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Die Verführung erster Klasse beginnt mit dem
Eintritt ins Haus, Gudrunstraße sieben.
Am Tage hat es ein durchaus schönes Entree,
oval, moosgrün ausgeschlagen, mit einer in sanftem Bogen nach oben
ziehenden Mahagonitreppe, durchaus nobel. Aber nachts! Nachts
verwandelt es sich, dank einer ausgeklügelten Beleuchtung, in eine
üppige, goldgrüne Grotte. Überall habe ich verborgene Lichtquellen
angebracht, hier eine holländische Landschaft beleuchtend, dort
einen Hummer mit Lorbeerblatt, dort eine auf dem Boden stehende
Tungvase - eine der großen blauweißen mit dem Tonring, von denen
ich vier besitze.
Ich habe sie genau berechnet, die
beleuchteten Buchrücken, sechs Meter Goldschnitt, und die
beleuchteten Samurai-Rüstungen - eine auf dem mittleren
Treppenabsatz, eine auf dem oberen, den Besucher nach oben führend.
Oben das Bad ist ganz und gar in Bernstein gehalten «amber», mit
einem weißen Marmorfußboden, seinerseits beleuchtet. Dazu die
Anordnung der Halogenlämpchen, die auch das letzte Fältchen
beseitigen, falls sich jemand das Näschen pudern möchte. Keine Dame
sieht dort älter aus als zwanzig und verhält sich auch
so.
Vorerst befinden wir uns aber noch in der
unteren Etage, wo ich hinter dem Entree in einer Barecke meine
Spezialitäten Margueritas, Coco Batidas, Caipirinhas kredenze - mit
Blick in das intime Speisezimmer: Kerzen, schwarzes Geschirr,
aubergine-farbene Servietten auf der Mahagoniplatte, sehr intim.
Und über allem, kaum merklich, eine leise pochende Musik. Oh, die
ist sorgfältig berechnet, etwas Brasilianisches vielleicht - ich
habe da einen Bossanova auf Lager, einen heißen Pulsschlag mit
Tropenvögeln im Hintergrund. Und was die Atmosphäre angeht, ziehe
ich den nach meinem Geschmack zu süßlichen indischen
Räucherstäbchen die intelligenteren chinesischen vor. Das heißt, in
diesem Fall, nach reiferlicher Überlegung verzichte ich ganz
darauf, zerstäube statt dessen ein wenig «Calêche», ein wenig
Lederpolster aus der Epoche - es ist wichtig, daß es nicht mit dem
Menü kollidiert.
Also, das Menü nehme ich ernst. Ich koche
selbst, und ich koche sehr gut, habe da ein paar Grundregeln,
zunächst: Es gibt wenig, die Dame nicht vollfüllen! Eher noch etwas
Platz für ein Himbeerröllchen lassen. Kreolische Gumbosuppe zum
Beispiel koche ich vorzüglich, mit Okra. Muß aber auf den Partner
abgestimmt sein.
Heute will ich mit Kaviar beginnen. Hört sich
zwar wie ein Gemeinplatz an, aber, sagen wir, zwei Sorten auf
frisch gemachten Blinis mit etwas Creme fraiche und Zitrone, dazu
ein Chablis als Auftakt ist zumindest nicht falsch. Geeiste
Cerviche, Hummercreme? Auch gut. Doch meine Erfahrung sagt:
Kaviar.
Als hors d’œuvre hätte ich die Wahl zwischen
Wildpastete Robert, Smörebröd Olaf oder winzigen Brüsseler
Medaillons in Aspik, oder ich lasse sie weg, vielleicht zu schwer.
Lieber eine leichte Suppe: Wie gesagt, Gumbo wäre nicht schlecht,
ich halte sie immer vorrätig, für Juliane aber werde ich eine
leichte Krebsbrühe machen, mit murmelgroßen Hechtklößchen - ich
darf nicht vergessen, daß sie sonst ausschließlich von Körnern
lebt.
Danach denke ich an Schwertfisch. In einer
raffinierten OrangenRosinen-Sauce vielleicht. Und als Hauptgang:
Wildente Amersfort, da bin ich mir sicher! Die mache ich ganz
phantastisch, sie ist gefüllt mit Malagatrüffel und hat eine Sauce
von halbsüßem Schlagrahm, Zitrone, Wacholder, Ingwer und Pfeffer.
Dazu trinkt man einen Lafitte (trotz des Pfeffers, oder gerade
deshalb).
Es ist phantastisch.
Ich habe es mir lange überlegt. Ehrlich
gesagt, bin ich dann doch nicht dazu gekommen, selber zu kochen.
Habe statt dessen ein kleines Menü (Nr. 6) aus dem «Ganymed»
herüberschicken lassen, ich weiß nicht mehr genau, was es war. War
aber auch nicht schlecht.
Den Nachtisch hatte ich übrigens wirklich
selber bereitet: Kainak - das sind gedünstete Quitten in einem
Rosensirup (kann man fertig bei Schlotthammer kaufen), dazu hatte
ich hauchzart geschnittene, sechs Wochen in Cognac eingelegte
Ingwerwurzel gegeben.
Auch phantastisch.
Das Essen gestaltete sich dann entsprechend
anregend und, wenn man will, aufregend. Juliane war in einer
tangofarbenen dünnen Samtbluse erschienen, die hinten ganz tief
ausgeschnitten war, dazu trug sie einen langen schwarzen Rock, mehr
ein Chiffontuch, mit einem schräg verlaufenden Schlitz bis zum
Knie, sehr verführerisch, irgendwie überlappend. Ich versuchte
aber, jede grobe Berührung zu vermeiden, auch wenn ich nicht umhin
konnte, die Glätte des Materials zu bewundern, ich meine, es fühlte
sich gut an. Geleitete die Dame sodann mit einigen Schwüngen durch
die Gemächer. Ohne gröblich anzufassen, wohlgemerkt. Mehr locker
tänzerisch, nachdem wir ein, zwei, wie soll ich sagen, gehaltvolle
Caipirinhas an der Bar genossen hatten (mache ich sehr gut), und
das alles zum dahinpochenden, lispelnden «Desafinado». Man versteht
schon. Zufällig entdecke ich mich einmal im Spiegel, wie ich mich
gerade über sie beuge, und entdecke dieses Gesicht. Also ich habe
es sofort zurückgenommen (dieses Gesicht). Der Spiegel war so
raffiniert angebracht, daß er die eine Barhälfte um die andere
verlängerte, «… desafinado saudade vem correndo…»
So schritten wir zu Tisch. ….
Essen ist eine sinnliche Tätigkeit. Es sind
die tätigen Reiz- und Bitterstoffe, die Artischocken, Rucola,
Sellerie, Chicoree, aber auch die Meeresprodukte, Muscheln,
Krusten- und Schalentiere, die hier erotisieren sollen. Dazu echter
Pfeffer, sanft brennender Ingwer und Curcuma. Ganz unterschwellig,
versteht sich, nach bewährtem Rezept (schon bei Herodot werden
aphrodisierende Speisen erwähnt).
Dementsprechend blickten wir uns fest in die
Augen, während wir aßen, sie mit einem Malagatrüffel im Mundwinkel,
ich mit einem Häppchen Wildente Amersfort auf der Zungenspitze -
ich vergaß, wir hatten ja Menü Nr. 6, weiß nicht mehr genau, was es
war, war aber auch interessant. Worüber sprachen wir: über das
Karma. Es ist ein wundervolles Thema bei Tisch. Juliane berichtete
in verhangener Stimmlage, daß sie sich tags zuvor einer Astrologin
und Kartenleserin anvertraut habe, die unsere Stellung, unser
beider Stellung, so gedeutet habe, daß wir schon früher einander
besessen hätten. «Besessen.» Im Haus des Mars und im Haus des
Merkur. Und das alles hörte sich sehr gut an, bis ich nun
meinerseits diese unselige Geschichte von den Nacktkrabben erzählen
mußte. Gott allein weiß, wie ich darauf kam - wahrscheinlich durch
einen einsamen Krebsschwanz in der Suppe:
Die «Softshell Crabs» von Louisiana also. -
Dort gibt es im tiefen Süden ein schmackhaftes Gericht, das sich,
übersetzt, Weichpanzerkrebs nennt. Ich habe es gegessen, und es ist
mir gut bekommen, obwohl mich seine Entstehungsgeschichte hätte
erschrecken sollen. Diese Krebse nämlich legen zu einer bestimmten
Jahreszeit ihre Panzer ab, sitzen dann drei Tage lang schutzlos im
Fluß, bis ihnen ein neuer gewachsen ist. Während dieser Zeit
zutiefst verletzlich. Das Männchen aber - und hier kommt die Liebe
ins Spiel -, selbst noch ungehäutet, umklammert das nackte Weibchen
fest und allseitig, um es mit seinem Panzer vor Gefahren zu
schützen, drei volle Tage lang.
Ein ritterliches und auch hocherotisches
Unternehmen.
Die Tragik allerdings besteht darin, daß in
der zweiten Phase, wenn das Männchen nun seinerseits den Panzer
abwerfen muß, es vom Weibchen durchaus nicht umfangen und durchaus
nicht beschützt wird, somit auf unserem Teller landet. Ja, das
schien eine sehr komische Geschichte, und eine nackte. Ich meine,
den Teller voller nackter Männchen, während fern im Schilf sich die
steinharte Witwe ihres Lebens freut. Nicht so gut?
Nicht so geeignet in dieser Situation. Ich
glaube, das Thema hatte mich um einiges zurückgeworfen. Erst bei
einem ausgezeichneten Dessertwein, einem Haut Souterne 1994 aus
D’Yquem konnte ich den Fehler korrigieren. Ich habe Juliane den
langen Bogen der Jugendstiltreppe hinaufgeschmeichelt. Sie wollte
sich gleich unten ausziehen, ich brachte sie aber barfuß über die
Stufen, schmeichelte ihr beim Hinaufsteigen auf dem dicken
moosgrünen Teppichbelag Stück für Stück ihrer Kleidung ab, Strümpfe
trug sie keine.
Oben sind es noch acht Schritt. An der
Samureirüstung vorbei, mit dem sichelförmigen «Mon» des
Togugava-Geschlechts, bis zur Schlafzimmertür zehn Schritt. Man
kann auch zwanzig einschmei chelnde Schritt daraus machen. Und auf
diesen zwanzig fühlte sie sich bemüßigt, mir den Jörg zu
beichten.
«Wer um Himmels willen ist Jörg?»
Ein neuer Tantramann.
«Der interessiert doch jetzt gar nicht», rief
ich aus, «was ist denn das für ein Jörg!!! «
Mein Schlafzimmer ist ein Volltreffer. Es ist
eine Schlaflandschaft, der Teppichboden ist weiß, steigt in Stufen
hinauf und hinab, bildet Plattformen, von denen das Bett selber
eine Plattform darstellt, man kann praktisch an jeder beliebigen
Stelle hinsinken und schlafen. Der größte Treffer aber ist meine
Bananentapete: Riesige Bananenblätter in blaugrünen Tönen unter
zimtfarbenem Himmel. Sehr eindrucksvoll. Dazu habe ich zwei
Bananenstauden am Fenster aufgestellt, lebend in Kübeln und bis zur
Decke reichend. So daß das Licht tropisch, etwas schwül, wenn man
so will, lebendig grün ins Zimmer fällt. Bereit zum Hinsinken. Und
nun kommt sie mir mit diesem Jörg – – –
Liebe ist Erkennen, Begreifen, ein formender
Prozeß, Liebe ist Schöpfung. Unter den Händen des Liebenden
entsteht der Körper der Geliebten, der Liebeskörper, er formt ihn,
er schafft ihn, er erkennt und begreift ihn, so wie Jakob die
Rahel.
Da sind die Schultern mit den Schulterkugeln,
wie gemacht, sich in meine Hände zu formen, da ist der feinknochige
Rücken, der sich anfühlt wie ein Katzenleib, sich biegend und
streckend und sich um die Achse windend. Die langgestreckte Delle,
in der ich mit den Fingern entlangstreife wie im Tanz. Und da ist
die Schmalheit, die unerhörte Schmalheit, die ich umspanne, ganz,
so daß sich meine Finger berühren, so schmal ist sie.
Und dann.
Unter den Künstlerhänden.
Die Ausladung!
Ja, die ist völlig unbegreiflich, das heißt,
ich begreife sie ja, ich tue es, das ist das Unbegreifliche. Ich
weiß, wie sie aussieht, die königliche Wölbung, oft genug hat sie
mir den Atem genommen, aber wie sie sich anfühlt! Wie sie
widersteht und nachgibt, die königliche Festigkeit, wie sie unter
meinen Händen federt. Und was meinen Atem angeht, so ist er mir
diesmal ganz weggeblieben.
Alabaster und Eselsmilch.
Mondöl und die Venusischen Kelche.
Die Nacht von Ninife!!! Meine Nacht von Ninife: «Ja soll ich denn nun ganz
von dieser Erde geh’n?» (Kap V, Vers 68, Hebräer)
Unter der atemlosen Berührung.
Ich weiß, ich versteige mich total, und
dennoch: Aus Feuer und Schmerz, aus Blut und Tränen und gutem
großen Gelächter habe ich meine Astarte geformt - mit ihrem eigenen
Leib habe ich sie erschaffen, und hier lie gt sie.
Meine Göttin.
Und ist endgültig erstarrt.
– – –
Ich weiß nicht, welche der beiden
Vorstellungen die fürchterlichere war, daß ich eine Tote im Arm
hielt, oder aber ein Stück Holz. Und es bedurfte einiger Zeit, bis
ich schließlich begriff, daß ich es hier mit einem anscheinend
sehr, sehr toten Stück Holz zu tun hatte. Sie hatte sich ganz
gerade gemacht, lag völlig starr mit eng angelegten Armen, Beine
fest beieinander. Selbst ihr Nacken war versteift und das Kinn
krampfhaft angehoben. Vom Mond von Ninife konnte bei Gott keine
Rede mehr sein.
«Ich kann das nicht!»
Sie sprach auch irgendwie senkrecht nach
oben.
«Ich dachte, es geht.»
Mit einer ganz nüchternen Stimme.
«Aber es geht nicht.»
*
Stunden später, als sie schon längst zu Hause
war, habe ich sie noch einmal angerufen. «Juliane?» Sie antwortete
mit einigen unverständlichen Lauten, Schluchzer oder was das sein
sollten, ich hörte aber ein ganz merkwürdiges Gebell, das aus dem
Hintergrund kam, was sollte denn das sein?
«Was ist denn das?»
«Der Wishnu und der Bali im
Badezimmer.»
Aber in diesem Augenblick hörte ich auch noch
ein Dröhnen, ein «Broaahh», ganz dicht an der
Telefonmuschel.
«Und das?»
«Das ist der Jörg, den kennst du
nicht.»
Ich habe den Hörer hingeknallt.
*
Zwei Stunden später rief ic h noch mal an: «Und
ruf mich nie wieder an!» brüllte ich.