Aus guten Gründen habe ich mir die Beschäftigung mit einem Edelprodukt der Menschheit bis zum Schluß des Buches aufgespart. Ich meine natürlich den Handwerker. Er ist auch in Israel Herr über Leben und Tod derer, die auf ihn angewiesen sind - sei er nun Tischler, Schmied oder Installateur. Nur der Messias wird annähernd so sehnsüchtig erwartet. Aber da kommt noch eher der Messias.

 

WARTEN AUF NEBENZAHL

 

7. April

Heute war es endlich soweit, daß unser Tisch unter der Last des festlichen Mahles zusammenbrach. Meine Frau war damit sehr einverstanden. Sie hatte das wackelige Möbelstück ohnehin schon seit langem loswerden wollen. Ich zersägte es freudig, und wir machten einen schönen Scheiterhaufen daraus.

Meine Frau behauptet, daß man in Jaffa Tische direkt beim Erzeuger kaufen kann. Das geht rascher und ist billiger.

8. April

Der Erzeuger, bei dem wir den Tisch bestellt haben, heißt Josef Nebenzahl. Seine Persönlichkeit machte auf uns einen besseren Eindruck als die seiner Konkurrenten. Er ist ein ehrlicher, aufrechter Mann von gewinnender Wesensart. Als wir bei ihm erschienen, steckte er bis über beide Ohren in der Arbeit. Sein gewaltiger Brustkorb hob und senkte sich mit imposanter Regelmäßigkeit, während er Brett um Brett zersägte, und die tadellos gehaltenen Maschinen stampften den Takt dazu. Für den Tisch verlangte er 360 Pfund Anzahlung.

Meine Frau versuchte zu handeln, hatte aber kein Glück.

»Madame«, sagte Josef Nebenzahl und sah ihr mit festem Blick ins Auge, »Josef Nebenzahl leistet ganze Arbeit und weiß, was sie wert ist. Er verlangt nicht einen Piaster mehr und nicht einen Piaster weniger!«

So ist's recht, dachten wir beide. Das ist die Rede eines ehrlichen Mannes.

Ich fragte, wann der Tisch fertig wäre. Nebenzahl zog ein kleines Notizbuch aus seiner Hosentasche: Montag mittag.

Meine Frau schilderte ihm in lebhaften Farben, wie es ohne Tisch bei uns zuginge, daß wir stehend essen müßten und daß unser Leben kein Leben sei. Nebenzahl ging in die Nebenwerkstatt, um sich mit seinem Partner zu beraten, kam zurück und sagte: »Sonntag abend.« Aber wir müßten den Transport bezahlen. Nachdem ich die Hälfte der Transportkosten erlegt hatte, nahmen wir Abschied. Nebenzahl schüttelte uns kräftig die Hand und sah uns mit festem Blick in die Augen: mir könnt ihr vertrauen!

April

Bis Mitternacht haben wir auf den Tisch gewartet. Er kam nicht. Heute früh rief ich Nebenzahl an. Sein Partner sagte mir, daß Nebenzahl auswärts zu tun hätte, und er selbst wüßte nichts von einem Tisch. Aber sobald Nebenzahl zurückkäme, würde er uns anrufen. Nebenzahl rief uns nicht an.

Wir sind in einiger Verlegenheit. Unsere Mahlzeiten nehmen wir, wie ich beschämt gestehen muß, auf dem Teppich ein.

April

Ich fuhr nach Jaffa, um Krach zu schlagen. Nebenzahl steckte bis über beide Ohren in der Arbeit. Die Kreissäge, die er mit mächtiger Hand bediente, warf Garben von Sägespänen um sich. Ich mußte mich vorstellen, da er sich nicht mehr an mich erinnern konnte. Dann erklärte er mir, daß sein bester Arbeiter verfrüht zum Militärdienst eingezogen worden sei, und versprach mir den Tisch für morgen 4 Uhr nachmittag.

Wir einigten uns auf 3.30 Uhr. Ursprünglich hatte ich auf 3 Uhr bestehen wollen, aber das ließ sich nicht machen.

»Nebenzahl ist wie eine Präzisionsuhr«, sagte Nebenzahl.

»Keine Sekunde früher und keine Sekunde später.«

April

Nichts. Ich rief an. Nebenzahl, so erfuhr ich von seinem Kompagnon, hatte sich in die Hand geschnitten, so daß der Tisch erst morgen zugestellt werden könnte. Nun, ein Tag mehr oder weniger spielte wirklich keine Rolle.

April

Der Tisch kam nicht. Meine Frau behauptet, das von Anfang an gewußt zu haben. Nebenzahls schiefer, betrügerischer Blick hätte ihr sofort mißfallen. Dann rief sie in Jaffa an.

Nebenzahl selbst war am Telephon und fand überzeugende Worte des Trostes. Das Tischholz hätte unvorhergesehene Schwellungen entwickelt, jetzt aber sei es im Druckrahmen und der Tisch sei so gut wie fertig. Wie er denn aussähe? fragte meine Frau. Das ließe sich telephonisch schwer sagen, antwortete Nebenzahl, der ein Feind aller unbestimmten Auskünfte war. Außerdem seien die Beine noch nicht eingesetzt, aber das würde nicht länger als drei Tage dauern, und das Polieren nicht länger als zwei.

Wir haben bereits große Übung im Sitzen mit unterschlagenen Beinen. Die Japaner, ein altes Kulturvolk, nehmen ihre Mahlzeiten seit Jahrtausenden auf diese Weise ein.

21. April

Nebenzahls Partner rief uns aus freien Stücken an, um uns vorsorglich mitzuteilen, daß der Polierer Mumps bekommen hätte. Meine Frau erlitt am Telephon einen hysterischen Anfall. »Madame«, sagte Nebenzahls Partner, »wir könnten den Tisch im Handumdrehen fertigmachen, aber wir wollen Ihnen doch eine erstklassige Handwerkerarbeit liefern. Morgen um zwei

Uhr bringen wir Ihnen den Tisch und trinken zusammen eine Flasche Bier.«

April

Sie brachten den Tisch weder um zwei Uhr noch später. Ich rief an. Nebenzahl kam ans Telephon und wußte von nichts, versprach uns aber einen Anruf seines Partners.

April

Ich fuhr mit dem Bus nach Jaffa. Nebenzahl steckte bis über beide Ohren in der Arbeit. Als er mich sah, fuhr er mich unbeherrscht an: ich sollte ihn nicht immer stören, unter solchem Druck könne er seinen Verpflichtungen nicht nachkommen. Der Tisch, so setzte er etwas ruhiger fort, sei in Arbeit. Was wollte ich also noch? Er führte mich in die Werkstatt und zeigte mir die Bretter. Ein ganz spezielles Holz erster Qualität. Stahlhart. Wann? Ende nächster Woche.

Sonntag vormittag. Um zehn Uhr würde er mich anrufen.

5. Mai

Selbst diesen strahlenden Sonntag mußte mir meine Frau durch ihre Unkenrufe verderben. »Sie werden nicht liefern«, sagte sie. »Sie werden liefern«, sagte ich. »Ich habe das Gefühl, daß es diesmal klappen wird.«

»Sie werden nicht liefern«, wiederholte meine Frau mit typisch weiblicher Hartnäckigkeit. »Du wirst schon sehen. Die Säge ist gebrochen.«

Zu Mittag rief ich an. Nebenzahl teilte mir mit, daß sie noch an der Arbeit wären. Sie hätten im Holz ein paar kleinere Sprünge entdeckt und wollten keine zweitklassige Handwerkerarbeit abliefern.

Meine Frau hatte wieder einmal unrecht gehabt. Es war nicht die Säge, es waren Sprünge im Holz. Ende nächster Woche.

12. Mai

Nichts. Meine Frau hat sich bereits damit abgefunden, daß wir

noch mindestens einen Monat warten müßten. Höchstens vierzehn Tage, sage ich.

Ich rief an. Der Kompagnon teilte mir mit, daß Nebenzahl seit vorgestern abwesend sei; irgendwelche Geschichten am Zollamt. Aber er glaubte von ihm ganz deutlich gehört zu haben, daß der Tisch in spätestens drei Wochen fertig wäre.

Wir brauchten gar nicht mehr anzurufen - pünktlich am Morgen des 3. Juni würde der Tisch vor unserem Haus abgeladen.

»Siehst du«, wandte ich mich an meine Frau. »Du hast von einem Monat gesprochen, ich von vierzehn Tagen. Drei Wochen sind ein schöner Kompromiß.«

Wir essen zurückgelehnt, wie die Römer. Sehr reizvoll.

3. Juni

Nichts. Anruf: keine Antwort. Meine Frau: Mitte August.

Ich: Ende Juli. Fuhr mit dem Bus nach Jaffa. An der Endstation hielt gerade ein Taxi, der Fahrer steckte den Kopf zum Fenster heraus und brüllte: »Nebenzahl, Nebenzahl!«

Sofort stiegen zwei weitere Passagiere ein. Einer von ihnen hatte seit sechs Monaten Präsenzdienst bei Nebenzahl, wegen einer Sesselgarnitur. Der andere, ein Physikprofessor, wartet erst seit zwei Monaten auf seinen Arbeitstisch. Unterwegs freundeten wir uns herzlich an. In Nebenzahls Werkstatt fanden wir nur den Kompagnon vor. Alles würde sich bestens regeln, sagte er. Mir raunte er verstohlen ins Ohr, daß Nebenzahl ganz ausdrücklich von Ende Juli gesprochen hätte, hundertprozentig Ende Juli. Ich warf einen Blick in die Werkstatt. Die stahlharten Bretter waren verschwunden.

Auf dem Rückweg diskutierten wir über Nebenzahls Persönlichkeit, über die Arbeit, die ihn so sehr in Anspruch nimmt, und über sein Bestreben, es allen recht zu machen. Daran wird er noch zugrunde gehen. Schon jetzt sieht er aus wie ein gehetztes Wild. Wir beschlossen, uns nächste Woche wieder an der Ausgangsstation der Nebenzahl-Linie zu treffen.

Meine Frau leugnet, sich jemals auf Ende August festgelegt zu haben. In gerechtem Zorn verlangte ich, daß von jetzt an alles schriftlich niedergelegt werden müßte.

30. Juli

Ich wette 5 Pfund auf den Termin Laubhüttenfest, das heuer in die erste Oktoberhälfte fällt. Meine Frau konterte mit dem Jahresende (gregorianischer Kalender). Ihre Begründung: Geburt eines Sohnes bei Nebenzahls. Meine Begründung: Kurzschluß. Alles schriftlich festgehalten.

An der Haltestelle stieß ein weiterer Nebenzahl-Satellit zu uns, ein älteres Mitglied des Obersten Gerichtshofs (Büchergestell, zwei Jahre). Der Konvoi rollte nach Jaffa. Nebenzahl steckte bis über beide Ohren in der Arbeit. Durch Garben von Sägespänen und das Dröhnen der Maschinen rief er uns zu, daß er unmöglich mit jedem einzelnen von uns sprechen könne. Ich wurde durch Akklamation zum Sprecher der Gruppe bestimmt. Nebenzahl versprach - diesmal feierlich -, daß Ende November alles geliefert sein würde, mein Tisch sogar etwas früher, um das jüdische Neujahr herum. Warum so spät? Weil Nebenzahls eine Tochter erwarten. Der Physikprofessor schlug vor, daß wir auch untereinander Wetten abschließen sollten. In der gleichen Straße befände sich ein Buchdrucker (Schaukelstuhl, 18 Monate), der uns die nötigen Toto-Formulare drucken würde. Gründung eines Nebenzahl-Klubs.

21. August

Diesmal fand die Klubsitzung bei uns statt. 31 Teilnehmer.

Das Mitglied des Obersten Gerichtshofs brachte die endgültig formulierten Statuten des Nebenzahl-Klubs mit. Wer ordentliches Mitglied werden will, muß mindestens sechs Monate gewartet haben. Mit geringerer Wartezeit wird man nur Kandidat. Genehmigung der Wettformulare. Es sind jeweils drei Sparten auszufüllen: a) versprochenes Datum der Fertigstellung, b) Ausrede, c) tatsächliches Datum der Lieferung (Tag, Monat, Jahr). Mit großer Mehrheit wurde beschlossen, ein Porträt in Auftrag zu geben: Josef Nebenzahl, bis über beide Ohren in Arbeit steckend und dem Beschauer mit festem Blick in die Augen sehend.

Die Klubmitglieder sind ungewöhnlich nette Leute, ohne Ausnahme. Wir bilden eine einzige, große, glückliche Familie.

Alle essen auf dem Fußboden.

2. Januar

Heute war ich an der Reihe, bei Nebenzahl vorzusprechen.

Er entschuldigte sich für die Verspätung: Zeugenaussage vor Gericht. Zeitverlust. Dann zog er ein kleines Notizbuch aus seiner Hosentasche, blätterte, überlegte angestrengt und versprach mir bindend, übermorgen nachmittag mit der Arbeit an unserem Tisch zu beginnen. Wir füllten sofort die Formulare aus. Meine Frau: l. Juni. Ich: 7. Januar nächsten Jahres.

1. Februar

Festversammlung des Nebenzahl-Klubs. Ständiges Anwachsen der Mitgliedschaft. Am Toto beteiligen sich bereits 104 Personen. Die Inhaberin eines Schönheitssalons hatte 50 Pfund auf die Lieferung einer Ersatz-Schublade gewettet (15. Januar, Grippe, 7. Juli) und gewann 500 Pfund, da sie sowohl die beiden Daten als auch die Ausrede richtig erraten hatte.

Die Festsitzung wurde durch eine musikalische Darbietung unseres Kammerquartetts eröffnet (drei Stühle, eine Gartenbank). Im Rahmen des Kulturprogrammes hielt der Prorektor des Technikums in Haifa einen Vortrag über das Thema »Der Tisch - ein überflüssiges Möbel.« Seine lichtvollen Ausführungen über die Speisegewohnheiten des frühen Neandertalers fanden größtes Interesse. Nach dem Bankett erfolgte in drei Autobussen die traditionelle Pilgerfahrt nach Jaffa. Nebenzahl steckte bis über beide Ohren in der Arbeit. Er versprach, bis Freitag nachmittag alles fertigzustellen. Die Verzögerung sei auf einen Todesfall in seiner Familie zurückzuführen.

4. September

Unser Exekutivkomitee bereitet die Errichtung eines medizinischen Hilfsfonds für Nebenzahl-Kunden vor. Es wurde ferner beschlossen, eine Monatszeitschrift mit dem Titel »Ewigkeit« herauszugeben, die sich mit aktuellen Fragen beschäftigen soll: Beschreibung neuer Maschinen in den Nebenzahl-Werkstätten (mit Photos), Namenslisten der zum Militärdienst einberufenen Werkmeister, Gesellen und Gehilfen, Resultate des Nebenzahl-Totos, Führungen durch Jaffa, eine ständige Rubrik »Neues aus der Welt der Tischlerei« und anderes mehr. Das Training unserer Korbballmannschaft findet jetzt zweimal wöchentlich statt. Wir machen gute Fortschritte. Die Mittel für den Bau eines Klubhauses sollen durch Anleihen aufgebracht werden.

Nach Schluß der Sitzung wurde der in den Statuten vorgeschriebene Anruf nach Jaffa durchgeführt. Nur der Kompagnon war da. Nebenzahl befindet sich auf Hochzeitsreise. Der Kompagnon versprach, für beschleunigte Abwicklung zu sorgen. Meine Frau setzte 300 Pfund auf den 17. August in drei Jahren.

10. Januar

Etwas vollkommen Unerklärliches ist geschehen. Heute vormittag erschien Josef Nebenzahl vor unserem Haus und zog eine Art von Tisch hinter sich her. Wir fragten uns vergebens, was er wohl im Schilde führen mochte. Nebenzahl erinnerte uns, daß wir vor geraumer Zeit - er wüßte nicht mehr genau, wann - bei ihm einen Tisch bestellt hätten, und der wäre jetzt also fertig. Offenbar handelte er in geistiger Umnachtung. Seine Augen flackerten. »Nebenzahl verspricht, Nebenzahl liefert«, sagte er. »Bitte zahlen Sie den Transport.«

Es war ein fürchterlicher Schlag für uns. Adieu, Nebenzahl- Klub, adieu, Vorstandsitzungen, Kulturprogramm und Wetten. Aus und vorbei. Und das Schlimmste ist: wir wissen nicht, was wir mit dem Tisch machen sollen. Wir können längst nicht mehr im Sitzen essen. Meine Frau meint, wir sollten uns nach den Mahlzeiten unter dem Tisch zur Ruhe legen.