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Ich weiß, wo sie ist.
Sie ist bei dem Mönch - Budha Ratnor ist sein Name -, und der lehrt sie schlimme Dinge.
Es gibt dort eine Höhle, ich weiß nicht, ob er selbst darin wohnt, wahrscheinlich nicht, wahrscheinlich wohnt er feudal in einem der Lehmpaläste am Fluß; dem Volk aber zeigt er sich in der Höhle, und dort gehen schlimme Dinge vor. Ich weiß von dem Lingam, der so groß ist, daß ihn zwei Männer nicht umfassen können, über und über mit einer Paste bedeckt, die aus der «Feuchte» von Weibern gemacht ist. Na ja, so spricht man.
Das Glück, das keines mehr ist. Also hört die Geschichte von Gautama - das bin ich - und Sita, der Schönhüftigen. Ich habe ein Tuch und ein Messer mit mir genommen und mich auf den geschlängelten Weg gemacht, der vorgezeichnet ist, so wie er verläuft: neben den langen Sanddünen, etwas zurückgesetzt, den Kämmen und Mulden folgend. Während die gellenden Obertöne, die scharfen Rasseln über den dunkleren Pauken lauter werden, je näher ich komme. Je weiter ich dorthin gehe, von wo ich nicht zurückkehren werde.
Oh, ich hätte wegsehen können, ich hätte mir ein blindes Auge oder sogar zwei leisten können, so wie die Männer im Dorf. Der Krishnu, mein Freund, der das Gute sieht, oder Ramesh, mein anderer Freund, der zwar nicht das Gute, aber vieles Heilige sieht. Ich selber, mit meinen zwei Augen, bin da anscheinend von der falschen Sehfähigkeit geschlagen.

Anscheinend will niemand wissen, wohin die Weiber gehen. Man dreht sich um und blickt gut und heilig in die andere Richtung, da ja womöglich - was weiß ich - das alles gut und heilig ist, so wie wir es gelernt haben. Als der Mann zum ersten Mal das Dorf betrat, sah ich gleich seinen Lingam, nicht daß man ihn offen sehen konnte oder daß er sich unter dem gelben Tuch auch nur abzeichnete, aber er schob ihn wie ein Gebot vor sich her.

Niemand wußte, woher der Mann stammte, plötzlich war er da, ging wie selbstverständlich in seinem Tuch durchs Dorf, verschwand, tauchte am anderen Ende wieder auf, und es gab keinen Zweifel, er war vom Atem erfüllt, vom Bramah, - das konnte selbst ich sehen, der ich doch an seinen Lingam unter dem gelben Tuch dachte. Budha Ratnor nannte er sich, ein Selbsterwählter war er. Sein Gesicht! Ich glaube, daran habe ich ihn erkannt, an zwei gnadenlosen Falten, die von den Augen zu den Mundwinkeln liefen.
«Was macht er mit euren Weibern!»
Ja, was machte er mit den Weibern, die wie verrückt in die Höhle liefen und aufgeweicht wieder herauskamen, und das meine ich wörtlich: Sie hatten diesen teigigen Ausdruck im Gesicht, aber sie waren auch naß in ihren Saris, so als ob sie dort eine Wasserkur machten.
Ich muß dazu etwas weiter ausholen, damit man den Ort sehen kann. Diese Höhle am Ende des Dorfes war von jeher von Mönchen bewohnt, die Rameshwaram-Höhle. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich den dunklen Eingang, flankiert von zwei aus dem Sandstein geschlagenen Elefanten, rötlich riesig aus der Felswand tretend, ich sehe ihn deutlich vor mir, denn er heißt: Kindheit. Dort hatten wir bei Mittagshitze im Schatten der Bäuche gesessen, hatten auf dem Kopf der Elefanten gestanden und vor den Mädchen gekräht, hatten zwischen den Säulenbeinen Räuber und Radj gespielt - wahrscheinlich sehr laut -aber niemals (!) hatten wir die schwarze Höhlung des Eingangs betreten. Wenn es hinter der Schattenlinie kühl wurde, blieben wir Kinder stehen: Drinnen war es dunkel. Dort saß die dunkle Dame mit den sechs Armen, nicht böse, aber stark, sehr stark, so hatten wir es gelernt.

Ab und zu kamen gelbe Mönche heraus, um ihr Essen im Dorf einzusammeln, gingen wieder hinein. Sie fürchteten sich nicht, sie wohnten dort. Aber dann waren die Mönche weitergezogen oder gestorben, oder waren einfach fortgeblieben, jedenfalls kamen sie nicht mehr heraus. Ein geschlossener Mund.

Jetzt hole ich noch weiter aus. Mönche heutzutage sind keine Mönche mehr, sie predigen niedere Dinge. Die alten Mönche waren gut, es kann sein, daß ich altmodisch bin und keine Sicht habe, aber die neuen sind schlecht, sie predigen das, was sie mit den Händen anfassen. Fangen ganz unten an, indem sie die Löcher verschließen, damit der Atem, wie sie sagen, der Bramah durch die fünf Chakras nach oben steigen kann: Von der Mondgrube zum Sonnengeflecht, zur Herzkammer, hinauf zu Stirn und Scheitel, und von dort, man staune, direkt in den Himmel. So machen sie es, habe ich mir sagen lassen, benutzen dazu die rechte Hand wie einen Streichpinsel, mit der anderen zeigen sie nach oben.
Aber der Mann hatte auch mich gleich erkannt, das weiß ich. Gleich als er mir zum ersten Mal im Dorf entgegenkam und seinen gelben Lingam vor sich herschob. Wahrscheinlich hatte auch er zwei strenge Linien in meinem Gesicht entdeckt. Jedenfalls begegneten wir uns blicklos, ja, aber mit dem Blick aus der Seite heraus.
«Er kann dich nicht leiden», sagten meine Freunde.
«Ich kann ihn auch nicht leiden.»
Dazu wiegte Freund Krishnu bedenklich den Kopf.
Mein Freund Ramesh ebenfalls.
Der Mann, der Mönch - Ratnor heißt er, erwähnte ich das? - schreitet durchs Dorf wie ein Besitzer, teilt rechts und links Segen aus, indem er die Hände zummenlegt, und was soll ich sagen, sie bringen ihm sogar das Essen - er braucht es nicht einzusammeln -, obwohl er es nicht nötig hat, sicherlich speist er unten am Fluß in seinem Lehmpalast vom Feinsten, Chapatis, Goldbrot und Fisch. Wenn ich es mir überlege, kennt mein Haß keine Grenzen, einmal hatte ich ihn mit meiner Frau gesehen, quer über den Platz gehend, und die Erde tat sich auf. Sita, die Schönhüftige, einen halben Schritt hinter ihm, hinter einem Satz hergehend, den er wohl gerade ausgesprochen hatte. Obwohl sich immer die Erde auftut, wenn ich Sita sehe, heute noch.

Zugegeben, er. ist ein schöner Mann mit seinem langen pferdeähnlichen Kopf und seinem festen Mund. Das Gesicht trägt er rasiert, das Haupthaar lang, gold und schwarzsilbern mit leicht aufgeringelten Endspitzen. Wahrscheinlich parfümiert. Die Kleidung entspricht den gelben Mönchen, seine Tücher jedoch sind aus Seide und fallen deshalb in reicheren Falten, auch ist sein Gelb subtiler, tiefer, safranartig. Ein schöner Mann, ein Hengst mit einem Hengstkopf, aber ich sehe - wohl als einziger - die abgrundtiefen Furchen von den Augenwinkeln bis zum Mund.

«Er bringt einen bösen Samen.»
«Er bringt keinen bösen Samen», widersprechen die Freunde Ramesh und Krishnu.
«Zwischen die Schenkel eurer Weiber.»
Damit errege ich aber nur Unwillen, denn so spricht man nicht von einem heiligen Mann. Außerdem bringt er den Samen auch zu den Männern und die sind ganz versessen darauf, laufen breitbeinig durchs Dorf und warten auf ihren Tag in der Woche. Frühmorgens, wenn sie am Meer alle in einer Reihe hocken, um das Morgengeschäft zu verrichten, öffnen sie ihr Gemüt und sprechen von nichts anderem. Ich gehe seitdem nicht mehr ins Dorf, weil ich keine Freunde mehr habe.
«Du bist schrecklich», sagt meine Frau zu mir.
Ich bin durchaus nicht schrecklich, ich bin heillos altmodisch vielleicht, und eigen, aber dazu muß ich noch weiter ausholen, damit man weiß, wovon ich spreche. In meiner Jugend lehrten sie uns den rechten Weg, und das war Enthaltsamkeit, das war Maß, die Zuwendung zu höheren Plätzen, die einzunehmen man sich bemühen sollte, und wodurch? Durch Enthaltsamkeit und Maß, das haben sie uns beigebracht. Ich bin nie ein Asket gewesen, obwohl auch das von mir erwartet wurde - sich innerhalb der eigenen Haut zurückzuziehen, ganz selbst zu werden, ganz «Sein» oder besser noch «Nichtsein». Das hat mir nie so recht eingeleuchtet. Nein.

Ich bin ein Mann des Schaffens, und ich schaffe mit meinen Händen, die ich deutlich vor mir sehe - also werden sie wohl vorhanden sein -, mit denen ich den Ganesh mache und die anderen schönen Figuren, den Shiva und die Shakti und den Hanuman, wie er gerade den bösen Feind Shrinar, halb Baum, halb Schlange, mit dem Schwert erschlägt. Ich kann sehen, ich kann schmecken, ich kann fühlen. Und die Schönheit hat ihr Maß, das mich glücklich macht - Sita -, warum soll ich das leugnen.

Aber nun haben sie das Maß verdreht. Im Süden, in Ooti, in Madurai und anderen Orten haben sie die Tantra-Tempel gebaut. Es ist das Kundalini, das dort gepredigt wird, die Schlangenkraft, die Kraft, die wir unterhalb des Gürtels benutzen. Mann und Frau und beide zusammen.
Soweit leuchtet es ein, denn nichts anderes haben wir gemacht, die Sita und ich, und wenn ich es recht bedenke, ist es sogar heilig gewesen. In bestimmten Augenblicken, wenn sich die Welt umstülpt und wir die gemeinsame Fahrt beginnen, die Sita und ich, jedenfalls in eine Art Götterhimmel. So genau in Worten kann ich das nicht ausdrücken, sie ist dann die Shakti, die alles unsichtbare Leben trägt, den Ozean des Unerfüllten, und ich bin der Shiva, der eintaucht, damit es sich erfüllt. Nur daß wir zu diesem Zweck keinen Budha Ratnor benötigen (wenn er überhaupt so heißt), der ins Dorf gekommen ist, als würde er es besitzen, das ist nicht ganz einzusehen.
Um zum höheren Sein zu gelangen.
Als ich eintrete, ist es draußen schon dunkel, die beiden Elefanten am Eingang auf ihren jetzt schwarzen Säulenbeinen sehen fast noch größer aus als früher, als sie so groß und rötlich in der Mittagshitze standen. Weiter hinten sind Schalen mit Öl aufgestellt, in denen Dochte brennen. Das schwere Gatter ist im Mittelteil offen, als würden noch weitere Besucher erwartet, es ist aber niemand zu sehen, und ich höre auch keine Fußtritte, nur das Rasseln vom Dorf und das entfernte Gellen, mit dem sie die Pilger wachhalten. Ich spüre diese aufgeheizten Steinplatten unter meinen Fußsohlen und ich weiß, daß hier im offenen Vorgewölbe die Sonne vier Stunden lang darauf gestanden hat, zum Gatter hin sind die Platten kühler, dort liegt immer der Schatten des oberen Gewölbes. Bis hierhin reicht der Weg, den ich so gut kenne. Bis hierhin und nicht weiter. Danach wird alles anders sein.


*


Die Yoni-Massage beansprucht die ganze rechte Hand, alle Finger: Der kleine ist in der Rosette verankert, drei Finger ruhen innerhalb der Yoni, während der Daumen die kleine Dolde streicht, aber kaum merklich oder überhaupt ganz unmerklich. Es wird stillgehalten. Ein leises Zittern vielleicht. Und es braucht Zeit, eine Menge Zeit, daß sich die Energie sammele, daß sich der Ozean fülle. Man nennt das «die Woge bereiten», und das geschieht in der Stille. Vielleicht ein ganz leises Kneten nach unendlich langer Zeit und auch erst, nachdem sich die goldenen, die Herz- und Hirnchakras gefüllt haben, die Bauchchakras sind schon voll. Es ist eine «Komm zu mir»-Bewegung der drei inneren Finger der rechten Hand, wobei der Handrücken nach unten (außen) gehalten wird, ein, ja, unmerkliches Streichen der zart gebuckelten Vorderseite der Scheide - das ist die geheime «Stelle» -, wo sich die Schlangenkraft auftut. Und es braucht Zeit, eine Menge Zeit. Ein leises Wogen, auf und ab, so wie der Atem geht. Auf und ab.

Woher ich das weiß? Ich weiß es.
Ich habe das Tuch um mich gewickelt, an der Hüfte fest geknotet und über die Schulter geschlungen, das Tuch ist blaßrot mit dunkelroten Streifen, es ist sehr schön. Meine rechte Schulter und der Arm sind frei. Hinter dem Gatter sind noch mehr Lichtschalen aufgestellt, nicht regelmäßig, nur hier und dort, aber insgesamt einen Weg weisend, eine Lichtstraße wie zu einem Fest, das auf Gäste wartet, und die Luft ist fettig vom verbrannten Öl.
Hier ist ein Gang, der etwas ansteigt und wieder abfällt, mit einem Knick nach zwanzig Schritt und einem weiteren nach vierzig. Die Öllichter an den Ecken sind so aufgestellt, daß sie nur den abgebogenen Teil beleuchten, und da sie auf dem Boden stehen, wird mein Schatten groß an die Decke geworfen. So tief bin ich noch nie eingedrungen, ich glaube auch nicht, daß es mir erlaubt ist. Nicht mir. Das Messer habe ich hinter den Knoten des Tuches gesteckt. Es ist ein Geschenk meines Onkels Babu zum sechzehnten Lebensjahr, ein Tokki-Messer in einer Scheide aus Holz, drei weinende Affen darstellend. Hatte ich es doch von jeher als albern empfunden, und jetzt soll es mein Leben beenden?

Bis sich der Gang weitet: Da ist er, steht da leibhaftig, eigentlich hatte ich es nicht ganz gegla ubt, daß er am Ende leibhaftig dastehen würde. «So hoch und groß und dick.» Da erweitert sich der Gang zu einer Höhlung, rund wie ein Topf, in der der Lingam aufrecht steht, als ob er darin gekocht werden sollte. Nun, es sind nicht gerade zwei Männer, die ihn kaum umfassen können, aber einer allein kann es ganz gewiß nicht. Gewaltig alt. Wie er da steht, aus schwarzer Bronze, bedeckt von armdickem Adergeflecht, gekrönt von einer riesigen Eichel, geformt wie ein Schirm und glänzend im Schein der Öllampen, triefend, wohl tausend Jahre alt. Oder mehr. Ich nehme an, daß er wie ein Berg dröhnen würde, schlüge man mit dem Hammer darauf.

– – –
Dahinter führt der Gang weiter ins Dunkle, ins Heiße, der Felsen wird schwerer hier, dichter, und der heiße Ölgeruch erhält einen Zusatz, etwas sämig Süßes, das sich wie Hanfstaub auf den Atem legt. Wie ein leidiger Übergriff. Was ist das, ich spüre, wenn ich jetzt eine Frau wäre, fühlte ich mich besamt, aber ich bin ein Mann und fühle es ebenso. Was ist das? Und dann höre ich das hich – hich – hich – haaaaah –, es öffnet sich ein Gewölbe weit und schwarz, so hoch, anscheinend bis unter die Bergkuppe reichend. Oben herrscht Nacht, hier unten ist der Boden strahlend hell von hundert Öllampen, jede für sich in einer flachen, in die Wand gehauenen Nische wie eine kleine
Gottheit im Schrein. Und das hich – hich – hich kenne ich auch. Es ist das Prana Apana, das Ein- und Ausatmen, das sie praktizieren, indem sie ruckartig die Luft einsaugen und dann, haaaaa, laut ausströmen lassen. Ich weiß nicht, ob es schön ist, aber das Vergnügen ist ja nicht das Ziel, sondern der Weg. Sagen sie.
Hich – hich – hich – – – – – – haaaaaah.
Dazu soll man auch den großen Dammuskel benutzen, der den unteren Ausgang des Menschen verschließt, wenn man den benutzt, sagen sie, wird das letzte Quentchen unreiner Luft ausgepreßt. Der allerletzte Rest. Da sitzen sie im Kreis und machen sich leer, pumpen, pumpen, bis sie alle platzen, aufrecht im Lotossitz. Das nennen sie Kapalabhathi (oder das, bei dem man heftig niesen muß).

Ich bin, um nicht entdeckt zu werden, sofort zurückgetreten, aber nun findet hinter dem Vorsprung anscheinend etwas Bedeutsames statt, dessen ich nicht teilhabe. Denn es herrscht plötzlich Stille, aber so vollständig und total, daß sie schon fast wieder hörbar ist. Ein Schauspiel? Eine heilige Handlung, eine grauenhafte Verwandlung? Sie heben die zusammengelegten Hände und glotzen, daß ihnen die Augen aus dem Kopf treten, und das sieht nicht sehr heilig aus. Ich weiß, mein Haß kennt keine Grenzen, aber ich sage, Kröten, die ihren Lurch absondern, hätten nicht unheiliger glotzen können als diese Gemeinde, die ich hiermit aus meinem Leben entferne.

Denn wie soll ich das überleben, was jetzt geschieht, als ich erneut um den Vorsprung schaue. Soll ich mich selbst entfernen aus meinem Leben - aus dem Ganzen vielleicht, Geburt und Tod und der Erinnerung daran, und das ist ja noch nicht einmal das Ganze, nach unseren Glauben. Als ich nun sehen muß, welch Bedeutsames sich am anderen Ende des Raumes abspielt:
Sita, die Schönhüftige, die Empfangende - denn das bedeutet der Name - sitzt oder liegt halbsitzend mit gespreizten Beinen auf der Matte und zeigt ihre Furche, ihre Yoni. Oh, sie tut das nicht halbherzig, soviel kann ich erkennen, sie spreizt sich mit aller Vehemenz, hat die Knie weit auseinandergenommen, hält sich in den Kniekehlen fest, so daß alle sie sehen können, und sie hat eine schöne Yoni. O ja, ihre Yoni ist wohlgebildet, ein ganz prächtiger Fruchtstock ist das. Soviel kann ich auch von meiner Ecke her erkennen - und habe es, wenn ich mich recht erinnere, schon ein wenig früher erkannt: Ein schwellendes, hingebendes Gebilde ist das. Eine Gotteslandschaft, auf und ab, und über die Hügel, ich habe sie in den schönsten Augenblicken begangen. Und nun begeht sie ein anderer.
Der hat sich im aufrechten Sitz neben ihr niedergelassen. Mit der einen Hand scheint er einen Strahlenkranz zu zeichnen, mit der anderen aber, der rechten, nähert er sich der Yoni. Handrücken nach unten, kleiner Finger abgespreizt, drei Finger gebogen, Daumen nach vorn. Sehr präzise und mit offenbar allergrößter Heiligkeit, denn ein Anhalten des Atems tritt nun allenthalben ein (selbst bei meiner Unwürdigkeit). Und das Glotzen, ich will nicht ungerecht sein, habe jeden Mann und jede Frau studiert, also, das Glotzen geschah wenigstens mit Schrecken!
Meine Sita saß auf der Handfläche eines Gottes. Im wirklichen und im metaphorischen Reitsitz. Ein für allemal.
*

Es gab für mich nur zwei Möglichkeiten. Ich hatte die Wahl, den Gott umzubringen oder aber die Sita, oder – – das war auch noch eine Möglichkeit – – mich selber.

Man stelle sich die heiße Stunde kurz nach Mittag vor, staubige, dicke, rote Luft liegt über der Straße, die menschenleer ist - um diese Zeit wird kein Mensch lustwandeln. Doch einer. Mit abwesenden schleppenden Schritten schlurft er zum Eingang des kleinen Bogwan Tempels. Wo er wie gewohnt, mit Wasserkaraffe und einer Schale Betel in ein offenes Gewölbe zurückgezogen, halb dösend nachmittägliche Audienz gewähren würde. Hauptsächlich für Frauen und Mädchen, mit zu langen Schamlippen vermutlich.
Eine Woche lang hatte ich seine Gewohnheiten studiert. War ihm auf die Dörfer gefolgt und mehrfach auf einen in der Nähe liegenden Markt, wo er jeweils bei einem Händler für Drogen und Gewürze verschwand und erst nach Stunden wieder herauskam.
Vorn standen Bottiche voll getrockneter Wurzeln, Samen, Viszeralien. Hinten ein Tunnel, wo dunkle Ballen sich stapelten und sich stundenlang Dunkles abspielte, offenbar. Ich folgte ihm auch zu einem braungelben Haus auf einem Hügel, aber das hatte schiere Mauern und wohl auch einen Wächter - ich sah einen bärtigen Mann oben auf der Hausecke kauern. Und ich folgte ihm zu einem Zahnreißer (den er jetzt nicht mehr braucht).
Das alles nur aus gehöriger Entfernung, ich glaube nicht, daß er meine Anwesenheit bemerkte. Oder doch?

Jetzt ist es ruhig im Ort. Man hört die Sandpartikel, die in der Hitze von den Mauern abbröseln, und man hört den Schatten der drei großen Bäume, er atmet. Der Bogwan Tempel ist ein Relikt aus ganz alter Zeit. Mehr oder weniger nur ein ummauerter Hof, in dem sieben Sandsteinfelsen liegen, jeder für sich, wie von Riesenhand in das Geviert des Hofes gelegt - aber wahrscheinlich waren die Steine zuerst da, und die Mauer wurde herumgebaut. Doch Wunder! Jeder Stein wurde in ganz alter Zeit auf das kunstvollste gemeißelt und ausgehöhlt, jeder ein Tempelchen für sich, einer mit vier Ecktürmchen, einer mit sandsteinernem Baldachin, einer wie eine kleine Stufenpyramide, nicht höher als zwei Mann, die aufeinanderstellen. Und den ausgehöhlten Elefanten nicht zu vergessen, der auch nicht fehlt. Es ist dies, möchte ich behaupten, der friedlichste, besinnlichste und zugleich einfältigste Platz im ganzen Land, ein Spielzeugzimmer der Götter, und wer anderes als ein Bösewicht könnte hier Böses vollbringen wollen.

Ich hätte auch eine andere der drei Möglichkeiten wählen können. Denn ich weiß, daß alle drei in denselben schwarzen Raum münden, meine Sita werde ich nicht zurückerhalten und mich selbst auch nicht. Das ist gewiß.
Man hält das Messer nicht wie eine Hacke und auch nicht wie einen Hammer. Man hält es wie eine Lanze mit imaginärer, auf den Zwischenraum der vierten und fünften Rippe gerichteter Spitze. Leicht mit Daumen und Zeigefinger am Blatt. Warum ich mich dazu entschlossen habe? Vielleicht weil es meiner Natur entspricht, ich kann kein Tier töten, ich kann noch nicht einmal einen Baum absägen und zu Tode bringen. Aber ich kann Budha Ratnor töten, und nur ihn, wenn ich drei Möglichkeiten der Verdammnis zur Auswahl habe.
Er schlurft den trockenen, unbewachsenen Verbindungsweg zum Tempeleingang entlang, und hier am Weg halte ich mich hinter einem Steinquader verborgen, trete, sobald er an mir vorüber ist - in seinem hängenden gelben Tuch, in dem sich der entsetzlich hängende Lingam abzeichnet -, trete hinter ihm auf den Weg. So daß er meine Schritte hören kann.
So daß er – – – ich weiß, er hört sie, und er weiß auch, was sie bedeuten, geht trotzdem nicht schneller, eher langsamer, schlurft eher noch gebeugter, läßt Schultern, Genitalien und sein gelbes Tuch eher noch länger hängen. So daß das Schicksal sich erfüllen kann.
Ja, aber nicht für Budha Ratnor!

Der schnellt, als ich ihn einhole und überhole - und im Überholen ihm das Messer seitlich zwischen die vierte und fünfte Rippe stecke - überaus drahtig herum, grell und auf der Stelle präsent, dreht sich wie eine Drahtkatze, ein Messerkämpfer. Denn wie hätte er sonst die elf Attacken überlebt, die ihm im Laufe seiner Heiligkeit von elf gehörnten Ehemännern bereitet waren, denn diese elf waren alle tot. Und was ich für einen Lingam unter dem Tuch gehalten hatte, ist in Wahrheit ein langer gebogener Dolch, den er wie von ungefähr in der Hand hält. Nicht wie eine Hacke und auch nicht wie einen Hammer, er hält ihn waagrecht in Bauchhöhe, er will schneiden, die Eingeweide aufschneiden, nicht stechen! Ein Sichelwagen! Im Drehschwung! Auf einem geraden sandigen Wegstück.

Aber da hat er es schon zwischen den Rippen (da steckt das Messer), und das alles geschieht gleichzeitig im Überholen, nur daß ich eben ein wenig schneller als die anderen elf Ehemänner überholt hatte.