Afra

 

Als der Frühling weiter vorangeschritten und es fast schon Sommer war, zwei Monate nach dem Besuch des Bischofs in unserer Gemeinde und dem Aufbruch der Pilger nach Rom, als unsere Dorflinde in üppiger, zartgelber Blütenpracht stand und emsige Bienenschwärme zuhauf aufgeregt summend von ihrem betörend süßen Duft angelockt wurden, zu dieser Zeit gebar Justina ihr Kind. Es war genauso, wie sie es uns vorausgesagt hatte, „wenn meine Ziegen ihre Jungen werfen, werde ich ein Kind bekommen“, und Richlint und ich waren erstaunt von der Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, mit der alles vonstatten ging.

In den letzten Wochen vor der Geburt war Justina schwerfällig und unbeweglich geworden, und wir bedrängten sie, doch für die nächste Zeit bei uns im Meierhof zu leben, damit sie nicht allein wäre, wenn ihr Kind geboren wurde. Doch sie bestand darauf, bei ihren Tieren in dem verfallenen Gutshof draußen im Weinland zu bleiben, und Richlint und ich wanderten zu ihr hinaus, sooft es uns möglich war. An einem Sonntag nach dem gemeinsamen Kirchgang waren wir am Bach entlang wieder zu Justina unterwegs, es war ein frühsommerlicher, warmer Tag mit viel Sonnenschein, und schon von weitem hörten und sahen wir die Ziegenherde mit ihren Glocken und den vielen kleinen Zicklein, die munter und frech zwischen den Beinen ihrer Ziegenmütter und auf den Schutthügeln vor dem Gutshof herumsprangen. Der weiße Hund Cimbro begrüßte uns beim Tor, und Justina fanden wir im warmen Badhaus zwischen ihren Kräutern und Heilmitteln. In einem ungefärbten, weichen Wolltuch, das sie sich um den Körper gewickelt hatte, trug sie ihr Neugeborenes vor der Brust, und sie wirkte frisch und rosig und strahlte uns an.

„Afra und Richlint! Ja, er ist da, mein Sohn ist geboren! Macht nicht so ungläubige, große Augen, sondern kommt her und seht ihn euch an! Ist es nicht das schönste Kind, das je eine Frau auf diese Welt gebracht hat?“

Justina setzte sich auf die gemauerte Ofenbank und legte das Kind auf ihren Schoß, wickelte es vorsichtig aus der Wolldecke und dem darunterliegenden Leinentuch und zeigte uns den kleinen Jungen nackt, wie er geboren wurde. Staunend betrachteten wir das winzige, zappelnde Wesen mit seiner zarten, fast durchscheinenden Haut und den feingeformten Gliedern, den tiefschwarzen Augen der Mutter und dem dichten, dunklen Haar auf dem runden Köpfchen, seidig wie der Pelz eines Frettchens. Die zierlichen Hände waren klein wie die Knospen einer Blume, und wenn man die Innenseite sanft berührte, schlossen sich die winzigen Finger zu einer Faust.

„Er ist wirklich wunderschön, das vollkommenste Neugeborene, das ich je gesehen habe!“ rief Richlint voller Staunen aus, „aber wie hast du das nur gemacht, ihn ganz allein und ohne die Hilfe von anderen Frauen zu gebären?“

Die junge Mutter bedeckte das Kind wieder sorgfältig und nahm es dann auf den Arm.„Schon seit mehreren Tagen habe ich gespürt, daß die Niederkunft kurz bevor stand, denn das Kind in meinem Bauch drängte nach draußen und ließ mir keine Ruhe mehr. Als dann die Wehen einsetzten und in immer kürzeren Abständen wie schmerzhafte Krämpfe durch meinen Körper liefen, versorgte ich zuerst meine Tiere und stellte ihnen genügend Futter und frisches Wasser bereit, denn ich weiß, daß das Gebären beim ersten Kind oft sehr lange dauern kann. Dann habe ich den Ofen mit Holz gefüllt und mir ein warmes Bad mit entspannenden und krampflösenden Kräutern bereitet, und hier in der Badstube lagen schon alle Dinge bereit, die ich gewöhnlich bei Geburten brauche, saubere Tücher und warmes Wasser, um das Neugeborene und mich selbst zu waschen und einzuhüllen, eine dünne Schnur aus Hanf und ein scharfes Messer, um die Lebensschnur des Kindes von mir zu trennen, und eine ganze Wegerichpflanze, den Blutwurz, mitsamt seiner Wurzel, damit ich ihn während der Geburt in der linken Hand halten konnte und dadurch nicht zuviel Blut verlieren würde.“

Justina schaukelte das Kind zärtlich auf ihren Armen und lächelte uns voller Glück an. „Und dann ging es ganz schnell, viel einfacher, als ich es mir selbst vorgestellt hatte! Dieser kleine Mann hier hat kräftig mitgeholfen, und nach dreimaligem festem Pressen rutschte er wie von selbst aus mir heraus, direkt auf das weiche Lager aus Moos und Heilpflanzen, auf dem ich hockte, und er tat seinen ersten Schrei laut und mit solcher Gewalt, daß Cimbro erschrocken seinen Kopf zur Tür hereinstreckte!“

Ich war sehr froh, daß unsere Freundin mit ihrem Heilwissen und durch die Hilfe ihrer Göttin eine so leichte Geburt erlebt hatte, denn viele Frauen lagen oft tagelang in den Kindsnöten und verloren durch den heftigen Blutfluß sogar ihr Leben dabei. Neugierig fragte ich Justina, ob sie schon einen Namen für den kleinen Jungen ausgesucht hatte, denn die Bedeutung des Namens einer Person war bei uns im Gau sehr wichtig und sollte entweder auf die Familie des Kindes hinweisen, gute Wünsche und Eigenheiten für seine Zukunft enthalten oder den besonderen Schutz eines Heiligen bewirken. Justina antwortete mir ohne Zögern. „Ja, er hat schon einen Namen, mein kleiner Engel, und in ein paar Wochen soll ihn der Priester in der Kirche von Pitengouua nach dem Ritus der römischen Kirche auf diesen Namen taufen, denn er ist ein Kind dieses Landes und er soll hier aufwachsen und an Gott glauben wie die anderen Kinder auch! Mein Sohn trägt den Namen Riwin, denn rihhi bedeutet Reichtum, Macht und Herrschaft, das soll er für sein Leben gewinnen, und wini meint einen Freund, denn ein treuer Freund für Menschen und Tiere soll er werden und sein.“

Justina machte mit ihrer Entscheidung für die christliche Taufe und mit der Wahl des Namens Riwin ganz deutlich, daß der kleine Junge eben doch nicht nur ihr Kind, das einer fast heidnischen, aus dem fremden Land Tuscia stammenden Sklavin war, sondern daß er auch der Sohn eines hochgeborenen, christlichen Mannes aus Baiern war, das Kind von Arbeo. „Wenn es ein Mädchen geworden wäre,“ sagte sie nachdenklich, „dann hätte es einen Namen aus dem Land meiner Mutter bekommen, und ich hätte ihr von unserer Göttin erzählt und sie alles über die Heilung von Menschen und Tieren gelehrt. Aber der Sohn einer unfreien Magd kann sich nur aus der Knechtschaft befreien, wenn er für den König tapfer kämpft und ein guter, christlicher Gefolgsmann ist, und diesen Weg zur Freiheit will ich für den kleinen Riwin offenhalten, er soll sich selber entscheiden, was er für ein Leben führen will.“

Bei den Worten von Justina mußte ich an Arbeo denken, und wie seine Augen nach ihr suchend über die vielen Menschen geglitten waren, die beim Aufbruch der Pilger nach Rom auf unserem Dorfplatz versammelt waren und dem Bischof und seinen Männern zujubelten. Justina war nicht darunter gewesen, denn gleich nach einer unruhigen und beengten Nacht auf unserem gemeinsamen Lager im Meierhof war sie in aller Frühe allein und zu Fuß zu ihrem Gutshof aufgebrochen. Sie wollte nicht dabei sein, wenn Arbeo von allen Abschied nahm und für Jahre in ein fremdes Land zog, und vor allem wollte sie nicht auf Liutbirc treffen, die Arbeo vor seiner Abreise geheiratet hatte. Denn Liutbirc war natürlich von der Dornau, die jetzt ihre Heimat war, sofort nach Pitengouua geritten, als der Bischof mit seinen adeligen Begleitern eintraf und auf der Burg, dem Wohnsitz ihrer Eltern Uoda und Wicpert, sein Lager aufschlug. In ihrer neuen Rolle als verheiratete Frau und Herrin des stattlichen Hofes über der Lecha fühlte sie sich sehr wichtig, und bei der feierlichen Messe, die Udalrich in unserer kleinen Holzkirche abhielt, saß sie in der vordersten Bank der Frauen beim Altar, obwohl das eigentlich der Platz meiner Schwester Walburc als Meierin und ersten Frau des Dorfes gewesen wäre. Walburc aber erhob keinen Einspruch dagegen, denn sie war ganz erfüllt von der Gegenwart und dem Auftreten des mächtigen und gelehrten Bischofs und lauschte demütig und fromm seinen Worten.

Der Kirchenfürst Udalrich aus Augusburc war von beeindruckender Gestalt, er war der größte Mann, den ich je gesehen hatte, und sein schmales, fast hageres Gesicht mit den tief liegenden Augen, der langen, geraden Nase und dem sorgfältig gebürsteten Bart zog auch mich sofort in seinen Bann. Am Tag nach seiner Ankunft auf dem Meierberg ritt er mit seinem adeligen Gefolge hinunter ins Dorf und in die Kirche, um dort das Sendgericht abzuhalten, dabei fragte er die Menschen nach ihren Sorgen und Nöten, nach ihren Verstößen gegen den Glauben und nach Vorschlägen, was man in dieser Gemeinde verbessern könnte, und er erneuerte mit uns allen das christliche Glaubensbekenntnis.

Mit vielstimmigem Glockengeläut wurde er empfangen und vom Priester und den Herren des Gaus, Wezilo, Sigiboto, Severin und Wicpert, in unsere einfache, aber festlich mit Tüchern und Kerzen geschmückte Kirche geleitet. Dort feierte er in einem kostbaren, seidenen Meßgewand und einer mit Goldfäden bestickten Dalmatica zusammen mit den Geistlichen aus seiner Begleitung die heilige Messe, und sein tiefer Glaube an Gott und die Inbrunst, mit der er vor allem für die Armen, Kranken und Notleidenden dieses Landes betete, berührte die Menschen von Pitengouua sehr. Der Bischof ermahnte uns alle, um der Liebe Christi willen die Nackten zu kleiden, Hungernde und Durstige mit Speise und Trank zu versorgen, Kranke und Sieche zu pflegen und Armen und Obdachlosen Unterkunft zu gewähren. Nach der Messe empfing er vor der Kirchentüre einige Bettler und Aussätzige, und keiner mußte mit leeren Händen weiterziehen, denn Udalrich setzte sich erst zum Festmahl nieder, als alle Armen und Gebrechlichen ein Geldstück und etwas von dem guten Essen auf der Tafel erhalten hatten.

Richlint und ich waren wie die anderen Frauen auch beim Essen nicht dabei, da saßen nur der Bischof, der Königssohn Liudolf, die adeligen Brüder von Udalrich, Manegold und Dietpald, und all die anderen hochgeborenen Herren mit den künftigen Pilgern, unserem Priester und den freien Männern unserer Gemeinde beieinander und tranken den süßen und teuren Wein des Händlers Hildeger. Aber nach Beendigung des Mahls wurden wir Mädchen vom Haslachbauern Sigiboto und von meinem Vater Wezilo an ihren Tisch gerufen, und sie verkündeten unsere Verlobung mit Chuonrad und Leonhard, die mitten unter den Herren saßen, und baten den Bischof um seinen persönlichen Segen für diese Verbindungen. Ich wagte kaum zu atmen in der Gegenwart dieses frommen Mannes und spürte die Angespanntheit von Richlint dicht neben mir, und wir knieten zusammen vor dem Bischof nieder und küßten die Hand mit dem schweren, goldenen Siegelring, die er uns reichte. Udalrich machte mit dem Daumen das Kreuzzeichen über meiner Stirn und über der von Richlint, erbat die Fürbitte der Gottesmutter Maria für diese zwei Ehen und die daraus entstehenden Kinder, und er ermahnte uns eindringlich, immer den christlichen Geboten zu gehorchen und im Glauben und in der Nächstenliebe ein gutes Vorbild für unsere Untergebenen zu sein.

Während der Bischof sprach, hielten wir unsere Köpfe tief gesenkt und schauten niemanden an, aber als seine Rede beendet schien, blickte ich in das strenge Antlitz hinauf und sah die sehr hellen, eisblauen Augen düster und voller Sorge auf der knieenden Richlint ruhen, deren Widerwillen gegen die Heirat mit Chuonrad an ihrem verschlossenen Gesichtsausdruck und den fest geballten Händen zu ersehen war. „Der allmächtige Gott und dein Oheim, der Welfengraf Roudolf, wissen sehr wohl, was für dich gut ist, Mädchen!“ Udalrich sprach leise, nur für die Ohren von Richlint und mir, aber sein Ton war hart und bestimmend. „Gib´ deinen Widerstand auf und gehorche, wie es deine Pflicht als Frau nach Gottes Willen ist. Du wirst deine Erfüllung finden in der Arbeit auf dem Hof und in den Kindern, die Gott dir schenken wird, und das tägliche Gebet wird eine Quelle der Kraft und Freude für dich sein. Bete, Kind, bete, damit der heilige Geist über dich kommt!“ Und der Bischof strich sanft mit seinen langen, schmalen Fingern über Richlint´s Wange und wandte sich dann wieder dem Gespräch mit den anderen Männern zu.

Schon sehr früh am Morgen des nächsten Tages brachen die Pilger unter der Führung des Bischofs zum Kloster im Staphinse auf, dessen Abt ein Freund und Untergebener von Udalrich war, und im naheliegenden Murnowe begann dann die alte Römerstraße, die sie über Partanum und Veldidena, durchs Norital und über die hohen, schneebedeckten Alpes nach Rom führen sollte. Im Kloster Sabiona am wilden Gebirgsfluß Eisack war ein erster längerer Aufenthalt der Pilger geplant, und die Reiter freuten sich für die nächsten Tage auf schönes und trockenes Reisewetter, denn die dichten Morgennebel fielen und die fernen Berge lagen im trüben Dunst.

Die ganze Gemeinde von Pitengouua stand auf dem Dorfplatz, um die Pilger zu verabschieden, und Richlint hielt die Hand von Kunissa, Rasso´s schwangerer Frau, die bitterlich weinte, als sie ihren Mann hoch zu Roß und mit freudiger, aufgeregter Miene leichten Herzens aufbrechen sah. Liutbirc stand daneben, stolz und selbstsicher als verheiratete Frau und Herrin von Dornau, aber Arbeo hatte nicht einen einzigen Blick für sie übrig, sondern schaute sich verzweifelt suchend nach Justina um. Manegold und Dietpald ritten voran, die hölzernen Stangen mit den bunten Fahnen des Bischofs in den Fäusten, und dicht hinter ihnen Udalrich in seinem grauen Mantel aus Wolfsfellen, mit dem blutjungen Königssohn und den anderen hohen Adeligen. Dann folgten die Männer aus unserem Gau, Rasso, Arbeo und der Haslacher Utz, und all die Mönche und Priester, die ihren Hirten auf der Pilgerreise begleiteten, und die Reitknechte und Diener mit den Packpferden und den Vorräten. Die Leute des Dorfes schauten und winkten dem Trupp nach, soweit die Blicke reichten, und Richlint und ich liefen atemlos noch ein ganzes Stück die Pitenach entlang, um die Reiter solange zu sehen, bis die letzte farbig leuchtende Fahne im Dunkel des Waldes verschwunden war.

In den folgenden Wochen und Monaten war es ruhig im Dorf, das gewöhnliche Leben mit unserer täglichen Arbeit ging einfach weiter, auch wenn die Gedanken und Sorgen von uns allen immer wieder bei den Pilgern und ihrem weiten Weg nach Rom waren. Bischof Udalrich hatte einen starken Eindruck hinterlassen, und nie wieder kamen mir die Menschen meiner Umgebung so ausgeglichen und freundlich zu jedermann vor wie in dieser Zeit. Es schien mir, als ob sogar Bruno und Liutbirc sich verändert hätten, denn der eine trank nicht mehr soviel, packte bei der Arbeit mit an und freute sich sichtlich auf sein erstes Kind, und Liutbirc, die in den drei Nächten ihrer bisherigen Ehe zu ihrem großen Kummer noch nicht empfangen hatte, besuchte ihre alte Freundin Walburc wie zu unseren Kinderzeiten sehr häufig und nahm an deren Schwangerschaft großen Anteil. Dabei war sie stets freundlich und zuvorkommend zu Richlint und mir, und insgeheim tat sie mir leid in ihrem blindem Stolz, denn sie ahnte nichts von Arbeo´s Liebe zu Justina und dem gemeinsamen Kind der beiden und hoffte auf eine glückliche Verbindung mit ihrem Mann und auf gesunde Kinder.

Richlint und ich halfen unserer Schwester Walburc auf dem großen Meierhof, so gut wir konnten, und am Sonntag besuchten wir regelmäßig Justina draußen im Weinland. Unsere Hochzeit mit den Brüdern Leonhard und Chuonrad wurde auf einen gemeinsamen Tag im Herbst festgelegt, wenn Walburc sich von der Geburt ihres Kindes erholt haben würde und die Ernte eingebracht wäre, und mein Vater suchte schon den Platz für den Hof von Leonhard und mir aus und verhandelte mit dem Haslachbauern über die Brautgabe. Ich freute mich auf die Ehe, denn Leonhard war ein gutmütiger und heiterer Mann, freundlich zu Mensch und Tier und besonders liebevoll mit kleinen Kindern, und nichts wünschte ich mir mehr als ein eigenes Haus und viele Kinder. Richlint aber graute vor dem Leben auf dem Haslacher Hof, obwohl es ihr dort sicher an nichts mangeln würde, denn es war die reichste Familie im Gau, deren ältesten Sohn und Erben sie heiraten sollte. Wir beide beteten jeden Tag in der kleinen Kirche, gemäß den strengen Ermahnungen des Bischofs, aber Richlint betete inbrünstig nur um das Wohl ihres fernen Bruders Rasso, und darum, Chuonrad nicht heiraten zu müssen, und ich glaube nicht, daß solche Gebete im Sinne des Bischofs waren.

Es war ein besonders heißer und schwüler Sommer in diesem Jahr und die Hitze der langen Julitage machte meiner schwangeren Schwester sehr zu schaffen, je mehr das Kind in Walburc´s Leib wuchs, desto öfter klagte sie über Atemnot und die Schwere ihrer Glieder. Aber sie dachte nicht im Traum daran, sich zu schonen und die schwere Arbeit anderen zu überlassen, sondern verlängerte ihr Tagwerk häufig bis tief in die Nachtstunden und spann und webte noch beim trüben Licht der Kienspäne, wenn das ganze Dorf schon in tiefem Schlaf lag. „Am Abend ist es kühler und angenehmer für mich, da kann ich viel besser weben, und das Schlafen fällt mir mit dem dicken Bauch sowieso schwer!“ antwortete sie lächelnd auf meine Vorhaltungen, und ich wußte genau, daß alle meine fürsorglichen Worte umsonst waren, denn Walburc wollte ihren Meierhof in Ordnung haben, wenn sie niederkam. Dabei war sie bei all den Anstrengungen mager und blaß geworden, und ihre warmherzigen, braunen Augen lagen dunkel umschattet tief im Gesicht.

Die Geburt des Kindes wurde in der Mitte des Monats August erwartet, aber schon zwei Wochen vor dieser Zeit, in den letzten Tagen des Juli, begannen die Wehen. Es war in den frühen Abendstunden eines heißen Tages, als ich mit Walburc die Kühe auf der Wiese weit hinter dem Haus mit Wasser versorgte und anschließend melkte, denn in den Sommernächten blieb das Vieh auf der Weide in der Nähe des Hofs, und die scharfen Hunde des Dorfes bewachten es vor Wölfen und anderen Raubtieren. Die Knechte und Mägde waren alle mit Wezilo und Bruno zusammen auf dem Feld, denn das schöne Wetter mußte genutzt werden, um rechtzeitig die Ernte einzubringen, und da war jede helfende Hand vonnöten. Richlint versorgte die Schafe und Ziegen in ihrem Gatter und wollte sich anschließend um das Abendmahl kümmern, und meine Schwester und ich hatten die Kühe übernommen, denn wir beide waren die besten und schnellsten Melkerinnen des Dorfes. Die Schmiedin, ein mittlerweile altes und zahnloses Weib, saß im Schatten der Dorflinde und sah uns zu, als wir einen vollen, überschwappenden Holzkübel nach dem anderen vom Brunnen bis auf die Weide schleppten, und als alle Tiere getränkt waren, holten wir die dreibeinigen Melkschemel und die Milchkübel aus dem Stall, hockten uns jede unter eine Kuh und begannen zu melken. Ich liebte diese Arbeit mehr als jede andere, den schweren, trägen Atem der Tiere, wenn sie über meinen Kopf bliesen, den würzigen Duft ihrer warmen Leiber nach Gras und Milch, die sanft schaukelnden rosafarbenen Euter und die seidige, weiche Haut der vollen Zitzen in meinen Händen. Manchmal leckte eine Kuh mit ihrer langen, blauen Zunge über meinen nackten Arm, das kitzelte rauh und wohlig, und ich legte meine Wange an die bebende Flanke des Tieres und spürte den Schlag seines Herzens.

Walburc war sehr langsam an diesem Abend, während ich bereits die zweite volle Kanne zum Meierhof trug und in den großen Milchtrog schüttete, hatte sie erst drei Kühe gemolken und stand gerade schwerfällig auf, um zum nächsten Tier zu gehen, als ein starker Schmerz durch ihren Körper lief und sie überrascht aufschrie. Ich war genauso erschrocken wie sie selbst, denn es war noch zu früh für das Kind, aber nach kurzer Zeit fühlte sich Walburc wieder wohl und wollte unbedingt weiter arbeiten. „Ich habe mich wahrscheinlich beim Wassertragen übernommen,“ meinte sie, „das ist sicher noch nicht der Beginn der Geburt!“ Aber auf mein eindringliches Bitten und Drängen hin ging sie doch ins Haus zurück, und ich beeilte mich mit dem Melken, um nach ihr zu schauen.

Richlint und die Schmiedin saßen bei Walburc, als ich in der Dämmerung die stickige, heiße Stube betrat, in der auf der Feuerstelle ein Topf mit der Abendsuppe köchelte, und die alte Frau nuschelte aufgeregt vor sich hin, daß die Geburt anstehe und wir schleunigst Justina vom Weinland und die anderen Frauen holen sollten, denn bei den starken Schmerzen von Walburc könne es nicht mehr lange hingehen, bis das Kind zur Welt käme. Aber meine Schwester wehrte sich entschieden dagegen, denn bei der ersten Niederkunft einer Frau dauerte es meist sehr lange, und sie wollte nicht, daß ausgerechnet in der Erntezeit die ganzen Frauen bei ihr in der Stube hockten und nicht beim Einfahren und Lagern des Getreides mithalfen. Denn bei uns im Dorf kamen gewöhnlich alle Frauen bei einer Geburt zusammen und saßen um das Lager der Wöchnerin, ermunterten die Gebärende, beteten gemeinsam für sie und erzählten von den Umständen, als ihre eigenen Kinder zur Welt kamen. Die Männer dagegen mußten draußen bleiben, denn das war die Sache der Frauen.

Walburc überredete uns, in dieser Nacht niemanden zu rufen, denn am nächsten Morgen sei noch Zeit genug dafür, und die Schmerzen hätten bereits nachgelassen und wären sicher keine richtigen Wehen gewesen. Richlint und mir fehlte es an Erfahrung in diesen Dingen, und die Schmiedin war wohl schon zu alt und zu fehlsichtig, um die Schwere der Wehen bei meiner Schwester wirklich zu erkennen und auf dem Beistand der anderen Frauen zu bestehen. So gingen wir nach dem Essen alle in unser Bett, auch Bruno und Wezilo, die hundemüde von der Ernte nach Hause gekommen waren und von Walburc´s Schmerzen gar nichts ahnten.

Ich weiß noch genau, daß ich sofort tief und fest einschlief, denn die harte Arbeit und die Hitze des Tages hatten mich erschöpft, und Richlint´s vertrauter Körper dicht an meinem Rücken beruhigte mich wie immer. Mitten in der Nacht aber war ich auf einmal hellwach, hörte eine Zeitlang auf das Schnarchen der Männer und den ruhigen, gleichmäßigen Atem von Richlint neben mir, und dann fiel mir Walburc ein, und ich stand auf und ging zu ihrem Lager hinüber. Bruno lag dick und schwerfällig auf dem Rücken und atmete mit weit offenem Mund, und Walburc krümmte sich ganz am Rande des Betts, im schwachen Licht des langsam verlöschenden Herdfeuers sah ich winzige Perlen von Schweiß auf ihrer Stirn und lange, nasse Haarsträhnen klebten an ihrem bleichen Gesicht. Als sie mich sah, leuchteten ihre Augen auf, und sie packte mit aller Gewalt meine Hand und zog mich zu sich heran, bis ich am Boden neben ihr kniete.

„Afra, wie gut, daß du aufgewacht bist! Hör zu! Du mußt mir etwas versprechen, bei Gott und allen Heiligen, und bei der gnädigen Muttergottes! Wenn ich sterbe, dann...“ Ich unterbrach sie voller Angst. „Du wirst nicht sterben, Walburc, nicht jetzt! Alle Frauen bekommen Kinder, und daran braucht man nicht zu sterben, Justina hat ihr Kind ganz alleine bekommen und alles war gut! Bitte red´ nicht vom Tod, das bringt nur Unglück, und du machst mir Angst damit!“

Der Griff meiner Schwester war trotz ihrer Schwäche hart wie Eisen, und ich konnte ihr meine Hand nicht entziehen. „Hör zu!“ flüsterte sie eindringlich, „wenn ich bei der Geburt dieses Kindes sterbe, dann sollst du dich um das Kleine kümmern! Und um unseren alten Vater, er hat schon soviel mitgemacht in diesem Leben, und um den Meierhof, den er so liebt! Versprich´ es mir, Afra!“

Wieder packte der Schmerz Walburc, und sie ließ meine Hand los und wand sich mit verzerrtem Gesicht auf ihrem schweißnassen Lager. Ich weinte und hielt mir mit beiden Händen die Ohren zu, denn ich wollte ihre Worte nicht hören. „Ich brauch´ dir nichts versprechen, Walburc, denn du wirst nicht sterben! Du wirst dein Kind selber aufziehen und weiter die Herrin auf dem Meierhof sein! Und ich werde jetzt alle wecken und die Frauen holen, denn es geht dir schlecht, und wir werden gemeinsam für dich beten und Justina wird dich heilen, du wirst schon sehen!“

Ich stand auf und wollte gehen, aber Walburc erwischte den Zipfel meines Hemdes und hielt mich daran fest. „Du mußt es mir versprechen, Afra, denn du bist meine einzige Schwester, und du bist stark genug für dieses Leben! Gelobe bei der Seele unserer toten Mutter, daß du tust, um was ich dich gebeten habe!“ Als Walburc von unserer Mutter sprach, kehrte die Erinnerung an ihren grausamen Tod durch die Hand der Barbaren wieder zurück, und ich erkannte, daß es für keinen von uns irgendeine Sicherheit oder Gewißheit gab auf dieser Erde. Auch meine Schwester könnte sterben und mich verlassen, und ich wußte genau, daß ich mich ihrer Bitte nicht länger verweigern konnte. Walburc würde mir keine Ruhe mehr lassen, bevor ich ihr nicht dieses Versprechen gegeben hatte, und ich wandte mich zu ihr und schwor bei allem, was mir heilig war, mich um ihr Kind und um unseren Vater zu kümmern und für sie zu sorgen, so gut es mir möglich war. Sie legte sich zurück und lächelte mich erleichtert und voller Liebe an, und ich strich ihr sanft die klebrigen Haarsträhnen aus dem nassen Gesicht und deckte sie zu. „Du wirst nicht sterben! Ich wecke jetzt die Frauen!“

Der Kampf von Walburc um ihr eigenes Leben und das ihres ungeborenen Kindes dauerte mehrere Tage, und am Ende hatten sie ihn beide verloren.

Dichter Nebel liegt über meiner Erinnerung an diese Stunden, und auch damals hatte ich das Gefühl, einen undurchsichtigen, bösen Traum zu erleben und einfach nicht daraus zu erwachen, sosehr ich mich auch anstrengte. Meine Angst war so groß wie der Aurberg und ich schrie innerlich laut vor Verzweiflung, aber die Zunge in meinem Mund sprach ruhige und gelassene Worte, gab die nötigen Anweisungen und beruhigte und tröstete, wo sie nur konnte. Meine Glieder waren wie mit Ketten gefesselt, aber Arme und Beine bewegten sich von selbst, ohne mein Zutun, und ich brühte Kräutersud und holte frisches Wasser und wusch meiner Schwester den Schweiß von ihrem gepeinigten Körper. Nur in wenigen Augenblicken vermochte ich klar und bewußt durch die dichten, nebligen Schwaden zu blicken, und diese Eindrücke sind für alle Zeiten wie mit einem scharfen Messer in meiner Erinnerung eingeritzt.

Am ersten Tag kamen die Frauen aus Pitengouua, saßen in der Stube neben Walburcs Lager und beteten um eine leichte Geburt für sie. Am zweiten Tag kam auch Uoda von der Burg und Liutbirc aus Dornau, und sogar die gebrechliche Hedwig, Sigibotos Frau, wollte Walburc beistehen und war zu Fuß mit einer Magd vom Haslachhof gekommen. All diese Frauen saßen und standen bei uns in der heißen, stickigen Stube, und doch wußte keine von ihnen so recht, was zu tun war, als die Wehen von Walburc immer stärker und schmerzhafter wurden und dicht aufeinander folgten, das ungeborene Kind sich aber im Bauch seiner Mutter nicht rührte. Wir beteten ohne Unterlaß und massierten meine Schwester, wir flößten ihr Kräutersäfte ein und verbrannten allerlei geweihtes Räucherwerk, bis kaum mehr genügend frische Luft zum Atmen in der engen Stube war. Schließlich verlangte die alte Hedwig, daß wir Walburc auf die Füße stellten und mit vereinten Kräften heftig schüttelten, damit das Kind sich löste und nach unten rutschte, aber meine Schwester schrie dabei so schrecklich und so laut, daß ich die Frauen drängte, damit aufzuhören und die völlig geschwächte Walburc wieder auf die Bettstatt zu legen. Diese grauenvollen Schreie tönen noch heute in meinen Ohren, und ich sehe die blonde Liutbirc in ihren roten, kostbaren Gewändern in einer Ecke stehen und mit Entsetzen im Gesicht fassungslos und ohnmächtig die Hände ringen.

Schon am frühen Morgen des ersten Tages hatte ich den Knecht Lutold ins Weinland geschickt, um Justina zu holen, aber er kam unverrichteter Dinge zurück und berichtete, daß der alte Gutshof verlassen war und dort nur die Ziegenherde herumsprang. Wie wir später von ihr erfuhren, war Justina dringend nach Bobinga gerufen worden, denn der Schmied des Dorfes war beim Beschlagen eines wilden Rosses schwer verletzt worden und brauchte ihre Hilfe. Mit Walburc´s Kind hatte Justina erst in zwei Wochen gerechnet, und so machte sie sich unbesorgt mit dem kleinen Riwin und dem Hund Cimbro auf den langen und beschwerlichen Weg durch die düstere Ambraschlucht. Erst am dritten Tag des Leidens meiner Schwester traf einer der Reiter, die ich überall im Gau auf die Suche geschickt hatte, Justina auf dem Rückweg ins Weinland und brachte sie sofort nach Pitengouua. Ich war so froh, als die Freundin uns liebevoll und ruhig wie immer begrüßte, Richlint ihren Säugling in den Arm legte und in die Stube zu Walburc lief, daß ich für einen Moment fest daran glaubte, daß nun alles gut werden und meine Schwester ein gesundes Kind gebären und leben würde. Aber im Halbdunkel der unerträglich heißen Stube wurde Justina´s Miene sehr ernst, als sie Walburc fast leblos liegen sah und von den Frauen hörte, wie lange sie schon in den Wehen lag, und sie begann auf der Stelle zu handeln.

Als erstes schickte sie alle Frauen hinaus bis auf Hedwig, Uoda und Liutbirc, denen sie als Unfreie nichts zu befehlen hatte, und dann öffnete sie die Tür und löschte alle Feuer und Kienspäne und Räucherwerke, damit es kühler wurde und Luft in die Stube kam. Mir befahl sie, frisches, kaltes Wasser vom Brunnen zu holen, und damit wusch sie meiner Schwester den heißen, klebrigen Schweiß vom Körper, und Walburc regte sich wieder und jammerte leise vor sich hin. Justina untersuchte meine Schwester sehr sorgfältig, und mit ihren Fingern und einer Salbe versuchte sie, den Geburtsweg zu erweitern und weich zu machen. Dabei sprach sie ununterbrochen sanft und beruhigend auf Walburc ein, doch als sie sich zu uns wandte, war ihr Gesicht bleich und ohne Hoffnung.

„Das Kind liegt nicht richtig, es kommt mit den Füßen zuerst, und Walburc hat keine Kraft mehr für eine so schwierige Geburt.“ Diese Worte zerrissen wie mit einem einzigen Hieb den grauen Nebel, der mich umgab, und ich schrie Justina verzweifelt an. „Du kannst doch etwas tun, Justina, du hast doch die Heilkraft und die Mittel, um Walburc zu helfen! Bitte, ich flehe dich an, bitte rette meine Schwester!“

Auf mein Schreien hin kam unser Vater an die Tür, die ganzen Tage und Nächte hatte er draußen unter dem Schopf gewartet und gebetet, und jedesmal, wenn ich zum Wasserholen an ihm vorbei lief, hatte er mich an der Hand gepackt und nach Walburc gefragt. „Sie wird wieder gesund, unsere Walburc, du wirst schon sehen, Afra! Eure selige Mutter im Himmel beschützt euch Mädchen, sie bittet Gott und die Mutter Maria um Hilfe, so wie ich es hier auf Erden für euch mache! Du mußt Vertrauen haben, Afra, und glauben und beten!“ Dabei streichelte er immer wieder über meine Hand und wirkte so hilflos und unglücklich, daß ich ihn jedesmal tröstete und von einer Hoffnung sprach, die ich selbst nicht besaß.

Jetzt stand er Justina gegenüber, aufrecht und entschlossen, und er sprach mit klarer Stimme und sah ihr dabei fest in die schwarzen Augen. „Wende jedes Mittel an, von dem du weißt, Justina, und versuche wenigstens, das Leben meiner Tochter zu retten, wenn auch das Kind dabei verloren ist! Bruno hockt in der Schmiede und ist vollkommen betrunken, der kann keine Entscheidung für sein Weib mehr treffen, aber du hast meine Erlaubnis und die Anweisung, alles zu versuchen, denn ich bin der Meier!“ Mit diesen Worten drehte sich Wezilo um und setzte sich wieder auf seinen Platz unter dem Schopf, und wir hörten bis in die Stube hinein sein lautes Beten.

Justina schaute uns nur an. Die alte Hedwig hatte sich erschöpft auf einen Hocker fallen lassen, saß mit gebeugtem Rücken und lose herab hängenden Händen da, das faltige Gesicht müde und hoffnungslos. Uoda und Liutbirc standen neben ihr, Entsetzen und Verzweiflung spiegelten sich in ihren sonst so gelassenen und hochmütigen Mienen.

„Tu, was der Meier gesagt hat, Justina!“ Uodas Stimme klang rauh und belegt, und sie schaute Justina, die doch nur eine Sklavin war und sonst ihrer Beachtung nicht wert, offen und freundlich an. „Wir müssen alles versuchen, damit Walburc am Leben bleibt! Ich weiß, daß ihr Hebammen ein Mittel habt, mit dem ihr eine Geburt vorantreiben könnt, und ich weiß auch, daß diese schwarzen Körner sehr gefährlich für das Leben von Mutter und Kind sind! Aber Walburc wird sterben, wenn wir noch länger warten, zusammen mit ihrem ungeborenen Kind wird sie sterben, wenn wir nur dabei stehen und nicht handeln, wir müssen ihr das Pulver eingeben, solange noch ein Funken von Kraft in ihr ist.“ Justina schaute fragend in meine verweinten Augen, und obwohl ich noch nie von diesem gefährlichen Mittel gehört hatte, gab ich heftig nickend meine Zustimmung und langte zugleich voller Angst nach ihrer Hand.

Aus ihrem ledernen Beutel, den sie immer bei sich trug, nahm Justina ein kleines Tongefäß und schüttete ein paar schwarze Körner, ähnlich wie Getreidesamen, auf ihre Handfläche, verschloß das Gefäß wieder sorgfältig und zerstieß dann mit einem steinernen Stößel die länglichen Samen in einem Mörser zu feinem, dunklem Pulver. Mit etwas Wasser auf einem Löffel vermischt flößte sie meiner Schwester den Brei ein, und ich stützte dabei den Kopf von Walburc, die vor lauter Schwäche kaum schlucken konnte. Das Gesicht meiner Schwester war weiß wie frischgefallener Schnee, und ihre sonst so warmen, braunen Augen waren glanzlos und von dunklen Ringen umgeben.

„Es wird dir bald besser gehen, Walburc,“ flüsterte ich ihr zu, „das Heilmittel von Justina wird dir und dem Kind helfen, ihr werdet beide leben, du mußt fest daran glauben!“ Walburc tastete mühsam nach meiner Hand. „Denk´ an dein Versprechen, Afra“, kam es fast tonlos von ihren aufgesprungenen, trockenen Lippen, und sie schloß die Augen und ließ den Kopf müde auf meinen Arm sinken.

Justina hatte Walburc´s leise Worte gehört, aber sie fragte nicht nach dem Versprechen, das ich meiner Schwester gegeben hatte, sondern zog mich sanft, aber bestimmt zur Feuerstelle. „Dieses Mittel, Afra, das ich deiner Schwester gegeben habe, es hilft nicht immer, das solltest du wissen. Es richtig anzuwenden, ist sehr schwer, denn wenn ich zuwenig davon gebe, wird das Ungeborene nicht aus dem Leib der Frau ausgetrieben, und Mutter und Kind sterben. Wenn ich aber zuviel von diesen schwarzen Körnern nehme, wird die Gebärende sehr krank und kann davon getötet werden. Dein Vater und Uoda, sicher auch Hedwig, wissen um diese Gefahr, und Walburc ist sehr schwach nach drei langen Tagen und Nächten voll unsäglicher Schmerzen. Ob ihre Kraft ausreicht, für die Geburt des Kindes und ihre eigene Heilung, das kann ich dir nicht versprechen, aber was immer auch geschieht, es ist der Wille der Götter, und wir müssen uns ihrem Willen beugen.“

Noch in der darauffolgenden Nacht gebar meine Schwester Walburc unter unmenschlichen Qualen einen toten Knaben, der mit den Füßen zuerst auf diese Welt kam und nicht einen einzigen Atemzug in seinem Leben tat. Als sie hörte, daß ihr Kind tot geboren war, verlor sie ihre letzte Kraft und jeglichen Mut zum Weiterleben, und in den frühen Morgenstunden schloß sie die Augen für immer.

Ω