10




Die Verführung erster Klasse beginnt mit dem Eintritt ins Haus, Gudrunstraße sieben.
Am Tage hat es ein durchaus schönes Entree, oval, moosgrün ausgeschlagen, mit einer in sanftem Bogen nach oben ziehenden Mahagonitreppe, durchaus nobel. Aber nachts! Nachts verwandelt es sich, dank einer ausgeklügelten Beleuchtung, in eine üppige, goldgrüne Grotte. Überall habe ich verborgene Lichtquellen angebracht, hier eine holländische Landschaft beleuchtend, dort einen Hummer mit Lorbeerblatt, dort eine auf dem Boden stehende Tungvase - eine der großen blauweißen mit dem Tonring, von denen ich vier besitze.
Ich habe sie genau berechnet, die beleuchteten Buchrücken, sechs Meter Goldschnitt, und die beleuchteten Samurai-Rüstungen - eine auf dem mittleren Treppenabsatz, eine auf dem oberen, den Besucher nach oben führend. Oben das Bad ist ganz und gar in Bernstein gehalten «amber», mit einem weißen Marmorfußboden, seinerseits beleuchtet. Dazu die Anordnung der Halogenlämpchen, die auch das letzte Fältchen beseitigen, falls sich jemand das Näschen pudern möchte. Keine Dame sieht dort älter aus als zwanzig und verhält sich auch so.

Vorerst befinden wir uns aber noch in der unteren Etage, wo ich hinter dem Entree in einer Barecke meine Spezialitäten Margueritas, Coco Batidas, Caipirinhas kredenze - mit Blick in das intime Speisezimmer: Kerzen, schwarzes Geschirr, aubergine-farbene Servietten auf der Mahagoniplatte, sehr intim. Und über allem, kaum merklich, eine leise pochende Musik. Oh, die ist sorgfältig berechnet, etwas Brasilianisches vielleicht - ich habe da einen Bossanova auf Lager, einen heißen Pulsschlag mit Tropenvögeln im Hintergrund. Und was die Atmosphäre angeht, ziehe ich den nach meinem Geschmack zu süßlichen indischen Räucherstäbchen die intelligenteren chinesischen vor. Das heißt, in diesem Fall, nach reiferlicher Überlegung verzichte ich ganz darauf, zerstäube statt dessen ein wenig «Calêche», ein wenig Lederpolster aus der Epoche - es ist wichtig, daß es nicht mit dem Menü kollidiert.

Also, das Menü nehme ich ernst. Ich koche selbst, und ich koche sehr gut, habe da ein paar Grundregeln, zunächst: Es gibt wenig, die Dame nicht vollfüllen! Eher noch etwas Platz für ein Himbeerröllchen lassen. Kreolische Gumbosuppe zum Beispiel koche ich vorzüglich, mit Okra. Muß aber auf den Partner abgestimmt sein.
Heute will ich mit Kaviar beginnen. Hört sich zwar wie ein Gemeinplatz an, aber, sagen wir, zwei Sorten auf frisch gemachten Blinis mit etwas Creme fraiche und Zitrone, dazu ein Chablis als Auftakt ist zumindest nicht falsch. Geeiste Cerviche, Hummercreme? Auch gut. Doch meine Erfahrung sagt: Kaviar.
Als hors d’œuvre hätte ich die Wahl zwischen Wildpastete Robert, Smörebröd Olaf oder winzigen Brüsseler Medaillons in Aspik, oder ich lasse sie weg, vielleicht zu schwer. Lieber eine leichte Suppe: Wie gesagt, Gumbo wäre nicht schlecht, ich halte sie immer vorrätig, für Juliane aber werde ich eine leichte Krebsbrühe machen, mit murmelgroßen Hechtklößchen - ich darf nicht vergessen, daß sie sonst ausschließlich von Körnern lebt.
Danach denke ich an Schwertfisch. In einer raffinierten OrangenRosinen-Sauce vielleicht. Und als Hauptgang: Wildente Amersfort, da bin ich mir sicher! Die mache ich ganz phantastisch, sie ist gefüllt mit Malagatrüffel und hat eine Sauce von halbsüßem Schlagrahm, Zitrone, Wacholder, Ingwer und Pfeffer. Dazu trinkt man einen Lafitte (trotz des Pfeffers, oder gerade deshalb).
Es ist phantastisch.
Ich habe es mir lange überlegt. Ehrlich gesagt, bin ich dann doch nicht dazu gekommen, selber zu kochen. Habe statt dessen ein kleines Menü (Nr. 6) aus dem «Ganymed» herüberschicken lassen, ich weiß nicht mehr genau, was es war. War aber auch nicht schlecht.

Den Nachtisch hatte ich übrigens wirklich selber bereitet: Kainak - das sind gedünstete Quitten in einem Rosensirup (kann man fertig bei Schlotthammer kaufen), dazu hatte ich hauchzart geschnittene, sechs Wochen in Cognac eingelegte Ingwerwurzel gegeben.

Auch phantastisch.
Das Essen gestaltete sich dann entsprechend anregend und, wenn man will, aufregend. Juliane war in einer tangofarbenen dünnen Samtbluse erschienen, die hinten ganz tief ausgeschnitten war, dazu trug sie einen langen schwarzen Rock, mehr ein Chiffontuch, mit einem schräg verlaufenden Schlitz bis zum Knie, sehr verführerisch, irgendwie überlappend. Ich versuchte aber, jede grobe Berührung zu vermeiden, auch wenn ich nicht umhin konnte, die Glätte des Materials zu bewundern, ich meine, es fühlte sich gut an. Geleitete die Dame sodann mit einigen Schwüngen durch die Gemächer. Ohne gröblich anzufassen, wohlgemerkt. Mehr locker tänzerisch, nachdem wir ein, zwei, wie soll ich sagen, gehaltvolle Caipirinhas an der Bar genossen hatten (mache ich sehr gut), und das alles zum dahinpochenden, lispelnden «Desafinado». Man versteht schon. Zufällig entdecke ich mich einmal im Spiegel, wie ich mich gerade über sie beuge, und entdecke dieses Gesicht. Also ich habe es sofort zurückgenommen (dieses Gesicht). Der Spiegel war so raffiniert angebracht, daß er die eine Barhälfte um die andere verlängerte, «… desafinado saudade vem correndo…»
So schritten wir zu Tisch. ….
Essen ist eine sinnliche Tätigkeit. Es sind die tätigen Reiz- und Bitterstoffe, die Artischocken, Rucola, Sellerie, Chicoree, aber auch die Meeresprodukte, Muscheln, Krusten- und Schalentiere, die hier erotisieren sollen. Dazu echter Pfeffer, sanft brennender Ingwer und Curcuma. Ganz unterschwellig, versteht sich, nach bewährtem Rezept (schon bei Herodot werden aphrodisierende Speisen erwähnt).

Dementsprechend blickten wir uns fest in die Augen, während wir aßen, sie mit einem Malagatrüffel im Mundwinkel, ich mit einem Häppchen Wildente Amersfort auf der Zungenspitze - ich vergaß, wir hatten ja Menü Nr. 6, weiß nicht mehr genau, was es war, war aber auch interessant. Worüber sprachen wir: über das Karma. Es ist ein wundervolles Thema bei Tisch. Juliane berichtete in verhangener Stimmlage, daß sie sich tags zuvor einer Astrologin und Kartenleserin anvertraut habe, die unsere Stellung, unser beider Stellung, so gedeutet habe, daß wir schon früher einander besessen hätten. «Besessen.» Im Haus des Mars und im Haus des Merkur. Und das alles hörte sich sehr gut an, bis ich nun meinerseits diese unselige Geschichte von den Nacktkrabben erzählen mußte. Gott allein weiß, wie ich darauf kam - wahrscheinlich durch einen einsamen Krebsschwanz in der Suppe:

Die «Softshell Crabs» von Louisiana also. - Dort gibt es im tiefen Süden ein schmackhaftes Gericht, das sich, übersetzt, Weichpanzerkrebs nennt. Ich habe es gegessen, und es ist mir gut bekommen, obwohl mich seine Entstehungsgeschichte hätte erschrecken sollen. Diese Krebse nämlich legen zu einer bestimmten Jahreszeit ihre Panzer ab, sitzen dann drei Tage lang schutzlos im Fluß, bis ihnen ein neuer gewachsen ist. Während dieser Zeit zutiefst verletzlich. Das Männchen aber - und hier kommt die Liebe ins Spiel -, selbst noch ungehäutet, umklammert das nackte Weibchen fest und allseitig, um es mit seinem Panzer vor Gefahren zu schützen, drei volle Tage lang.
Ein ritterliches und auch hocherotisches Unternehmen.
Die Tragik allerdings besteht darin, daß in der zweiten Phase, wenn das Männchen nun seinerseits den Panzer abwerfen muß, es vom Weibchen durchaus nicht umfangen und durchaus nicht beschützt wird, somit auf unserem Teller landet. Ja, das schien eine sehr komische Geschichte, und eine nackte. Ich meine, den Teller voller nackter Männchen, während fern im Schilf sich die steinharte Witwe ihres Lebens freut. Nicht so gut?
Nicht so geeignet in dieser Situation. Ich glaube, das Thema hatte mich um einiges zurückgeworfen. Erst bei einem ausgezeichneten Dessertwein, einem Haut Souterne 1994 aus D’Yquem konnte ich den Fehler korrigieren. Ich habe Juliane den langen Bogen der Jugendstiltreppe hinaufgeschmeichelt. Sie wollte sich gleich unten ausziehen, ich brachte sie aber barfuß über die Stufen, schmeichelte ihr beim Hinaufsteigen auf dem dicken moosgrünen Teppichbelag Stück für Stück ihrer Kleidung ab, Strümpfe trug sie keine.

Oben sind es noch acht Schritt. An der Samureirüstung vorbei, mit dem sichelförmigen «Mon» des Togugava-Geschlechts, bis zur Schlafzimmertür zehn Schritt. Man kann auch zwanzig einschmei chelnde Schritt daraus machen. Und auf diesen zwanzig fühlte sie sich bemüßigt, mir den Jörg zu beichten.

«Wer um Himmels willen ist Jörg?»
Ein neuer Tantramann.
«Der interessiert doch jetzt gar nicht», rief ich aus, «was ist denn das für ein Jörg!!! «
Mein Schlafzimmer ist ein Volltreffer. Es ist eine Schlaflandschaft, der Teppichboden ist weiß, steigt in Stufen hinauf und hinab, bildet Plattformen, von denen das Bett selber eine Plattform darstellt, man kann praktisch an jeder beliebigen Stelle hinsinken und schlafen. Der größte Treffer aber ist meine Bananentapete: Riesige Bananenblätter in blaugrünen Tönen unter zimtfarbenem Himmel. Sehr eindrucksvoll. Dazu habe ich zwei Bananenstauden am Fenster aufgestellt, lebend in Kübeln und bis zur Decke reichend. So daß das Licht tropisch, etwas schwül, wenn man so will, lebendig grün ins Zimmer fällt. Bereit zum Hinsinken. Und nun kommt sie mir mit diesem Jörg – – –
Liebe ist Erkennen, Begreifen, ein formender Prozeß, Liebe ist Schöpfung. Unter den Händen des Liebenden entsteht der Körper der Geliebten, der Liebeskörper, er formt ihn, er schafft ihn, er erkennt und begreift ihn, so wie Jakob die Rahel.
Da sind die Schultern mit den Schulterkugeln, wie gemacht, sich in meine Hände zu formen, da ist der feinknochige Rücken, der sich anfühlt wie ein Katzenleib, sich biegend und streckend und sich um die Achse windend. Die langgestreckte Delle, in der ich mit den Fingern entlangstreife wie im Tanz. Und da ist die Schmalheit, die unerhörte Schmalheit, die ich umspanne, ganz, so daß sich meine Finger berühren, so schmal ist sie.
Und dann.
Unter den Künstlerhänden.
Die Ausladung!

Ja, die ist völlig unbegreiflich, das heißt, ich begreife sie ja, ich tue es, das ist das Unbegreifliche. Ich weiß, wie sie aussieht, die königliche Wölbung, oft genug hat sie mir den Atem genommen, aber wie sie sich anfühlt! Wie sie widersteht und nachgibt, die königliche Festigkeit, wie sie unter meinen Händen federt. Und was meinen Atem angeht, so ist er mir diesmal ganz weggeblieben.

Alabaster und Eselsmilch.
Mondöl und die Venusischen Kelche.
Die Nacht von Ninife!!! Meine Nacht von Ninife: «Ja soll ich denn nun ganz von dieser Erde geh’n?» (Kap V, Vers 68, Hebräer)
Unter der atemlosen Berührung.
Ich weiß, ich versteige mich total, und dennoch: Aus Feuer und Schmerz, aus Blut und Tränen und gutem großen Gelächter habe ich meine Astarte geformt - mit ihrem eigenen Leib habe ich sie erschaffen, und hier lie gt sie.
Meine Göttin.
Und ist endgültig erstarrt.
– – –
Ich weiß nicht, welche der beiden Vorstellungen die fürchterlichere war, daß ich eine Tote im Arm hielt, oder aber ein Stück Holz. Und es bedurfte einiger Zeit, bis ich schließlich begriff, daß ich es hier mit einem anscheinend sehr, sehr toten Stück Holz zu tun hatte. Sie hatte sich ganz gerade gemacht, lag völlig starr mit eng angelegten Armen, Beine fest beieinander. Selbst ihr Nacken war versteift und das Kinn krampfhaft angehoben. Vom Mond von Ninife konnte bei Gott keine Rede mehr sein.
«Ich kann das nicht!»
Sie sprach auch irgendwie senkrecht nach oben.
«Ich dachte, es geht.»
Mit einer ganz nüchternen Stimme.
«Aber es geht nicht.»


*


Stunden später, als sie schon längst zu Hause war, habe ich sie noch einmal angerufen. «Juliane?» Sie antwortete mit einigen unverständlichen Lauten, Schluchzer oder was das sein sollten, ich hörte aber ein ganz merkwürdiges Gebell, das aus dem Hintergrund kam, was sollte denn das sein?

«Was ist denn das?»
«Der Wishnu und der Bali im Badezimmer.»
Aber in diesem Augenblick hörte ich auch noch ein Dröhnen, ein «Broaahh», ganz dicht an der Telefonmuschel.
«Und das?»
«Das ist der Jörg, den kennst du nicht.»
Ich habe den Hörer hingeknallt.


*


Zwei Stunden später rief ic h noch mal an: «Und ruf mich nie wieder an!» brüllte ich.