Kapitel 16
Wie durch ein Wunder gelang es ihnen, die Strecke von Millers Farm zu Davids Haus mit den beiden Fahrzeugen zu bewältigen, ohne auf eines der Dinger zu treffen. Jetzt standen das Wohnmobil und der Pickup vor Davids Haus geparkt und warteten auf ihren Einsatz, während sich die Menschen in der Küche versammelten, um die Lage zu besprechen.
Es war bereits später Nachmittag und Peter überlegte mit David, ob sie es riskieren wollten, loszufahren oder noch eine Nacht im Keller des Wohnhauses zu übernachten.
Peter hielt es für eine gute Idee, da er das Haus für sicher hielt und Nicole noch etwas Ruhe gönnen wollte. Sie war unglaublich blass und saß apathisch und mit leerem Blick am Küchentisch. Die zitternden Hände waren zwischen ihren Oberschenkeln eingeklemmt und sie wiegte ihren Oberkörper leicht vor und zurück.
Besorgt lag sein prüfender Blick auf ihr. Er kannte sich mit dem kalten Entzug aus und wusste, dass es ihr bald noch schlechter gehen würde und die Entgiftung mit allen Qualen und Schmerzen mindestens eine Woche dauerte. Wenigstens kauften sie ihm die Geschichte mit dem Sonnenstich ab und Annie bemühte sich rührend um Nicole.
Aber David wollte so schnell wie möglich aufbrechen, um endlich zu seiner Familie zu gelangen. Langsam wurde die Debatte in der Küche immer hitziger und die anderen Mitglieder der Gruppe schalteten sich ein.
„Ich bin auch dafür, noch eine Nacht hier zu bleiben und erst morgen früh aufzubrechen. Weit kämen wir heute sowieso nicht mehr. Und so haben wir auch noch Zeit, uns auf der Karte ein paar Stellen für eine sichere Rast zu suchen“, wandte Jeff ein.
Susan hielt ihren Koffer umklammert und starrte in die Runde. „Mir wäre es auch lieber, noch ein wenig hier zu bleiben. Wer weiß, was uns da draußen erwartet“, flüsterte sie heißer und ihr Mann Henry nickte wie immer zustimmend.
Larry, ein Supermarktkassierer auf dem Weg zu seiner Verlobten, räusperte sich. Bisher hatte sich der schweigsame Mann derart zurück gehalten, dass man ihn oft übersah und glauben konnte, er sei stumm.
„Mir wäre es lieber, so schnell wie möglich zum Quarantänezentrum zu fahren. Vielleicht haben die dort sogar schon eine Impfung oder so was gegen diesen schrecklichen Virus. Auf jeden Fall sind dort Ärzte, die sich um uns kümmern und Soldaten, die uns beschützen.“
„Können wir nicht noch eine Nacht hier bleiben?“, fragte Cynthia bittend. „Meine Kinder haben die letzten Stunden so viel durchgemacht und etwas Ruhe würde uns allen gut tun.“
Die anderen blickten betreten zu Boden und David gab sich widerwillig geschlagen. Die beiden kleinen Mädchen taten ihm unendlich leid. Kein Kind sollte so etwas durchmachen müssen.
„Gut. Aber nur eine Nacht, sonst mache ich mich allein auf den Weg. Ich werde mit Peter die Strecke auf der Karte besprechen und ihr könnt die Fahrzeuge beladen. Wir sollten auch Wachen aufstellen. Nur für alle Fälle“, setzte er beruhigend hinzu, als er sah, wie Cynthia zusammen zuckte und ihre Kinder fester an sich presste.
Er warf Jeff die Schlüssel zu. „Fahr das Wohnmobil und den Pickup besser in die Scheune hinterm Haus. Ich will nicht, dass jemand die Wagen sieht und womöglich auf die Idee kommt, uns zu bestehlen.“
Bevor Peter David ins Wohnzimmer folgte, um die Karten zu studieren, beugte er sich zu Annie. „Geh mit Nicole besser nach oben. David hat mir gesagt, dass sich neben seinem Schlafzimmer ein kleines Bad befindet, in dem sie sich etwas frisch machen kann. Ich löse dich dann später ab. Es ist das Beste, wenn Nicole in ihrem Zustand nicht mit den anderen im Keller übernachtet“, raunte er ihr leise ins Ohr.
Nachdem sie alles vorbereitet hatten, machte sich die Gruppe über das von Cynthia und Mia zubereitete Abendessen her. Es gab dicke Bohnen in Tomatensoße und frische Eier von Davids Hühnern. Jeff übernahm mit David die Einteilung der Nachtwache und Peter brachte Nicole etwas zu Essen nach oben und löste Annie ab.
Leise öffnete er die Tür und blieb erschrocken stehen. Nicole lag schwer atmend und mit verkrampften Gliedmaßen mit dem Rücken zur Tür auf dem Bett. Annie hob den Kopf, sah ihn besorgt an und ging langsam zur Tür.
„Sie zittert wie verrückt, schwitzt und fühlt sich dabei eiskalt an. Bist du sicher, dass sie nur einen Hitzschlag hat?“, fragte sie leise. Er hörte deutlich die Besorgnis in ihrer Stimme.
Peter zuckte unbehaglich die Schultern. „Sie ist nicht gebissen worden, falls du das meinst“, antwortete er ausweichend. „Geh nach unten zu den anderen und iss etwas. Ich bleibe die Nacht bei ihr.“
Annie sah ihn mit einem zweifelnden Blick in die Augen, ging aber zur Tür hinaus und lief die Treppe hinab in die Küche. Peter seufzte erleichtert und schloss die Tür hinter ihr. Er hasste es zu lügen und war auch nicht gut darin. Leise lief er um das Bett herum und stellte das Tablett vorsichtig auf den Nachttisch.
Nicole öffnete die Augen, schien aber durch ihn hindurch zu sehen.
„Du musst etwas essen, damit du bei Kräften bleibst“, sprach Peter sie an und strich ihr mit dem feuchten Tuch über die Stirn. Nicole schüttelte schwach den Kopf.
„Ich glaube nicht, dass ich etwas bei mir behalte“, keuchte sie kraftlos und verzog schmerzhaft das Gesicht.
„Du musst“, versuchte es Peter noch einmal. „Wenigstens ein paar Bissen. Dein Körper wehrt sich gegen die Entgiftung. Aber du bist stark und wirst das aushalten und überstehen.“
Er half ihr, sich im Bett auf zusetzten und fütterte sie mit ein paar Löffeln Bohnen und Ei. Wie ein braves Kind ließ sie es geschehen, aß und trank auch etwas Wasser.
„Ich werde heute Nacht bei dir bleiben. Morgen früh geht es dir sicher schon besser und wir können uns auf den Weg ins nächstgelegene Quarantänezentrum begeben. Ich habe mit David eine hoffentlich ungefährliche Strecke gesucht, auf der wir schnell voran kommen sollten. Das Internet ist mittlerweile genauso tot wie die Telefone. Aber mach dir deswegen keine Sorgen. Ruh dich jetzt aus und versuch ein wenig zu schlafen“, versuchte er sie abzulenken.
Peter half ihr, sich wieder hinzulegen und deckte sie mit einem Laken zu. Dann setzte er sich mit seiner neuen Pistole in der Hand in einen Stuhl ans Fenster und starrte in die dunkle Nacht. Er war tot müde, fand aber keine Ruhe.
In was für ein Schlamassel waren sie da nur hinein geraten? Er vermutete, dass der Auslöser der Katastrophe an Bord etwas mit dem Sarg zu tun hatte, den er in letzter Minute mitnehmen musste. Darin musste der dicke Mann gelegen haben, den er im Flugzeug gesehen hatte, wie er dem jungen Mädchen die Halsschlagader durchbiss. Er war sich jedenfalls sicher, dass er keiner der Passagiere war.
Peter erinnerte sich immer genau daran, wen er beim Einstieg begrüßte und dieser Mann war mit Sicherheit nicht dabei gewesen. Warum nur war er so unfreundlich zu seinem Copiloten gewesen und hatte ihn rüde in den Frachtraum geschickt.
War die Störung wirklich so gravierend gewesen, dass sie sofort behoben werden musste? Wäre es nicht seine Pflicht als Kapitän gewesen, selbst nach dem Rechten zu sehen? Dann wäre er jetzt womöglich tot. Müde strich er sich mit der Hand über sein Gesicht und seufzte leise. Er fühlte sich schuldig an Tims Tod. Und dem der anderen Passagiere.
Hätte er die Katastrophe verhindern können? Sein Verstand sagte „nein“. Selbst wenn niemand an Bord gebissen und gestorben wäre. Spätestens auf dem nächsten Flughafen hätte es von Infizierten nur so gewimmelt. Wenn er den Berichten des Towers Glauben schenkte und falls sie ihn überhaupt hätten landen lassen.
Er blickte zum Bett, als Nicole im Schlaf leise stöhnte und sich unruhig hin und her warf. Nur noch so wenige waren übrig geblieben. Peter presste die Lippen fest aufeinander und schwor sich, die ihm anvertrauten Menschen in Sicherheit zu bringen. Egal welchen Preis er dafür zahlen musste.