KAPITEL 10
Diesel rief am Mittag an und sagte, er habe Probleme. »Mein Boss will, dass ich nach einem Mann namens Sandman suche. Er ist einer von uns. Seine Spezialität besteht darin, Leute in Schlaf zu versetzen und sie dann auszurauben.«
»Einer von uns?«
»Das hat man mir zumindest gesagt. In unserem Verzeichnis wird er als mittelmäßiger Metallverbieger aufgeführt, aber anscheinend hat er mit dieser Einschläferungsgeschichte eine neue Fähigkeit entwickelt.«
»Es gibt ein Verzeichnis?«
»Ja. So habe ich auch dich gefunden. Viele Leute schlüpfen durch die Maschen, doch im Großen und Ganzen ist alles gut dokumentiert.«
»Wie?«, fragte ich.
»Ich weiß es nicht, und es ist mir auch egal. Ich mache nur meinen Job, und in zwanzig Jahren kann ich mich zur Ruhe setzen und mir eine Insel im Südpazifik kaufen.«
»Und wie geht’s jetzt weiter?«
»Keine Ahnung, ich kann den Kerl jedenfalls nicht finden«, erklärte Diesel. »Er ist nicht dort, wo er sein sollte. Nimm das Bild mit, wenn du nach Hause fährst. Ich melde mich später wieder bei dir.«
Ich räumte die Backstube auf, schob das Gemälde auf den Rücksitz meines Autos und fuhr nach Hause. Im Radio hörte ich, wie über einen Kunstdiebstahl berichtet wurde. Ein wertvoller van Gogh sei auf dreiste Weise am helllichten Tag aus einem Bostoner Haus gestohlen worden. Es gebe keine Zeugen. Der Besitzer selbst halte sich zurzeit in Übersee auf.
Ich fragte mich, wie so etwas passieren konnte … am helllichten Tag. Und dann begriff ich plötzlich, dass es um den van Gogh ging, der sich auf meinem Rücksitz befand. Gütiger Himmel, ich war diejenige, die diesen Diebstahl begangen hatte.
Mir wurde zuerst schwindlig und dann übel. Bleib ruhig, befahl ich mir. Keine Panik. Es ist nicht so schlimm, wie es sich anhört. Wir hatten das Gemälde nicht wirklich gestohlen, sondern es uns nur ausgeliehen. Wahrscheinlich würde ich fürs Ausborgen nicht mehr als zehn Jahre bekommen. Bei guter Führung würde ich vielleicht noch vor meinem vierzigsten Geburtstag wieder entlassen werden. Tief aus meiner Brust stieg ein Schluchzen nach oben, und ich stellte rasch den Sender mit Musik aus den Siebzigern ein.
Ich parkte vor meinem Haus und hastete mit dem Gemälde hinein, wobei ich sorgfältig darauf achtete, dass das Laken nicht verrutschte. Ich schloss die Tür hinter mir ab, trug das Bild nach oben und schob es unter mein Bett. Aus den Augen, aus dem Sinn. Aber so einfach war das nicht.
»Das ist ein schönes Schlamassel«, sagte ich zu Katerchen. »Was, wenn sie mich schnappen? Was soll ich dann sagen? Es tut mir leid, Euer Ehren, aber ich habe nur versucht, die Menschheit zu retten. Und dann erzähle ich dem Gericht, dass ich besondere Fähigkeiten habe und verzauberte Gegenstände erkennen kann. Nicht einmal ich glaube das.«
Ich setzte mich mit meinem Computer auf die Couch und suchte bei Google nach Charles Duane. Ich hielt ihn für einen Komponisten, da sein Name anscheinend mit den Noten auf dem Bild etwas zu tun hatte. Überrascht stellte ich fest, dass er von 1893 bis 1911 Pastor an der Old North Church gewesen war.
»Das hilft mir nicht weiter«, sagte ich zu Katerchen.
Es klingelte an der Tür, und mein Herzschlag beschleunigte sich. Ich spähte aus dem Fenster und rechnete beinahe damit, ein SWAT-Team vor der Tür zu sehen, aber es war nur Glo.
Ich ließ sie rein. »Warum bist du nicht in der Arbeit?«
»Clara meinte, ich sei heute zu nichts zu gebrauchen, also hat sie mir den Nachmittag freigegeben. Sie sagte, sie wolle nichts mehr über die Rettung der Welt hören, aber, meine Güte, das ist wirklich wichtig. Ich meine, es geht um die Welt. Und du wirst nie erraten, was ich herausgefunden habe. Charles Duane war Pastor an der Old North Church, also lass uns gehen.«
»Wohin? Zur Old North Church?«
»Ich bin sicher, dass wir dort weitere Hinweise finden werden«, erklärte Glo. »Meine Zauberkünste schlagen allmählich durch. Es würde mich nicht überraschen, wenn ich in der Kirche eine Vision haben würde. Möglicherweise kann ich uns dann den direkten Weg zu dem Luxuria-Stein weisen.«
Ich beauftragte Katerchen damit, das versteckte Gemälde zu bewachen, und eine Stunde später trafen wir an der Old North Church im Bostoner Stadtviertel North End ein. Das massive Backsteingebäude wirkt ein wenig klobig, und der Kirchturm sieht aus, als wäre er von Schweinchen Schlau gebaut worden. Der Gehsteig um das Gebäude und der Kirchenhof sind mit roten Ziegeln gepflastert, und auch alle anderen Bauten an der Salem Street bestehen aus Backstein. Die Straße ist so schmal, dass an den parkenden Autos höchstens ein Wagen vorbeikommt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befinden sich ein italienisches Café und ein T-Shirt-Laden für Touristen.
Ich war vor einigen Monaten den historischen Freedom Trail entlanggegangen und hatte dabei auch die Kirche besichtigt, also wusste ich ein bisschen etwas darüber. Erbaut im Jahr 1723. Es ist eine Episkopalkirche, in der sonntags Gottesdienste abgehalten werden. Sie gilt als nationales Kulturgut und ist an Wochentagen zugänglich für die Öffentlichkeit. Es gibt Führungen und einen Souvenirladen. Das Innere ist weiß gehalten und weist einige Verzierungen aus dunklem Holz auf. Über dem Mittelschiff hängen aufwändig gearbeitete Kronleuchter. Zu beiden Seiten befindet sich Kastengestühl, und auf der Empore steht eine Orgel.
»Ich war noch nie hier drin«, sagte Glo und schaute zu den Kronleuchtern hinauf. »Da ist alles so was von alt.«
Wir waren die einzigen Touristen in der Kirche. Glo spazierte herum und las die Inschriften der Gedenktafeln. Ich setzte mich auf eine der Kirchenbänke, lauschte der Stille und versuchte mir vorzustellen, wie es wohl vor zweihundert Jahren gewesen war, hier zu beten. Irgendjemand arbeitete auf der Empore. Ich hörte Schritte und hin und wieder ein Klirren.
»Die Kronleuchter und die Glocken wurden von England hierhergebracht«, sagte Glo im hinteren Teil der Kirche. »Ist das nicht cool?«
Ein Mann beugte sich über das Geländer der Empore und schaute zu Glo hinunter. »Sind Sie an den Glocken interessiert?«
»Ja«, erwiderte Glo. »Kann man sie noch läuten?«
»Wir läuten sie normalerweise vor dem Sonntagsgottesdienst. Und unter der Woche werden sie hin und wieder überprüft.«
»Wow«, staunte Glo. »Ich würde sie zu gerne einmal hören.«
»Ich bin einer der Glöckner«, erklärte er. »Wenn Sie am Sonntag wiederkommen, könnten wir anschließend vielleicht zusammen einen Kaffee trinken.«
»Klar«, willigte Glo ein.
»Ich habe ein paar Fragen zu den Glocken«, warf ich ein.
»Geben Sie mir eine Minute Zeit zum Aufräumen. Ich komme gleich zu Ihnen hinunter.«
»Wie schaffst du es nur, dich ständig zu verabreden?«, fragte ich Glo. »Du bist wie ein Magnet, wenn es um Dates geht.«
»Ich bin eben süß«, erwiderte Glo. »Und ich glaube, dass es auch an meiner Zauberkraft liegt. Ich denke dann im Stillen: Meine Güte, ist der heiß. Mit dem möchte ich ausgehen. Und schon habe ich ein Date.«
Was ich von ihrer Zauberkraft halten sollte, wusste ich nicht so recht, aber Glo war wirklich süß, das musste ich ihr lassen. Ich war eher das nette Mädchen von nebenan, und das auf eine Weise, die anscheinend nicht zu Verabredungen verleitete. Glo war auf eine etwas skurrile, witzige Art süß, die sie offensichtlich zugänglich machte. In Wahrheit wünschte ich, ich wäre ein wenig mehr wie Glo, aber ich wäre mir wie ein Idiot vorgekommen, wenn ich ein pinkfarbenes Tutu, eine grün-schwarz gestreifte Strumpfhose und dazu Motorradstiefel getragen hätte.
Ich hörte, wie auf der Empore eine Tür geschlossen wurde. Der Glöckner schlenderte zu uns herüber. Er war um die zwanzig und wirkte mit seinen langen, schlaksigen Beinen und großen Füßen noch sehr jung. Sein sandfarbenes Haar war wahrscheinlich von einem Freund geschnitten worden.
»Josh Sidwell«, stellte er sich vor und streckte seine Hand aus.
»Lizzy Tucker.« Ich schüttelte ihm die Hand.
Glo streckte ebenfalls die Hand aus und lächelte. »Gloria Binkly. Ich bin noch nie mit jemandem ausgegangen, der Josh hieß. Also bin ich in dieser Hinsicht noch jungfräulich, sozusagen.«
»Oh, Mann, ich fühle mich geehrt«, sagte Josh.
»Wie sind Sie Glöckner geworden?«, erkundigte ich mich.
»Ich bin Mitglied der Gilde der Glöckner am MIT.«
»Wow, ein Student«, stieß Glo hervor. »Ich wette, Sie sind noch nie verhaftet worden.«
»Ich bin einmal beim Haschischrauchen erwischt worden, aber ich war noch nicht volljährig und wurde deshalb nicht angeklagt.«
»Noch besser«, meinte Glo.
»Erzählen Sie mir etwas über die Glocken«, bat ich Josh.
»Es gibt acht Stück. Sie wurden 1744 in Gloucester, England, gegossen und 1745 hier in Old North aufgehängt. 1894 und 1975 wurden sie restauriert.«
»Ist es möglich, ein Lied auf ihnen zu spielen?«
»Ich nehme es an, aber eigentlich sind sie nicht dafür gemacht. Es sind Tonglocken. Wir haben bestimmte Abfolgen, die wir auf ihnen spielen«, erklärte John. »Das ist ein komplizierter Vorgang.«
»Ich bin ein wenig verwirrt«, sagte ich. »Ich dachte, es gäbe neun Glocken.«
»Nein«, erwiderte er. »Vom ersten Tag an gab es nur acht Stück. Vielleicht denken Sie dabei an die Duane-Glocke. Charles Duane war hier Pastor. Er war der Erste, der die Glocken restaurieren ließ. Und er hat sich eine kleine Nachbildung anfertigen lassen und darum gebeten, dass ihm diese Glocke mit ins Grab gegeben würde. Manchmal bezeichnet man diese Replik als neunte Glocke.«
»Wo wurde er bestattet?«
»Hier«, antwortete Josh. »In der Krypta der Kirche befinden sich siebenunddreißig Grüfte. Über elfhundert Menschen wurden dort bestattet.«
»Das ist eine ganze Menge«, staunte Glo.
»Man kann an einer Führung teilnehmen«, erklärte Josh. »Das ist sehr beeindruckend. Für Charles Duane wurde eine Gedenktafel erstellt. Nicht alle haben das.«
»Ist es gruslig dort unten?«, fragte Glo. »Gibt es Geister?«
»Mir sind keine begegnet. Und es war auch nicht gruselig, allerdings ist es so eng, dass man leicht Platzangst bekommen kann.«
»Danke«, sagte ich zu Josh. »Sie haben uns sehr geholfen.«
»Sind Sie auf dem Freedom Trail unterwegs?«
»Nein«, erwiderte Glo. »Wir wollen die Menschheit retten.«
»Ausgezeichnet«, meinte Josh. »Dann bis Sonntag.«
»Ein Traum von einem Mann«, schwärmte Glo, als wir zu meinem Auto zurückgekehrt waren. »Er könnte der Kerl sein, nach dem ich suche. Er spricht Englisch. Ich habe ein gutes Gefühl bei ihm.«
Wir verließen North End und reihten uns auf der 1A in den Stoßverkehr ein. Die 1A ist nie zu empfehlen, aber während des Berufsverkehrs ist sie eine Qual. Als wir endlich Marblehead erreichten, war ich kurz vor dem Verhungern, und mein Rücken war total verkrampft.
»Erinnere mich daran, dass ich das nie wieder tue«, sagte ich zu Glo.
»Wenn wir den Besen dazu bringen könnten, mit uns zusammenzuarbeiten, dann könnten wir fliegen«, meinte Glo. »Dann bräuchten wir uns nicht mehr über den Verkehr aufregen. Harry Potter musste sich nie Gedanken über Staus machen.«
»Dir ist schon klar, dass es Harry Potter nicht gibt, oder?«
»Natürlich, aber es könnte ihn geben. Ich meine, nicht Harry Potter, aber jemanden wie ihn. Wer weiß das schon?«
Glo hatte ihren Wagen vor meinem Haus abgestellt, und ich parkte hinter ihr.
»Du hast dein Auto richten lassen«, stellte ich fest.
»Mein Nachbar hat es repariert. Ich bin einmal mit ihm ausgegangen, aber es hat nicht funktioniert.«
»Wurde er mit einer Nagelpistole angeschossen?«
»Nein. Er hat entdeckt, dass er schwul ist. Er sagte, es sei nicht meine Schuld, aber ich bin mir da nicht so sicher.«
Wir gingen ins Haus, und ich durchsuchte den Kühlschrank nach etwas Essbarem. Nur Ausschussware aus der Bäckerei. Missglückte Fleischpasteten und altbackene Cupcakes. Glo hatte gerade eine halbe Fleischpastete verdrückt und ein Bier dazu getrunken, als die Hintertür aufflog und Hatchet mit gezogenem Schwert in die Küche sprang.
»Niederträchtige Frauenzimmer«, stieß er hervor. »Aus dem Weg, während ich diese Burg durchsuche.«
»Was meinst du mit Burg?«, fragte Glo.
»Ihr habt Eure Fenster verdunkelt«, wandte sich Hatchet an mich. »Ihr verbergt etwas, und das will ich haben.«
»Komm runter, Mann«, warf Glo ein. »Nimm dir eine Fleischpastete.«
»Ich werde mich nicht von Eurer Fleischpastete ablenken lassen«, erwiderte Hatchet. »Ich will den Hinweis haben.«
»Hör mal zu«, sagte Glo. »Du bist irgendwie ganz niedlich. Dieses mittelalterliche Getue gefällt mir – es macht mich sogar ein wenig an. Ich meine, ich habe zwar heute diesen anderen Typen kennengelernt, und er könnte der Richtige sein, aber möglicherweise kämst du auch infrage. Allerdings müsstest du dir diese herrschsüchtige Art abgewöhnen.«
Hatchet ließ sein Schwert sinken. »Ihr haltet mich für herrschsüchtig?«
»Vielleicht bist du ja nur hungrig«, meinte Glo. »Gibt Wulf dir genug zu essen? Iss eine Fleischpastete, während ich mein Buch hole. Ich habe gestern Abend über dich nachgedacht und einen Zauberspruch gefunden, der dir helfen könnte.«
Glo zog Ripple’s Zauberbuch aus ihrer Leinentasche, legte es auf die Arbeitsplatte und blätterte darin.
Hatchet warf einen Blick auf die Fleischpasteten. »Habt Ihr eine mit Schinken und Käse?«
Ich reichte ihm ein Stück Küchenpapier und eine Fleischpastete mit Schinken. »Willst du ein Bier?«
»Ja. Ein Humpen voll Ale wäre nicht schlecht.«
»Wie wäre es mit einer Flasche?«
»Wie auch immer«, meinte Hatchet.
»Hier ist es. Ich habe es gefunden«, verkündete Glo. »Es ist ein Zauber von mittlerer Stärke, der das Selbstwertgefühl steigert. Du wirst dich Wulf gegenüber nicht mehr untertänig fühlen, wenn ich dich mit diesem Zauber belegt habe.«
»Aber es ist meine Bestimmung, untertänig zu sein«, wandte Hatchet ein.
»Piggle wiggle, kleiner Pipimann«, las Glo vor.
»Ich habe keinen kleinen Pipimann«, protestierte Hatchet. »Das ist nicht wahr. Und eine Beleidigung für meinen Pipimann.«
Glo fuhr die Zeile mit ihrem Finger nach. »Lass die Gedanken schweifen, wenn Ärger droht, du am Zaudern bist oder Zweifel dich überfällt. Lass einen fahren, und befreie dich von allem Übel in dir.« Glo griff in ihre Tasche und zog eine kleine Plastiktüte mit ein wenig schwarzem Pulver heraus. Sie bestreute Hatchet mit dem Pulver und klatschte zweimal in die Hände. »Pulverisierte Fluchbeere, um den Spruch zu besiegeln«, erklärte sie.
Hatchet nieste und furzte. »Entschuldigung. Ich habe die Fluchbeere in die Nase bekommen«, sagte er und pupste noch einmal.
»Bist du sicher, dass du das richtig vorgelesen hast?«, fragte ich Glo. »Das hörte sich eher nach einem Zauberspruch für Verdauungsbeschwerden als für Probleme mit dem Selbstbewusstsein an.«
»Ich bin sogar mit dem Finger über die Zeile gefahren«, verteidigte sich Glo.
Ich überflog den Spruch, den sie soeben vorgelesen hatte. »Ich glaube, du hast versehentlich ein Wort geändert. Du hast ›Lass einen fahren‹ gesagt, es heißt aber ›Lass dich fahren‹.«
»Bist du sicher?«
»Ziemlich sicher.«
Pfffr. Hatchet furzte wieder.
»Vielleicht solltest du den Zauber zurücknehmen«, meinte ich. »Und es noch einmal richtig sagen.«
»So einfach ist das nicht. Dazu muss ich erst den Furzzauber finden und dann nach dem Gegenzauber suchen. Und außerdem war das der Rest des Fluchbeerenpulvers. Ohne Fluchbeeren wirkt der Zauber nicht.«
Hatchet aß seine Fleischpastete auf. »Ich danke Euch für diese schmackhafte Pastete«, sagte er. Bbbrrp.
»Meine Güte«, stöhnte Glo. »Du musst das Haus verlassen. Mir tränen schon die Augen.«
»Ja, und ich habe keine Hinweise«, erklärte ich ihm. »Die sind mir leider gerade ausgegangen.«
»Ich glaube, Ihr lügt mich an«, meinte Hatchet. »Aber ich werde mich nun empfehlen, da dieses bösartige Weibsbild mich verflucht und mir üble Blähungen angehext hat.«
Hatchet rauschte mit seinem Schwert in der Hand zur Tür hinaus. Ich schloss hinter ihm ab, und Glo entzündete ein Streichholz.
»Bevor er zu furzen anfing, fand ich ihn netter«, bemerkte sie.
Ich aß eine Fleischpastete und schob mir dann einen Mini-Cupcake mit Erdbeerfüllung in den Mund. »Ich schätze, wir werden Diesel in die Krypta schicken müssen, um nach der neunten Glocke zu suchen.«
»Vielleicht befindet sich der Luxuria-Stein auch dort. Das wäre cool, denn dann müssten wir uns keine Sorgen wegen der Hölle mehr machen. Wir könnten ein Fass aufmachen und feiern.«
Als ich mir einen zweiten Cupcake nahm, kam Carl in die Küche getrippelt, gefolgt von Diesel.
»Wie geht’s, kleiner Mann?«, sagte Glo zu Carl.
»Iih«, erwiderte Carl und zeigte ihr den Stinkefinger.
Diesel ging zum Kühlschrank und holte sich ein Bier heraus. »Das war’s dann wohl für heute.«
Ich gab Carl eine Fleischpastete und schob den Rest zu Diesel hinüber. »Hast du deinen Bösewicht nicht gefunden?«
»Der Kerl ist sechsundachtzig und macht mich lächerlich. Und ich glaube, dass er das nicht einmal mit Absicht tut. Er ist so alt, dass er keine Spuren hinterlässt. Ich kann ihn nicht aufspüren. Er folgt keinem Muster. Und ich glaube, er schläft nie. Er streift ziellos umher und richtet Chaos an.« Er nahm sich eine Pastete. »Was habt ihr gemacht?«
»Wir haben den Hinweis gefunden, der uns zu dem Luxuria-Stein führen wird«, berichtete Glo. »Und ich habe einen wirklich süßen Kerl kennengelernt.«
Diesel zog kaum merklich eine Augenbraue nach oben und warf mir einen Blick zu.
»Es hat sich herausgestellt, dass Glo die verborgene Botschaft auf dem Gemälde sehen kann.«
»Ich bin etwas Besonderes«, betonte Glo. »Ich trage Hoffnung in mir, und ich werde die wahre Liebe finden.«
»Neben der Botschaft waren neun nummerierte Glocken zu sehen. Und der Name eines Mannes«, informierte ich Diesel.
»Charles Duane«, ergänzte Glo. »Wir haben ihn gegoogelt und herausgefunden, dass er vor langer Zeit Pastor an der Old North Church war. Also sind wir zu der Kirche gefahren, und ich habe mich mit dem Glöckner verabredet. Und wir waren nur ganz kurz davor, die Welt zu retten.«
Diesel lehnte sich gegen den Küchenschrank und aß seine Pastete. »Ich habe das Gefühl, dass in der Mitte noch etwas fehlt.«
»Es gibt acht Glocken im Glockenturm der Old North Church«, erklärte ich. »Auf dem Gemälde sind jedoch neun Glocken zu sehen. Wie wir erfuhren, hat Charles Duane verfügt, mit einer kleinen Nachbildung begraben zu werden, die manchmal als die neunte Glocke bezeichnet wird.«
»Ich wette, auf der Glocke befindet sich eine geheime Botschaft, so wie auf dem Bild«, meinte Glo. »Oder noch besser – vielleicht ist der Luxuria-Stein mit der Glocke und Charlie dort begraben worden.«
Diesel aß seine Pastete auf und nahm sich einen Schokoladen-Cupcake. »Das perfekte Ende eines perfekten Tages … Ich muss einen Grabraub begehen. Kann es noch besser werden?«
»Die Kirche ist jetzt sicher abgesperrt«, meinte ich. »Und dort gibt es bestimmt ein Alarmsystem. Beim letzten Mal warst du nicht sehr erfolgreich beim Ausschalten einer Alarmanlage. Vielleicht wäre es besser, sich dort bei Tag umzuschauen, wenn der Alarm abgestellt ist. Glo und ich können die Leute von der Treppe zur Krypta ablenken.«
»Wie soll ich eine Glocke in meinen Wagen schaffen?«, fragte Diesel.
»Vielleicht passt sie sogar in einen Rucksack.«
Ich konnte es kaum fassen, dass ich gerade dabei war, einen Plan zu schmieden, um die Glocke zu stehlen. Noch vor einer Stunde wäre ich in blinder Panik beinahe von der Straße abgekommen, als ich an das gestohlene Gemälde gedacht hatte.
»Das klingt gut«, sagte Diesel. »Ich habe nichts dagegen, die Sache zu verschieben. Die Bruins spielen heute Abend nämlich wieder.«
Diesel ist äußerst raumgreifend. Er ist zwar ein überraschend ruhiger Gast, aber seine Energie durchdringt jeden Winkel. Das Haus fühlt sich maskulin und sicher an, obwohl Diesel wahrscheinlich in Wahrheit Gefahren eher anzieht, als dass er sie abwehrt. Ich fühle mich jedenfalls gezwungen, ihn in seine eigene Wohnung zurückzuscheuchen, obwohl ich ihn eigentlich ganz gern hier bei mir habe. Das ist die beunruhigende Realität.