit vom Vulkanland fern. Und rätst deiner Freundin Vesna, sich wieder um die Beseitigung von Schmutz im engeren Sinn zu kümmern. Ich hab da ein paar Dinge herausgefunden, die nicht gerade freundlich anmuten.“

Er soll sein Geschenk für nach dem Hauptgang aufheben. Ich eile zur Küchenzeile, nehme die heißen Teller aus dem Rohr, lege auf jeden eine große knusprig gebratene Brotscheibe, setze je zwei gefüllte Paradeiser darauf. Ein Zweig frisches Basilikum aus dem Dachgarten, fertig ist das schnelle Sommergericht.

Als ich mit den ersten zwei Tellern zum Tisch gehe, merke ich, dass die beiden miteinander getuschelt haben. Sie verstummen, geben sich harmlos. Oskar schenkt mir nach, obwohl das Glas eigentlich noch gut gefüllt ist.

„Mahlzeit“, sage ich.

„Bumm, ist das scharf“, sagt Droch einen Bissen später. „Typisch.“

„Zu scharf?“, säusle ich.

„Mir nicht“, erwidert Oskar. Manchmal ist er ein wenig ein Streber. Nein, das ist ungerecht. Er mag es eben schärfer als mein Freund Droch.

„Mir auch nicht“, murmelt Droch. „Ich liebe Schweißausbrüche, vor allem wenn die vorausgehende körperlicher Betätigung nur in Kauen bestand.“

Als ich einen Teller mit neunzigprozentiger Schokolade aus Peru, mit Schoko-Ingwerbällchen und Schoko-Chilikonfekt herrichte, steht Oskar auf, holt etwas aus seiner Tasche und legt es vor sich auf den Tisch.

„Sozusagen hausgemacht, wenn auch nicht von mir“, sage ich. Die beiden wissen, dass ich im Zubereiten von Desserts nicht eben Weltmeisterin bin.

Oskar deutet auf die Blätter vor sich. „Ich habe mir Grünwalds geschäftliche Verflechtungen angesehen. Er hat ein einigermaßen verwirrendes Firmenkonstrukt aufgebaut, ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich auf die Schnelle alles sammeln konnte.“

Ich spähe auf den Computerausdruck. Eine Tabelle.

„Also“, fährt Oskar fort: „Da gibt es einmal die ,Beauty-Oasis-Gesellschaft'. Dann gibt es die Firma ,Beauty&Young', sie stellt Cremes und Vitaminpräparate und Derartiges her. Auch dieses Resveratrol in Kapseln. Beide Firmen gehören Christoph Grünwald zu achtzig Prozent, mit zwanzig Prozent ist seine geschiedene Frau Gitte beteiligt. Dann gibt es die Firma ,Oasis International', die offenbar weltweit Know-how in Sachen Schönheitsoperationen vertreibt und die Grünwald allein zu gehören scheint. Sie ist ihrerseits an mindestens acht Schönheitskliniken beteiligt. Unter anderem an einer in Shanghai, einer in Taiwan, zweien in Tschechien. Die Anteile der ,Oasis International' liegen zwischen zehn und dreißig Prozent. Auf diese Firma sind auch einige Patente für künstliche Nasen- und Wangenknorpel und Ähnliches eingetragen. Und dann gibt es noch ein Unternehmen, bei dem er aufscheint: .Research on Life Limited', kurz ,Roll', mit Firmensitz auf Jersey, nach wie vor sehr steuerschonend. Da ist die Struktur äußerst undurchsichtig. Mehrere stille Teilhaber, er ist nicht nur als Person, sondern auch durch ,Oasis International' beteiligt.“

Ich sehe Oskar bewundernd an. „Wie hast du das alles herausgefunden?“

„Ich bin Wirtschaftsanwalt, Miramaus“, säuselt er.

„Miramaus“, das hasse ich, das weiß er. Und ich hasse es besonders, wenn er es vor anderen sagt. Droch hat natürlich ein entsprechendes Grinsen aufgezogen. Irgendwie scheinen die beiden heute auf Konkurrenten zu machen. Erfreulicherweise wandelt sich Drochs Gesichtsausdruck relativ schnell wieder und wird konzentriert. „Du weißt, woher die stillen Teilhaber stammen?“, fragt Droch meinen Oskar.

„Teilweise“, antwortet der.

„Könnte einer aus El Salvador dabei sein?“

Ich starre Droch an. Ich habe ihm von den beiden Lateinamerikanern erzählt. Offenbar ist er gerade dabei, sein Geschenk für mich zu öffnen.

„Auszuschließen ist es nicht“, erwidert Oskar. „Einer scheint aus Kolumbien zu sein. Die anderen Teilhaber könnten auch in Grünwalds eigenen Firmen zu finden sein. Zum Glück bekommt man so etwas durch die neuen Steuerbetrugsrichtlinien in der EU etwas leichter heraus. Ganz legal ist das für Außenstehende allerdings nicht und man braucht Freunde an den richtigen Stellen.“

„Solche ,Freunde' haben potente Wirtschaftsanwälte ja ganz sicher“, antwortet Droch.

Für mich klingt es einigermaßen spöttisch. Sieh an, der Schautanz der beiden geht weiter.

„Aber ich habe herausgefunden, dass Miras geheimnisvolle Lateinamerikaner zumindest offiziell bei einer Handelsgesellschaft namens ,El Centro‘ in El Salvador beschäftigt sind. Sie scheinen schon ein paar Mal in Österreich gewesen zu sein, momentan wohnen sie nicht in der ,Beauty Oasis', sondern sind seit drei Wochen in einer schicken Weinlodge etwas außerhalb von Feldbach einquartiert. Dort allerdings sieht man sie oft einige Tage lang nicht.“ Droch blickt mich erwartungsvoll an. Mir schwirrt der Kopf.

„Und ihr meint, die beiden könnten an dieser Forschungsfirma beteiligt sein?“, frage ich dann.

„Sie selbst wohl nicht“, antwortet Droch. „Eher ,El Centro‘. Spannend ist, wem diese Firma gehört.“

Ich bin schon gefasst darauf, dass er jetzt sagt: „Den Hildegard-Schwestern.“

„Francisco de Torres.“

Ich bin richtiggehend erleichtert und sehe wohl auch so drein.

„Francisco de Torres ist politisch kein Unbekannter. Er war Verteidigungsminister in der ARENA-Regierung. Nachdem die ehemaligen linken Guerillas die Wahlen gewonnen hatten, hat er mit „Kampf auf allen Ebenen“ gedroht, ist wenig später aber weitgehend von der politischen Bühne verschwunden. Es gibt die Vermutung, dass er dabei ist, eine neue Untergrundarmee aufzubauen. Er ist einer der größten Grundbesitzer des Landes. ,El Centro‘ exportiert nicht nur Kaffee, sondern führt auch eine Menge Produkte ein, die in El Salvador nicht erzeugt werden. Das reicht von Medikamenten bis hin zu landwirtschaftlichen Maschinen.“

„Dann könnte teilweise stimmen, was sie unserem Schokofreund gesagt haben: Sie arbeiten für eine Pharma-Firma, zumindest für eine Firma, die auch mit Medikamenten zu tun hat. - Vielleicht wollten die beiden Grünwald etwas abkaufen“, überlege ich.

„Dass der Schönheitschirurg in den Kaffeehandel einsteigen will, ist eher unwahrscheinlich“, bestätigt Droch.

Oskar schenkt uns nach und steht auf, um noch eine Flasche Wein zu holen.

„Die ARENA ist eine ultrarechte Partei, die sich mit ihrer Niederlage nicht abgefunden hat“, ergänzt Droch.

„Du magst doch die Rechten so gern“, spöttle ich.

„Zwischen rechts und konservativ ist ein Riesenunterschied, meine Liebe. Dieser Unterschied heißt Demokratie.“

„Die beiden haben zu Grünwald gesagt, dass die ,Operation durchgeführt' werden müsse oder so. Klar könnte es sich da um irgendwelche Importe oder Exporte handeln“, sage ich langsam. „Womit handelt Grünwald? Mit Schönheitsoperationsknow-how, mit Nasenimplantaten, mit Cremes und Nahrungsergänzungsmitteln. Bei Lateinamerikanern sind Schönheitsoperationen viel alltäglicher als bei uns. Vielleicht geht es auch nur um eine neue Grünwald-Schönheitsklinik unter Beteiligung von diesem ominösen ,El-Centro‘-Boss. Und als Grünwald herausbekommen hat, dass der politisch ziemlich dubios ist, wollte er nicht mehr.“

„Vielleicht ist es so“, sagt Oskar hinter mir. „Vielleicht geht es aber auch um das Unternehmen ,Research on Life Limited', diese Forschungsfirma von Grünwald. Das geheime Labor würde dazu passen. Und ein Teilhaber mit kolumbianischer Bankverbindung auch. Die kolumbianischen Machthaber haben sehr gute Verbindungen zu den Leuten der ARENA-Partei in El Salvador.“

„Und sie unterhalten noch immer Kontakt zu den rechten Todesschwadronen“, fügt Droch hinzu.

Ich nehme ein Ingwerbällchen. Wenn etwas mein Gehirn gleichzeitig beruhigen und anregen kann, dann das. „Die tote Nonne kann etwas herausgefunden haben. Ich hab Grünwald mit den beiden aus El Salvador streiten gehört. Vielleicht hat Schwester Cordula mitbekommen, worum es bei der ,Operation' geht. Wir müssen herausfinden, worüber in dem Kellerlabor tatsächlich geforscht wird. Genetische Möglichkeiten zur Lebensverlängerung ... Aber warum gerade mit diesem ,El-Centro‘-Typen aus El Salvador? Klar, damit lässt sich eine Menge Geld verdienen. Aber was, wenn es den Gesandten von de Torres gar nicht um diese Forschungen geht, sondern um den Operationssaal? Wenn es tatsächlich darum geht, einen geheimen Platz zu haben, an dem zwielichtige Politiker und ihre Handlanger aus El Salvador und Kolumbien umoperiert werden können?“

Droch sieht auf den Teller mit Schokolade. „Du musst gar nichts mehr herausfinden. Wenn es einen logischen Schluss aus all den Informationen gibt, dann lautet er: Die Sache ist gefährlich. Erzähle den Behörden davon, versuche dir von mir aus gute Informationen über den Fortgang der Untersuchungen zu sichern, aber schnüffle nicht länger selbst herum.“

Oskar nickt langsam: „Ich weiß, dass du so etwas nicht hören willst, aber: Wenn tatsächlich Guerillas aus El Salvador und Kolumbien in den Fall verwickelt sind, dann sollst du nicht einmal in die Nähe dieser Plätze kommen. Die Kämpfer dort haben im jahrzehntelangen Bürgerkrieg gelernt. Da gibt es keine Skrupel, wenn du ihnen auch nur ein bisschen im Weg stehst.“

Ich nehme noch ein Ingwerbällchen. Mir sollte etwas einfallen. Aber nicht einmal Ingwerschokolade ist ein Zaubermittel. „Ist euch klar, dass wir nicht vom mittelamerikanischen Dschungel, sondern vom Steirischen Hügelland reden? Das ist doch alles bloß Theorie. Sozusagen der mögliche Megagau. Aber doch ziemlich unwahrscheinlich.“

Droch nimmt einen großen Schluck. „Und wenn wir doch nicht danebentippen, bist du unwahrscheinlich tot.“

Ich versuche gerade, wütend zu werden, den beiden zu sagen, wie ich es hasse, wenn mir ältere Männer erklären, was für mich gefährlich ist. Aber sie haben erreicht, dass ich ein ganz eigenartiges Gefühl in der Magengrube habe. Ich muss es mit noch etwas Schokolade vertreiben. Ich kann es nicht fassen. Sobald es darum geht, mir etwas zu verbieten, verbünden sich die beiden, die gerade noch gewetteifert haben, wer mir in kürzerer Zeit die besseren Informationen liefern kann. Die Wut steigt. Noch ein Stück Schokolade, die dunkle aus Peru. Gleich kann ich widersprechen. Ich zucke zusammen. Mein Telefon läutet. Oh verdammt, es ist ihnen wirklich gelungen, mich nervös zu machen. Wenn Vesna bloß hier wäre ... Wahrscheinlich ist ohnehin sie am Apparat. Ich drücke irritiert und ohne auf das Display zu sehen die Empfangstaste. „Wie geht es dir, Vesna?“

„Vesna? - Da ist Karl. Der Gerichtsmediziner. Simatschek. Du erinnerst dich?“

Oh du liebe Güte. „Sorry. Klar. Ich bin in Wien.“

„Hat unser Inspektor Knobloch schon mitbekommen. Ich sollte das nicht tun, aber ich warne dich trotzdem. Du hast ihm an sich versprochen, die Umgebung der ,Beauty Oasis' nicht zu verlassen. Er wollte noch einmal mit dir sprechen. Nix. Weingartenhäuschen leer, nicht bezahlt, Fenster halb offen, nicht einmal eine Reisetasche war mehr da.“

Ich stehe auf und gehe Richtung Schlafzimmer. Die Ohren meiner beiden Beschützer sind mehr als gespitzt. „Ich habe nie gesagt, dass ich bleibe. Ich komme wieder. Deswegen hab ich auch noch nicht bezahlt. Ich hab morgen Redaktionsschluss, ich muss meine Story abliefern.“

„Na super. Das wird Knobloch besonders freuen. Du weißt, dass du von meinen Ergebnissen nichts schreiben darfst, oder? Es ist nichts veröffentlicht worden.“

„Ich werde schreiben, dass die Untersuchungen aufgrund des Aggregatzustandes der Toten sehr schwierig sind, okay?“

„Passt, das kannst du dir auch selbst zusammengereimt haben.“ „Ich komme morgen Nachmittag. Ich bin dir noch eine Mole schuldig. - Musst du eigentlich alles, was ich dir erzähle, dem Bezirksinspektor weitersagen?“

„Wenn es in unmittelbarem Zusammenhang mit einer strafbaren Handlung steht, schon.“

„Und wenn es sich um Gerüchte handelt?“, frage ich.

„Dann nicht unbedingt. Ich muss einer Journalistin ja nicht jedes Hirngespinst abnehmen. — Aber ich gebe dir einen guten Rat: Sei lieber wieder in der Steiermark, bevor dich Knobloch vorladen lässt. Besser noch: Ruf ihn morgen früh an und sag ihm, dass du gleich nach Ablieferung deiner Story wiederkommst.“

„Meinst du, er hat Neuigkeiten? Gibt es etwas, das er mir erzählen kann?“

Karl Simatschek lacht. „Nicht dass ein kleiner Gerichtsmediziner davon wüsste. Wir sehen uns morgen! Mole! Ich freu mich!“

Als ich zum Tisch zurückkomme, sehen mich die beiden fragend an.

„Ich muss morgen nun doch ins Vulkanland zurück. Bezirkschefinspektor Knobloch will noch einmal mit mir reden.“

„Er hat angerufen?“, fragt Oskar. - Schwingt da etwa Eifersucht mit?

„Nein, ein Informant.“ Ich mache es spannend. Die beiden Herren sollten noch ein Stückchen Schokolade nehmen, dann würden sie vielleicht ein wenig glücklicher dreinsehen.

„Jemand aus der ,Beauty Oasis'?“, rät Droch.

„Der Gerichtsmediziner Karl Simatschek.“ Und zu Oskar gewandt füge ich hinzu: „Er ist übrigens stockschwul.“