KAPITEL 23
Diesel schlief auf der Couch, als ich das Haus um 4.30 Uhr verließ. Ein Fuß lag auf dem Boden, der andere hing über die Armlehne, und auf seinem Brustkorb schlief Carl. Es war ein Bild für die Götter. Ich drückte ihm einen Kuss auf die Stirn, und er sagte: »Bis dann, Sonnenschein«, ohne dabei die Augen zu öffnen.
Niemand belästigte mich auf dem Weg zu Diesels Wagen. Ich hatte mir seine Schlüssel genommen und hoffte, dass er nirgendwo hinfahren musste, denn bis ich von der Arbeit zurückkam, würde er ohne Auto auskommen müssen.
Als ich die Bäckerei erreichte, brannten bereits die Lichter.
»Wie geht es deinem Arm?«, erkundigte ich mich bei Clara.
»Ich soll ihn eigentlich in einer Schlinge tragen, aber das Ding macht mich verrückt. Wir müssen alle Extrabestellungen für Montag machen. Ich hoffe, Glo kommt bald.«
»Sie ist ebenfalls verletzt«, sagte ich. »Lass mich heute die schweren Sachen erledigen. Glo kann die Cupcakes glasieren.«
Zwanzig Minuten später traf Glo ein.
»Das ist nicht normal«, beschwerte sie sich. »Niemand steht um diese Uhrzeit auf und geht zur Arbeit. Es ist noch Nacht. Warum können wir die Sachen nicht tags zuvor backen? Am Nachmittag? Dann müssten wir alles einfach nur noch in die Regale und Vitrinen legen, bevor wir den Laden aufschließen.«
»Sie wären nicht frisch«, entgegnete Clara.
»Also wirklich, wie frisch muss das alles denn sein?«, meinte Glo. »Mr Nelson würde den Unterschied gar nicht bemerken. Sag ihm einfach, seine Laugenbrötchen sind ein Bioprodukt und daher möglicherweise ein wenig härter. Dafür könntest du ihm sogar noch etwas mehr berechnen.« Sie band sich eine Schürze um. »Ihr werdet nie erraten, wer mich gestern Abend angerufen hat, nachdem ich nach Hause gekommen war. Hatchet. Er wollte sich mit mir verabreden. Er sagte, die Sache mit den Messern habe ihm zwar Spaß gemacht, aber er würde es nicht mehr tun, wenn ich das nicht wolle.«
Clara und ich waren einen Moment lang sprachlos.
»Du wirst dich doch nicht etwa mit ihm treffen?«, fragte Clara.
»Ich glaube nicht«, erwiderte Glo. »Er ist ein verrückter Ritter. Das macht ihn sogar ein wenig interessant, aber diese Sache mit dem Schlangengift schreckt mich ab.«
»Richte die Schüsseln her«, bat ich Glo. »Ich fange mit den Cupcakes an.«
Um zehn Uhr bediente Glo einen Kunden, Clara holte Brotlaibe aus dem Ofen, und ich rührte in einer großen Schüssel Buttercreme, als Deirdre Early in die Backstube stürzte. Ihr Gesicht war schmutzverschmiert, ihre Augen trugen einen irren Ausdruck, ihr Haar war dreckig und verfilzt, und ihre Kleidung war verrutscht.
»Das ist ein Schwindel«, fauchte sie. »Nur eine Imitation!«
Glo rannte aus dem Laden herbei, und Clara und ich erstarrten.
»Worum geht es?«, erkundigte ich mich.
»Um den Stein, den dieser abscheuliche Hatchet mir gegeben hat. Er sagte, es handle sich um den Luxuria-Stein, aber das war nicht wahr.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Seine Wirkung ist gleich null. Ich habe ihn bei mir getragen und nichts gespürt. Hätte ich den echten Luxuria-Stein bei mir gehabt, wären diese Collegejungs doch alle über mich hergefallen, oder? Ich meine, sie baggern ohnehin jede Frau an.«
»Sie sehen ein wenig furchterregend aus«, meinte Glo.
Early schaute an sich herunter. »Es war nicht leicht, aus diesem Tunnel zu kommen. Dort waren Fledermäuse und Spinnen, und ich bin ständig in irgendwelche Löcher gefallen.«
»Haben Sie die Tafel?«, wollte ich wissen.
»Ich habe die Hälfte davon. Sie ist zerbrochen, als ich gestürzt bin, und im Dunkeln konnte ich nur einen Teil davon finden. Obwohl ich verzweifelt danach gesucht habe. Aber ich kann das dumme Ding ohnehin nicht entziffern.«
»Wenn Sie es mir geben, kann ich wahrscheinlich jemanden auftreiben, der die Schrift lesen kann«, schlug ich vor.
»Wie wäre es damit? Sie geben mir den echten Stein, und ich gebe Ihnen meinen Teil der Tafel.«
»Sind Sie sicher, dass der Stein nicht echt ist?«, fragte ich sie.
»Ich habe mit einem Hammer draufgeschlagen.« Sie zog ein paar Brocken aus ihrer Tasche und warf sie auf den Boden. »Wäre er magisch, würde er sich nicht zerstören lassen, richtig? Welcher magische Stein zerbröselt einfach?«
Wir zuckten alle die Schultern.
»Das war Hatchet.« Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und kniff ihre Augen zusammen.
Einige Gläser auf den Regalen in der Vorratskammer klirrten, und das ganze Haus bebte.
»Ich hätte ihn gleich erledigen sollen, so wie ich es mit Wulf gemacht habe. Dieser Mr Schau-mich-an-weil-ich-so-sexy-und-mächtig-bin. Er hat mich am nächsten Tag nicht einmal angerufen. Wir hatten ein richtig heißes Date, und dann nichts. Was soll das? Selbst Basketballspieler rufen mich am nächsten Tag an. Oder sie schicken mir zumindest Blumen. Zeigen etwas Respekt, versteht ihr? Schließlich habe ich mir große Mühe gegeben. Ich habe Wäsche von La Perla getragen.«
»Das ist ärgerlich«, meinte Glo. »Zu dumm. Ich hasse es, wenn mir das passiert. Wissen Sie, was noch schlimmer ist? Wenn so ein Kerl sich mit einer Nagelpistole anschießen lässt und gar nicht erst erscheint.«
Deirdre Early schaute sich um. »Ich habe den Faden verloren. Warum bin ich hier?«
»Cupcakes«, behauptete ich. »Sie wollten Cupcakes kaufen.«
»Nein, das war es nicht.«
»Einen Laib Brot. Das ist eine Bäckerei«, warf Clara ein. »Die Leute kommen hierher, um sich Brot zu kaufen.«
»Nein, es ging um etwas anderes.«
»Hatchet?«, fragte Glo.
»Ja! Ich hasse Hatchet. Er hat mich ausgetrickst. Und Wulf hasse ich auch, aber den habe ich schon um die Ecke gebracht.«
»Er lebt noch«, stellte ich richtig.
Sie schwieg einen Moment lang. »Was?«
»Ihm geht es wieder gut.«
»Das ist unmöglich. Ich habe seine ganze Kraft. Ich kann ein Ei in meiner Handfläche braten. Ich kann das Gras wachsen hören. Ich kann Feuer entfachen.«
»Ich wusste nicht, dass Wulf das kann«, sagte ich.
»Es geht mit diesem Gerät, das ich mir besorgt habe«, erklärte Early und zog einen Bunsenbrenner aus ihrer Schultertasche von Hermès. »Eigentlich wollte ich damit Crème brulée karamellisieren, aber mit dem Ding kann man alles anzünden.«
»So wie Ihr eigenes Haus?«, fragte ich.
»Das war ein Unfall.«
»Und mein Auto?«
»Ich habe nur geübt. Und was habt ihr mir mit diesem Mehl angetan? Ich kann mich nicht mehr erinnern.«
»Mehl?«, fragte Clara. »Welches Mehl?«
Ich nickte zustimmend. »Ich kann mich an kein Mehl erinnern.«
Early drückte auf den Knopf, und – wusch – eine ungefähr fünfundzwanzig Zentimeter lange Flamme schoss aus dem Bunsenbrenner.
»Vorsicht«, mahnte Clara. »Das ist viel zu viel für eine Crème brulée.«
»Ich mag Feuer.« Early drückte erneut.
»Und nun?«, fragte ich sie.
»Weltherrschaft und Chaos. Mein Name ist Anarchie!« Sie wedelte mit dem Bunsenbrenner vor uns herum und schoss Flammen auf uns ab. »Wie lautet mein Name?«, rief sie fordernd.
»Anarchie«, antworteten wir einstimmig.
»Ich will den Stein haben, und du wirst ihn mir besorgen.« Dabei deutete sie mit dem Finger auf mich und setzte meine Schürze in Brand. Ich versuchte, die Flammen mit einem Küchentuch auszuschlagen, und Clara spritzte mit dem Schlauch über der Spüle darauf.
»Meine Güte.« Hastig zog ich mir die Schürze vom Leib und betrachtete das Loch darin. »Sie sollten vorsichtiger mit diesem Flammenwerfer umgehen! Küchenschürzen wachsen schließlich nicht auf Bäumen.«
»Du hast vierundzwanzig Stunden Zeit, um mir den Stein zu bringen, oder ich brenne dein Haus bis auf die Grundmauern nieder«, drohte sie mir.
Sie richtete den Bunsenbrenner auf einen Stapel Handtücher, und mit einem Pffffft ging alles in Flammen auf.
»Ich habe den Stein nicht«, erklärte ich. »Wulf hat ihn.«
Okay, das war nicht sehr nett von mir, aber das war mir egal. Um Early oder Anarchie oder wer zum Teufel diese Frau im Moment auch sein mochte, loszuwerden, wäre ich sogar bereit gewesen, Wulf vor einen Bus zu stoßen.
»Hör gut zu«, zischte sie. »Ich befehle dir, ihn mir zu bringen. Du bringst mich langsam echt zur Weißglut.«
Pfffft. Sie äscherte ein Tablett mit Laugenbrötchen ein.
»Das hätten Sie nicht tun sollen«, sagte Glo. »Mr Nelson wird jeden Moment hier sein, und das wird ihm gar nicht gefallen.«
»Ich will diesen Stein!«, kreischte Anarchie.
»Natürlich«, beruhigte ich sie. »Kein Problem. Wohin soll er geliefert werden?«
Sie zog eine Visitenkarte aus ihrer Handtasche. »Das ist meine Handynummer. Ich ziehe gerade um.«
»Okay«, sagte ich. »Möchten Sie einen Cupcake zum Mitnehmen?«
»Ich esse keine Cupcakes«, erwiderte sie. »Sehe ich etwa so aus, als würde ich Cupcakes essen? Wohl kaum. Ich trainiere täglich meine Bauch- und Pomuskeln. Ich habe keinerlei Anzeichen von Orangenhaut. Ich ernähre mich wie ein Alpaka. Sprossen und Brunnenkresse.«
»Kein Wunder, dass Sie immer so übellaunig sind«, meinte Glo.
Pffft. Pfffft! Sie steckte eine Küchenrolle und drei Laibe Pumpernickel in Brand.
»Sie meinte nicht übellaunig«, sagte ich rasch zu Anarchie. »Sie meinte schlau und scharfsinnig. Eine Frau, die aufs Ganze geht. Und die weiß, was sie tut.« Ich warf Glo einen Blick zu. »Stimmt’s, Glo?«
»Ja«, bekräftigte Glo. »Genau das habe ich gemeint.«
»Eine Frau, die aufs Ganze geht«, wiederholte Anarchie. »Das gefällt mir.« Sie sah sich um. »Warum bin ich hier?«
Clara schob ein Mehrkornbrot in eine Tüte und reichte es ihr. »Sie wollten Brot.«
»Ach ja«, sagte Anarchie. »Danke.«
Und sie ging hinaus.
Clara sperrte die Tür ab. »Die hat wohl komplett den Verstand verloren. Ich würde ihr ja gern helfen, aber ich weiß nicht, wie.«
»Das ist wirklich schwierig«, stimmte Glo ihr zu. »Wenn man versuchen würde, sie mit einem großen Schmetterlingsnetz zu fangen wie bei Dick & Doof, würde sie es sofort in Brand setzen.«
Die Ladenglocke über der Tür ertönte, und Glo spähte in den Verkaufsraum. »Das ist Mr Nelson«, verkündete sie. »Was soll ich ihm sagen?«
»Sag ihm, es täte uns sehr leid, aber uns ist ein ganzes Blech mit Laugenbrötchen verbrannt, also müsse er sich diese Woche leider mit weniger begnügen. Und gib ihm alles, was noch da ist«, befahl Clara. »Und die Differenz gleichst du mit Bagels aus.«
»Glaubst du, sie würde tatsächlich mein Haus abfackeln?«, fragte ich Clara.
»Sie hat ihr eigenes Haus niedergebrannt. Ich traue ihr zu, alles in Brand zu stecken.«
Ich schippte die Asche der verbrannten Laugenbrötchen in den Mülleimer und trug das Tablett zum Spülbecken. »Ich kann das verbrannte Brot und die angekokelte Schürze immer noch riechen. Der Geruch scheint sogar noch stärker zu werden. Jetzt riecht es nach verbranntem Gummi.«
WUMMS!
Clara und ich erstarrten.
»Auf unserem Parkplatz ist irgendetwas explodiert«, stellte ich fest. »Ich hoffe, Anarchie hat sich selbst in die Luft gesprengt.«
Clara öffnete die Tür und schaute hinaus. »Bist du mit Diesels Wagen zur Arbeit gekommen?«
»Ja.«
»Du wirst jemanden brauchen, der dich nach Hause fährt.«
Von dort, wo ich stand, sah ich einen gigantischen Feuerball.
»Das sieht nicht gut aus«, bemerkte ich.
Eine Stunde später zogen die Feuerwehrwagen wieder ab, und auf unserem Parkplatz standen nun zwei rauchgeschwärzte, verbogene Autoskelette.
»Da hatte ich ja Glück, dass ich meinen Wagen auf der Straße geparkt habe«, stellte Clara mit einem Blick auf die Autowracks fest. »Was hat Diesel gesagt, als er erfuhr, dass sein Auto nur noch Schrott ist?«
»Er sagte, er sei den Hügel hinunter zu dem Lebensmittelladen gegangen und hätte Milch, Käse und Aufschnitt zum Mittagessen besorgt, aber ich solle noch Brot und Käsetaschen mitbringen.«
»Kein Wort über den Wagen?«
»Er murmelte etwas davon, dass er seine Assistentin anrufen würde.«
Die Ladenglocke ertönte wieder, und Glo lief nach vorne. Kurz darauf kam sie mit einer großen Vase mit Schnittblumen zurück.
»Jemand hat mir Blumen geschickt!«, verkündete sie. »Das war sicher der Glöckner.« Sie zog die beiliegende Karte heraus und las sie vor. »Rosen sind rot. Veilchen sind blau. Ich halte Euch für heiß. Ich hoffe, Ihr findet mich heiß und schlau.«
»Sie sind wohl doch nicht von dem Glöckner«, meinte Clara.
»Nein. Sie sind von Hatchet. Er ist verrückt, aber irgendwie süß.« Glo vergrub ihre Nase in den Blumen und schnupperte an den Rosen. Plötzlich schrie sie auf und sprang zurück. »Da kriecht eine riesige Spinne in den Blumen herum.«
»Wahrscheinlich wollte er dir ein Haustier schenken.« Clara nahm die Vase, trug sie auf den Parkplatz und stellte sie neben den Müllcontainer. Sie kam zurück und verschloss die Tür hinter sich.
Diesel stand mit den Händen in den Hosentaschen am Fenster und schaute auf die Straße hinaus. »Ich glaube, sie hat den Wagen gebracht«, sagte er.
»Deine Assistentin?«, fragte ich.
»Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung, wie die letzte aussieht.«
»Du kennst nicht einmal ihren Namen?«
Diesel grinste. »Nein. Ich hatte immer vor, sie danach zu fragen.«
Sie war das typische Mädchen von nebenan, hübsch in der Art einer Miss America. Groß, blondes schulterlanges Haar, das an Jennifer Aniston erinnerte, geräumige Umhängetasche über der Schulter, Designerjeans und ein schickes, kurzes schwarzes Jackett.
Ich ging zu ihr hinaus und streckte meine Hand aus. »Ich bin Lizzy Tucker. Ich arbeite mit Diesel zusammen.«
»Mindy Smith«, stellte sie sich vor und schüttelte mir die Hand. »Ich bin Diesels Assistentin. Er hat zwei Autos angefordert. Meine Kollegin wird auch gleich hier sein. Sie ist ein paar Minuten nach mir losgefahren.« Mindy warf an mir vorbei einen Blick Richtung Haustür. »Ist Diesel hier? Ich bin ihm noch nie begegnet. Wie ich höre, ist er ein unglaublich attraktiver Mann.«
»Wie lange arbeiten Sie schon für ihn?«
»Seit drei Monaten. Wenn ich sechs Monate durchhalte, bekomme ich eine Härtezulage. Er steht in dem Ruf, nicht ganz einfach zu sein.«
Ich warf einen Blick über meine Schulter und winkte Diesel mit einem Finger zu uns.
»War er das hinter dem Vorhang?«, fragte Mindy.
»Ja. Er ist sehr schüchtern.«
Sie zog den Riemen ihrer Umhängetasche zurecht. »Da sieht man mal wieder, wie falsch Gerüchte oft sind.«
Diesel schlenderte aus dem Haus, und Mindy holte tief Luft. »Wow«, flüsterte sie.
»Das ist Mindy Smith«, informierte ich Diesel. »Deine Assistentin. Ihre Kollegin wird gleich mit dem zweiten Wagen eintreffen.«
»Prima«, meinte Diesel.
Es war schwer zu sagen, ob sich das auf die Autos oder auf Mindy Smith bezog.
»Wie Sie wissen, versuchen wir immer, die besten Fahrzeuge zu besorgen, die wir zur Verfügung haben«, sagte Mindy und reichte Diesel die Schlüssel zu einem schwarzen Aston Martin. »Ich hoffe, dieser Wagen ist zu Ihrer Zufriedenheit. Der zweite ist das gleiche Modell.«
»Damit komme ich zurecht«, sagte Diesel.
»Die Papiere liegen im Handschuhfach. Ich habe bereits veranlasst, dass die beiden anderen Autos vom Parkplatz der Bäckerei abgeschleppt werden. Und ich habe die beiden neuen Handys bei mir, die Sie angefordert haben.«
Der zweite Wagen parkte hinter dem ersten ein, und ein Mindy-Smith-Klon stieg aus. Ihr Gesicht rötete sich leicht, als sie Diesel sah, und einen Moment lang befürchtete ich, dass sie etwas Schreckliches tun würde, wie zum Beispiel einen Hofknicks machen. Glücklicherweise riss sie sich zusammen, lächelte nur und reichte Diesel den zweiten Schlüssel.
»Da ihr gerade hier seid, könntet ihr mir noch bei einer anderen Sache helfen«, sagte Diesel.
Er rannte ins Haus und kam kurz darauf mit dem verhüllten Gemälde, der Duane-Glocke und Monroes Skulptur zurück.
»Diese Dinge müssen zu ihren Besitzern zurückgebracht werden«, erklärte er. »Es gibt noch eine Tafel, die ebenfalls an ihren Platz zurückgebracht werden muss, aber sie wurde von einer Verrückten gestohlen.«
Mindy nahm das Bild, und ihr Klon trug die Glocke und die Skulptur. Beide Frauen standen da wie Rehe im Scheinwerferlicht, nicht sicher, was sie jetzt tun sollten, aber unfähig, Diesel danach zu fragen.
»Danke«, sagte Diesel zu den beiden. »Ich wünsche eine gute Reise.«
Ich folgte Diesel ins Haus. »Wo gehen die beiden denn jetzt hin? Und wie kommen sie dorthin?«, fragte ich ihn. »Sie haben kein Auto.«
»Ich nehme an, sie kehren ins Büro zurück, wo immer das auch sein mag.«
»Du weißt nicht, wo sich das Büro befindet?«
»Nein. Ich musste noch nie dorthin fahren.«
Ich schaute aus dem Fenster. Die Frauen waren verschwunden.
»Wie? Was?«, stammelte ich.
»Sie wissen sich schon zu helfen.«
»Haben sie sich nach oben gebeamt, oder was?«
»Das willst du gar nicht wissen. Es würde dich nur verwirren. Gehen wir einfach davon aus, dass sie jemand mitgenommen hat.«
Das reichte mir als Erklärung.
»Ich habe die Anweisung erhalten, Anarchie außer Gefecht zu setzen«, erklärte Diesel. »Sie hat genug Ärger gemacht, um bei denjenigen unangenehm aufzufallen, die solche Entscheidungen treffen. Wer auch immer das sein mag.«
»Du weißt nicht, wer solche Entscheidungen trifft?«
»Ich kenne einige Leute, die damit befasst sind. Die genauen Verantwortlichkeiten sind nicht eindeutig umrissen. Die Hierarchie ist nicht klar abgegrenzt.«
»Ich habe ihre Handynummer.« Ich reichte Diesel ihre Karte. »Sie hat mir vierundzwanzig Stunden Zeit gegeben, um ihr den Stein zu bringen. Sonst …«
»Sonst was?«
»Wird sie mein Haus abfackeln.«
»Das gefällt mir ganz und gar nicht«, erklärte Diesel. »Ich mag dieses Haus.«
Diesel hatte zwei Handys bekommen, als Ersatz für die beiden, die im Wasser kaputtgegangen waren. Er reichte mir eins davon und tippte Anarchies Nummer in das andere. Sie meldete sich nicht.
»Wahrscheinlich lässt sie sich gerade ihr Haar stylen und die Fingernägel machen«, meinte ich.
»Hast du ihre Adresse?«
»Nein. Sie sagte, sie sei gerade dabei umzuziehen.«
»Das glaube ich gern.«
»Was genau bedeutet es, wenn du jemanden außer Gefecht setzen sollst?«, erkundigte ich mich.
»Ich kann bestimmte destruktive Energieströme blockieren.«
»Kannst du das auch bei Wulf machen?«
Diesel schüttelte den Kopf. »Das hat man mir nie erlaubt. Es gibt einige Leute an höheren Stellen, die Wulf schützen.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Ich muss noch etwas erledigen. Pack ein paar Sandwiches ein. Wenn ich zurückkomme, machen wir einen Ausflug.«