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Sita, die Furche, die Schönhüftige, hat mir
zwei Söhne geboren, beide Wohlgestalt an Leib und Seele. Bhanu, der
ältere, geht mir schon zur Hand, wenn ich anschirre oder einen
schwarzen Stein auf den Hof rolle, dann rollt er handfest mit.
Shashim dagegen, der jüngere, scheint geistiger veranlagt, schaut
immer zur Seite, als ob da etwas wäre, das wir nicht sehen, und
vielleicht ist da wirklich etwas. Etwas Gutes. Ich darf sagen, daß
ich Freude an meinen beiden Söhnen habe. Freude an meiner Frau,
meinem Haus, meinem Gewerbe, ich mache den Ganesh, ich mache auch
andere schöne Figuren, aber den Ganesh mache ich am besten, in
jeder Größe, aus schwarzem Speckstein, aber auch aus grünem, oder
sehr große aus Tuff.
Ich bin ein glücklicher Mensch, ich schwimme
in einem Meer des Glücks, das mir meine Frau beschert, die
Allerschönste der Welt. Sie heißt Sita, benannt nach der Göttin der
Fruchtbarkeit und des Stundenglases, als ich sie zum ersten Mal
sah, fielen mir die Augen aus dem Kopf - sie fielen mir
wahrscheinlich in den Schoß, und dort liegen sie immer noch. Ich
weiß nicht, was andere Männer empfinden, wenn sie sie sehen, ich
will es auch nicht wissen. Ich empfinde nur Glück, ein nicht enden
wollendes, von der Urzeit meiner Existenz bis in alle Ewigkeit
reichendes Glück. Mögen die heiligen Männer das Nichtsein
anstreben, ich bin nicht heilig und will nichts als sein. Mit ihr. Mit Sita, der Schönen.
Aber jetzt ist es Abend. Die goldene Lehmfarbe
meines Hauses verdunkelt sich, draußen vom Meer rollt eine lange
schwarze Dünung herein, es ist fast windstill, so daß ich das
Klappern und Singen aus dem Dorf hören kann, obwohl es fast zwei
Wegstunden entfernt ist - man klopft dort die Pilger zurecht, die
eine Woche lang nic ht schlafen dürfen. Bis sie in ihrer eigenen
Haut kaum noch vorhanden sind. Mit mir hat man einmal das gleiche
getrieben, als ich noch heilig werden sollte, mir Tag und Nacht die
Ohren zugegellt, heilig bin ich nicht geworden, und zu essen gab es
auch nichts.
Mein Haus hat eine Dachterrasse, auf der ich
sitze. Hier oben ist es noch hell, aber unten liegen schon die
violetten Schatten, und im Hof sind sie schwarz, ich sehe da unten
den kleinen Shashim als Püppchen, und der handfeste Bhanu ist auch
nicht weit, ich höre ihn rumoren, aber wo ist Sita, meine Frau, die
Schön-hüftige? Wo ist sie? Mein Haus ist ein Steinwürfel über dem
Strand, fast quadratisch im Grundriß, mit einem Lichthof in der
Mitte, mehr einem Schacht gleichend, in dem die Hausfrau kocht und
werkt, und obenauf liegt ein Gitterwerk, durch das ich
hindurchsehen kann. Jetzt richte ich meinen Blick auf den gelben
Weg, der entlang des Strandes vom Dorf herführt, und auf dem sie
kommen muß.
Und seit Stunden nicht kommt.
Ich weiß, wo sie ist.
*
Eines Tages war sie wieder da - es mochten
eine oder sogar zwei Wochen vergangen sein -, und ihr Auftritt im
Schwimmbad war spektakulär genug, denn sie kam mit Jesus
höchstpersönlich.
Ich hatte inzwischen den Platz gewechselt, lag
jetzt meistens zwischen den Beinen des Wachtturmes. Das war also
eine weitere Konsequenz, ein Wachtturm, den sie für uns, nicht weit
von der Stelle, wo die alten Damen lagen, am Pool aufgerichtet
hatten. Ein häßliches Gestänge mit einer Plattform, einem Raster
aus Eisen, worauf der zusätzliche Bademeister saß, so daß man von
unten seine weißen Hosenbeine sehen konnte - bei Sonne warf es ein
gepunktetes Muster auf den Boden. Ich hatte mir diesen neuen
ungeliebten Platz ausgesucht, weil dort niemand liegen wollte, aber
auch weil ich hier je nach Sonneneinfall die Dosis bestimmen
konnte, etwa nur mit dem Kopf im Schatten oder mit meiner oberen
oder unteren Hälfte. Oder ganz gepunktet, wenn es mir zu heiß
wurde. Außerdem war ich der Meinung, für diesen Sommer genug
gebräunt zu sein.
Juliane war nicht allein. Ich sah sie oben am
Eingang, wie sie den Kopf renkte, um mich zu entdecken, diesen
verhältnismäßig kleinen Kopf. Konnte mich aber nicht entdecken, da
ich hinter den Beinen des Gestänges versteckt war. Und dann sah
ich, daß da jemand neben ihr stand, der war nun doch recht
spektakulär, gelinde gesagt. Er bestand vornehmlich aus Barthaar,
das heißt, Haupt- und Barthaar, das ihm als einzige Matte weit über
die Brust reichte, welch bedeutenden Mann hatte sie da aufgetan?
Gekleidet war er in ein Hemd aus grobem braunem Stoff, fußlang,
eine Art Kutte ohne Ärmel, und gestützt war er auf einen richtigen
langen Hirtenstock mit einer Gabel am oberen Ende, zu der er
hinaufreichte, indem er den Unterarm hoch um den Stock wickelte. So
stand er da. Und so ging er auch.
Juliane schien immer noch zu suchen, schaute
angestrengt auf die Ecke, wo wir sonst immer lagen, während er auf
eine Buschgruppe zuschritt, würdevoll, gleichzeitig aber auch recht
mühselig. Das fiel nun auf. Der Mann hatte einen eigentümlich
schleudernden Gang, er bewegte die Oberschenkel kaum, schleuderte
dafür die Unterschenkel heftig aus den Knien heraus, was aber
trotzdem nur sehr kleine Schritte ergab. Dementsprechend kam er
langsam voran und Juliane dementsprechend auch. Ich verlor die
beiden aus den Augen, als sie eine Buschgruppe erreichten, machte
mich, auch als der Tag fortschritt, nicht bemerkbar.
Später sah ich den seltsamen Heiligen einmal
allein im Pool, offenbar verrichtete er irgendeine Waschung. Er
hatte jetzt sein Hemd oder Kutte ausgezogen, darunter war er hager,
ziemlich bleich mit vorstehenden Beckenkämmen und einzelnen, unter
der Matte sichtbaren Rippen - und einem, mußte ich feststellen,
etwas gerunzelten Hintern, anscheinend aß er zu wenig. Nicht alt,
höchstens vierzig. Aß anscheinend asketisch, obwohl er einen
rosigen kleinen Bauch besaß; der wiederum war
sympathisch.
Ich weiß nicht, ob er sich wusch oder sich nur
besonders gebärdete. Er stand bis zum Bauch im Wasser, tauchte den
Kopf tief ein und warf ihn dann vehement zurück, wobei ihn Bart und
Haupthaar eine Sekunde lang als sprühender senkrechter Kranz
umstand, Tropfen nach allen Seiten verteilend. Ein seltenes Tier
mit einem gewaltigen Mohawk. Ich glaube, daß er doch eine Waschung
vornahm, denn er wiederholte den Vorgang über und über, selbst ich,
der ich nicht in Sprührichtung lag, bekam ein paar Tropfen ab. Dann
war er wohl sauber und stieg aus dem Wasser.
Ging mit seinem kleinschrittigen Schleudern
davon. Was hatte er mit Juliane zu schaffen, ich wußte schon, was.
Die Würfel waren gefallen, der Rubikon überschritten.
*
Um es gleich vorauszuschicken, der Mann war
Profi. Wenn ich es recht bedenke, war er sowieso unvermeidbar
gewesen. Ich saß da unter meinem Gestänge und versuchte, den
Nachmittag einigermaßen hinter mich zu bringen. Juliane war einmal
vorbeigeschwommen, hatte mich aber immer noch nicht entdeckt.
Entsprechend dem Sonneneinfall rückte ich von Zeit zu Zeit, so daß
ich Gesicht und Schultern im Schatten halten konnte, las ein Buch,
es hieß «Proof» und handelte ausschließlich von Whisky, immerhin
hatte ich fast ein Drittel bewältigt, bevor ich bemerkte, daß es
ein Kriminalfall war. Proof kann ja auch Beweis bedeuten. Rückte
gerade noch ein Stück, las gerade noch etwas, das ich auch nicht
richtig begriff, als sich das Buch verdunkelte. Ein langer
Schatten. Zwei lange Schatten, einer fiel auf mein Buch und einer
auf meine Beine.
«Alexander», noch nie hatte sie mich
Alexander genannt, «Alexander, darf ich dir Pradhi Rama
vorstellen.»
Unvermeidbar, weil folgerichtig.
Ich nehme an, daß sich dieser Pradhi Rama,
genauso, jetzt und hier und genau an diesem Platz hatte verdichten
müssen. Genau in seiner Person. Er betrieb also eine Institution,
ein Begegnungszentrum, etwas absolut Professionelles. Seminar für
tantrisch-esoterische Erfahrungen, für Leute, die es wissen
wollten. Ich nehme an, daß der Mann von langer Hand angelegt war,
und ich schicke das jetzt voraus, damit er ernst genommen wird.
Kein fremder Vogel, sondern im Gegenteil ein unternehmender Geist
und - wie wir alle noch erfahren sollten –ein
erfolgreicher.
«Das ist der Pradi.»
«Hi, Pradi», sagte ich.
«Und das ist der Alex.»
Er schien nachzusinnen, dann legte er die
Handflächen zusammen und führte sie zusammengelegt zur Stirn. Es
sah sehr gut aus. Dauerte eine Weile. Sah trotzdem gut aus. Nur um
seinen Stil zu zeigen.
*
Doch am nächsten Morgen hatte er meinen Platz
belegt.
Er hatte das ganze Viereck unter dem Gestänge
mit einem hauchdünnen scharlachroten Tuch bedeckt, so dünn, daß der
Beton durchschien. Darauf lag im einen Quadranten eine graue Decke,
darauf saß er mit untergeschlagenen Beinen.
«Hi», sagte ich.
Er legte die zusammengelegten Hände an die
Stirn, und insoweit schien die Sache in Ordnung zu sein. Mir fiel
nur auf, wie er saß - für mich völlig
ausgeschlossen -, Unterschenkel überkreuz ineinandergeflochten,
aber so, daß beide Fußsohlen in Aufsicht zu sehen waren. Eine Art
Sockel bildend, auf dem er saß, oder besser noch, ein aus
Unterschenkeln bestehendes Tablett.
Ich legte mein Badetuch in den Quadranten
gegenüber, setzte mich hin, Beine seitlich, dann angewinkelt,
schließlich legte ich mich auf den Bauch. An sich befand ich mich
auf seinem Territorium wegen des Tuches, aber dann wiederum nicht,
wegen meines Erstrechts. Oh, das fiel mir auf. Er hatte sein
Genital auf dem «Tablett» aufliegend arrangiert, das ganze sah wie
komplizierte Architektur aus, ich glaube, in meinen besten Zeiten
hätte ich das nicht fertiggebracht.
Meines lag seitlich.
Wir sprachen nicht.
Einmal stand er auf und ging zum Poolrand,
dabei baumelte ihm das Genital wie eine braune Wurst herum. Das
habe ich noch vergessen, daß mir das auch aufgefallen war: Es war
von sehr viel dunklerer Farbe als das übrige, so als ob sich da
genetisch etwas niedergeschlagen hatte. Kehrte zurück, baumelte,
als begehrenswertes Objekt konnte ich es mir nicht gut vorstellen -
war auch ziemlich verkrumpelt.
Das sollte sich aber ändern.
Ja, da war es wohl für mich an der Zeit,
etwas dazuzulernen. Denn als Juliane erschien - sie erschien wie
gewohnt später, da sie morgens länger ausschlief -, zeigte es sich,
daß es anscheinend doch noch eine höhere Schule gab, die ich nicht
besucht hatte (es wird gleich verständlich werden). Juliane kam
luftig über die Wiese, sie war sichtlich angeregt, «gut im Fluß»,
das konnte man sehen, plazierte sich ganz selbstverständlich in
Zwischenposition auf dem roten Tuch, sozusagen im dritten
Quadranten, gleichweit von mir als auch von ihm entfernt. Oder
gleich nahe, im Dreieck.
Pradhi Rama hatte sie mit zur Stirn erhobenen
Händen begrüßt. Jetzt saß er aufrecht, sehr zurückgenommen mit
geschlossenen Augen und bildete sein Tablett, auf dem das
wurstförmige Genital jetzt etwas größer auflag.
Ja, was soll ich sagen.
Es hatte sich
verändert.
Es wurde glatt. Es wurde glatt und groß, es
wurde sogar heller. Lag etwas zur Seite geneigt, schnurrte und nahm
immer noch an Volumen zu. Damit man mich recht versteht, es
handelte sich keineswegs um eine Erektion, also um keine
Peinlichkeit, es betraf nur den Ruhezustand, der hier eindeutig
verbessert wurde. Wie, wußte ich nicht - heute weiß ich
es.
Da hatte dieser Mann also seit Eintreffen
Julianes -vorher hatte er es nicht für nötig befunden - offenbar
beschlossen, sich ein größeres Instrument zuzulegen, mit dem er
hier Stellung bezog. Beachtlich war nur, daß er es auch konnte.
Vielleicht, daß es die Art und Weise war, wie er saß, diese
gequetschte senkrechte Sitzhaltung, die auf die Schwellkörper
drückte? Jedenfalls, das Glied wuchs auf bequeme halbe Pfundgröße
heran, liegend, nicht stehend, wuchs dann nicht mehr, nahm
allerdings auch nicht ab. Es erschien sehr diszipliniert, hielt
sich in dieser Größen-und Güteordnung. Glatt wie eine
Flasche.
– – –
Es war aber klar, daß ich mich hier eindeutig
im Hintertreffen befand. Rein optisch. Der Tag verging.
Der Pradi saß ruhig, ich weniger ruhig.
Juliane hatte wie immer ihre Affäre mit dem Sonnengott, wobei sie
sich aber gleichzeitig in dem Dreieck sonnte, das sie sich hier
geschaffen hatte, das war auch nicht zu übersehen.
Übrigens stand der Pradi ein paarmal auf, um
ins Wasser zu gehen, und wenn er dann herausstieg, war sein Ding
wieder verkrumpelt wie vordem - eigentlich mickrig, anders konnte
man das nicht bezeichnen. Was er aber in kürzester Zeit und
scheinbar mühelos korrigierte. Die Sonnenwärme spielte natürlich
eine Rolle, der Wärmegrad sowieso.
Aber dann wiederum.
Ich darf sagen, daß ich einen schlechten Tag
hatte. Angesichts des positiven Ergebnisses, das dieser Mann
vorweisen konnte, und des negativen, das ich -fast im Gegenzug -
vorwies. Und zwar, um es auszusprechen, unter meinem Niveau. Einen
ganzen Tag lang ohne Hoffnung, mich auf diesem Gebiet noch
profilieren zu können, ohne große Aussicht jedenfalls, und damit
sollte ich nach Hause gehen.
Ich ging nach Hause.
*
Aber am Morgen, als ich unter meinen
Bananenstauden aufwachte, hatte sich meine Stimmungslage kaum
verbessert. Ich sagte mir, Niederlagen sind dazu da, sie
einzustecken. Zweifellos hatte sich der Mann unerlaubter Mittel
bedient, unterhalb der Gürtellinie. Vielleicht hatte er einen
geheimen Punkt (secret spot), den er betätigte, trug vielleicht
eine unsichtbare Klemme, vielleicht einen Knochen unter dem Damm
oder irgend etwas. Jedenfalls focht er «schmutzig», das war klar,
es änderte aber nichts daran, daß ich auf der Strecke geblieben
war. Das war auch klar.
Aber seltsam.
Plötzlich.
Als ich dort unter den Stauden lag, und das
Morgenlicht grün durch die großen Bananenblätter drang, packte mich
plötzlich ein seltsamer Kampfgeist. Wer war ich denn! Und wer war
dieser hergelaufene Schwanzritter, fragte ich mich! Zu Recht! Wie,
wenn auch ich herlief und mich unerlaubter Mittel bediente! Und
zwar oberhalb der Gürtellinie, da sollte
sich dieser Herr vielleicht einmal fürchterlich wundern. Dachte ich
großartig.
Hier war ich!
Ich war mit einem Ruck aus dem Bett
gesprungen.
Hier stand ich!
Und fürchtete mich nicht.
– – –
So kam es, daß ich an diesem Morgen mit
großer Gelassenheit (ich hatte Gott auf meiner Seite) die Arena
betrat, unerwartet mutig, sollte man meinen. Der Himmel war blau,
die Fähnlein flatterten - ich glaube, es flatterte tatsächlich
irgendwo ein einzelnes kleines, das des
Rettungsschwimmers.
Absichtlich hatte ich es so eingerichtet, daß
sowohl der Pradi (Pradhi Rama) als auch Juliane bereits anwesend
waren, als ich eintraf. Nahm meinen Platz im Dreieck ein. Das Tuch
war heute kirschrot und besaß eine sandfarbene Borte. Sehr
dekorativ. Der Meister übrigens hatte seine Position diesmal leicht
verändert, saß jetzt genau auf der Trennlinie des Sonneneinfalls,
so daß sein Oberkörper im Schatten, sein Unterleib dagegen sich
voll im Licht befanden. Mir blieb der etwas ungünstigere Platz im
vorderen Drittel, wo mich ein schräger Schattenstreifen des
Gestänges zerteilte, der aber weiterwandern würde.
Im Arenenrund bereits große
Erwartung.
Juliane hatte sich festlich zurechtgemacht mit
einem Kettchen ums Fußgelenk, drei kleinen Brillanten (Straß),
aufgeklebt über der linken Brust, Haare offen, sie saß in
aufrechter Haltung mit untergeschlagenen Beinen. Pradi ebenfalls
aufrecht, abwartend, wahrscheinlich hatte er nicht damit gerechnet,
mich hier noch einmal anzutreffen. Befand sich nichtsdestoweniger
mit seinem halben Pfund längst in Form, schon als ich eintraf,
längst als Dauerzustand etabliert, so wie ein Langstreckenläufer in
gelassener Dauerform sich auf den langen Zeitablauf einstellt - was
ich nicht umhin konnte anzuerkennen. Ich selbst befand mich hier
halb sitzend, halb liegend, ein Bein ausgestreckt, das andere
untergeschlagen - in dieser Position würde ich es eine Weile
aushalten.
Gesprochen wurde nicht.
Erotik auf dem Nacktbadegelände ist eine
paradoxe Größe. Einerseits besteht das Überangebot blanken
Fleisches, andererseits aber fehlt jegliches Gefälle. Es gibt keine
Erwartung, keine Steigerung, eine wahnwitzige Hoffnung auf etwaige
Enthüllung, weil sie bereits stattgefunden hat: Die nackten
Tatsachen sind, wenn man es genau nimmt, zu nackt.
Wie sehr hatten wir uns über die zarte Fessel
aufgeregt, als die Röcke noch lang und das Trittbrett der Kutsche
zu hoch war, und das ist erst hundert Jahre her. Wie sehr über die
Waden, über die Kniekehlen, als die Röcke höherrutschten. Und gar
über den weißen Streifen oberhalb des Strumpfes, auf der Treppe
oder später auf der Rolltreppe! Aber was, um Gottes willen, frage
ich jetzt ganz ernsthaft, soll denn heutzutage noch
höherrutschen?
Außer einer wahnwitzigen Hoffnung.
Wenn ich also jetzt meine Imagination ins
Spiel bringen soll, dann weit entfernt von diesem Fleischgetümmel.
Ich denke an einen winzigen nackten Fuß auf dem Schulhof, an den
Fuß der Gertraude, wir hatten ihr den Schuh ausgezogen und die
kleine Socke und uns furchtbar aufgeregt. Der Fuß war ein
Marzipanklümpchen, die Zehen rosa Erbsen, ich hatte versucht, den
Fuß in meine Hosentasche zu stecken, und dabei meine erste Erregung
erfahren, wohl nicht die erste, aber die erste, die mir in
Erinnerung ist.
Oder die Ritterburg. Oh, die Ritterburg
zwischen den Beinen des Mädchens Ursula von nebenan. Ich baute sie
an einem trüben Tag, der kaum Licht genug hergab, um das
Kinderzimmer zu erleuchten. Vor allem durfte sie sich nicht
bewegen, damit die Burg nicht zusammenfiel. Die Türme und die
Türmchen in der Schlucht zwischen den kleinen Pobacken. Sie war so
geduldig, das Mädchen Ursula, sie hielt stundenlang bäuchlings
liegend aus, ich erinnere mich, daß sie ein wenig nach Mottenkugeln
roch.
Und an dieser Stelle merkte der Pradi auf, man
konnte sehen, wie er mir aus seiner streng aufrechten Position
heraus eine Zuwendung zukommen ließ. Nicht, daß er sich bewegte,
nicht einmal die Augen, aber irgend etwas schien er gemerkt zu
haben, er spannte sich.
Ja, mein Lieber.
Da bedarf es der Konzentration.
Ich hatte ihr auch das Höschen ausgestopft.
Denn wenn wir Haue kriegen sollten, sollte es ja nicht weh tun.
Also stopfte ich ihr eine doppelte Lage Zeitungen hinter die
kleinen Pobacken oder gab mir jedenfalls größte Mühe, sie so zu
stopfen, daß sie als Schutzpolster ausreichten. Vorsichtshalber.
Und das bedurfte schon einiger Sorgfalt. Die Pobacken zu schützen.
Ich hatte immer wieder nachgepolstert, habe die Zeitungslage
arrangiert und rearrangiert und immer wieder nachgefühlt, ob das
Polster auch richtig saß, und sie war auch so unendlich geduldig,
das Mädchen Ursula von nebenan.
Mit einigem Ergebnis.
Ich sah, daß der Meister der Unbeweglichkeit
je tzt doch die Augen bewegte. Ich möchte ihn keinesfalls
verhöhnen, aber es war doch belustigend anzusehen, wie er schräg
aus dem Augenwinkel sozusagen im Bogen herum versuchte, unbeweglich
auf das Tablett zu schielen. O nein, nicht auf seines. Auf meines!
Ich hatte mir nämlich auch eines zugelegt - hatte ich mir erlaubt
-, gebildet aus dem gestreckten und dem untergeschlagenen Bein. Mit
einigem Erfolg.
Das darf ich hier in aller Bescheidenheit
anführen.
Meine Tante Veronika auf der Suche nach dem
verlorenen Knopf. Sie war immer auf der Suche nach Knöpfen.
Unweigerlich fiel ihr einer zu Boden, wenn ich ihr einen Besuch
abstattete, rollte sonstwohin und war nicht mehr aufzufinden, es
war chronisch. Sie bückte sich, bückte sich stundenlang, das hat
sich mir als Dauerbild eingeprägt, die eigentümlich gekerbten
Oberschenkel mit den tiefen Dellen sowohl in den Kniekehlen als
auch hoch am Gesäß, so als ob die Tante sehr muskulös wäre. Sie war
aber nicht muskulös, es waren lauter Polster, und waren auch nicht
hart, als sie sich eines Tages aus Versehen auf mich setzte. Als
ich ihr eines Tages halb besinnungslos beim Suchen half.
Meine Tante Veronika in einem besinnungslosen
Nebel auf der Suche nach dem Leberfleck.
Jetzt bemerkte ich es: Der Pradi mußte sich
inzwischen zur Gegenwehr entschlossen haben, oder doch wenigstens
seine bis dahin gezeigte Statik aufzugeben. Ich hatte es längere
Zeit versäumt, ihn im Auge zu behalten - ähnlich dem japanischen
Schwertkämpfer, der, in sich versenkt, ein Muster schöner
Schwerthiebe um sich ausbreitet, ohne der Angriffe des Opponenten
zu achten. Und war nun überrascht zu sehen, daß der Pradi, also
mein Opponent, inzwischen zu seiner Höchstform aufgelaufen war.
Hatte er sich bisher mit einem halben Pfund begnügt, so lag da
plötzlich ein nahezu ganzes auf dem Tablett.
Das war schon bemerkenswert.
Voluminös, satt glänzend lag es da. Wegen der
offensichtlichen Schwere zur Seite geneigt. Ein Gebilde, das einem
schon das Fürchten lehren konnte, und das, ich muß es noch einmal
betonen, ohne eigentliche Erektion, nur als
Materialmasse.
Heilige Seh…!
Und dann, während ich mich noch entsetzte -
und automatisch dementsprechend an Boden verlor -, sah ich es: Der
Mann mußte eine irgendwie innere Muskulatur betätigen, eine
anatomische. Oder glaubte, es zu sehen. Was sich dort abspielte.
Ich blickte ihm längere Zeit scharf aufs Tablett (auf seines),
glaubte einen fast unmerklichen Rhythmus wahrzunehmen, kaum zu
erkennen, nur als Anmutungsqualität; aber wenn ich ganz genau
hinsah:
Der Mann pumpte.
– – –
*
So war denn aus dem Spiel Ernst
geworden.
Äußerlich durchaus ruhig und beherrscht, saßen
wir hier in tödlicher Verklammerung, jeder für sich aufrecht, ich
mit dem ausgestreckten Bein, er doppelt verschränkt und beide mit
ernstzunehmendem Tablett. Denn nun wurde schweres Geschütz
aufgefahren, darf man sagen.
Zeitlebens hatte ich einen Hang zu
Respektspersonen gehabt, Lehrerinnen, möglichst
Mathematiklehrerinnen, bei denen ich versagte, oder hohe weibliche
Gerichtspersonen, Abgeordnete, massige Ministerinnen für das
Äußere. Diese sich im Hemd vorzustellen, wie sie im Dachfenster
steckenbleiben und heftig mit den Beinen rudern, während ich
hilfreich nachschiebe. Oder im Gegenteil ganz dünne
Respektspersonen mit Brille und ganz kurzem Hemd in einer
Mauerritze bei Erdbeben oder bei einem Staatsstreich
(rudernd).
Schweres Geschütz.
Eine Schwachsinnige beim Versuch, in eine
Abflußöffnung zu klettern. Verkehrt herum. Oder in ein Zuflußrohr
einer Sirupfabrik, ein heilloses Unterfangen, da sie bereits mit
Kopf und Armen festsitzt, das Ganze aber in Sirup. Sirup ist
überhaupt eine vollkommene Schweinerei und völlig heillos. Oder in
der Schmierseifenfabrik! Wie wäre es mit zwei oder drei glitschigen
Mädchen, denen zu helfen einfach Pflicht wäre? Oder mit einer
vollbusigen Frau und ihrer sehr dünnen glitschigen Tochter?
Natürlich haben sie allesamt aus irgendwelchen Gründen ihre
Kleidung eingebüßt, und es ist sehr schwierig, sie durch das
Seifeninferno zu ziehen, zu schieben oder sonstwie
hindurchzuschmieren.
So hatte sich das Blatt gewendet.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie der Pradi
sich gehörig entsetzte, er war um gut ein Drittel wieder
zusammengesunken, wie ich feststellen konnte. Zusammengesintert.
Eindeutig abgeschlagen. Für den Außenstehenden mag es sich um ein
stundenlanges unbewegtes und insofern unverständliches Herumsitzen
gehandelt haben, «die saßen bloß da», ich aber sage, daß dieses
Schwanzduell vom 4. Sept. 2002 in die Annalen der Menschheit
einging. Zumindest die des Jakobi-Bades.
Denn da wäre noch die in Moraldingen strenge
Tante Helene gewesen, die vor lauter Anständigkeit eines Tages im
lauwarmen Wannenbad ohnmächtig wurde. Die hatte es nämlich wirklich
gegeben. Die Mühe, die es kostete, sie auf die eine oder andere
Weise aus dem lauwarmen Wannenbad zu hieven, entweder so herum oder
anders herum (was auch sehr schwierig war) - die brauchte aber
schließlich nicht mehr eingesetzt zu werden.
Hat es eine Triumphrunde im Circus Maximus
gegeben. Na, jedenfalls bin ich danach voller Stolz einmal um den
Pool gelaufen. Während oben am Ausgang der Pradi (Pradhi Rama)
soeben hinaushumpelte.